Weihe-Nacht

Es war einmal ein kleiner Wurzeltroll. Er lebte in einer großen Wurzel. Diese Wurzel gehörte zu einem noch viel größeren Baum, der bis in den Himmel wuchs. Das jedenfalls glaubte der kleine Wurzeltroll. Wenn er nach draußen trat und in die Höhe blickte, konnte er die Spitze des Baumes nicht mehr sehen, so hoch war der Baum. – Die Wurzel, in der er wohnte, befand sich fast ganz unter der Erde. So war es auch im Sommer angenehm kühl. Ein kleines Stück von der Wurzel schaute aus der Erde heraus, und so hatte der kleine Wurzeltroll auch etwas Licht in seinem Zuhause.

Oft betrachtete er die Würmer, die - wenn es nicht wie jetzt gerade Winter war - in der Erde herumkrochen, und er paßte gut auf, daß kein Wurm die Wurzeln seines Baumes anfraß. Er schaute auch den Käfern hinterher, die munter zwischen den Würzelchen herumkrabbelten, und oft unterhielt er sich mit ihnen. – Am liebsten aber ging er spazieren. Deswegen verließ er seine Wurzel an den meisten Tagen schon gleich nach dem Frühstück. Draußen gab es so viel zu sehen! Er wanderte durch die Wiesen, durch die Felder, in den Wäldern und auf den Bergen.

Der kleine Wurzeltroll wachte auch an diesem Tag wieder früh am Morgen auf und trat hinaus aus seiner Wurzel. Als er zum Himmel hinaufschaute, sah er die Sterne leuchten wie funkelnde Edelsteine auf tiefblauem Samt. Bald würden sie verblassen, um der strahlenden Sonne zu weichen.

Als die Sonne langsam aufging, war der kleine Troll schon lange unterwegs und lief über die hartgefrorene Erde an den Wiesen und Feldern vorbei. Ja, die Erde war nach außen hin gefroren, denn es war sehr kalt geworden. Die liebe Erde trug die Sommerwärme jetzt tief innerlich in sich, da wo auch Würmchen und Käferlein sich verkrochen hatten, um auf den nächsten Frühling zu warten, und sogar noch ein bißchen tiefer.

Der kleine Wurzeltroll wußte, daß die liebe Erde nicht fror, sondern daß nur ihre äußere Haut hart geworden war. Gerade dadurch aber würde sie im nächsten Frühling wieder schön locker und weich werden, so daß alle Wurzeln und Würzelchen der Pflanzen wieder in alle Richtungen wachsen können würden.

Jetzt aber war davon nichts zu sehen. Der kleine Troll lief vorbei an abgestorbenen Grashalmen, an Buchen, Eichen und Ulmen, die ihre Blätter abgeworfen hatten, und an Feldern, die erst im nächsten Frühling wieder grün werden würden. Doch überall an den Halmen und Zweigen saßen kleine Eiskristalle und glitzerten in der Morgensonne. Der Rauhreif-Engel war in der Nacht durch die Lande gezogen und hatte alles mit seinem Glanz bedeckt!

Ein Eichhörnchen hüpfte auf dem Ast einer alten Eiche entlang und schaute zu dem kleinen Wurzeltroll hinab. Dabei fielen kleine Rauhreif-Kristalle wie feiner Staub langsam zur Erde nieder und glitzerten und glimmerten in allen Farben, die der kleine Troll jemals gesehen hatte... Wie schön war das!

Dann zogen während des Vormittags dichte Wolken auf. Und als es Mittag geworden war, fiel der erste Schnee des Jahres... In leisen Flocken sank der Schnee hinab, wie ein Geschenk des Himmels an seine Schwester Erde, die langsam von einem weißen Kleid bedeckt wurde. Glücklich sprang der kleine Wurzeltroll in die Luft und schaute immer wieder nach oben zum Himmel. Als es Nachmittag wurde, lag das ganze Land in einem friedlichen Weiß, und nur der Wurzeltroll, der die Wege entlang wanderte, hinterließ seine Spuren im Schnee.

Die Sonne ging langsam unter und färbte den Himmel und die Erde mit einem wunderschönen Rosa, das der kleine Troll noch nie gesehen hatte. Was er schon heute Morgen und dann am Nachmittag geahnt hatte, das wußte er jetzt: Heute war ein ganz besonderer Tag, eine ganz besondere Nacht.

Die Sterne zogen herauf und leuchteten klarer als sonst. Deutlich meinte der Wurzeltroll, ihre wunderbare Musik zu hören, die er in den vergangenen kalten Nächten wahrnehmen gelernt hatte. Aber heute war es noch eine andere Musik, fast wie von Engeln. Oder waren es sogar Engel? Der kleine Wurzeltroll wagte nicht, weiter zu denken.

Er wurde nicht müde und lief einfach immer weiter. Jetzt kam er in einen Wald hinein, der trotz der Nacht so hell war, daß man alles sehen konnte. Der Schnee leuchtete von unten, die Sterne glänzten von oben. Der kleine Troll wußte nicht, wie lange er schon gelaufen war. Da stand er plötzlich am Rande einer Lichtung, auf der sich ein einzelner, prächtiger Tannenbaum erhob. Weit streckte er seine Zweige in alle Richtungen aus. Zugleich war es, als ob er jederzeit einem anderen Baum Platz gemacht hätte, wenn es neben ihm einen gegeben hätte. Er stand aber ganz allein.

Der kleine Wurzeltroll stand staunend vor dieser Lichtung, die er vorher noch nie entdeckt hatte. Und er schaute verwundert auf diesen Baum, der so lieb und zugleich prächtig anzuschauen war, stolz und bescheiden, einsam und mutig. Und plötzlich war es dem kleinen Wurzeltroll, als würde alle Helligkeit der Sterne sich in den Zweigen dieses Tannenbaumes sammeln, als würden die Sternenstrahlen wie ein Strom zur Erde herabregnen, um jedes Zweiglein dieses Baumes in einen himmlischen Glanz zu tauchen.

Wie von ferne erinnerte sich der kleine Troll, daß die Menschen ein Fest feiern, das sie Weihnachten nennen,
und wo sie einen Tannenbaum wunderschön schmücken und Kerzen anzünden. Er aber sah den wunderschönsten Baum, den er sich denken konnte, hier draußen im Wald... Dann mußte wohl heute die Weihe-Nacht sein, in der das Christkind geboren ist! Das Herz des kleinen Wurzeltrolls jubelte vor Freude...

Dann sah er nicht weit von sich einen Fuchs sitzen, der auch voller Staunen auf den Baum schaute, wohl aber auch traurig anzusehen war. Da erkannte der kleine Troll ihn: Es war der alte Fuchs, dem er neulich einmal begegnet war. Er war krank gewesen und mochte wohl lange Zeit nichts zu fressen gefangen haben. Würde er bald verhungern müssen? Da aber sah er plötzlich noch jemanden, der auf den Fuchs zulief. Es war das Eichhörnchen von heute Morgen!

O weh, gleich würde der Fuchs sich voller Hunger auf das Eichhörnchen stürzen und es fressen wollen! Aber nein! Der alte Fuchs blieb ganz ruhig sitzen und schaute das Eichhörnchen an. Und jetzt sah der kleine Wurzeltroll, wie es in seinen Pfoten eine Menge Eicheln herbeitrug, die es im Herbst gesammelt hatte.

Der kleine Wurzeltroll wußte, daß der Fuchs keine Eicheln frißt. Aber was nützt alles Wissen, wenn es anders kommt? Was war dies für eine wunderbare Nacht? Der Fuchs schaute traurig auf das Eichhörnchen, dann erstaunt auf die Eicheln, die es vor ihm hinlegte, dann fragend wieder zum Eichhörnchen und wieder voller Dankbarkeit auf den kleinen Haufen von Eicheln. Dann begann er vorsichtig, eine Eichel nach der anderen zu fressen! Der kleine Wurzeltroll wagte kaum zu atmen, um dieses Wunder nicht zu stören. Das Christkind selbst muß dem Fuchs zugeflüstert haben, daß die Eicheln ihn satt machen würden – so glaubte der kleine Troll.

Als der Fuchs die wenigen Eicheln gefressen hatte, sah er überhaupt nicht mehr traurig aus, und der Wurzeltroll bemerkte, wie das Eichhörnchen und der Fuchs nebeneinander saßen und immer noch voller Staunen auf den Weihnachtsbaum schauten, der wie in wunderbarem Sternenglanz auf der Lichtung stand. Erst nach langer, langer Zeit war der Wurzeltroll wieder allein. Erst hüpfte das Eichhörnchen leise mit vorsichtigen Sprüngen wieder fort, dann ging wenig später der Fuchs mit langsamen Schritten wieder in den Wald hinein und schaute noch einige Male nach dem Baum zurück. Der kleine Troll aber blieb noch eine Ewigkeit und merkte nicht, wie die Zeit verging.

Erst am frühen Morgen konnte er sich von dem Wunder dieser Nacht verabschieden und machte sich dankbar auf den Heimweg. Ein heller Nebel lag auf den Feldern und Hügeln und erstrahlte in winterlichem Glanz, als die Sonne langsam aufging. Und ein glücklicher Wurzeltroll stapfte durch den frischen Schnee des ersten Weihnachtstages nach Hause. Nie würde er diese Nacht vergessen...

Das neue Jahr

Der kleine Wurzeltroll trat wieder aus seiner Wurzel – ein neuer Wintermorgen, noch dunkel wie auch die Morgen zuvor. Nun waren die Weihnachtstage und –nächte vorüber. Aber noch immer trug der kleine Wurzeltroll ihren Zauber und ihre Freude mit sich. Ja, er hatte viel erlebt in diesen Tagen. Nicht viel äußerlich, aber viel – ja sehr viel – in seiner kleinen Seele.

Kaum, daß er darüber sprechen konnte. Einmal aber hatte er seinen Freund, den Specht, wieder getroffen, und da hatte er ihm alles erzählen wollen – von dem Glanz des Schnees, der Winterluft, von dem wunderschönen Tannenbaum, von dem Wunder zwischen dem hungrigen Fuchs und dem Eichhörnchen – und von vielem anderen, was er in den Tagen der Weihnacht erlebt hatte. Und den ganzen Tag hatte er auf einem Stein gesessen und dem Specht erzählt, und doch war es nur ein Teil von dem, was geschehen war. Wie glücklich aber hatten sein Freund und er sich an jenem Abend verabschiedet!

Nun war der kleine Wurzeltroll wieder unterwegs und stapfte durch den Schnee. Auch in dieser Nacht waren wieder weiße Flocken zur Erde gesunken, auch an diesem Morgen sah der kleine Troll wieder seine Spuren auf dem Weg, wenn er zurückschaute.

Noch war das neue Jahr jung, das fühlte der kleine Wurzeltroll – auch wenn er nicht genau wußte, woran dies zu fühlen war. Irgendwie war die frische Winterluft etwas anders, der Klang des Windes, der zwischen den Baumwipfeln seine Wanderungen machte, das Licht... Ja, das Licht! Inzwischen war die Sonne bereits aufgegangen. Das Licht über den Schneefeldern und zwischen den Baumstämmen. Es glänzte anders als noch vor Tagen. Schon konnte der kleine Troll ahnen, wie es etwas stärker geworden war. Und es mußte ja auch wieder kräftiger werden, denn es würde wieder die Zeit kommen, wo die ersten kleinen Spitzen der Schneeglöckchen sich aus dem Schnee herauswagen wollten.

Noch aber war es lange nicht so weit. Unter den kleinen Füßen des Trolls knirschte der Schnee, und ringsumher lag alles in tiefer Winterruhe. Aber selbst die Ruhe war anders geworden. Vor Weihnachten war es eine Ruhe, in der sich die ganze Erde ausgeruht hatte. Es war so ruhig, daß man ganz einsam werden konnte, und in der Einsamkeit vielleicht sogar ein bißchen traurig – wenn der kleine Troll nicht auch die Einsamkeit so geliebt hätte! Nun aber war das neue Jahr da! Und die Ruhe war eine, in der die liebe Mutter Erde tief drinnen sich schon auf den Frühling freute. Das war eine Ruhe, in der man niemals einsam werden konnte...

Der kleine Wurzeltroll hörte den Schnee unter seinen Füßen knirschen, ganz leise nur, denn er war ja erst in dieser Nacht gefallen. Es war, als ob die Flöckchen mit ihm sprachen. „Wir grüßen Dich“, flüsterten die Schneeflocken vor ihm und hinter ihm. „Wir fallen vom Himmel und bringen die himmlische Ruhe...“ – „Wir kamen von den Sternen und brachten den Weihnachtsfrieden...“ – „Wir lieben die Erde, denn auf der Erde geschah das Weihnachtswunder...“ – „Himmel und Erde, wie Mutter und Tochter, bring beide zusammen: ein ewiges Werde...“

So und anders flüsterten die Flöckchen vor ihm und hinter ihm, unter und neben ihm, über ihm – denn es hatte wieder angefangen zu schneien. Vieles war so leise, daß der kleine Troll es gar nicht verstand oder nur ahnen konnte. Manches verstand er zwar, aber der Sinn blieb ihm verschlossen. Er bewahrte die Worte in seinem Herzen, denn sie klangen ihm wunderbar, auch wenn er sie nicht verstehen konnte. Vielleicht später...

Der Wurzeltroll bemerkte nicht, wie es langsam wieder still wurde. Die Flöckchen hatten aufgehört zu flüstern, sie schwebten jetzt schweigend auf die Erde und blieben dort liegen... Es war wohl Mittagszeit, die Sonne stand auf ihrem niedrigen Wege am höchsten Punkt und würde nun wieder herabsteigen, um dann den Abend zu begrüßen.

Nun bemerkte der kleine Troll wieder mehr alles, an dem er vorbeiwanderte. Da waren große, alte Bäume, die wie schlafende Riesen am Wege standen und mit ihren großen, knorrigen Ästen in die Ferne zu weisen schienen: „Seht, Freunde, von dort wird der Frühling kommen. Wir ahnen ihn schon, aber noch ist er lange nicht da...“ – Da waren die Moospolster am Fuße der Bäume, die nicht in die Ferne schauen konnten, und in seliger Winterruhe schliefen. – Da waren die trockenen Halme der Kräuter am Wegrand. Sie freuten sich, wenn sie vom Wind umgeblasen wurden, denn sie wollten den neuen Sprößlingen Platz machen, die später wachsen würden. Manche Halme baten den Wind, sie noch stehen zu lassen, weil in ihnen ein Käferlein oder eine kleine Spinne ihren Winterschlaf hielten.

Das alles sah der Wurzeltroll, und wieder einmal erfüllte sich sein kleines Herz mit Glück und Dankbarkeit für alles, was er sah und was zu seiner Welt gehörte.

Da senkte sich die Sonne langsam hinter den Hügeln und die Schatten der Dämmerung erhoben sich. Es wurde dunkel draußen, und die Stille schien lebendig zu werden, wenn die Schatten auf dem Schnee und an den Stämmen der alten Bäume dahinzogen. Schon war es dunkel, der Wurzeltroll aber war bereits in seiner Wurzel angekommen und betete sein Nachtgebet. Und als der Mond hinter den Bäumen aufging, schlief der kleine Troll schon tief und fest...

Der wunderschöne Stein

Draußen regnete es, doch der kleine Wurzeltroll war schon auf den Beinen und stapfte die Wege entlang, auf denen sich bereits kleine Pfützen gebildet hatten. Der Schnee war in den letzten Tagen geschmolzen, und es war nicht mehr ganz so kalt. Noch aber war es trotzdem sehr winterlich. Der Wind rüttelte an den kahlen Bäumen, als wollte er noch irgendwo ein einzelnes Blatt finden, daß er im Herbst übersehen hatte. Aber es gab keine Blätter an den Bäumen.

Der Wurzeltroll schaute sich hier und da die kleinen Bäume und Sträucher an. Ganz genau betrachtete er sich die Zweig­lein, nahm sie manchmal in seine kleinen Hände und strich über sie hinweg. Dann schaute er noch einmal. Suchte er etwas...? Ja, er wollte sehen, ob die winzigen Knospen schon etwas größer geworden waren. Denn in ihnen schliefen die winzigen Blättchen, die schon vom Frühling träumten... Der kleine Troll schaute und horchte, ob sie da drinnen schon anfingen zu wachsen! Wenn er ganz genau hinblickte, meinte er zu erkennen, daß die kleinen Knöspchen schon etwas größer geworden waren als noch vor einer Woche. Aber genau vermochte er es nicht zu sagen.

