2022
Tiefe Lebenswandlung durch ein Mädchen
Von der Spiritualität der Mädchenliebe.
Inhalt
Die Katastrophe und das Mädchen
Ein ganz normaler Repräsentant
Erbarmungslose Konfrontation
Hilflosigkeit – und viel Geld
Feuer der Läuterung
Das Nichts des Bisherigen
Umkehrung aller Werte
Hilflose Hingabe
Absolute Wandlung
Die Katastrophe und das Mädchen
Unzählige Menschen interessieren sich nicht für meine Bücher. Sei es, weil sie selbst nahezu keine Bücher mehr lesen, sei es, weil sie absolut verkennen, was für Bücher ich schreibe. Ich schreibe Bücher für die Seele – diese heute so sehr sich verlierende Realität. Die Postmoderne ist eine Zeit zunehmender Seelenarmut – für jemanden, der die Realität der Seele kennt, ist dies vollkommen offensichtlich.
Die Menschheit hat sich um das Allerwesentlichste niemals gekümmert, seit der Materialismus eingezogen ist. Anonymisierung, Hassbotschaften im ,Netz’, Brutalisierung des Lebens und die ungebrochene Vernichtung des Planeten sind einige der Symptome unserer Wirklichkeit. Rettung ist überhaupt nur möglich, wenn die Menschheit sich wieder auf die wirklichen Realitäten besinnt – zuallererst die der Seele selbst. Der Mensch ist ein übersinnliches Wesen. Wer dies nicht erkennt, begreift, zu erleben und zu empfinden beginnt, trägt bei zum Niedergang und ist selbst Teil dessen.
Seelenwandlung, eine neue Vertiefung – dies ist die einzige Rettung aus und vor einer wachsenden Katastrophe. Viele Menschen haben das auch erkannt und gehen Wege der Spiritualität. Gerade auch sie könnten von meinen Büchern sehr berührt werden. Oft werden diese jedoch völlig verkannt. Einst, es ist schon sehr lange her, sagten viele: ,Was kann aus Nazareth Gutes kommen?’ (Joh 1,46). Heute denken Unzählige: ,Was sollen alle diese Mädchen-Bücher?’ Die Gestalt des Mädchens wird so verkannt wie einst Christus. Und wer hier sogleich an einen erschreckend unpassenden Vergleich denkt, setzt sein Verkennen nur weiter fort – ist nicht bereit zu einem Er-kennen oder auch nur einem vertieften Sich-Einlassen.
In vielen meiner Romane geht es auch um die Liebe eines Mannes zu einem Mädchen. Ein Tabu in der heutigen Zeit. Aber auch Christus rührte an Tabus – an absolute Tabus. Die Zöllner und Sünderinnen wiederum konnten nicht begreifen, dass Christus auch zu ihnen kam... Ist es ein Zufall, dass in den meisten meiner Romane, das Mädchen die Liebe des Mannes irgendwann erwidert? Nachdem auch das Mädchen die Illusion und Haltlosigkeit des Tabus durchschaut hat?
Fast alle Männer dieser Romane sind innerlich weit entwickelt und empfindsam. Ist es Zufall, dass sie sich in Mädchen verlieben? Nein, es geschieht gerade auch deshalb. Sie sehen nicht das Tabu, sie sehen das Mädchen – und sehen in diesem bestimmten Mädchen eine absolute Fülle, einen Kosmos. Das muss nicht bewusst sein, es ist aber der heilige Untergrund. Einen Kosmos. Wer dies nicht begreift, wird auch meine Romane niemals begreifen. Und wird die Gestalt des Mädchens immer weiter verkennen.
Wer auf spirituellen Wegen selbst eine Fülle findet, sollte, so ist es im Grunde zu erwarten, dies alles gerade in besonderer Weise verstehen können. Das Gegenteil ist jedoch oft der Fall. Pharisäer-ähnlich wird dann geurteilt: ,Es gibt die ganze Spiritualität – und du schreibst Mädchen-Bücher?!’ Als wenn dies ein Gegensatz wäre! Oder auch nur ein ,Abstieg’! Auch diese Menschen begreifen gar nichts – und dies ist eigentlich eine tiefe Tragik. Ein Mädchen ist ein Kosmos. Und es kann in tiefster Weise Seelen retten und heilen. Eine zutiefst berührende Geschichte einer solchen Seelenrettung ist mein neuester Roman ,Lolitas Apologie’. Wer sich schon an dem Titel stößt, beweist nur seine eigene Unreife. Zu diesem habe ich bereits genügend gesagt.
