Das Wunder von Chonae

Das Michaelheiligtum in Chonae, aus: Nora Stein von Baditz: Aus Michaels Wirken, 1967. (Quelle: Max Bonnet, Narratio der Miraculo a Michaele archangelo Chonis patrato ... Hachette et Cie., Paris 1890, übers. von Joachim Schultz).


Der Anfang von Heilungen, Geschenken und Gnadenerweisen, die uns von Gott geschenkt wurden durch die Gnade und Gunst des obersten Führers Michael, wurde zuerst verkündet von den heiligen Aposteln Philippus und Johannes, dem Theologen. Denn als der heilige Johannes die unreine Artemis von Ephesus aus­getrieben hatte, ging er nach Hierapolis zum heiligen Philippus. Dieser selbst kämpfte dort mit der Schlange. Und sie begrüßten einander, und es sagte der heilige Philippus: „Was sollen wir tun, mein Bruder Johannes? Denn ich kann diese unreine, befleckte Schlange aus dieser Stadt nicht austreiben.“ Es war nämlich die befleckte, verderbliche Schlange von allem unreinen Schlangengezücht die oberste. Sie war an ihrem ganzen Leibe umschlungen: eine Schlange war im Kreis um ihren Kopf, eine andere um ihren Hals geschlungen, und sie lag auf zwei anderen Schlan­gen, und ringsum ringelte sich das ganze unreine Schlangengezücht, in dem sie, um es kurz zu sagen, wie eine Königin dastand. Und die Griechen hielten sie wie eine mächtige Göttin, und alle verehrten sie aufs höchste und opferten ihr. Oft wenn sich dann der heilige Philippus niedersetzte und lehrte, dann wandte sich das Schlangengezücht von oben gegen den Heiligen, ihn anzugreifen und zu töten. Und die Schlange sprach zu ihm: „Philippus, gehe aus dieser Stadt, bevor ich dich schändlich umbringe.“ Und der heilige Philippus verkündete das Wort der Wahr­heit und des Glaubens. Und beide Apostel beteten, und da vertrieben sie diese Schlange von Hierapolis.

Danach gingen die heiligen Verkünder der Wahrheit weiter und machten halt an einem Orte namens Chairetopa (Ort der Freude). Dort sollten die Gnade, die Gaben und die Wunder des heiligen und herrlichen obersten Führers Michael an­gezeigt werden. Sie verrichteten ein Gebet und offenbarten dem Volke und sagten: „Hier wird der große Heerführer und oberste Führer der Macht des Herrn her­niederkommen und herrliche Wunder verrichten.“ Dann gingen die Apostel weiter und lehrten in anderen Städten. Und sogleich sprudelte an jener Stelle ein heilskräftiger Quell hervor.


