Parthenophilie

Parthenophilie


Was aber, wenn eine Liebe auf Gegenseitigkeit beruht – und auch mit einem Mädchen zu körperlichen Zärtlichkeiten übergeht? Ist es undenkbar, dass einem Mädchen diese gefallen könnten? Dass es sie gernhaben könnte? Dass es sie sich wünschen könnte? Ihre Wiederholung?

Wenn das Mädchen aber noch nicht vierzehn, sondern zum Beispiel erst dreizehn Jahre alt ist, gilt dies als Straftat, weil das Mädchen in diesem Alter angeblich kategorisch noch nicht selbst entscheiden kann, was es mag und was nicht (und was gut für es sei und sein werde und was nicht). Ihm wird allenfalls beigebracht, jederzeit ,nein’ sagen zu dürfen. Ironischerweise liegt darin aber schon die Anerkennung der Möglichkeit, dass es auch ,ja’ sagen könnte, und zwar von sich aus. Nur ist selbst dieser Fall ungesetzlich und für den Mann strafbar. Er verletze die ,sexuelle Selbstbestimmung’, obwohl diese dem Mädchen gerade vom Gesetzgeber entzogen wird.►8 Er ist heute für das Mädchen das geworden, was früher der ,Muntwalt’ war – der patriarchalische Vormund, der über die Geschicke, in diesem Fall die ,Keuschheit’ und ,Unversehrtheit’ des Mädchens zu achten hatte.

Was heute angeblich der ,Schutz der sexuellen Selbstbestimmung’ ist, hieß zu Krafft-Ebings Zeit ,Unzucht’ und ,Schändung’ – Vokabeln, die nur von Vorgängen herrühren können, die vom Mädchen nicht gewollt sein können. Und war es vom Mädchen mit gewollt, so trieb eben auch das Mädchen mit Unzucht und ließ sich schänden. So einfach war das früher. Heute äußert man sich zu dem Problem gar nicht mehr, sondern verweist einfach auf den Paragrafen und fertig. Ein dreizehnjähriges Mädchen, das sich darauf einlässt, mag frühreif und naiv sein, der Mann ist auf jeden Fall strafbar und gehört ins Gefängnis. Es ist keine Rede davon, wie zärtlich die Begegnung eventuell war, wie von Grund auf einvernehmlich und beidseitig gewollt – diese Details werden bewusst verschwiegen,[1] um sämtliche Fälle über einen (perversen) Kamm scheren zu können.

Und für Krafft-Ebing bestand auch gar kein Zweifel – und er gab damit das weitere Denken vor:[2]

Thatsächlich werden derartige Delikte, abgesehen von pathologischen Existenzen, wie sie Imbecille, Paralytiker und dem Altersblödsinn Verfallene repräsentiren, fast ausschliesslich von jugendlichen Menschen, die ihrer Potenz und ihrem Muth noch nicht trauen, oder von Wüstlingen, die ihre Potenz mehr [oder, H.N.] weniger eingebüsst haben, begangen. Es ist psychologisch undenkbar, dass der völlig potente und geistig intakte Erwachsene Gefallen an der Unzucht mit Kindern fände.[3]

Schon der Begriff ,Kind’ für ein dreizehnjähriges Mädchen ist hoch zweifelhaft. Es ist Mädchen, aber nicht Kind. Absurd aber ist die Feststellung, man dürfe sich von einem solchen Mädchen nicht angezogen fühlen, es sei denn als hoch krankhafte Persönlichkeit – oder als Jugendlicher, der sich mehr oder weniger ungefragt ,ausprobieren’ will. Letztlich sind diese Vorstellungsschubladen der damaligen und heutigen Zeit selbst hochgradig pervers, denn sie untermauern mit allen Mitteln, und seien sie noch so absurd, das Tabu der Mädchenliebe. Natürlich kann auch ein Mädchen, wenn es so ausschließlich von ,Imbecilen’, so ,pathologischen Existenzen’ bedroht wird, per Definition nur Opfer sein. Es gibt in dieser Definiton keine Konstellation, wo das Mädchen einer Zärtlichkeit, einer ,sexuellen Handlung’ zustimmen kann, sogar aktiv und teilnehmend. Denn natürlich ist es auch ,psychologisch undenkbar’, dass ein Mädchen mit einem ,dem Altersblödsinn Verfallenen’ zärtlich werden möchte – aber nur solche Menschen stehen zur Auswahl! Andere würden ,das nie tun’. Was nie tun? Mit einem Mädchen zärtlich werden wollen?

