Parthenophilie

Francis Kilvert (1840-1879)


Robert Francis Kilvert war ein englischer Landpfarrer, der vor allem für seine ausführlichen Tagebücher bekannt ist, in denen er sehr lebendig und auch empfindsam das walisische England des 19. Jahrhunderts festgehalten hat.[1]

Zunächst von seinem Onkel in Bath erzogen, besuchte er ein College in Oxford und wurde dann ein Hilfsvikar der Church of England, zunächst bei seinem Vater, ab 1865 in Clyro, westlich von Hereford. 1870 beginnt er seine Tagebücher. Ende 1871 verliebt er sich in die jüngste, eben erwachsene Tochter des Vikars einer Nachbargemeinde. Der Vater weist seine Bitte, sie heiraten zu dürfen, jedoch zurück – und kurz darauf verlässt Kilvert Clyro, kehrt zunächst zur Gemeinde seines Vaters zurück und wirkt dann ab 1876 bis zu seinem frühen Tod noch in zwei walisischen Gemeinden.[2]

Kilverts Tagebücher wurden bearbeitet und zensiert, vielleicht von seiner Frau, die er kurz vor seinem Tod noch geheiratet hatte. Ab 1938 erschien dann eine umfangreiche Auswahl in drei Bänden,[3] die während des Krieges große Aufmerksamkeit erfuhren. Als der Herausgeber an eine Ergänzung durch die übrigen Einträge dachte, erwies sich, dass die damalige Besitzerin, eine ältere Nichte, den größten Teil der Tagebücher zum ,Schutz privater Familienangelegenheiten’ vernichtet hatte.

Im Folgenden wollen wir das Leben Kilverts und seine Liebe zu jungen Mädchen durch seine Tagebücher ein wenig kennenlernen.[4] Plomer, der Herausgeber, schreibt in seiner Einführung:[5]

Sein Leben war stark beeinflusst von zwei Dingen – seiner Empfänglichkeit für die Schönheit junger Frauen und Mädchen und seinem Mangel an Geld [...]. [...] Auch wenn er die Werte seiner eigenen Klasse nicht in Frage stellte, war er doch niemals indifferent gegenüber Leiden, die sie zuließen, und tat, was er konnte – mit seiner offensichtlich magnetischen Präsenz und Stimme –, um diese Leiden zu lindern.

Seine Armut lag in seiner Tätigkeit als bloßer Hilfsvikar (curate). Der Vikar von Clyro war der dreißig Jahre ältere Richard Lister Venables (1809-1894), der jedoch in zweiter Ehe eine wesentlich jüngere Frau geheiratet hatte, die, 1834 geboren, kaum älter als Kilvert war und so eine wesentliche Vertrauensperson für ihn wurde.[5]

Ein früher Eintrag ist vom Vorabend des Valentinstages, Mitte Februar 1870, Kilvert ist neunundzwanzig Jahre alt:[8]

Preached at Clyro in the morning (Matthew xiv, 30). Very few people in Church, the weather fearful, violent deadly E. wind and the hardest frost we have had yet. Went to Bettws in the afternoon wrappend in two waistcoats, two coats, a muffler and a machintosh, and was not all too warm. Heard the Chapel bell pealing strongly for the second time since I have been here [...].

Dies gibt eine Stimmung der ländlichen Gemeinde und der einfachen Lebensverhältnisse dort...

Ende Februar notiert er dann:[12f, 28.2.]

In Chain Alley, Hay, at Prissy Prosser’s door, saw Marianne Price grown tall and slight, her dark large eyes as beautiful soft and pure as ever.

Solche Momente sind es, die ihn berühren und die er ebenfalls festhält – wie kostbare Diamanten seiner Tage. Das Mädchen ist noch sehr jung – ein Kind. Er kauft ihr ein Buch und notiert drei Tage später:[13, 3.3.]

The child was out, her grandmother sent for her and she came running out of breath and radiant with delight. Her lovely dark eyes lighted up at the thought of a new book and looked shyly up to thank me from under her long silky lashes.

Hier ist noch die ganze Unschuld eines Mädchens zu spüren, das sich über ein neues Buch so unglaublich und zugleich so anmutig-schüchtern freuen kann...[6]

Er berichtet von einem wunderschönen Ostermorgen mit Rauhreif Mitte April, an dem er zum ersten Mal wieder den Kuckuck hört, und erwähnt für seine kleine Gemeinde fast dreißig Menschen bei der Kommunion.[28, 17.4.]

Am Osterdienstag begegnet er auf einer Wanderung einem Mann mit etwa fünf Kindern, die er nicht kennt – und beschreibt das ausgelassene Spiel der Mädchen:[30ff, 19.4.]

Neben ihm saßen ein oder zwei junge Mädchen, während zwei oder drei weitere Mädchen und Jungen auf und ab kletterten [...]. [...] Die Mädchen, etwa 12 oder 14 Jahre alt, stiegen die steilen Felsen vor und über uns hinauf, unbekümmert über die Kürze ihrer Unterröcke und die sie hebenden und hineinblasenden Kräfte des Windes. [...] Sie waren voller Spaß und so wild wie Falken, und fingen ein großes Herumtollen auf dem Rasen an, das damit endete, dass sie sich Hals über Kopf herumrollten und sich gegenseitig mit Wasser überschütteten [...]. [...] Als wir uns amüsierten und lachten, wurden sie noch wilder und aufgeregter. Es waren alles gutaussehende, temperamentvolle Mädchen. Aber es gab ein oder zwei ziemlich hübsche, und eines in einem roten Kleid war das wildeste und rücksichtsloseste der ganzen Truppe. Inmitten des Trubels riss ihr Kleid über den ganzen Rücken auf, aber als eine ihrer Schwestern versuchte, es für sie zu befestigen, sprang sie fort und riss alles wieder auf und zeigte so große weiße Lücken von Haut und Leinen. [...] Ich konnte nicht anders, als den Vater um seine Kinder zu beneiden, besonders um seine Truppe geschmeidiger, ausgelassener, übermütiger Mädchen mit ihren jungen weichen Gliedern, ihren weißen runden Armen [...], ihren rosig geröteten Wangen, ihren dunklen und blonden Locken, die vom Wind durcheinandergewirbelt wurden, ihren leuchtenden, wilden, kecken Augen, ihren roten, süßen, vollen Lippen und weißen, lachenden Zähnen, ihren Bewegungen, so schnell, anmutig und aktiv wie junge Antilopen oder Rehkitze, und ihre klaren, süßen, fröhlich lachenden Stimmen, die durch den Wald klangen. [...] Sie wirkten, als seien sie die genii loci[7] und lebten schon immer dort.

Kilvert nimmt diese ausgelassenen, wunderschönen Mädchen wie den Geist oder die Seele des Ortes, der Landschaft wahr. Die Anmut der Mädchen vereinigt sich mit der Landschaft – und sie sind ihre Seele...

