Parthenophilie

Christian von Boetticher (geb. 1970)


In Pinneberg aufgewachsen, studierte Boetticher in Kiel und Hamburg Jura und wurde 2002 als Rechtsanwalt zugelassen. Seit 1988 CDU-Mitglied, war er zunächst in einem Ortsvorstand tätig, wurde 1995 stellvertretender Kreisvorsitzender, 1998 Vize-Fraktionsvorsitzender und 1999 Abgeordneter im Europaparlament. 2003 wurde er dann Kreisvorsitzender, und im Zuge der Großen Koalition in Schleswig-Holstein 2005 Minister für Landwirtschaft und Umwelt. Nach deren Bruch übernahm er 2009 auch das Sozial- und Gesundheitsressort und wurde Vize-Ministerpräsident. Kurz darauf wählte ihn die CDU-Fraktion zum Vorsitzenden, 2010 wurde er auch neuer Landesvorsitzender und 2011 Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2012.[1]

Doch dann, nach diesem rasanten Aufstieg als Spitzenpolitiker Schleswig-Holsteins, stürzt Boetticher über das, was als ,Lolita-Affäre’ bekannt werden sollte. Was war geschehen?

Vier Journalisten des Hamburger Abendblatts haben die Vorgänge akribisch recherchiert,[2] wofür sie gut ein Jahr später mit dem Medienpreis des Bundestags ausgezeichnet wurden. In Wirklichkeit stürzte Boetticher nicht über seine kurzzeitige, damals bereits beendete Liebesbeziehung zu einem sechzehnjährigen Mädchen, sondern über deren Ausschlachtung durch seine innerparteilichen Gegner.
Im Juli 2011 breiteten sich entsprechende Gerüchte unter führenden Parteimitgliedern aus, aber noch am 10. August, kurz bevor die Wahlplakate in den Druck gehen sollen, wird in der Wahlkampfkommission nicht offen darüber gesprochen. Stattdessen kommen einen Tag später Gerüchte über eine Beziehung mit einem vierzehn- oder fünfzehnjährigen Mädchen in Umlauf. Am 13. August kündigt dann Landesgeschäftsführer Daniel Günther über Boettichers Kopf hinweg eine persönliche Erklärung Boettichers an.
Nun erst thematisieren auch die Medien öffentlich die ,Liebesbeziehung zu einer Jugendlichen’. Daraufhin gibt der bisherige ,Landesvater’ Carstensen Boetticher gleichsam zum Abschuss frei. Am nächsten Tag titeln die Zeitungen: ,Der Kandidat und das Mädchen’ und ,Liebesaffäre mit Schülerin’. Ein NDR-Team filmt, wie Parteimitglieder Boettichers Namen bereits überkleben. Auf der Parteisitzung wirft Boetticher seinen Kollegen vor, Details seines Privatlebens an die Medien gegeben zu haben. Doch alle lassen ihn nun fallen. Boetticher ist bereit, die Spitzenkandidatur aufzugeben, wenn er Landes- und Fraktionsvorsitz behalten kann. Am Ende der dreistündigen Sitzung verzichtet er auch auf den Landesvorsitz. In der öffentlichen Erklärung am Abend heißt es heuchlerisch offiziell, der Rücktritt diene dem Schutz von Boettichers Privatsphäre. Am nächsten Tag wird über seinen Kopf hinweg ,bekanntgegeben’, dass er auch als Fraktionschef zurücktrete – was er dann einige Stunden später gezwungenermaßen auch tut.[3]

Boetticher behielt bis 2012 noch sein Landtagsmandat, gehört weiterhin dem Landesvorstand des CDU-Wirtschaftsrates an, wurde Ende 2016 erneut Kreisvorsitzender, ist aber seit Herbst 2015 vor allem Geschäftsführer der für ihre Haferflocken bekannten Firma ,Kölln’ – die mit dem Privatleben Boettichers offenbar weniger Probleme hat als seine Politgefährten.[4]