Wenn der Mob ,Unzucht’ schreit, die Lynchjustiz nicht fern scheint und in jedem Fall aber langjährige Gefängnisstrafen warten, werden sich Mann und Mädchen wohl dreimal überlegen, ob sie miteinander zärtlich werden. Aber dass man dies wollen kann, dürfte heute mehr und mehr unbestreitbar sein. Bleibt nur noch die Erkenntnis, dass, wenn auch das Mädchen dies will, es schlichtweg entmündigt wird, wenn es dies nicht darf – sondern der Mann, mit dem es dies tun möchte, stattdessen in das Gefängnis geworfen wird.

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Eine Grundursache des Tabus liegt bereits im römischen Recht, das die Tochter ganz als Eigentum des ,Pater familias’, des männlich-patriarchalischen Familienoberhauptes ansah – dieser durfte über Eheschließungen bestimmen, voreheliche ,Wertminderungskontakte’ kamen natürlich nicht in Frage. Auch in späteren Jahrhunderten blieben Mädchen, die eigenständig mit ihrem Körper und ihrer Liebe umgingen, ,gefallene Mädchen’, denen die familiäre oder sogar gesellschaftliche Achtung entzogen wurde.

Die zweite Ursache des Tabus liegt in den Verschiedenheiten der kindlichen und der erwachsenen Sexualität. Während das kleine Kind – wie Freud beschrieb – im wesentlichen nur eine autoerotische Sexualität kennt (mit sich selbst oder aber harmlos-erkundend in ,Doktorspielen’) und auch das ältere Kind nur Zärtlichkeit möchte, steht dem die erwachsene, genital zentrierte und oft auch sehr entseelte Sexualität gegenüber.[4]

Verweilen wir bei diesem Phänomen und nehmen neben den Erkenntnissen Freuds und Ferenczis noch die Hinweise eines dritten Pioniers hinzu.

Albert Moll unterschied schon 1898 in Bezug auf den Geschlechtstrieb einen ,Entladungstrieb’ (Detumeszenztrieb) und einen viel seelischeren Trieb nach körperlicher und seelischer Annäherung und Berührung (Kontrektationstrieb).[5]

Das eine ist also der Drang zueinander, die Anziehung, die Berührung, man kann dies umfassend als das Reich des Eros bezeichnen, der zwei Wesen zusammenführt. Man kann es auch bis ins Reich der Elemente, der chemischen Anziehung denken – Sympathien, Wahlverwandtschaften,[6] ein keuscher Drang nach Vereinigung, weil zwei Seiten füreinander bestimmt sind. Diese heiligen Vorgänge sind zunächst ganz selbstlos, sie werden sozusagen ,erlitten’: Sympathie und Liebe erfasst einen, man fühlt sich zu jemandem hingezogen. Bereits die Sprache offenbart, dass hier etwas mit einem geschieht (vergleiche. griech. ,pathein’ = (er)leiden, daher das Passiv und auch ,pathos’ = Leidenschaft).

Das andere ist dann der ,Entladungstrieb’, der mit Erregungs- und Schwellungszuständen zu tun hat, die natürlich zunächst nur körperlicher Natur sein können: Bestimmte Organe und Körperregionen schwellen, werden stärker durchblutet, und der Organismus strebt nach der maximalen Erregung und schließlich deren Umkehrung im Höhepunkt: Ausstoßen, Entladen, Entspannen.

Das Zusammenwirken beider von Moll so beschriebenen Teil-Triebe führt zur Fortpflanzung: Zwei Individuen nähern sich durch die Anziehung an. Dann erfolgt bei den höheren Tieren eine tatsächliche Vereinigung (Koitus), und hierbei werden schließlich die Geschlechtszellen ausgestoßen (die männlichen in den weiblichen Körper) und die Befruchtung erfolgt.

Indem Moll diese beiden Triebe beschreibt, kann er darauf hinweisen, dass sie beim Kind noch getrennt sind: Das Kind kennt noch die reine Annäherung ohne eine damit verbundene Erregung der Sexualorgane. Es denkt und fühlt hier noch nicht sexuell, nicht einmal erotisch.[7] Den anderen Trieb kennt es dabei sehr wohl auch, aber eben vor allem in autoerotischer Erfahrung. Durch frühzeitige Masturbation (sexuelle Erregung und Selbstbefriedigung, möglicherweise ganz ohne begleitende Vorstellung eines Sexualpartners), so Moll, könnten beide Triebe jedoch auch auf Dauer getrennt werden.[8]