Aber nach dem Tod der heiligen Apostel wüteten und rasten wieder die Grie­chen gegen die Christen. Viele Jahre vergingen nun seit der Auffindung jener hei­ligen Quelle, da geschah etwas auf der Welt Unerhörtes. Denn wer sich an diesen Ort flüchtete, wurde geheilt, an welcher Krankheit er auch litt.
Und viele Grie­chen kamen und sahen die Heilungen und glaubten an den Herrn Jesus Christus und ließen sich taufen. – Es war aber ein Mann in der Stadt Laodicäa, gottlos und ein Bilderanbeter. Dieser besaß eine einzige Tochter, und diese war stumm seit der Geburt. Ihrem Vater aber wurde unter anderem oft geraten, sich doch an jenes heilige Wasser zu wenden, weil dorthin viele Griechen sich wandten und von ihren Krankheiten geheilt wurden und zum Glauben kamen an unsern Herrn Jesus Christus. Eines Tages aber tritt des Nachts wie in einem Gesicht zu ihm der Heerscharenführer Michael und spricht zu ihm: „Mache dich mit deinem Kinde auf zu der Stätte, wo das heilige Wasser erschienen ist. Und bei meinem Namen! - wenn du glaubst, so wirst du ohne Trauer wiederkehren.“ Da stand der Mann auf und machte sich mit dem Kind auf den Weg. Er sah die Gnade Gottes und kam zum Glauben und spricht zu den Geheilten: „Wen ruft ihr an, wenn ihr das Wasser über eure Leiber gießt?“ Sie aber sagen zu ihm: „Wir rufen an den Vater, den Sohn, den Heiligen Geist und den obersten Führer Michael.“ Da erhob er seine Augen und Hände zum Himmel und sagte: „O Gottheit des Vaters, Sohnes und Heiligen Geistes, durch die Fürbitte des Führers Michael komme mir Sünder zu Hilfe!“ Und er nahm Wasser, goß es in den Mund des Kindes, und sogleich begann es zu sprechen, rief und sagte: „O Gottheit der Christen, wahrhaftig groß ist deine Macht, o Führer Michael.“ Und er wurde selbst getauft und sein ganzes Haus, und er baute dort einen kleinen Tempel, Michael zu Ehren und zum Schutze jenes hei­ligen Quells. Dann schied er wieder mit seiner Tochter, gläubig an Gott. Die Grie­chen aber wüteten gegen die Christen und gegen das heilige Wasser, es zu vernich­ten und von jener Stätte zu vertilgen.


Neunzig Jahre nachdem das Gotteshaus über dem Quell errichtet war, kam ein etwa zehnjähriger Knabe aus Hierapolis herzu, mit Namen Archippus. Er war der Sohn frommer Christen und wurde hier als erster Hüter eingesetzt. Seine Lebens­weise war folgendermaßen: er lebte siebzig Jahre, also seit er den Dienst im Got­teshaus begonnen hatte, noch sechzig Jahre, genoß kein Brot und Fleisch und kei­nen Wein und badete nicht. Seine Ernährung war so: er kochte wilde Kräuter und aß sie ohne Salz, und dieses tat der Selige einmal in der Woche. Seine kostbare Seele aber befruchtete er mit einer Drittel Unze Wasser dreimal am Tag. Dieses tat er zur Erquickung seines Leibes. Als Bekleidung aber hatte er zwei rauhe Säcke. Den einen Sack benutzte der Selige, sich zu kleiden, und legte ihn nicht vom Leibe ab, bis die Zeit voll war; dann band er sich wieder den anderen Sack um. Seine Lagerstatt aber war auf spitzen Steinen ausgebreitet und über die Steine eine grobe Decke gelegt, damit die Steine nicht von Eintretenden gesehen würden. Unter sein edles Haupt aber legte er einen Sack voller Dornen. So ruhte er sich aus zur Stunde des Schlafes, und jede Nacht legte er sich auf die Steine und die Dornen, und so brachte der Diener Gottes den bittersten Schlaf der Schlaflosigkeit zu. Niemals wurde er krank, denn er übte seinen Leib und erhielt die Seele unbefleckt von irre­führenden Fallstricken durch die Hilfe des obersten Führers Michael. Denn er schritt den engen und schmalen Weg und sagte:

