2023
Der Ursprung aller Katastrophen – die Vernichtung des Fühlens
Eintauchen in das Wesentliche
Inhalt
Das ungeheuerliche ,Peak-Bewusstsein’
Die ignorierte Seele und die doppelte Arroganz
Der ,wissenschaftliche’ Ursprung
Das Phänomen ,Tagesschau’
Der Ersatz der Seele durch den Ego-Modus
Das Fühlen als Hauptziel der Gegenmächte
Der Wutbürger als Erbe der Aufklärung
Die Wahrheit des wahren Fühlens
Der furchtbare Status Quo und das Mädchen
Feigenblätter und Symptome
Und die Anthroposophie?
Der Sturz des Fühlens (!) in die isolierte Leere
Denken oder Fühlen – was ist not-wendiger?
Das Mädchen und die Anthroposophen
Die Gegenmächte und das Urphänomen
Das ungeheuerliche ,Peak-Bewusstsein’
Der Mensch ist stolz auf sein heutiges Bewusstsein – und merkt diesen Stolz schon gar nicht mehr, denn das selbstzentrierte Ich-Bewusstsein ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Jeder hat zu allem eine Meinung und empfindet sich als das Zentrum des Universums. Man ist selbstverständlich nicht ansatzweise so schlimm wie die Verschwörungstheoretiker und Wutbürger – aber das Bewusstseinsprinzip ist bei allen gleich: ein ganz ausgeprägtes, selbstzentriertes Ich-Bewusstsein, das sich selbst da grandios vorkommt, wo es meint, einmal ganz besonders ,selbstlos’ zu sein.
Es ist wichtig, diesen ungeheuren, aber zugleich ungeheuer selbstverständlich gewordenen Hochmut genau in den Blick zu nehmen. Die Seele ist bewusstseinsgeschichtlich genau hier angelangt – und zwar, gerade weil die Seele für das Bewusstsein gewöhnlich keinerlei Rolle spielt. Der Mensch hat sich bewusstseinsmäßig kann in der Ich-Spitze festgesetzt, sozusagen in einem bloßen ,Peak’. Es ist wirklich ein ,Peak’-Bewusstsein ohne alle Tiefe. Die Tiefendimension, die die Seele in früheren Jahrhunderten, ja sogar noch Jahrzehnten hatte, ist im Laufe dieser bewusstseinsgeschichtlichen Entwicklung immer mehr verlorengegangen.
Ja, manches ist auch hinzugekommen. Man kann nicht leugnen, dass ein junger Klimaschützer der ,last generation’ oder von ,Extinction Rebellion’ mehr moralische Tiefe besitzt als ein patriarchaler Mann, der im 18. oder 19. oder 20. Jahrhundert seine Kinder geschlagen hat. Oder dass es ein ungeheurer Fortschritt ist, dass der Krieg heute zumindest prinzipiell vollständig geächtet ist – während absolutistische Herrscher früher bedenkenlos ihre Untertanen gegeneinander ins Feld geschickt haben.
Aber es geht um etwas viel Tiefgreifenderes. Es geht zum Beispiel darum, dass die Korruptheit des Gewissens heute weite Teile der Menschheit ergriffen hat. Das Kalt-Berechnende, das jede Lücke für den eigenen Vorteil nutzt – in Steueroasen oder auch mit dem ganz gewöhnlichen ,Schnäppchen’, das gesellschaftlich regelrecht legitimiert ist (,Geiz ist geil’) – ist vielfach zu einer völligen Normalität geworden. Aber nicht nur um die Korruptheit eines stufenlos ausweitbaren Selbstbezuges geht es. Es geht auch um die absolute Dominanz, die auf der anderen Seite das ,Fun’- und ,Genuss’-Denken gewonnen hat, extrem gepusht allein schon durch das Bombardement der täglichen Werbung: ,Du bist es dir wert. Genieße! Lebe dich aus! Konsumiere – verwirkliche dich ganz!’ Mit diesen vergifteten Botschaften wird der ,Ego/Ich-Peak’ weiter in die Höhe getrieben.
Die ignorierte Seele und die doppelte Arroganz
Immer mehr lebt der Mensch – als Seele, die er aber völlig ignoriert – nur noch im Denken, in einem intellektualisiert-faden Bewusstsein, das auf der anderen Seite ständig nach Lusterlebnissen strebt, auf die es mittlerweile regelrecht ein selbstverständliches Recht zu haben glaubt. Es ist der ungeheure Anspruch, jederzeit Konsum und Unterhaltung verfügbar zu haben – während die Welt bereits versagt hat, wenn man sich zu langweilen beginnt. Die Seele hat, von einem Standpunkt übersinnlicher Realität aus betrachtet, eine unglaublich hässliche Gestalt angenommen: intellektuelle Arroganz im Denken, selbstverständlicher Lustanspruch im Willen.
Und dies beides hängt engstens zusammen. Immer läuft es auf den ,Ego/Ich-Peak’ zu, der sich nur auf zweifache Weise äußert – im Denken als kühl-arrogante Selbstverständlichkeit, dass natürlich immer die eigenen abstrakt-intellektuellen Gedanken wahr sind; im Willen als kühl-arrogante Selbstverständlichkeit, dass der eigene Konsum- und Lustanspruch natürlich absolut berechtigt ist. Der eigentliche Bewusstseinspol aber ist immer das Denken: als Mittelpunkt der Welt. Peak-Bewusstsein.
Dieses Peak-Bewusstsein bemerkt nicht einmal mehr im Ansatz, wie ungeheuerlich es bereits den Zusammenhang zum Ganzen verloren hat – es kann sich ja jederzeit da ,andocken’, wo es gerade ,Lust’ hat. Dass diese selbstbezogene Beliebigkeit frei flottierender ,Lust-Andockungen’ seinen Preis hat, ist dem Peak-Bewusstsein völlig egal. Es will sich ja ,frei und unabhängig’ ausleben, wie es Lust hat. Je zusammenhangloser, desto besser. Nur, dass mittlerweile nicht nur eine das wahre Menschenwesen zutiefst beschämende ,Massentierhaltung’ seit Jahrzehnten tägliche Praxis ist, Ungleichheit, Armut und Ignoranz jährlich zunehmen, sondern der gesamte Planet bis in die Lebensgrundlagen aller Wesen hinein mehr und mehr vernichtet wird. Von uns. Den Wesen mit dem abgrundtief hässlichen Peak-Bewusstsein.