Anfang Mai sieht er, wie zwei Mädchen beim Kastrieren von Lämmern helfen – und bedauert diese Szene, denn sie widerspricht der Unschuld der Mädchen...[8]

Am Himmelfahrtstag hört er einen ganzen Schwarm Bienen während des Gottesdienstes – und sein Vater erzählt ihm, dass dies an diesem Tag öfter geschehe und dass die Bienen den Menschen den Weg zur Kirche zeigen.[38, 26.5.][9]

In der Schule berüht ihn vor allem ein Mädchen, das er ,Gipsy Lizzie’ nennt:[41f, 7.6.]

In der Schule sah Gipsy Lizzie mit ihren dunklen, großen schönen Augen verschmitzt und schelmisch aus, und ein blendendes Lächeln zeigte ihre kleinen weißen Zähne, als sie ihre dunklen Locken zurückwarf.

Am gleichen Tag notiert er in Bezug auf ein anderes Mädchen: ,Doch in welch ärmlichen Behausungen werden diese wilden, reichen Naturen, diese Bergschönheiten, geboren und aufgezogen.’[42] Vielleicht führt aber gerade die große Ärmlichkeit zu der Schönheit dieser Mädchen, denn ihre Hingabe an dieses karge, einfache Leben wird zu einer großen inneren Schönheit...

Nach einer Inspektion der Schule wurden die Klassen verändert, und Gipsy Lizzie kommt in seine Lesestunde:[49, 4.7.]

Wie ist die unbeschreibliche Schönheit dieses lieblichsten Gesichtes zu beschreiben – die dunklen, weichen Locken, die sich von der reinen, weißen, durchsichtigen Stirn lösen, der exquisite, kleine Mund und die kleinen Perlenzähne, die reinen, zarten Gesichtszüge, die langen dunklen Strähnen und die weißen Augenlider, die sich senken und die Augen verhängen [...], und wenn die Augen sich erheben, diese klare, unergründliche, blaue Tiefe weiten Staunens und Forschens und unbefleckter und argloser Unschuld. Oh, Kind, Kind, wenn du nur deine eigene Kraft kennen würdest. Oh, Gipsy, wenn du nur so gut aufwächst, wie du schön bist. Oh, dass du gut aufwachsen mögest. Mögen alle Engel Gottes dich beschützen, Süßes. Der Herr segne dich und bewahre dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig.

Mit ,gut’ meint Kilvert moralisch gut, reinen Herzens. Und wieder stehen wir vor der Unschuld der Mädchen, die für die Parthenophilie so erschütternd ist...

Die Kraft und Macht der Mädchen ist so groß, dass sie einen bezaubern oder verhexen können: ,...and Major Allen's two bewitching pretty little girls, Geraldine and Edith.’[50, 7.7.]

Aber es ist vor allem das eine Mädchen, das selbst die Landschaft heiligt, die ihr Fuß berührt hat:[51, 9.7.]

Es ist ein hübscher Pfad, dieser Vogelnest-Pfad, sehr schattig und ruhig, eng und hier und da von Ulmen- und Haselzweigen überwölbt. Manchmal kommt mein geliebtes Kind Gipsy auf diesem Weg in die Schule, aber öfter kommt sie von Sunny Bank, wenn die Tage schön sind [...]. Doch oft und oft müssen diese winzigen Füße diesen steinigen, schmalen, grünüberwölbten Pfad gegangen sein und diese süßen blauen Augen diesen Blick auf die blauen Berge gehabt haben und diese kleinen Hände Blumen an diesem Pfad gesammelt haben. O, mein Kind, wenn du wüsstest! Wenn du nur wüsstest, dass dieser Pfad [...] und diese Felder für mich süß und heiliger Boden sind, um deinetwillen. Aber du kannst es nie wissen, und solltest du das Geheimnis je ahnen oder lesen, wird es nur ein vager, verschwommener Verdacht der Wahrheit sein. Ah, Gipsy.

Zwei Tage später notiert er:[52, 11.7.]

Wenn ich aufstehe, schaue ich oft zum weißen Bauernhaus von Penllan auf und denke an die süßen grauen Augen,[10] die seit langem geöffnet sind und auf den perlweißen Morgenhimmel und den Nebel des Tales und den sich auf die Berge ausbreitenden Morgen blicken, und an die jungen, vielbeschäftigten Hände, die schon lange an der Arbeit sind, melkend oder rührend, die Ärmel hochgekrempelt, die Arme cremeweiß wie die Milch selbst, und das leuchtende, süße Morgengesicht, das der Sonnenaufgang und die frische frühe Luft in Blüte geküsst haben, und die sonnigen Locken, vom Bergwind gekräuselt – und hoffe, dass das vaterlose Mädchen stets gut, mutig, rein und wahr sein möge. So helfe ihr Gott!

Und noch einmal gedenkt er des Verlaufes der Morgensonne, die sich, noch bevor sie den Wetterhahn erglänzen lässt, in ihr Schlafzimmer gestohlen hat und von Stuhl zu Stuhl kroch:[52]

[...] bis sie das Bett erreicht hat, die schöne Hand und den Arm geküsst hat, die auf der Bettdecke liegen, den weißen Busen, der sich nach der Unruhe der schwülen Nacht halb unbedeckt hebt, und ihren Mund geküsst hat, dessen scharlachrote Lippen, die sich gerade in einem Lächeln teilen und wie Rosenknospen für einen Kuss schmollen, den Perlenschimmer der weißen Zähne zeigen, und das süße Gesicht und die blaugeäderten, seidig gewimperten Augenlider, die weiße Stirn und das weiche, helle, wirre Haar geküsst hat, bis sie sie süßesten Augen geöffnet hat, aufgestanden ist, [...] und eine Weile die frische, duftende Bergluft geatmetet hat, während sie kühl auf ihre gerötete Wange und ihren nur halbverhüllten Busen weht und ihr helles Haar hebt und kräuselt, das noch immer den Kuss der Sonne trägt. Dann, wenn sie sich angekleidet und nach Osten gebetet hat, geht sie hinaus, um Wasser aus der heiligen Quelle St. Mary's Well zu ziehen. Danach geht sie den ganzen Tag ihrer ehrlichen, heiligen Arbeit nach, mit einem leichten Herzen und einem reinem Gewissen.

Hier beschreibt Kilvert das Idealbild eines Mädchens, mit einem so morgentauklaren, reinen Herzen, dass es auch mitten aus einem Märchen kommen könnte. Aber solche Mädchen gab es damals noch, vor einhundertfünfzig Jahren im ländlichen England...

Vier Tage später berichtet er von einem älteren Mädchen, Miss Lyne, die er für ein Krocketspiel kennenlernte, die die Gegend aber sehr bald verlassen wird – und deren zarte Hand ihn zutiefst berührt.[11]

Ende Juli schildert er bei einem Ausflug nach Truro ein Schäkern mit den jungen Begleiterinnen:[62, 28.7.]

