Die eiserne Kanzlerin und die gelb-rot-grünen Lakaien der Katastrophe
Die Wahrheit und das absurde Theater am Vorabend der Entscheidung.
Wann macht ein Staat Schulden? Wenn er mehr ausgibt, als er einnimmt. Die Frage der notwendigen Ausgaben ist eine politische. Das, was eine Gemeinschaft an Ausgaben hat, ist politisch beschlossen, und wenn es vernünftig, sinnvoll und richtig ist, muss es nicht hinterfragt werden. Es geht nur darum, dass die Gemeinschaft auch die Mittel bekommt, die für die vernünftigen und notwendigen Ausgaben notwendig sind. Das heißt, es geht um die Einnahmenseite.
Der Staat muss nicht an sinnvollen und notwendigen Ausgaben sparen, sondern durch höhere Einnahmen die entsprechenden Mittel bekommen! Dies wiederum ist nur möglich, wenn der Staat die Einnahmen von denen fordert und erhält, die sie aufbringen können – die also ihrerseits mehr Geld haben, als sie ausgeben.
Verfolgt der Staat jedoch die falsche Spar-Ideologie, so lässt er diesen Reichen das eigentlich notwendige Geld und kürzt bei den eigentlich notwendigen Ausgaben. Damit aber haben alle, die dringend darauf angewiesen wären (Wirtschaft, Familien, Arbeitslose, Schulwesen usw. usw.), weniger Geld, als notwendig wäre. Wenn aber jeder weniger Geld als notwendig hat, dann kommt das Wirtschaftsleben zum Erliegen, es erstickt langsam und qualvoll. Niemand hat mehr Geld, es sammelt sich alles bei denen, die ohnehin mehr als genug haben. Wenn der Staat „spart“, erstickt die Gesellschaft – und damit auch der Staat, denn die Steuereinnahmen brechen notwendigerweise immer mehr ein.
Und so ist das Ansetzen auf der Ausgabenseite nahezu immer ein vollkommener Irrsinn. Doch den Spar-Ideologen fehlt für das Ansetzen auf der Einnahmenseite der politische Mut und die ökonomische Vernunft. So treiben sie unsere Gesellschaften in den Abgrund.
Die komplexen Regeln des Fiskalpaktes sind gespenstisch – und Auslegungssache neoliberaler Experten, wie ein Aufsatz von Stephan Schulmeister zeigt.
Das Schlimme ist, dass nicht nur der gesunde Menschenverstand, sondern auch ökonomische Modellrechnungen ganz klar zeigen, dass der mit dem Fiskalpakt verfolgte Weg katastrophal ist. Ich zitiere aus dem eben genannten Aufsatz:
Wie sehr die Unternehmen und damit alle Erwerbstätigen durch den Fiskalpakt Schaden nehmen werden, zeigt eine Simulationsrechnung mit dem Oxfordmodell (eines der renommiertesten ökonometrischen Weltmodelle). [...] Insgesamt würde das BIP im Euroraum zwei Jahre lang schrumpfen (besonders stark sinken die Brutto-Investitionen), die Arbeitslosenquote stiege von 10% auf fast 12% im Jahr 2014 [...]. [...] In Italien und Portugal würde das BIP im Durchschnitt bis 2016 schrumpfen und in Spanien stagnieren. Der EU-Fiskalpakt wird demnach die Kluft innerhalb des Euroraums vertiefen. Eine der Hauptursachen der Eurokrise wird so nicht überwunden, sondern verschärft. [...]
Gelänge es, durch Einführung von Eurobonds das Niveau der langfristigen Zinsen bei 2% zu stabilisieren (wie in den USA und in Großbritannien), so ergäbe sich in allen Euroländer, aber auch in der EU insgesamt und damit auch in der Weltwirtschaft eine viel bessere Entwicklung: Die Produktion würde sich schon 2013 merklich erholen, und zwar auch in Südeuropa. Die Inflationsrate bliebe bei 2% stabil, die Arbeitslosenquote würde im Euroraum auf etwa 9% sinken.
Stephan Schulmeister: EU-Fiskalpakt: Strangulierung von Wirtschaft und Sozialstaat.