Wenn man auch das Seelische mit in den Blick nimmt, kann man hinzufügen, dass umgekehrt nicht nur der Kontrektationstrieb beim Menschen mit sehr seelischen Regungen einhergehen kann, sondern auch der Detumeszenztrieb im rein Seelischen eine Entsprechung hat. Denn auch jede seelische Begegnung lebt in Annäherung und Vereinigung, Austausch, gegenseitiger Mitteilung. So kann ein Mädchen nicht nur das Bedürfnis nach Zärtlichkeit haben, sondern dann auch vertauensvoll alles erzählen, was sein Herz bewegt. Auch das kann eine ,Entladung’ von ,Aufgestautem’ sein. Und: ,Wes das Herz voll ist, des fließt der Mund über’ (Lk 6,45). Aber all diese zart seelischen Vorgänge gehen über physiologische Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge weit hinaus. Wer den Menschen nur ,kausal’ betrachtet, geht an dem heiligen Menschenwesen gerade vorbei. Ein sein Herz öffnendes Mädchen ist ein Heiligtum – und wer es anders betrachtet, ist dem Geschehen gar nicht würdig.

Doch kehren wir zu Moll und zum Kontrektationstrieb zurück. Wie sehr die Zuneigung zueinander in frühen Jahren noch überhaupt nicht oder fast nicht genital, sondern ganzheitlich geprägt ist, zeigt folgende Schilderung:[18]

[...] hat er im Alter von 7 und 9 Jahren für ein gleichaltriges Mädchen eine sehr innige und sehnsüchtige Schwärmerei bei sich beobachtet. Er wünschte damals, selbst ein Mädchen zu sein, um stets bei dem anderen Mädchen sein zu können. Eine heisse Leidenschaft hatte X. auch im Alter von 12 Jahren zu einem anderen Mädchen. Sie wurde aber nur schwach erwidert, und zwar, wie X. glaubt, vielleicht deshalb, „weil er trotz aller inneren Glut äusserlieh nicht offensiv genug vorging. Es kam zu Händedrücken, aber nicht zum Küssen, was den X. sehr verdross. besonders da ihm einmal die Gelegenheit hierzu sehr günstig war“. X. erinnert sich, dass er bei dem Gedanken an das Mädchen heftig am ganzen Körper vor Wollust zitterte.

Dieses Zittern wird man sich als eine Leib und Seele ganzheitlich und tief ergreifende Empfindung vorstellen müssen. Sie hat nichts zu tun mit irgendeiner erwachsenen ,Lust’, sondern sie ist tiefste und reinste Liebe der frühesten Jugend, ein keusches, sehnsüchtiges Begehren.[9]

In der Pubertät gibt es nun einerseits viele Fälle von Masturbation ohne begleitende Gedanken, andererseits und umgekehrt aber auch viele andere Fälle idealistischer Liebe ohne irgendeinen bewussten Bezug zu den Genitalien.[10] Dies kommt sogar im Erwachsenenalter bei Frauen mehrfach vor – die ihren Mann leidenschaftlich und in wahrer Treue lieben können und dennoch mit dem Koitus keine Empfindung verbinden können.[23][11]

Für die Zurückdrängung der Sexualität durch die idealisierende Liebe zitiert Moll als Beispiel eine Studie zu Goethe und dessen ,Werther’, was wir bereits erwähnten.[26][12]

Wie rein und zugleich heftig diese frühe Liebe sein kann, beweist nicht nur Dantes Liebe zu Beatrice mit neun Jahren, sondern auch Byron, der sich mit acht Jahren unsterblich in ein Mädchen namens Mary Duff verliebte. 1813 notiert er mit fünfundzwanzig im Rückblick:[13]

How very odd that I should have been so utterly, devotedly fond of that girl, at an age when I could neither feel passion, nor know the meaning of the word. And the effect! My mother used always to rally me about this childish amour; and, at last, many years after, when I was sixteen, she told me one day, 'Oh, Byron, I have had a letter from Edinburgh, from Miss Abercromby, and your old sweetheart Mary Duff is married to a Mr C*. And what was my answer? I really cannot explain or account for my feelings at that moment; but they nearly threw me into convulsions, and alarmed my mother so much, that after I grew better, she generally avoided the subject [...]. Now, what could this be? [...] I had and have been attached fifty times since that period; yet I recollect all we said to each other, all our caresses, her features, my restlessness, sleeplessness, my tormenting my mother's maid to write for me to her, which she at last did, to quiet me. [...] I remember, too, our walks, and the happiness of sitting by Mary, in the children's apartment, at their house not far from the Plain-stones at Aberdeen, while her lesser sister Helen played with the doll, and we sat gravely making love, in our way. [...] I certainly had no sexual ideas for years afterwards: and yet my misery, my love for that girl were so violent, that I sometimes doubt if I have ever been really attached since.

