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Seelenkampf

Holger Niederhausen: Seelenkampf. Books on Demand, 2017. Paperback, 304 Seiten, 12,90 Euro. ISBN 978-3-7431-9092-4.


Erschienen am 12. April 2017.              > Bestellen: BoD | Amazon <              > Reaktionen und Rezensionen < [noch keine]

Inhalt


Als der 16-jährige Tizian sich auf den ersten Blick in ein Mädchen verliebt, führt ihn seine Sehnsucht in eine zwielichtige Situation, in der er einen schlimmen Vertrag unterschreibt. Er gerät mit dem Mädchen in eine andere Welt und hat nun sieben Tage Zeit, ihre Seele zu retten. Aber die Gegenmächte ruhen nicht – und sie wissen, wo sie angreifen müssen...

Leseprobe 1


Es waren immer die Anderen. Die die besten Noten bekamen. Die coolsten Sachen machten. Am besten aussahen. Überhaupt gut aussahen. Und – die schönsten Mädchen bekamen...

Alles in dieser Reihenfolge. Das Unwichtigste zuerst. Noten – ja, konnte man schon neidisch werden, aber was soll’s. Ein Streber wollte er auch nicht sein. Mühelos mal eine Eins in Chemie – so was wär doch aber mal was. Statt immer nur auf knapp Vier herumzukrepeln, weil man das Säure-Basen-Gleichgewicht und all den übrigen Quatsch einfach nicht begriff. Wenn schon alles andere eh so war, wie es war, dann wenigstens mühelosen Erfolg in der Schule. Nicht nur in Chemie, auch in Mathe, in Geschichte, in Englisch. Auch mal mühelos alles verstehen, alles können – statt immer nur Frust und Mühe. Warum waren es immer die Anderen?
Aber okay, das war ja eigentlich das Unwichtigste. Nur musste es trotzdem geklärt sein. Es war zwar unwichtig, aber nicht unwichtig. Gäbe es einen Zauberer mit Wunschzettel, stünde das auch drauf. ,Danke für alles Übrige, aber eine Eins in Chemie hätte ich auch gern noch...’ So ungefähr. In diesem Sinne.
Aber nun weiter nach oben auf dem Wunschzettel...

Coole Sachen machen. Das war schon wesentlich wichtiger. Wesentlich. Hätte er die Wahl zwischen Thomas, der immer Einsen in Chemie schrieb, und Rasse – Rasmus –, der, genau wie er, in Chemie auf knapp Vier stand – er bräuchte nicht zu überlegen. So wie der bleichgesichtige Thomas mit seiner Brille wollte er nie werden. Aber selbst wenn er nicht schon so typisch aussehen würde, roch man Streber so oder so fünf Meilen gegen den Wind. Na ja, ohnehin ging es ja überhaupt nicht darum, wer man nicht sein wollte – sondern wer man sein wollte. Rasse – ja, der machte immer coole Sachen. Flog mit seinem Skateboard durch die Stadt. Hatte immer das neuste Handy, weil er auf irgendwelchen Kanälen an coole DJ-Jobs herankam, und so weiter. Die Liste ließe sich beliebig verlängern – wenn man wüsste, was er so alles trieb. Es war nur klar, dass er jede Menge trieb. Um mehr zu wissen, müsste man dazugehören. Das war aber nun gerade der Punkt. Der Punkt, der schon ziemlich weit oben auf dem Wunschzettel stand. Er gehörte nicht dazu. Zu Rasse und seiner Clique. ,Dazugehören’. So würde dieser Punkt heißen. Auch so coole Sachen machen und dadurch dazugehören. ,Hey Rasse, was lief bei dir gestern?’ – ,So-und-so, Mann, und bei dir?’
Es fühlte sich fast wie Gänsehaut an, sich so was auch nur vorzustellen. Rasse sprach einen an. Und man durfte ihn ansprechen – überhaupt ansprechen. Das traute er sich im Traum nicht. Er hätte immer nur einen mitleidigen Blick bekommen – wenn es gut lief. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was alles möglich war, wenn es nicht gut lief. In jedem Fall war klar, wer Rasse ansprechen durfte und wer nicht. Die Grenzen waren klar gesteckt. Wer nicht dazugehörte, brauchte es gar nicht erst zu versuchen.

Aber es ging nicht darum, zu Rasses Clique zu gehören, das musste er gar nicht. Es ging nur ums Prinzip. Und im Grunde sogar um mehr. Seine eigene Clique haben und dann Rasse fragen: ,Hey, und bei dir, alles klar?’ Auf Augenhöhe. Weil man genauso cool war.
Er strich also in Gedanken den Punkt ,dazugehören’ durch und schrieb darüber: ,genauso cool sein’. Einen Moment später schloss sogar sein Gedanken-Ich die Augen und schüttelte verständnislos den Kopf. Wie größenwahnsinnig konnte man denn noch sein? Aber gut, der Punkt stand da, und wenn irgendwann einmal ein Zauberer vorbeikäme...

