09.11.2021

Der gute Wille

Auf der Spur des Mädchens.


Inhalt
Der gute Wille und die drei Kräfte der Seele
Das Fühlen – und das Wunder des Mädchens
Zwischen Selbstbezug und Verbundenheit
Liebe und Freiheit
Der große Unterschied...
Werden Mädchen erzogen?
Die ungeheuren Hintergründe
Nicht das Mädchen hat (ist) ein Problem...
Was Mädchen nie akzeptieren würden
Was Mädchen tun würden
Der gute Wille


Der gute Wille und die drei Kräfte der Seele

Das innerste Geheimnis des Mädchens ist das des guten Willens. Der gute Wille … die Liebe zum Guten, die Liebe des Guten und so letztlich das Wesen der Liebe selbst.

Dieses Geheimnis ist innig verbunden mit dem Christus-Geheimnis, das ist offensichtlich. Und alle wahren Religionen verweisen in letzter Hinsicht auf dieses heilige Mysterium. Was ist ,der gute Wille’?

Wir wissen nicht einmal, was der Wille überhaupt ist. Diesem Geheimnis müsste man sich zuerst nähern, denn sonst hat jedes Sprechen über den guten Willen wenig Sinn, verbleibt im Abstrakten, Theoretischen und damit im dem Willen völlig Entgegengesetzten.

Der Wille ist die geheimnisvollste der drei Kräfte der Seele: Denken, Fühlen, Wille... Das Denken ist uns noch am klarsten zugänglich, es spielt sich im Reich des Bewussten ab, und wenn es in wahrstem Sinne Denken ist – und nicht nur: ,Gedanken haben’ –, ist es sogar vollkommen bewusst, ja das Seele-Geist-Wesen Mensch kann sogar zum Selbst-Bewusstsein seiner selbst als der Denkende kommen. Dies ist eine reale Ergreifung des eigenen übersinnlichen Wesens als einer absoluten Existenz. Dies hat wenig mit Descartes’ ,Ich denke, also bin ich’ zu tun, es geht weit darüber hinaus. Viel tiefer hat es zu tun mit den Christus-Worten des ,ICH BIN’. Und dies hat damit zu tun, dass im hier gemeinten Denken zugleich Wille ,kraftet’, das Menschenwesen also bis in seine Tiefen an-wesend ist. Es braucht dann keinerlei intellektuellen oder sonstigen Schluss mehr (,…also bin ich’), sondern in der Tätigkeit selbst ist der Wille so grandios anwesend und sich offenbarend, dass das Wort des ,Ich Bin’ nur ausspricht, was eine Evidenz ist.

Der Wille kann also in das Denken hineingebracht werden, wodurch es ein Kraft-Denken wird (darauf weist die Niederländerin Mieke Mosmuller immer wieder hin).

Als solcher aber, außerhalb des Denkens und in seiner sonstigen Wirksamkeit ist der Wille gerade rätselhaft verborgen. Zwar können wir willkürlich dies und jenes tun, unsere Beine in Bewegung setzen und unzähliges Andere – aber wie dies möglich ist, entzieht sich unserem Bewusstsein im Grunde vollständig. Es ist der als völliges Mysterium wirksam werdende Wille – und seit Jahrhunderten befasst die Menschheit sich mit dem Leib-Seele-Problem, ohne eine Antwort auf die Frage zu haben, wie die Seele in den Leib eingreift (außer allenfalls jener, die Seele gleich ganz zu leugnen).

Das Fühlen wiederum steht in der Mitte zwischen Denken und Wille, es ist gewissermaßen halb-bewusst, Rudolf Steiner charakterisiert dies als ein ,träumendes Bewusstsein’. Wenn die Seele in sich hineinspürt, kann sie Zugang zum Reich des Fühlens gewinnen, dieses Reich ist ihr keineswegs so völlig entzogen wie der Wille in seinem mysteriösen Wirksamwerden – aber es ist auch keineswegs so klar und durchschaut wie das Element des Denkens, das sich tatsächlich mit dem Lichthaften vergleichen lässt, während das Fühlen geheimnisvoller und auch dichter ist – vergleichbar etwa zumindest dem Lufthaften (Flüchtigen!), aber auch dem Wässrigen. All diese Beziehungen sind nicht willkürlich, denn mit vollem Recht sagt man auch von einer tief empfindsamen, dann oft auch schweigsamen Seele: ,Stille Wasser sind tief’. Und der Wille – er dringt dann so tief, dass er selbst feste Materie in Bewegung setzen kann.

