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Engel-Mädchen
Holger Niederhausen: Engel-Mädchen. Roman. Books on Demand, 2017. Paperback, 576 Seiten, 19,90 Euro. ISBN 978-3-7448-9305-3.
► Wichtiger Hinweis: Wer meinen würde, ich schriebe nur 'Mädchen-Bücher', der irrte essenziell - diese Mädchen sind Botinnen des immer verschütteteren Wesens der menschlichen Seele überhaupt.
Erschienen am 5. Oktober 2017. > Bestellen: BoD | Amazon < > Reaktionen und Rezensionen < [noch keine]
Inhalt
Lisa ist achtzehn, und außer ihrer kleinen Clique hält sie nicht viel in ihrem Ort. Seltsame Umstände lassen sie die fünfzehnjährige Marie kennenlernen. Das einsame Mädchen birgt ein großes Geheimnis. Als es dieses schließlich offenbart, hat längst eine Entwicklung eingesetzt, die alles verändert, was Lisa für normal gehalten hat.
Ein Roman über die Liebe zwischen zwei Mädchen – und ihren Kampf für Himmel und Erde...
Die sanfte Apokalypse
Lisa ist achtzehn, selbstbewusst, und sie weiß, wie man mit Jungen umspringt. Von festen Bindungen hält sie wenig – sie selbst entscheidet, wie weit etwas geht und wann für sie Schluss ist. Mit einer kleinen Clique lebt sie in einem kleinen Ort, den sie lieber heute als morgen verlassen möchte – und sie hofft, dass nur noch ihr Abi sie von diesem Zeitpunkt trennt.
Da macht sie auf eine seltsame Weise Bekanntschaft mit einem Mädchen, das völlig anders ist als sie. Es lebt still und zurückgezogen in einem der Nachbardörfer – doch als sie ihm begegnet, scheint es fast so, als hätte es auf sie gewartet...
Auch Lisa fühlt sich zu dem Mädchen hingezogen. Andererseits kann sie kaum damit umgehen, dass es ein Geheimnis bewahrt, welches es aus Angst vor ihrem Nichtverstehen nicht preiszugeben wagt. Das Mädchen bittet sie, dass sie sich erst kennenlernen dürfen.
Lisas Ungeduld und die gänzliche Andersartigkeit des Mädchens führen fast wieder zu einem völligen Bruch. Dann aber, während das Mädchen darum kämpft, dass eine tiefe Vertrautheit entstehen kann, entdeckt Lisa in sich, dass sie dabei ist, sich in das Mädchen zu verlieben. Es lässt ihre Annäherungen zu – und offenbart ihr schließlich sein Geheimnis: Es erlebt die Engel in sich...
Lisa ist von dieser Offenbarung völlig überfordert, dennoch versucht sie ihr Bestes, zu verstehen, wovon das Mädchen spricht. Dieses wiederum kämpft um ihr wirkliches, ihr tieferes Verständnis. Und es offenbart ihr, dass die Engel von einer furchtbaren Zukunft wissen, die auch bereits angebrochen ist, ohne dass die Menschen es bemerken. Mit aller Kraft versucht das seltsame, sanfte Mädchen, Lisa all das zu beschreiben, was es selbst erlebt. Und Lisa erkennt mehr und mehr, dass das Mädchen die Wahrheit sagt...
Dann aber muss sie schmerzlich begreifen, dass selbst das nicht genug ist. Hin- und hergeworfen zwischen ihrer Liebe zu dem Mädchen und ihrer Erkenntnis seines Leides und seiner Einsamkeit, versteht Lisa immer tiefer, welchen Schritt sie innerlich tun müsste, um dem Mädchen beizustehen. Und immer ernster steht vor ihr die Erkenntnis, wie wenig sie zu diesem Schritt fähig ist.
Doch die Liebe zu dem Mädchen lässt sie nicht aufgeben...
Leseprobe 1
Als sie am nächsten Tag aus der Schule kam, wollte sie auch die andere Meldung aufheben – die erste. Aber als sie in den Müllraum ging und die blaue Tonne öffnete ... war sie leer. Es war Donnerstag. Sie hatten das Altpapier wieder mal abgeholt. Ausgerechnet heute!
