2011
Offener Brief an Michael Eggert (2)
Zweiter offener Brief an Michael Eggert. | Eggerts Antwort.
Lieber Herr Eggert,
Sie wollen die Dinge zunächst „so stehen lassen“. Nach dem, was Sie und auch andere Menschen an Urteilen über mich haben, will ich das aber nicht, sondern möchte mit Ihnen über die Frage des Verhältnisses von Wahrheit und Toleranz sprechen – sonst wiederholen sich die Vorwürfe fortwährend, und das, ohne dass man sich auch nur bequemt hätte, sich über die Prämissen klar zu werden.
Ich möchte Ihnen schildern, wie ich Sie nun auch angesichts Ihrer Antwort zu verstehen meine und was ich dazu denke. Und ich erwarte, dass Sie darauf eingehen, damit sich ein wirkliches Verständnis einstellen kann.
Ihre Antwort auf meinen ersten offenen Brief habe ich als nahezu völlige Zurückweisung empfunden. (Auf Ihren offensichtlichen Wunsch hin, bleibe ich nun auch wieder beim „Sie“). Ist es wirklich nur „nett“, so um eine gemeinsame Gesprächsbasis zu ringen? Mein Brief war radikal offen, aber sie sagen mir durch die Blume, ich sei wohl nicht in der Lage, eine Sache erstmal so stehen zu lassen... Ich bin in der Lage, alles stehenzulassen, aber wenn ich mich einmal in den Dialog begebe, dann will ich die Dinge nicht mehr so stehenlassen, wie sie standen!
Sie haben mit dem Hinweis auf den „Herrn des Karma“ und natürlich auf den Wert Toleranz sehr Gewichtiges ins Spiel gebracht. Nun muss diese Frage einer Klärung auch entscheidend näherkommen. Ein fortwährendes Hin und Her von Vorwürfen und Verurteilungen ist sinnlos. Ohne den Prämissen einmal wirklich ins Auge zu sehen, erst recht.
Sie sagen Sie seien „nebenberuflich“ Niederrheiner – und „die sind so“. Da kann ich nur sagen: Zum Glück war Rudolf Steiner kein Niederrheiner, denn dann hätte es die Anthroposophie nie gegeben! Sollten die Anthroposophen nicht frei werden von ihrer Herkunft (biologisch, geografisch...)?
Sie glauben, Sie sähen in mir mangelnde Toleranz und eine Verletzung der Weihnachtstagungs-Statuten. Aber auch Sie selbst urteilen doch (z.B. über Gronbach, Judith von Halle). Glauben Sie Ihrem eigenen Urteil nicht? Oder waschen Sie Ihre „Sünde“ (des Urteilens) wieder rein, indem Sie andererseits mit den Menschen im Gespräch bleiben? Oder ist es ohnehin alles beliebig: Begegnung ohne Wahrheitsfrage...?
„Dialogfähig“ durch Unverbindlichkeit?
Sie urteilen also eigentlich auch fortwährend, aber bei Ihnen relativiert sich das Urteil sofort. Sie stehen von vornherein auf dem Standpunkt, dass Ihr Urteil subjektiv ist, nur Ihr eigenes Urteil ist. Dadurch ist es dann offenbar wieder erlaubt. Sie nehmen es selbst nicht wichtig – Sie stellen es in die Welt, und das Leben geht weiter, morgen sind schon ganz andere Themen dran...
Sie sagen zu Gronbach oder H.N. Ihre Meinung, aber Sie finden alles nicht so „bedeutungsschwer“. Das Leben ist ein Spiel, ein Fluss von Momenten, man muss es zu nehmen wissen, nur nicht so furchtbar ernst...
