22.05.2020

Die Krankheit der Linken … Herzschwäche

Überlegungen zu einem Rätsel.


Inhalt
Die oder der anspruchsvolle Linke
Der blinde Punkt
Die Herzschwäche als wahre Tragik


Die oder der anspruchsvolle Linke

Das Phänomen, das sich gerade die Linken immer wieder so ,zerlegen’, ist ein schon lange bestehendes Rätsel. Ich habe mich dazu schon manches Mal geäußert.

Die Rechten haben kein Problem mit Einigkeit, weil ihre Agenda so beschränkt ist, ebenso ihre Linie für Gedanken und Gefühle: Ein ,starker Mann’ ist ihnen sogar sympathisch - dem folgen sie und gut. Das erklärt auch Trumps Erfolge. Intelligenz spielt überhaupt keine Rolle, sondern nur das Erstarken von Einfluss und Macht. Rechten reicht das vollkommen.

Linke sind anspruchsvoller. Ihre Agenda und ihre Ziele sind viel differenzierter, viel komplexer und viel schwieriger zu erreichen (unter den gegebenen Bedingungen!). Für ein humanes Weltbild muss man intelligent sein – oder aber ein reines Herz haben. Da die reinen Herzen aussterben, bleibt nur die Intelligenz. Ein intelligenter Linker hat Ansprüche – er will Einfluss auf Gestaltung und Ziele nehmen. Damit beginnt das Problem bereits.

Mitgestaltung ist einerseits kein ,Problem’, sondern gerade eine Kraft, ja sogar die Essenz des Demokratischen. Das Problem entsteht, wenn die Sichtweisen sich unterscheiden, sei es in Bezug auf Ziele, Analyse, Taktik, Strategie oder die Frage, was jetzt gerade das Wichtigste sei. Und es entsteht, wenn jeder immer wieder sein eigenes Steckenpferd reitet, weil er einfach unempfänglich für die Äußerungen anderer ist, sei es aus eigenem Mangel an Empathie, sei es aus aktivem Desinteresse.

Auf diese Weise aber werden Linke auch nichts anderes als Spiegel einer auf Konkurrenz ausgerichteten Gesellschaft. Nicht um Einander-Zuhören geht es, sondern um den Kampf um ein großes Stück am ,Kommunikations-Kuchen’, der dann entsprechenden weiteren Einfluss gewährleistet. ,Was interessiert mich das Geschwätz meines Nächsten?’ So könnte man es auf den Punkt bringen.

Damit aber zerfällt der linke Anspruch völlig – denn dann ist der Linke ebenso egoistisch und unmenschlich wie jeder andere. Die einzige Ausnahme ist das linke, humane Gedankengut, aber was nützt das, wenn es schon im eigenen Kreis Ideologie bleibt, das heißt, im realen Leben gar nicht umgesetzt wird?

Der blinde Punkt

Die zentrale Ursache dieses Phänomens liegt in einem realen Ungleichgewicht zwischen Denken und Fühlen – und einer völligen Nicht-Erkenntnis bzw. Unterbewertung der Notwendigkeit des Letzteren.

Das hat sogar ausgewachsene geschichtliche Hintergründe. Die Aufklärung hatte erkannt, dass kirchliche und andere Macht überall da stark sein konnte, wo die Erkenntnis umgangen und auf bloßen Gehorsam, aber auch Kontrolle über das Gefühl (,Glaube’, ,Patriotismus’ etc.) gesetzt wird. Damit war das Gefühl für die Aufklärer diskreditiert – ein gesundes Erbe in Bezug auf die ,echt humanen’ Gefühle war ja vorhanden und wurde durch idealistische Gedanken sogar noch weiter gestärkt.

Heute ist der Idealismus in Bezug auf eine ,andere Welt’ noch immer da, immer schwächer aber der Idealismus in Bezug auf den Nebenmenschen. Von der ,Einen Welt’ lässt sich schnell reden, für Flüchtlinge im Allgemeinen hat man schnell Empathie – aber was ist mit der simplen Fähigkeit, einander zuhören zu können … und zu wollen!?