Dann der nächste Punkt. Gut aussehen. Es ging ja gar nicht darum, am besten auszusehen – sondern einfach nur gut. War das denn schon zu viel verlangt? Die meisten anderen sahen doch eh besser aus als man selbst. Konnte man denn nicht wenigstens ins Mittelfeld vorrücken? So etwa auf Platz zwölf, elf, wenn man die Bundesliga als Vergleich nahm?
Aber, na ja, wenn nun wirklich mal ein Zauberer käme... Er strich in Gedanken den Punkt wieder durch und notierte darüber: ,am besten aussehen’. – Sein Gedanken-Ich blieb ruhig. Der Punkt war einfach zu wichtig. Man musste manchmal größenwahnsinnig sein. Dabei war er noch nicht mal bei Punkt eins gelandet. Aber das war gerade das Problem. Punkt zwei hatte mit Punkt eins einfach alles zu tun...

Also gut, dann Punkt eins. Sein Gedanken-Ich begann zu schwitzen, gewissermaßen. Am liebsten hätte er jetzt Geheimtinte genommen. Die, die man nicht sieht. Es sollte niemand sehen, was er jetzt schrieb, nicht mal in Gedanken. Nur der Zauberer durfte es lesen. Sonst niemand. Er schrieb also in Gedanken mit Zaubertinte auf Platz eins, ganz oben auf den vorgestellten Wunschzettel: Mädchen.
Es war klar, was das bedeutete. Der Zauberer würde nicht nachfragen müssen. Zauberer wissen einfach Bescheid. Außerdem gab es bei dem Thema doch nichts zu überlegen. Es war klar, was man meinte.
Nein, man musste wirklich nicht hinschreiben ,die schönsten Mädchen’. Das war zwar gemeint, aber es musste nicht dastehen. Es ging auch gar nicht darum, sich jetzt Mädchen wie im Katalog auszusuchen. ,Also hier haben wir diese zwölf, das sind unsere schönsten. Sie können sich eine aussuchen...’ Obwohl er sich so etwas auch schon vorgestellt hatte. Dass er ein König wäre, ein mächtiger Prinz oder so etwas, und dass dann aus allen Teilen des Reiches die schönsten Mädchen herbeigeschafft wurden, die allerschönsten, und dass sie dann alle vor ihm stehen würden – gefesselt, oder, na ja, ohne Fesseln, aber von selbst gehorsam, ängstlich, auf sein Urteil wartend... Und ja, dann würde er alle Mädchen anschauen, und er würde sich kaum entscheiden können, weil sie alle so schön waren. Aber letztlich bliebe eine übrig, die am allerschönsten war. Und die Entscheidung wäre ganz klar. Er würde es ganz und gar wissen. Sie und keine andere... Und sie, diese eine, würde ihn dann lieben müssen. Aber es wäre kein Zwang. Sie würde es auf einmal von selbst tun. Er war ja der Prinz. Es war eine Auszeichnung, eine Ehre – und sie würde ihn lieben, mit all der Liebe, die sie haben würde. Und sie würde dasjenige Mädchen sein, dass überhaupt am allermeisten Liebe haben würde... Und dann würde sie ganz konkret – –

„Tizian, wie lautet die erste Ableitung der Gleichung?“
Er schreckte aus seinen Gedanken auf.
„Was? Wie bitte?“
Die Klasse brüllte.
Hinter ihm zischte Paul genüsslich zu ihm hinüber:
„Titte denkt an Titten...“
„Halt’s Maul!“, zischte er zur Seite gewandt nach hinten.
„Also?“, beharrte Descartes, der eigentlich Herr Strobel hieß, „ich höre?“
„Ich weiß es nicht.“
Descartes schüttelte seinen Kopf.
„Tizian, Tizian... Ich sehe Sie gerade in Richtung Fünf rutschen, und das wenige Wochen vor der Zeugnisphase...“
„Ja, Herr Strobel.“
„Nicht ,Ja, Herr Strobel’ – etwas anderes wäre mir viel lieber. Etwa: ,Ja, Herr Strobel, es kommt nicht wieder vor, Herr Strobel, ich werde jetzt lernen.“
Wieder brüllte die Klasse.
„Lernen, was ist das?“, imitierte jemand.
Es war Kimme, aber das war jetzt auch egal. Er warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. Noch drei Minuten bis zur Pause, ein Glück.
„Ja, Herr Strobel, ich werde jetzt lernen“, wiederholte er.
Es sollte ironisch sein – die Intonation stimmte. Dennoch brüllte die ganze Klasse erneut, jedoch nicht über seinen gelungenen Witz, sondern noch einmal über ihn...
„Danke, Tizian“, sagte Descartes. „Der Papagei reicht jedoch nicht, um die Geheimnisse der Differentialrechnung zu ergründen.“
Wieder brüllte die Klasse. War es das vierte oder das fünfte Mal? Wen interessierte das... Selbst der Moment war ihm im Grunde völlig egal. Das Schlimmste war, dass Descartes ihn aus der entscheidenden Szene gerissen hatte...