Ein ganz normaler Repräsentant
Burkhard Kaiser ist eine der vielen verlorenen Seelen der heutigen Zeit. Fast ein ganz normaler Repräsentant: Sehr erfolgreich in seinem Job, inzwischen das, was man ,vermögend’ nennen würde, zwei Töchter und eine hübsche Frau, die er liebt und begehrt. Einer, der nicht wirklich egoistisch ist – sich aber auch keinerlei Gedanken macht, was sein Job oder seine Lebensweise vielleicht anrichten. Einer, der noch nie an ,Seele’ gedacht hat – und es auch nie tun würde. Ein typischer Vertreter des Unterganges unserer Welt – und doch so normal ,wie du und ich’.
Wer glaubt, ein solcher Mensch wäre durch irgendeine Spiritualität erreichbar, der macht sich tiefe Illusionen. Hier kann nur noch das Schicksal etwas ändern. Und das Schicksal will es, dass er einem zutiefst begehrenswerten Mädchen begegnet... Der äußere Blick würde hier nun den völligen Niedergang vermuten, aber der Hochmut des Urteils kommt vor dem Fall...
Kaiser begegnet diesem Mädchen auf einem einsamen Pfad während seines ersten Trainingslaufes – und reagiert zunächst absolut erwartbar: Er beginnt, dieses Mädchen zu begehren, es spricht ihn auf unmittelbar körperliche Weise an, und seine Gedanken sind maskulin-sexistisch, sie reduzieren das Mädchen auf eine begehrenswerte, provokante Lolita... Aber diese Gestalt lässt seine Gedanken nicht mehr los – und dies ist bereits die erste Wandlung: eine Fesselung. Er kann nicht mehr aufhören, an das Mädchen zu denken...
Das fünfzehnjährige Mädchen ist jedoch absolut selbstbewusst, und als Kaiser an den nächsten Morgen versucht, sie irgendwie kennenzulernen, mit ihr auch nur in ein Gespräch zu kommen, weist es ihn absolut und geradezu spöttisch zurück:
„Was ist?“, fragte sie.
„Guten Morgen“, grinste er. „Bist du auch Gast der Wellness?“
„Wer will das wissen?“
Das Mädchen war unverändert Abwehr.
„Sei doch nicht so abwehrend“, sagte er und versuchte probeweise weiterzugehen, aber das Mädchen blieb weiterhin stehen. „Ich wollte doch nur freundlich grüßen...“
„Das haben Sie ja jetzt gemacht...“
„Und ... kriege ich keinen Gegengruß?“
„Guten Morgen“, erwiderte sie kurz angebunden.
„Na bitte – es kann sprechen!“, versuchte er humorvoll, den Faden weiterzuspinnen.
„Können Sie jetzt weiterlaufen...?“, fragte das Mädchen fast so genervt wie seine eigenen Töchter.
„Verrätst du mir noch deinen Namen?“
„Was soll das denn jetzt?“, fragte seine Lolita scharf.
„Das macht man so“, log er. „Wir sind hier in Schweden, mitten in der Wildnis, da stellt man sich zumindest vor.“
„Davon merke ich aber nichts!“, erwiderte sie spöttisch.
„Das ist so“, grinste er, „weil das Mädchen es immer zuerst macht...“
„Ich sag ihnen jetzt mal was!“, erwiderte das Mädchen, und selbst der Spott schwand aus ihren Augen. „Sie können Ihre geradezu peinliche Anmache mit sonst wem versuchen, aber nicht mit mir. Würden Sie jetzt endlich weiterlaufen?“
Erbarmungslose Konfrontation
Dies geht an den nächsten Morgen so weiter. In dem Maße, in dem Kaiser auf alten Wegen und nach bekanntem Muster versucht, an dieses Mädchen ,heranzukommen’, stößt er auf absolute Abwehr (siehe auch Leseprobe 1).