Das hat kaum noch etwas mit dem Denken zu tun, viel mehr aber mit dem Fühlen – und letztlich mit einer noch tiefer verborgenen Seelenkraft, nämlich dem Willen, genauer gesagt: dem guten Willen. Damit sind wir doch wieder ganz nahe beim Religiösen, denn: Der gute Wille ist eben nicht selbstverständlich, so sehr sich Linke das auch einreden wollen.

Auch die Linken tragen den ,guten Willen’ vielfach nur da vor sich her, wo es sie selbst befriedigt – nicht aber da, wo es anstrengend wird: Da, wo es wirklich der gute Wille wird, weil er nicht mehr die eigenen Sympathien befriedigt, sondern ich mich auf jemanden einlassen müsste, der mir ganz widerspricht. Stattdessen verfolgt jeder nur die eigene Agenda und ist sich selbst der Nächste. Man hegt und pflegt seine ,Freundschaften’, in Wirklichkeit aber sind es eher ,Netzwerke’, wie sie jeder ,Influencer’ hat – und schon der, der da nicht reinpasst, wird zum Gegner, zum Feindbild, zum roten Tuch, obwohl er der gleichen Linken, ja sogar der gleichen Organisation angehört wie man selber.

Die Herzschwäche als wahre Tragik

Der gute Wille ist nichts, was man billig bei sich voraussetzen kann – genau das gehört zu den größten Verlogenheiten: dass sich jeder für einen guten Menschen hält, aber niemand bereit ist, etwas dafür zu tun.

Manch einer argumentiert: ,Wieso, ich quäle mich doch jeden Tag durch diese bescheuerte Diskussionsliste mit all den bescheuerten Posts und halte mich doch schon zurück, weil ich nicht jeden kommentiere, obwohl die meisten Blödsinn reden – wenn das kein guter Wille ist!’ Aber mit dieser Äußerung offenbart man nur den eigenen, eklatanten Egoismus, der nahezu überschwemmt ist von Antipathie, auch das ein Gefühl, aber völlig unvereinbar mit dem guten Willen und mit Gefühlen von Wärme und Sympathie.

Obwohl die Linke so sehr auf Erkenntnis setzt, hat sie die entscheidende Erkenntnis immer wieder neu umgangen: Solange die Linke sich nicht in dieser Wärme und Sympathie einig ist und dies nicht ihr tragendes Element wird – radikal und bedingungslos –, so lange wird sie überhaupt nicht weiterkommen. Es sei denn, vielleicht, manchmal, auf die alte Art wie auch jeder andere: Einflussnahme, Machtkämpfe, Etappensiege. Wenn das alles ist, was die Linke zu bieten hat, dann ist sie gescheitert!

Wenn die Linke nicht die Herzen gewinnt, weil sie selbst ein Herz hat – und zwar als das absolut zentrale Moment –, dann wird sie niemals gewinnen. Und dass das noch immer nicht gesehen wird, das ist die eigentliche, die wahre Tragik.

Die meisten setzen auf das Denken, aber viele von diesen sind genau solche Egomanen wie auch andere, nur eben auf die ,linke Tour’. Zwar mit einer gewissen Bereitschaft zur Zusammenarbeit, die aber schnell an ihre Grenzen kommt, wenn zu sehr am eigenen Ego gekratzt wird. Wenn die Linken nicht lernen, dass der Schlüssel zu einer anderen Welt nur im Fühlen und in dem Geheimnis eines neuen, wahrhaft guten Willens liegen kann – dann werden sie gar nichts lernen. Diese Erkenntnis aber wird gerade der Linken sehr sauer werden, denn seit zweihundert Jahren haben sie auf das Denken und die Aufklärung gesetzt. Aber darüber haben sie immer mehr den Schatz verloren, der ihr eigentlicher gewesen wäre: das Herz.

Das kann man nur ändern, wenn man es ändert.