„Meinungen“ sind ja dann auch keine Verurteilungen, es sind eher „Spielereien“. H.N. einen „Geißelprediger“ zu nennen, ist nicht weiter schwerwiegend, man kann es schließlich so empfinden, wenn man auf diesem „toleranten“ Standpunkt steht. Sie nehmen sich die Freiheiten, die Sie brauchen, und kommen sich selbst auch sehr freilassend vor. Mit Ihrer teilweise sehr spottenden Art müssen die Opfer des Spottes eben umgehen können, es ist doch alles nur ein Spiel...
Und weil das so ist, glauben Sie, mit Ihren Urteilen mit dem „Herrn des Karma“ gar nichts zu tun zu haben – zumal Sie auch mit Gronbach usw. den Dialog jederzeit aufnehmen können, wenn Sie Lust dazu haben.
„Dialog“ ist für Sie ein hoher Wert. Aber Sie sprechen auch nicht immer mit einem. Manchmal lassen Sie die Dinge lieber „so stehen“ ... selbst dann, wenn man in einem radikal offenen Brief ganz und gar die Begegnung sucht. Der Dialog muss Ihnen auch Spaß machen?
Als Wirt Ihres Gasthauses fühlen Sie sich in Ihrem Element. Sie geben hier einen weisen Kommentar, da einen, alle lieben Sie, und Sie können es sich leisten, jemanden zurückzuweisen, den Sie nicht ausgesprochen mögen. Der so sehr hohe Wert „Dialogfähigkeit“ wird also bedingt durch eine noch höhere Instanz: Wenn es nicht zu anstrengend zu werden droht, wenn Sie Lust haben usw.
Also: Ihre Urteile sind subjektiv – um Wahrheit geht es Ihnen eigentlich nicht (Sie trauen den Wahrheiten nicht wirklich) –, und Ihre Dialogbereitschaft hat vielleicht doch deutliche Grenzen. Manchmal beschließen Sie, Ihre Antipathie zu überwinden, manchmal haben Sie keine Lust dazu.
Sie haben kein Problem, sich mit Menschen anderer Meinung zu unterhalten (jedenfalls: kurze Blog-Kommentare sind immer „drin“ – wie wunderbar erleichtert das Internet die „Dialogfähigkeit“!). Ihr größtes Problem sind Menschen, bei denen es ernst wird – und Sie sind die Instanz die beurteilt, was „zu ernst“ ist. Das Zeitalter der allzu großen Ernsthaftigkeit ist vorbei, sagen Sie. Und was ist allzu ernst? Wenn jemand behauptet, er hätte nicht nur subjektive Urteile, sondern seine Urteile hätten etwas mit der Wahrheit zu tun! Da sträuben sich bei Ihnen alle Nackenhaare! Das hat vielleicht – wie die Probleme von Grauer & Co – etwas mit der Biografie zu tun.
Ein Currywurst-Prediger ist Ihnen wahrscheinlich noch lieber als H.N., der es derart ernst meint! Man kann ja 1000-mal gegen Gronbach und Hau querschießen, aber bitte nur ironisch und in subjektiv-eigener Meinung. Doch nie mit einem Wahrheitsanspruch!
„Dialog“ und Begegnung werden aber zum Selbstzweck, und eine echte Verbindung zwischen den Menschen ist eine Illusion, wenn nicht zuerst die Ver-bindlichkeit (!) gegenüber der Wahrheit da sein darf. Die hohe Bedeutung des Wortes Dialog ist, dass zwischen zwei Menschen die Wahrheit waltet, der Logos...! Begegnung im Geiste, in der Suche nach dem Geist – da beginnt der wahre Dialog erst...
Das Kreuz der Subjektivität
Mein Eindruck ist, sie sind ein radikaler Subjektivist, der in den Urteilen persönlich bleibt und daraus sogar noch ein Ideal macht.
Die Verabsolutierung der Toleranz erzwingt die Subjektivität der eigenen Urteile. Sie müssen sie in der Sphäre Ihrer bloßen Persönlichkeit halten, um Ihr eigenes Toleranzdogma nicht zu verletzen. Und damit es nicht „auffällt“, lassen Sie nicht nur den Inhalt, sondern auch gleich noch die Art des Urteilens ganz im Persönlichen. Sie berufen sich darauf, ein „Niederrheiner, fast Kölner“ zu sein – „die sind so“, halt eben kantig und nicht immer leicht zu nehmen.