Moll erwähnt immerhin, dass die Keimdrüsen schon lange vor den äußerlich sich zeigenden Zeichen der beginnenden Pubertät tätig sein können.[14] In jedem Fall zeigt sich die Anziehung des anderen Geschlechts schon sehr früh, auch innerhalb der Familie.[15] Er diskutiert im weiteren sehr sorgfältig die Frage, was eigentlich in Bezug auf die Anziehung der Geschlechter angeboren ist.[98ff] Er kommt zu dem Schluss, dass die Heterosexualität angeboren ist, weil es viele Fälle gibt, in denen Kinder entgegen ihrem Geschlecht erzogen wurden, dieses teilweise sogar erst viel später entdeckt wurde – und sie sich trotzdem entsprechend der Tätigkeit ihrer Keimdrüsen zu verhalten begannen.[114ff]

Damit aber muss die Reaktionsfähigkeit des Mannes auf weibliche Reize angeboren sein.[119][16] Dabei wirken alle Sinne mit. Bemerkenswert ist, dass selbst eine körperlich sehr weiblich wirkende Frau einen Mann abstoßen würde, wenn sie eine tiefe Bassstimme hätte[133] oder unter der Kleidung plötzlich stark behaart wäre.[146] Wesentlich ist ferner auch die Körperwärme und der gesamte Eindruck eines lebenden Wesens mit weicher Haut.[142][17] Und man kann sich fragen: Was ist weiblicher als ein Mädchen...?

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In einem Aufsatz wirft der Sexualforscher Gunter Schmidt die Frage auf: ,Gibt es Heterosexualität?’[18] Er verweist darauf, dass durch das Denken in Kategorien schlicht die Unschuld verlorengeht. Nachdem ,Homosexualität’ mehr und mehr allgemein anerkannt war, führte dies dazu, dass unbefangene Zuneigung zwischen Jungen sofort in diesem Aspekt gesehen und gedeutet wird.[19]

Schmidt weist darauf hin, dass die Konstruktivisten, ,angeführt von Michel Foucault’,[133] gezeigt hätten, dass Verhaltensweisen und Erscheinungsformen keine Seinsweisen seien, dass etwa homosexuelles Verhalten immer existiert habe, ,der’ Homosexuelle als so definierte ,Spezies’ jedoch etwas Modernes sei.[134] Man könnte nun einwenden, durch die Anerkennung (und auch stolze Betonung: ,gay pride’) einer homosexuellen Identität falle endlich das Verdikt des Abnormen. Andererseits werden dadurch aber die ,Schubladen’ nur weiter verschärft – und wenn man noch weitere hinzufügt (etwa ,bisexuell’ etc.), ändert dies nichts an dem Problem, im Gegenteil. Immer wird versucht, etwas als feststehendes Seiendes zu fassen und zu definieren.

Das führt dazu, dass Jugendliche davor zurückschrecken, sich in diese Raster pressen zu lassen. 1970 hatte noch fast jeder fünfte Jugendliche angegeben, schon einmal Sex mit einem Jungen gehabt zu haben – 1990 waren es nur noch ganze zwei Prozent![135][20] Das von all den Rastern geförderte Dogma heißt Monosexualität – also die Vorstellung, der Mensch habe eine festgelegte Sexualität, wie auch immer, und wenn es ,Bisexualität’ etc. sei.[136][21]

Viel entscheidender aber, so Schmidt, als die Frage nach ,der’ Sexualität eines Menschen sei die Frage, was ein Mensch bei einem anderen Menschen oder mit einer bestimmten Form von Sexualität jeweils suche und finde.[139][22] Auch beobachtet er, dass viele Frauen ,weniger Aufhebens’ um die Etiketten homo- oder heterosexuell machen – als sei auch dies typisch männlich: der Zwang, für alles feste Begriffe zu finden.[141][23] Kontrastierend dazu zitiert er Péter Nádas:[129][24]

Denn wenn ich Normen für Liebeslust und Liebesakt an die sich im Sexus manifestierenden Gegebenheiten binde, dann habe ich darauf verzichtet, von der Seele überhaupt erst zu sprechen.