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Und das Mädchen? Boetticher hatte sie im Herbst 2009 über Facebook kennengelernt, und über politische Themen wurde der Kontakt immer intensiver und privater, bis sich die beiden im März[5] 2010 in einem Hotel in Düsseldorf trafen und dort auch miteinander geschlafen haben. Einen Monat später besucht das Mädchen Boetticher über Ostern, die beiden schlendern offen durch Hamburg.[6] Im Mai aber sagt Boetticher dem Mädchen, er müsse sich auf seine politische Arbeit konzentrieren und sie solle warten, bis sie achtzehn sei, dann hätten sie keine Probleme mehr. Das aber wollte sie nicht – und bat ihn schließlich, sich nicht mehr bei ihr zu melden.[7]

In seiner öffentlichen Erklärung am 14. August 2011, nach der dreistündigen Dolchstoß-Sitzung seiner eigenen Parteispitze, sagte Boetticher sehr emotional, vom Blatt ablesend:[8]

Ja, es ist wahr: Ich hatte mich im Frühjahr 2010 in eine junge Frau verliebt und bin mit ihr mehrere Monate zusammen gewesen. Diese sehr ungewöhnliche Liebe ist auch von unserem Umfeld akzeptiert und unterstützt worden. Und [um es] deutlich zu sagen: Ich habe zu diesem Zeitpunkt keinerlei Beziehung zu einer anderen Frau gepflegt, sodass man nicht von einer Affäre sprechen kann. Es war schlichtweg Liebe. Eine solche Liebesbeziehung ist zwar rechtlich legal, trifft aber bei vielen Menschen auf verständliche moralische Vorbehalte. Objektiv hätte ein Bedrohungs- und Erpressungspotential gegenüber meiner Partei, mir und damit auch Personen, die ich liebe und schätze, entstehen können.

Nach dem Satz ,Es war schlichtweg Liebe’ musste Boetticher eine besonders emotionale, hilflose Pause machen. Demgegenüber wirkt dann der nächste Satz wie ein Tribut an das grausame Monster der öffentlichen bzw. veröffentlichten Meinung – aufgezwungen durch den Verrat seiner eigenen, nächsten Parteikollegen. Aus Gründen der ,Parteiraison’ (die unmittelbar zuvor mit gewetzten Messern durchgesetzt wurde) musste Boetticher zurücktreten.
Die Liebesbeziehung war vor Recht und Gesetz absolut erlaubt – aber das sich zerreißende öffentliche Maul, und sei es nur in vorauseilendem Gehorsam gefürchtet, ließ selbst das nicht zu. Boetticher musste öffentlich den Kotau machen, sich in den Staub werfen, sich öffentlich demütigen und so seiner Liebe ,abschwören’. Man fühlt sich unmittelbar an die Inquisition oder die stalinistisch-maoistische ,Selbstkritik’ erinnert. Der heilige Innenraum der Seele, das ,Forum internum’, gilt nichts, wenn etwas berührt ist, was die öffentliche Meinung wie seinerzeit das Hexenwesen verurteilt, und das ist: eine Beziehung eines älteren Mannes zu einer Minderjährigen.
Weil die Partei keine Stimmen verlieren wollte und weil er innerparteiliche Gegner hatte, musste Boetticher gehen – und natürlich selbst zurücktreten, sich seines ,Vergehens’ bezichtigend. Doch mit Würde und Wahrheit sagte er allen, die es hören konnten, wie es wirklich war: ,Es war schlichtweg Liebe.’

Dennoch hatte Boetticher die Beziehung nach kurzer Zeit ja bereits selbst verheimlichen wollen, als sich seine mögliche Kandidatur als neuer Ministerpräsident abzeichnete. Wie groß sind die Zwänge im Löwenkäfig Politik und öffentliche Meinung! Das Mädchen jedoch nahm Boetticher am ,Tag danach’ in Schutz:[9]

Ich kann bis heute nichts Schlechtes über Christian sagen.

