25.02.2024

Das Mädchen ist die Wandlung

Die Fehlstelle auch in Anthroposophie und Christengemeinschaft.


Einem sehr lieben Menschen schrieb ich folgende Zeilen, deren Gedanken mir so zentral erscheinen, dass ich sie hier veröffentlichen möchte. Sie sind gleichsam ein ,persönlich-überpersönliches’ Zeugnis, das mir zugleich zu offenbaren scheint, wo die Welt steht – die gesamte Welt unserer Zeit.

Das Alte

Ich habe mich von der Christengemeinschaft im Laufe der letzten zwölf Monate eigentlich gelöst, was nach fast 28 Jahren treuer Begleitung natürlich ein schmerzlicher Prozess war. Im jüngsten Gemeindebrief wurde das Heilig-Unwandelbare des Kultustextes groß herausgestellt und mitgeteilt, dass man eine winzige Stelle habe ändern müssen, weil sie wohl mit den ursprünglichen Intentionen mehr übereinstimmt, nämlich das Stehenbleiben des Zelebrierenden während der Opferung ganz in der Mitte.

Nun widerspricht das Unwandelbare aber dem Prinzip der Wandlung... Was mich letztlich innerlich Abschied nehmen ließ, ist das Problem, vor dem das gesamte Christentum steht, nämlich die patriarchale Tingierung, die bis in den absoluten Kern reicht. Die göttliche Welt ist schlicht männlich konnotiert, und auch die Christengemeinschaft kommt da nicht heraus. Denn Jesus selbst hat uns die Worte in den Mund gelegt, und es beginnt beim Vaterunser. Es setzt sich fort bei dem Sohn. Und es endet bei dem Heiligen Geist. Eine männliche Trinität!

Das kann ich einfach nicht mehr. Auch nicht mit ,väterlichem Urgrund’ etc. Da ist nichts Weibliches. Und in der Mitternachtshandlung der Weihnacht wird jedes Mal wieder das ganze männliche ,Zeugungsregister’ heruntergesprochen, das tut mir inzwischen regelrecht physisch weh.

Ganz ähnliche Gründe haben mich von Rudolf Steiner Abstand nehmen lassen. Er spricht unter anderem davon, dass der Urmensch eigentlich weiblich gewesen sei (während auch ,Adam Kadmon’ dann wieder sehr patriarchal konnotiert ist!), der Zukunftsmensch dagegen eigentlich männlich sein werde, worauf etwa auch die Tatsache hinweise, dass das Zukunftsorgan Kehlkopf beim Mann bereits so deutlich hervortrete. Solchen Un-Logiken kann ich mich nicht im Geringsten mehr anschließen. Und wenn in ferner Zukunft die Frauen leiblich zeugungsunfähig werden, weil die ,Leiber zerfallen’, so wird insbesondere der Mann mitsamt Kehlkopf längst zerfallen sein, lange vor der Frau.

Die ganze Engelwelt ist dann erneut männlich, Gabriel, Raphael, Michael. Bei den Gegenmächten setzt sich das fort. Luzifer, Ahriman. Das Weibliche kommt eigentlich nirgendwo vor, es ist so eine unglaubliche Einseitigkeit. ,Sophia’ ist dann natürlich das Alibi, aber das reicht mir einfach nicht, die ganzen Imaginationen stimmen hinten und vorne nicht – sie mögen stimmen, aber die wesentliche Hälfte fehlt, das ist der Punkt.

Das Mädchen

Für mich ist die völlige Polarität zum Mann das Mädchen. Überhaupt zeigt sich doch, dass das Jugendliche eigentlich der Zukunftszustand schlechthin ist. Und wenn Novalis ein so großer Verkünder der Zukunft war – was er war! –, so zeigt sich hier erneut, dass der Zukunftszustand der Menschheit eigentlich die Jugend ist – bzw. wäre. Ursprung also meinetwegen Adam Kadmon, ein noch sehr undifferenziertes, schlafendes, so gesehen ,plumpes’ kosmisches Wesen. Die Zukunft das kosmische Mädchen... Ein von absoluter Liebe zu allem durchdrungenes Wesen, dessen Mitte ein echtes Herz ist.

Ich glaube, das Mädchen ist die Zentral-Imagination meines Lebens. Inzwischen habe ich darüber auch unzählige Bücher geschrieben, so z.B. ,Die Erlöserin’, ,Christi Schwester’, ,Mädchenland’, ,Das Jahr des Mädchens’, ,Der Weg des Mädchens’ und zuletzt ,Die Unschuld stirbt zuerst’.