Statt aber der makroökonomischen und menschlichen Vernunft zu folgen, exekutiert Angela Merkel den national-egoistischen (kurzsichtigen, auch Deutschland massiv schadenden) Kurs des „Sparens“ und der „individuellen Verantwortung“. Deutschland hat die anderen Länder durch seinen Niedriglohnsektor an die Wand gedrückt, aber die anderen Länder sind schuld, dass sie keine „strukturellen Reformen“ umgesetzt haben...
Es geht um Wirtschaftswachstum und Konkurrenzfähigkeit. Aber warum geht es um Konkurrenz? Warum geht es um die Frage, welcher Staat am besten den Arbeitszwang und die Ausbeutung unterstützt? Warum geht es nicht um die Frage, welcher Staat den gemeinsam erarbeiteten Wohlstand am gerechtesten verteilt? – Und warum geht es um Wirtschaftswachstum? Es gibt keinen einzigen vernünftigen Grund, warum die Wirtschaft überhaupt wachsen muss. Keinen einzigen. Unsere hochproduktive Wirtschaft produziert längst viel mehr, als wir brauchen. Das einzige Problem sind die wachsenden Schulden des Staates und vieler Unternehmen und Privatpersonen. Das aber ist wiederum ein reines Verteilungsproblem! Denn auf der anderen Seite wachsen die Gewinne und Vermögen...
Wir brauchen absolut kein Wirtschaftswachstum, wir brauchen ein Wachstum, eine Zunahme der gerechten Verteilung dessen, was schon in Überfälle da ist. Wir brauchen ein Wachstum der Einnahmen des Staates und der kleinen und mittleren Unternehmen und Haushalte. Dann ist wieder genug für alle da, dann kann auch wieder all das ausgegeben werden, was eigentlich notwendig ist, und dann würde auch die Wirtschaft wieder aufblühen. Wie kann sie aufblühen, wenn der Staat und dann die Bürger (oder umgekehrt) „sparen“ müssen, was immer eine Abwärtsspirale auslöst?
Wir müssen nicht sparen, sondern die Mittel bekommen, die schon da sind, uns aber im Moment vorenthalten werden, weil sie durch ungerechte Verhältnisse (bis hin zu systemischen Ursachen wie dem Zinseszins-Geldsystem) fortwährend an die falschen Orte fließen und sich dort sammeln, wo ohnehin schon eine Überfülle vorhanden ist. Immer aber entsprechen wachsende Vermögen an anderer Stelle wachsenden Schulden und angeblichem „Sparzwang“...
Diese ganz einfachen Wahrheiten missachtend, agiert Merkel als „eiserne“ Kanzlerin, die mit aller Gewalt auf den so irrsinnigen Sparkurs drängt und die nachweislich sinnvollen „Eurobonds“ – also eine gemeinsame, nahezu spekulationssichere Staatsfinanzierung – ablehnt („solange ich lebe“).
Das Entsetzende aber ist, dass die anderen Parteien außer der LINKEN diese ungeheuer schicksalsschwere Entscheidung leichtfertig mittragen und in einem grotesken Schauspiel diese schwere Schuld dem Wahlvolk zu verkaufen suchen.
Einmal mehr sei hier eine hervorragende Analyse der NachDenkSeiten zitiert:
Merkel bekräftigt knallhart ihren Standpunkt, dass es „solange sie lebe“ keine solidarische Haftung zwischen den europäischen Ländern gibt. Und wenn man bedenkt, dass der Fiskalpakt unkündbar ist, hat sie mit diesem Schwur gar nicht so unrecht. Mit ihr gebe es auch keine aktive staatliche Konjunkturpolitik („Wachstum auf Pump“). Wachstum – so ihr Dogma – werde nur durch Deregulierung des Arbeitsmarktes und Sozialabbau („Strukturreformen“) generiert, nur so werde langfristig die Wettbewerbsfähigkeit Europas gesichert werden können. [...]
Ganz Europa müsse sich an der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen messen lassen. Man müsse die Wettbewerbsfähigkeit an den Besten in Europa und in weltweitem Maßstab messen, sagte Merkel. [...]
Den Vorschlägen von EU-Ratspräsident Van Rompuy, EU-Kommissionspräsident Barroso, Euro-Gruppenchef Juncker und dem Zentralbankpräsidenten Draghi z.B. für eine Bankenunion mit gemeinsamer Aufsicht oder einen Einlagensicherungsfonds erteilte die Kanzlerin eine glatte Absage, die in Form und Inhalt jeden diplomatischen Umgangston vermissen lässt. Sie kanzelt die Vierergruppe geradezu als Weicheier ab. [...]