The young ladies remarked with severity upon H. and myself for not being sufficiently attentive to their pretty wants. How could we be so inattentive to such fascinating creatures? They suggested it was because we were taking such uncommonly good care of ourselves. Listen to the voice of the Charmers. Is not this a caution to snakes? Charmeth she wisely? […]
The youngest girl, Agatha, I think, planted herself before me and demanded impetuously and imperiously in a loud voice, 'What do you want?' 'A kiss', said I mischievously, whereat she flung off in high disdain without a word. But being of a forgiving nature she presently returned and brought me some food.

Agatha war ein vierzehnjähriges Mädchen...[12]

Nebenbei berichtet Kilvert auch von den Nachrichten aus Europa: dem Deutsch-Französischen Krieg, wobei er eindeutig auf Seiten der Deutschen ist, der Gefangennahme Napoleons III. und der Ausrufung der Dritten Republik.[13] Wichtiger ist ihm jedoch ein wunderschöner Septembertag mit zuletzt einer idyllischen Abendstimmung kurz nach Sonnenuntergang:[77, 20.9.]

All the country round was full of evening sounds, children's voices, dogs barking, the clangour of geese. Meanwhile the sheep fed quietly round me. Then came the afterglow round the S. and E. Scarlet feathers floated in the sky, and the gorse deepened into a richer redder gold in the sunset light.

Am 20. November notiert er, dass er wohl nie heiraten werde:[20.11.]

Ich ging mit Frau Venables zurück zum Pfarrhaus zum Tee, und wir hatten ein langes, vertrauliches Gespräch [...] bis lange nach Einbrechen des Abends, saßen am Kaminfeuer und sprachen über den heute herrschenden Skeptizismus. Ich sagte ihr, wenn ich Kinder hätte, würde ich ihnen beibringen, all den guten, alten Geschichten der Bibel zu glauben. Sie sagte, sie hoffe, mich eines Tages umgeben von einer Reihe von Kindern, meinen eigenen Kindern, zu sehen. Niemals, sagte ich und fügte hinzu, ich glaubte nicht, jemals zu heiraten. Dann kam nach und nach meine Zuneigung gegenüber C. heraus. Sie war sehr überrascht, als sie den richtigen Namen erraten hatte, nachdem sie es mit Mary Bevan, Fanny Higginson, Flora Ross und Lily Thomas versucht hatte. ,Sie wird niemals heiraten’, sagte sie ernst. ,Ich weiß’, sagte ich.

Im April 1871 verpasst er den Abschied einer lieben Familie, weil er sich in der Abfahrt ihres Zuges um eine Viertelstunde geirrt hat:[118, 15.4.]

Vor zehn Tagen wusste ich kaum von ihrer Existenz [...]. Und nun! Mrs. V. sagte, sie hatten eine freundliche Nachricht für mich hinterlassen. Sie waren alle enttäuscht, als ich nicht rechtzeitig kam. Ich ärgere mich so. Ich hätte so gerne noch einmal ihre schönen Gesichter gesehen. Besonders Kathleens. Wie gut erinnere ich mich, wie sie in der Osternacht am Kopf des Grabes stand und die Primeln für das Primelkreuz zu Bündeln band. Ihr kleiner Fuß lugte unter ihrem Kleid hervor. Ich dachte, das ist der schönste Fuß, den ich je gesehen habe. Dann die Kirche am Karfreitag (genau wie Petrarca Laura zuerst ,in der Kathedrale am Karfreitag’ sah, als ,die weltbekannte Flamme entzündet wurde’). [...] Ich dachte, ich würde für niemanden wieder Zuneigung empfinden. Ich frage mich, ob es irgendein Mittel gibt, sein Herz zu verhärten und es weniger empfänglich zu machen.

Das ist das Phänomen – dass das parthenophile Herz besonders empfänglich ist, weil es so sehr die Zartheit liebt, eben das Mädchen. Kilvert wird jedoch noch am selben Tag durch ein zart erotisches Erlebnis getröstet:[118f]

Ich ging traurig in mein Zimmer zurück [...] und fuhr betrübt mit meiner Predigt für morgen fort, empfindend, als sei alles öde und leer und als sei etwas an Licht und Interesse plötzlich aus dem Leben verschwunden. [...] Ich ging zum Lesen zu Sackville Thomas. Da es Badeabend war, zog sich Polly vor mir mit großer Schnelligkeit und Zufriedenheit bis auf die Unterhose aus und war sehr bestrebt, auch die Unterhose für mich (for my benefit) auszuziehen, aber ihre Großmutter erlaubte es ihr nicht. Wie dem auch sei, die fragliche Unterhose war so unzulänglich gefertigt, dass es einen außerordentlich geringen Unterschied machte, ob sie ausgezogen war oder nicht, und es bot sich eine äußerst interessante Ansicht von hinten. Dann wusch ihre Großmutter ihr den Kopf mit weicher Seife und heißem Wasser in einer Wanne, und die Kleine kniete sich in ihrem Höschen auf den kalten Steinfußboden, mit dem Kopf in der Wanne, ganz in der Nähe der zur Straße hin offenen Tür.

Wer dies als ,Voyeurismus’ verkennt, hat nichts verstanden. Die ganze Szene lässt empfinden, wie sehr Kilvert in seiner Seele berührt und gerührt ist. Es ist eine zarte, verehrungswürdige Schönheit, die geradezu wehtut. Das leise Erotische wird nicht anders als heilig empfunden – es ist die heilige Verletzlichkeit des ganz unschuldigen Leibes, und dies wird empfunden.[14] Ebenso tief empfindet er auch anderes, was Anderen vielleicht nicht einmal auffallen würde oder was sie nur sentimental oder selbstbezogen aufnehmen oder gar nur ,registrieren’ würden:[124, 12.6.]

I was very much struck and taken with the waitress at the Golden Lion. She said her name was Jane Williams and that her home was at Bettws y Coed. She was a beautiful girl with blue eyes, eyes singularly lovely, the sweetest saddest most weary and most patient eyes I ever saw. It seemed as if she had a great sorrow in her heart.

Ihm sind diese Augen und die zu ihnen gehörende Seele ein tiefstes Erlebnis. Er hat das Bedürfnis, den Namen des Mädchens zu erfragen und wo es lebt... Es ist das Bedürfnis des Herzens, sich mit einer solchen Seele irgendwie zu verbinden, nicht daran vorüberzugehen. Eigentlich lebt darin das tiefe Ideal des Urchristentums – ein zutiefst brüderliches Leben miteinander, in dem ,einer des anderen Last trägt’...[15]

Früher waren die Menschen noch mit allem viel tiefer verbunden, wovon sehr alte Menschen noch zeugen: ,Old Pugh says the fairies used to dance near the top of the mountain and he knows people who have seen them.’[128, 13.6.]

Ende Juli notiert er, dass Gipsy Lizzie wieder in der Schule war:[138, 28.7.]

Wieder stehe ich unter dem Einfluss der außergewöhnlichen Schönheit dieses Kindes. Wenn sie liest und ihre Augen auf ihr Buch gerichtet sind, ist ihre Lieblichkeit unbeschreiblich.