Der ,wissenschaftliche’ Ursprung
Dieses Bewusstsein hat sich bereits lange, lange angekündigt – schon vor der Flut an Werbebotschaften, schon vor jeder ,Coolness’-Welle, ja schon vor der Erfindung von Film und Fernsehen.
Das Fatale beginnt bereits in einer intellektuell-verstandesmäßigen Grundhaltung zur Welt, wie sie mit der Aufklärung aufkam, die aber schnell weiterrollte und in einen immer selbstverständlicheren Materialismus mündete. Einen Materialismus, der die Seele leugnete, weil die vergötterten Messinstrumente und die immer mehr an diese und die dazu passende Mathematik angepassten Vorstellungen sie ja nicht finden konnten! Zwar konnte der Mensch persönlich in Symphonien und anderen größten Geistesschöpfungen, auch in religiösen Empfindungen persönlich erhebende, ja begnadende Erlebnisse haben – aber die ,Wahrheit’ war, dass Atome und Kräfte die einzig ,eigentliche Realität’ waren.
Das Fatale hat schon da seinen Ursprung, wo der Wissenschaftler ganz im bloßen ,Erkennen’ verbleibt, in einem intellektuellen Durchdringen der Phänomene, insofern sie materiell sind. Schon die materiellen Prozesse und Phänomene sind ein Wunder. Ein Wunder an Zusammenhang, von Harmonie, von Weisheit. Würde man das ernst nehmen, müsste man fast von selbst zu einem Staunen, ja zu einer Ehrfurcht kommen – es sei denn, man drängt diese Empfindungen schon berufsmäßig zurück, dann aber auch aus einem wachsenden Hochmut heraus, dass man ,derlei Sentimentalität’ gar nicht brauche. Oder umgekehrt: zuerst der wachsende Hochmut der immer mehr im bloßen Verstand lebenden Aufklärer, dann die ,Berufsdeformierung’ der aufkommenden Naturwissenschaft, dass der Forscher im bloßen Intellekt verbleiben müsse.
Hier genau wird dasjenige real, was Rudolf Steiner dann die ,Gegenmächte’ nennt. Es ist der exakte Punkt, wo der Mensch sein eigenes Wesen verkennt – und in gewisser Weise bewusst leugnet. Er hält die Seele für das Naturerkennen für irrelevant, ja sogar verfälschend, aber begreift nicht oder kaum, dass man die Seele nicht das eine Mal leugnen und unterdrücken kann und das andere Mal nicht. Es ist eine geradezu notwendige Konsequenz, dass der Naturwissenschaftler ein intellektueller Kopf wird, der dann auch im übrigen Leben, sogar gegenüber den ihm engsten Menschen, höchstens noch ,Kopfgefühle’ hat, Rudimente von Empfindungen, die aber nichts Vollmenschliches mehr haben – oder aber er spaltet sich völlig, was aber schizophren und unwahrhaftig ist. Denn er würde als Forscher den Menschen emotionslos als Ansammlung von beobachtbaren Prozessen betrachten – und dann wieder im persönlichen Alltag seine Frau lieben ... oder glauben, er täte es.
Das Phänomen ,Tagesschau’
Die Vernichtung der Seele beginnt immer da, wo sie zurückgedrängt wird, also mitten in der Wissenschaft. Die Wissenschaft selbst hat den Verlust der Seele im gesamten Leben gigantisch vorangetrieben. Sie ist einer der Hauptfaktoren, dass wir heute ein derart unglaublich intellektuelles Leben haben. Man muss nur an die ,Tagesschau’ denken: Ganz bewusst möglichst sachlich vorgetragene ,Tatsachen’, die als ,Meldungen’ zunächst einmal keinerlei Emotionen auslösen sollen – man soll sie als reine Informationen aufnehmen, um eben ... informiert zu sein. Und genau so handeln dann auch viele Menschen: Sie machen den Fernseher an, weil man ,ja wissen muss, was in der Welt passiert’. Weil man sich ,außen vor’ fühlt, wenn man nicht ,informiert’ ist. Aber das Ganze wird ein ,Außen vor’ des gesamten eigenen Wesens. Die Seele schafft sich selbst ab, Tag für Tag, millionenfach ausgestrahlt und übernommen, selbst verwirklicht.
Mit demselben Prozess wird dann auch so etwas wie Massentierhaltung möglich, die bedenkenlose Ausbeutung anderer Menschen, die Vernichtung der Natur, der Holocaust.
Die unschuldige Seele würde sich dagegen wehren, die sie umgebende Welt emotionslos zu betrachten, und sei es nur forschend. Sie kann das nicht. Was sie sieht, sind Wunder – und zu dieser Empfindung kehrt sie nicht erst zurück, wenn sie geforscht hat (was schon viel wäre), sondern sie geht davon aus und verlässt diese essenzielle Empfindung niemals. Denn wenn man sie verlässt, ist man schon verlassen ... von einem zutiefst kostbaren Teil seiner eigenen Seele. Auch nur ansatzweise zurück gewinnen ihn die Wenigsten, und selbst dann ist die Frage: Wieviel davon bleibt für immer verloren?
Es ist ja nicht umsonst, dass Steiner jegliche innere Entwicklung im Sinne der ,Geheimschulung’, wie er es damals nannte, mit der ,Devotion’ beginnt – wie eine absolute Grundlage, auf die niemals verzichtet werden kann, auf keinen Fall. Aber, und das ist das Schlimme, es kann eigentlich überhaupt nicht auf sie verzichtet werden – oder eben mit den Folgen, vor denen wir heute menschheitlich stehen.