In diesem Sinne erweist sich die parthenophile Liebe in ihrer zärtlichen Form nicht etwa als ,sexuelles Begehren junger Mädchen’, sondern – im Sinne der hier vorliegenden Bände – als Liebe zur Unschuld, wie sie jedoch nur ein Mädchen offenbaren kann, und als Liebe, die das Sexuelle nicht aus-, sondern einschließt, ohne hier (im sexuellen Begehren) ihren Ursprung oder auch nur ihr Zentrum zu haben. Und sie ist zugleich immer Liebe zu einem bestimmten Mädchen, also zu einem individuellen Wesen. Parthenophilie ist individualisierte Liebe zu einzelnen Mädchen – allein schon deshalb, weil die meisten Mädchen in ihrem Wesen heute gar nicht mehr unschuldig sind, es auch gar nicht sein wollen.

So ist Parthenophilie im Sinne dieser Bände schon deshalb keine Perversion, weil sie keine Form der ,Sexualität’ ist, sondern diese nur einschließt, aber selbst dies nicht einmal notwendigerweise. Parthenophilie bezeichnet eine erotische Präferenz. Der dabei ersehnte ,Liebesakt’ ist keineswegs in erster Linie oder auch nur überhaupt körperlich zu verstehen ist, denn sonst hätte man ,darauf verzichtet, von der Seele überhaupt erst zu sprechen’. Parthenophilie ist jedoch primär ein seelisches Phänomen, nämlich die Anziehung durch bestimmte Mädchen – und möglicherweise nur ein einziges. Oder, falls es auf Erden gar nicht existiert, überhaupt nur durch das Urbild dieses Mädchens.

Parthenophilie ist die Liebe zur Unschuld des Mädchens – zum Wesen des Mädchens. Auch wenn man abstritte, dass die Unschuld das Wesen des Mädchens ist, würde die parthenophile Seele es dennoch besser wissen. Denn sie weiß, was sie liebt – und sie liebt, was sie weiß.

Die Liebe stellt aber immer das Geliebte ins Zentrum. Wahre Parthenophilie wird also immer empfinden, was das Mädchen will – und auch, was es nicht will und nicht wollen würde. Liebe ist niemals Überwältigung, sondern immer gegenseitiges Geschenk. Das liebende Mädchen wird sich immer dem Mann anpassen wollen – aber der liebende Mann wird sich auch immer dem Mädchen anpassen wollen. Denn da er gerade die Zartheit und die Verletzlichkeit des Mädchens liebt, ihr ganzes zartes und verletzliches Wesen, wird er nichts, aber auch wirklich gar nichts tun, was das Vertrauen und die anmutige Zuwendung dieses Wesens in irgendeiner Weise antasten oder gar enttäuschen würde...

In jeder wahren Liebe entsteht auf diese Weise ein heiliges Gleichgewicht, dass beide Liebenden zutiefst beschenkt. Hier beginnt ein Mysterium, über das man nicht mehr sprechen kann, weil es niemand Dritten mehr etwas angeht...

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Wenn Parthenophilie in diesem Sinne Liebe zur Unschuld ist, so wird im Sinne von Schmidts Ausführungen der Mann bei dem Mädchen auch eine solche Sexualität suchen: nicht etwa ,schmutzigen’, heftigen, ,heißen’ oder anderweitig dionysischen bis perversen ,Sex’, sondern gerade sein Gegenteil. Aber eben auch nicht klassisch-edle, apollinische ,Fortpflanzung’, sondern auch deren Gegenteil. Eben unschuldige, tiefe Zärtlichkeit. Etwas, was die Gegensätze nicht ausschließt, aber aufhebt. Auch buchstäblich: auf eine höhere, heiligere Stufe hebt.

Und nochmals im Sinne Schmidts: Der Mann mag auch andere, ,erwachsenere’ Sexualitäten kennen, aber beim Mädchen sucht er diese nicht – sondern hier sucht er jene eine, die dem Mädchen so entspricht und die so letztlich nur das Mädchen schenken kann. Ein Wunderreich der Zärtlichkeit, das auch alle andere Sexualität wieder neu heiligt, gleichsam mit Heiligkeit tauft...