Allmählich verwandelt sich das Begehren, das doch nur ein unverbindliches ,Spiel’ war, in eine Anziehung, die ihn nicht mehr loslässt. Eine Anziehung, die ihn zu einer tieferen Selbstreflexion führt (Leseprobe 2), in der er immer mehr erkennen muss, dass es mehr als nur das Körperliche ist, was ihn anzieht... Er stößt zunächst auf das Phänomen der Unschuld – und dies ist ihm dann im Grunde das Tor, um immer mehr zu erkennen und zu begreifen.
Das wirkliche Feuer der Läuterung erfährt er aber dadurch, dass er das Mädchen auf dem Weg des (auch) Begehrens zu lieben beginnt, während dieses ihn weiterhin mit fast erbarmungsloser Konsequenz abwehrt:
Als er sich am nächsten Morgen die Schuhe band ... wusste er, dass er betteln würde... Es war der sechste Tag, die Ankunft mitgezählt, und er war ihr viermal begegnet, ohne dass er sie kennenlernen konnte. Er wusste nicht einmal, wie lange sie noch da sein würde. Und er war so dankbar, dass sie überhaupt jeden Morgen diesen Pfad entlang ging...
Die Stimmung des stillen Sommermorgens war fast irreal, als er an dem See entlanglief, bis er auf jenen geliebten Pfad einbog, der ihm zugleich so viele Schmerzen zufügte... Die Sehnsucht nach jenem Mädchen wühlte geradezu in seinen Eingeweiden, sie regelrecht verheerend. Was konnte er tun? Er hatte nichts in der Hand. Rein gar nichts...
Als er sie sah, erreichten die Empfindungen in seinem Inneren einen schmerzlich-süßen Höhepunkt, und gleichzeitig war ihm vor Sehnsucht geradezu übel. Fast war es, wie wenn man vor einem Abgrund stand – jedenfalls, wenn man Höhenangst hatte...
Als sie ihn hörte und etwas zur Seite trat, musterte sie ihn abschätzig, aber er hielt hilflos an, als würden seine Beine selbst ihren Dienst versagen.
„Komm, wir gehen ein bisschen weiter“, bat er, fast flehend.
„Sie laufen weiter!“, sagte das Mädchen hart.
„Tanja, bitte... Ich bitte dich einfach um ein paar Minuten!“, erwiderte er inständig. Und dann ließ er alle Selbstachtung fahren – und fügte geschlagen hinzu: „Ja, vielleicht sind Männer wie Fliegen. Vielleicht hast du Recht. Es ist mir egal. Ich kann es nicht ändern. Aber ... sagt man nicht, die Motten fliegen zum Licht? Ich meine ... ist es so verwerflich, ins Licht zu fliegen... Ins Licht fliegen zu wollen? Nur ein paar Minuten, Tanja... Bitte...“
Zum ersten Mal lösten sich ihre harten oder spöttischen Gesichtszüge etwas, wurden weicher. Dennoch fragte sie hart:
„Was versprechen Sie sich davon?“
„Ich verspreche mir davon nichts, Tanja...“, bekannte er. „Ich finde es einfach wunderschön, das ist alles...“
„Mit jemandem, der von dir nichts wissen will.“
„Ja...“
„Und warum?“
„Das kann ich nicht erklären, ich weiß es nicht...“
„Du bist ein Idiot.“
„Ja...“
„Du gibst es zu, ohne zu wissen, warum?“
„Ich würde alles zugeben, was du willst...“
„Willst du, dass ich dich auch noch verachte?“
„Das tust du doch sowieso schon...“
Das Mädchen schwieg einen Moment. Dann sagte es:
„Ich meine, noch mehr. Hast du denn gar keine Selbstachtung?“
„Nicht mehr vor dir, Tanja...“, gestand er gebrochen. „Die habe ich irgendwann zwischen gestern und heute verloren...“
Kaiser ist so von seiner eigenen Seele entfremdet und abgeschnitten, dass er noch nicht einmal erkennt, dass er sich längst verliebt hat – das Mädchen muss es ihm aufdecken! Erst mit ihrer Hilfe begreift er, dass sein Zustand mit ,Liebe’ zu beschreiben ist – und er begreift, dass er in dieser Tiefe und auch Hilflosigkeit noch niemals zuvor geliebt hat.