Und selbst die politischen Gegner ließen eine geradezu bewundernswerte Diskretion und Neutralität walten. So sagte SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig: ,Mir steht es nicht zu, das Privatleben von Herrn Boetticher zu beurteilen.’ Und FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki teilte mit, was Boetticher in seinem Privatleben mache, gehe die FDP nichts an.[10]

Und auch einzelne Pressestimmen ließen es nicht an Deutlichkeit fehlen. So schrieb ein Journalist für den ,Deutschlandfunk’ über die CDU und ihre internen Drahtzieher:[11]

[...] ihre heuchlerische Haltung, die man auch Gnadenlosigkeit nennen könnte, entlarvt sie als ein Ensemble politischer Intriganten, die ihre Pfründe entgleiten sieht. Christliche Grundwerte jedenfalls sehen anders aus.

Weiteren Presseberichten war zu entnehmen, dass das Mädchen, Mitglied der Jungen Union, Boetticher während ihrer Diskussionen auf Facebook sehr reif vorkam und er sie auf Mitte zwanzig geschätzt habe.[12]
,Bild am Sonntag’ musste natürlich gleich eine Emnid-Umfrage zu dem Ereignis in Auftrag geben, nach der angeblich 62 Prozent der Bundesbürger den Rücktritt von allen Ämtern für richtig hielten. Erstaunlich dagegen ist die Antwort auf die Frage, ob die Liebesbeziehung Boettichers zu einer Minderjährigen moralisch verwerflich gewesen sei. Je 45 Prozent bejahten bzw. verneinten diese Frage.[13]
Was wäre wohl gewesen, wenn die erste Frage gelautet hätte: ,Sind Sie der Meinung, dass Boetticher unbedingt zurücktreten musste?’ Und was wäre, wenn die zweite Frage gelautet hätte: ,Haben ein vierzigjähriger Mann und ein sechzehnjähriges Mädchen Ihrer Meinung nach das Recht auf eine beiderseitige Liebesbeziehung, oder halten Sie eine solche Beziehung für moralisch verwerflich? Wenn ja, warum?’
Schockierend ist, dass gerade die jüngeren Befragten die Liebesbeziehung für ,verwerflich’ hielten (58:35 Prozent), während die älteren es nicht taten (27:54 Prozent).

Angeblich habe das aus Grevenbroich stammende Mädchen, nachdem es sich im Sommer 2010 vergeblich wieder an Boetticher gewandt habe, einem Bekannten der Jungen Union in Plön kompromittierende E-Mails anvertraut.[14] Laut Angaben von ,Focus’ geschah dies Anfang 2011 und streng vertraulich nur zur Aufbewahrung. Dennoch hatte dann Landesgeschäftsführer Günther bereits im Februar entsprechende ,vage Gerüchte’ von einem befreundeten JU-Mitglied erfahren, dessen Namen er nicht preisgeben wollte.[15]

Wenige Tage nach seinem dreifachen Rücktritt findet Boetticher gegenüber dem ,Focus’ offene Worte: ,Für mich war das eine öffentliche Hinrichtung auf Basis moralischer Wertungen.’ Und angesichts der danach einsetzenden Medienjagd auf seine Person fühle er sich ,wie ein Krimineller, der die Bank von England ausgeraubt hat’.[16]

Überlassen wir die letzten Worte dem Mädchen. Dem ,Express’ sagte die ,blonde bildhübsche Schülerin’ am ,Tag danach’:[17]

Ich glaube, Christian wurde massiv unter Druck gesetzt. Er selbst nahm das Wort Erpressung in den Mund. Diese Person hat seine Karriere und einen Teil von ihm zerstört.