Wieder ist dies ein ,sinnlich-sittliches’ Erlebnis, wie Goethe sagen würde – denn Kilvert sieht zugleich die ganze Hingabe des Mädchens, also ihre ebenso große innere Schönheit.

Nach einem Sommerurlaub offenbart folgender Eintrag die große Liebe Kilverts auch zu ganz jungen Mädchen:[138, 23.8.]

,Es begann mit einem Mädchen und es wird mit einem Mädchen enden.’[16]
Am Abend [...] ging ich, während die Sonne noch warm und hell war, über die goldene Allmende und Wiese zu den Drei Tannen, um Hannah Britton zu besuchen. Ich war noch nicht lange im Hause, als Hannahs wunderschönes siebenjähriges Kind Carrie sich nach und nach zu mir stahl und sich in meine Arme schmiegte. Dann legte sie ihre [...] weiche runde Wange liebevoll an die meine, und es stahl sich zuerst ihr einer Arm und dann der andere um meinen Hals. [...] sie drückte ihr Gesicht immer näher an meines und küsste mich wieder und wieder. Dann kam die alte, alte Geschichte, das süße Geständnis, das so alt ist wie die Herzen der Menschen: ,Ich liebe dich so. Liebst du mich?’ ,Ja’, sagte das Kind, sich liebevoll und mit neuen Liebkosungen und Zärtlichkeiten noch mehr anschmiegend. ,Du kleines Bündel’, sagte ihre Mutter lachend und sehr amüsiert. ,Ich wünschte, ich könnte dich mitnehmen.’ ,Sie würden ihrer bald müde werden’, sagte ihre Mutter. ,Nein’, sagte das Kind mit dem vollkommenen Vertrauen und der Zuversicht der Liebe, ,er sagt, er würde es nicht.’ Eine Stunde flog wie ein paar Sekunden dahin. Ich war im Himmel. Ein Untermieter kam herein und setzte sich, aber ich war für alles außer der Liebe, Umarmung, den süßen Küssen und Liebkosungen des Kindes verloren. Es schien, als könnten wir uns nicht trennen, so sehr liebten wir uns. Endlich brach die Dämmerung herein, und mit einer langen, liebevollen Umarmung und einem Kuss stand ich widerstrebend auf, um zu gehen. Es war schwer, das Kind zu verlassen. Als ich ging, brachte sie mir die beste Blume, die sie im Garten finden konnte. Ich bin erschöpft vor Emotion.

In diesem Erlebnis liegt eine zarteste, allertiefste Erotik, aber keinerlei Sexualität. Dies wiederum ist ein Grundgeheimnis der wirklichen Pädophilie, die aber nicht Gegenstand dieses Buches ist.[17]

Dann aber hat er – noch immer 1871 – seine schicksalshafte Begegnung mit der gerade erwachsenen Daisy,[18] die auch Fanny heißt:[142, 8.9.]

Vielleicht ist dies ein denkwürdiger Tag in meinem Leben. […]
Einige spielten Krocket. [...] Ich spielte abwechselnd mit Daisy und Miss Estcourt [...]. Daisy war sehr nett und charmant, gerade für immer von der Schule nach Hause gekommen, wie sie sagte. Beim Abendessen saß ich neben ihr am Ende des Beistelltisches am Fenster, und wir waren sehr fröhlich. Ihr Vater wollte, dass ich woanders sitze, aber sie überstimmte ihn, rettete meinen Platz und behielt mich bei ihr. [...] | Heute habe ich mich in Fanny Thomas verliebt.

Er hatte ihr von einem kranken Mädchen erzählt, und als sie hörte, wie sehr dieses Früchte mag, ließ sie gleich zwei Bündel Weintrauben bringen, was Kilvert sehr berührt. Er kann sie nicht mehr vergessen – zwei Tage später hält er fest: ,I have been in a fever all day about Daisy, restless and miserable.’[142, 10.9.] Er möchte sie heiraten und ringt weitere Tage mit seiner tiefen Liebe zu diesem Mädchen.
Am 13. September sucht er dann das Gespräch mit ihrem Vater, dem er schließlich voller Aufregung gesteht: ,I-am-attached-to-one-of-your-daugthers.’[142] Der Vater fragt ihn nach seinen finanziellen Aussichten (prospects) und verneint dann; auch dürfe er nicht den Frieden des Mädchens stören. Als er erfährt, dass es Daisy ist, äußert er großes Verständnis und dass auch sie ihn sehr mögen würde, bleibt aber bei seinem Entschluss. Kilvert ist innerlich zerrissen und hat die Zuversicht, dass eines Tages dennoch alles gut werden wird, wie bei seinen eigenen Eltern.[143] Tatsächlich verspricht der Vikar Venables, den Bischof für einen Lebensunterhalt für Kilvert zu bitten.[145, 18.9.]

Noch am selben Tag begegnet er Daisy wieder, und sein ganzes Inneres ist nun eine schmerzlich-süße, existenzielle Sehnsucht nach einem gemeinsamen Leben mit diesem einen Mädchen:[145f, 18.9.]

I love her more and more each time I see her. I think she loves me a little. I hope so. God grant it. [...] I fancy I can see it in her clear loving deep grey eyes, so true and fearless and honest, those beautiful Welsh eyes that seem to like to meet mine. I think she likes to be with me and talk with me, or why did she come back to me again and again and stand by me and talk to no one else? [...]
My own dear girl. My own precious love. [...] What should I do if anyone else were to come and take her from me? I believe this is one of the matches that are made in Heaven. All is hers now. It is all for her, life, talents, prospects, all. All for her sake, valuable only that they may be laid at her feet, with fond pride. I look at everything now only in relation to her.

Zwei Tage später trifft er Daisy bei einer Krocket-Party außerhalb ihres Zuhauses, sie ist stiller und reservierter.[146, 20.9.]
Und dann der Schock – ein Brief ihres Vaters bittet ihn, alle Gedanken an sie aufzugeben: ,Die Sonne schien vom Himmel verschwunden zu sein.’[147, 23.9.] In einem Antwortbrief schreibt Kilvert, er werde die Hoffnung nicht aufgeben, denn dann wäre er seiner Tochter erst recht unwürdig.
Doch die nächsten Tagebucheinträge folgen, ohne dass etwas geschieht – grausam verstreichen die Wochen...

Dann, Anfang November:[153, 6.11.]

Dank an Gott für so einen glücklichen Tag. Ich habe meine Liebe, mein Eigen gesehen, ich habe Daisy gesehen. Sie war so lieblich und süß und freundlich, und die alte, wunderschöne Liebe ist so frisch und stark wie je. Nie sah ich sie glücklicher und liebevoller, und ihre reizenden walisischen Augen strahlten, wann immer sie meinen begegneten. Sie sah schöner aus als jemals, und der Ostwind erfrischte ihre schöne Farbe, und ihr liebliches Haar leuchtete wie Gold. [...]
Ich frage mich, ob Daisy und ich diese Seiten jemals zusammen lesen werden. Ich denke, wir werden es.