In ihr stieg ein Gefühl wie von etwas Unwiederbringlichem auf. Es war nur eine alte Zeitung gewesen – eine drei Tage alte Zeitung. Aber sie war nicht mehr da. Sie wusste nicht, warum ihr die Meldung auf einmal so wichtig war – aber sie würde sie nicht mehr bekommen. Nie mehr. Es war ein seltsames Gefühl. Ein Gefühl, mit dem sie sich nicht abfinden konnte...
Warum musste das Altpapier gerade heute abgeholt werden? Sie überlegte und kam auf den Gedanken, dass sie herausfinden könnte, wo es hingebracht wurde, um dann diese eine Zeitung herauszufischen, bevor alles verbrannt wurde, oder was auch immer. Sie verwarf den Gedanken sofort wieder. Und dann kam sie auch darauf, dass die Zeitungen wahrscheinlich bereits im Müllwagen zusammengepresst und auf diese Weise vernichtet wurden. Der Gedanke war also nicht nur verrückt, sondern auch noch sinnlos gewesen.
Frustriert ging sie wieder ins Haus. Irgendetwas schmerzte sie. Sie hatte diese Meldung haben wollen. Zum ersten Mal in ihrem Leben interessierte sie sich für eine Zeitungsmeldung – und dann war die Zeitung weg, für immer verschwunden...
*
Am Abend hatte sie den Vorfall noch immer nicht vergessen, im Gegenteil, er nahm ihre Gedanken noch immer in Beschlag. Sie wollte diese beiden Meldungen über das Mädchen haben. Beide.
Das Gespräch am Fluss drehte sich um Musik. Es wurde diskutiert, welche Gruppen gerade ,in’ waren, welche cooler waren, wann wo welche Auftritte waren, und so weiter. Sonst interessierte sie dies alles auch – und sie war nicht diejenige, die am wenigsten dazu beizutragen hatte. Heute aber schien das alles merkwürdig weit weg zu sein. Wieder beobachtete sie das Wasser, während die letzte Helligkeit des Tages verging, reagierte ab und zu auf direkte Ansprache, war aber im Übrigen ganz mit sich beschäftigt.
Schließlich war in ihr ein Entschluss herangereift. Nun trat auch Stefan wieder in ihr Bewusstsein. Er hatte einfach neben ihr gesessen und sich ebenfalls kaum an den Gesprächen beteiligt.
„Am Montag gab es diese erste Meldung von dem Mädchen“, sagte sie leise genug, dass nur er es hören konnte.
Er war erstaunt, dass sie auf einmal zu sprechen begann. Sie bemerkte seine Freude darüber, dass sie ihre Missachtung beendete.
„Von der...“
Sie wusste sofort, dass er das Wort nicht aussprechen wollte.
„Ja, genau“, sagte sie, schon wieder leicht genervt, ohne dass sie es eigentlich wollte.
„Und ... was ist damit?“, fragte Stefan zurück.
Sie überlegte noch eine Sekunde, aber ihr Entschluss blieb, wie er war.
„Wenn du mir ... diese Meldung noch einmal besorgst, dann ... schlafe ich mit dir.“
An seiner Reaktion sah sie, dass er glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
Sie schaute einmal kurz auf die Anderen, um sicherzugehen, dass es von niemandem sonst gehört wurde. Dann wiederholte sie:
„Du hast schon verstanden. Wenn du mir die Zeitung von Montag beschaffst, schlafe ich mit dir.“
„Was hat die Zeitung denn damit zu tun?“, fragte er nun halblaut zurück.