Das Fühlen – und das Wunder des Mädchens

Das Fühlen kann dies indirekt. So, wie das Wasser selbst Kiesel mit sich tragen kann – oder wie ,steter Tropfen’ sogar den Stein höhlt. Es ist dann auch kein Zufall, sondern eine Notwendigkeit, wenn etwa ein empfindsames Mädchen mit unschuldiger Seele sogar härtesten Stein rühren kann – rühren, bewegen, ja verwandeln –, nämlich ein buchstäblich zu Stein gewordenes, zumindest aber verhärtetes, erstarrtes, unbeweglich gewordenes Herz. Es gibt dafür ungezählte Beispiele – allein schon in der Literatur, die ja stets ein Spiegel der Wirklichkeit ist. Man muss nur einmal an ,Homo Faber’ von Max Frisch denken. In diesem Roman ist letztlich das Drama des modernen Menschen schlechthin gezeichnet – und seine Heilung geschieht durch ein Mädchen, zwar schon erwachsen, aber immer noch eins mit dem Urbild des Unschuldigen, Lichtvollen, Freudevollen, Vertrauenden, Spontanen und Lebendigen.

Und hier beginnt das Geheimnis des Mädchens – und des guten Willens. In der idealischen Gestalt des Mädchens sind Fühlen und Wollen innig verbunden. Das Mädchen trennt diese Seelenkräfte nicht. Im Jungen und im Mann sind sie viel stärker getrennt – buchstäblich kann der Mann wollen, ohne zu fühlen. Denken und Handeln, ohne zu fühlen, ohne sich im Gefühl zu ,engagieren’. Er kann das Fühlen sozusagen an- oder abschalten, und wenn er es meistens ,abschaltet’, dann kann er es eines Tages gar nicht mehr integrieren, denn es ist nicht mehr vorhanden. Das ist das letztlich doch unmittelbar auch bekannte Drama des Mannes. Jeder weiß es, und doch wird es fast immer übergangen, selten einmal thematisiert – obwohl unsere gesamte Menschheitszukunft daran hängt!

Ein Mädchen könnte, selbst wenn es wollte, Fühlen und Wollen gar nicht voneinander trennen – es bleibt immer gefühlvoller, emotionaler als ein Junge oder Mann, kann nie so ,cool’ (kalt, abgekühlt) sein wie dieser. Diese Fähigkeit des Mannes ist aber meistens gerade eine Unfähigkeit und letztlich eine seelische Krankheit. Der Mann hat keinen Zugang zum Fühlen – oder aber instrumentalisiert dieses so sehr, dass er jederzeit die ,Kontrolle’ darüber hat. Damit aber hat zuletzt die Gefühllosigkeit die Kontrolle über ihn. Er hat sich die zentrale, mittlere der drei Seelenkräfte sozusagen selbst amputiert.

Natürlich ist dies nicht absolut der Fall – aber das kann zur Illusion und Selbsttäuschung nur noch mehr beitragen. Zwar hat auch der Mann Gefühle – aber welcher Art sind diese? Er kann zum Beispiel wütend werden oder sich bedroht fühlen, wenn seine Dominanz bedroht ist. Oder er kann sich ,enthusiastisch’ für seinen Lieblingsverein im Stadion die Kehle aus dem Leib schreien – mitfiebern mit allen Gefühlen, die er hat... Oder er kann sich als Hauptverdiener der Familie wesentlich fühlen. Oder sich über unfähige Politiker ärgern – möglicherweise auch darüber, dass niemand die Wahrheit einer bestimmten Verschwörungstheorie erkennt.

Zwischen Selbstbezug und Verbundenheit

Sehr viele Gefühle männlicher Wesen haben zu tun mit Dominanz, Konkurrenz, Wettkampf, Besserwisserei, intellektuellen Eskapaden und anderem mehr. Ein Mann kann mit seinem Beruf, seiner Forschung ,verheiratet’ sein und hier so viel investieren, dass man es mit Gefühlen verwechseln könnte. Aber sind es Gefühle? Es sind vielleicht Ersatzgefühle. Der Mann braucht eine Bestätigung seiner Sinnhaftigkeit, seiner Leistung, seiner Bedeutung – und er sucht sich Felder, wo er diese unter Beweis stellen kann. Und im Falle des Fußballstadions ... geht es auch um Ur-Impulse der ,Horde’, der Männerfreundschaften in einer Gruppe, auch wieder um das ,Wir – Die’, dann auch um das Ekstatische, die Suche nach dem Rausch, aber in der Gestalt des Rohen, eben des ,Männlichen’. Auch in Kneipen findet man die Männer dann wieder, mit all ihren Ersatzgefühlen.

Der Mann sucht oft auch die Identifikation mit einem Ganzen – dann entstehen Nationalismen, Ideologien, Totalitarismen. Oder aber er ist der ,Lonesome Cowboy’ – der völlige Einzelgänger, männlich-hart, unabhängig, aber auch bindungsunfähig...

Die Gefühle männlicher Wesen sind also von vornherein sehr stark selbstbezogen – hervorgehend aus einem Zwang, sich beweisen zu müssen. Und selbst im Falle des ,Teil sein von etwas Größerem, ja Großem’ ist es der Wunsch, sich über dieses Größere mit aufzuwerten. Fortwährend geht es um Bedeutung, Bedeutsamkeit – und die männliche Seele muss sich sehr überwinden, wo sie sich davon einmal freimachen will.