Sie verteidigen Ihren Stil, Ihren zeitweiligen Sarkasmus als Ihr gutes Recht. Und Sie geben zu, sehr jähzornig zu sein. Was soll man dazu noch sagen?
Sie glauben nicht nur nicht an objektive Urteile, Sie richten sich in der Subjektivität geradezu häuslich ein, Sie tun nicht das Geringste, sich in Ihrer Seele eine objektive Sphäre zu erringen, sondern bleiben bequem im seelisch Gegebenen und rufen sogar das Dogma (oder Zeitalter) der Subjektivität aus.
Na dann – „Philosophie der Freiheit“ gute Nacht. Wir sind angekommen im Nachtwächterstaat – nun nicht mehr der brave Staatsbürger, sondern der radikale Individualist. Das klingt gut, ist aber eine Unwahrheit. Was Sie für „individuell“ halten, ist schlicht und einfach die von Ihnen gepflegte Subjektivität. Auf diese „Individualität“ kann ich verzichten, denn sie ist keine. Sie ist eine etwas bessere Kopie des modernen „Let it go“.
Die Individualität im Sinne der Anthroposophie beginnt erst da, wo die Seele sich verwandelt, und zwar nicht in irgendeinem beliebigen Sinne, sondern in Richtung Geist. Hier aber findet sie jene Objektivität, jene Sphäre der Wahrheit, die die bloße Subjektivität überwindet. Inwiefern dies der Fall ist, offenbart sich in den Äußerungen eines Menschen. Sie wollen Ihre Subjektivität gar nicht verlassen. Für Sie ist sie Ihre „innere Heimat“ und zugleich die Gewähr, auf dem Boden der Weihnachtstagungs-Statuten zu stehen.
Welch ein Irrtum! Und welch eine Bequemlichkeit! Wollte ich Sie in Ihrer Aussage ernst nehmen, müsste ich nochmals sagen: Zum Glück war Steiner kein Niederrheiner! Es hätte die Anthroposophie nie gegeben...
Ja, die Wahrheit ist eine strenge Lehrmeisterin. Es scheint, als hätten Sie mit einer solchen Strenge generell ein Problem – und sind damit den „glorreichen Vier“ näher als Sie denken (oder wahrscheinlich wissen Sie es sogar), aber auch jenen Pseudo-Anthroposophen, die den Wahrheitsernst nur kopieren (Esoterik spielen genannt) und ihn in unbeobachteten Augenblicken entweder ebenfalls ganz ablegen oder gegen eine andere Strenge eintauschen: das kaltherzig-ironische Besprechen anderer Menschen usw.
Lieber Herr Eggert, auf diese Art Subjektivität und „Toleranz“ verzichte ich gerne, denn sie nagelt den Menschen an das Kreuz der Ungeistigkeit. Glauben Sie ruhig weiter, ich hätte ein „Brett vor dem Kopf“, weil es mir angeblich nur um „Wahrheiten“ geht (an die Sie gar nicht glauben) und ich blind für die Menschen sei. Sie können dieses Vorurteil meinetwegen noch ihr ganzes Leben mit sich herumtragen. Solange die Menschen nicht nach Wahrheitssinn streben und sich dieser Sinn in ihnen nicht entwickelt – und es ist ein ehrfürchtiger Sinn, nicht einfach nur ein „wissender“ –, solange bleibt der Mensch an das Kreuz der Geistblindheit und der Subjektivität genagelt und fühlt sich dort sogar wohl!
Wenn Sie mir nicht zeigen, dass Ihre eigenen Urteile nicht nur subjektiv sind, haben sie für mich keinen Wert – und fällt für mich auch alles, was Sie über die Toleranz sagen, in gleicher Weise in sich zusammen. Sie können dann wie gesagt gerne weiter über mich wettern – ich kann es nicht mehr ernst nehmen, so sehr ich Sie als Mensch dennoch schätze.