Plötzlich kam es ihm so vor, als warte etwas oder jemand auf ihn. Da wurde ihm ganz aufgeregt zumute: Wer wartete denn da? Er ging weiter und kam nach nicht langer Zeit an eine Weggabelung. Zur einen Seite führte der Weg weiter zum kleinen See, den er oft besuchte. Im Sommer würde er dort wieder vielen Enten, Fröschen, Libellen und anderen Tieren begegnen. Jetzt aber wartete dort wohl kaum jemand auf ihn. Zur anderen Seite führte der Weg – ja, wohin...? Der kleine Troll merkte, daß er zu dieser Seite noch nie gegangen war. Sehr gespannt ging er also weiter.

Nach einiger Zeit erhob sich zu beiden Seiten des Weges eine kleine Sandböschung, und die niedrigen Bäume, die obenauf wuchsen, beugten sich über den Weg, so daß sie sich berührten. Es war als ob die Bäume auf der einen und auf der anderen Seite des Weges Geschwister wären, die sich anfassen wollten. So bildeten sie fast ein Dach. Der kleine Wurzeltroll schritt nun diesen geheimnisvollen Weg entlang. Es wäre hier sogar richtig dunkel gewesen, wenn nicht inzwischen die Regenwolken weggezogen wären. Sie hatten bereits der lieben Sonne Platz gemacht, und einige Sonnenstrahlen kamen durch die Zweige hindurch bis auf den Weg. Wohin er wohl führte...?

Nach langer Zeit öffneten sich die Zweige, und der kleine Troll erblickte über sich einen strahlend blauen Himmel. Die Sonne schien herrlich! Der Weg aber war zuende... Vor ihm erstreckte sich eine weite Fläche, auf der kaum etwas wuchs. Der Boden war ganz sandig, und von der Sonne gekitzelt, glitzerten ihm viele Sandkörner schon von weitem entgegen. Hier und da wuchsen einige ganz kleine Sträucher – das mochte wohl Heidekraut sein, das im Herbst wunderschön violett blühen würde. Außerdem fand der kleine Wurzeltroll am Boden nur Flechten. Ob das auch Pflanzen waren? Im Sommer fühlten sie sich ganz vertrocknet an, aber immerhin wuchsen sie, wenn auch sehr langsam.

Jetzt aber wuchs hier gar nichts, und die weite Fläche kam dem kleinen Troll sehr einsam vor. Schon wollte er umkehren, da erblickte er neben einem der unscheinbaren Sträucher etwas Leuchtendes, was wohl kein Sandkorn zu sein schien. Gespannt ging er in diese Richtung. Und er fand einen wunderschönen Stein, aus dem das Sonnenlicht herausleuchtete! Der kleine Stein war fast so klar wie das Winter-Eis auf dem See, und die lieben Sonnenstrahlen konnten hineinschlüpfen und wieder herausstrahlen! Und doch hatte der Stein auch eine eigene Farbe – ein zartes Rosa wie die Morgendämmerung, und an einer Seite sogar die Farbe der Abendsonne, kurz bevor sie hinter den Hügeln untergeht.

Der kleine Wurzeltroll schaute ganz lange staunend auf diesen wunderschönen Stein, ohne sich zu bewegen. Dankbar war er, daß hier einfach so etwas Schönes im Sand lag und er es anschauen durfte... Schließlich wollte er umkehren, um seinem Freund, dem Specht, von dem schönen Stein zu erzählen – da war es ihm, als ob der Stein ihm zuflüsterte, daß er ihn mitnehmen dürfe. Der Wurzeltroll drehte sich wieder um und schaute auf den Stein. Da, noch einmal war es ihm ganz deutlich, als ob der Stein wieder flüsterte. Glücklich nahm er ihn auf und dankte dem lieben Stein, daß er ihm begegnet war. In seinen beiden Händen trug er ihn und ging wieder den geheimnisvollen Weg zurück.

Schon war es später Nachmittag. Schließlich war er wieder auf dem Wiesenweg, der zu seiner Wurzel führte, da rief ihn jemand von einer alten Tanne: sein Freund, der Specht! – Schnell lief der kleine Troll zur Tanne hin und erzählte, wie er heute diesen neuen Weg gefunden hätte und wie er dann dem wunderschönen Stein begegnet war. Der Specht hörte aufmerksam zu und besah sich dann den Stein von allen Seiten. Auch er hatte so einen schönen Stein noch nie gesehen!

Dann verriet er dem Wurzeltroll ein Geheimnis: „Lieber Troll, weißt Du was? Du darfst es aber niemandem verraten... Die kleine Aurelie hat bald Geburtstag...!“ Der kleine Wurzeltroll staunte. Das hatte er ja gar nicht gewußt! Sofort rief er: „Dann möchte ich ihr diesen schönen Stein schenken!“ Aber dann seufzte er: „Ich weiß ja gar nicht, wo sie wohnt. Und bestimmt ist das viel zu weit weg.“ Doch der Specht wußte Rat: Sie beide kannten ja den alten Raben. Der konnte weit, weit fliegen und kannte die ganze Gegend. Noch am selben Abend gingen sie zum Raben und der kleine Wurzeltroll bat ihn, den Stein zu Dir zu bringen! Das hat er auch getan – weit, weit flog er, bis er in die Stadt kam, wo Du wohnst. Ich glaube, er hat Dir den Stein vor die Tür gelegt und der Postbote hat ihn dann mit hineingenommen...

Der kleine Wurzeltroll aber schlief und träumte glücklich davon, wie er so einen wunderschönen Stein gefunden und wie sein Freund ihm verraten hatte, wem er ihn schenken kann...

Die Schneeglöckchen

Der kleine Wurzeltroll stand wie jeden Morgen früh auf. Jetzt, wo es noch winterkalt war, war noch nicht einmal die Sonne aufgegangen, und schon war der kleine Wurzeltroll auf den Beinen. Doch es war schon Anfang März, und die Sonne ging jeden Tag wieder ein wenig früher auf. Und so strahlte die Morgensonne doch bald durch die Bäume.

Der Wurzeltroll ging heute eilig zu einem besonderen Platz... Er ging zuerst einen Hügelweg hinauf, dann an einem Feld entlang, das jetzt noch dunkel und ohne Sprossen da lag, und bald war er dort angekommen, wo er hinwollte: Auf den Hügel mit den drei großen, alten Eichbäumen. Diese drei standen wie drei große Brüder am selben Platze und blickten von hier aus ringsum weit in das umliegende Land. Wie gute Wächter standen sie hier schon so lange, wie der kleine Troll sich überhaupt erinnern konnte.

Im Sommer saßen immer viele Vögel in ihren Kronen und zwitscherten, sangen und plapperten alle durcheinander, und viele Tiere suchten im Schatten dieser alten Drei Schutz, wenn die Sonne zu heiß vom Himmel herniederschien. Im ersten Frühling aber, wenn die Sonne noch nicht so warm war, sondern die liebe Erde mit ihren Strahlen nur ein wenig streichelte – im ersten Frühling wuchsen zwischen den drei Eichenbrüdern die kleinen Schneeglöckchen. Dann schaukelten ihre kleinen weißen Blüten im Wind, lange bevor die Blätter der alten Eichen sich von neuem entfalteten.

Als der kleine Wurzeltroll hier angekommen war, begrüßte er zuerst die Bäume. Dann aber schaute er auf die Erde, schaute sich um – und dann sah er die kleinen Schneeglöckchen! Hier eines, da eines, da hinten zwei, hier noch eines...! Das Herz des kleinen Trolles jubelte – also würde der Frühling bald richtig beginnen! Er lief zu dem ersten Schneeglöckchen und begrüßte es liebevoll.

Die Schneeglöckchen freuten sich, daß der kleine Wurzeltroll sie besuchte, und erzählten ihm, wie sie sich vor wenigen Tagen aus der Erde gewagt hatten. Wie sie lange Zeit als kleine Sprossen unten in der Erde gewartet hatten. Wie sie gehorcht hatten, was da oben wohl geschah. Wie sie noch einmal gespürt hatten, wie der Schnee vom Himmel fiel. Wie es dann wieder getaut hatte und das Wasser in die Erde sank. Und wie sie sich dann ein Herz gefaßt hatten und emporgewachsen waren...

Der kleine Troll sagte zu dem Schneeglöckchen: „Aber liebes Schneeglöckchen, es kann doch noch einmal sehr kalt werden und sogar wieder schneien!“ – Das Schneeglöckchen antwortete: „Ja, lieber Wurzeltroll, du hast recht. Es wird schon wärmer, und wir hoffen, daß der Frühling bald beginnt. Aber es kann wohl noch einmal sehr kalt werden. Dann kommt der strenge Vater Frost, und dann müßten wohl viele von uns erfrieren.“

„Hoffentlich nicht“, sagte der kleine Wurzeltroll, „warum seid Ihr denn auch so früh hervorgekommen? Ihr hättet doch in der lieben Mutter Erde noch warten können, bis es gewiß Frühling geworden wäre.“ – „Ja, das hätten wir wohl können“, antwortete ein anderes Schneeglöckchen. „Aber wir wollten es doch nicht. Wir wissen doch, wie lange schon keine Blumen mehr geblüht haben und wie lange der Winter nun schon dauert... Weißt du, wir kommen doch jedes Jahr wieder so früh aus der Erde – weil wir wissen, wie sehr sich die Menschen und auch die Tiere darüber freuen. Und so haben wir unseren ganzen Mut zusammengenommen und uns heraufgewagt, um allen Tieren, die hier vorbeikommen, eine Freude zu machen.“

„Oh“, sagte der Wurzeltroll und schaute dankbar auf das Schneeglöckchen, das so gesprochen hatte. „So habt Ihr Euch also hervorgewagt, obwohl ihr wißt, daß ihr vielleicht erfrieren könnt? Weil ihr dennoch den Tieren, die euch sehen, eine Freude bereiten wolltet nach so langer Winterszeit?“ – „Ja, so ist es!“ riefen nun alle Schneeglöckchen, die auf dem kleinen Hügel wuchsen. – „Ach, ihr lieben Blumen“, sagte der kleine Wurzeltroll, „ich wünsche euch allen, daß der Frost im Februar genug gefrostet hat und sich nun für ein Jahr zur Ruhe legen mag, damit euch kein Leid geschieht!“

„Wir hoffen es auch“, sagte das kleinste Schneeglöckchen. „Aber wenn es denn so ist, daß Vater Frost noch einmal wiederkehrt, dann dulden wir es auch, daß wir erfrieren müssen. Wir haben es doch erreicht, was wir uns so sehr gewünscht haben: Die großen und die kleinen Tiere, die hier vorbeigingen, freuten sich so sehr, daß die ersten Blüten wieder zu sehen waren...! Nun warten wir getrost, was da kommen mag – der warme Frühling oder noch einmal die Kälte...“

„Ich werde jeden Tag wiederkommen und schauen, ob es euch gut geht!“, sagte der kleine Wurzeltroll. Dann wünschte er den lieben Schneeglöckchen einen wunderschönen sonnigen Tag und verabschiedete sich. Er wanderte noch weiter an andere Stellen, die er immer wieder gerne besuchte. Und an manchem Ort traf er auf andere Schneeglöckchen, und überall hörte er von dem Mut dieser kleinen Blumen, und die Tiere, denen er begegnete, erzählten ihm, wie glücklich sie darüber waren, daß die kleinen Schneeglöckchen ihre lieblichen Blüten zeigten, wo es sonst noch überall grau und recht trostlos erschien.

Glücklich kam der kleine Troll abends wieder an seiner Wurzel an. Er dachte noch lang an die kleinen mutigen Schneeglöckchen und schlief schließlich ein – und er hoffte noch im Traum, daß es nur jeden Tag wärmer werden möge...

Vorfrühling

Der kleine Wurzeltroll freute sich. Wenn er morgens früh aufstand, wurde es jetzt schon langsam hell. Nun waren die Tage schon fast wieder so lang wie die Nächte!

Schnell sprang er auch an diesem Tag auf die Beine, kam aus seiner Wurzel heraus und machte sich auf den Weg. Oh, wie die Sonnenstrahlen ihn kitzelten! Nach langer Winterszeit sollte es nun also endlich bald Frühling werden.

Noch sah man kaum Blumen. Zunächst hatte sich gar keine wie die mutigen Schneeglöckchen hervorgetraut. Dann aber wuchsen die schönen violetten und gelben und weißen Krokusse! Und überall entdeckte der kleine Wurzeltroll, wie es sich regte und bewegte. Ein dünner Igel lief ihm über den Weg. „Guten Morgen“, rief der kleine Wurzeltroll, „du siehst aber sehr hungrig aus.“ – „Ja“, sagte der Igel, „ich bin erst vor einer Woche von meinem langen, langen Winterschlaf aufgewacht, und ich bin noch immer soo hungrig!“ Da nahm ihn der kleine Wurzeltroll mit zu einer Stelle, wo er wußte, daß einige dicke Käferlarven in der Erde schlummerten, die dem Igel sehr schmecken würden.

Als der kleine Troll weiterging, kam er an einem Ameisenhaufen vorbei und sah, daß die fleißigen Ameisen auch schon wieder angefangen hatten zu arbeiten. Sie ordneten die Zweiglein und Tannennadeln und Erdklümpchen, die während des langen Winters verrutscht waren. Die kleinen Ameisen freuten sich sehr, daß die liebe Sonne jetzt so schön wärmte und die Winterkälte aus ihrem Haufen vertrieb.

Und dann begegnete ihm sogar ein wunderschöner, gelber Schmetterling! „Hui, wo kommst Du denn her“, freute sich der kleine Wurzeltroll, „Wie heißt Du denn?“ – „Ich heiße Zitronenfalter...“ – „Wie lustig! Ja, Du bist auch gelb wie eine Zitrone. Aber wo kommst Du denn her zu so früher Jahreszeit?“, fragte der kleine Troll noch einmal. – „Von dort hinten. Siehst Du den großen umgefallenen Baum? Darunter war eine schöne, trockene Stelle. Da bin ich im Herbst tief hineingekrochen und habe den ganzen Winter geschlafen! Jetzt hat mich die Sonne geweckt – und nun fliege ich herum und freue mich.“

„Aber wo sind denn die anderen Schmetterlinge – die roten und blauen und bunten...?“, fragte der Wurzeltroll. – „Die sind noch gar nicht da“, antwortete der Zitronenfalter. „Die anderen Schmetterlinge haben im Herbst kleine Eierchen gelegt – manchmal in die Erde, manchmal unter ein Blatt oder an einen Pflanzenstiel. Daraus kommen bald winzig, winzig kleine Räupchen. Und die fressen dann viele Tage, bis sie größer geworden sind, richtige Raupen. Und irgendwann verwandeln sie sich in einen Schmetterling...“ – „Wirklich? Wie denn das?“ – „Ich weiß es nicht... Auch ich war im letzten Frühling noch eine Raupe, aber das ist schon so lange her. Ich kann mich nicht mehr erinnern...“ – „Dann werde ich im Sommer einen Schmetterling fragen, der sich gerade erst verwandelt hat!“, beschloß der kleine Wurzeltroll. „Oder vielleicht begegne ich einer Raupe und kann es selbst miterleben... Schön, daß ich Dich getroffen habe, lieber Zitronenfalter. Ich wünsche Dir noch einen wunderbaren Frühling!“ – „Danke, lieber Troll, und ich Dir auch“, sagte der Falter und flatterte weiter.

Auch der kleine Wurzeltroll ging weiter und dachte an das, was der Falter gesagt hatte. Aber nach gar nicht langer Zeit begegnete er wieder etwas Neuem. Plötzlich hüpften vor ihm drei Frösche über den Weg, und dann noch einer... Und dann noch einer! Der Wurzeltroll rief zum letzten Frosch: „Halt, warte mal! Was macht ihr denn da? Wo wollt ihr denn hin, ihr Frösche?“ – „Wir sind Kröten, genauer gesagt Erdkröten.“

Der kleine Wurzeltroll kam näher und sah jetzt, daß die Erdkröte wunderschöne goldene Augen hatte. Sie war nicht so grün, wie die richtigen Frösche, sondern bräunlich, aber ihre Augen waren viel schöner – und bestimmt wußte sie viele, viele Dinge, die die Frösche nicht wußten... „Und wo wollt ihr hin?“, fragte der kleine Troll wieder. – „Wir haben auch unseren Winterschlaf gehabt“, antwortete die Erdkröte, „so wie die Ameisen und der Zitronenfalter. Jetzt sind wir erwacht und haben uns auf den Weg gemacht, um zu dem Teich zurückzukehren, in dem wir geboren worden waren.“

„Oh“, sagte der Wurzeltroll, „wann warst Du geboren?“ – „Das ist schon mehrere Jahre her. Aber jedes Jahr wieder machen wir diese Wanderung. Wir kehren zurück, leben einige Zeit im Wasser, legen dort viele kleine Eier, und dann leben wir wieder auf der Erde...“ – „Und kommen aus den Eiern kleine Raupen?“ – „Nein“, sagte die Erdkröte und gluckste vor Lachen. – „Aber was dann?“ – „Das wirst Du schon sehen, wenn Du die Augen aufmachst“, antwortete die Kröte. – „Gut, ich passe auf und werde oft zum Teich kommen“, sagte der kleine Wurzeltroll. „Auf Wiedersehen, liebe Kröte.“ – „Auf Wiedersehen, kleiner Troll“, sagte die Erdkröte und hüpfte ihren Gefährtinnen nach.