Hilflosigkeit – und viel Geld
Als das Mädchen ihn jedoch weiterhin abwehrt, bietet er ihr schließlich sehr viel Geld, um überhaupt nur jeden Morgen eine Stunde mit ihr reden zu dürfen, auf dem Pfad:
„Okay“, sagte sie spöttisch. „Der Groschen ist also jetzt gefallen...“
Ergeben ihre Bemerkungen hinnehmend, fragte er gleichwohl:
„Macht es dir eigentlich Spaß, Menschen zu demütigen?“
„Nein“, sagte sie scharf. „Ich würde ja am liebsten auch in Ruhe gelassen werden!“
„Wie lange bist du noch hier, Tanja?“
„Das geht dich einen Scheiß an!“
„Ich will doch einfach nur jeden Morgen eine Stunde mit dir reden...“
„Das kannst du dir abschminken!“
„Ich würde dir ja auch etwas dafür geben...“
„Ach ja? Was denn? Ein Taschengeld, oder was.“
„Sagen wir einhundert Euro?“
„Denkst du, du kannst mich kaufen?“
„Nein...“, stotterte er.
„Fünfhundert Euro“, sagte das Mädchen nun entschieden. „Fünfhundert Euro für die nächsten fünf Tage. Aber pro Tag. Und zwar immer im voraus. Und nur diese Stunde. Und ich muss nicht freundlich sein und nichts – du kriegst die Zeit und fertig. Ich kann weiter so sein, wie ich will...“
Er war wie vor den Kopf geschlagen.
„Fünfhundert Euro...?“, stammelte er unsicher.
Das Mädchen blieb unbeeindruckt. Ohne ihn anzusehen, fragte es, während sie langsam so den Pfad entlanggingen:
„Na, lässt die Verliebtheit schon nach? Auch gut. Ist ein angenehmer Nebeneffekt. Freut mich. Ist ja vielleicht auch für dich ganz gut...“
Sie hatte tatsächlich kurz nachgelassen – als er das Mädchen so plötzlich für geldgierig halten musste. Nun aber spürte er wieder, dass ihr das Geld in gewisser Weise fast gleichgültig war – und ihre Anziehung war wieder so stark wie zuvor. Eigentlich unendlich...
„Abgemacht...“, sagte er leise.
„Und?“
„Was und...“
„Hast du’s dabei?“
Ihre kalte Frage versetzte ihm einen neuen Schlag.
„Nein“, stammelte er...
„Na gut“, stellte sie fest. „Dann sind es morgen früh tausend...“
„Bist du wirklich so geldgierig...?“, fragte er zögernd.
„Du kannst ja weiterlaufen..“, schlug sie vor.
Er seufzte hilflos. Nein – das konnte er nicht.
„Also gut...“, sagte er wieder leise. „Ich habe es morgen dabei...“
„Gut...“, lächelte sie, zum ersten Mal.
Dann sah sie ihn kurz an und fragte, noch immer leise lächelnd, offen und freundlich:
„Und worüber möchtest du reden...“
Er war von diesem Umschwung so erschlagen, dass ihm fast die Sprache wegblieb. Dieses Mädchen war so unglaublich wunderschön...
„Du bist so unglaublich schön, Tanja...“, flüsterte er.
Aber dies ließ ihre Miene sich wieder verhärten.