Und in Bezug auf ihrer beider Beziehung, bis zu dem Moment, wo Boetticher deren Offenheit der Karriere bzw. der öffentlichen Meinung opferte:[18]

Es war einfach die absolut große Liebe. Schon auf den ersten Blick war diese Spannung da. Die auf Anhieb existierende Vertrautheit war enorm. Wirklich die sprichwörtliche Liebe auf den ersten Blick, das beschreibt es wohl am besten.
Aber nicht nur das Gefühl stimmte. Auch der Charakter, die Interessenlage, alles war perfekt. Einfach der perfekte Mensch. Wir konnten stundenlang miteinander über wirklich jegliches Thema reden.
Es gab Momente, in denen die Zeit stillzustehen schien. All das ist auch der Grund, weshalb das Alter keine Rolle mehr spielte. Sogar nicht einmal mehr real wirkte. Es war eine wunderschöne Zeit, an die ich mich sehr häufig und gerne erinnere.

Dies ist wohl die schönste Aussage an dieser Stelle, die beweist, dass ein Mädchen und ein Mann eine tiefe Liebesbeziehung haben können – die große Liebe, eine Liebe auf den ersten Blick. Wenn ein Mädchen so etwas sagen kann, obwohl der Mann bereits Schluss gemacht hatte, durch eigene Angst,[19] dann kann darin nur die tiefste Wahrheit liegen.

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Aber – es gibt Menschen, die können das Glück zweier anderer Menschen nicht ertragen. Und wenn sie sogar noch der Presse angehören, haben sie jede Möglichkeit, die öffentliche Meinung aufzupeitschen. Wie gewöhnlich war es die ,Bild’-Zeitung, die hier am weitesten ging. Man lasse sich die Kolumne des selbst innerhalb von ,Bild’ umstrittenen Franz Josef Wagner in ihrer perversen Subtilität auf der Zunge zergehen. Er entwirft das Szenario, das Mädchen wäre seine Tochter, und bricht dann über Boetticher den Stab:[20]

Lieber CDU-Politiker von Boetticher,
fangen wir mit dem Nachhausekommen an. Ein 16-jähriges Mädchen, das bei seinen Eltern wohnt, hat Regeln, wann es zu Hause zu sein hat. Mit 13, 14 musste meine Tochter um acht zu Hause sein. Mit 16 am Wochenende um Mitternacht.
Aus der Sicht eines Vaters sind Sie, Herr von Boetticher, ein Albtraum.
Meine Tochter ist bei Ihnen. Im Steigenberger Hotel. Als Vater stelle ich es mir furchtbar vor. Meine Tochter, vielleicht hat sie etwas getrunken, zieht sich aus und hat Sex mit einem Vierzigjährigen.
Im Gesicht einer 16-Jährigen, so geschminkt sie auch sein mag, ist ihre Kindheit zu sehen. Ihre naiven Augen, ihre Unbekümmertheit, ihr Zutrauen, ihre Neugier. Ich weiß nicht, wer wen verführt hat.
Das Mädchen spielte noch vor drei, vier Jahren mit Plüschtieren. Ihr Lieblingstier war der Delfin.
Wir befinden uns jetzt im Steigenberger Hotel. Es ist Nacht, vielleicht ist Alkohol dabei. Das Mädchen müsste längst zu Hause sein.
Sie, lieber von Boetticher, Sie sind weder christlich noch sozial. Sie sind ein Lustmolch.
Herzlichst,
F. J. Wagner