Der Wurzeltroll hatte so viel erlebt, daß er kaum bemerkt hatte, wie es Abend geworden war. Müde und glücklich kehrte er nach Hause zurück. – In seiner Wurzel dachte er noch einmal an alle Tiere, denen er heute begegnet war, und überlegte sich, wann er sie wohl wiedersehen würde. Er freute sich, die Raupen kennenzulernen, die immer größer wurden und sich schließlich auf geheimnisvolle Weise verwandeln würden – in Schmetterlinge! Der kleine Troll konnte es noch immer kaum glauben... Und er freute sich, die Erdkröte mit ihren wunderschönen und weisen Augen wiederzusehen. Er stellte sich vor, wie er sie vieles fragen würde. Da war er aber auch schon eingeschlafen...

Das Frühlingswunder

O, wie war das schön! Der kleine Wurzeltroll sprang aus seinem Bett, als ihn der erste Sonnenstrahl kitzelte. Sofort wollte er wieder hinaus, wo jetzt überall die grünen Sprossen und Blätter hervorkamen! Schon war er an der frischen Luft, und schon begrüßte ihn ein strahlend blauer Morgen.

Der kleine Wurzeltroll lief glücklich über die Wege, die jetzt ganz anders aussahen, als in der langen Winterszeit. Am Wegesrand kamen überall kleine Blättchen aus der Erde, ja sogar mitten auf dem Weg sproßten winzige Pflänzchen hervor und breiteten ihre Blättchen aus. Manche von ihnen hatten winzig weiße Blüten, die man fast erst sehen konnte, wenn man sich zu ihnen hinunterbeugte. Das waren die kleinen Frühlingshungerblümchen. Sie trugen ihren Namen, weil sie so sehr nach den warmen Sonnenstrahlen hungerten und sich der lieben Sonne entgegenstreckten, so klein sie auch waren.

Die Krokusse, die jetzt überall ihre Blüten entfaltet hatten, waren viel größer und prächtiger anzuschauen. Aber darum hatte der kleine Troll die winzigen Blümchen genauso lieb. Und von den Krokussen liebte er besonders nicht etwa die mit den großen Blüten, sondern die kleineren, zarteren. Am liebsten waren ihm einige weiße Krokusse, die am Fuße von vier alten Eichen wuchsen, wo der kleine Troll nicht oft vorbeikam. Diese weißen Krokusse sahen geradezu feierlich aus, als wenn sie von Engeln gepflanzt worden wären.

Als der kleine Wurzeltroll die weißen Krokusse heute wieder erblickte, kam ihm das erste Mal der Gedanke, daß mit dem Beginn dieses ganzen Blühens überall um ihn her ein großes Geheimnis verbunden sein mußte. Wie konnte nach der langen kalten Winterzeit die gute Mutter Erde wieder so viele Blumen wachsen lassen? War es, weil die liebe Sonne wieder so warm schien? Gewiß! Aber es mußte noch etwas anderes sein. War es, weil der Frühlingsengel alles zum Blühen brachte? „Ja, so muß es sein!“ jubelte der kleine Wurzeltroll. Aber er fühlte, daß mit dem Beginn des Frühlings noch ein größeres Geheimnis verbunden war...

Es war ihm, als ob alle Pflanzen mit ihm jubelten, als ob alle Tiere sich freuten über etwas, das sie selbst kaum verstanden. Ja, sie freuten sich über die Wärme, über die laue Frühlingsluft, die den Duft der Krokusse mit sich brachte, und den Duft der Osterglocken... Diese wunderschönen Osterglocken – sie wuchsen und blühten immer dann, wenn der Frühling begann. Ob sie das große Geheimnis kannten? Sie leuchteten manchmal fast so wunderschön wie die Sonne selbst. Und manchmal war es dem kleinen Troll, als würden sie wie richtige Glocken läuten, leise, ganz leise... Dann meinte er, daß sie etwas von ihrem Geheimnis erzählen wollten, aber er verstand nicht, was sie flüsterten.

Und dann waren da noch die Tiere. Als es noch kalt war, waren schon die Kiebitze aus dem Süden wiedergekommen. Vor zwei Wochen waren dann auch die Kraniche zurückgekehrt. Und gerade erst gestern hatte der kleine Wurzeltroll sogar den ersten Storch wiedergesehen! Die vielen Vögel, die auch im Winter hier geblieben waren, fingen jetzt sogar schon an, Nester zu bauen und auf ihren Eiern zu brüten: Die Amsel, die Kohlmeise, die Spatzen, die Blaumeise. Überall war der Gesang der Vögel zu hören, überall waren die lieben Amseln und Meisen dabei, ihre Nester vorzubereiten und auszupolstern, damit die winzigen kleinen Vogelbabys es später weich und warm haben würden. Eine Amsel hatte dem kleinen Wurzeltroll sogar selbst ihr weiches Nest gezeigt, weil er ihr geholfen hatte, kleine Zweiglein und feines Stroh zu finden.

Aber nicht nur die Vögel fühlten sich in der warmen Sonne wohl. Der kleine Wurzeltroll bemerkte, wie auch die Schnecken sich wieder blicken ließen. Sie kamen nun aus ihren Winterverstecken wieder hervor und krochen umher. Manche Schnecke wurde aber auch von einer hungrigen Amsel geschnappt! Und die Bienen und die dicken Hummeln, die waren schon einige Zeit vorher aus ihren Löchern gekommen. Der kleine Wurzeltroll überlegte immer wieder, wo die Bienen und Hummeln sich im Winter versteckten, aber er hatte es bisher doch nie herausgefunden. Die Schnecken hatte er manchmal unter einem Stein oder in einem Erdloch entdeckt. Die kleinen Bienen aber versteckten sich zu gut... Nun, das mußten sie ja auch, denn der Winter war schließlich arg kalt!

Jetzt aber kamen alle Tiere wieder aus ihren Verstecken hervor, und wieder war dem Wurzeltroll so froh ums Herz, daß er vor lauter Glück in die Luft sprang. Jetzt würde es immer wärmer werden, und später würden noch andere Tiere wiederkommen, zum Beispiel die Marienkäfer und natürlich die vielen Schmetterlinge, die sich erst verwandeln mußten... Da gab es dann auch jeden Tag viel zu entdecken. Doch das eigentliche große Geheimnis verbarg sich in dem Beginn des Frühlings. Der Winter war endgültig zuende, überall begann es zu grünen und zu blühen!

Eigentlich war jede einzelne Knospe, aus der sich ein wunderbar zartes, helles grünes Blättchen entfaltete, ein Wunder! Oft und oft stand der kleine Wurzeltroll an so einem kleinen Zweiglein eines Baumes oder Strauches und besah sich diese kleinen Blättchen – manchmal sogar stundenlang, so hatte er alles um sich herum vergessen und war ganz versunken in das Wunder des Frühlings... Und heute fühlte er, als hätte er dieses Wunder ganz besonders tief erlebt. Voller Freude ging er am Abend langsam nach Hause. Als er auf seinem Bett lag, dachte er noch einmal an die leuchtenden Osterglocken. Da war es ihm, als würde er ein kleines bißchen von dem verstehen, was sie flüsterten. Aber vielleicht war er da auch schon eingeschlafen...

Die Streuobstwiese

Der kleine Wurzeltroll wachte auf. Ein warmer Sonnenstrahl hatte ihm seine Nase gekitzelt. Schnell sprang er aus seinem Bett und schon bald war er draußen auf den Beinen. Jetzt hatte der Frühling überall begonnen! Die Sonne schien schon ganz warm, überall blühte es, überall entfalteten sich die Blätter und leuchteten in wunderbar vielen grünen Farben in die Welt. Der Wurzeltroll freute sich über das viele, frische Grün und die leuchtenden Blüten der Frühlingsblumen. Jeden Tag lief er zu einer anderen Stelle, wo Blumen blühten und leise im Frühlingswind schaukelten. Heute aber hatte er etwas besonderes vor. Er wollte die Streuobstwiese besuchen, auf der viele alte Apfelbäume wuchsen.

So wanderte er den Feldweg entlang und begrüßte als erstes die feinen grünen Spitzen des Getreides, das aus der Erde heraussproß. Im Spätsommer würde es hochgewachsen und goldgelb hier auf dem Acker stehen und schwer an vielen kleinen Getreidekörnern tragen, die der Bauer dann ernten würde. Jetzt aber waren erst die kleinen Spitzen draußen, und man konnte sehen, wie es jeden Tag höher wuchs.

Dann kam der kleine Troll an einer alten Steinmauer vorbei. Es war eigentlich keine richtige Mauer, sondern ein Haufen vieler großer und kleiner Steine, der sich eine Zeit lang neben dem Weg her entlang zog und die Grenze zum anliegenden Feld markierte. Plötzlich sah der Troll, wie sich vor ihm ein Tier oben auf dieser niedrigen Mauer bewegte. Das war doch eine Eidechse! „Hallo, liebe Eidechse - du brauchst vor mir keine Angst zu haben“, sagte der kleine Wurzeltroll schnell. – „O, hallo lieber Wurzeltroll! Jetzt sehe ich, daß du es bist. Ich kenne dich ja schon vom letzten Jahr.“

Der kleine Troll fragte: „Du magst wohl auch die warme Sonne, nicht wahr?“ – „Ja“, sagte die Eidechse, „jetzt wo es so schön warm ist, bin ich aus meinem Versteck hier zwischen den Steinen hervorgekommen.“ – „Hast du dich etwa so lange versteckt? Den ganzen Winter und dann bis jetzt...?“ – „Ja, vorher war es mir doch immer noch zu kalt gewesen!“ – „Dann bist du ja ein richtiger Langschläfer!“ lachte der Wurzeltroll. „Aber jetzt kommen die schönen, warmen Tage. Laß es dir nur gutgehen da auf der Mauer, und paß auf, daß dich kein Vogel frißt!“ – „Ja, das werde ich schon machen“, sage die Eidechse, „und auch dir wünsche ich einen sehr schönen Frühlingstag!“ Damit huschte sie ein Stück weiter und machte es sich an einer anderen Stelle bequem.

Der kleine Wurzeltroll ging weiter. Bald war er endlich an der Streuobstwiese angekommen. Sie erstreckte sich ein kleines Tal hinunter – viele alte Apfelbäume standen hier. Jeder hatte genug Platz für sich und seine Äste – und seine Blüten! Das ganze Tal stand in einer wunderbaren Blüte! Jeder Baum strahlte in einem leuchtenden Weiß, denn alle Bäume hatten vor wenigen Tagen ihre frischen Blüten geöffnet. Der kleine Wurzeltroll liebte die Apfelblüten. Sie leuchteten so weiß wie Schnee, wie die Kirschblüten. Aber außerdem hatten sie noch einen zarten rosafarbenen Schein, und das sah so wunderbar geheimnisvoll aus!

Schon war der kleine Troll mitten zwischen die Bäume gesprungen und konnte sich gar nicht satt sehen an dem vielen Strahlen! Es war ein reines Lichterfest. Was war das für ein Leuchten, wenn das Sonnenlicht auf die weißen Blüten fiel und sie in aller Reinheit erglänzen ließ! Am liebsten schaute der Wurzeltroll aber, wie die Blüten leuchteten, wenn die Sonne hinter ihnen strahlte. Dann schien es, als würden die Blüten selbst ganz von innen leuchten. War das ein wunderbares Lichterspiel! Und dann der Duft dieser vielen Blumen! Und überall summte es in der Luft. Viele Bienen waren schon früh herbeigekommen und besuchten die lieben Blüten und freuten sich mit ihnen über ihren Duft und die Frühlingssonne.

Dann bemerkte er, wie auch viele Vöglein sangen – so viele verschiedene Vögel hörte er sonst kaum irgendwo. Es gab doch im Frühling keinen schöneren Platz als diese blühende Obstbaumwiese! In den alten Bäumen gab es so viel schöne Stellen, wo ein Vogel sein Nest hineinbauen konnte. Manche Vögel bauten ihr Nest auch mitten in die Baumstämme hinein. Viele der alten Bäume hatten schon hier oder da ein Loch im Stamm, das irgendwann einmal der Specht gebaut hatte. In einem Jahr hatte er dann selbst darin ein Nest gehabt, in einem anderen Jahr konnten andere Vögel darin ihre Eier ausbrüten.

So war die ganze Wiese voller Leben. Auch am Boden waren viele kleine Tiere zu sehen. Die Käferlein freuten sich genauso über den warmen Sonnenschein und den Blütenduft wie die größeren Tiere. Hier und da stand unter einem der Bäume ein Ameisenhaufen, und die kleinen Ameisen arbeiteten fleißig. Woanders kroch eine kleine Spinne zwischen den Grashalmen umher und suchte einen schönen Platz, wo sie ihr Netz bauen könnte. Der kleine Wurzeltroll sah dies alles und fühlte sich an diesem Tag besonders glücklich! Bestimmt würde auch die Eidechse oft hierherkommen und sich unter einem der alten Bäume die Sonne auf den Rücken scheinen lassen...

Stundenlang wanderte der kleine Wurzeltroll zwischen den Bäumen herum und sprach mit vielen Vögeln und Käferlein. Dann machte er wohl auch eine Pause und legte sich unter einen schönen Baum, um sich so von unten die vielen hundert Blüten anzuschauen, die dann im blauen Himmel leuchteten. Erst als es schon später Nachmittag geworden war, machte er sich langsam wieder auf den Heimweg. Den ganzen Weg zurück nach Hause dachte er an das Blütenmeer der Obstbaumwiese und ihren zarten rosafarbenen Schein. Ja, von allen Blüten liebte er diese ganz besonders...

Das Fröschlein

Der kleine Wurzeltroll gab sich große Mühe, jeden Morgen noch ein bißchen früher aufzustehen. Manchmal aber schien die Sonne jetzt schon ein ganzes Weilchen, bevor er aufwachte. Dann freute er sich über die lieben Sonnenstrahlen, die ihn wach kitzelten, sprang aus dem Bett und war schon wieder unterwegs.

Jetzt war es richtig Frühling geworden – alles blühte oder fing an zu blühen. Fast gleichzeitig mit den Apfelbäumen hatten die Kastanien angefangen und streckten jetzt ihre Blütenkegel zum Himmel hin. Der kleine Wurzeltroll fand, daß sie sich fast wie Weihnachtsbäume verkleidet hatten. Natürlich sahen die Weihnachtsbäume viel schöner aus... Von den Kastanien liebte er vor allem die Früchte, die an warmen Herbsttagen auf dem Boden glänzten. – Aber was blühte jetzt alles! Auch der Flieder, der so duftete, als würden seine Blüten aus reinem Honig gemacht. Oft zupfte der kleine Troll ein oder zwei winzige violette Blütchen aus den Fliedertrauben heraus. Dann schlürfte er am winzigen Blütenstiel, bis ein kleiner honigsüßer Tropfen herauskam... Wie schmeckte das lecker!

Als der Wurzeltroll in den Wald kam, bemerkte er in einem dichten Gebüsch ein Reh, das gerade vor wenigen Tagen ein winziges Baby geboren hatte. Das kleine Rehkitz war noch sehr schwach auf den Beinen und meist lag es nur in einer warmen Kuhle und schaute etwas ängstlich umher. Leise begrüßte der kleine Wurzeltroll das Rehkitz. Und weil der Troll so freundlich war und auch die Mutter dabeistand, hatte das kleine Reh bald keine Angst mehr. Mit großen braunen Augen schaute es den Troll an und lauschte seinen Erzählungen von der blühenden Frühlingswelt. Und das kleine Reh freute sich und war glücklich, daß es diese wunderbare Welt auch bald kennenlernen würde.

Dann verabschiedete sich der kleine Troll von der Rehfamilie und lief weiter. Bald kam er an einen Teich, der am Waldrand lag. Da setzte er sich ans Ufer und schaute auf das Wasser. Drüben am anderen Ufer sah er zwei Schmetterlinge flattern. Sie spielten im warmen Sonnenschein übermütig Fangen miteinander und waren nach einiger Zeit zwischen den Bäumen verschwunden. Dann bemerkte der kleine Troll, wie sich dort wo er saß, etwas bewegte.