Denken wir jetzt einmal an die Empfindungen eines Mädchens – und zwar idealisch, nicht verfälscht durch all die Modernismen, die so sehr zur Angleichung führen, in jene postmoderne Einheitskultur der Selfies, der Fun-Kultur und des Genuss- und Anspruchsdenkens. Denken wir einmal an das Urbild des Mädchens im Märchen. Natürlich gibt es auch hier die Polarität. Die ,Pechmarie’ ist auch bereits im Märchen egozentrisch und von ihrer Mutter zur Egozentrik geradezu erzogen. Aber die Goldmarie, die ihre Seele nicht verraten hat, offenbart das wirkliche Geheimnis der Mädchenseele. Innig empfindet sie mit, wie es den umgebenden Wesen geht – und wenn die Brote im Backofen bitten, herausgenommen zu werden, so tut sie es, mit einer Anmut, die mehr ist als ,Selbstverständlichkeit’. Es ist aufrichtige Zuwendung. Es ist das Geheimnis. Dieses heilige Seelengold, das wir suchen. Es ist der gute Wille – der Wille zum Guten, des Guten, es ist Liebe, noch zu dem Kleinsten.

Und dieser Liebes-Wille ist selbst ein Licht – nicht das Licht des Denkens im üblichen Sinne, aber ein Licht des Herzens, denn: ,Man sieht nur mit dem Herzen gut’. Es ist also ein Liebes-Licht. Und das Mädchen trägt es in seinem Herzen und in seinem Willen, der eins ist mit seinem Herzen. Das Mädchen will die Verbundenheit mit dem, was es umgibt, nicht auftrennen – und darum hält es sie in voller Stärke aufrecht. Hier liegt also bereits die Quelle der tiefen Empathie, die so sehr sein Fühlen kennzeichnet. Auch sie ist Liebes-Wille, heiliger Entschluss zu lieben – es niemals nicht zu tun. Dieser Entschluss muss überhaupt nichts Bewusstes sein, er ist gleichsam das Wesen des Mädchens.

Liebe und Freiheit

Und so offenbarte das Mädchen immer wieder das zutiefst Menschliche allen Menschen, stellte es ihnen vor Augen – in seiner eigenen Gestalt, ohne es überhaupt zu wissen, in aller Unschuld.

Auch männliche Wesen haben auf ihre Weise den Liebes-Willen wahrzumachen versucht. Urbildlich kann man sagen: Es gab auch edle Ritter, die ihr Leben ganz dem Guten verschrieben hatten. Aber man kann sagen: Das Mädchen muss sich gar nicht irgendetwas ,verschreiben’, es tut es einfach – von Anfang an. Und mehr noch: Es mag einige oder sogar mehrere edle Ritter gegeben haben – aber es gab viele oder sogar unzählige edle Mädchen. Und gibt sie noch immer. Man kann sagen: Die Mädchen beugen sich dem mit aller Macht hereinbrechenden Ego-Impuls (,Verwirkliche dich selbst’, ,Fun Now’ etc.) als allerletzte! Während alle anderen bereits gefallen sind, halten sie die innige Überzeugung, dass das ganze Leben in Wirklichkeit ein heiliges Netz von Beziehungen ist, bis zuletzt aufrecht.

Selbstverständlich wird dies alles immer weniger erlebbar, je mehr das Urbildliche buchstäblich verschwindet, weil es vernichtet ist, vielleicht unwiederbringlich. Aber das Schicksal der Menschheit wird davon abhängen, die Verbindung zu den reinen Kräften der Seele wiederzufinden. Selbstbezogenheit und Liebe sind einfach Gegensätze – und wo die eine herrscht, kann die andere nicht sein. Und man täusche sich nicht: Die moderne ,Individualisierung’ ist fortwährend auch von einer ,Egoisierung’ durchdrungen, damit aber auch von dem Impuls der Lieblosigkeit und allenfalls verschiedenen Formen der Pseudoliebe. Oder auch Liebesimpulsen neben sehr viel nebenherlaufender Selbstbezüglichkeit (man denke allein einmal an die sehr idealischen Impulse der linken Bewegung, die aber gleichwohl innerlich total zerstritten sein kann!).

Das Mädchen aber, urbildlich gesprochen, streitet mit niemandem – allenfalls versucht es, mit inniger Leidenschaftlichkeit andere dazu zu bringen, ihre Herzensaugen zu öffnen, tritt leidenschaftlich gegen Unrecht ein, aber immer auf jene unschuldige, sanft kämpfende Art, die nur ein Mädchen haben kann. Weil das Geheimnis des guten Willens sich in all ihrem Tun spiegelt, noch in der kleinsten Geste. Es ist ein sanfter Wille, der ganz eins ist mit dem Wesen überhaupt. Und das meint nicht die buddhistische Sanftheit, die zugleich gelassene Überschau ist – es meint innige Liebe zu allem, was ist, ohne sich zweiteilen zu müssen, ja auch nur zu können. Ein Mädchen ist leidenschaftlich, wenn es spürt, dass überall weniger Liebe ist, als es in seinem eigenen Herzen hat. Und zugleich ist es leidenschaftlich hilflos – denn was kann es tun? Wo soll es ansetzen? Wenn die anderen nicht erkennen wollen, ist alles vergebens. Ein Mädchen ist absolut hilflos – in all seiner Liebe.