„Falsches Thema! Ganz falsch, völlige Sackgasse – keinen Schritt weiter!“
„Es tut mir leid...“, sagte er leise. „Ich wollte nicht – – ich wollte nur – – es hat mich so betroffen gemacht, wie du – – wie du bist, wenn du mal nicht so bist, wie ... wie bisher immer...“
„Das kannst du gleich wieder schön vergessen“, sagte sie entschlossen. „Wenn das solche Reaktionen bei dir auslöst, muss ich sehr vorsichtig sein, wie ich mich verhalte...“
Feuer der Läuterung
Als er dann endlich mit ihr reden darf, kommt es zunächst zu der Frage, was er an ihr eigentlich liebt – und sehr hart und sehr ausführlich wird er erneut mit der Tatsache konfrontiert, dass das Mädchen ihm nach wie vor nur Begehren unterstellt. Schließlich muss aber auch sie anerkennen, dass da noch mehr ist, denn in diesem Ausmaß würde sich sonst kein Mensch fortwährend demütigen lassen... Und das Feuer der Läuterung ist inzwischen bereits weit fortgeschritten:
Offenbar irritiert durch sein längeres Schweigen sagte das Mädchen:
„Du glaubst hoffentlich nicht, dass mich das jetzt irgendwie beeindruckt?
„Nein...“
„Dann ist es ja gut.“
Wieder schwiegen sie länger – bis das Mädchen etwas nervös sagte:
„Das kostet alles Geld, jetzt... Das ist wie im Taxi... Nur teurer...“
Irgendetwas an diesen Worten rührte ihn so unendlich, dass ihm fast Tränen aufstiegen... Woher...? Aus welchen Tiefen...? Und wie lange hatte er eigentlich nicht mehr geweint?
„Was meinst du?“, fragte er mit einer leisen Wehmut. „Dass ich für mein Geld gar nichts bekomme?“
„Ist ja dein Geld. Musst du ja wissen...“, erwiderte sie gleichsam achselzuckend.
„Es wäre mir...“, sagte er leise, „all das Geld ohne allen Zweifel auch wert, wenn ich hier nur schweigend mit dir jede dieser Stunden am Morgen entlanggehen dürfte...“
Das Mädchen schwieg nun, bis sie hervorbrachte:
„Du machst dich nur selbst unglücklich, ich weiß nicht, was das soll...“
Am nächsten Morgen kann er durch das viele Geld erneut mit ihr sprechen. Doch es ändert nichts an der Abwehr des Mädchens:
„Und warum interessiert dich das?“
„Weil mich alles an dir interessiert, Tanja! Wann glaubst du mir das denn endlich?“, antwortete er mit leiser Verzweiflung.
„Es braucht dich an mir aber nichts zu interessieren!“, entgegnete sie heftig. „Ich möchte das nicht.“
Nun spürte er wirklich eine Verzweiflung in sich aufkommen.
„Tanja...“, flehte er fast. „Worüber sollen wir denn sprechen? Wenn ich so gar nichts von dir erfahren darf? Es muss doch etwas geben, worüber du reden wollen würdest?“
„Das wird dir aber nicht gefallen!“
„Wieso denn nicht...“
„Ich sag’s dir. Es wird dir nicht gefallen. Frag also lieber nicht.“
„Über irgendetwas müssen wir doch reden, Tanja ... ich meine ... es muss doch etwas geben...“
„Das tut es aber nicht!“, brach es aus ihr heraus. „Begreifst du denn nicht! Uns verbindet nichts – rein gar nichts! Du bildest es dir nur ein, aber da ist nichts! Und dein idiotisches ,Miteinander-Sprechen’ ändert daran nicht das Geringste! Überhaupt nichts! Rein – gar – nichts! Ich weiß also nicht, was ich sagen soll! Da ist nichts.“
Das Nichts des Bisherigen
Und dann kommt erst der vollkommene Schlag, der ihn nun mit dem ganzen Nichts seines bisherigen Lebens konfrontiert:
Ihr Ausbruch hatte ihn völlig überwältigt. Als er sich wieder halbwegs gesammelt hatte, sagte er vorsichtig:
„Ich weiß, dass du dich nicht für mich interessierst, Tanja – oder dass dir mein Interesse nicht viel bis gar nichts bedeutet. Aber ... mir würde es etwas bedeuten, etwas von dir zu erfahren, von deinen Gedanken, deinen ... ich weiß nicht ... deinen Hoffnungen ... deinen Zukunftsplänen ... deinen Wünschen... Irgendetwas, verstehst du? Bitte, Tanja... Glaub mir, ich werde es nicht ... missbrauchen oder so etwas...“
Hatte er vorhin einen Ausbruch erlebt, so wusste er noch nicht, was wirklich ein ,Ausbruch’ war – denn diesen erlebte er jetzt.