Frank-Walter Steinmeier von der SPD und die haushaltspolitische Sprecherin der Grünen, Priska Hinz, hatten am Grundkurs der Kanzlerin nur wenig auszusetzen. Sie übten sich einmal mehr im Selbstlob darüber, was sie der Regierung angeblich alles abgerungen haben, um ihr die notwendige Zweidrittel-Mehrheit zu verschaffen. Über den Fiskalpakt und über den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) selbst verloren beide Parteien kaum ein kritisches Wort mehr.
Priska Hinz heftete sich die vage Zusage einer Transaktionssteuer ans Revers. Und obwohl sie die Regierungserklärung hätte eines Besseren belehren müssen, sprach sie von einer „Kurskorrektur“ der Kanzlerin. Das einseitige Spardiktat gehe zu Ende, ja die grüne Hinterbänklerin träumte von einer „Kehrtwende bei Steuersenkungen“ und sogar von einem „Investitionsprogramm“. Mehr parteipolitischer Selbstbetrug geht wohl kaum noch.
Steinmeier mäkelte – wie gewohnt – an Merkel nur herum. Er blies die Backen auf, dass ein Ende „der Schneise der Verwüstung“ nicht in Sicht sei und dass die Kanzlerin nicht „Teil der Lösung, sondern Teil des Problems“ sei. [...] Die Rechtskonstruktion des Fiskalpakts neben und außerhalb des europäischen Institutionensystems müsse die „absolute Ausnahme“ bleiben. Es dürfe nicht sein, dass das Nachdenken über die Zukunft Europas „allein in den Händen der Exekutivvertreter“ liege. Obwohl Fiskalpakt und ESM genau das vorsehen, will Steinmeier seiner Fraktion empfehlen diesen Vertragswerken zuzustimmen. [...]
Brüderle von der FDP tat wieder einmal das, was er am besten kann, er senkte die Debatte auf Stammtischniveau. [...] n chauvinistischer Manier „kauderte“ Brüderle, dass es so viel „deutsche soziale Marktwirtschaft“ in der EU noch nie gab und dass die „deutsche Stabilitätskultur“ nunmehr „europäisiert“ werde. Die deutsche Oma solle nicht mit ihrem Sparbuch für die Investmentbanker in anderen Ländern haften müssen. Mit „Schuldensozialismus“ sei niemand gedient.
Da nutzte es nichts, dass Gregor Gysi von der Linksfraktion zurecht darauf hinwies, dass wenn man die Aussagen Brüderles ernst nähme, im Bundestag nur „Sozialisten“ säßen, weil die Schulden schon längst vergemeinschaftet seien, indem z.B. der deutsche Anteil an den Kapitaleinlagen in den EMS in Höhe von 27 Prozent schließlich auch vom deutschen Steuerzahler aufgebracht werden würden. Der Unterschied zu den wirklichen Sozialisten in der Linken sei der, dass diese lieber die Banken vergemeinschaften wollten, statt die Schulden der Banken zu vergemeinschaften, wie das die anderen Parteien wollten. [...] Mit seinen Forderungen, dass die Löhne in Europa angeglichen werden müssten oder die Steuern auf ein angemessenes Niveau angehoben müssten und mit seiner Warnung, dass der Bundestag zentrale Befugnisse an die Exekutive abgebe, blieb er ein einsamer Rufer in der Wüste.
Es ist nur noch ein Trauerspiel, wie im deutschen Bundestag über eine wirkliche Schicksalsfrage diskutiert wird.
Wolfgang Lieb: Regierungserklärung zum Europäischen Rat - Merkel die Patin. NachDenkSeiten, 28.6.2012.
Das muss man sich einmal vorstellen: Da geben Bündnis90/Grüne und SPD ihr Einverständnis für ein zutiefst gespenstisches Projekt, das (unwiderruflich und unkündbar!) Not und Elend über den Kontinent bringen wird – und Steinmeier „fordert“, dies müsse die „absolute Ausnahme“ bleiben. ESM und Fiskalpakt werden die absolute Ausnahme bleiben – aber eine so weitreichende, die gesamte Realität diktatorisch prägende Ausnahme, dass weitere Ausnahmen gar nicht mehr nötig sein werden, um einen absoluten Ausnahmezustand des Elends und der Verarmung herbeizuführen...!