Es ist sehr deutlich, wie auch das Mädchen eine tiefe Zuneigung zu dem einunddreißigjährigen Mann empfindet...

Doch erbarmungslos geht die Zeit weiter – und die Liebe resigniert langsam. Ende Januar 1872 schreibt Kilvert: ,I have not seen Daisy since November. It seems a long, long time, and I do so yearn after her at times.’[161, 25.1.] Am 13. Februar kann er vor einem Konzert kurz einige Worte mit ihr wechseln.[19] Einen Monat später spürt man dann, wie er innerlich Abschied nimmt.[20] Doch am Freitag nach Ostern begegnet er ihr auf einem Tanzabend noch einmal und hat einen Tanz mit ihr:[171f, 5.4.]

,Erinnern Sie sich, wie Sie mir einmal im letzten September ein paar Blumen aus Ihrem Garten gegeben haben?’ ,Ja’, sagte sie wunderschön errötend und zu Boden blickend. ,Ich habe diese Blumen noch’, sagte ich. ,Ich habe sie seitdem sorgfältig bewahrt und schätze sie mehr, als ich Ihnen sagen kann.’ ,Ich bin sicher’, erwiderte sie, ,sie können es nicht mehr wert sein. Sie müssen vor langer Zeit verwelkt sein.’ ,Nein’, sagte ich. ,Ich habe sie lange in Wasser aufbewahrt und dann getrocknet, und sie sind süßer als je, besonders die Reseden. Ich werde sie bewahren, bis Sie mir mehr geben.’ Sie errötete und lächelte [...]. [...] Sie war so schön und süß und lieb, und sie nahm so höflich Rücksicht auf meine Ungeschicklichkeit und meine Fehler beim Tanzen, und ich liebte sie so sehr.

Am nächsten Tag bekennt er in seinem Tagebuch, dass alle Gefühle wieder so lebendig wie je sind: ,Die alten Wunden sind alle offen und bluten wieder, und ich kann in meinem Elend nirgends Ruhe finden.’[172, 6.4.]

Doch wieder geht die Zeit weiter – und inzwischen ist auch klar, dass Kilvert Clyro verlassen wird. Die Nachricht verbreitet sich im Ort, und es zeigt sich, wie sehr die Menschen seinen Weggang bedauern.[177, 4.6.][21]

In einem Zug nach Liverpool begegnet er zwei ausgelassenen, fröhlichen Schwestern, von denen die jüngere sein Herz gewinnt – und hier zeigt sich noch einmal das ganze Mysterium der Parthenophilie, die Kilvert hier geradezu hilflos schildert:[180f, 19.6.]

,Du hast eine schöne Stimme.’ ,Nicht wahr?’ unterbrach das ältere Mädchen eifrig und erfreut. ,Wo hast du gelernt zu singen?’ Sie lächelte und errötete und verbarg ihr Gesicht. Ein Schaffner und einige andere Leute sahen sich verwundert an, und so hielt ich es für am besten, das Gespräch zu beenden. Aber es war eine Anziehungskraft mit diesem armen irischen Mädchen verbunden, die mich seltsam faszinierte. Ich fühlte mich unwiderstehlich zu ihr hingezogen. Die einzigartige Schönheit ihrer Augen, eine Schönheit tiefer Traurigkeit, ein wehmütiger, betrübter, flehender Blick, ihr schneller, reicher Humor, ihr plötzlicher Ernst und ihre Traurigkeit, ihr strahlendes Lachen, eine gewisse Intensität und Kraft und Fülle des Lebens und die außerordentliche Süße, Weichheit und Schönheit ihrer Stimme beim Singen und Reden gaben ihr eine Macht über mich, die ich weder verstehen noch beschreiben konnte [...]. Sie verweilte [beim Aussteigen, H.N.] an der Wagentür. Ihr Blick wurde noch wehmütiger, schöner und flehentlicher. Unsere Augen trafen sich wieder und wieder. Ihre Augen wurden immer schöner. Meine Augen waren fest und unbeweglich auf die ihren gerichtet. Noch ein paar Minuten mehr und ich weiß nicht, was hätte geschehen können. Ein wildes, rücksichtsloses Gefühl überkam mich. Soll ich alles verlassen und ihr folgen? Nein – Ja – Nein. In diesem Moment fuhr der Zug weiter. Sie wurde zurückgelassen. Auf Wiedersehen, süße irische Mary. So trennten wir uns. Werden wir uns wiedersehen? Ja – Nein – Ja.

Kilvert fügt zu der ihm unverständlichen Macht hinzu: ,aber [es war] die Macht eines stärkeren über einen schwächeren Willen und eine schwächere Natur’. Es ist deutlich, dass man eine ,Macht’ immer als stärker empfindet. Das liegt auch in Worten wie ,der Schönheit eines Mädchens verfallen’. Es liegt darin aber eine unendliche Hingabe. Der Wille des Mannes ist nicht schwächer, er gibt sich dem Mädchen nur hin, er will in dem Moment nichts anderes – unendlich stark – als eine Verbindung zu und mit diesem Mädchen... Dieses hat sein Herz erobert, und scheinbar ,willenlos’ gibt dieses Herz sich der sanften Eroberin hin.

Am 2. September 1872 verlässt Kilvert Clyro,[196] drei Monate vor seinem dreiunddreißigsten Geburtstag.

Noch einmal begegnet er Daisy im März 1874 – und sie scheint ihn sehr lange vermisst zu haben...[22] Wenige Tage später sieht er in Clyro ein anderes Mädchen wieder, das er offenbar auch sehr geliebt hat – Florence Hill:[237, 23.3.]

Die Narzissen nickten in hellgelben Klumpen in den kleinen Gartengrundstücken vor den Armenhäusern. Und dort überfiel mich eine große Ekstase des Glücks. Es war Abend, als ich sie traf [...]. Ich ging an den Almosenhäusern vorbei, als ein großes, schlankes, hübsches Mädchen mit einer anmutigen Gestalt und langem, fließendem blondem Haar die Treppe herunterkam. Ihr reizendes Gesicht hatte eine zarte Blässe [...] und ihre Augen waren von sanftem, dunklem, zartem Blau. Sie sah mich aufrichtig, sehnsüchtig und liebevoll an und sagte ein paar nette, höfliche Worte. Florence, Florence Hill, süße Florence Hill, bist du es? Noch einmal. Dank sei Gott. [...] Als sie so stand und diese blauen Augen, diese sanften dunklen liebevollen Augen schüchtern zu den meinen aufhob, schien es mir, als öffneten sich plötzlich die Türen und Fenster des Himmels. Es war einer der höchsten Momente des Lebens. Als ich am Straßenrand stand und ihre Hand hielt, für alles verloren und nur ihrer Gegenwart bewusst, war ich bereits im Himmel, oder wenn noch auf Erden im Leib, befand sich eine goldene Treppe zu meinen Füßen und einer der Engel war zu mir heruntergekommen. Florence, Florence Hill, mein Liebling, mein Liebling. Es war nahezu alles, was ich in meiner Emotion sagen konnte. Mit einem langen, liebevollen Blick und einem letzten Händedruck trennten wir uns, und ich sah sie nicht mehr.