„Ihr missbraucht doch alles! Ihr habt doch nicht die geringste Ahnung! Wo ihr steht und geht, missbraucht ihr! Dass ihr Mädchen ansprecht, die einfach nur ihre Ruhe haben wollen, ist ja noch das Geringste! Guckt euch doch an, Burkhard Kaiser! Guckt euch doch mal an!
Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll! Ich begreife nicht, was dieses beschissene Hotel hier soll – mitten hier drin! Ich begreife nicht, wie man hier hinfahren kann! Ich begreife nicht, was ihr für Leute seid! Und ja – meine Eltern sind auch darunter, aber das ändert rein gar nichts! Ihr seid so aberwitzig blind und bescheuert und idiotisch, dass man eine ganz neue Sprache erfinden müsste, um genügend Vokabeln zu haben! Und ihr bildet euch wer-weiß-was ein mit euren ,Tennis-Einheiten’ und ,Fitness-Workouts’ und ,Beauty-Kuren’ und was-weiß-ich-noch-alles. Ach ja, und abends dann immer dieses ekelhafte ,Sehen und Gesehen-Werden’! Wie ich das hasse, wie mir das hochkommt! Dieses“ – sie verstellte ihre Stimme – „,Aber ich habe den besseren Job! Aber ich habe mehr! Aber ich habe dies-und-das...’ Merkt ihr überhaupt noch was?
Merkt ihr überhaupt noch, was ihr da treibt? Ihr seid reine Hüllen, seid ihr! Ich verachte euch aus tiefstem Herzen! Und es wäre alles scheißegal, wirklich scheißegal, wenn ihr eure Scheißspielchen ganz privat spielen würdet!
Aber was nicht egal ist, ist, dass ihr diese Scheiß-Macht über alles habt – dass es überhaupt Macht gibt, und dass ihr sie habt! Das ist nicht egal! Das steigert meine Verachtung für euch ins Unendliche! Denn ihr macht alles kaputt. Nachdem ihr euch kaputt gemacht habt, macht ihr alles andere auch kaputt – und das Kaputte an euch ist, dass ihr alles kaputt macht. Ihr seid die Kaputtesten überhaupt!
Ihr stinkt vor Geld, und merkt es noch nicht einmal mehr! Und ihr stinkt, weil man eure Gleichgültigkeit gegenüber allem dreißig Meilen gegen den Wind riecht! Du tust so, als seist du in mich verliebt, und als würde ich dir etwas bedeuten – aber euch bedeutet nichts etwas! Ihr wisst nicht einmal mehr, was das bedeutet – dass einem etwas bedeutet. Niemand von euch meint es Ernst mit irgendetwas!
Aber ja doch! Die Ausbildung der eigenen Nachkommen, mit der ist es einem natürlich Ernst – denn die sollen ja eines Tages den gleichen Erfolg haben! Wie ich dieses Wort hasse! Ihr seid getränkt von Egoismus, von Tunnelblick, von Selbstgefälligkeit.
Ihr seid leer bis zum geht nicht mehr – nur angefüllt von eurer eigenen Selbstgefälligkeit und eurer Erfolgsgewohnheit – auf Kosten von wem auch immer. Es ist euch doch scheißegal, womit ihr euer dreckiges Geld macht oder wer auf dreckige, schäbige Weise für euch arbeiten muss, damit ihr dieses Geld macht! Euer Verantwortungsgefühl hat doch Platz auf einer Stecknadel!
Und manche von euch tun so groß von wegen ,Verantwortung’ – und labern doch nur leeres Zeug daher und geilen sich auf an dem, was sie sagen, weil sie es noch selber glauben, obwohl es kein anderer mehr tut!“
Das Mädchen sah ihn voller Verachtung an. Dann griff sie in ihre Hosentasche und holte die zusammengeknüllten Scheine heraus.
„Weißt du was?“, sagte sie heftig. „Ich will dein ganzes Scheißgeld gar nicht – ich brauche es auch nicht!“
Sie warf es seitlich von dem Pfad in die Luft.