Und man leugne nicht, dass ein Mädchen auch Sehnsucht nach dieser tiefen Zärtlichkeit haben kann und hat. Und man leugne nicht, dass ein Mann bei einem Mädchen zu einer Zärtlichkeit finden kann, die sonst undenkbar scheint, gerade für einen Mann. Man leugne nicht, dass ein Mädchen eine Zauberin ist – eine Zauberin, die in dem Mann eine Zärtlichkeit hervorzaubert, die es selbst auch gerade haben möchte. Man leugne nicht, wie sehr sich ein Mann auf ein Mädchen einstellen und sich auch ihm hingeben kann. Man leugne nicht das Mysterium, das beide tief zusammenpassen lässt... Man leugne nicht die All-Macht der Liebe – und ihrer heiligen Schwester, der Zärtlichkeit. Man leugne nicht, dass bei einem Mädchen auch das Herz eines Mannes vollkommen unschuldig werden kann – und will. Und man leugne nicht, dass das Mädchen dennoch den Mann wünscht und liebt...
 

Fußnoten


[1] Und mehr noch: kategorisch geleugnet. Einvernehmlichkeit existiert nicht, weil das Mädchen noch nicht ,einvernehmlichkeitsfähig’ ist, angeblich noch keine Zustimmungsfähigkeit besitzt, da sie noch nicht den Gesamtüberblick über den ganzen Bereich, seine Bedeutung etc. habe und haben könne, was der angloamerikanische Raum ,informed consent’ nennt. Nachdem dies ,geklärt’ ist, wird über solche Nebensächlichkeiten wie ,Zärtlichkeit’ oder nicht gar nicht mehr geredet. Das zärtlichste Geschehen und eine halbe Vergewaltigung gelten hier dann einerlei.

[2] Richard von Krafft-Ebing: Psychopathia sexualis. Eine klinisch-forensische Studie. Stuttgart 1886, S. 100. Projekt Gutenberg.

[3] Es ist ein Widerspruch in sich, wenn er fünf Absätze später zugibt: ,Leider muss zugestanden werden, dass gerade die scheusslichsten dieser Unzuchtsdelikte geistig Gesunde betreffen, die aus Uebersättigung im Geschlechtsgenuss, aus Geilheit und Rohheit, nicht selten in angetrunkenem Zustande, soweit ihre Menschenwürde vergessen.’ Ebd., S. 101. Und wenn er bereits vorher klarstellte: ,Der Ausdruck „Unzucht“ im gesetzlichen Sinne des Wortes vereinigt die trostlosesten Verirrungen und grössten Scheusslichkeiten, deren nur der von Wollust triefende, sittlich und meist auch körperlich schwache Mensch fähig werden kann.’ Ebd., S. 100. • Auch das ist definitiv falsch. ,Unzucht’ im gesetzlichen Sinne vereint alle Handlungen, die an und mit Mädchen begangen werden, die noch im ,züchtigen’ Alter sind, wo sie nicht berührt werden dürfen, selbst wenn sie dies wollen. Mädchen, die also sexuell noch nicht mündig sein dürfen, sondern entmündigt sind. Um dies nicht deutlich werden zu lassen, verallgemeinert man die gewiss zahlreichen traurigen Fälle, wo gegen den Willen und das Wohl des Mädchens gehandelt wird, und stellt diese so abschreckend wie möglich dar, damit niemand nach den Fällen zu fragen wagt, die vielleicht völlig anders gelagert sind! Nämlich zärtlich, beidseitig und so liebevoll, wie die Erwachsenensexualität nur noch selten ist, vielleicht gar nicht mehr...

[4] Sandor Ferenczi thematisierte diese Sprachverwirrung zweier so gesehen unvereinbarer Sexualitäten in einem im September 1932 gehaltenen Vortrag, der dann in der von Freud herausgegebenen Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse erschien. Sandor Ferenczi (1933): Sprachverwirrung zwischen den Erwachsenen und dem Kind (Die Sprache der Zärtlichkeit und der Leidenschaft). Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse 19 (1/2), 5-15.

[5]● Albert Moll: Untersuchungen über die libido sexualis, Erster Band. Berlin, 1898, S. 1-95. Archive.org. Im Folgenden Seitenangaben in hochgestellten eckigen Klammern. In diesem Zusammenhang erörtert er zunächst die Sinnlosigkeit, beim Menschen noch von einem ,Fortpflanzungstrieb’ zu sprechen, da diese Entscheidung bewusst getroffen werde. Sinnvoll sei allenfalls der Begriff ,Begattungstrieb’, dieser diene dann dem mit ihm natürlicherweise verbundenen Fortpflanzungszweck.[6] • Die Begriffe bildete Moll von lat. tumere anschwellen (und de- = ab-) und contrectare berühren, auch geistig sich mit etwas beschäftigen.[10] • Dabei ist evolutionsgeschichtlich der physiologische Vorgang der Detumeszenz älter, er findet sich bereits beim Ausstoßen von Tochterzellen, anderen Formen ungeschlechtlicher Vermehrung oder bei der Befruchtung von Eiern, ohne dass Berührung des ,Partners’ notwendig ist.[29ff] • Das bedeutet umgekehrt, dass der Kontrektationstrieb jünger und dem Menschen näher ist, hier ja auch die ganze Offenheit zum freien Seelisch-Geistigen hin gewinnt. • Die ,natürliche Zuchtwahl’ bewirkt die fortwährende Verknüpfung beider Triebe, da sich nur Individuen fortpflanzen, in denen beide zusammenwirken – also weder der ,Onanist’ noch der ,platonisch Liebende’.[302]