Der Ersatz der Seele durch den Ego-Modus
Und wo die Seele abgeschafft wird und sich selbst abschafft, ganz zentral in einem emotionslosen Denken, das letztlich immer mehr nur noch ,Fakten registriert’, da können umgekehrt von unten auf einmal all jene Impulse heraufschlagen, die mit demjenigen zu tun haben, was auf diese Weise herangezüchtet wurde und sich einnisten konnte: ein ganz ausgeprägter Selbstbezug, den man nicht einmal unbedingt oder durchgehend ,Egoismus’ im üblichen Sinne nennen muss, aber es ist dennoch genau jenes Ego, das entsteht, wenn die Seele immer mehr sich in einem ungeheuren Zentrum sieht, weil sie immer weniger fähig ist, aufrichtige, wahrhaftige, in letzter Hinsicht selbstlose Empfindungen gegenüber dem zu haben, was sie umgibt.
Gerade diese aber wären die wahrhaft objektiven! Denn sie wären ausgelöst von den sie umgebenden Wundern und Schönheiten, auch Wahrheiten ... und die Seele wäre ihr treuer Spiegel, aber mehr als das, denn all dies ist nur durch zarte Hingabe möglich, also eine fortwährende Aktivität, die aber die Seelen immer mehr verlieren, allein schon, weil sie gar keine Lust mehr darauf haben.
Also das angeblich Objektive im Denken führt dazu, dass die Welt wirklich Objekt wird, ein seelenloses Gegenüber, dem gegenüber man nicht einmal mehr selbst Seele entfaltet – und auf diesem Wege kann die Seele ganz in den ,Ego-Modus’ versinken, also ihren eigenen Verlust und den Ersatz durch das regelrecht ,aus dem Abgrund aufsteigende Tier’, um einmal die Sprache der Apokalypse zu verwenden. Letztlich kommt man so zu einem Zentrum, das in Zusammenhang steht mit frei flottierenden Begierden, denen es sich überlässt, weil es ja die ,seinen’ sind, und die einem ganzen Reich entsprechen, zu dem solche Begriffe gehören wie ,Spaß’, ,Fun’, ,Unterhaltung’, ,Abwechslung’ – und ihre Entsprechungen heißen dann ,Langeweile’, ,Leere’, aber auch ,Hass’, etwa, wenn die Welt nicht ,liefert’, was dieses unersättliche Ego-Monster verlangt.
Wir stehen heute vor der ultimativen Konsumhaltung der Seele – die vorangetrieben wurde durch alles. Sowohl durch die Irrmeinung, man könne die Welt objektiv erkennen und müsse nur noch konsumieren, was andere erkannt haben (,Fakten’, ,Nachrichten’), als auch durch die Sintflut materieller ,Segnungen’, für die man allein schon mehrere Leben bräuchte, um sie alle mal ,durchzuprobieren’ und ,auszukosten’. Und jede einzele Werbebotschaft peitscht das Credo erneut in die Köpfe (!): ,Verwirkliche dich selbst... Du bist es wert... Kauf mich ... benutze mich ... und du wirst glücklich sein, und dies so individuell wie niemand sonst...’
Es ist ja nicht so, dass die Gegenmächte nicht verstanden hätten, dass jede Seele heute ,individuell’ sein will. Das ist ihnen völlig gleichgültig, das können sie unmittelbar mit einbauen in ihre Taktiken und Marschrichtungegn. Das ist lückenlos integrierbar, sogar mit einem Riesenerfolg. Denn kein Ego ist wie das andere! Allein schon, weil man ja sonst schon das andere Ego auch liebhaben müsste, denn sich selbst liebt man ja. Wäre das andere Ego wie das eigene Spiegelbild, wäre man doch regelrecht begeistert. Oder würde man vor der eigenen Hässlichkeit dann vielleicht doch erschrecken...? Jedenfalls hält sich jedes Ego für anders, will anders sein – und ist auch anders, allein schon deshalb, weil es das finstere Gegenbild der wahren Individualität ist.
Die Gegenmächte können auf der Botschaft des Individuellen also regelrecht herumreiten, sie ist selbst eine ihrer mächtigsten Waffen. Es ist ihnen völlig egal. Hauptsache, es äußert sich durch den Selbstbezug – dann ist alles in Ordnung, absolut auf ihrer Linie!
Das Fühlen als Hauptziel der Gegenmächte
Und deswegen haben die Gegenmächte ein Hauptziel, schon immer gehabt: das Fühlen. Es geht ihnen darum, das aufrichtige Fühlen so umfassend und so restlos, so unwiederbringlich wie möglich auszurotten. Die Etablierung der ,objektiven Naturwissenschaft’ war ihr erster großer Schlag. Nicht in Bezug auf das wahre Erkennen in so unendlich vielen Einzelheiten, sondern in Bezug auf die Haltung der Seele und die geradezu unfassbaren Konsequenzen.
Diese werden umso weniger begriffen, als dieselbe Naturwissenschaft und die eng damit zusammenhängende Aufklärung natürlich auch dafür gesorgt haben, dass Dogmenglaube, Hexenwahn und anderes überwunden wurden. Aber natürlich herrschen jetzt neue Dogmen, erfindet die Seele immer neue ,Hexen’ und ,Teufel’ – und war schon die erste Verfolgung von ,Hexen’, ,Ketzern’ und anderen ,Sündern’ einem absoluten Mangel an Liebe und unmittelbarem Menschengefühl geschuldet, die gerade massiv zurückgedrängt wurden, um an ihre Stelle Empfindungen der Verachtung, des Hasses, ja des Sadismus zu setzen ... und das der eigenen Auserwähltheit. Insofern hat die Gesinnung der Inquisitoren den modernen Ego-Impuls regelrecht vorweggenommen.
Damals war das noch an ein einheitliches Dogmensystem angebunden, vertreten durch die alleinseligmachende Kirche. Heute hat jeder seinen ,individuellen’ seligmachenden Glauben – die Verschwörungstheoretiker, die Wutbürger, die Reichsbürger, aber auch jeder einzelne ,Hater’, der auf irgendwelchen Blogs die Meinungen anderer bis aufs Blut bekämpft, weil man immer mehr das Selbstgefühl durch Hasskräfte aufrechterhält, durch das bloße Niedermachen anderer – denn nur so kann man sich beweisen, dass man selbst ,Recht’ hat, zu den Auserwählten gehört. Der Ego-Impuls – zusammengebastelt aus ein paar Überzeugungen, an die man sich anhängt, immer bedingungsloser ... und dann all die Willensregungen, einerseits antipathischen Emotionen und andererseits ,Lust’- und ,Fun’-Empfindungen, die aus einem grenzenlos leer gewordenen Zentrum hervorgehen, das sich immer stärker für den Mittelpunkt der Welt hält.