Und als er dann tatsächlich noch einmal zum Essen bei Daisys Familie ist, zeigt sich ihre ganze Liebe:[26.3., 238]

Meine arme, arme Daisy. Als wir uns verabschiedeten, traten die Tränen in ihre Augen. Sie wandte ihr Gesicht ab. Ich sah die Qual ihrer Seele. Was hätte ich tun können?

Noch im Juli schreibt er auf einmal, dass er ständig an Daisy denke und immer wieder ihr Bild und ihre Stimme von drei liebevollen Momenten vor Augen habe.[252, 3.7.][23]

Im August verliebt er sich dann noch einmal auf den ersten Blick in seine Tagesbegleiterin bei einer Hochzeit, die dreiundzwanzigjährige Kathleen Mavourneen.[24] An ihr liebt er auch das reine, aufrichtige, sanfte Wesen, das so sehr das Wesen der Mädchen ist: ,How sweet she was, how simple, kind, unaffected and self-unconscious, how thoughtful for everyone but herself’.[255, 11.8.] Und er erfährt das heilige Mysterium der Liebe: ,Seit ich Kathleen liebe, scheint alles hell und schön zu sein, und ich fühle, ich kann Gott und die Menschen besser lieben, als ich es je zuvor konnte.’[257, 12.8.] Und mehr noch, nach einer weiteren Begegnung und einem offenbar schönen Briefwechsel:[263, 17.10.]

Ihre süßen, reinen Gedanken kamen zu einer Zeit zu mir, als ich sie dringend brauchte, und sie haben mir viel Gutes getan. Aber sie zeigen mir nur noch deutlicher, was ich oft zuvor gefühlt habe: wieviel edler und heiliger ihre Gedanken sind als meine und wieviel höher sie den Hügel hinaufgestiegen ist als ich. Doch ich versuche zu folgen, und ich danke Gott, dass ich sie überhaupt kennengelernt und (ich hoffe, ich darf sagen) ihre Freundschaft gewonnen habe. Sie war tatsächlich, unbewusst, ein guter und schützender Engel für mich. Süße Kathleen Mavourneen, Gott segne dich.[25]< p/>

Der Mann liebt im Mädchen das, was es viel mehr hat als er, das Wunder innerer Schönheit... Aber auch sie will ihm offenbar schreiben, was ihr jedoch verboten wird. Bei einem Besuch bei seiner Cousine Adelaide in Bristol ermutigt diese ihn:[271, 10.12.]

She said, ‘Katie likes you very much’. Katie, dear Katie, wanted very much to write to me and could not understand why she should not.

Der Mann liebt die innere Schönheit, die, wie er empfindet, die seine weit übersteigt. Aber dasselbe gilt für die äußere Schönheit, die Kilvert wie urbildlich bei einer Wanderung an der Küste der Ile of Wight im Juli 1875 erlebt:[290, 13.7.]

One beautiful girl stood entirely naked on the sand, and there as she half sat, half reclined sideways, leaning upon her elbow, with her knees bent and her legs and feet partly drawn back and up, she was a model for a sculptor, there was the supple slender waist, the gentle dawn and tender swell of the bosom and the budding breasts, the graceful rounding of the delicately beautiful limbs and above all the soft and exquisite curves of the rosy dimpled bottom and broad white thigh. Her dark hair fell in thick masses on her white shoulders as she threw her head back and looked out to sea. She seemed a Venus Anadyomene fresh risen from the waves.

Am 6. September begegnet er dem Mädchen Etty – und verliebt sich von neuem.[296] Wieder beruht dies auf Gegenseitigkeit, und es beginnt ein Briefwechsel, der wegen einer Lücke im Tagebuch nicht nachvollzogen werden kann.[26] Am 20. April 1876 erhält er jedoch einen letzten lieben Brief von Etty und ein Begleitschreiben ihrer Schwägerin (der Frau von Ettys Bruder Meredith), die ihm mitteilt, er dürfe Etty nicht mehr schreiben:[303f, 20.4.]

This morning I received a long sad sweet loving letter from my darling Ettie, a tender beautiful letter of farewell, the last she will ever be able to write to me. With it came enclosed a kind friendly little note from young Mrs. Meredith Brown, so friendly and so kind, saying she is afraid Ettie and I must hold no further communication by letter or poetry or any other way. I know it. I know it. She is right and I have been, alas, very very wrong. She says she knows I care for Ettie too much to wish to cause her needless unhappiness. It is true. She does me justice and yet no more than justice. I will not make my darling sorrowful or cause her to shed one unnecessary tear, or tempt her to do wrong. The best and only way left me of showing my love for her now is to be silent. But oh, I hope she will not quite forget me. She says she never will. Yet perhaps it is selfish of me to wish this, and it may be better for her that she should. I hope, I hope, I have not done her any harm or wrong. She says, God bless her, that I never have.

Was bedeutet dies? Ganz offensichtlich, dass die Liebe Kilverts zu den Mädchen so sehr erwidert wird, dass die Umgebung der Mädchen zu dem Urteil kommt, er mache sie unglücklich – und Kilvert übernimmt dieses Urteil. Jedenfalls will er nichts tun, was die Mädchen unglücklich macht, denn er liebt sie so unsäglich... Doch im Grunde ist es nicht zu verstehen – wie kann allertiefste gegenseitige Zuneigung je unglücklich machen oder ein Schaden sein? Das Gegenteil ist der Fall. Verbote und Schritte, die eine so innige Beziehung beenden, sind das Unglück der Seele, das diese letztendlich matt und unglücklich macht.

Am 28. April begegnet er Florence wieder – und ist überwältigt von ihrer lieblichen Schönheit und ihrer schüchternen, etwas atemlosen Art.[307]

Im Juni erhält er die Stelle als Vikar der kleinen Gemeinde St. Harmon in Radnorshire angeboten und nimmt an.[318, 11.6.] Von der Gegend um ,Happy Valley’ schreibt er: ,To me this was all enchanted ground for Ettie's dear sake’, und er erinnert sich an ihr ,pair of dark eyes that once were all the world to me’.[319, 19.6.][27]

An dieser Stelle verlassen wir auch Kilvert. Dieser mit Anfang bis Mitte dreißig noch junge Pfarrer war eine der tief parthenophilen Seelen – und das Zeugnis seiner Empfindungen blieb uns erhalten. Die Wahrheit aber ist, dass die Mädchen auch ihn geliebt haben. Und aus gutem Grund – denn dieser Mann hatte eine tief empfindsame Seele. Es ist kein Wunder, dass sich viele Mädchen bei ihm so wohl fühlten...
 

Fußnoten


[1] Vergleiche etwa: ,Kilvert's lyrical nature writing was recognised for its Wordsworthian sensibility.’ Mark Bostridge: Life of the wing. The Guardian, 19.1.2018.