„Das ist meine Sache“, entschied sie kurz angebunden. „Ich will sie einfach haben. Wir haben sie nicht mehr.“
„Aber was willst du denn damit?“
„Das geht dich nichts an. Willst du nun mit mir schlafen oder nicht?“
„Doch, natürlich will ich, aber –“
„Kein Aber. Besorg mir die Zeitung – und wir schlafen zusammen.“
„Aber...“
„Stefan“, zischte sie, „ich will darüber nicht reden. Entweder du machst es – oder du machst es nicht.“
„Ich mach’s ja. Ich will nur wissen ... bin ich ... dabei auch ein bisschen ... wichtig? Oder ist es nur die Zeitung...?“
„Was? Nein, natürlich nicht. Es ist nicht nur die Zeitung. Aber ich will sie haben. Kannst du das verstehen? ... Nein, kannst du nicht. Ich will sie aber trotzdem. Unbedingt. Du tust mir damit einen großen Gefallen. Und ich tu dir dann auch einen...“
„Aber dann ist es doch nur die Zeitung...“
Sie sah ihn im Dunkeln an.
„Nein, ist es nicht. Aber wenn ich einfach so mit dir schlafe, irgendwann, kriege ich sie ja nie. Ich brauche sie aber. Und wenn du mir dabei hilfst, dann schlafe ich schneller mit dir. – Ach, komm’ schon, Stefan. Hilf mir einfach! Ich würde auch so mit dir schlafen. Aber nicht so schnell...“
„Na gut, ich mach’s Lisa. Ich versteh’s nicht ganz, aber –“
Er tat ihr irgendwo leid. Natürlich hatte er Recht. Irgendwas war daran nicht ganz in Ordnung.
Um es wieder gut zu machen, küsste sie ihn – und wurde dabei ziemlich leidenschaftlich. Sie fühlte, wie seine Einwände zusammenschmolzen...
...
Leseprobe 2
„Was meinst du?“, fragte sie, seltsam berührt. „Was heißt das, ja und nein...“
„Wenn wir uns besser kennen...“, sagte das Mädchen.
„...dann bist du nicht mehr so allein?“, vervollständigte sie den Satz.
Das Mädchen lächelte.
„Nein“, sagte es. „Wenn wir uns besser kennen, kann ich es dir vielleicht erklären... Und vielleicht kannst du es dann verstehen...“
Das waren zwei Vielleichts. Das eine sagte noch nichts über das andere. Warum war sie so geheimnisvoll?
„Was sollte ich nicht verstehen? Ich verstehe alles!“, antwortete sie.
Das Mädchen sah sie mit seinen lieben, schönen Augen an. Jetzt lächelte es sogar wirklich.
„Dann wärst du besser als die anderen...“
Sie wollte eigentlich keine Rätselspiele. Aber sie spürte, dass dieses Mädchen nicht spielte.
„Was heißt das?“, drängte sie. „Warum wäre ich dann besser als die anderen? Welche anderen?“
„Alle anderen.“
Das Mädchen blickte wieder ernst, ja, jetzt leise fragend, forschend. Sie fühlte sich wie geprüft, innerlich...
„Ich bin besser als alle anderen!“
Sie setzte ein gewinnendes Grinsen auf. Es sollte lustig sein, witzig – und zugleich überzeugend. Sie wollte, dass das Mädchen endlich verriet, was es nicht sagen wollte.
Mit einem leisen, fast entschuldigenden Lächeln schüttelte das Mädchen sanft einmal den Kopf.
„Es heißt nichts, wenn man das sagt... Das nützt mir nichts...“
Wieder wurde das Mädchen ernst.
„Ich will dich aber nicht ... quälen oder so etwas. Können wir nicht einfach ... Zeit abwarten?“
Sie war ganz schlecht im Warten. Und sie wusste auch nicht, wie man die Zeit dann füllen sollte. Wie lange war dieses ... ,Warten’? Und was geschah in der Zwischenzeit?
Sie wusste schon, was das Mädchen meinte. Aber sie hatte auf einmal Angst. Angst vor dieser ... Zeit...
Offenbar hatte sie zu lange nichts erwidert, denn nun nahm das Gesicht des Mädchens einen fast erschrockenen Ausdruck an, und es sagte:
„Oder – hast du diese Zeit gar nicht...?“
Sie wusste nicht einmal mehr, von was das Mädchen genau sprach. Sie fühlte sich einen Moment lang wie in einem verzauberten Reich. Sie war doch erst fünfzehn! Warum sprach sie so anders als alle anderen?