Darum ist ein Mädchen auch die Freiheits-Botin schlechthin: Ein Mädchen zwingt niemanden. Es kann dies gar nicht. Und selbst wenn es dies theoretisch könnte – es würde dies nie wirklich können, nie übers Herz bringen, wie auch? Das können nur männliche Wesen. Ein Mädchen wandelt also unmittelbar auf den Spuren des Christuswesens: Es zwingt niemanden. Lieber zwingt es sich ... die Verzweiflung auszuhalten. Die Einsamkeit. Die Sehnsucht, die immer unerfüllt bleibt. Weil die Anderen weiter der breiten Straße folgen, irrend, halb oder völlig blind...

Der große Unterschied...

Ein Mädchen braucht keine Bestätigung. Es ist das Letzte, was es braucht – wozu? Ein Mädchen wünscht sich nur eines: Dass die Menschen aufwachen für das, was sie tun. Aber sie wachen nicht auf, denn alle Anderen brauchen Bestätigung – sei es, durch ihren Job, sei es durch eine Gehaltserhöhung, sei es durch die Macht über vierzig Fernsehprogramme und anderes mehr... Sei es durch ihre Selbstdefinition über Job A, Lieblingsclub B, Auto C, Kontostand D, Musikgeschmack E, Schuhmarke F und Eigentumswohnung G. Jede Notwendigkeit, bestätigt werden zu müssen und sich selbst bestätigen zu müssen, entzieht der Seele aber Kräfte, die sie sonst hätte, um ... auf dem Wasser zu wandeln. Ein Mädchen braucht nichts, denn alles, was es braucht, hat es schon – jenen so berührenden guten Willen. Deswegen wird es so geliebt. Denn jede andere Seele spürt in der Begegnung mit dem Mädchen, was sie selbst verloren hat...

Man kann immer wieder versuchen, das alles auch auf Jungen zu übertragen – aber dieser Versuch wird stets künstlich bleiben. Es gibt einfach gravierende Unterschiede. Und es gehört zu der Tragik der Emanzipationsbewegung und der Bewegung für ,Gendergerechtigkeit’, diese Unterschiede bei aller Sinnhaftigkeit der Grundbemühung mit zu verwischen, zu leugnen. Denn es waren ja gerade die Unterschiede, die die Unterdrückung der weiblichen Wesen ermöglicht haben. Der Feminismus aber erklärt allzu oft die Unterschiede erst für eine anerzogene Wirkung der Unterdrückung – als wären nicht-unterdrückte Frauen je so egoistisch, von ihren Gefühlen abgetrennt und konkurrenzorientiert gewesen wie die Männer!

Hat man den Irrtum dieser Irr-Logik erst einmal erkannt, ist es wie eine Erlösung – denn nun kann man die Unterschiede voll und ganz erkennen, in den Blick nehmen und akzeptieren ... und zugleich bejahen, dass jede Ausnutzung dieser Unterschiede immer wieder neu Unterdrückung, Sexismus und Patriarchat mit sich bringt. Eine weibliche Welt aber, die versucht, die Unterdrückung dadurch zu verhindern, dass sie die Unterschiede abschafft, schafft zugleich sich selbst ab – denn sie wird sich immer angleichen. Es geht aber nicht darum, sich einer männlich dominierten Welt anzugleichen, um ,die Hälfte des Kuchens’ zu erkämpfen, sondern darum, die Krankheit dieser männlich dominierten Welt grundlegend und essenziell zu heilen. Wie soll das gehen, wenn man selbst auch krank wird? Es geht darum, eine Welt zu schaffen, in der Dominanz irgendwann gar nicht mehr existiert – aber das ist etwas völlig anderes als ein ,Gleichgewicht des Schreckens’, wie eigentlich jeder empfinden müsste, wenn er noch empfinden kann.

Und es stellt sich eigentlich nur die Frage: Warum sind Mädchen so anders als Jungen?

Werden Mädchen erzogen?

Natürlich würden eine ganze Reihe von Soziologen und Feministinnen nun gleich wiederum darauf verweisen, es liege eben an der Erziehung, an der Historie, an der jahrhundertelangen Unterdrückung – Mädchen wurden dazu erzogen, anders zu sein. Das war auch das Argument von Simone de Beauvoir, die sagte, man komme nicht als Frau zur Welt, man werde es.

Die Schwierigkeit hierbei ist, dass die damit implizit angesprochenen ,Eigenschaften’ wie ,Konfliktscheu’, ,Unterordnung’, ,mangelndes Selbstvertrauen’ etc. noch immer einem Beurteilungsschema untergeordnet bleiben, das sich am Patriarchat orientiert – dem man auf diese Weise gar nicht entgeht. Mit anderen Worten: Noch immer wird hierbei gar nicht der weibliche Blick eingenommen, der dasselbe vielleicht völlig anders sehen würde – als grandiose Fähigkeiten der Frauen, nicht kämpfen zu müssen, sich nicht fortwährend beweisen zu müssen, keine Hierarchien anzustreben, nicht ständig der Erste sein zu wollen und zu müssen. Drückt man all dies aber negativ aus, setzt man die Unterdrückung der Frau eigentlich nur fort – denn man misst sie nach wie vor mit den Maßstäben, die Männer errichtet haben.