[2] Wikipedia englisch: Francis Kilvert. Auch für den folgenden Absatz.

[3] William Plomer (Ed.): Selections from the Diary of the Rev. Francis Kilvert. Vol. I: 1870-1871. London 1938. Vol. II: 1871-1874. London 1939. Vol. III: 1874-1879. London 1940. In einem Band dann London 1944.

[4]● Kilvert’s Diary. 1870-1879. Selections from the Diary of the Rev. Francis Kilvert, ed. William Plomer. London 1964 (Neuauflage). Archive.org. Im Folgenden Seiten- und Datumsangaben in hochgestellten eckigen Klammern, übersetzt H.N. • Weitere Ausgaben erschienen 1977 und 1984 bei Penguin Books.

[5] Zu den Lebensdaten siehe www.wikitree.com.

[6] Dasselbe Buch schenkt er noch einem Mädchen als Belohnung für die Zeit in der Sonntagsschule: ,Pussy had a new brass comb in her clustering light curly hair and her blue bright eyes looked up very archly. The Dingle Flower of fair Llandovery goes back to her home among the sweet Carmarthenshire hills tomorrow. I took her Alone in London as a Sunday School prize and wrote her name in it. Her delight was unbounded and she evidendy felt much more than she said, for she was very shy and the English did not come readily.’[13f, 4.3.]

[7] Lat. genius loci = Genius/Geist des Ortes.

[8],[...] halfen, die armen kleinen Tiere zu fangen und zu halten, und während der ganzen Operation dabeistanden und das Spektakel zu genießen schienen. Es war das erste Mal, dass ich Töchter eines Geistlichen bei der Kastration von Lämmern helfen oder das Ganze mitbekommen sah, und ich empfand zuerst eine Art Abscheu. Aber ich [...] bedachte bei mir, unter welch rauen Umständen die armen Kinder erzogen worden waren, so dass sie es nicht als Schaden betrachteten, und ich vergab ihnen.’[36, 6.5.]

[9] Das neue Christusverständnis Rudolf Steiners und der Anthroposophie weist darauf hin, dass der Auferstandene sich zu Himmelfahrt mit der ganzen Erde vereint. Man kann empfinden, wie die Natur darüber jubelt. Vergleiche zum Beispiel auch Eichendorfss ,Mondnacht’: ,Es war, als hätt der Himmel / Die Erde still geküßt, / Daß sie im Blütenschimmer / Von ihm nun träumen müßt.’

[10] Da er hier graue Augen und später ,bright hair’ und eine ganztägige Arbeit nennt, scheint es sich wohl um ein anderes Mädchen zu handeln.

[11],She came forward and held out her hand so pleasantly, the beautiful little hand just what a lady’s hand ought to be [...]. [...] Shall I confess how I longed to kiss that beautiful white little hand, even at the imminent risk that it would instantly administer a stinging slap on the face of its admirer.’[54f, 15.7.]

[12] Barry Smith: „The Truro Hockins“. The Kilvert Society, Newsletter August 1985, p. 8. www.thekilvertsociety.org.uk.

[13] Einträge vom 16.7., 3.9. und 6.9. • Am 20.3.1871 schreibt er im Zuge der Pariser Kommune verächtlich vom ,Pariser Mob'.

[14] Die Menschen, die dies verurteilen, haben weder das Begreifen dessen, was hier wirklich erlebt wird, noch die Fähigkeit noch den Mut dazu. Ihre Empfindung ist schon zu sehr verhärtet und erstarrt. Sie scheinen ,politisch korrekt’, in Wirklichkeit sind sie gar nicht zartfühlend genug. So aber entsteht Verurteilung, entsteht Hass, entstehen Kriege... Das ganz andere Erleben Kilverts zeigt sich drei Einträge später auch an der Natur: ,Die Bäume sind in ihrer vorzüglichsten und vollkommenen Lieblichkeit. Es gibt normalerweise einen Tag im Frühling, wo die Schönheit von allem kulminiert und einen besonders berührt (strikes), sich der Aufmerksamkeit geradezu aufdrängt, und man hat eine Ahnung, dass man eine solche Lieblichkeit niemals wieder sehen wird, zumindest für ein weiteres Jahr.’[119, 7.5.] • Man kann hier unmittelbar an Goethe denken, der 1799 im Kommentar zu Diderots ,Essais sur la peinture’ schreibt: ,Nur äußerst kurze Zeit kann der menschliche Körper schön genannt werden [...]. Der Augenblick der Pubertät ist für beide Geschlechter der Augenblick, in welchem die Gestalt der höchsten Schönheit fähig ist; aber man darf wohl sagen: es ist nur ein Augenblick!’ Diderots Versuch über die Malerei, Erstes Kapitel. Projekt Gutenberg.

[15] Allerdings erreicht dies dann doch wiederum nicht den tiefen Willen. So hält er nur die verborgene Schönheit dreier Bettlermädchen fest, ohne etwas zu tun: ,There came begging through the village today three girls tall dressed in ragged black with naked legs and feet. The eldest was a straight girl with a profusion of curling chestnut hair. The second girl was slighter. Her tattered black frock hardly covered her knees, her delicate beautiful slender limbs were bare and whiter by contrast with her black dress, and her pretty white feet small and shapely were bruised and worn with travel.’[134, 12.7.] • Ebenso schildert er, wie nach dem Tod einer Mutter die Nachbarn hören, wie ein Vater seine drei Mädchen immer wieder auszieht und auspeitscht.[132, 29.6.] Er hat Mitleid, macht aber offenbar keinen Versuch, etwas zu ändern.

[16],It came with a lass, and it will pass with a lass.’ • Dies soll James V., König von Schottland, vor seinem Tod 1542 gesagt haben. Auf seinem Sterbebett erfuhr er von der Geburt einer Tochter, die die einzige lebende legitime Erbin war. Der Beginn war ein Hinweis auf Marjorie Bruce, die 1316 nach der Geburt gestorbene Mutter von Robert Stewart, mit dem 1371 die Stewart-Dynastie begann. Wikpedia: Maria Stuart. • Auch der mittelalterliche Ursprungsmythos der schottischen Nation weist auf eine sagenhafte Prinzessin Scota. Wikipedia: Scota.

[17] Die alles umschließende Wahrheit jedoch ist die, dass die Liebe immer heilig ist, egal auf wen sie sich erstreckt. Durch diese Liebe wird auch die Erotik und auch die Sexualität geheiligt – was diejenigen nicht wahrhaben wollen, die die Liebe zu einem Kind oder einem jungen Mädchen verurteilen. Ihnen fehlt diese Liebe dann ganz einfach. Entscheidend ist, dass die Liebe nie etwas tut, was das geliebte Wesen nicht will. Und dies ist wirklich das einzige Kriterium der Liebe, ihm aber folgt sie bedingungslos...