Leseprobe 2


„Hoffentlich haben wir Sie nicht beleidigt...“, begann das Mädchen nun zaghaft.
„Mich?“, sagte die Alte verwundert. „Nein, mich nicht. Ich frage mich nur, wie ihr eure Aufgabe erfüllen wollt, wenn ihr ... na ja, mich geht das ja nichts an...“
„Was meinen Sie?“, fragte Miriam. „Sprechen Sie doch bitte...“
„Den Herrscher des Landes wollt ihr warnen, ja?“, fragte die Alte spöttisch. „Stimmt das?“
„Ja“, sagte Miriam kleinlaut.
„Stimmt das?“, fragte sie strenger nun auch ihn.
„Ja“, sagte er. „Was soll das? Ist das ein Verhör?“
„Ist das ein Verhör?“, ahmte die Alte ihn nach.
Dann sah sie ihn wieder mit strengen Augen an und sagte:
„Jungchen, ich glaube, du weißt noch nicht, wo du hier bist!“
Unwillig und etwas kleinlaut zugleich fragte er:
„Wo bin ich denn hier?“
„Ja!“, erwiderte die Alte wiederum spöttisch. „Es wird wohl hohe Zeit, dass du dir darüber klar wirst.“
„Wo sind wir hier?“, fragte nun das Mädchen.
Mit plötzlich viel gütigerem Blick wandte sich die Alte ihr zu und erwiderte:
„Nun, Mädchen, ich denke doch, dass du das längst sehr gut weißt...“
„Wir sind im Reich der guten Mächte...“
„Ganz genau“, bestätigte die Alte.
Dann wandte sie ihren Blick finster wiederum ihm zu.
„Und das solltest du mittlerweile eigentlich auch wissen!“
„Der guten Mächte?“, sagte er. „Aber welche guten Mächte? Ich sehe hier keine!“
Die Alte brach in ein fast zahnloses Lachen aus.
„Er sieht keine! Rigor, hast du das gehört? Er sieht keine!“
Er verstand nicht, was daran so lustig sein sollte. Zögernd blickte er zu dem Mädchen. Sie schien es auch nicht wirklich zu verstehen. Dennoch schämte er sich vor ihr längst tief, weil die Alte ihn fortwährend heruntermachte. Aber er durfte sie nicht noch mehr provozieren. Ohne sie konnten sie nun einmal nichts tun...

Wieder sah er sich ihrem flammenden Blick ausgesetzt.
„Er sieht keine!“, wiederholte sie erneut und musterte ihn scharf. „Warum sieht er wohl keine?“
Langsam war ihm die ganze Situation extrem unangenehm. Er hätte ihr gerne irgendein Ende bereitet, aber er musste gute Miene zum bösen Spiel machen. Er zog es vor, gänzlich zu schweigen. Er war ein Spielball der Alten geworden – und das alles vor den Augen des Mädchens...
„Warum sieht er wohl keine?“, fragte die Alte erneut.
Es war offenbar eine an ihn gerichtete Frage.
„Na?“, fragte die Alte. „Warum sieht er wohl keine?“
„Sagen Sie es mir!“, sagte er unwillig.
Erneut traf ihn der flammende Blick der Alten.
„Und hat er etwa auch noch keine gesehen?“
Auf einmal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, dass sie von der Frau sprechen mochte. Ja, sie gehörte gewiss guten Mächten an. Und doch fühlte er sich vor allem in einem trostlosen Reich verloren und in ein solches hineingeworfen, in dem diesem Mädchen, das ihm gegenüber saß, ein schlimmes Schicksal drohte. Das Einzige, was die guten Mächte bisher getan hatten, war, dass er sie gefunden hatte. Mehr aber auch nicht. Sie ließen sie beide im Grunde völlig allein. Sie halfen überhaupt nicht...
Hat er etwa noch keine gesehen?“, wiederholte die Frau fast zornig.
„Doch, vielleicht“, entgegnete er mit deutlichem Widerwillen.
„Vielleicht! Vielleicht!“
Die Alte machte eine Pause.
„So ist das also... Soll ich euch also auch vielleicht nur ,vielleicht’ helfen?“
Ihre Stimme hatte einen leicht drohenden Klang angenommen.

...