Da sprangen doch tatsächlich winzige Fröschlein am Ufer umher! Und wie lustig sie aussahen... Der Wurzeltroll schaute genau hin. Wie kommt denn das – die kleinen Fröschlein hatten ja ein Schwänzchen? „Seit wann haben Frösche einen Schwanz“, dachte der kleine Troll. Dann fragte er eines der Fröschlein: „Hallo, liebes Fröschlein. Was bist denn du? Frösche haben doch keinen Schwanz!“ – Das Fröschlein antwortete: „Aber das siehst du doch, daß wir einen Schwanz haben. Ich dachte eher, wir haben keine Beine. Aber die sind uns in den letzten Tagen gewachsen!“

Der Wurzeltroll wunderte sich und wußte nicht mehr, was er sagen sollte... Als das kleine Fröschlein sah, daß der Troll gar nicht verstand, was es gemeint hatte, sprach es weiter: „Ja, lieber Wurzeltroll, hast du uns denn die ganze Zeit gar nicht im Wasser gesehen? Aber dann hast du bestimmt unsere Eltern gesehen, als es noch kälter war. Die großen Frösche sind damals hier zum Teich gekommen, in dem auch sie geboren wurden.“

Da plötzlich erinnerte sich der kleine Troll an den Tag, wo er sich über die schönen Krokusse gefreut hatte. Er hatte dann den ersten Zitronenfalter getroffen, und schließlich war er der Erdkröte mit ihren wunderschönen Augen begegnet. Ja, sie hatte ihm erzählt, daß sie mit ihren Gefährtinnen zum Teich wanderte, um dort viele kleine Eier zu legen. Sie hatte ihm gesagt, er würde schon sehen, was aus den Eiern schlüpfen würde, wenn er die Augen aufmacht. Doch dann hatte er ganz vergessen, zum Teich zu kommen, weil es so viel anderes zu entdecken gab! Jetzt schämte sich der kleine Troll ein wenig und fragte das kleine Fröschlein, was es erlebt hatte. Und das Fröschlein erzählte:

„Als ich aus dem Ei schlüpfte, war meine Mutter schon wieder verschwunden. So war ich ganz allein – dachte ich. Aber schon sah ich neben mir viele, viele Geschwister. Aber wie sahen sie denn aus? Und wie sah ich aus? Wir waren ja gar keine Fröschlein! Wir sahen viel lustiger aus – wie eine kleine Kugel mit einem großen Schwanz. Mit dem großen Schwanz konnten wir wunderbar schwimmen... Ganz schnell waren wir unten auf dem Teichgrund – und ganz schnell wieder oben am Wasserspiegel, wo die Sonne hereinglitzerte. Das war ein lustiges Leben im Wasser! Aber oft haben wir auch einen Fisch gesehen – da mußten wir sehr aufpassen, daß wir nicht gefressen werden.“

„Und weiter?“ fragte der kleine Wurzeltroll aufgeregt. – „Ja“, sagte das Fröschlein, „nach einiger Zeit bekamen meine Geschwister hinten dann plötzlich kleine Beinchen. Und als ich mich anschaute, sah ich, daß ich auch welche bekam. Und dann bekamen wir auch vorne zwei Beinchen... Und unser großer Schwanz wurde plötzlich immer kleiner! Da konnten wir gar nicht mehr so lustig umherschwimmen. Immer mehr fühlten wir uns wie richtige Frösche. Und jetzt möchten wir nicht mehr im Wasser leben, sondern die Welt hier draußen kennenlernen, wo du und unsere Eltern leben.“

„Das ist ja wunderbar“, staunte der kleine Wurzeltroll. Und dann erzählte er auch dem kleinen Fröschlein von der schönen Frühlingslandschaft mit ihren vielen Farben... Noch lange saßen die beiden am Ufer und sprachen miteinander. Dann wollte das kleine Fröschlein sich unter einem Blatt schlafenlegen, und der Wurzeltroll sah, daß es schon spät war. Er wünschte dem Fröschlein eine gute Nacht und machte sich auf den Heimweg. Als er endlich wieder in seiner Wurzel angekommen war, war auch er sehr müde. Er legte sich auf sein Bett und dachte an die vielen schönen Begegnungen mit den verschiedensten Tieren. Was er wohl morgen erleben würde? Aber da war er schon eingeschlafen...

Schmetterlinge

Der kleine Troll freute sich – wie warm es plötzlich war: Ja, es wurde langsam Sommer. Die Vögel hatten alle ihre Jungen bekommen, die meisten konnten bereits selber fliegen, und so spielten Vogeleltern mit ihren Kindern. Fuchsmütter wanderten mit den Jungfüchsen im Wald herum, und alle Tiere freuten sich über die warme Jahreszeit. Selbst die Frösche, die der kleine Troll hier und da traf, waren bereits ein großes Stück gewachsen.

Als er so durch die Wiesen und an den Feldern entlang wanderte, sah er, wie auch der Holunder anfing zu blühen. Schön dufteten die Holunderblüten. Und als er sie sah, mußte er bereits an die leckeren Holunderbeeren denken, die in einigen Monaten reifen würden. Die waren köstlich! Er mochte sie so gerne wie die Vögel.

Dann aber schaute er sich auch all die anderen Blumen an. Besonders gern hatte er die Glockenblumen, die mit ihren blauvioletten Glöckchen mitten zwischen den anderen Wiesenblumen standen und so manches Sommergeheimnis verrieten, wenn man ihnen zuhörte. Leise klangen ihre Blütenglöckchen im Mittagswind, und eine feine Musik, die die Menschen nicht hören konnten, wehte über die Wiese.

Und dann gab es die vielen bunten Schmetterlinge. Der Troll liebte sie alle, wie sie so wunderbar bunt durcheinanderflogen. Manchmal meinte er, die Schmetterlinge wären Himmelsblumen. Manche besuchten nur bestimmte Erdenblumen, doch die meisten Schmetterlinge liebten alle Blumen. Es war, als ob Blumen und Schmetterlinge Geschwister waren, die einander so lieb hatten, daß sie sich immer besuchen wollten. Und weil die Blumen ja nicht laufen konnten, flogen die Schmetterlinge zu ihnen. „Wenn ich ein Schmetterling wäre“, dachte der kleine Troll, „dann würde ich auch nur alle die duftenden, bunten Wiesenblumen besuchen wollen. Aber weil ich ein Troll bin, gibt es für mich noch so viel anderes Interessantes zu sehen.“

Er dachte an den kühlen, oft so geheimnisvollen Wald, in dem nur manchmal ein Schmetterling zu sehen war. Oder an den Bach, dessen Wasser unaufhörlich zum Tale plätscherte. Hier aber war er einmal dem schönsten Schmetterling begegnet, den er je gesehen hatte. Es war ein großer Schmetterling von tiefblauer Farbe, dessen Flügel wie flüssiges Gold schillerten, wenn ein Sonnenstrahl sie traf. Nur kurz hatte er diesen Schmetterling gesehen. Er flog zwischen den Bäumen am Wasser entlang. Mal war er zu sehen, dann wieder nicht, und der Troll meinte, einen fliegenden Diamanten zu sehen. Das war so schön gewesen, wie wenn die Sonne am Nachmittag in den Wasserwellen glitzert, oder noch ein wenig schöner! Aber dann war der geheimnisvolle Schmetterling wieder verschwunden...

Die Glockenblumen hatten ihm verraten, daß das Schönste oft nur sehr selten zu finden war. Als der Troll ihnen dann sagte, daß auch sie ganz besonders schöne Blumen waren, lächelten sie bescheiden und versicherten, daß jener golden-blaue Schmetterling noch tausendmal schöner wäre.

Daran dachte der Troll als er wieder nach Hause wanderte, und er war sehr, sehr dankbar, daß er jeden Tag so viel Schönem begegnen durfte. Jetzt waren die Tage schon lang, und nur langsam senkte sich die Sonne wieder der Erde zu. Am Nachmittag leuchteten die Wiesen in noch wärmeren Farben, und der Wurzeltroll atmete den Duft der vielen Blumen tief in sich hinein. Dann sprang er ein Stück des Weges entlang und machte noch einmal eine Pause.

Als er sich auf einen Stein gesetzt hatte, huschte neben ihm eine Eidechse zwischen den Gräsern entlang. „Kleine Eidechse, bleib doch hier“, rief er, „ich tue dir nichts.“ Die kleine Eidechse huschelte zu ihm zurück. „Welche Blume liebst du am meisten?“ fragte er sie. – „Oh, die Blumen, die sind mir eigentlich alle gleich lieb. Mir gefällt aber besonders das weiche Moos, wenn es mich so lustig am Bauch kitzelt.“ – „Ja, das weiche Moos liebe ich auch“, sagte der kleine Wurzeltroll. Aber wunderschön ist doch die bunte Wiese, besonders die lieben Glockenblumen.“

„Aber schau“, wandte die Eidechse ein, „ich husche hier an der Erde entlang, die meisten Blumen sehe ich niemals. Nur wenn ich einmal einen größeren Stein finde und ihn ersteige, kann ich einmal etwas mehr von der Welt sehen. Darum liebe ich mehr das, was ich jeden Tag entdecken kann.“ – „Ja, du hast recht“, sagte der kleine Troll, „daran habe ich nicht gedacht.“ Und die kleine Eidechse tat ihm ein wenig leid, weil sie so vieles gar nicht sah, was er jeden Tag schauen durfte. Aber wahrscheinlich entdeckte sie in ihrer kleinen Welt auch viele schöne Dinge, die er übersah. Er freute sich, daß sie beide das grüne, zarte Moos gern hatten.

Er wünschte der Eidechse noch einen schönen Sommer und verabschiedete sich von ihr. Nun war die Sonne langsam zur Erde gesunken, und der Abend war hereingebrochen. Der Duft der Blumen und Gräser begleitete den kleinen Troll, als er den letzten Weg zu seiner Wurzel entlangging. Und von Ferne hörte er wieder den leisen, ganz leisen Klang der Glockenblumen, die ihm eine gute Nacht wünschten, bevor sie selber ihre Glöckchen schlossen und einschliefen.

„Gute Nacht, ihr lieben Glockenblumen“, sprach der kleine Wurzeltroll. Dann ging er in seine Wurzel hinein und sprach auf seinem Bettchen sein Nachtgebet. Und schon bald schlief er tief und fest und träumte von den bunten Blumen und ihren Brüdern und Schwestern, den Schmetterlingen...

Mittsommer

Der kleine Troll war schon ganz früh auf den Beinen – doch die Sonne schien schon mit goldenen Strahlen und breitete einen warmen Glanz über die friedliche Welt. Es war Mittsommer – die kürzeste Nacht des Jahres war vorübergegangen, und der längste Tag brach an. So früh wie heute würde die Sonne erst wieder aufgehen und so spät würde sie erst wieder untergehen, wenn ein Jahr vergangen sein würde.

Bald schon schien die Sonne heiß und leuchtend, obwohl es noch immer früher Morgen war. Der kleine Troll war auch die Hitze gewohnt, obwohl er in diesen Tagen manchmal gehörig ins Schwitzen kam. Aber davon merkte er wenig. Denn überall gab es so viel zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken, zu erleben...

Zuerst bemerkte er das Zwitschern vieler, vieler Vögel. Mochten sie zur Mittagszeit stumm im Schatten der Zweige sitzen und sich vor der heißesten Stunde des Tages verstecken – jetzt am Morgen sangen sie alle ihr fröhliches Lied. Und wie viele verschiedene Vögel es da gab – der kleine Troll hörte die Amseln, die Meisen, Grünfinken, die Girlitze, Goldammern, Rotkehlchen, Baumläufer und viele viele andere – und manche kannte er noch gar nicht...

Und dann sah und begrüßte er die vielen Tiere, die gar keine Stimme hatten. Die Käferlein, die in den Gräsern umherklettern oder auch ein Stück von Blume zu Blume flogen, die Schmetterlinge, die immer und immer in der Sommerluft tanzen wollten, die Fliegen... Ja, auch von den Fliegen gab es viele verschiedene. Allein die Schwebfliegen, die an einer Stelle in der Luft schwirren konnten, waren so vielgestaltig, daß der kleine Troll meinte, er müßte Dutzende unterscheiden können, wenn er nur genau hinschaute.

Und als er am Ufer des Teiches entlang wanderte und dort eine kleine Pause machte, erblickte er fliegende Edelsteine. Nun, sie sahen wie Edelsteine aus, diese Libellen – da gab es himmelblau glänzende, smaragdgrün schillernde und auch rubinrot leuchtende. Und sie flogen so schnell über das Wasser hin, daß es dem kleinen Troll ganz schwindlig werden konnte, wenn er ihrem Treiben zuschaute. Er sah nur die blitzschnellen Farbenwunder in der Sommerluft umherschnellen.

Dann gab es am Wasser noch die vielen Frösche, die in unterschiedlichen Stimmen ihr Quaken hören ließen. Und über dem Wasser vollführten große Mückenschwärme ihre taumelnden Tänze. In den Wiesen, in denen der kleine Troll dann umherwanderte, traf er wiederum zahllose Bienen und Hummeln, ja einmal sogar einen richtigen Bienenschwarm, der wie ein großes Tier über die Wiese hinzog. Man hörte das aufgeregte Brummen schon von weitem.

Der kleine Troll tanzte und hüpfte zwischen den Blumen umher. Alle Tiere feierten den Sommer... Ausgelassen sprangen junge Kaninchen herum, unternehmungslustig huschten grünleuchtend Eidechsen zwischen warmen Steinen umher. Und so lange der Mittsommertag auch dauerte, keines der Tierlein und größeren Tiere merkte etwas von Zeit. Alle trieben sich unablässig und unermüdlich herum und ließen sich vom Spiel der Sonnenstrahlen und vom lichten Sonnenwind treiben.

Müde wurde ein jedes erst, als es Abend wurde. Aber auch der Abend war lang, lang fast wie ein Tag. Lange dauerte es, bis sich die vielen Käferlein und Fliegen, Libellen und Schmetterlinge ihren Platz unter einem Blatt oder an einem Halm gesucht hatten – nur die Mücken summten und schwirrten noch immer in der Luft herum.

An diesem Feiertag des Jahres wollte der kleine Wurzeltroll noch die Nacht erleben, und so legte er sich noch nicht zu Bett, sondern setzte sich auf einen Stein und schaute, wie der Tag zur Neige ging. Die Sonne war früher aufgestanden als er – nun aber legte sie sich schlafen, und das Abendrot breitete seine milde Glut über die Erde...

Bald aber, als es dunkler wurde und die kurze Nacht über die Erde zu schreiten begann, da erblickte der kleine Troll ein anderes Glühen. Es war, als ob das Tanzen und die Freude dieses Tages selbst in der Nacht kein Ende nehmen wollte. Doch was war das? Wie winzige kleine Lichter tanzte es in der Dämmerung, als ob die Sonne im Dunkeln Hunderte kleiner Kerzen angezündet habe, die auf und nieder tanzten.

„Wer seid ihr?“ fragte der kleine Troll. – „Wir?“ sangen die kleinen Lichter. „Wir sind das Licht der Sommernächte...“ Eines dieser kleinen Wesen tanzte ganz nah an den Wurzeltroll heran und sang: „Die klugen Eulen nennen uns Glühwürmchen.“ Und ein anderes sang: „Wir bringen das Sommerlicht noch in die tiefste Nacht.“ Dann tanzten sie alle fort und schwirrten und gaukelten um die alten Eichen des Waldes.

Der kleine Wurzeltroll staunte und freute sich über dieses Wunder. Ihm kam es jetzt so vor, als würde die liebe Mutter Erde selbst kleine Sternlein zu den großen Sternen schicken wollen. Alles schien sich in dieser Sommerzeit so hoch und so fröhlich wie nie in den Himmel erheben zu wollen – zur Sonne hin, zu den Sternen hin, hoch, hoch hinauf...! Auch der kleine Troll hatte kaum bemerkt, wie der Tag zuende gegangen war und hatte nur immer wieder geschaut und mitgetanzt. Jetzt war er glücklich. So einen wunderbaren Sommer-Festes-Tag hatte er erlebt und eine geheimnisvolle Mittsommernacht kennengelernt! Müde sank er in sein Bett und wurde sofort in das Traumland getragen...