[6] Goethe beschrieb dies in seinem Roman ,Die Wahlverwandtschaften’.►6

[7] Selbst das von Freud für die ersten Lebensjahre beschriebene Begehren des andersgeschlechtlichen Elternteils (ödipale Situation) bleibt dem Kind mehr oder weniger unbewusst. Natürlich gibt es Übergänge, sogar Erregungszustände, dennoch lebt dies im Kind noch umfassend-ganzheitlich, steht nicht im Zentrum. Schon gar nicht strebt das Kind nach Orgasmus, sondern nur nach ,schönen Gefühlen’.

[8] Moll schwebt hier offenbar das Bild des sprichwörtlichen ,Onanisten’ vor, der für die sexuellen Handlungen überhaupt kein Bedürfnis mehr nach einem Partner hat, auch bei Erreichen der Geschlechtsreife nicht. Tatsache ist, dass Masturbation von einer Ersatzhandlung durchaus zu einer Haupthandlung werden kann. Wir erwähnten bereits an anderer Stelle das Zitat von Karl Kraus: ,Ein Weib ist unter Umständen ein ganz brauchbares Surrogat für die Selbstbefriedigung. Freilich gehört ein Übermaß von Phantasie dazu.’ Die Fackel Nr. 229 vom 2.7.1907, S. 2. fackel.oeaw.ac.at.

[9] Als junger Mann durchlief derselbe Mensch eine homoerotische Phase und verliebte sich genauso keusch mit unsterblicher Hingabe in einen Jungen: ,Sein Bild stand ungerufen vor seiner Phantasie, und in so heftigen erotischen Gedanken hat X. manche Stunden verträumt. Den Knaben sich nackend vorzustellen, wäre dem X. ekelhaft gewesen. Er liebte ihn, ohne wissen zu wollen, welchen Geschlechts er sei, er spürte nie in seiner Gegenwart einen Reflex in seinen Sexualorganen [...].’[20]

[10],Ich bin trotz vielfacher Erkundigungen nicht imstande, zu sagen, was [als erste Äußerung, H.N.] das Häufigere ist.’[54]

[11] Moll bezeichnet dies als noch immer recht neue Erkenntnis: ,Wieviel Falsches über den Geschlechtstrieb der Frauen noch verbreitet ist, geht ja aus dem Umstand hervor, dass sich erst jetzt der Gedanke Bahn zu brechen beginnt, dass sich beim Weibe der Trieb zum Koitus überhaupt oft nur in sehr viel geringerem Masse äussert als beim Mann, und dass er in einer grossen Reihe von Fällen ebenso, wie jeder Orgasmus beim Koitus fehlt.’[263] • Allerdings zitiert er als zu extrem die Auffassung des Gynäkologen Franz Windscheids, der 1896 schrieb: ,[...] ist der sexuelle Trieb bei der normalen Frau, vor allem der höheren Stände, keine angeborene, sondern eine erworbene Eigenschaft; in dem Augenblick, in dem er angeboren ist oder von selbst erwacht, bestehen schon Abnormitäten. Da also die Frau diesen Trieb vor der Ehe nicht kennt, so wird sie ihn auch nicht vermissen, wenn sie in ihrem Leben keine Gelegenheit hat, ihn kennen zu lernen.’[271] • Eine abstruse Behauptung, die meinen kann, ,höhere Stände’ hätten eine andere Vererbung als die übrigen!

[12],Dass Wolfgang dem prickelnden Reiz der Sünde widerstand, dafür sorgte ein unschuldiges Mädchen ... | Eine neue Welt war dem Knaben erschlossen. Wolfgang fühlte zum ersten Male den Einfluss unschuldiger Weiblichkeit ... Das Sinnliche trat völlig zurück. Er verlangte nur sie zu sehen. Ein Gruss, ein Neigen ihres Hauptes genügte ihm.‘ Karl Heisemann: Goethe. Leipzig 1895, S. 67.