Der Wutbürger als Erbe der Aufklärung
Der sogenannte ,Kampf aller gegen alle’ hat längst in Ansätzen begonnen, denn auch jene, die dann vielleicht die gleiche Verschwörungstheorie vertreten, hängen nur über diesen losen Faden zusammen, über nichts anderes mehr.
Und all dies, diese ganze Entwicklung, hat ihr Zentrum in der Auslöschung der wahrhaft menschlichen Gefühle. Nicht etwa in der Auslöschung klaren Denkens. Denn der Naturwissenschaftler und Aufklärer des 18. Jahrhunderts dachte sehr wohl klar – aber er löschte bereits seine tieferen Empfindungen aus. Der Wutbürger und Verschwörungstheoretiker zieht nur nach. Er macht nur den nächsten Schritt: Er löscht auch noch das klare Denken aus. Aber die Gefühle sind schon ausgelöscht – denn sonst könnte man so etwas wie die ,Massentierhaltung’ keinen Moment lang ertragen. Unsere ganze Kultur hat bereits grundlegende Gefühle ausgelöscht – und das Denken zieht jetzt nur nach.
Und wozu sollte man denn auch noch klar denken, wenn man ohnehin das Zentrum des Universums ist? Ein Zentrum, dem auch Tiere nur noch belanglose Quelle der ,Fleischproduktion’ sind? Sobald das Ego-Monstrum eine gewisse Stufe erreicht hat, erübrigt sich das klare Denken einfach – denn dann denkt man schlicht nur noch, was man will ... wer auch immer ,man’ dann ist.
Das sind die Phänomene. Und wenn man Phänomenologie betriebe – auch dies wieder nicht wie ein ,objektiver’ Wissenschaftler, sondern mit ganzer Seele –, dann wäre man erschüttert durch die Wucht, mit der gerade das Zentrum der Seele bekämpft wird, von einer zunächst unbekannten Macht, aber letztlich auch von jedem Einzelnen – nämlich das aufrichtige, reine, unschuldige Fühlen. Und zwar so sehr bekämpft, dass man heute bereits einen ungeheuren Mut haben müsste, wollte man es auch nur ansatzweise wahrzumachen versuchen, und selbst das würde nicht reichen. Man muss sich klar darüber sein, dass eine Seele, die dieses Fühlen verwirklichen würde, zugrundegehen müsste – so schlimm ist es bereits! Nicht umsonst stumpfen die Seelen ja ab, aber sie tun es sehr bequem, schon bevor das eigentliche Leiden beginnt...
Die Wahrheit des wahren Fühlens
Das klare Denken wäre also für nichts dringender nötig als für dieses Eine: die Erkenntnis, wie extrem und wie tödlich seine Schwester bereits angegriffen wurde – das Fühlen, die Empfindungsfähigkeit. In vielen Seelen ist diese quasi fast nicht mehr vorhanden, außer eben dasjenige, was sich in die völlige Selbstempfindung pervertiert hat. Aber so, wie das Denken sein wahres Wesen abschafft, wenn es nur noch die Privatgedanken des Ego denkt, so ist es mit dem Fühlen, das nur noch das Ego spiegelt, während es jegliche Fähigkeit der Hingabe völlig verloren hat.
Vor diesem Hintergrund ist es bereits eine Irrlehre, dass das Fühlen das Subjektivste sei, das immer schon nur den Bezug des Subjekts zur Welt gespiegelt habe. Das mag sein, wo der Mensch, wie ein Tier, nur das fühlt, ,was ihm behagt’ oder eben auch nicht. Aber, natürlich, es ist auch der Bezug des Subjekts zur Welt, wenn es Liebe empfindet, Ehrfurcht, Verbundenheit... Denn andere Subjekte haben diesen Bezug dann vielleicht nicht mehr. Aber sie könnten ihn haben.
Und natürlich, der Begriff des Dreiecks ist für jede Seele derselbe – aber die Empfindung der Ehrfurcht steigt auf ganz individuelle Weise als ureigene Empfindung in der einzelnen Seele auf ... und in der anderen nicht mehr. Dennoch geht es hier in keiner Weise mehr um die Frage, was ihr ,behagt’, sondern um jene Hingabe, durch die die Seele sich in Verbindung mit dem Ganzen hält. Empfindungen etwa der Ehrfurcht sind ganz und gar nicht behaglich – sonst hätte die ,moderne Seele’ sie gerade ,en masse’. Aber sie sind ihr zu unbequem. Denn jegliche Hingabe ist ihr einerseits zu anstrengend, andererseits aber zu selbstlos. Und beides behagt (!) der modernen Seele ganz und gar nicht.
In Wirklichkeit ist es im Grunde auch dasselbe Gefühl der Ehrfurcht, das in jeder Seele etwa angesichts des Sonnenaufgangs aufsteigen würde – wenn es dies denn täte. Nur tritt hier das Phänomen der Freiheit ein. Nicht nur der Freiheit, dass die Seele den Begriff des Dreiecks entweder denken kann oder auch nicht, notfalls sich an bloße Vorstellungen hält ... sondern sogar die Freiheit, überhaupt irgendwelche Empfindungen zu haben. Denn man kann ein Dreieck nicht sehen, ohne zumindest die Vorstellung eines Dreiecks zu haben – aber man kann einen Sonnenuntergang sehen, ohne jegliche Ehrfurcht zu empfinden.