Schillerfalter und Wiesenameisen

An diesem Tag ging der kleine Wurzeltroll zunächst durch die Wiese, die direkt neben dem großen, großen Baum anfing. Dort summte es, wohin man auch horchte. Überall besuchten die Bienen und Hummeln und Schmetterlinge die Blumen. Der kleine Troll schaute besonders den bunten Schmetterlingen gerne nach. – Auf einmal entdeckte er einen, der wunderbar blau schimmerte, wie er es noch nie gesehen hatte. „Halt, Moment mal!“ rief der Wurzeltroll. „Was bist Du denn für ein Schmetterling?“ – „Ich? ... Oh... Ich bin ein Schillerfalter.“ – „Ich habe Dich hier noch nie gesehen“, sagte der Troll. „Wo kommst Du denn her?“ – „Ich komme aus dem Erlenbruch dort hinten. Tatsächlich war ich noch nie in dieser Wiese. Aber sie sah schon von weitem so wunderschön bunt aus, daß ich unbedingt einmal herfliegen wollte.“

„Das ist schön“, sagte der Troll. „Wirst Du jetzt jeden Tag hierher kommen?“ – „Ehrlich gesagt: Ich glaube nicht“, antwortete der Schillerfalter. „Ich muß sagen, es ist mir hier etwas zu heiß. Ich finde hier kaum Schatten, außer unter diesem wunderschönen großen Baum...“ – „In der Wurzel dort unten wohne ich!“ unterbrach der kleine Troll den Falter. – „Oh, das ist ja ein schöner Platz zum Wohnen. Aber dennoch ist mir auch hier im Schatten noch zu warm. Zwischen den Erlen am Bach, wo ich sonst herumfliege, ist es viel angenehmer. Ich muß jetzt wieder dorthin zurück.“ – „Schön, daß ich Dich trotzdem hier getroffen habe!“ sagte der kleine Troll. – „Ich freue mich auch, Dich kennengelernt zu haben“, sagte der Schillerfalter, „vielleicht besuchst Du mich ja auch mal.“ – „Ja, bestimmt. Auf Wiedersehen!“

Der kleine Troll seufzte noch einmal vor Freude, in seiner Wiese einen so wunderschönen tief blauen Schmetterling gesehen zu haben und schaute ihm lange hinterher. Dann ging er weiter. Noch bevor er die Wiese hinter sich ließ, sah er inmitten der Gräser und Kräuter einen Ameisenhaufen. Erstaunt lief er auf seinen kleinen Beinchen ganz schnell hin, um ihn sich näher anzusehen.

„Ein Ameisenhaufen in einer Wiese?“ sagte er zu sich selbst, „bisher habe ich hier noch nie einen gesehen. Ich dachte, die Ameisen leben nur im Wald!“ – Als er näher hinschaute, wunderte er sich noch mehr. Diese Ameisen waren ja überhaupt nicht schwarz, wie jene, die er bisher nur kannte. Sondern sie waren rot und viel kleiner als die anderen! Na, das war ja lustig, wie es da in dem Haufen durcheinander wuselte und kribbelte und krabbelte!

„Hallo“, sagte der kleine Troll, „ich bin ein Wurzeltroll!“ – „Hallo“, sagte die Ameise, die gerade vorbeilief. „Schön, Dich zu sehen, wenn Du uns nichts tust.“ – „Nein, natürlich tue ich euch nichts“, sagte der Wurzeltroll. „Wie kommst Du denn darauf?“ – „Nun, es gibt genug Wesen, die für uns böse sind. Zum Beispiel kommt manchmal der Specht, setzt sich auf unseren Haufen und frißt einige von uns.“ – „Oh“, sagte der Wurzeltroll. „Ich esse nur Kräuter“. – „Das ist schön“, sagte die Ameise. „Jetzt muß ich aber weiter arbeiten.“ Und schon war sie fort.

„Hallo“, sagte der kleine Troll zur nächsten Ameise. „Ich dachte der Specht frißt die Rinde der alten Bäume.“ Die Ameise blieb stehen. Sie trug gerade ein Stück von einem vertrockneten Grashalm, das dreimal so groß war wie sie. „Nein“, antwortete sie. „Der Specht frißt keine Rinde. Unter der Rinde sitzen kleine Käferlein und Würmlein. Die frißt er. Und manchmal frißt er einige von uns.“ – „Oh“, sagte der kleine Troll wieder. Aber dann hilft er den Bäumen, damit die Käferlein und Würmlein sie nicht auffressen?“ – „Nein“, sagte die Ameise wieder. „Aber jetzt muß ich weiter arbeiten.“ Und schon war sie fort.

„Hallo“, sagte der kleine Troll zur nächsten Ameise. „Hilft der Specht den Bäumen?“ – „Nein“, sagte diese. Sie trug ein kleines Kleeblättchen, das doppelt so groß war wie sie. „Die Käferlein und Würmlein sitzen unter der Rinde von Bäumen, die schon alt geworden sind und irgendwann sterben. Das Holz ist schon weich geworden, und deshalb können die Käfer und Würmlein dort ihre Gänge graben. Aber sie tun dem Baum nichts. Der Specht frißt sie trotzdem. Und auch manchmal uns Ameisen. Jetzt muß ich aber weiterlaufen.“ – „Auf Wiedersehen, Ihr lieben Ameisen.“ – „Auf Wiedersehen“, riefen alle Ameisen, die den Troll gerade gehört hatten.

Dann lief der Troll weiter und wanderte an diesem Tag noch viele, viele Schritte, bis er spät am Abend in sein Wurzel-Zuhause zurückkehrte...

Der große Stein

Der kleine Wurzeltroll stand an diesem Morgen sehr früh auf und ging gleich nach dem Frühstück nach draußen, um herumzuwandern. Schon bald kam er zu dem alten Eichenwald, an dessen Beginn ein großer Stein stand. Manche Tiere des Waldes nannten den Stein sogar „Felsen“. Und die kleinen Käferlein nannten ihn sogar „Gebirge“! Aber für den kleinen Troll war es ein großer Stein.

Der kleine Wurzeltroll sagte zu dem Stein: „Guten Morgen!“ – Der Stein sagte nichts. – Da sagte der Wurzeltroll noch einmal: „Guten Morgen!“ – Da sagte der Stein mit sehr langsamer und tiefer Stimme: „Iiich haaabe Diiich schoon gehöört, kleiner Trollll. Ich bin aber schon so alt, daß ich nicht so schnell antworten kann... Guten Morgen, kleiner Troll...“

„Oh“, sagte der kleine Wurzeltroll. „Wie alt bist Du denn?“ – „Ich bin schon so alt, daß ich es gar nicht weiß, wiiie alt ich bin...“, sagte der große Stein. „Siehst Du den großen Baum dort...?“ – „Ja“, sagte der Troll, „das ist eine ganz alte Eiche.“ – „Ja...“, sagte der Stein. „Dieser Baum ist mindestens zwei Hundert Jahre alt... Ich war schon ganz alt, als dieser Baum noch so klein war, wie dieses kleine Käferlein, das gerade an deinem Fuß vorbeiläuft...“

„Oh“, sagte der Troll und staunte. – „Und dieser Baum wuchs aus einer kleinen Eichel, die gehörte zu einem noch viiiel älteren Mutterbaum... Und ich war schon ganz alt, als dieser Mutterbaum noch so klein war, wie dieses kleine Käferlein, das eben an deinem Fuß vorbeigelaufen ist...“

„Oh“, sagte der Troll noch einmal und sein ganzes kleines Trollherz war von Staunen erfüllt. „Du bist das Älteste, was ich je gesehen habe. Du bist bestimmt das Älteste, was es auf der ganzen Welt gibt!“ – „Ach, du lieber Troll! Neiiiin... Ich komme aus einem groooßen Gebirge... Das ist noch viiiel älter als ich... Viel, viel älter... Wie ich hierher gekommen bin, weiß ich nicht mehr... Das Gebirge, aus dem ich stamme, liegt weit, weit weg, dort hinten...“

„Das ist bestimmt sehr weit weg“, sagte der Wurzeltroll. „Ob ich dort einmal hinkommen werde? Jedenfalls will ich dich oft besuchen und dich noch vieles fragen.“ – „Guuut...“, sagte der große Stein. „Du kannst immer zu mir kommen, und ich werde dir alles sagen, was ich weiß...“ – „Auf Wiedersehen, lieber Stein!“

Glücklich und staunend machte sich der kleine Wurzeltroll wieder auf den Heimweg. Inzwischen war es schon fast Abend geworden, denn der Stein hatte so langsam gesprochen und der Troll hatte sich so lange mit ihm unterhalten, daß die Zeit vergangen war, ohne daß er es gemerkt hatte.

Als er wieder in seiner Wurzel ankam, funkelten schon die ersten Sterne am Himmel. Der kleine Troll aß noch sein Süpplein und stieg dann gleich in sein Bett. An diesem Abend betete er: „Von Kopf bis zum Fuß bin ich Gottes Bild. Vom Herzen bis in die Hände fühl ich Gottes Hauch...“ Dann schlief er ein, weil er so müde war, obwohl das Gebet noch weiter geht.

Die Wolken

Der kleine Wurzeltroll wachte auf, als ihn ein Sonnenstrahl kitzelte, der durch das kleine Fensterchen in das Wurzelhaus gefallen war. Als er aus der Tür trat, bemerkte er, daß die Sonne schon vor einiger Zeit aufgegangen war und er heute ziemlich lange geschlafen hatte. Der Himmel war strahlend blau, und so machte er sich sofort auf den Weg, um wieder einmal auf Wanderschaft zu gehen.

Als er den Weg in Richtung der drei alten Eichen ging, schaute er wieder zum Himmel und freute sich, daß heute keine einzige Wolke zu sehen war. Doch was war das? Plötzlich sah er doch eine Wolke – eine ganz kleine.

„Hallo, liebe Wolke“, rief der Wurzeltroll. „Wie bist Du denn entstanden?“ – Die Wolke antwortete: „Wie ich entstanden bin, weiß ich auch nicht. Auf einmal war ich da.“ – Der Troll wunderte sich und ging weiter seines Weges. Die kleine Wolke sah recht lustig aus, fast wie ein weiches, weißes Küken am Himmel.

Nach einiger Zeit bemerkte der kleine Troll, daß auf einmal drei, nein vier Wolken am Himmel waren. „Wo kommt Ihr denn her?“ – „Wie wir entstanden sind, wissen wir nicht. Auf einmal waren wir da“, antworteten auch die anderen Wolken. Der Troll wunderte sich, ließ sich aber nicht weiter stören und freute sich über die Sonne, die heute so schön herunterschien.

Nach einiger Zeit schaute der Troll wieder zum Himmel – und sah nur noch eine einzige große Wolke. „He!“ rief er. „Wo sind die vier kleinen Wolken?“ – „Wir sind noch hier“, sagte die große Wolke. „Wir sind vorhin zusammengeschwommen und sind jetzt eine große Wolke“. – „Oh“, sagte der kleine Wurzeltroll, kratzte sich an seinem Kopf und wunderte sich wieder. Dann ging er weiter.

Bald darauf sah er, wie auf einmal viele verschiedene Wolken am Himmel standen. Sie sahen ganz unterschiedlich aus – eine war fast wie ein Pferd, eine wie ein großes Kissen, eine wie ein Topf, in dem eine Suppe kocht. „Also, da sind jetzt aber ganz viele Wolken entstanden“, dachte er. „Die wissen auch alle nicht, wie sie entstanden sind“. Er machte eine kleine Pause und aß sein Mittagbrot.

Als er wieder hinaufschaute, sah er, daß manche Wolken dunkler geworden waren. „Was ist denn das?“ rief er. „Wieso seid ihr denn nicht mehr so schön weiß?“ – „Das wissen wir auch nicht“, sagten die Wolken, die grauer geworden waren. „Wir fühlen uns nur auf einmal so schwer. Vielleicht sind wir deshalb grau geworden.“

Der kleine Troll aß noch einige Beeren, die er unterwegs gesammelt hatte. Und als er dann wieder aufschaute, war der Himmel in einer Richtung ganz bewölkt und ganz grau. In den anderen Richtungen gab es viele Wolken, und die Sonne schien nicht mehr. Der Wurzeltroll sprang auf seine Füße. „Was ist denn das nun?“ rief er, so laut er konnte. „Wo ist denn die Sonne!“ – Die Wolkenwand antwortete: „Die Sonne ist hinter uns. Und wir fühlen uns sooo schwer.“

Auf einmal fielen einige Regentropfen vom Himmel. Der kleine Troll bekam einen Tropfen auf die Nase und – plitsch! – einen Spritzer ins Auge. „Also!“, rief er. „Erst ist die Sonne weg, und jetzt ärgern mich noch diese Tropfen!“ Schnell lief er unter den nächsten Baum, eine kleine Eberesche. „Wo kommt ihr her, ihr Regentropfen?“ – Die Tropfen antworteten: „Sei uns nicht böse. Wir sind auch die Wolken! Als wir so schwer wurden, fingen wir an, als kleine Tröpfchen auf die Erde zu fallen...“

Die Erde freute sich. Sie mochte die Regentropfen, weil der Regen allen Blumen, Kräutern und Bäumen zu trinken gibt und gemeinsam mit Schwester Sonne alle Pflanzen wachsen ließ. Der kleine Wurzeltroll freute sich inzwischen auch über die Regentropfen. Es war lustig anzuschauen, wie die Tropfen kleine Pfützen bildeten, wie dann neue Tropfen in die Pfützen fielen und noch kleinere Tröpfchen dann wieder hochsprangen. Der kleine Troll freute sich auch über die Ringe, die dann auf den Pfützen zu sehen waren und immer größer wurden, bis sie den Rand der Pfütze erreicht hatten. Und er freute sich, weil er sah, wie alle Pflanzen und manche Tiere sich über den Regen freuten.

Inzwischen tropften die Tropfen auch von der Eberesche, unter der er stand. Und sein Trollfell war schon plitschenaß. Das machte aber nichts, und nun lief der Troll mitten durch den Regen wieder nach Hause. Durch die Pfützen – platsch! – und durch die weiche Erde – matsch! –, das machte ihm großen Spaß!

Als er an seiner großen Wurzel ankam, war er überall naß und mit Erde bespritzt. Da sah er eine besonders große Pfütze, die sich in einer alten Wagenspur angesammelt hatte. In die sprang er mitten hinein und wusch sich sein Fell wieder sauber. Dann schüttelte er sich, lief in sein Wurzelhaus hinein und kroch ganz schnell in sein warmes Bett. Kaum hatte er die Augen zugemacht, träumte er auch schon von dem wunderschönen Regenbogen, der inzwischen über seinem Haus am Abendhimmel erstrahlte.

Die Pfützen

Als der kleine Wurzeltroll aufwachte, dachte er zuerst, es sei noch ganz frühmorgens. Dann aber hörte er die Kohlmeise singen, machte das Türchen auf und schaute hinaus. Der Himmel war heute bewölkt und die Sonne schien nicht – deswegen war es in seiner Wurzelhöhle noch so dunkel gewesen.

Der Troll machte sich auf die Beine, um heute wieder eine schöne Strecke zu wandern. Weil es gestern so lange geregnet hatte, standen überall auf den Wegen und Wiesen die Pfützen. Das sah lustig aus. Zwischen der Erde des Weges und zwischen den Blumen der Wiese gab es immer wieder helle Stellen mit etwas Himmel. Jedenfalls sah es so aus, weil der Himmel in den Pfützen zu sehen war wie in einem Spiegel.

„Das sieht lustig aus“, sagte der Troll. Auf einmal bemerkte er, wie die Pfütze, die gerade vor ihm war, gar nicht wie ein Spiegel aussah. In dieser kleinen Pfütze bewegte sich das Wasser. Als der Wurzeltroll genauer hinschaute, sah er, wie eine Fliege in der Pfütze schwamm, die wohl hineingefallen sein mußte. „Hilfe!“ sagte die kleine Fliege und schaute mit ihren kleinen Fliegenaugen zu dem kleinen Troll hoch, der für sie wie ein Riese war. Der Troll nahm ein trockenes Birkenblatt vom Boden und hielt es in die Pfütze, so daß die kleine Fliege hinaufkrabbeln konnte. Dann legte er das Blatt auf eine trockene Stelle am Wegesrand. „Danke!“, sagte die Fliege, „du hast mich gerettet!“

Der kleine Troll freute sich, daß er der Fliege helfen konnte, und ging weiter. Doch schon an der nächsten Pfütze sah er wieder etwas. Unten im Wasser ringelte sich ein Regenwurm und konnte anscheinend nicht hinaus. Im Wasser aber bekam er gar keine Luft. Der Wurzeltroll nahm ihn mit zwei langen Fingern und legte ihn auf die trockene Erde. „Danke!“ flüsterte der Regenwurm und grub sich in die Erde ein.

Nun machte der Troll große Augen und schaute in alle Pfützen, ob er nicht einem Tierlein helfen könnte. Als er noch einen Regenwurm aus einer großen Pfütze rettete, fragte er: „Wieso heißt ihr denn Regenwürmer, wenn die Regenpfützen für euch so gefährlich sind?“ – „Ja“, sagte der Wurm, „die Menschen haben uns vor langer Zeit diesen Namen gegeben, weil wir immer bei Regen aus der Erde kommen. Das ist aber, weil das Regenwasser in die Erde läuft und wir herauskommen müssen, um nicht zu ertrinken. Wenn dann alle Pflanzenwurzeln von dem Wasser getrunken haben, können wir uns wieder eingraben.“ – „Oh“, sagte der Troll und stellte sich vor, wie es wäre, wenn bei jedem Regen seine Wurzelhöhle ganz überschwemmt wäre.