Mädchen werden also nicht zur ,Unterordnung’ erzogen, sondern sie haben ganz einfach wunderbare Fähigkeiten, die aber leider auch eine Unterdrückung sehr erleichtern. Mädchen wollen und müssen nicht an einer ,Spitze’ stehen – deswegen ordnen sie sich sehr leicht unter und geraten sehr leicht ins Hintertreffen, aber nur, weil es Andere gibt (männliche Wesen), die dieses wunderbare Wesen eines Mädchens ausnutzen. Und Mädchen sind auch nicht ,konfliktscheu’, aber sie erkennen einfach nicht den Sinn einer Welt, in der man kämpfen muss, weil ein Zustand, bei dem hinter jeder zweiten Ecke schon der nächste Konflikt lauern könnte, einfach nicht als ,Harmonie’ bezeichnet werden kann. Mädchen können Konflikte aushalten, aber sie verzweifeln an einer Welt, die die größere, letztliche Harmonie gar nicht mehr zu ersehnen scheint.

Und Mädchen haben auch nicht ,mangelndes Selbstvertrauen’ – aber sie haben oft nicht das Selbstvertrauen, was der männlich kodifizierten Definition entspricht. Ihr Selbstvertrauen ist ein anderes, und es hat im idealischen Fall zu tun mit dem absoluten Vertrauen in die Wahrheit des Guten. Aber weil das Gute auch darin besteht, Andere nicht zu unterdrücken, und bereits auch darin, sich nicht in den Vordergrund zu drängen, erhalten sie schnell den Stempel ,mangelndes Selbstvertrauen’. Welch ein Irrtum! In vielem, so auch hier, sind Mädchen aber ganz andere Kategorien wichtig.

,Selbstvertrauen’ scheint in unserer Welt so ungeheuer wichtig zu sein, während über ,Beziehungsfähigkeit’ fast überhaupt nicht geredet wird. Hier aber sind Mädchen den männlichen Wesen uneinholbar voraus, man kann ihren Vorsprung gar nicht in Worte fassen. Weil aber auf das Positive der Mädchen nie geschaut wird, treten immer nur scheinbare Negativa ins Auge – und die männlichen Krankheiten und Degenerationen erkennt man nach wie vor nicht.

Die ungeheuren Hintergründe

Aber wir waren bei der Frage, warum Mädchen so anders sind. Wie wir sahen, ist es also nicht die Erziehung – wenn diese auch mitspielen mag. Aber auch Erziehung kann immer nur begünstigen, was bereits angelegt ist. Man kann sich schwer vorstellen, dass eine Erziehung über mehrere Generationen ein Geschlecht dominanter Mädchen und ,konfliktscheuer’, ,braver’ Jungen hervorbringen würde.

Und damit sind wir schon bei nächsten Ursachen oder mitwirkenden Faktoren. Jungen sind physisch stärker. Sie haben auch andere Hormone, und zwar von Geburt an, diese sind für die Geschlechtsdifferenzierung entscheidend, und so wächst schon das männliche Baby mit einem völlig anderen Testosteron-Signal auf als das Babymädchen. Man kann sich als ,Gleichheitskämpfer’ wünschen, dass es nicht so wäre – aber es ist so. Und in Wirklichkeit wäre es geradezu schrecklich, sich eine Welt vorzustellen, in der es keine Mädchen gäbe, weil nur noch ein Gemischtklon existieren würde. Die gesamte Menschheit braucht das schwache Geschlecht, weil gerade hier wesentlichste Zukunftskräfte liegen. Man kann sagen: Den Männern gehörte die Vergangenheit – die Zukunft wird sich nach den Mädchen richten ... wenn es überhaupt eine Zukunft geben soll.

Mädchen sind also schwächer, sie sind weniger aggressiv, sie erkennen eigentlich den Sinn von Aggressivität überhaupt nicht – mit Recht. Und auch der Evolutionsbiologe oder -theoretiker würde jetzt sagen: Mit Kraft und Kampf konnten sich Mädchen und Frauen nicht durchsetzen, also brauchten sie andere Mechanismen und Taktiken, und bei ihnen war es die Beziehungspflege, das Bindungsverhalten, die Kooperationsfähigkeit. Und letztlich hat dies allein überhaupt die Entwicklung der menschlichen Gattung ermöglicht. Viele Forscher gehen davon aus, dass am Ursprung der Menschheit überhaupt Kooperation stand – weil selbst die Großwildjagd gar nicht anders möglich war. Der Kampf und die Konkurrenz entstanden eigentlich erst, als ein (männliches) Gehirn sich dachte, man könnte seinen Besitz doch eigentlich vermehren, indem man anderen den ihren wegnimmt... Und man könnte doch eigentlich auch die Frau zu einem Eigentum machen... Aber dies alles stand keineswegs am Anfang der Menschheitsgeschichte.