Allerdings ist dies fast nicht einmal mehr eine Freiheitsfrage. Denn würde man es wirklich noch können, so würde diese Empfindung auch aufsteigen. Wenn sie nicht aufsteigt, ist dies der Hinweis dafür, dass man die Fähigkeit der Ehrfurcht als solche verloren hat. Der Begriff steigt nicht automatisch auf, er muss wirklich gedacht werden. Aber Empfindungen steigen auf, wenn etwas gegeben ist, was sie auslöst. Und dies ist so, weil sie so sehr mit der Hingabe zu tun haben. Sie stehen gleichsam zwischen Wahrnehmung und Begriff – sie sind der Wahrnehmung (und Vorstellung) insofern verwandt, als sie sich einfach einstellen, wenn etwas da ist, was sie ,auslöst’.
Ich brauche keinen bewussten Begriff vom Sonnenaufgang, ich muss mir nichts dabei denken, um das Majestätische und Überwältigende unmittelbar zu empfinden – ähnlich wie ich auch das Majestätische der Bergketten empfinde und durch sie überhaupt erst zu dem Begriff des Majestätischen käme. Der Sonnenaufgang ist majestätisch und überwältigend, und die Seele empfindet dies ... und das Denken kann zu diesen Begriffen kommen. Und so ist es in gewisser Weise in jeder Seele dasselbe majestätische Gefühl – und ist das Fühlen in dieser Hinsicht nicht subjektiver als das Denken, wie Goethe nicht zuletzt an der ,sinnlich-sittlichen Wirkung’ der Farben zeigte. Aber weil jede Seele frei ist, ihre Empfindungen entweder zu verflachen oder zu vertiefen und dann auch sonst in jede Richtung zu tönen, unmittelbar Weiteres daran anzuknüpfen etc. etc., erscheint es so, als seien sie ganz subjektiv. Ihr tiefstes Wesen ist aber gerade der heilige Zusammenhang mit dem Wahren und Schönen und auch Guten.
Die reine Seele also, und hier denke ich wieder bevorzugt an das Urbild des Mädchens, würde das Fühlen wieder auf sein Urphänomen zurückführen – diesen heiligen Zusammenhang. Die Empfindungen des Mädchens sind gerade deshalb wahr, weil es nichts von sich selbst hinzumischt ... und andererseits: weil es sich vollkommen hingibt, weil es alles von seinem Wesen hinzugibt. Aber eben keine Spur von Ego, die es nämlich gar nicht hat.
Der furchtbare Status Quo und das Mädchen
Wir stehen heute in einer Zeit, die die Seele fast völlig vernichtet hat. Es existieren keinerlei Fragen in diese Richtung, im Gegenteil – dieses Urbild des Mädchens wird heute von allen Seiten regelrecht verspottet, um nicht zu sagen gekreuzigt. Christus dagegen ist nicht einmal mehr ,Thema’, ist längst ad acta gelegt. Das Mädchen wird ihm bald folgen, eigentlich ist dies sogar schon geschehen. Es ist im Grunde nur noch lächerlich. Wir leben in einer Zeit, in der es nur noch um eines geht: ,Performance’ (Wahrnehmung) und ,Genuss’ (Gefühl-Willensbereich).
Und dann die ganzen Pseudowahrheiten: Dass der Kapitalismus alternativlos sei. Dass China der Feind sei, weil es den Westen in Grund und Boden konkurrieren wolle. Dass überhaupt China Macht haben wolle, im Gegensatz zum freiheitlichen Westen, der nichts anderes will, als sein Wohlstandsniveau zu verteidigen. Und währenddessen geht der Planet zugrunde, nicht nur vom Klima her, sondern auch in Bezug auf intakte Natur, Artenvielfalt, die Böden, das Süßwasser, die Meere. Blind wird die täglich fortschreitende Zerstörung ausgeblendet, weil alles immer weiter dem Gott huldigt: Kapitalismus. Konkurrenz. Geopolitik.
Und phänomenologisch sollte man sich immer bewusst sein, was dies alles in jeder einzelnen Sekunde mit dem Fühlen macht...
Das Mädchen hat heute keine Chance mehr. Es ist nicht von gestern, es ist von vorgestern. Es ist lächerlich, es ist überhaupt nicht mehr lebensfähig. Und so ist es inzwischen mehr oder weniger ausgerottet. Man hat es geschafft: Es ist nicht mehr da. Außer vielleicht noch ein paar ewig-gestrige Mädchen, die verschlafen haben, was eigentlich Emanzipation ist. Nämlich die Verwirklichung des ,Ich-mache-was-ich-will’-Impulses. Aber was, wenn diese einzelnen, verspotteten Mädchen genau das tun, was sie aufrichtig wollen ... nämlich zart sich hineinleben in den tiefen Zusammenhang mit allem, sofern sie nicht zurückgestoßen werden?
Was, wenn diese Mädchen als einzige wahrmachen, wozu die Seele in heiligstem Sinne bestimmt ist? Nicht herauszufallen ... sondern im Gegenteil, alles Zerrissene wieder zu heilen, alles Traurige zu trösten, alles Finstere wieder licht werden zu lassen, alles Verhärtete wieder sanft, wieder empfindsam, wieder fühlend...? Und was, wenn die ganze Zivilisation auf das Gegenteil hinarbeitet, immer verrückter, immer wahnsinniger, immer besinnungsloser, immer gefühlloser? Allenfalls noch getrieben von einem immer selbstgerechteren Auserwähltheitsgefühl eines ,Wir sind die Guten’, das aber genauso weitermachen kann wie bisher, zumal man immerhin wenigstens jederzeit besser ist als ,die Anderen’. Ein Denken, das das Mädchen nicht einmal kennen würde, weil es nicht im Rechthaben lebt, sondern im Leiden und damit in der Wahrhaftigkeit...
Feigenblätter und Symptome
Und es mag sogar noch alles wahr sein. ,Wir’ mögen tatsächlich ,die Guten’ sein, besser jedenfalls als China, Russland, Nordkorea, Kolumbien, was-auch-immer. Aber das hilft kein bisschen weiter. Weil es alles nur Gedankenkämpfe sind. Weltbilder. Machtkämpfe. Aber ,wir’ sind nicht nur Demokratie, ,wir’ sind auch Kapitalismus – und als solches sind wir genauso schlecht wie alle anderen, und sogar schlechter, weil ,wir’ ihn bedingungslos vertreten. Des Weiteren ein Wohlstandsmodell vertreten, das im Moment den gesamten Planeten mehr als dreimal überfordert und allein schon dadurch vernichtet. Wir sind keineswegs die ,Guten’ – und können uns dies nur einreden, solange rein demokratiemäßig andere Staaten (!), denn nur darum geht es fortwährend, schlechter sind als ,wir’. Welch ein Feigenblatt!