Bis zum Abend lief der kleine Troll zwischen den vielen Pfützen hin und her und schaute in jede hinein, ob er einem Tierlein helfen könnte. So rettete er viele Fliegen und Regenwürmer, aber auch Käferlein, zwei Bienen, eine dicke Hummel und sogar eine kleine Spinne.

Erst als es allmählich dunkel wurde und er nicht mehr viel sehen konnte, ging er nach Hause zurück und beschloß, daß er an den Pfützentagen immer schauen wollte, wo er den kleinen Tierchen helfen könnte.

Als er vor seiner Wurzelhöhle stand, war schon der Mond aufgegangen und spiegelte sich in allen Pfützen, die der Troll sehen konnte. Ein Mond war oben am Himmel und viele, viele Monde waren unten auf der Erde. Keine Pfütze bewegte sich und alle Fliegen und Käferlein schliefen schon friedlich unter den Blättern und unter den Steinen. Müde und zufrieden ging auch der kleine Troll in seine Wurzel und schlief sofort ein.

Die Eidechse

Der kleine Wurzeltroll erwachte und merkte, daß es schon hell war. Als er vor die Tür trat, sah er, daß der Himmel strahlend blau war und es wieder ein sehr schöner Tag werden würde. Dennoch war es früher als an anderen Tagen und zunächst begegnete der Troll niemandem. Nur eine kleine Fledermaus flog noch umher, obwohl alle anderen Fledermäuse schon fest in ihren Höhlen schliefen, weil sie in der Nacht unterwegs gewesen waren. Daran merkte der kleine Troll, daß es wirklich noch sehr früh war und selbst er selten so früh aufgestanden war.

Nach einer kleinen Weile krabbelten die ersten Käferlein unter den Steinen hervor, unter denen sie geschlafen hatten. Einige Vögel hatten schon gesungen, als er seine Wurzel verlassen hatte, jetzt kamen immer mehr Stimmen hinzu. Und der Troll bemerkte, wie zu dieser frühen Morgenstunde ganz besonders viele Vöglein singen und zusammen ein wunderschönes Konzert machen.

Dann stieg die Sonne schnell höher und es wurde sehr heiß. Schon bald schwitzte der Troll ziemlich in seinem dicken Troll-Fell. Aber so war es im Sommer eben manchmal. Das störte ihn nicht weiter und er wanderte munter vorwärts.

Um die Mittagszeit herum kam er an eine Stelle, an der einige Steine herumlagen, fast so als wäre es eine kleine Mauer. Und oben auf dieser Mauer erblickte er etwas, das wunderschön grün in der Sonne glänzte. „Wer bist du denn?“ fragte der Troll. – „Ich bin eine Eidechse“, antwortete das Tier. – „Du bist ja wunderschön! Und deine grüne Farbe glänzt in der Sonne fast wie ein Edelstein!“ sagte der Troll. – „Oh, vielen Dank“, sagte die Eidechse. „Das wußte ich gar nicht. Aber ich liege sehr gerne in der Sonne. Das ist das Liebste, was wir Eidechsen tun – auf einem Stein liegen und uns von der Sonne bescheinen lassen!“

„Liegst Du den ganzen Tag dort oben?“ – „Manchmal schon, wenn ich kann. Ich laufe auch ein bißchen hin und her und suche mir natürlich auch etwas zum fressen, wenn ich Hunger habe. Aber ich muß auch aufpassen, daß mich kein Vogel frißt. Dann muß ich mich schnell in meinem Loch zwischen den Steinen verstecken.“

„Was, die Vögel fressen dich?“ fragte der kleine Troll erschrocken. „Du bist doch so schön!“ – „Nun ja, nur manche Vögel wollen mich fressen. Aber jedes Tier muß ja etwas fressen, um am Leben zu bleiben. Auch die Vögel wollen satt werden. Einmal bin ich beinahe gefressen worden. Ich lag wie heute schön in der Sonne und bemerkte nicht, wie eine Krähe hinter mir gelandet war – bis sie schon meinen Schwanz im Schnabel hatte!“

„Oh“, rief der kleine Troll erschrocken. „Sie hatte dich schon am Schwanz gepackt – und wie hast du dich trotzdem gerettet?“ – „Ja, das weißt du vielleicht noch nicht... Wir Eidechsen können unseren Schwanz auch abwerfen! Die Krähe hatte dann nur meinen Schwanz im Schnabel und ich bin schnell in mein Löchlein gelaufen. Nach einigen Tagen begann mein Schwanz wieder neu zu wachsen, und heute ist er wieder so lang, wie er früher gewesen war.“

„Das ist ja ein wirkliches Wunder!“ rief der Troll. „Das ist ja so, als wenn ich einfach meinen Arm abwerfen könnte!“ Der kleine Troll lachte leise, als er sich das vorstellte. – „Ja, das ist ein Wunder. Das können glaube ich nur wir Eidechsen.“ – „Bestimmt hat das der liebe Gott gemacht, weil ihr so schön seid!“ sagte der Troll leise. – „Ich weiß nicht genau“, antwortete die kleine Eidechse etwas verlegen. „Jedenfalls freue ich mich sehr, daß ich noch lebe. Und jetzt passe ich immer sehr gut auf und sehe alle Vögel, die mich fressen wollen. Und deswegen liege ich auch immer ganz nah bei meinem Löchlein und – schwupps! – bin ich dann weg. Nur als ich dich sah, bin ich nicht weggelaufen, weil ich von den Trollen noch nichts Böses gehört habe.“

„Das ist schön“, sagte der kleine Wurzeltroll. „Aber ich weiß, daß es auch einige böse Trolle gibt. Du solltest also trotzdem vorsichtig sein.“ – „Oh“, sagte die Eidechse. „Danke, daß du mir das sagst. Aber wenn du mich besuchen kommst, brauche ich jedenfalls keine Angst zu haben, nicht wahr?“ – „Nein“, sagte der kleine Troll. „Ich hoffe, daß ich dich noch oft besuchen kann. Auf Wiedersehen, kleine Eidechse!“ – „Auf Wiedersehen, lieber Troll!“ – Der kleine Troll ging davon und schaute nach einigen Schritten noch einmal zurück zu der Eidechse. Er sah, wie sie noch immer oben auf der kleinen Mauer lag und wunderschön in der Sonne leuchtete.

Die beiden hatten sich lange unterhalten, und so war es schon später Nachmittag geworden. Langsam sank die Sonne tiefer, heiß war es aber immer noch. Erst als der kleine Wurzeltroll wieder bei seiner Wurzel war, wurde es ein bißchen kühler, da war die Sonne aber auch schon gerade untergegangen. Der kleine Troll aß noch ein kleines Süpplein und ging dann sofort in sein Bett. Heute Nacht träumte er von einer kleinen grünen Eidechse, die so wunderbar leuchtete wie ein kleiner Edelstein.

Der Scheckenfalter

Es war Spätsommer geworden. Die Tage waren immer noch sonnig, und wieder einmal fiel der erste Strahl der aufgehenden Sonne durch das kleine Fensterchen in die große Wurzel, in der der kleine Wurzeltroll wohnte, und kitzelte ihn an der Nase. Der Wurzeltroll erwachte und sprang auf. „Ha, du lieber Sonnenstrahl! Hast du mich geweckt?“ – „Ja“, antwortete der Sonnenstrahl, „und jetzt mache ich deine ganze Wurzel hell.“ – „Das brauchst du nicht“, rief der Wurzeltroll, war mit einem Satz an der Tür und sprang hinaus.

„So ein schöner Tag“, sagte der Wurzeltroll, „da will ich schnell hinaus und wieder herumwandern.“ Er machte sich auf den Weg zur Bergwiese. Unterwegs fand er an einem großen Gesträuch einige leckere Brombeeren, die er sammelte und auf einem kleinen Baumstumpf sitzend genüßlich verzehrte.

Schon bald kam er dann an der Bergwiese an und sah schon von weitem, wie viele Schmetterlinge zwischen den Blumen hin- und herflatterten. Deswegen mochte er diese Wiese so sehr! In anderen Wiesen gab es nicht so viele Schmetterlinge wie hier. Und hier blühten auch die Blumen bunter!

Hin  und her blickte der kleine Wurzeltroll froh und sah hier einen Schillerfalter, dort einen Bläuling und wieder woanders einen kleinen Fuchs. Ja, es gibt auch Schmetterlinge, die Fuchs heißen! Dann bemerkte der kleine Troll einen Schmetterling, den er nicht kannte, weil er ihn noch nie gesehen hatte. Der Schmetterling hatte sich gerade auf eine gelbe Arnika-Blume gesetzt und sah wunderschön aus mit gelben, silbernen und blauen Flecken. Der Wurzeltroll fragte den Schmetterling: „Hallo, wer bist du denn?“

„Ich?“ fragte der Schmetterling und schaute den Troll, der für ihn groß war, erstaunt an. „Ich heiße Scheckenfalter – und du?“ – „Ich bin der Wurzeltroll“, sagte der Wurzeltroll, „ und ich habe dich hier noch nie gesehen.“ – „Ja“, sagte der Schmetterling, „von uns Scheckenfaltern gibt es nicht so viele. Aber ich habe dich auch noch nie gesehen.“ – „Ja“, sagte der Wurzeltroll, „ich komme nur manchmal hierher, obwohl ich diese Wiese sehr gern mag.“ – „Ich mag sie auch sehr gern, aber ich habe sie erst vor kurzem gefunden“, sagte der Scheckenfalter.

„Und wo wohnst du?“ fragte der kleine Wurzeltroll. – „Oh“, sagte der Scheckenfalter. „Die Schmetterlinge wohnen nirgends. Sie schlafen jeden Abend dort, wo sie gerade sind. Wenn die Sonne langsam untergeht, setzen wir uns an einen Blumenstiel oder unter ein Blatt, und dort schlafen wir bis zum nächsten Morgen.“

„Also habt Ihr gar keine Wohnung?“ – „Nein, uns reicht ein Blumenstiel zum Schlafen.“ – „Und was macht ihr im Winter, wenn es kalt ist?“ – „Oh“, sagte der Schmetterling wieder. „Hat dir das noch keiner der Schmetterlinge erzählt? Die meisten Schmetterlinge leben nur einige Wochen oder Monate. Wenn es Herbst wird, dann sterben wir. So brauchen wir keine Wohnung für den Winter.“

„Oh“, sagte nun der kleine Troll, „ja, ich habe im Winter auch noch nie einen Schmetterling gesehen.“ – „Und doch gibt es manche Schmetterlinge, die übernachten im Winter tief in der Erde oder in den Baumritzen. Kennst Du die Zitronenfalter?“ – „Die schönen gelben Schmetterlinge?“ rief der Wurzeltroll. – „Ja. Sie sterben im Herbst nicht, sondern verstecken sich und schlafen im Winter in der Erde. Und wenn im Frühling die Sonne wieder wärmer scheint, dann kommen sie langsam wieder hervor – und so sind sie immer die ersten Schmetterlinge, die du im Frühling finden wirst.“ – „Ja, stimmt!“ sagte der kleine Troll. „Ich habe mich schon gewundert, warum die lieben Zitronenfalter immer die ersten Schmetterlinge im Frühling sind.“

„Die anderen Schmetterlinge legen im Herbst kleine Eier in die Erde, bevor sie sterben. Dann schlafen diese Eier in der Erde, bis der Frühling kommt.“ – „Und dann?“ fragte der Wurzeltroll. – „Und dann... dann... das wirst Du sehen, wenn wieder der Frühling kommt...“ – „Aber ist es den kleinen Eierchen nicht zu kalt in der Erde?“ – „Nein“, sagte der Scheckenfalter. „Draußen ist es im Winter zwar kalt, aber tief drinnen in der Erde ist es schon wärmer. Und dann gibt es noch die Wärme, die man nicht sehen kann... Die liebe Sonne hat den ganzen Sommer mit ihren Strahlen die Mutter Erde gewärmt, und im Winter hat die Erde diese ganze schöne Wärme in sich. Und so frieren die Eierchen und die vielen anderen Tiere, die sich in der Erde verstecken, überhaupt nicht!“

„Oh, das ist aber sehr schön“, freute sich der kleine Troll. Dann sah er, wie die Sonne schon langsam niedersank und sagte: „Jetzt muß ich aber nach Hause, sonst wird es dunkel. Ich freue mich, daß ich heute so vieles lernen konnte. Übrigens kenne ich dort hinten in der Wiese eine schöne Stelle mit wunderbar duftenden Blumen. Dort kannst du doch heute Nacht schlafen.“ Und er zeigte dem Scheckenfalter eine Stelle mit leuchtenden Enzianen. „Ja, die Stelle sieht wunderschön aus“, sagte der Schmetterling „auf Wiedersehen!“ Und er flatterte davon.

Der Wurzeltroll sah ihm lange nach, bis er ihn nicht mehr erkennen konnte. Da wußte er, daß der Schmetterling am anderen Ende der Wiese angekommen war und nun wanderte er auch selbst nach Haus. Als er an seiner Wurzel ankam, ging schon der Mond auf. Glücklich über diesen schönen Tag und sein Erlebnis mit dem Scheckenfalter legte der kleine Troll sich in sein Bett, machte die Augen zu und schlief sofort ein.

Die Pilze

Als der kleine Wurzeltroll aufwachte, merkte er, daß es schon spät am Morgen war. Schnell sprang er aus dem Bett. Er machte sich einen kleinen Brei aus Getreidekörnern zum Frühstück und aß ihn. Dann lief er schnell vor die Tür und sah, daß heute viele Wolken am Himmel schwammen. „Oh, es sieht nach Regen aus...“, sagte der kleine Wurzeltroll. Dann rief er: „Das macht nichts!“ und sprang hinaus.

Sofort wanderte er in Richtung des Waldes, denn er wollte heute Pilze suchen. Er war noch kaum am Waldesrand angekommen, da fing es an zu regnen. Zuerst fielen nur einige kleine Wassertröpfchen: Dipp... Dipp... Dippeldipp... Dippeldidipp... Der kleine Troll lief schnell zu einer großen Tanne, setzte sich an ihren Stamm und schaute den Regentropfen zu: Dippeldippeldipp... Die Regentropfen wurden immer mehr. Langsam bildeten sich kleine Pfützen, besonders auf dem Weg. Die Tropfen fielen jetzt in die Pfützen: Plitsch... Plitsch... Plitschplatsch... Plitschiplitsch...

Dann fing es richtig zu regnen an, es donnerte und blitzte. Jetzt entstanden auch auf vielen Blättern kleine Pfützen, überall, wo sich die Regentropfen versammeln konnten. Und schließlich tropfte es von allen Blättern, auch von den Nadeln der Tanne, unter der der kleine Troll saß. Als er langsam naß wurde, sprang er unter der Tanne hervor auf den Weg und stellte sich mitten in den Regen. Dann sprang er in die Pfützen und patschte mit seinen Füßen im Wasser herum, daß es nur so spritzte. Hui, da hatte er seine Freude!

Er spielte mit dem Schlamm, warf ihn hoch in die Luft und freute sich, wie er wieder herunter fiel. Und er hopste hin und her und ließ sich zuletzt sogar in eine besonders große Pfütze fallen, daß er überall und überall mit Schlamm bedeckt war. Jetzt sah er nicht mehr aus, wie ein Wurzeltroll, sondern wie ein Schlammtroll! Ein Eichhörnchen, das ihn sah, bekam einen großen Schreck und rief: „Iiih, was ist das?“ – Der Wurzeltroll schaute zum Eichhörnchen und sagte: „Ich bin doch nur der kleine Wurzeltroll.“ Dann tauchte er in eine saubere Pfütze und wusch sich sein Fell wieder ab. Er schüttelte sich und war nun wieder sauber und etwas trockener.

Dann fragte er das Eichhörnchen: „Weißt du, wo ich die Pilze finden kann?“ – Das Eichhörnchen sagte: „Ich habe gestern dort bei dem großen Stein zwei gesehen“. Der kleine Troll lief schnell zu dem großen Stein und tatsächlich standen dort, unter einer großen alten Lärche, zwei wunderschöne Goldröhrlinge. „Hallo!“ sagte der kleine Troll. „Hallo, lieber Troll!“ sagten die zwei Goldröhrlinge.