[18] Im Gespräch mit dem Vater wird ihr Alter mit ,neunzehn’ erwähnt.[143] Im Internet findet sich jedoch: Frances Eleanor Jane Thomas (1853-1928). www.wikitree.com. Demnach wäre sie erst achtzehn.

[19] Danach regnet es, und ihr Bruder trägt die ganz in Weiß gekleidete Daisy den kurzen Weg zur Kutsche. ,Es war der schönste Anblick auf der Welt und erinnerte mich unwiderstehlich an Huldbrand, wie er Undine durch die Fluten trägt.’[164, 13.2.] • Wir werden Fouqués Undine-Roman im sechsten Band wiederbegegnen.

[20],Ich habe viel mit Daisy gesprochen. [...] Sie sagte, sie und ihre Schwestern hätten nach Vogelnestern gesucht. ,Ich hoffe, Sie haben keine genommen’, sagte ich. ,Denken Sie, das würden wir?’ antwortete sie empört mit einem hübschen Aufblitzen von Temperament. Sie erzählte mir, dass drei der sechs Glocken der Llanigan Church von Dissentern gestohlen wurden, die sie über den Berg getragen und in ihrer eigenen Kapelle angebracht haben. Sie war mit ihrem Vater und ihren Schwestern spazieren und sagte, es sei ,so ein Spaß’. Ruhe, glückliches Kind, zufrieden mit ein paar einfachen unschuldigen Freuden [...], arglos und unverdorben, Gott bewahre dich, Liebes.[165f, 11.3.]

[21] So auch die Kinder, die sich ein kostbares Geschenk vom Munde absparen:[191, 9.7.] ,the children deputed little Amy Evans the schoolmaster's daughter (of whom they know I am very fond) to present to me a little box in which I found a beautiful gold pencil case to hang at my watch chain. My own precious lambs. They had of their own will saved up their money to give me this costly and beautiful present. They would not go to the fair and spend the money upon themselves. It was all to be ‘for Mr. Kilvert’. I tried to speak to tell them what I felt, but my heart was full. | ‘Please not to forget us,’ said the children. Dear children, there is no danger. I did not want this to help to keep you in mind.’ • Auch die anderen Menschen sind so herzlich, und der Ort bedeutet ihm so viel, dass er bei einer seiner letzten Predigten in Tränen ausbricht.[195, 25.8.]

[22],When the train came in from Brecon a tall girl with a fresh colour dressed in deep mourning got out of the train and came towards me. It was Daisy, and her brother John was with her. There was a half sweet, half sad look, a little reproachful in the beautiful kind eyes as she said in a low voice, ‘I have been looking out for you such a long time’. Poor child, my poor child.’[236, 16.3.]

[23] Wie grausam die Väter damals waren, die ihren Töchtern verweigerten, ihrer Liebe zu folgen, zeigt sich daran, dass ,Daisy’ über ein halbes Jahrhundert später, 1928, unverheiratet starb. Welchen Sinn hatte dies alles...? Wikipedia englisch: Francis Kilvert.

[24] Ein Büchlein der Kilvert Society hat die Hintergründe dieses Mädchens enthüllt: Eva Farmery & R. B. Taylor: Kilvert’s ‘Kathleen Mavourneen’. Hay-on-Wye 1980. • Ihr eigentlicher Name war Katharine Mary Heanley. Siehe auch die nächste Fußnote. An dem genannten Tag heiratete die Tochter ,Addie’ von Kilverts Cousine Adelaide. Kilvert war Trauzeuge, und Kathleen war eine der Brautjungfern. Ebd., p. 11. • ,Mavourneen’ bedeutet eigentlich ,meine Geliebte’. Schon ein Liebeslied von 1837 trägt den Titel ,Kathleen Mavourneen’ und handelt von schmerzlichem Scheiden für viele Jahre. Wikipedia: Kathleen Mavourneen. Für den Text siehe www.bellsirishlyrics.com.

[25] Kathleen war bei jener Hochzeit die Cousine sowohl der Braut als auch des Bräutigams. Kilverts ältere Cousine Adelaide Mary (Tochter von Francis Kilvert, dem Bruder seines Vaters) hatte Mountague Cholmeley geheiratet. Ihre Tochter Marie ,Addie’ heiratete nun Charles Heanley. Kathleen wiederum war die Tochter von Mountagues Schwester Clara und Marshall jun. Heanley, des Bruders von Charles’ Vater. Ebd. • Kathleen machte später eine Ausbildung als Krankenschwester, als ihr Vater 1883 schwer erkrankte. Auch ihre Mutter hatte zuvor einen Schlaganfall erlitten und war gelähmt. In dieser Zeit übernahm des Vaters Nichte Charlotte Heanley die Pflege, doch der Vater starb 1884. Ebd., p. 27. • Diese Nichte veröffentlichte später das Buch ,The Toll of the Marshes’ (1929), die Heldin einer der vier darin enthaltenen Geschichten, ,Bytoft Grange’, ist Kathleen. Ebd., p. 33. • Ebenso verfasste Charlotte Heanley Aufzeichnungen über ihre Familie. Neben den Satz ,Katharine Mary, died 1891, buried at Croft’ notierte Charlottes Schwester Dr. K. Heanley am Rand: ,This is the Kathleen of the Rev. Kilvert’s diary. He was engaged to her, but she broke it off.’ Ebd., p. 37. Offenbar gab es also sogar eine Verlobung, die durch welche traurigen Umstände auch immer von Kathleen wieder gelöst wurde! • Nach allen hier angedeuteten Schicksalsschlägen wurde Kathleen Oberin des Boston Cottage Hospital. Sie starb aber mit vierzig Jahren fast ebenso jung wie Kilvert. Ebd., p. 37f. • Am 11.6.1876 wird Kilvert die Vikarstelle in St. Harmon angeboten. Sechs Tage später sieht er, als er sich zur Abreise mit seinen Eltern in Chippenham trifft, ,dear Katie Heanley’ zufällig noch einmal wieder, die mit demselben Zug ihre Tante Adelaide in Bristol besucht: ,I was so glad to see her again. She was so beautiful and grave and shy and tender and sweet.’ Drei Tage später verlebt er mit beiden noch einen glücklichen Tag in Bristol. Ebd., S. 35f.

[26] Andeutungen entscheidender Ereignisse finden sich im Eintrag vom 20.3.1876, wo es heißt: ,thinking of dear Ettie and May and the beloved feet which had so often come down that winding meadow path and trodden the steps of the porch where I was sitting. I thought of the last time I sat on those steps writing to dear Ettie on that happy evening the 6th of last October, of all the sweet strange sad story that has happened since.’[300] • Und am 14.5.1876: ,the 7th of last December, the day I parted from and saw the last of my darling Ettie.’[308]

[27] Damit endet das Tagebuch von 1876 fast. 1877 hat nur einen Eintrag vom Sylvestertag. Am 19.1.1878 schreibt er, er sei froh, zu hören, dass Etty im April den Bruder ihres Schwagers heiraten werde.[324] Später erfährt er, dass sie im Oktober in Indien heiraten werde.[337, 23.9.]