„O Herr, laß nicht zu, daß ich Sünder Freude finde an dieser Welt, auf daß nicht die Güter dieser Welt mir in den Gesichtskreis meiner Augen fallen, daß ich auch nicht einen Tag im Jahre Freude finde und meine Augen haften an der Torheit dieses Lebens; sondern fülle, o Herr, meine Augen mit Tränen und erleuchte mein Herz, deine Wünsche zu er­kennen, und schenke mir eine Gabe, die ich wieder schenken kann denen, welche dir von Ewigkeit wohlgefallen. Denn was nützt mir der Leib aus Staub, wenn mir nicht sein übler Schmutz und seine Zier zur Übung der unsterblichen Seele dienen? Das Kleid der Seele aber ist der rechte Glaube an Gott, die Übung und Vernach­lässigung des Fleisches; Hunger, Durst und Engels-Askese, ein hartes Lager, Schlaf­losigkeit, Gebet und Tränen, Seufzer und Bußen, Einsamkeit und Almosengeben und alles, was Gott gefällt. An solchem Schmuck erfreut sich die Seele. Denn was sucht die Seele aus dem Leibe? Nichts, als einzig Gerechtigkeit und Bedächtigkeit. Der Leib aber sucht dieses: gefräßiges Schlemmen, Prasserei, Geldgier, alles Un­reine, Phantasien, Bosheiten, schlimme Begierden und alles, was nicht Gott wohl­gefällt. An diesen Begierden freut sich der Leib, und da wird die leidende Seele gefangen. Was soll ich geplagter Sünder tun? Hilf mir, o Herr und Gott; mache meinen Leib wie zu einem Senfkorn; ernähre und speise mein Herz, auf daß ich nicht von dir verachtet werde. Denn ich bin, o Herr, wie ein Gras, das da frühe aufblüht, am Abend aber bin ich dahin und verdorret. Aber doch will ich nicht aufhören, die Gedanken an alle schlechten Begierden abzutöten.“

So klagte der Diener Gottes Archippus; jeden Tag verrichtete er die Askese eines Engels und verherrlichte Gott, der ihm solche Ausdauer schenkte.

Die Menge der Christen und der Griechen aber kamen an jenen Platz herbeigeströmt. Und alle, die mit Furcht und Glauben die Dreieinigkeit anriefen, sprachen: „O Gottheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, durch die Fürbitte des Heer­scharenführers Michael erbarme dich unser.“ – Dann nach diesen Worten gossen sie das heilige Wasser auf ihre Krankheiten und wurden geheilt.

Die Ungläubigen aber und die Feinde der Wahrheit wollten nicht auf die Herrlichkeit Gottes schauen, und alle Zeit wüteten sie wie Löwen, jenes Wasser zu vernichten und zu­gleich den Diener Gottes zu töten. Und oftmals kamen die Gottlosen und geißelten ihn. Andere aber raubten die Kreuze vom Heiligtum und ergriffen den Seligen oben am Haupte. Anderen wieder packten ihn an den Haaren und schleiften ihn hinaus. Andere rissen ihm den Bart seiner Wangen aus und warfen die Haare zur Erde. Manche liefen zum heiligen Quell, um ihn zunichte zu machen. Da wurden sogleich ihre Hände festgehalten. Wieder andere, die herzuliefen, sahen eine Feuerflamme aus dem Wasser herausschlagen gegen ihr Antlitz. So mußten die Gottlosen sich beschämt abwenden. Da sprachen sie untereinander: „Wenn wir dieses Wasser nicht vernichten und diesen seinen Hüter nicht töten, so werden all unsere Götter verachtet werden von denen, die hier geheilt werden.“ Und so erprobten sie auch fürder den Diener Gottes jeden Tag, und unermeßliche Schrec­ken mußte der Selige ertragen unter den griechischen Bilderanbetern. Doch er nahm es auf sich und verherrlichte Gott unaufhörlich bei Tag und Nacht.

Und es floß an jenem Ort ein Fluß von links her herab mit Namen Chryses. Dieser berührte im Vorüberfließen die Opferstätte Gottes seit dem Anfang der Welt. Oft nun berieten die Feinde der Wahrheit, wie sie den Fluß mit dem Heil­quell mischen könnten. Aber sie vermochten es nicht, sondern als sie es ausprobten, floß das Flußwasser von dem Heilquell fort und trennte sich in zwei Arme, und das losgetrennte Wasser des Flusses bog ab zur rechten Seite des Heiligtums. Und so fließt es noch bis auf den heutigen Tag.


