02.03.2021

Das Mädchen und die menschheitliche Seele

Wesensgedanken zur Menschheitsgegenwart und Menschheitszukunft.


Das Wesentliche ist heilig-einfach – und zugleich ein heiliges Mysterium. Wer das Heilige, das Empfinden des Heiligen nicht mehr kennt, kann unmöglich Zugang zum Wesentlichen finden. Wirkliche Erkenntnis ist also nur in Hingabe möglich. Und der Egoist, der die Hingabe nicht mehr kennt, kommt nur noch zur ,Erkenntnis’ des Unwesentlichen.

Auch das Mädchen – in seinem Wesen, seinem Wesentlichen – ist nur in Hingabe erkennbar. Gewöhnlich wird die Hingabefähigkeit vor allem dem Mädchen selbst zugeschrieben. Wer sie aber nicht in der eigenen Seele besitzt, wird nie erkennen, was eigentlich ein Mädchen ist – er wird es immer nur meinen. Man erkennt auch den Frieden nicht kriegerischen Sinnes. Alles erkennt man nur, indem man es wird – in einem heiligen Ausmaß wesentlicher Wandlung, die das Mysterium erschließt, weil das Mysterium in einen einzieht. Erkenntnis ist immer Kommunion. Vereinigung. Sie schenkt sich einem – aber nicht ohne dass man verwandelt wird. Man ist nachher nicht mehr derselbe Mensch – und in keinem Fall ist man es während der Erkenntnis. In diesem heiligen Moment zumindest ist man das Erkannte – oder man hat nicht erkannt. Das Mädchen zu erkennen, bedeutet also, in seinem ganzen Wesen das Mädchen zu werden.

Die menschliche Seele besitzt drei Kräfte: Das Denken, das Fühlen und das Wollen. Und es gibt eine große Polarität: den Egoismus und die Liebe. Das ist: die Selbstverhaftung, der Selbstbezug, die Richtung auf einen selbst hin – oder die Richtung auf das Andere hin. Es ist die Polarität zwischen einem Einsaugenden und einem Ausstrahlendem, zwischen einem egoistisch-selbstbezogen Absorbierenden und einem Leuchtenden, Wärmenden.

Das Mädchen ist eine sanfte Sonne, der gewöhnliche Mensch ist eine trübe Funzel – und oftmals sogar ein schwarzes Loch.

Im Denken ist die gewöhnliche Seele fortwährend in ihrem selbstbezogenen Eigen-Umkreis – das Mädchen beschäftigen fortwährend Gedanken, in denen es sich ganz herausnimmt. Aber das Geheimnis dieses ungeheuren Unterschiedes liegt im Fühlen.

Hier liegt das Zentrum der Polarität. Hier liegt das Leuchtende des Mädchens. Es ist, wie wenn das Mädchen sich einfach verweigert – sich weigert, selbstbezogene Gefühle und damit ein selbstbezogenes Bewusstsein zu haben.

In gewisser Weise fühlt das Mädchen sich und sein Sein viel mehr als jeder andere – aber nur in dem Sinne, dass es überhaupt zutiefst in das Fühlen eintaucht, im Fühlen lebt. Aber dieses Fühlen lebt in Zuwendung – letztlich zum gesamten Umkreis. Es ist ein tiefes Empfinden, heilige Empfindungsfähigkeit und Empfindungstiefe. Dieses Mysterium ist Hingabe. Nur indem das Mädchen sich hingibt, in liebevollem Interesse, kann es das heilige Geheimnis der Tiefe und des Reichtums wahrmachen. Denn die Dinge schenken sich dem Mädchen, weil seine Seele sich zuvor dem Umkreis geschenkt hat. Nur die Hingabe wird beschenkt – dies ist das ganze Geheimnis der Empfindsamkeit und Empfindungsfähigkeit des Mädchens.

Die Hingabe aber kennt nur die Seele mit einem guten Willen. Hingabe ist in tiefster Hinsicht bereits der gute Wille – dieses höchste Geheimnis. Und jetzt begreifen wir das Mädchen erst wirklich. Es ist Trägerin des Geheimnisses des guten Willens. Und es trägt ihn im Zeichen einer absoluten Unschuld. Das Mädchen mag noch so schwach, verletzlich, unvermögend und machtlos sein – es ist Trägerin des Guten, und sei es nur, in Gestalt einer tiefsten, heiligsten Sehnsucht – nach einer Welt, in der das Gute wahrhaft leuchten würde, weil auch die Herzen der anderen Menschen es bedingungslos in sich tragen würden ... statt kalt zu werden. Statt lau zu werden.

Das Mädchen ist eine zutiefst sanfte Gestalt – und man könnte dem Irrtum verfallen, es wäre selbst ,lau’ ... aber inmitten dieser Sanftheit brennt das heiße Feuer der Unschuld, des grenzenlosen guten Willens, Willens einer guten Welt. Ein Wille, der direkt aus einem Himmel der Unschuld zu kommen scheint, aus einem Mysterium, das die heiligsten Kräfte der menschlichen Seele schützt. Und das Mädchen ist Trägerin dessen.