Und es gibt ernstzunehmende Hypothesen, die besagen, dass der Mann mit seinem Y-Chromosom so viel schwächer ist, dass er bis in seine körperlich-seelische Konstitution überall ,Halt’ suchen muss – was er gerade über Dominanz und Bedeutsamkeit tut, aber auch über abstrakte Fakten, totes, intellektuelles Denken, an dem er sich wunderbar ,festhalten’ kann – während die Frau, im Vollbesitz auch ihrer genetischen Kräfte, gleichsam sicher und mit einem absoluten Urvertrauen durch das Leben wandelt, stets dem Leben selbst vertrauend, mit dem sie überhaupt so viel zu tun hat...

Dies ist dann gleich der nächste Punkt: Ein Mädchen ist den Lebensprozessen innig verbunden. Das beginnt schon mit dem monatlichen Zyklus – einem wunderbaren Geschehen, das sich in heiliger Wiederkehr in seinem Leib ereignet, sobald es geschlechtsreif geworden ist. Von nun an kann es jederzeit ein Kind bekommen, Mutter werden, neues Leben in sich tragen. Ein Kind reift fast ein Jahr, wird dann geboren, muss eigentlich ein weiteres Jahr gestillt werden, ist dann viele weitere Jahre abhängig, braucht eine liebende Hülle... Mädchen und Frauen bringen Kinder zur Welt – während Männer Kriege führen und dieselben Kinder töten. Allein schon darum ist das weibliche Geschlecht nicht nur viel empathischer, liebevoller, beziehungsfähiger – sondern auch weniger abstrakt, weniger Geist und Leib, weniger Denken/Wille und Gefühl trennend, schlicht harmonischer die Ganzheit bewahrend.

Für den einzelnen Mann war es genetisch – im Sinne des ,egoistischen Gens’ gedacht – stets ein evolutiver Vorteil, so viele Frauen wie möglich zu ,begatten’, um seine Gene weiterzutragen, während es für die Frau stets ein evolutiver Vorteil war, einen Mann möglichst eng an ihr (gemeinsames) Kind zu binden. Bereits von der Evolution her war auch hier bei der Frau also Beziehungsfähigkeit ein Überlebensvorteil, beim Mann buchstäblich der Egoismus...

Nicht das Mädchen hat (ist) ein Problem...

So haben wir genetische, biologische, evolutive und soziologische Faktoren, die begreifen lassen, warum Mädchen so anders sind – so wunderbar anders. Und dann gibt es noch das psychoanalytische Verständnis: Das Mädchen kann sich mit der Ur-Beziehungsperson der Mutter identifizieren, der Junge muss sich von ihr lösen. Damit ist selbst hier von Anfang an im Mädchen das Motiv der Bindung, im Jungen das der Trennung veranlagt. Selbstverständlich löst sich am Ende auch das Mädchen von der Mutter – aber der Junge muss sich ihr als der völlig Andere gegenüberstellen, wenn er sich selbst finden will. Er will eben weder ,ein Mädchen’, noch ,ein Muttersöhnchen’ sein – und er muss von Anfang an darum kämpfen, dass er es tatsächlich nicht ist...

Das bedeutet: Der Junge ist schon genetisch vom Y-Chromosom her schwächer und muss um seinen Halt kämpfen, er hat nicht mit den innigen Lebensprozessen zu tun, ja sein Überlebensvorteil bestand gerade in der Bindungslosigkeit, biologisch-physisch ist der Mann stärker, seine Überlebenstaktik ist oft Kampf (oder Flucht, aber nicht Beziehung), auch psychoanalytisch befindet sich der Mann in der Notwendigkeit der Ablösung und Gegenüberstellung, und dies alles wurde dann durch Normen und Erziehung noch weiter verstärkt und untermauert, indem insbesondere von dem Mann verlangt wurde, er müsse auch so sein.

Nicht das weibliche Sein ist ein Problem, sondern das männliche. Nicht die Mädchen und Frauen müssen sich ändern (hätten sich ändern dürfen), sondern die Jungen und Männer. Nicht das X-Chromosom ist das Problem, sondern das Y-Chromosom. Nicht die innige Verbundenheit mit dem Leben, sondern die Nicht-Verbundenheit, ja der genetische Egoismus. Nicht die Schwäche, sondern die Stärke – und der ihr entsprechende Verhaltensmodus des Kampfes. Nicht die Identifikation mit der Mutter ist das Problem, sondern die Ablösung – wenn sie dazu führt, dass der heranwachsende Junge und Mann zugleich seine Gefühle abtötet, weil er sich von der Mutter unterscheiden will, wie unbewusst auch immer. Und das Ganze wird ja durch die Subkultur der Peers (Altersgenossen) massiv tradiert!