In jenen Zeiten kamen aber zwei andere Flüsse von Osten her und näherten sich der heiligen Stätte auf etwa drei Meilen. Der eine von ihnen hieß Lykokaper und der andere Kuphus. Beide vereinigten sich am Fuße des großen Berges, bogen dann nach rechts ab und flossen in das Gebiet von Lykien. Der Teufel jedoch, der un­reine, welcher seit dem Uranfang das Böse einpflanzt in die Herzen der Menschen, der Helfer und Verführer zu allem Schlimmen, der Feind Gottes, welcher die Engel haßt, die Heiligen tötet und die göttlichen Kirchen verfolgt, der Verderber der Heilmittel, der Versucher des Schwachen, der die Welt täuscht und nie daran satt wird, der Himmel und Erde haßt und die ewige Finsternis begehrt; der Ab­trünnige derer, die Rettung suchen, und der Gegner derer, welche zur Rettung streben, der Hasser des Schönen und Antichrist, der in der Finsternis und die Tiefe geschleudert worden ist, - er ließ nicht ab, die Bildanbeter anzustacheln, das Hei­ligtum Gottes zu zerstören. Und so gibt er ihnen ins Herz, sie sollten die Flüsse ableiten gegen das Heiligtum des Gottes, damit es vom Wasser fortgerissen würde. Es war der Platz auch geeignet für einen Herabsturz des Wassers. Und alsbald kommen die Gottlosen aus allen jenen Städten zusammen; etwa fünftausend Mann sammelten sich, und so kam das Volk der Ungerechtigkeit nach Laodicäa. Da sannen sie auf neue Taten gegen den unverkörperten Heerscharenführer Mi­chael. Die Führer der Gottlosen sprachen da zu den Massen: „Der Platz ist geeig­net, ihn mit Wasser fortzuschwemmen; denn die Flüsse kommen von gewaltiger Bergeshöhe herab. Wir wollen darum sogleich die Ströme dagegen ablenken; denn Archippus bezaubert unsere Götter und verachtet ihre göttliche Macht wegen der Heilungen, die dort geschehen. Und wenn wir ihn selbst nicht töten und diesen Schmutz nicht vertilgen können, so kann doch wohl durch die Wucht der Flüsse, durch die Wasserüberfülle und durch die Hilfe der Götter der Platz vernichtet werden.“

Ganz nahe bei der heiligen Opferstätte ist ein harter Fels von mächtiger Breite und Ausdehnung. Seine Tiefe aber hat kein Ende. Dieser Fels erhob sich vor dem Heiligtum jäh empor um etwa siebzig Ellen; ganz ähnlich war es dahinter. Als­bald kamen nun die gottlosen Feinde der Wahrheit und begannen, vom Fuße des Felsens bis zum Fuße des großen Berges, wo die Flüsse Kuphus und Lyko­kaper vorbeiflossen, einen Graben für das Wasser auszuheben, um die Flüsse um­zulenken und das Heiligtum Gottes durch das Wasser zu vernichten, denn der Menschenverderber Satan reizte sie dazu. Sie vollendeten den Gang für das Wasser und bereiteten in zehn Tagen für die Flüsse alles vor, um das gewaltige Wasser zur Wegschwemmung jenes heiligen Platzes zu sammeln. Und siehe, die Flüsse waren voller Wasser, und die Ströme von den Bergen waren überreichlich.

Der Diener Gottes und Hüter Archippus aber sah die Anschläge Satans und das unsaubere Werk der Bilderverehrer. Da warf er sich zu Boden wie tot und flehte Gott und den heiligen Heerscharenführer Michael an, sie möchten den heiligen Ort vor dem Wassersturz behüten. Dieses tat er zehn Tage lang, ohne zu essen, zu trinken oder nur vom Boden aufzustehen, sondern Gott preisend sprach er: „Gelobt sei Gott, fürwahr, ich werde nicht aus diesem Hause herausgehen und nicht flüchten, sondern mit untergehen durch das Wasser. Denn ich vertraue auf meinen Gott, der mich rettet vor Kleinmütigkeit und auch vor dem Unwetter durch die Fürbitte des unverkörperten Heerscharenführers Michael, daß er wahr­lich sein heiliges Haus und diese Erdenstätte nicht im Stich läßt, in alle Ewigkeit.“