Aber das Schlimmste ist nicht die Zerstörung des Planeten, sondern die Zerstörung der menschlichen Seele, wodurch auch Ersteres überhaupt erst möglich wird. Wir steuern zu auf eine Welt, in der die Minuten vorgegeben sind, in der eine Krankenschwester bei einem Kranken sitzen darf (nämlich gar nicht, sie hat die Kanülen zu wechseln und fertig). In der Menschen als Humanressourcen in einem mörderischen Konkurrenzkampf in ihren jeweiligen Jobs zu funktionieren haben (während man gleichzeitig ,Hierarchien abbaut’, der Chef einen duzt und umgekehrt) – und in ihrer Freizeit hunderte Fernsehkanäle und tausend andere Möglichkeiten haben, sich wieder tauglich zu machen. Die schlimmsten Hassnachrichten werden immer mehr blockiert und gelöscht werden, auf YouTube, auf Twitter, künftig vielleicht auch auf beliebigen Blogs, immer mehr werden bestimmte Äußerungen wahrscheinlich regelrecht strafbar werden – vielleicht irgendwann sogar die Aussage, dass Mädchen vom Wesen her anders sind als Jungen...
Aber all diese ,Maßnahmen’ sind nur Symptompfuscherei – sie berühren das Problem ja überhaupt nicht. Und das ist der Verlust der Seele, dessen Offenbarung unsere ganze Welt immer mehr ist. Nicht nur auf den Blogs, nicht nur in dem subtilen Kampf der Staaten gegeneinander, der Konzerne gegen Staaten, im Kapitalismus sowieso jeder gegen jeden – sondern auch in den Krankenhäusern, denn die Krankenkassen zahlen für neue Hüftprothesen, aber nicht fürs ,Rumsitzen’. Und Kinder haben schon mit sechs Jahren ein Smartphone, denn sie dürfen ja nicht ,außen vor’ sein, alle anderen haben ja auch eins. Wie man ja auch nur deshalb fliegt, weil es alle anderen auch tun und der Flieger sowieso startet... Und wieder ist man nur im Kopf, immer nur im Kopf – und nie, niemals geht es um die Seele. Denn wen interessiert die Seele? Für die Seele haben wir gar kein Geld, und sie generiert ja auch keines, also soll sie sich mal schön bescheiden, diese Seele, albern...
Und die Anthroposophie?
Wie steht nun die Anthroposophie da, worauf soll sie hinweisen? Das komplette ,Lehrgebäude’ nimmt man doch überhaupt nicht mehr ernst – das ist sozusagen nur noch ,Spielwiese für Spinner’.
Wenn Rudolf Steiner von der Sehnsucht der Seele selbst spricht, so ist selbst das heute überhaupt keine fassbare Realität mehr. Das Materielle und das Selbstbezogene haben die Seele derart über- und weggeschwemmt, dass man eine Sehnsucht, die eventuell noch existieren würde, gar nicht mehr empfinden kann. Man empfindet vielleicht noch die Sehnsucht nach dem nächsten Urlaub, aber das ist auch alles!
Die Aufgabe heute kann nur sein, den Wahnsinn in Worte zu fassen. Den täglichen Wahnsinn, den wir mit allem Einzelnen der menschlichen Seele antun. Es beginnt mit der Pseudo-Objektivität der ,Tagesschau’ und es endet noch lange nicht mit der Unmöglichkeit für eine Krankenschwester, heute noch am Bett irgendeines Patienten zu sitzen! Es endet mit dem Tod der Seelen, der spätestens dann besiegelt wird, wo die Sechsjährigen ein Smartphone in die Hand gedrückt bekommen. Das alles sind nur die Spitzen der Eisberge, das Problem ist gigantisch – und man hält heute alles, alles für normal, weil man eben bereits so abgestumpft ist, dass man gar nicht mehr begreifen kann, was geschieht. Mit dem Denken erst recht schon längst nicht mehr, da ist gar kein Zugang mehr, aber nicht einmal mehr mit der Empfindung – denn auch sie wird bis ins Letzte korrumpiert.
Und so ist dann freie Bahn für die Gegenmächte, wirklich sperrangelweit freie Bahn...
Der Sturz des Fühlens (!) in die isolierte Leere
Menschen mit inneren Fragen sind schon seit langem nur noch einzelne Einsame. Aber man muss sich fragen, woran das liegt. Es liegt an dem Sturz in das Materielle. Früher war die Existenz zumindest einer nachtodlichen Welt etwas Selbstverständliches. Und noch zu Steiners Zeiten hat man sich zu philosophischen Fragen umfassend Gedanken gemacht, haben viele unmittelbar gewusst, dass das Materielle nicht alles ist. Heute ist das Christentum ,Auslaufmodell’ geworden, Spiritualität völlige Privatsache. Die meisten Menschen leben mit der Vorstellung: ,Nach dem Tod ist Ende.’ Oder auch: ,Ignorabimus, also interessiert es mich auch nicht.’
Tatsache ist, dass alles die Seele früher noch mit tieferen Fragen verbunden hatte: das härtere, entbehrungsreichere Leben, vermehrte Schicksalsschläge, eine stets nahe Natur und natürlich die noch sehr starke Verbindlichkeit des Religiösen. Heute dagegen regiert nur noch die Macht des Faktischen: Engste Einbindung ins Berufliche und im Übrigen die Freizeit, in der sich der Mensch in den Konsum von Materiellem, Virtuellem und Sinnesreizen stürzt. Selbst die Natur bedeutet nur noch wenigen Menschen etwas Tieferes. Religion degenerierte schon vor Jahrzehnten zum bloßen ,Fach’ in der Schule, dann wurde es zur bloßen ,Ethik’ – und heute existiert glaube ich nicht mal mehr das. Der Mensch ist in die Freiheit entlassen, aber hier gilt dann das schlichte ,Aus den Augen, aus dem Sinn’, weil eben die Macht des Materiellen so ungeheuerlich angewachsen ist, zu einer Flut, einem Orkan, der alles mit sich reißt.