Zögernd fragte sie:
„Von ... welcher Zeit sprechen wir eigentlich gerade...?“
„Ich meine ein Kennenlernen...“, sagte das Mädchen leise.
Sie spürte seine verborgene Traurigkeit.
„Also du willst mich erst kennenlernen...“, fasste sie vorsichtig zusammen.
„Warum bist du gekommen?“, fragte das Mädchen.
Seine Gegenfrage schob ihre Worte sanft aber entschieden völlig beiseite.
„Du bist einfach gekommen. Warum nur? Und woher kommst du eigentlich...?“
Sie nannte dem Mädchen ihren eigenen Heimatort. Aber warum sie gekommen war, konnte sie nach wie vor nicht sagen.
„Ich weiß es ... wie gesagt auch nicht.“
„Willst du es herausfinden?“
Diese sanften Fragen...
„Was herausfinden?“
„Ob du ... mich kennenlernen willst.“
Dieses Mädchen nahm keinen Blatt vor den Mund. Aber sie wusste – genau um diese Frage ging es. Was sonst sollte sie hier?
„Wie kann ich das herausfinden?“
Das Mädchen sah sie mit seinen schönen, offenen Augen an.
„Indem du wieder gehst...“
„Indem ich – wieder gehe?“
Das Mädchen sagte nichts, sah sie nur an...
„Oder weißt du es schon?“, fragte es schließlich leise.
„Ob ich dich kennenlernen möchte?“
„Ja...“
Ihre Antwort war zart wie ein Schmetterlingsflügel, fast ängstlich.
Wusste sie es schon? Wollte sie dieses Mädchen kennenlernen? Kennenlernen wollte man jemanden, mit dem man befreundet sein wollte. Jemanden, den man cool fand. Imponierend. Interessant. Aber dieses Mädchen? Irgendetwas hatte sie hierhergezogen. Jetzt war sie hier. Sie hatte das Mädchen gesehen. Ihr Wunsch war erfüllt. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Wollte sie das Mädchen kennenlernen?
Sie wusste es nicht...
„Nein, ich weiß es nicht. Nicht wirklich – ich meine, ich weiß es nicht wirklich.“
„Dann geh wieder, Lisa...“, sagte das Mädchen sanft.
Ihr eigener Name aus dem Munde dieses Mädchens berührte sie ungeahnt. Wie hieß sie selbst nochmal? Marie... Sie fühlte sich aber auch zurückgestoßen.
„Heißt das – du willst mich loswerden?“
„Nein...“, antwortete das Mädchen traurig. „Ich will ... dass du es herausfindest.“
Ihre schönen Augen sahen sie an.
„Herausfindest, was du willst...“, fügte sie sanft hinzu.
Das konnte doch nicht so schwer sein. Sollte sie jetzt extra wieder gehen, nach Hause fahren, um das herauszufinden? Was waren das für Spielchen? Aber sie meinte es ernst...
Und sie hatte ja wohl Recht. Was sollte sie hier ... wenn sie gar nicht wusste, ob sie mit diesem Mädchen etwas anfangen konnte? Sie hatte ihr Ziel ja wie gesagt erreicht. Aber irgendetwas bildete noch eine Leere in ihrem Inneren. Irgendetwas war noch unbefriedigt. Es gab zu viele Fragen. Die alle noch nicht beantwortet waren.
„Willst du mir wirklich nichts erzählen?“
„Was soll ich dir erzählen?“, fragte das Mädchen.
„Ob du den Jungen kanntest, zum Beispiel.“
„Ich kannte ihn nicht.“
„Aber das wolltest du mir vorhin doch nicht sagen!“
„Nein, das war es nicht...“
„Aber was dann?“
Wieder sah das Mädchen sie einen schweigenden Augenblick lang nur an.
„Ich kann es einfach nicht sagen... Jetzt noch nicht...“
...