Es sind diese Unschuldskräfte, die das Wesentliche der menschlichen Seele überhaupt sind. Und wenn diese Seele diese Kräfte nicht wiederfindet, wird sie sich in einer furchtbaren Sackgasse verlieren.

Denn die sogenannte Individualisierung ist nicht das letzte Ziel der Menschheitsentwicklung – das große Ziel ist das Mysterium der Liebe. Die Vereinigung, die heilige Hochzeit des Geheimnisses des Ich mit dem heiligen Geheimnis der Liebe. Wenn aber das Ich sich verweigert, dieser Hochzeit entgegenzugehen, so ertrinkt und erstarrt es in einem Irrweg – dem Irrweg der bloßen Selbstbezogenheit.

Und wir befinden uns auf diesem Irrweg. Der heilige Weg dagegen scheint zu verblassen. Wir verspielen das heiligste Zukunftsgeheimnis. Das Unheilige, das Hässliche, das bloße Eigen-Sein gefällt der Seele mehr. Statt ein Ich zu werden, hat sie längst den Weg des Ego beschritten – und merkt es noch nicht einmal, weil sie sich noch immer nicht als Ego sehen möchte und weil sie kollektivgläubig meint, sie sei doch ,normal’, weil sie nicht anders ist als die anderen. Aber was, wenn die Menschheit insgesamt diesem Irrweg folgt?

Und selbst die nicht-egoistischen Seelen sind eingemauert in eine allmächtige Struktur, die alles durchdringt und alles unterwirft: Effizienz, Funktionieren, kalter Intellekt. Unsere hochtechnisierte und hocheffiziente Kultur hat ungeheure Errungenschaften hervorgebracht – aber längst frisst sie ihre Kinder.

Alles, alles ist heute darauf ausgerichtet, das Leben zu entseelen. Es beginnt schon im frühesten Kindesalter. Verständig, intellektuell wird dem Kind alles ,erklärt’ – aber nicht seelenvoll. Vermeintlich liebevoll – aber dennoch gibt man dem Kind Kopfgift. In der Schule dann wird das Leben erst recht und endgültig abgetötet zu totem Wissen. Die Kinder werden gezwungen, es sich anzueignen und es wieder von sich zu geben – es zu ,reproduzieren’. Jedes Kind soll eine mehr oder weniger gute Kopie des menschheitlichen Wissensstandes werde – aber die Seele wird nicht genährt, um sie geht es gar nicht.

Und wenn ein Kind im Gift des bloßen Kopfwissens versagt oder sich gar verweigert, weil die Seele diese brutale Konditionierung nicht mitmacht ... dann wird es abgestraft – mit schlechten ,Noten’, denn es bringt ja ,schlechte’, ,ungenügende’ ,Leistungen’. Alles kommt darauf an, dass das Kind ,liefert’. Tut es dies nicht, ist es ganz schnell ,Ausschuss’ – allenfalls noch Gegenstand von ,Fördermaßnahmen’ und anderen ,Programmen’, die sein Funktionieren doch noch herstellen sollen. Um die Seele geht es nicht...

Und ist der Mensch erst jugendlich oder gar erwachsen, wird es ganz abgründig. Hier geht es nur noch um das Funktionieren, um das Sich-Einpassen, um das Werden und Sein eines ausbeutungsfähigen Elements. Und der Ausbeuter ist schlicht allein schon die zutiefst unmenschliche Struktur, die wir immer mehr hervorgebracht haben. Eine Macht, der es immer weniger um Seele ging, schon längst überhaupt nicht mehr – und die selbst auch keine hat. Die kalte Effizienzlogik hat keine Seele – aber wir haben sie überall zum Gott erhoben.

Menschlichkeit gibt es überhaupt nur noch, wenn der Mensch zuerst diesem Gott geopfert und sich verschrieben hat. Bleibt dann noch etwas übrig, so mag der Mensch diese kümmerlichen Reste vorerst noch behalten. Angesichts der Minutentakte, der trotz allem zu erfüllenden Anforderungen, der Qualitätskontrollen, der Assessments, der ausdrücklichen und impliziten fortwährenden Bewertungen, subtilen Belohnungen und Bestrafungen. Um die Seele geht es nicht.

Und doch geht es fortwährend um die Seele – als den Hauptfeind dieses Systems. Sie wird nicht nur ausgeschaltet, sie wird bekämpft. Sie wird tagtäglich gedemütigt, ihre absolute Bedeutungslosigkeit zementiert.

Das heutige System ist getragen von Todeskräften. Es ist das volle Gegenteil zum Mädchen. Das Mädchen ist die letzte unschuldige Trägerin von Seele... Von Menschlichkeit...

O, Menschheit – erkenne das Mädchen in Deiner Mitte!

Sein Wesen hütet Dein Heiligtum.