Bücher (Auszüge)
Gedanken über das Göttliche
Gedanken über Gott und die Welt des Göttlichen. Überschriften H.N.
Innige Stille
Gott erfahren
Innige Stille
Und die Stille in den verlassenen Kirchen. Da sitz ich oft ganz allein und die Tränen kommen mir aus Glück über die innige Stille [...]. [...] dies müsste ich ums Herz haben dürfen ein halbes Jahr. Selbst in den paar Augenblicken verwandelt mich's, gibt mich mir zurück, und man bekommt sich ja immer gesteigert wieder.
Rainer Maria Rilke, 1920, an Lou Andreas Salomé. [o]
Gott erfahren
Glauben! - Es gibt keinen, hätte ich fast gesagt. Es gibt nur - die Liebe. Die Forcierung des Herzens, das und jenes für wahr zu halten, die man gewöhnlich Glauben nennt, hat keinen Sinn. Erst muss man Gott irgendwo finden, ihn erfahren, als so unendlich, so überaus, so ungeheuer vorhanden -, dann sei's Furcht, sei's Staunen, sei's Atemlosigkeit, sei's am Ende Liebe, was man dann zu ihm fasst, darauf kommt es kaum noch an, aber der Glaube, dieser Zwang zu Gott, hat keinen Platz, wo einer mit der Entdeckung Gottes begonnen hat, in der es kein Aufhören mehr gibt.
Rainer Maria Rilke, 18.12.1921, an Ilse Blumenthal-Weiß. [o]
Die landläufige Frage, 'ob einer an Gott glaube', scheint mir aus der falschen Voraussetzung hervorzugehen, als ob Gott auf dem Wege menschlicher Anstrengung überhaupt zu erreichen sei; denn immer mehr ist dem Begriff 'Glauben' die Bedeutung von etwas Mühsamem zugewachsen, ja sie hat gerade innerhalb des christlichen Bekenntnisses einen Grad angenommen, der befürchten ließe, dass eine Art Unlust zu Gott der ursprüngliche Zustand der Seele sei. Nichts aber ist weniger zutreffend. Nehme jeder den Moment wahr, da der Verkehr mit Gott sich ihm in unbeschreiblicher Hinreißung eröffnet; oder knüpfe er an einen solchen oft unscheinbaren Augenblick an, da er zuerst, unabhängig von den Einflüssen seiner Umgebung, ja oft im Widerspruch zu ihr, von Gott ergriffen war.
Die meisten kommen nicht auf die Idee, es könnte sich da um ein religiöses Faktum handeln, eben weil sie schon dazu erzogen sind, religiöse Anstöße nur innerhalb der allgemeinen Vereinbarung zu empfangen, nicht dort, wo ihr Einsamstes und Eigenthümlichstes berührt ist.
Rainer Maria Rilke, Frühjahr 1920, an ein junges Mädchen. [o]