„Und ich brauche auch sonst nichts. Gar nichts.“
Sie stapfte entschlossen weiter auf dem Pfad – und er wagte nicht einen Moment lang, ihr zu folgen...
Umkehrung aller Werte
Dass er dieses Mädchen nach wie vor hilflos liebt, kehrt nun sämtliche Werte um – es ist nicht anders möglich. Die Wandlung hat begonnen:
Den restlichen Vormittag war er so einsilbig wie möglich, bis er sich in den Liegestuhl zurückziehen konnte.
Dort schloss er die Augen, um so unnahbar wie möglich zu sein – und auch mit sich selbst so allein wie möglich, ohne dass es so wirkte, als ziehe er sich ganz zurück –, und überließ sich seinen Gedanken...
Das Mädchen war ja eine halbe Kommunistin... Noch vor einer Woche hätte er über all diese ,Argumente’ nur gelacht und die Welt ihren Lauf nehmen lassen. Denn war nicht eben jeder seines Glückes Schmied, und das Glück lachte dem Tüchtigen? Und sah nicht jeder zu, wo er blieb, und niemandem wurde etwas geschenkt?
Aber nun dachte ein Mädchen völlig anders, und dieses Mädchen bedeutete ihm etwas, er konnte es nicht ändern – es bedeutete ihm so viel, dass er betroffen war, obwohl er wusste, dass er bei ihr nie eine ,Chance’ haben würde... Die kleinste Verbindung zu ihr schien ihm so viel wert wie alles, was er bisher erreicht hatte ... vielleicht sogar mehr... Wie war so etwas möglich...?
Er war kein Millionär. Aber doch jemand, den man einen ,Vermögenden’ nannte, er besaß zumindest ein kleines Vermögen. Alles zusammen kam es an eine Million bald heran. Würde er das weggeben, eintauschen, gegen die Liebe dieses Mädchens? Er brauchte fast nicht zu überlegen. Ja, das würde er tun... Und auf einmal verstand er dies... Dieses: dass Königreiche fielen um eines Mädchens willen... Es war ein Wahnsinn, aber es war so. Das Herz eines Mädchens war mehr wert als ein Königreich – offenbar ganz real. Was er noch vor einer Woche verlacht hätte ... nun hatte es auch ihn ereilt. Ihr Herz, ja ... es war mehr wert als das, was er sein Vermögen nannte und was ein Vermögen war... Aber dann war ein Mädchenherz noch viel mehr... Wie auch immer das sein konnte...
Jagdtrieb? Nein... Das war nicht möglich... Vielleicht eher ... ein Aufwachen... Ein Aufwachen für das, was in der Welt wirklich zählte... Ja? War es so...? Also kein Vermögen...? Sondern ... ein Mädchenherz...? Einfach nur das...?
Hilflose Hingabe
Am nächsten Morgen begegnet er dem Mädchen zum ersten Mal nicht mehr – und ist dadurch wie vernichtet. Als er sie dennoch findet, ist nur noch ein Weg offen: der einer absolut hilflosen Hingabe... Als sie es ihm noch einmal erlaubt, mit ihr zu sprechen, beginnt diese Begegnung so:
„Danke, Tanja...“, sagte er leise.
„Für was“, fragte sie scharf.
„Für das hier...“, der Aufruhr in seinem Inneren tobte, Sehnsucht, Schmerz, alles unstillbar und ohne echte Hoffnung. „Du bekommst gar nichts ... und du gibst es trotzdem...“
Er musste an die Henkersmahlzeit denken, die jeder irgendwie noch ... nicht verdient hatte, aber ... dennoch ,bekam’, als ein letztes Geschenk...
„Ja!“, lachte sie trocken einmal auf. „Das könnte euch mal zeigen, dass auch ihr etwas geben könntet! Etwas Echtes.“
Und diese Worte durchschlugen etwas in ihm ... sie rührten ihn so maßlos, dass seine Tränen fast ohne Vorwarnung kamen.