Es war nicht das Denken, das früher noch stark mit etwas ungreifbar, aber ganz real vorhandenem Wesentlichem verbunden war. Es war das ganze Lebensgefühl. Man hat es gefühlt. Und allein schon das Phänomen, dass man früher etwa in den Bergen auch den ganz unbekannten Mitmenschen noch grüßte, während man heute wortlos aneinander vorbeigehen kann (weil man ,das nicht mehr macht’, die Welt bereits derart anonym geworden ist), spricht Bände. Selbstbezug, Ignoranz und Anonymität nehmen galoppierend zu. Damit aber verschwindet das wirkliche Fühlen vollständig. An seine Stelle tritt das pure Selbstgefühl, das mit nichts außerhalb mehr tiefer verbunden ist – nur noch das wahrnimmt, worauf es persönlich ,Lust’ hat. Der entsprechende Wahrnehmungsmodus aber ist dann ,Konsum’ und nicht Hingabe.
Ich sehe heute schon Zwölfjährige, die in keinen Film mehr eintauchen können, sondern sich amüsiert über Darsteller, Filmfehler etc. unterhalten. Die Fähigkeit zu einer aufrichtigen Identifikation der Seele ist gar nicht mehr vorhanden, entwickelt sich auch nicht. Wie will man da erst recht in so etwas wie eine Blume eintauchen? Sie interessiert überhaupt nicht mehr.
Denken oder Fühlen – was ist not-wendiger?
Solchen Menschen braucht man auch später mit ,Erkenntnistheorie’, ,Entwicklung des Denkens’ etc. gar nicht erst kommen. Sie haben weder Geduld noch auch nur den Ansatz von Interesse, sich in so etwas wie reine Wahrnehmung und reine Gedanken bzw. Begriffe zu vertiefen oder auch nur zu versetzen. Sie kommen aus der Haltung ,Wozu soll das gut sein?’ gar nicht heraus, und die ,Sinnesänderung’ unbefangener, stiller Hingabe an die innere Beobachtung, die überhaupt erst einmal ein inneres Stillwerden, ein Herauskommen aus dem Konsum-Modus, erfordert, ist ihnen viel zu anstrengend, gar nicht möglich, sie wissen gar nicht, was sie machen sollen – und wollen es auch gar nicht.
Das Grundphänomen aber ist immer und immer wieder der Tod alles zarteren Empfindens. Jene zarte Hingabe, die im wahren Fühlen leben würde. Sie sind restlos ausgerottet. Denn viel wichtiger ist ja die Frage, was das neueste iPhone 15 kostet, wann es herauskommt, ob die frisch gegelten Haarsträhnen noch sitzen, ob man auch sonst ,cool’ und lässig genug ,rüberkommt’ und tausend andere Dinge. Und die Erwachsenen haben ihre Themen, die ganz genauso belanglos sind.
Und doch bräuchte es nur eine reine Empfindung, so rein wie ein Mädchenauge ... um zu begreifen, welcher Wahnsinn es ist, den wir stündlich reproduzieren. Wo die Krankenschwester keine Zeit hat, am Bett zu sitzen. Wo die Küken jetzt nicht mehr bei uns, sondern im Nachbarland geschreddert werden. Wo wir in den nächsten Sommerurlaub jetten, um uns wenigstens drei Wochen lang von sinnlosen Jobs zu erholen, während die Eisbären aussterben, weil jedes einzelne Tier schlicht ertrinkt, ohne Eis, um darauf zu laufen. Während die Mieten explodieren, die Rüstungsindustrie Hochkonjunktur hat – und die Imagebroschüren aller Art ebenso. Aber wie gesagt: dies nicht bloß gedanklich begriffen, sondern mit dem Herzen gefühlt. Das ist ein weltenweiter Unterschied.
In einem solchen Fühlen würde die Seele auf erschütternde Weise die Wirklichkeit wieder erreichen. Deswegen richten die Gegenmächte all ihre Kraft gegen dieses. Das Denken ist ihnen im Vergleich dazu regelrecht gleichgültig, denn sie wissen, und auch Steiner hat dies gesagt: Der Intellekt ist von der Wirklichkeit längst abgeschnitten. Und auch die tiefer denkenden Seelen werden sich, sobald es ins Denken geht, niemals einig werden, vielleicht noch über die Katastrophe, aber nicht über die Wege heraus. Jeder Denker ein Weg, und so kommt nichts zustande. Erstaunlicherweise wäre gerade das wahrhafte Fühlen das Verbindende, das Vereinigende. Denn das aufrichtige Leiden macht die Seele weicher, tief aufgeschlossen auch für andere Wege, für das wahrhaft sich Zusammenschließende, für Harmonie als solche.
Kein einziges Denken kann aus der Katastrophe herausfühlen, sondern nur ein reines Fühlen – und dasjenige Denken, das daran anschließen kann. Sich wirklich vereinend, nicht nur gedanklich und weil es ,an der Zeit’ ist, sondern ganzmenschlich, geradezu heilig. Aber all dieses Substanzielle, grenzenlos Wesentliche, lebt im Fühlen. Und stirbt dort, weil die Gegenmächte es ausrotten.
Das Mädchen und die Anthroposophen
Das Mädchen als Gestalt ist keine Marotte von mir. In meinen Romanen wird dieses ganze Reich des Fühlens unendlich erlebbar. Eine Welt, die die Seele verloren hat. Beim Denken anzusetzen, reicht längst nicht mehr. Meine Bücher sind natürlich voller Gedanken, dieses Element ist ganz und gar vorhanden, in aller Bewusstseinshelle und Klarheit. Aber es geht um etwas viel Tieferes. Und dies ist zugleich etwas, zu dem jede Seele Zugang hätte, denn es geht um die tiefste Sehnsucht – nach dem Guten und nach dem Ganzen. Der Weg des Denkens ist für wenige Seelen. Jede Seele aber kann jenen Weg gehen, der von ihrem Zentrum ausgeht. Wenn sie einmal alles fallenlässt und nur noch aufrichtig ist... Meine Bücher machen erlebbar, was das eigentlich ist; wie das geht, wie sich dieses Reich anfühlt, dieses heilige Mysterium, dieses so unendlich Verlorene...