Dieser Kolumnist spielt sich als moralisches Gewissen des tugendhaften Deutschlands auf – er, der an anderer Stelle von sich sagt, ,Wenn wir Physik hatten, dann ging ich ins Kino. Mit 13 sah ich James Dean. Meine offizielle Erziehung endete mit 18, als ich durchs Abitur flog.’[21] Aber ,Bild’ beherrscht die Klaviatur der psychischen Stimmungen seiner Leser mit Perfektion. Wenn Zucht und Ordnung dran sind, wie es sich bei sechzehnjährigen Mädchen gehört, die einem ,Lustmolch’ zum Opfer zu fallen drohen, dann muss es ganz anders formuliert werden als bei der eigenen Kindheit. Denn hier, bei der imaginären sechzehnjährigen Tochter kann der perfekte Vater sich und seine Leser ja so wunderbar hineinphantasieren in den gar schrecklichen Missbrauch der unglaublichen Unschuld – und natürlich, Alkohol muss auch dabei sein, jedenfalls ,vielleicht’. Und dann zieht sich das Mädchen aus – obwohl es längst zu Hause sein müsste.
Kann es sein, dass solche ,Bild’-Kolumnen die öffentliche Empörung gerade deshalb so anstacheln können, weil hier jede Menge Übertragung wirksam ist? Kann es sein, dass sehr viele Leser davon träumen, dass ein sechzehnjähriges Mädchen sich mit oder ohne Alkohol einmal für sie ausziehen würde? Aber weil sich die Seele dies offiziell ja nie zugestehen würde, muss sie auf jeden moralisch einprügeln, der diesen Mut hat – es zuzulassen, dass ein sechzehnjähriges Mädchen sich vor ihm und für ihn auszieht...

Für diesen Kolumnisten ist es ja auch ganz egal, was das Mädchen sagt! Als Sechzehnjährige hat sie für den perfekten ,Vater der Nation’ natürlich noch gar keine eigenen Rechte – und wird der Mann, den sie liebt, ein ,Albtraum’, ein ,Lustmolch’. Damit wird im Handumdrehen jede wahre Liebe seitens des Mannes – von der rechtlosen Tochter ganz abgesehen[22] – völlig verneint. Es ist aber der Kolumnist, der diese Liebe beschmutzt, nicht der Liebende selbst. Der Liebende liebt das Mädchen – der Kolumnist dagegen steigert sich lustvoll in seine schmutzigen Fantasien hinein.
Noch vor drei Jahren hat die Tochter doch mit einem Plüsch-Delfin gespielt – und jetzt soll sie sich in ihrem unschuldigen ,Zutrauen’ vor einem Mann ausziehen, der so alt ist wie man selbst?[23] Gott bewahre!

Nein, lieber Herr Wagner – Gott, der die Liebe ist, bewahre uns vor Menschen wie Ihnen. Menschen, die noch das Heiligste beschmutzen müssen, die sogar noch aus der Unschuld selbst Lust und Missbrauch machen müssen, anstatt sich einmal dem Balken des eigenen Auges zuzuwenden...
Ein Christian von Boetticher ist eben kein Graham Rix, und schon vierzig Jahre vorher hat ein Udo Jürgens die Bigotterie, die Sie den Seelen der ,Bild’-Leser einprügeln wollen, offenbart und entlarvt. Sie stehen nicht für Moral, sondern Verlogenheit, nicht für den Schutz eines sechzehnjährigen Mädchens, sondern seine Entmündigung und die Entstellung seiner wahren seelischen und körperlichen Empfindungen. Das Einzige, was Sie tun, ist, aus dem, was einzig und allein Angelegenheit zweier sich liebender Menschen hätte sein dürfen, hässliches Kapital zu schlagen, das sich nur einen moralischen Anstrich gibt. In Wirklichkeit geht es Ihnen nur um die hässlichen, bigotten Reaktionen Ihrer Leser und Ihr eigenes lügenhaftes Wohlbefinden, dem die wahren Empfindungen des Mädchens vollkommen egal sind. Gott bewahre uns vor Ihnen!

Die ganze Geschichte zwischen Boetticher und der ,bildhübschen sechzehnjährigen Schülerin’, die aber bereits eine ungeheure Reife offenbart, zeigt wie in einem Brennglas, wie sehr die Außenwelt einer wahren, unschuldigen Liebe zwischen zwei Menschen entgegensteht, obwohl sie diese Liebe nichts, aber auch gar nichts angeht. Nichts als die schmutzige Gier der Einmischung ist hier am Wirken. Ein moralischer Voyeurismus, der sein hässliches Antlitz nur deshalb nicht offenbart, weil er sich selbst für die moralische Instanz schlechthin hält, die die Liebe zwischen zwei Menschen verurteilen zu dürfen meint – während sie die Liebe überhaupt nicht kennt. Dies ist das wahre Gesicht der geheuchelten Moralkeule: Verurteilen zweier Menschen, die das haben, was man selbst nicht hat: aufrichtige Liebe.