„Wo sind denn die anderen Pilze?“ fragte der Troll. – Der eine Goldröhrling sprach: „Oh, die wirst du bald finden. Suche einmal morgen oder übermorgen. Dann findest du überall viele Röhrlinge, Steinpilze, Birkenpilze, Fliegenpilze und viele andere...“ – „Warum morgen?“ fragte der Wurzeltroll. – „Ja...“, sagte der Pilz, „Du findest uns Pilze nicht immer gut. Wir wachsen besonders dann, wenn es geregnet hat. Danach sind wir viele, viele!“

„Oh“, sagte der kleine Troll, „also kann ich euch immer suchen, wenn es geregnet hat?“ – „Nun, du findest auch an anderen Tagen Pilze. Wenn es früher geregnet hat, dann sind wir gewachsen und stehen eine Weile auf der Erde. So wie wir beide, wir sind schon vor einer Woche gewachsen. Aber wir wachsen nur, wenn der Sommer spät geworden ist, wenn langsam der Herbst anfängt und dann den ganzen Herbst hindurch. Und wenn es geregnet hat, dann wachsen wir besonders gern – und dann findest du viele, viele von uns!“

„Das ist ja schön!“ rief der kleine Wurzeltroll. „Also dann werde ich morgen eure Freunde suchen!“ – „Ja“, sagte der andere Goldröhrling. Jetzt werden auch dort drüben bei der alten Kiefer Steinpilze wachsen. Und weißt Du, bald wirst Du auch an vielen Stellen Pilze sehen, die in einem Kreis auf der Erde stehen. Sie können zwar nicht Hand in Hand im Kreis tanzen wie die Kinder, aber im Kreis stehen, das mögen sie gern. Dann können sie nachts miteinander sprechen und sie sprechen über die Tiere und die Kinder, die sie am Tage gesehen haben. Und manchmal haben die Zwerge in so einem Ring lieber Pilze auch einen geheimnisvollen Schatz vergraben!“

„Oh“, sagte der kleine Troll leise und staunte. „Sprechen die Pilze auch von mir, wenn sie mich gesehen haben?“ – „Ja, auch von dir, du lieber Troll“, sagte der Goldröhrling. Der Troll freute sich und sagte: „Morgen werde ich die Steinpilze, Fliegenpilze und viele viele viele suchen!“ Dann verabschiedete er sich von den Goldröhrlingen und lief schnell nach Hause – durch die vielen Pfützen, die auf den Wegen standen. Als er an seiner Wurzel angekommen war, legte er sich in sein Bett und schlief sofort ein. Heute nacht träumte er von großen und kleinen Pilzen, die in geheimnisvoller Runde beieinander standen und leise über die Tiere und Trolle sprachen, die ihnen am Tage begegnet waren...

Der Nebel

Es war einmal ein kleiner Wurzeltroll, der lebte in einer großen Wurzel, und die Wurzel gehörte zu einem noch viel größeren Baum...

Der kleine Wurzeltroll stand jeden Morgen früh auf, und weil es inzwischen Herbst geworden war, war es jetzt immer noch dunkel. Der Wurzeltroll liebte auch diese dunklen Morgen. Er konnte sich dann immer vorstellen, was für einen schönen, langen Tag er noch vor sich hatte... Er trat hinaus und wanderte drauflos. Noch sah er am Himmel die letzten Sternlein, die in der Nacht gefunkelt hatten, und bald erreichte er die Wiese, an der der Wald begann.

An diesen dunklen Morgen im Herbst lag auf den Wiesen immer noch der Morgennebel. Und auch diesen Morgennebel liebte der kleine Troll. Wenn später die Sonne aufging und der Nebel noch nicht verschwunden war, dann erglänzte er in strahlendem Weiß. Der kleine Wurzeltroll hatte in seinem Leben noch nichts Schöneres gesehen als diesen sonnendurchfluteten Morgennebel.

Also setzte sich der kleine Troll auf einen Stein am Rande der Wiese und wartete auf die Sonne. Neben ihm saß auf einer hohen Kiefer eine alte Eule. „Du liebst den Morgennebel?“, fragte die Eule.

„Ja“, sagte der kleine Wurzeltroll, „und weißt du warum...?“ – „Ich weiß, ich weiß...“, sagte die Eule. „Auch ich liebe den Morgennebel. Und auch ich habe noch fast nichts Schöneres gesehen, als wenn der Morgennebel vom Licht der Sonne durchstrahlt wird.“ – „Ja...“, flüsterte der kleine Troll glücklich.

„Eule...“, sagte der Wurzeltroll nach einer Weile. „Warum ist der Nebel so schön?“
„Ja...“, sagte die alte Eule. „Ich will dir etwas erzählen.“
Der Wurzeltroll setzte sich gerade hin und hörte aufmerksam zu.

„Der Nebel kommt im Laufe der Nacht und legt sich auf die Wiesen und Felder, und am Morgen verschwindet er langsam wieder. Wenn die Sonne aufgeht, ist er oft schon wieder verschwunden. Aber manchmal begrüßt er die liebe Sonne und geht erst dann wieder dorthin, wo er herkommt.“ – Die Eule machte eine kleine Pause und schaute in die Ferne, als ob sie etwas erblickt hätte. Dann fuhr sie fort:

„Und weißt du, warum er die Sonne begrüßt?“ – „Nein, warum?“, fragte der Troll leise. – „Nun... Der Morgennebel ist ein kleiner Bruder der Sonne. Und jetzt verrate ich Dir doch etwas. Was die meisten Menschen und Tiere als Morgennebel sehen, ist nur das Äußere. In Wirklichkeit liegt auf den Wiesen und Feldern das Kleid des Nebelgeistes. Und wenn du Glück hast und wenn es der richtige Tag ist, dann kannst du auch den Nebelgeist selbst erblicken...“
„Oh...“, sagte der kleine Wurzeltroll.
„Ja“, sagte die Eule, „meist ist der Nebelgeist schon am frühen Morgen wieder auf dem Wege, und wir sehen nur noch den letzten Zipfel seines Kleides, der dann auch bald verschwindet. Aber manchmal sehe ich den Nebelgeist selbst, nicht nur sein Kleid.“ – Die Eule machte wieder eine Pause.

„Er ist wunderschön, und wenn er die Sonne aufgehen sieht und sie begrüßt, dann strahlt er voller Freude. Und weil auch wir von dieser Freude etwas sehen, erscheint uns der Nebel in seiner ganzen Schönheit. Und eigentlich... eigentlich ist der Nebelgeist ein... Engel.“
„Ein – Engel?“ fragte der Wurzeltroll und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
„Ja“, sagte die alte Eule. „Es ist ein Engel. Und wenn er seinen großen Bruder, die Sonne begrüßt, dann sehen wir sein strahlendes Kleid in seiner ganzen Herrlichkeit. Und manchmal, wenn wir Glück haben und wenn es der richtige Tag ist, dann sehen wir auch ihn selbst...“

„Oh...“, sagte der kleine Wurzeltroll aufgeregt und traute sich schon fast nicht mehr, hinzuschauen auf die Wiese und den Waldrand.

Dann schaute er zögerlich wieder zur Wiese hin und sah am Waldrand ein Reh stehen, das dort friedlich an den Grasspitzen fraß. Der Nebel aber war an diesem Morgen schon fast verschwunden. Nur noch ein Stückchen von seinem Kleid war zu sehen und entschwand auch langsam. Das Reh blickte auf, als hätte es etwas bemerkt, und verschwand dann auch im Wald.

„Kann das Reh den Nebelgeist auch sehen?“, fragte der kleine Troll. – „Ja, auch das Reh sieht den Engel“, sagte die Eule. „Deshalb liebt auch das Reh den frühen Morgen und kommt auf die Wiesen.“

„Auf Wiedersehen, kleiner Troll“, sagte die Eule plötzlich und erhob sich mit einem mächtigen Flügelschlag in die Lüfte. – „Auf Wiedersehen“, sagte der Wurzeltroll ehrfürchtig, doch da war die Eule schon weit weg.

Der kleine Troll wanderte heute nur wenig und blieb immer wieder stehen, erinnerte sich an den Morgen und dachte nach über das, was die Eule alles gesagt hatte. Glücklich und zufrieden kam er abends wieder an seiner Wurzel an und träumte in der Nacht vom Nebel-Engel und seinem leuchtenden Kleid...

Die Fledermäuse

Der kleine Wurzeltroll wachte wie immer früh auf und sah, daß es draußen noch ganz dunkel war. Jetzt wo es Herbst war und langsam auf den Winter zuging, ging die Sonne schon sehr spät auf. Der Wurzeltroll ging nach draußen und wartete einen Moment an der kalten, frischen Morgenluft. Es war eine klare Nacht gewesen, und noch immer funkelten viele Sternlein am Himmel. Nun war es ganz still.

Der Wurzeltroll blieb noch immer stehen und horchte, ob er etwas hören könnte. Aber die Vöglein sangen noch nicht. Sie schliefen entweder oder es war ihnen heute zu kalt zum Singen. Schon lange zirpten auch die Heuschrecken nicht mehr, und auch die Schmetterlinge waren verschwunden. Sie alle würden erst im nächsten Frühling wiederkehren.

So war es ganz still. Nur in der Ferne hörte der kleine Wurzeltroll kurz eine Eule rufen. Plötzlich sah er etwas umherfliegen. Aber er hörte noch immer keinen Laut. Das waren merkwürdige Vögel, die da nachts oder am ganz frühen Morgen umherflogen! Sie huschten hin und her, waren kurz über dem Erdboden und dann wieder hoch zwischen den Baumwipfeln und waren so schnell, daß der kleine Wurzeltroll kaum eines dieser Wesen länger als einen Moment beobachten konnte. Wenn er es versuchte, wurde ihm ganz schwindelig, so schnell flogen sie hin und her...

Aber was war denn das? „Wer seid denn ihr?“ rief der kleine Troll, als wieder eines dieser Wesen ihm ganz nah vor der Nase vorbeiflog. Das Wesen war noch dunkler als die Nacht. Es kehrte um und flog noch einmal am Wurzeltroll vorbei. „Wir sind die Fledermäuse“, flüsterte es  und war schon wieder vorbei. – „Fledermäuse...?“ fragte der Troll. „Seid ihr keine Vögel?“ – „Nein“, flüsterte das Wesen, das schon wieder am kleinen Wurzeltroll vorbeihuschte. – „Seid ihr Mäuse?“ – „Nein“, flüsterte die Fledermaus, und es war, als hörte der kleine Troll sie leise lachen. „Wir sind Fledermäuse. Die Menschen haben uns diesen Namen gegeben. Aber wir sind keine Mäuse, sondern wir sind die Fledermäuse.“

„Könnt ihr denn überhaupt etwas sehen?“ fragte der kleine Wurzeltroll. „Ihr fliegt so schnell hin und her, wieso stoßt ihr euch nicht an den Bäumen?“ – „Wir können nichts sehen“, sagte eine andere Fledermaus, die hinter dem Wurzeltroll vorbeihuschte. „Und wir brauchen nichts sehen. Wir – hören alles...!“

„Was?“ rief der kleine Wurzeltroll. Ihr hört alles?“ – „Ja. Wir hören alles. Wir hören die Bäume. Wir hören die anderen Tiere. Wir hören dich. Auch wenn du gar nichts sprichst. Wir hören alles und wissen, wo es steht. So brauchen wir nichts zu sehen und stoßen doch nie irgendwo an.“ – „Aber das habe ich ja noch nie erlebt!“ rief der kleine Wurzeltroll. – „Ja, aber deswegen habe ich es dir gesagt. Jetzt weißt du es“, sagte die kleine Fledermaus und huschte zwischen zwei ganz eng beieinander stehenden Tannen hindurch. Dann kam sie zurück und flüsterte: „Jetzt wünschen wir dir einen schönen Tag. Langsam geht die Sonne auf, und wir legen uns schlafen. Wir fliegen nämlich in der Nacht – vom Abend des einen Tages bis zum Morgen des anderen Tages.“

„Oh“, sagte der kleine Wurzeltroll. Dann fügte er schnell hinzu: „Gute Nacht, äh, ich meine, guten Tag, äh, ich meine, schlaft gut!“ Dann wollte er die kleine Fledermaus noch fragen, wo sie schlafen würde, aber sie war schon fortgehuscht.

Die liebe Sonne ging nun wirklich auf und schickte ihre ersten Strahlen über die Erde hin. Nun konnte auch der Wurzeltroll alles genau sehen und wunderte sich noch mehr, was die Fledermäuse im Dunkeln alles machen konnten. Einige hatten in der Luft wahre Kunststücke gemacht. Die hatte der Wurzeltroll natürlich gar nicht genau sehen können. Die Fledermäuse hörten alles! Auch wenn er gar keinen Laut machte. Noch immer konnte er sich das gar nicht recht vorstellen, und er staunte nur um so mehr.

Lange dachte er über die kleinen Fledermäuse nach, während er auch an diesem Tag wieder eine lange Wanderung machte und noch viele andere Tiere traf. Heute sah er auf dem Wege auch viele Regenwürmer. Und er bemerkte, daß die auch gar keine Augen hatten. Jedenfalls konnte er keine sehen. Er fragte sich, wie wohl die Regenwürmer wissen, wohin sie kriechen. Aber vielleicht brauchten sie das auch nicht so genau zu wissen. Schließlich flogen sie nicht schnell wie der Blitz in der Luft herum. Und wenn sie einmal mit einem anderen Wurm zusammenstießen, würden sie sich bestimmt nicht wehtun dabei.

Als es Abend wurde, dachte der kleine Wurzeltroll noch immer viel an die Fledermäuse. Da war er wieder bei seiner Wurzel angekommen. Und gerade als er hineinsteigen wollte, sah er, wie in der Ferne wieder einige kleine Fledermäuse umherhuschten. Gerne hätte er schon heute gefragt, wo sie denn eigentlich schlafen am hellen Tage. Aber sie waren noch zu weit weg und er war vom vielen Wandern und Nachdenken so müde, daß er sich gleich ins Bett legen mußte. Vielleicht würde er sie am nächsten Morgen wieder treffen. Dann könnte er sie alles fragen, was er noch wissen wollte. In der Nacht aber träumte er erst einmal von den kleinen hin und her huschenden Wesen, die man nur sah, weil sie noch dunkler als die Nacht waren...

Einsame Herbsttage

Wieder wachte der Wurzeltroll früh am Morgen auf – wie immer. Ohne daß er jemals wußte, warum er so früh aufwachte, obwohl ihn noch kein Sonnenstrahl kitzelte. Das aber lag daran, daß die Sonne jetzt im späten Herbst noch immer jeden Tag später aufging als am Tag vorher.

Bald würde der Winter beginnen, und dann würden die Nächte am längsten und die Tage am kürzesten sein. Der kleine Wurzeltroll liebte aber auch diese kurzen Tage. Lange lief er dann durch den dunklen, einsamen, stillen Morgen, bevor die Sonne aufging und es hell wurde.

Auch heute stapfte er wieder den Weg entlang, der zum Wald führte. Und er bemerkte in der morgendlichen Dunkelheit, wie still es rings um ihn war. Kein Vöglein sang. Alle Vöglein saßen in ihren Bäumen und kuschelten sich noch eng aneinander und schliefen. Und jene, die schon aufgewacht waren, wollten nicht singen – denn es war schon sehr kalt. Die eine oder andere Krähe zog schon ihre Kreise über den Bäumen, weil sie aus irgendeinem Grunde bereits wach geworden war. Aber sonst war es ganz still.

Schon lange gab es keine Schmetterlinge mehr, sang keine Heuschrecke mehr im Gras, das jetzt auch schon ganz vertrocknet auf den Wiesen stand. Die Spinnen schliefen in ihren Spinnennetzen zwischen den trockenen Halmen, die Mäuse schliefen in ihren Löchern...

Der kleine Troll lief also ganz einsam die Wege entlang, auf denen er im Sommer und auch noch im frühen Herbst so vielen Tieren begegnet war. Aber er liebte auch diese Einsamkeit, diese Ruhe. Er nahm alles in der Natur so, wie es gerade war. Und der ruhige Herbst mit seiner Einsamkeit brachte eine ganz besondere Stimmung. Der kleine Wurzeltroll machte manchmal lange Pausen und schaute lange in die Ferne, schaute zu, wie die Wolken am Himmel entlangzogen oder wie die Eichen und Buchen ihre Blätter im Winde bewegten – und nach und nach abwarfen.

Jetzt war er an dem kleinen See angekommen, auf dem im Sommer so viele Enten schwammen, wo im Sommer die Libellen umhergeschwirrt waren, die Frösche gequakt hatten, die Mücken summten und die Schwalben sie zu fangen versuchten. Jetzt war davon nichts mehr zu sehen. Der kleine Wurzeltroll stand an dem Ufer des Sees ganz allein und einsam. Doch nein – da sah er, daß nicht weit von ihm eine alte Krähe am Ufer stand.