Und die Anthroposophen? Auch sie verharren in ihren Kreisen, mit lauter schönen Spezialthemen und entsprechenden Vorträgen, Seminaren, Kursen, Veranstaltungen. Fast immer hat es Nischencharakter. Und bleibt im Gedanklichen. Schon vom Ansatz her, denn man weiß ja: Anthroposophie ist ein Denk-Weg. Wunderbar. Aber was hilft es? Es ist nicht mal mehr vermittelbar, was es helfen sollte. Ganz abgesehen davon, dass Millionen allenfalls denken: ,Denk-Weg, toll! Damit auch ich nachher an Atlantis glaube, an Sonne und Sterne als Löcher im Weltall, an aussterbende Rassen, an ein sich überlebt habendes Judentum und an die Waldorfschulen mit Namentanz und Häkelei?’ Aber selbst wenn man es auf anderer Ebene verstünde, das Denken als Zugang zu höherer Erfahrung, bleibt die Frage: wozu nun eigentlich?
Ich höre von Anthroposophen eigentlich niemals, dass das Fühlen vernichtet wird, und zwar geradezu frontal. Natürlich gibt es diverse Artikel über die Folgen der virtuellen Welten. Aber dass es keineswegs nur die virutellen Welten sind, sondern ein Gesamtphänomen und ein Gesamtangriff – wann hört oder liest man so etwas überhaupt jemals? Es scheint, als hätten die Anthroposophen selbst einen gigantischen blinden Fleck. Ist das so, weil sie immer noch ihren Denk-Weg für den rettenden oder alleinseligmachenden halten? Oder weil es zumindest ihr eigener Ausweg ist, sozusagen das Rettungsboot der Titanic, auch wenn diese viel zu wenige hat? Die ganz persönliche Erlösung, immer schon gefunden? Und wenn die anderen ihr nicht folgen – selbst schuld? Oder aber Menschheitstragik?
Aber die Menschen können ihr nicht folgen. Selbst die Grundlage ist längst weggebrochen – das Fühlen der Seele. Ohne diese Grundlage ist auch Anthroposophie gar nicht mehr möglich. Aber die Angriffe der Gegenmächte gegen die Anthroposophie waren immer nur Nebenschauplatz, auch die Anthroposophie ist für sie letztlich eine Belanglosigkeit. Der Hauptorkan galt immer und gilt nach wie vor der Vernichtung des menschlichen Zentrums ... der reinen Empfindung. Dem Fühlen als heiligem Mittelpunkt von allem.
Die Gegenmächte und das Urphänomen
Das ist gleichsam das Urphänomen: Die Gegenmächte bekämpfen das Fühlen, indem sie es entweder völlig vernichten oder so machtvoll wie möglich in sich selbst hineinstauchen – zum Selbstgefühl. Dafür ist ihnen alles recht: Materielles, Virtuelles, Intellektuelles und anderes mehr...
Ich würde auch gerne etwas anderes schreiben und mir wünschen, dass es nicht so wäre. Aber sobald man sich umschaut und die Augen aufmacht, sieht man es. Unmittelbar. Geschult natürlich auch durch die Begriffe der Anthroposophie ... aber ebensosehr von dem Mädchen. Denn das Mädchen sieht es ebenso ... nur auf seine Weise, mit dem Herzen...
Diese Welt rast mit jedem Jahrzehnt mehr auf ein ungeheures Chaos und eine ungeheure Katastrophe zu. Und selbst wenn es gelänge, die vielen einzelnen Katastrophen wider Erwarten irgendwie noch zu bewältigen, intellektuell oder sogar mit ansatzweise beginnender Vernunft – was würde all dies nützen, wenn die Seele dennoch weiter und weiter schwindet? Immer mehr den Zusammenhang verlierend. Immer mehr die Hingabe. Immer mehr die wirkliche Liebe zu allem, die ihr schon jetzt so unendlich verlorengegangen ist, weil das ,Peak-Bewusstsein’ das völlige Gegenteil ist und Liebe immer tiefe Hingabe bedeutet...
Der Verlust aller zarten Regungen und Kräfte der Seele, wie sie in einem reinen, unschuldigen Fühlen leben, ist das Urphänomen. Dahinter stehen absolut reale Prozesse. Man kann genau beobachten, wie dies geschieht. Es liegt alles offen zutage.
Die Seelen befinden sich in einer Sackgasse. Und sie werden ihren eigenen Verlust nicht einmal begreifen, weil sie unwillig werden werden, bevor sie begreifen könnten. Sie werden die Sackgasse weiter ,lieben’, weil sie ihr eigenes ,Peak’-Bewusstsein viel zu sehr ,lieben’ – und die Alternative weder kennen noch überhaupt Lust hätten, sich auch nur auf den Weg dorthin zu machen. Aufzubrechen ... und auszubrechen aus dem Bisherigen, ihrer ganzen Gefangenschaft. Damit aber ist die gesamte Welt in einer Sackgasse, die sich immer weiter zuziehen wird.
Gerettet werden könnte die Welt nur durch eine neue Unschuld – wie sie das Mädchen lehren würde. Aber man verlacht es ja. Man verlacht seine Lehre. Und man wird es weiter kreuzigen – wie die eigene Seele. Selbst im Angesicht der Katastrophen wird man auf das ,Peak’-Bewusstsein nicht verzichten wollen und immer anderen die Schuld geben. Aber schuld ist nichts anderes ... es ist exakt dieses Bewusstsein. Die Katastrophe ist man selbst. Denn man hat den Zusammenhang verloren. Intellektuell kann man das bis zuletzt anders sehen. Aber der wirkliche Zusammenhang lebt im Fühlen ... und lebt in der Hingabe. Wenn man wahrhaftig wäre, könnte man es empfinden. Oder sich der zarten Lehre des Mädchens anvertrauen.
Und dies wäre die Rettung.