Überall stehen beim Mann die Zeichen auf ,Einzelkämpfer’ – und gerade das ist der Untergang der gesamten Menschheit. Denn wir haben dieses System durch den inzwischen global metastasierten Kapitalismus so vervollkommnet, aber auch durch die sich ebenso global ausbreitende Krankheit der ,Coolness’, dass die Frage ist, wie die Menschheit diese Todesprozesse überhaupt noch stoppen will. Im Grunde haben die männlichen Eigenschaften des Unterganges (weil Gegeneinanders) die Erde wie mit einem dichten, klebrigen Geflecht völlig überzogen. Und retten könnte diese Welt nur eines: eine völlig neue Kultur des Mädchens.

Was Mädchen nie akzeptieren würden

Der wunderbare Planet Erde wird von fast acht Milliarden Menschen bevölkert. Es gibt Kriege, eine furchtbare Schere zwischen Arm und Reich – global und lokal, überall –, Naturvernichtung, industrialisierte Landschaft mit Monokulturen, Massentierhaltung, in der lebende Wesen zur bloßen ,Fleischgewinnung’ verkommen, eine drohende Klimakatastrophe.

All dies hätten Mädchen nie zugelassen. Es reicht nicht, abstrakt zu erkennen, dass dies ein Wahnsinn ist, es muss empfunden werden – und Mädchen würden dies tun und, ich wiederhole es, niemals zulassen. Es würde einfach nicht geschehen, weil niemand das wollen würde, der ein Mädchen ist.

Und so geht es weiter. Mädchen würden nie den Kapitalismus akzeptieren. Sie würden nie auf die Idee kommen, Dinge herzustellen, die nach wenigen Jahren kaputtgehen, um mehr davon verkaufen zu können – was ein absoluter, sinnloser Ressourcen-Wahnsinn ist. Und hier kommen wir an einen Kern heran. Warum muss Profit gemacht werden? Mädchen wäre jede Gier fremd, die andere übers Ohr haut und mit minderwertigen Waren betrügt.

Aber denken wir uns einmal eine Firma, die so großartige Qualität herstellt, dass nach einiger Zeit von diesem Produkt nur noch sehr wenig nötig ist, weil alle gut versorgt sind. Was dann? Hier wird deutlich, dass es den Kapitalismus schlicht nicht geben darf. Diese Produktionsstätte bräuchte dann nur noch auf niedrigem Niveau betrieben zu werden – und man könnte ihre Mitarbeiter an anderer Stelle viel fruchtbarer einsetzen. Aber dafür braucht eine Gesellschaft Absprachen – ein fortwährendes Klima von Kommunikation, Austausch, Beziehungspflege. Genau das, was Mädchen seit jeher eigen ist!

Und wenn alle Menschen hoch qualitative Produkte haben, die sie zum Leben brauchen, braucht es überhaupt nicht mehr so viel Arbeit. Die moderne Qualität der Herstellungsverfahren würde es erlauben, dass Menschen generell nur noch zwanzig Stunden pro Woche arbeiten! Im Pflegebereich usw. würde man sich die Arbeit ebenfalls teilen, nirgendwo gäbe es Überlastung, weil sinnlose Produktion, sinnlose Konkurrenz und damit auch sinnlose Firmenruine schlicht vermieden werden. Und niemand würde mehr belästigt von Callcenter-Mitarbeitern, die einem einen neuen Telefontarif aufdrängen wollen. Sinnlose Arbeit gehört der Vergangenheit an. Mädchen könnten einem sofort sagen, was heute alles schiefläuft, weil es Irrsinn ist.

Was Mädchen tun würden

Aber würde in einer Welt ohne Kapitalismus, der auf Zwang, Not und Gier setzt, nicht jeder aufhören zu arbeiten? Auch dies kann nur das kranke männliche Hirn denken – ein Mädchen würde nie so denken! Ein Mädchen denkt nämlich immer auch an andere und würde nie etwas verweigern, was es nicht ,muss’. Es ist völlig klar, dass die Menschen auf der Erde füreinander arbeiten müssen – die Frage ist nur, ob die Arbeit sinnlos ist, in einen Irrsinn wächst, weil so viele Möglichkeiten und Ressourcen sinnlos verschlissen werden, und ob riesige Vermögen sich bei einigen ganz Wenigen ansammeln. All dies würden Mädchen ganz, ganz anders machen – viel weiser, viel sanfter, viel liebevoller. Aber auch viel entschiedener.

Mädchen würden übergroße Reichtümer strikt vermeiden, unmöglich machen – und an Andere verteilen, dorthin, wo es gerade notwendig ist, gebraucht wird. Mädchen würden leistungslosen Reichtum verhindern, etwa Erbschaften, weil gerade dann genug für alle existiert, immer wieder neu. Mädchen würden verhindern, dass Grund und Boden einen Preis hat, besessen werden kann, in seinem Preis explodieren kann, weil er nur wenigen gehört, aber von allen gebraucht wird. Auch diesen Irrsinn würden Mädchen erkennen – und abschaffen. Grund und Boden würde immer nur zur Verantwortung gegeben werden, müsste selbst genutzt werden und wäre niemals Spekulationsobjekt oder Statussymbol, während andere nichts haben oder ihr halbes Einkommen oder sogar mehr nur für irgendeine ,Miete’ aufwenden müssen.