Der Wurzeltroll ging zu ihr hin und begrüßte sie. Die alte Krähe grüßte zurück. Der kleine Troll sagte: „Manchmal ist es doch gut, wenn man jemandem begegnet und nicht ganz allein ist.“ – Die alte Krähe antwortete: „Ich bin es gewohnt, sehr viel allein zu sein. Und ich liebe auch die Einsamkeit – wie du. Aber du hast schon recht. Auch ich freue mich, wenn ich jemandem wie dir ab und zu begegne.“ Dann schauten sie beide über den See und freuten sich, daß sie an diesem Morgen einen Freund getroffen hatten.

Eine lange Zeit standen sie dort. Als die Sonne aufging, sagte die Krähe: „Es ist jetzt eine besondere Zeit. Gib acht auf die Ruhe im Wald und auf den Feldern. In der Ruhe bereitet sich vieles vor. Achte auch auf die Sterne in der Nacht und schmecke die Luft, wenn der Herbst in den Winter übergeht.“ – Die alte Krähe merkte, wie der kleine Wurzeltroll sie fragend anschaute und sagte: „Ja, die Luft kann man schmecken. Man kann sogar die Sterne hören und noch vieles mehr. Ich sage dir, es ist eine besondere Zeit, jetzt im Dezember. Wenn du genau achtgibst, kannst du bemerken, wie sich viele Wunder vorbereiten, die sich in den tiefen Winternächten ereignen werden.“

Der kleine Troll staunte und verstand nicht genau, wovon die Krähe sprach. Die Krähe aber fuhr fort: „Mehr kann ich dir jetzt nicht sagen. Sei aufmerksam wie immer, dann wirst du es schon bemerken.“ – Damit verabschiedete sich, breitete ihre Flügel aus und hob sich in die Luft.

Der kleine Wurzeltroll ging nachdenklich weiter und setzte seinen Weg durch die stille Natur fort – jetzt wieder allein. Ja, er hatte schon bemerkt, daß sich in der Einsamkeit des späten Herbstes etwas Besonderes vorzubereiten begann. Er war schon manchmal auch nach Sonnenuntergang noch Stunden wach geblieben und hatte gesehen, wie die Sterne klarer funkelten. Und es war ihm manchmal am Tage so vorgekommen, als würde die ganze Natur, als würden die Tiere, die Bäume, die trockenen Gräser, die Pilze, die Steine, sogar die Pfützen, das Moos, die Baumstümpfe und der Sand – als würde alles auf etwas Besonderes warten, was sich ereignen könnte, wenn die Tage am kürzesten und kältesten waren. Und bald würden diese Tage da sein – mitten im Winter.

Der Wurzeltroll nahm sich vor, das Wort der alten Krähe gut zu beherzigen – und er gab gut acht auf alles. Er lernte, noch mehr auf die Stille zu achten, die Stille zu fühlen. Ja, er lernte sogar, die Luft, die jeden Tag kälter wurde, zu schmecken. Und manchmal hatte er sogar das Gefühl, daß er die Sterne am Abend ganz kurz und ganz leise singen hörte. Und er gab gut acht auf alles...

Jeden Abend, wenn er wieder etwas Schönes erlebt hatte, schlief er glücklich ein und träumte von den stillen, einsamen Wegen und wartete voller Vertrauen auf das, was er noch erleben würde...

Das Weihnachtsgeschenk

Es war einmal ein kleiner Wurzeltroll, der lebte in einer großen Wurzel. Und die Wurzel gehörte zu einem noch viel größeren Baum.

Der kleine Wurzeltroll stand jeden Morgen früh auf. Und jetzt, wo es mitten im Winter war, da war es morgens noch ganz dunkel, und die Sterne funkelten am Himmel, als er nach draußen trat. In der Nacht hatte es geschneit, und jetzt schneite es noch immer! Der kleine Troll hüpfte vor Freude jubelnd in die Luft. Und dann machte er sich mit seinen kleinen Füßen auf den Weg. Stapf, stapf, stapf... hinterließen seine Füße eine Spur im Schnee, während vor ihm der Weg noch ganz unberührt dalag.

Heute war noch aus einem ganz anderen Grund ein besonderer Tag – ja der besonderste Tag im ganzen langen Jahr. Denn heute Abend war der heilige Abend, heute Nacht war die heilige Nacht. ... Weihe-Nacht, nannten es die Menschen. Und genauso hieß dann auch noch der ganze nächste Tag, und manchmal auch noch der übernächste.

Warum war dieser Tag so besonders? Es hatte etwas mit dem Christkind zu tun. Mit dem Jesuskind. In der heiligen Nacht wurde es geboren... Der kleine Wurzeltroll stapfte durch den Schnee und dachte an alles, was er schon von dem Kind und von der heiligen Nacht gehört hatte. Vieles hatte er schon gehört, denn alle Tiere wußten etwas von dem Geheimnis. Und sogar viele Bäume – die ganz alten. Und jedes Jahr wieder hatte er ein wenig vom Geheimnis der heiligen Nacht erfahren.

Während der kleine Wurzeltroll weiter durch den weißen Schnee stapfte, schaute er den weißen, fallenden Flocken zu. Wunderschön war jede einzelne Flocke, wie ein Edelstein so kostbar. Das war auch so ein Geheimnis: Woher kamen die Schneeflocken? Und wieso war jede anders als die andere? Und wieso war jede so wunderschön...

Und doch war das Geheimnis des Kindes und der heiligen Nacht noch größer... Plötzlich spürte der kleine Troll ein wunderbares Glück in sich. Er wußte genau, was er heute tun wollte. Er hatte es schon viele Tage und Wochen gewußt. An diesem Tag wollte er dem Kind das schönste Geschenk machen, das er sich vorstellen konnte. Am liebsten hätte er ihm die Schneeflocken geschenkt, aber die kleinen, wunderschönen Kristalle schmolzen in der Hand in einem Augenblick, kaum daß man ihre Schönheit geschaut hatte.

Das Schönste, was der Wurzeltroll sich sonst als Geschenk vorstellen konnte, waren die Edelsteine in der Erde. Wie war er immer glücklich und sogar erschrocken, wenn er einmal einen gefunden hatte! Nicht oft ging er einmal in die Berg­höhlen, wo die edlen Steine zu finden waren. Und selbst dann fand er ganz selten einen dieser besonderen Schätze... Dem Christuskind aber wollte er eines dieser Wunder schenken! Also würde er heute auch einen Edelstein finden.

Es war noch immer dunkel, als der kleine Wurzeltroll an der großen alten Eiche ankam, die schon seit Ewigkeiten an der Wegbiegung stand, wo der große Hangwald anfing. Der kleine Troll blieb vor der großen Eiche stehen und strich über die alte Borke. Sie war rauh und rissig, aber sie widerstand allem Regen und allen Stürmen. „Gute Eiche“, sagte der Wurzeltroll leise, „weißt Du wohl, wo ich einen Edelstein für das Christuskind finden kann?“

Er wußte nicht, ob die große Eiche ihn überhaupt hören würde. Und erst recht wußte er nicht, was er für eine Antwort erwartete. Still stand er eine Weile und schaute, wie die Flocken zur Erde niederfielen. In der Ferne ließ der Morgen einen rosafarbenen Schein am dämmergrauen Himmel erstrahlen. Doch halt, was war das? Ein sanftes Rauschen fuhr durch die Zweige der alten Eiche. Ganz kurz nur kam es ihm vor, als wollte dieses Rauschen ihm etwas sagen. Klang es nicht so, als wollte es sagen: Geh nur weiter in den Wald hinein...? Der kleine Troll war fest überzeugt, daß die alte Eiche geantwortet hatte. Ehrfürchtig verabschiedete er sich von dem riesigen Baum. Dann folgte er dem ansteigenden Weg in den Wald...

Eine Stunde lief er einsam durch den Schnee, dann traf er das Eichhörnchen, das auf einer kahlen Birke herumturnte. Inzwischen war es hell geworden, und das Eichhörnchen sah den kleinen Wurzeltroll schon von weitem. „Hallo, lieber Troll, wo willst Du denn hin?“ – „Liebes Eichhörnchen, ich will einen Edelstein für das Christuskind suchen.“ „Oh“, sagte das Eichhörnchen, als es diesen Namen hörte. „Da will ich Dir gerne helfen. Aber ich kann Dir nichts weiter sagen, als daß Du zur Eule gehen solltest. Sie weiß so vieles. Folge dem Steilweg bis zu der uralten Ulme am Steinbruch.“

„Vielen Dank für Deine Hilfe, liebes Eichhörnchen!“ sagte der Wurzeltroll und lief schnell weiter. Als er an den Steilweg kam, dachte er an die alte Eule, die er noch nie gesehen hatte. Aber die Eulen waren doch nur nachts wach! Und er mußte den Edelstein doch vorher finden, schließlich war doch schon heute heilige Nacht! Dennoch machte er sich voller Vertrauen an den Aufstieg. Der Steilweg war die meiste Zeit links und rechts von dichtem Gestrüpp umgeben. Im Sommer mochten hier leckere Beeren reifen, doch jetzt umgaben nur Dornen den Weg.

Mutig stieg der kleine Wurzeltroll weiter. Manchmal wuchsen um ihn her sogar die dunklen Eiben, die ein ebenso dunkles Geheimnis zu verbergen schienen und vor denen er sich immer ein wenig fürchtete. Aber er dachte an die heilige Nacht und stieg weiter den Steilweg hinauf.

Irgendwann merkte der kleine Wurzeltroll, daß der Schnee nicht mehr fiel. Eine dicke weiße Hülle bedeckte die Erde, und nur das leise stapf, stapf seiner Schritte war zu hören. In der Ferne rief eine kleine Tannenmeise mit ihrem feinen Stimmchen. Eine andere antwortete, dann war es wieder still. Stundenlang mochte der kleine Wurzeltroll wohl nun schon gegangen sein. Die Zeit war wie stehengeblieben. Er wußte nicht, ob es schon Mittag war oder sogar schon Nachmittag.

Da wurde der Weg etwas flacher, und unvermittelt stand er vor einem großen alten Baum, dessen starke Äste sich in seltsamen Gestalten nach allen Richtungen hin streckten. Viele Zweige sahen aus wie Arme, manches Muster in der uralten Borke sah aus wie ein Gesicht. Geheimnisvoll stand der alte Baum da wie ein mächtiger Wächter des Berges. Und plötzlich wußte der kleine Wurzeltroll, daß dies die uralte Ulme war.

„Ich habe schon auf Dich gewartet“, sagte eine etwas krächzende, doch zugleich sanfte Stimme. Erschrocken schaute der kleine Troll nach oben und sah erst jetzt auf einem der unteren Äste eine große Eule sitzen. An einigen Stellen waren ihre Federn sehr zerfranst, und sie schien schon sehr alt zu sein. Aber mit wachen und sehr lebendigen Augen schaute sie jetzt auf den kleinen Troll herunter. „Schläfst Du denn nicht?“ fragte der Wurzeltroll vorsichtig. „Schläfst Du etwa?“ fragte die Eule. „Nein, aber...“ – „Ich weiß schon, was Du sagen willst“, sagte die Eule. „Normalerweise schlafe ich tatsächlich am Tage. Aber ist heute ein normaler Tag?“ – „Nein“, sagte der kleine Troll. – „Siehst Du“, sagte die Eule, „weil die heilige Nacht naht, bin ich auch den ganzen Tag schon wach. Man muß sich würdig auf das Wunder vorbereiten, sonst kann man es nicht erleben.“

Der kleine Troll verstand den Sinn der Worte nur halb. Aber die Eule fuhr fort: „Und außerdem habe ich auf Dich gewartet, um Dir zu helfen. Schau dort!“ und sie wies mit einem Flügel auf einen Haselstrauch, der sich versteckt an einen verschneiten Felsen duckte. „Dort wirst Du finden, was Du suchst.“ – Verwundert ging der kleine Troll die wenigen Schritte zu der bezeichneten Stelle. Als er dort war, sah er den Eingang zu einer Höhle. Fragend schaute er zurück zur Eule. Die aber sprach mit sanfter Stimme: „Meine Hilfe habe ich Dir gegeben. Alles weitere mußt Du allein tun.“

Dankbar grüßte der kleine Troll die alte Eule zum Abschied, dann kletterte er in die Höhle hinein. Es war nur ein kleines Loch als Eingang, doch drinnen war die Höhle größer als er erwartet hatte. Dunkel weiteten sich die Wände nach allen Seiten. Von irgendwoher drang ein schwacher Lichtschein ins Dunkel, und nachdem der kleine Troll sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, konnte er doch ein bißchen sehen. Mutig stieg er in die Dunkelheit hinein und folgte dem Gang der Höhle, wie sie sich weiter in den Berg hinein erstreckte.

Aufmerksam schaute er, was ihm begegnen würde, aber es wurde nur immer dunkler. Weiter und weiter ging der kleine Wurzeltroll. Er konnte kaum noch seinen Weg erkennen. Wie sollte er hier etwas finden? Plötzlich umschloß ihn das Dunkel ganz. Nicht einmal seine Hand konnte er sehen. Da schien es ihm, als würden von überallher dunkle Finger nach ihm tasten, und er bekam große Angst. Dann aber dachte er an die Eule, die ihm den guten Rat gegeben hatte. Und dann dachte er an das Christuskind, dem er das schönste Geschenk machen wollte, das er finden konnte.

Und plötzlich hatte er überhaupt keine Angst mehr. Und da waren überhaupt keine Finger, die ihm etwas tun wollten. Es war einfach nur dunkel. Die Dunkelheit war vielmehr wie eine sanfte Hand, die ihn einhüllte. Aber war es wirklich ganz dunkel? Leuchtete dort nicht etwas ganz schwach? Es leuchtete dort etwas! Der kleine Wurzeltroll ging dem schwachen Schimmer entgegen. Dann berührte er ihn. Hob ihn auf, nahm ihn in seine kleine Hand und ging wieder dem Licht entgegen.

Er wagte nicht, seine Hand zu öffnen, bis er wieder am Höhlenausgang angelangt war. Die Eule saß nicht mehr auf ihrem Ast. „Alles weitere mußt Du allein tun“, hatte sie gesagt. Wie lange war er in der Höhle gewesen? Er öffnete seine Hand und schaute, was darinnen lag... Es war ein glitzernder Edelstein! Im Licht glitzerte und funkelte er, wie nur ein Edelstein funkeln kann. Einmalig wie eine Schneeflocke sah er aus. Wie konnte es denn aus dem Himmel und auch in der Erde so etwas Schönes geben? Genau diesen Stein wollte er dem Christuskind schenken!

Aber wie? Jetzt fiel dem kleinen Wurzeltroll ein, daß er das Christuskind noch nie gesehen hatte. Er hatte zwar viele Geheimnisse gehört, aber wie sollte er ihm sein Geschenk machen? Wußten nicht die Menschen mehr vom Christuskind als er und die Tiere und die Bäume? Hatten nicht die Menschen sogar in der heiligen Nacht kleine Krippen – solche, wie die eine, in denen das Christuskind geboren wurde? Wenn sein Geschenk in einer kleinen Krippe der Menschen liegen würde, dann würde das Christuskind es bestimmt finden.

Da erinnerte sich der kleine Troll an den alten Raben – und an die kleine Aurelie, zu der der Rabe schon einmal geflogen war. Ob sie sich noch daran erinnerte? Laut rief der kleine Troll nach dem Raben, und schon bald hörte er ein Flügelschlagen und Krächzen über sich. Der alte Rabe landete im Schnee neben ihm. „Lieber Rabe“, sagte der kleine Wurzeltroll schnell, „bitte nimm diesen Stein und bring ihn der kleinen Aurelie! Nur sie kann ihn dem Christuskind in die Krippe legen. Dann ist es sein Geschenk.“

„Das mache ich gerne“, sagte der alte Rabe, nahm den Stein in den Schnabel und flog hin zu Aurelies Haus. Unterwegs fand er noch ein Brieflein, in das er den Stein hineinlegen konnte. Und schließlich fand er sogar den Briefkasten, ließ den Brief dort hineinfallen und kehrte wieder in den Wald zurück.

Der kleine Wurzeltroll aber stieg glücklich den Berg hinab. Inzwischen war es Nachmittag geworden. Es wurde langsam dunkel, heiliger Abend... Während er in aller Stille durch den Schnee stapfte, dachte der Wurzeltroll an alles, was er heute erlebt hatte, und an alles, was er jemals vom Christuskind gehört hatte. Und als er wieder im Tale war, war die heilige Nacht angebrochen. Über dem Wald funkelten die Sterne. Alle Tiere waren wach in dieser heiligen Nacht. Und sie feierten auf ihre Weise das Geheimnis der Weihnacht, und der kleine Troll mit ihnen, doch das ist eine andere Geschichte...

Der Stein aber war jetzt bei Aurelie. Und so könnte er in ihrer Weihnachtskrippe liegen, damit das Christuskind ihn dort finden könnte.