„Du hast Recht...“, sagte er mit einem erstickten Aufschluchzen. „Du hast Recht, Tanja... Ich ... ich weiß, was du meinst... Ich ... du hast Recht... Es tut mir leid, dass ... ich dich so enttäuscht habe! Das ... wollte ich nicht... Ich meine – das hört sich lächerlich an, aber – – ich weiß ... es geht nicht um dich... Aber ... mir geht es um dich... Und ... und vielleicht ... ist das ja ein guter Anfang... Ich meine ... wenn ... ein Mensch einen dazu bringt ... sich zu ändern...“
Er schämte sich seiner Tränen nicht, die jetzt noch mehr strömten, weil er nicht wusste, ob er auf irgendetwas überhaupt noch hoffen konnte...
„Wow...“, sagte sie trocken, aber nicht ohne Berührung. „Es kann weinen...!“
Und die Dankbarkeit über ihre leisen Zeichen von Berührtsein und ihre ,Heimzahlung’ seines verfehlten Scherzes ließen ihn inmitten seiner Tränen einmal kurz gerührt auflachen – mit dem ,Erfolg’, dass die Tränen danach nur um so heftiger flossen...
Als er spürte, dass ihr die Situation unangenehm wurde, obwohl er noch immer dankbar ihr Berührtsein darin erkannte, konnte er nicht anders, als seine Tränen irgendwie zu bezwingen – was ihm dann auch schnell möglich war. Er hoffte so sehr, dass sie nun irgendwie zugänglicher war, weicher, irgendetwas...
Als er sich wieder in Bewegung setzte, war sie zumindest dafür anscheinend dankbar. Dennoch sagte sie kurz darauf:
„Ich hoffe, du erwartest dafür jetzt nichts...“
„Nein...“, erwiderte er leise.
„Gut.“
Es trieb ihm fast wieder Tränen in die Augen. Die Sehnsucht nach ihr war so groß...
Und er fand keinen Ansatzpunkt – erst recht nicht nach diesen Tränen. Was konnte er nun überhaupt noch tun? Sagen...
Schließlich brachte er, innerlich das Gefühl eines Stammelns habend, hervor:
„Du hast Recht, Tanja... Ich habe verstanden, was du meinst, und du hast Recht... Ich verstehe deine Verachtung. Obwohl du ... aber ich will dich nicht wieder verärgern... Ich habe solche Angst davor... Ich will nur sagen ... ich bin kein Egoist, Tanja! Und ich bin auch nicht verantwortungslos... Manches ... manches sieht aus deiner Perspektive vielleicht anders aus, ja... Aber ... es ist trotzdem nicht alles so, wie du denkst... Ja ... ideal ist es sicher nicht, ganz bestimmt nicht... Aber auch nicht ganz furchtbar... Ich ... ich will mich auch gar nicht verteidigen, nicht ... nicht reinwaschen oder so etwas... Ich will nur sagen... Ich will nur sagen ... du musst mich nicht ganz in den Boden verdammen, Tanja... Das muss es vielleicht nicht sein...“
Das Mädchen an seiner Seite war schweigsam ... und er empfand es als gutes Zeichen.
„Dennoch...“, beeilte er sich, fortzufahren. „Dennoch ... habe ich dich sehr gut verstanden, bitte glaub mir... Ich ... sehe die Welt jetzt mit anderen Augen... Das ... das hört sich vielleicht blöd an, unglaubwürdig in deinen Augen, aber ... ich meine es so... Und es ist auch so... Ich kann es dir vielleicht nicht gleich beweisen, aber ... aber es ist so...“
Absolute Wandlung
Wir verlassen diesen Roman hier – aber bis zu dieser Stelle ist überhaupt erst ein Drittel vergangen. Und doch hat dieses Mädchen ein wahres Feuer der Läuterung entfacht – war es selbst. Nicht ansatzweise hätte irgendetwas anderes Kaiser so sehr erreichen, berühren, erschüttern und zutiefst verwandeln und auf den Weg der Verwandlung führen können. Die Liebe zu einem Mädchen konnte es. Und nur sie.
Dieser Roman aber könnte auch unzählige andere Seelen tief verwandeln. Denn er ist (und wird noch) eine der größten Liebesgeschichten, die je Worte gefunden haben.