Und als die zehn Tage voll waren, gehen die Gottlosen daran, die Flüsse gegen den Heerscharenführer in Bewegung zu setzen. Sie sprachen also untereinander: „Wir wollen denn die Flüsse loslassen und laufen und beiseite treten und den Sturz des Platzes mit anschauen.“ Als sie so miteinander beraten hatten, ließen sie die Flüsse los zur ersten Nachtstunde, dann flüchteten sie sogleich, um nicht selber durchs Wasser verschlungen zu werden. Wie sie verabredet hatten, zu laufen, zur Seite zu treten und den Sturz anzuschauen, so traten sie zur Linken, blickten gegen Süden und zeigten einander das von der Höhe der Berge herabstürzende Wasser, das gewaltig erbrauste; und sie erschraken gar sehr.

Der Diener Gottes und Wächter Archippus aber lag auf seinem Antlitz in dem Tempel und benetzte mit Tränen den Boden. Unablässig rief er Gott an; da ward er plötzlich aufgerichtet vom heiligen Geiste und begann den Psalm zu singen:

Herr, die Wasserströme erheben sich,
Die Wasserströme erheben ihr Brausen,
Die Wasserströme heben empor die Wellen.
Die Wasserwogen im Meer sind groß und
brausen greulich;
Der Herr aber ist noch größer in der Höhe.
Deine Zeichen seien mächtig gepriesen.
Deinem Hause, o Herr, ziemt Heiligkeit
in alle Ewigkeit.
(Psalm 93)


Als er aber den Psalm beendet hatte, geschah ein gewaltiger Donner, und es trat der heilige Heerscharenführer herbei an jenen Ort auf den Gipfel des harten Felsens. Und spricht zu dem Diener Gottes mit mächtiger Stimme: „Diener, tritt heraus aus dem Heiligtum, bevor das Wasser dich verschlingt!“ Der Glückselige trat heraus, als er aber den furchtbaren Strahlenglanz der Gottheit schaute, fiel er wie tot zu Boden. Und wieder rief zum zweiten Male ihn der Heerscharen­führer Michael: „Steh auf, gerechte Seele, komme her zu mir!“ Da sprach ant­wortend der Diener Gottes Archippus mit Zittern: „Herr, ich bin nicht würdig, zu dir zu treten, denn ich zittere vor deiner Göttlichkeit.“ Der mächtige Heer­führer des Herrn spricht zu ihm: „Fürchte dich nicht und sei ohne Angst, stehe auf.“ Da erwachte der Selige, aber floh wieder in den Tempel und kroch unter den Altar mit Zittern und wollte seine Seele schützen. Der heilige Heerscharenführer Michael aber sprach: „Fasse Mut und komme zu mir, da die Ströme gegen dich branden.“ Der Diener Gottes Archippus aber erwiderte: „Ich glaube, o Herr, daß groß ist die Kraft unseres Gottes und Michaels, seines obersten Führers, und daß er nicht zuläßt, daß dieser heilige Ort zugrunde geht bis in alle Ewigkeit.“ Da schritt der Heerscharenführer wieder aus dem Heiligtum und sagte: „Wenn du glaubst, o Heiliger, daß Gott diesen Ort vor dem Wasser schützen kann, so komme hierher, damit du seine Macht schaust.“ Da ging der Diener Gottes aus dem Tempel und trat zu seiner Linken. Und er hörte seine Stimme und schaute die Größe seines Glanzes, wie eine Feuersäule von der Erde bis zum Himmel. Und Michael, der Heerscharenführer, spricht zu ihm: „Weißt du, wer ich bin, da du vor meiner Göttlichkeit zitterst?“ Er aber antwortete: „Nein, Herr, ich erkenne dich nicht.“ Da spricht zu ihm der mächtige Führer: „Ich bin Michael, der Heer­scharenführer der Macht des Herrn; ich bin, der da steht vor dem Antlitz Gottes­ - der den furchtbaren, unerforschlichen Offenbarungsglanz der Gottheit und die nicht zu ertragende Flammenglut der unermeßlichen Macht, die ausgeht von der Gottheit, kaum schauen kann. Du aber hältst meine Göttlichkeit nicht aus, sondern zitterst vor der Gestalt und Macht seines Dieners. Wie wollen die Sterblichen Gott schauen, vor dem ich nur mit Zittern stehe?“ Und wiederum sprach der Heerscharenführer zu ihm: „Siehst du das Wasser herankommen von den Höhen der Berge?“ Er aber sagte: „Nein, Herr, aber mit meinen Ohren höre ich das gewaltige Brausen des Wassers.“ Da spricht zu ihm der Heerführer: „Fürchte dich nicht, sondern bleib ruhig stehen.“