Mädchen würden in allem das tief Menschliche finden, weil sie es empfinden, fortwährend, in ihrem Herzen, dem sie fortwährend folgen – und dadurch fortwährend auf jene richtigen, weisen, lichtvollen Gedanken kommen, die anderen so schwerfallen. Weil Andere den Status Quo akzeptieren, nicht mehr hinterfragen, resignieren, sich zu Komplizen des Irrsinns gemacht haben oder eben sogar längst davon profitieren, in ihrem ganz persönlichen Egoismus. Mädchen akzeptieren nicht, dass etwas einen unmenschlichen Zustand hat – sie können es nicht akzeptieren, sie müssten ihr eigenes Wesen ganz verleugnen. Mädchen akzeptieren nur das Menschliche – und das ist genau das, wie sie es machen würden. Denn das Menschliche wohnt in ihrem Herzen.

Der gute Wille

Es geht nicht darum, all diese Dinge bloß zu erkennen, das muss immer wiederholt werden. Erkennen tun Viele vieles. Sich aufregen über vieles tun Viele. Aber das hilft nicht weiter. Es geht nicht um eine große Masse, die alles besser weiß, an Stammtischen oder in Diskussionsrunden auf die Politiker schimpft – aber trotzdem das billige Discounter-Fleisch kauft und sich im Urlaub in den nächsten Billigflug setzt, wenn auch vielleicht wenigstens mit schlechtem Gewissen.

Wir sollten endlich erkennen, dass der abstrakte Verstand, der sehr wohl sehr vieles sieht, sogar sehenden Auges in den Untergang gehen kann, weil er eben nur sieht. Und ein anderer Teil der Seele sich vielleicht noch neunmalklug aufregt, dass fast nichts getan wird. Was wir erkennen müssen, ist, dass dieser Verstand längst selbst ein Problem geworden ist – nämlich ein Moloch ganz unfruchtbarer Herrschaft in der Seele. Man lese es noch einmal bei ,Homo faber’ nach und übertrage es dann auf den modernen Menschen schlechthin. Wir ersticken längst an einem Zu-viel-Wissen und Zu-wenig-Empfinden. Natürlich geht es hierbei auch um ein Abstumpfen, einen natürlichen Schutz gegen die buchstäbliche Flut von Informationen und auch Schreckensmeldungen. Aber das ist keine Entschuldigung, und es ist auch nicht alles. Es geht tatsächlich auch um einen voranschreitenden Selbstbezug und damit einen gegenseitig sich verstärkenden Kreislauf: Mehr Selbstbezug führt zu weniger Empfindung, und weniger Empfindung führt zu mehr Selbstbezug.

Ein Mädchen, das noch empfindet, kann gar nicht selbstbezogen sein, und ein Mädchen, das nicht selbstbezogen ist, kann gar nicht anders, als tief zu empfinden, was um sie herum vorgeht. Aber letztlich ist dies keine merkwürdige Tatsache, die mal so und mal so ausgeht, sondern es ist eine Willensfrage. Ich schrieb oben: Das Mädchen will die Verbundenheit mit dem, was es umgibt, nicht auftrennen – und darum hält es sie in voller Stärke aufrecht. Und das Mädchen will gar nicht weniger empfinden, als es dies tut – selbst wenn es wehtut, aber dieses Leid ist ja gerade die Kehrseite der Liebe. Wenn man liebt, leidet man mit, das geht gar nicht anders, wie auch? Seine Liebe ist es, die das Mädchen nie aufgeben würde – und deshalb auch nicht sein tiefes Empfinden.

Und dies ist jener heilige gute Wille, den nur ein Mädchen hat – weil es ein überreiches Empfinden hat und dieses auch bewahren will, in einer Art heiligen Treue. Es ist die Treue gegenüber der ganzen Welt. Und diese Welt schließt selbstverständlich auch das Übersinnliche ein, ob das Mädchen dies nun weiß oder nicht. Schon die Welt der moralischen Intuitionen ist diese übersinnliche Welt, innig verbunden mit der Welt jener geistigen Wesen, die wir ,Engel’ nennen und die die Seele leise dazu inspirieren wollen, die Verbindung zu dieser Welt nicht zu verlieren. Das Mädchen verliert sie nicht – diese Welt des Moralischen lebt mitten in seinem Herzen, das Mädchen empfindet diese Welt tief, und sein Wille ist sanft und leidenschaftlich zugleich durchglüht von diesen moralischen Intuitionen – vom Wollen des Guten.

Das ist das zarte, heilige Mysterium des guten Willens. Dürften die Mädchen die Welt gestalten oder die Gestalter der Welt beraten ... so würde sich dieser gute Wille in einem grandiosen Leuchten offenbaren... Denn alles würde auf einmal von Liebe durchdrungen werden, heilig hineingeflochten in die Welt von singenden Mädchen – Mädchen, die singen, weil endlich ihr Wille zählt, der so sehr eins ist mit dem Wesentlichen...