Für mich ist die Unschuld zugleich der höhere Zukunftszustand. In einer sehr auf das Denken ausgerichteten Anthroposophie geht dieser Aspekt so sehr unter, dass dies erneut zu einer extremen Fehlstelle wird. Man begreift nicht, wie sehr der Intellekt nicht nur zu einem reinen Denken hin, sondern auch zu einem reinen Herzen hin überwunden werden muss. Ich formuliere es oft so: Die Herzen sollen lernen, Gedanken zu haben. Aber beim Mädchen (ich meine immer die Idealgestalt, wie sie das Märchen kennt) haben sie dies schon! Und Schillers Zeilen ,Suchst du das Höchste...’ würde ich stets abwandeln zu: ,...das Mädchen kann es dich lehren’.

Die Leerstelle

Das moderne Bewusstsein ist immerhin dahin gekommen, unter falschen Abwertungen zu leiden und diese als solche zu erkennen. Wir können inzwischen Rassismus, Sexismus, Homophobie, sogar Klassismus usw. benennen. Aber wir sind noch ganz geprägt von einem ,Ageismus’ oder auch ,Adultismus’, der das ,Erwachsene’ überhöht und das ,nicht Erwachsene’, ,Minder-jährige’ subtil, aber machtvoll abwertet.

,Erwachsen’ ist nur, wer ,sein Denken im Griff’ hat; wer rational abwägen, die Konsequenzen seines Handelns überschauen etc. etc. könne. Kann es sein, dass diese ,Erwachsenen’ bereits etwas sehr Wesentliches verloren haben, was das Mädchen aber noch hat? Und warum war es ausgerechnet ein Mädchen, das die gesamte Welt für die Klimakatastrophe wach gemacht hat? Warum wohl? Weil alles Denken nichts nützt, wenn das Fühlen nicht die entscheidende Zentralkraft bleibt. Auch Steiner hat diesen Bereich in seiner Anthroposophie sträflich vernachlässigt – deswegen ist die anthroposophische Bewegung heute so gespalten in sehr intellektuelle Strömungen und in passiv-gefühlsmystische Strömungen. Aber daneben hat er das Ideal des ,Erwachsenen’ ja vorgegeben, weil er stets den Eindruck des Souveränen, Allwissenden erweckte, der eigentlich nie irgendeine Schwäche zeigte – auch hier eigentlich in allem das Gegenbild des Mädchens. Und so ist auch in der Anthroposophie dieses ganze Reich abgespalten, obwohl es, wie ich nur betonen kann, reine Zukunftskraft ist.

Das Mädchen ist die Leerstelle der gesamten heutigen Welt. Nicht nur des Kapitalismus, der Geopolitik, auf der anderen Seite der Verschwörungstheorien, überhaupt des Schwarz-Weiß-Denkens, auch aller möglichen spirituellen Strömungen, die allzu schnell ,in den Geist’ wollen, auch aller Hektik, Schnelligkeit, aller Ausbeutung, Selbstoptimierung, Selbstdarstellung. Das Mädchen ist reine Wandlung. Die ganze Welt würde sich wandeln, wenn sie das Mädchen ernst nähme.

Die Zukunft

Das Christentum wird leider an diesen Widersprüchen leise und schleichend zugrunde gehen. Denn Männliches hatten wir einfach schon genug – es reicht... Es bietet keine wirkliche Perspektive, gehört einfach immer mehr zum Alten. Wenn ,der Sohn’ das Wandelnde schlechthin sein soll, ausgehend von einem ,väterlichen Urgrund’, wird das gerade die wahrhaftigsten Seelen nicht mehr überzeugen, nicht einmal mehr berühren, und das aus gutem Grund. Wir leben in einer Welt, die in männlichen Prägungen regelrecht ertrinkt. Und weit und breit ist nichts in Sicht, was dies radikal sichtbar machen würde – um zu begreifen, wie tief dies geht.

Ich kann ,dem’ Christus nicht mehr folgen. Ich folge schon seit vielen Jahren dem Mädchen. Es ist für mich die wahre Verkörperung eines Christuswesens, das reine Liebe wäre – und das keinen Vater hat, auch keine Mutter, weil es alles zugleich wäre, Urgrund-Weisheit-Liebe-Unschuld-Zukunft. Und die ,reine Adamseele’ hat ebenfalls das Wesen des Mädchens. Und möglicherweise war einer der ,zwei Jesusknaben’ in Wirklichkeit ebenfalls ein Mädchen und es wollte nur niemand glauben... Aber selbst der ,nathanische Jesus’ durfte am Ende ja nur die ,Leibeshülle’ abgeben, während das viel männlichere Zarathustra-Ich schließlich die entscheidende Rolle übernahm. Für mich fehlt bei alledem so unglaublich viel, dass es kaum in Worte zu fassen ist. Es ist einfach nicht wahr. Die Wahrheit ist eine andere. Aber sie hat keine Stimme. Oder: ihre Stimme ist so leise, dass sie von anderen ,Erzählungen’ stets mühelos übertönt wird. Und sie lässt es zu...

Es ist die Tragik, aber auch das Wesen des Mädchens. Es ist die Zukunft. Und es muss warten...