Und siehe, das von der Höhe der Berge herabströmende Wasser kam nahe vor ihr Antlitz. Da erhob der Heerscharenführer seine Stimme und sprach zu den Flüssen: „Gegen wen kommt ihr heran, Kuphus und Lykokaper? Wer hat euch ver­leitet, euer Bett zu verlassen und hierher zu kommen?“ Und nach diesen Worten machte er ein Zeichen gegen das Antlitz des Wasser und sprach: „Stehe an dieser Stelle.“ Und sogleich standen die Flüsse, und das Haupt des Wassers erhob sich um zehn Manneslängen. Da spricht der Heerscharenführer zum Diener Gottes Archippus: „Siehst du, Heiliger, die Macht Gottes?“ Er aber antwortet: „Ja, wahrlich, Herr.“ Der Heerführer sagte: „Fürchte dich nicht vor dem Drohen des Wassers.“ Und wie Moses im Roten Meere die Hand ausstreckte und mit seinem Stabe das Meer teilte, so streckte der mächtige Anführer Michael seine Rechte aus, gleichsam einen Stab haltend und ihn in den Gipfel des harten Felsens stoßend. Sogleich zerbrach der harte Fels von der Spitze bis zum Fuße und von oben bis unten. Das Dröhnen des zerbrechenden Felsens war wie ein Donner. Und es er­zitterte die ganze Erde in jener Gegend.

Und es sprach der Heerscharenführer zu dem Diener Gottes: „Heiliger, siehst du die Macht Gottes?“ Er sprach: „Ja, Herr, ich sehe die Wunder und die Macht Gottes, der mit dir wirkt.“ Da streckte er wieder die Rechte aus, machte ein Zeichen über die Kluft hin und sprach segnend: „An dieser Stätte. soll jede Krankheit und jedes Übel, jedes Gift, jeder Zauber­sang und jedes Werk des Widersachers vertrieben werden. Hier sollen Gefesselte befreit und Besessene von den unreinen Geistern geheilt werden. Wer hierher flüchtet und an diesem Ort in Ehrfurcht und Glauben anruft den Vater, den Sohn und den heiligen Geist und den Heerscharenführer Michael, in Gottes Namen und meinem, der soll nicht traurig wieder fortgehen. Und die Gnade Gottes und meine Macht wird diese Stätte überschatten und sie heiligen im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Unsere Feinde aber, welche dort stehen und uns anblicken, sollen zu Stein erstarren, bis die Flüsse mein Heiligtum ins Meer weg­schwemmen werden.“ Und dann spricht er zu dem Diener Gottes Archippus: „Heiliger, tritt mir zur Rechten.“ Sogleich trat er zu seiner Rechten; da erhob der Heerscharenführer seine Stimme und sprach zu den Flüssen: „Werfet euch in diese Schlucht und vereinigt euch in ihrem Abgrund mit Brausen in alle Ewigkeit, an­statt daß ihr wider mich euch gewendet habt.“ Und es wird der Ruhm dieses heiligen Platzes ewig währen durch Jesus Christus, unseren Herrn, dem die Herr­lichkeit und die Kraft gebührt jetzt und immerdar von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.