[13] Thomas Moore (Ed.): Life, Letters and Journals of Lord Byron. London 1839, p. 9.

[14],Girdwood beobachtete nach Steinhaus einen entwickelten Follikel im Eierstock eines sonst normalen 8jährigen Mädchens. [...] Prochownick beschreibt einen Fall, in welchem bei einem 3jährigen Mädchen schon ovulatorische Thätigkeit vorhanden war.’[51] • Hermann Beigel: Die Krankheiten des weiblichen Geschlechts. Erlangen 1874, S. 316, sammelte verschiedene Fälle teils erst zehnjähriger schwangerer Mädchen. Anna Mummenthaler gebar 1759 mit acht Jahren ein Kind.[51] • Weitere Fälle von sogar fünf- und sechsjährigen Mädchen siehe Wikipedia: List of youngest birth mothers.

[15],Auf Fragen ist mir wenigstens meistens erwidert worden, dass Söhne lieber ihre Mutter, Töchter lieber den Vater küssen und umgekehrt.’[56]

[16] So, wie das Scharren von Hühnchen in Sand und Kies angeboren ist. Auf einem Teppich geschlüpfte Hühnchen scharrten erst dann, als sie wirklich etwas Kies bekamen.[120] • Ein isoliert aufgezogener Wespenbussard entfernt schon der ersten Wespe den Stachel.[121]

[17] Hinzu kommt die Jugend: ,Häufig kann ein dritter es nicht begreifen, wie ein Mann geschlechtlich mit seiner nicht mehr ganz jungen Frau zu verkehren vermag [...].’[210]

[18]● Gunter Schmidt: Sexuelle Verhältnisse. Über das Verschwinden der Sexualmoral. Reinbek bei Hamburg 1998, S.130-145. Im Folgenden Seitenangaben in hochgestellten eckigen Klammern.

[19] Schmidt verweist hier auf Thomas Manns Novelle ,Tonio Kröger’ mit Tonios inniger Liebe zu Hans Hansen, die in Schmidts Jugendzeit noch ohne eine sexuelle Besonderheit gelesen werden konnte, während heutige Schüler darin sofort eine ,schwule Kiste’ sehen. Ebd., S. 130.

[20] Günter Schmidt (Hg.): Jugendsexualität. Sozialer Wandel, Gruppenunterschiede, Konfliktfelder. Stuttgart 1993, S. 3. • Ein ähnliches Phänomen bewirkte bereits das Buch von Hans Blüher: Die deutsche Wandervogelbewegung als erotisches Phänomen. Ein Beitrag zur Erkenntnis der sexuellen Inversion. Berlin 1912. Die Angst vor der Homosexualisierung deutscher Jungen führte nun gerade mit dazu, sich mit Mädchen zu mischen.[136f] • In Amerika scheint es inzwischen wieder umgekehrt zu sein: Anfang der 90er Jahre gaben 3 % der heterosexuellen Frauen an, homosexuelle Erfahrungen gemacht zu haben, 2008 war es fast jede dritte. Sandra L. Caron: The Sex Lives of College Students. Two Decades of Attitudes and Behaviors. Orono 2013. Peggy Orenstein: Girls & Sex. München 2017, S. 189.

[21],Wenn man einer Minderheit Bisexualität zugesteht, ist die monosexuelle Majorität gerettet.’[138]

[22] So beschreibt er den Fall eines jungen Mannes, der mit einem noch etwas jüngeren Mann zusammenlebt, gleichzeitig gelegentliche homosexuelle ,One-Night-Stands’ hat und sich überdies in eine zehn Jahre ältere Frau verliebt hat: ,Bei den Männern (Gelegenheitspartnern) sei die Sexualität mehr wie ein Kampf, beim Freund gebe er viel Schutz und Behütung; mit der Frau sei alles sanfter, weicher, geborgener, zerfließender, symbiotischer.’[139]

[23] In einer Studie mit dreißig- bis fünfzigjährigen Berlinerinnen unterliefen auffällig viele Frauen die Frage nach ihrer geschlechtlichen orientierung mit Antworten wie ,alles’, ,gar nichts’, ,mal so, mal so’ etc. Sonja Düring: Wilde und andere Mädchen. Die Puberät. Freiburg i. Br. 1993.[141]

[24] Péter Nádas: Von der himmlischen und von der irdischen Liebe. Berlin 1994, S. 190.[129]