Rainer Maria Rilke: Lieder der Mädchen und andere Gedichte

aus: Rainer Maria Rilke: Mir zur Feier. 1898ff. | Quelle.

Lieder der Mädchen


Wenn die blonden Flechterinnen

Wenn die blonden Flechterinnen
gehn im Glanz des Abendlands:
sie sind alle Königinnen
und ersinnen und beginnen
ihren eignen Kronenkranz.

Denn das Licht, darin sie leben,
ist ein großes Gnadengeben -
und es kommt von ihnen her,
und das Stroh, das sie zersträhnen,
trank von ihren Mädchentränen -
und es wurde Gold und schwer.


Eh der Garten ganz beginnt

Eh der Garten ganz beginnt
sich der Güte hinzugeben,
stehn die Mädchen drin und beben
vor dem zögernden Erleben,
und aus engen Ängsten heben
sie die Hände in den Wind.

Und sie gehn auf scheuen Schuhn,
als ob sie die Kleider pressten;
und das sind die ersten Gesten,
die sie im Gefühl von Festen
ihrem Traum entgegentun...


Die Zeit, von der die Mütter sprachen

Mädchen singen:

Die Zeit, von der die Mütter sprachen,
fand nicht zu unsern Schlafgemachen,
und drin blieb alles glatt und klar.
Sie sagen uns, dass sie zerbrachen
in einem sturmgejagten Jahr.

Wir wissen nicht: Was ist das Sturm?

Wir wohnen immer tief im Turm
und hören manchmal nur von fern
sie Wälder draußen wehn;
und einmal blieb ein fremder Stern
bei uns stehn.

Und wenn wir dann im Garten sind,
so zittern wir, dass es beginnt,
und warten Tag um Tag -

Aber nirgends ist ein Wind,
der uns biegen mag.


Wir sind uns alle schwesterlich

Und singt:

Wir sind uns alle schwesterlich.
Aber Abende sind, da wir frieren
und einander langsam verlieren,
und eine jede möchte ihren
Freundinnen flüstern: Jetzt fürchtest du dich..

Die Mütter sagen uns nicht, wo wir sind,
und lassen uns ganz allein, -
wo die Ängste enden und Gott beginnt
mögen wir vielleicht sein...

Gebete der Mädchen zu Maria


Schau, unsre Tage sind so eng

Schau, unsre Tage sind so eng
und bang das Nachtgemach;
wir langen alle ungelenk
den roten Rosen nach.

Du musst uns milde sein, Marie,
wir blühn aus deinem Blut,
und du allein kannst wissen, wie
so weh die Sehnsucht tut;

du hast ja dieses Mädchenweh
der Seele selbst erkannt:
sie fühlt sich an wie Weihnachtsschnee,
und steht doch ganz in Brand...


Von so vielem blieb uns der Sinn

Von so vielem blieb uns der Sinn,
gerade von dem Sanften und Zarten
haben wir irgendein Wissen:
wie von einem geheimen Garten,
wie von einem samtenen Kissen,
das sich uns unter den Schlummer schiebt,
wie von etwas, das uns liebt
mit einer verwirrenden Zärtlichkeit, -

aber viele Worte sind weit.

Viele Worte sind aus den Sinnen entflohn
und aus der Welt.
Haben sich horchend um deinen Thron,
wie um einen steigenden Ton,
Mutter Maria, gestellt;
und dein Sohn
lächelt sie an:

Sieh deinen Sohn.


Gestern hab ich im Traum gesehn

Gestern hab ich im Traum gesehn
einen Stern in der Stille stehn.
Und ich fühlte: Madonna sprach:
Diesem Stern in der Nacht blüh nach.

Und ich nahm alle Kraft zu Rat.
Grad und schlank aus des Hemdes Schnee
streckte ich mich. - Und das Blühen tat
mir auf einmal weh...


Und in allen Jahren war ich feierlich und froh

Und in allen Jahren
war ich feierlich und froh
wie die schönen Engelscharen,
die um deine Wunder waren:
... meine Mutter glich dir so...

Und ich bin erst traurig, seit
ihre Küsse mir verblassten;
und mein Horchen und mein Hasten
und mein Ahnen ist ein Tasten
nach der neuen Zärtlichkeit.


Sie sagen alle: Du hast Zeit

Sie sagen alle: Du hast Zeit,
was kann fehlen, Kind? -
Mir fehlt ein goldenes Geschmeid.
Ich kann nicht gehn im Kinderkleid,
wenn alle schon so brautbereit
und hell und hellig sind.

Nicht fehlt mir, als ein wenig Raum,
ich bin in einem Bann,
und immer enger wird mein Traum.
Nur Raum, dass aus dem Seidensaum
ich hoch bis in den Blütenbaum
die Hände heben kann...


Ich aber fühle, wie ich wärmer und wärmer werde

Nach den Gebeten:

Ich aber fühle, wie ich wärmer
und wärmer werde, Königin, -
und dass ich jeden Abend ärmer
und jeden Morgen müder bin.

Ich reiße an der weißen Seide,
und meine scheuen Träume schrein:
Oh, lass mich Leid von deinem Leide,
oh, lass uns beide
wund von demselben Wunder sein!

Weitere Gedichte


Wir sind ganz angstallein

Wir sind ganz angstallein,
haben nur an einander Halt,
jedes Wort wird wie ein Wald
vor unserm Wandern sein.
Unser Wille ist nur der Wind,
der uns drängt und dreht;
weil wir selber die Sehnsucht sind,
die in Blüten steht.


Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.


Du darfst nicht warten, bis Gott zu dir geht

Du darfst nicht warten, bis Gott zu dir geht
und sagt: Ich bin.
Ein Gott, der seine Stärke eingesteht,
hat keinen Sinn.
Da musst du wissen, dass dich Gott durchweht
seit Anbeginn,
und wenn dein Herz dir glüht und nichts verrät,
dann schafft er drin.


Von den Mädchen (II.)

Mädchen, Dichter sind, die von euch lernen
das zu sagen, was ihr einsam seid;
und sie lernen leben an euch Fernen,
wie die Abende an großen Sternen
sich gewöhnen an die Ewigkeit.

Keine darf sich je dem Dichter schenken,
wenn sein Auge auch um Frauen bat;
denn er kann euch nur als Mädchen denken:
das Gefühl in euren Handgelenken
würde brechen von Brokat.

lasst ihn einsam sein in seinem Garten,
wo er euch wie Ewige empfing
auf den Wegen, die er täglich ging,
bei den Bänken, welche schattig warten,
und im Zimmer, wo die Laute hing. […]