Eggerts Antwort
Lieber Herr Niederhausen,
"Er hat gesagt, Urteile müssen wir dem „Herrn des Karma“ überlassen, und er meinte, ich würde mir Seine Rolle anmaßen. Ich dagegen sage: Ich gebrauche das dem Menschen gegebene Erkenntnisvermögen so wahrhaftig wie möglich, um auf schlimme Entstellungen des anthroposophischen Impulses hinzuweisen."
Das "Erkenntnis ... wie möglich" ist aber vielleicht nicht genug. Nicht genug insofern, als offensichtlich bei Ihnen rein seelische Momente in Ihr Urteil mit einfliessen, die vor allem von dieser Neigung, sich zu erregen, recht behalten zu wollen, Herunterzumachen, usw dominiert werden. ihr reines Textverständnis kommt da nicht immer mit. So zB gerade wieder in Ihrem Artikel über Bodo von Plato. Vieles macht nach wie vor den Eindruck des Querulantentums - egal wie oft Sie erklären, Ihnen ginge es nur um "Erkenntnis". So etwas muss man einfach überwinden, da es den Blickwinkel enorm verengt.
Lieber Herr Eggert, wenn Sie das so sehen, dann ist ein weiteres Gespräch wirklich nicht möglich. Inhaltlich sagen Sie nichts zu meinen Urteilen; was ich in Bezug auf den Text von Bodo von Plato meine, verstehen Sie offenbar nicht. Aber was in mein Urteil mit einfließt, das wollen Sie verstanden haben. Wie Sie zu dieser Erkenntnis kommen wollen, ist mir ein Rätsel. So wie ein Mann gestorben sein kann, weil er in den Fluss gefallen ist, oder aber in den Fluss gefallen ist, weil er gerade gestorben ist, so können Sie das Verhältnis von Ursache und Wirkung von außen doch gar nicht beurteilen. Je nachdem aber, wie Sie die Sache sehen, färbt sich Ihr Urteil.
Ich will nicht Heruntermachen, sondern deutlich machen. Wenn ich aber Unwahrheiten oder furchtbare Abstraktheiten sehe, die unter dem Namen der „Anthroposophie“ laufen, dann empört sich mein Wahrheitsempfinden durchaus. Erst ist aber die Erkenntnis dieser Entstellung da! Mir wäre es lieber, es gäbe sie nicht. Ich brauche das, was sie „Sich Erregen“ nennen, durchaus nicht, und ich brauche auch das Rechtbehalten nicht. Wer mich kennt, weiß, wie sehr ich meine Ansicht ändern kann, wenn es wirklich gerechtfertigt ist! Ich habe in den letzten Tagen mehrfach erklärt, worin die Schärfe meiner Aufsätze gründet. Aber da sind wir dann wieder bei den Prämissen... Alles, was Sie sagen (Textverständnis, Blickwinkel, die seelischen Momente) geht fortwährend von diesen Prämissen aus. Aber gut, da wollen Sie nicht weiter heran. Dann bleiben Sie bei Ihren subjektiven Eindrücken und Urteilen. Ich bleibe dabei, dass gerade Sie mit Ihrer „toleranten“ Sicht vieles Entscheidende einfach übersehen. Wir lassen es also so stehen.
Michael Eggert
"dann empört sich mein Wahrheitsempfinden durchaus" Ja, diese Empörungen. Daran sollten Sie wirklich arbeiten.
Irrtum, Herr Eggert - Sie sollten daran arbeiten, Ihr Wahrheitsempfinden (weiter) zu entwickeln! Es kann nämlich vor lauter "Toleranz" träge werden, einschlafen, blind werden oder gar nicht erst erwachen... Von selbst ist es übrigens nie mehr als ein "zartes Pflänzchen".