Die Liebe ist immer gottgefällig, denn sie ist von Gott. Kain aber erschlug seinen Bruder Abel, weil Gott dessen Opfer annahm, nicht aber seines. Wann aber versteht ein Wagner, dass Gott gerade den in seinen Worten lebenden subtilen Hass, seine Hetze und sein Urteilen über andere zutiefst abweist, weil gerade dies gottlos ist, nicht die Liebe zwischen Menschen, wie alt sie auch seien...[24]
 

Fußnoten


[1] Wikipedia: Christian von Boetticher.

[2] Christian von Boetticher: Feind, Totfeind, Parteifreund. Hamburger Abendblatt, 29.12.2011. • Siehe auch: Medienpreis für ein Lehrstück über Parteifreundschaft. Bundestag.de, 27.2.2013.

[3] Ebd.

[4] Wikipedia: Christian von Boetticher. • In diesem Zusammenhang wurde er 2017 auch Vizepräsident der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie. Ebd.

[5] Laut ,Spiegel’ schon im Februar, neun Tage nach ihrem sechzehnten Geburtstag. Jürgen Dahlkamp u.a.: Starkes Gift. Spiegel.de, 22.8.2011.

[6] Christian von Boetticher: Feind, Totfeind, Parteifreund, a.a.O.

[7] Oliver Meyer: Boettichers Ex-Freundin: ,Christian wurde massiv unter Druck gesetzt’. Express, 15.8.2011.

[8] Auf YouTube zu finden, etwa unter ,Es war schlichtweg Liebe’. • Siehe auch: Die Rücktrittserklärung im Wortlaut. www.shz.de, 17.8.2011.

[9]17-Jährige plaudert Details aus. n-tv, 15.8.2011. • Man beachte allein solche Titel! Das Mädchen ist einfach nur Objekt der Presse.

[10] Ebd. • Diese Reaktionen erscheinen selbst dann vorbildlich, wenn man berücksichtigt, dass man es sich natürlich leisten konnte, angesichts der ,Katastrophe’ so fair zu sein, und dass man auf einen bereits am Boden liegenden Gegner nicht noch eintritt.

[11] Rainer Burchardt: Der Kandidat und das Mädchen. Deutschlandfunk, 15.8.2011.

[12] Boetticher will Schleswig-Holstein verlassen. Spiegel.de, 21.8.2011.

[13] Boetticher ,schwer enttäuscht’ von eigener Partei. Zeit.de, 21.8.2011.

[14] Jens Schneider & Ralf Wiegand: Von Boettichers Feind im eigenen Haus. Süddeutsche.de, 19.8.2011.

[15],Ich bin auf der Flucht’, Focus Nr. 34, Focus.de, 22.8.2011.

[16] Boetticher beklagt seine ,öffentliche Hinrichtung’. Welt.de, 20.8.2011. • Vergleiche auch hier: ,Ich bin auf der Flucht’, a.a.O.

[17] Oliver Meyer: Boettichers Ex-Freundin: ,Christian wurde massiv unter Druck gesetzt’. Express, 15.8.2011. • Boetticher hatte sich wenige Wochen zuvor an enge Freunde des Mädchens gewandt, gemäß seines Versprechens nicht mehr an sie selbst.

[18] Ebd.

[19] Mitte Oktober 2010 scheint Boetticher dann heimlich in den USA die wissenschaftliche Referentin und Langzeitfreundin Anna Christina Hinze geheiratet zu haben, mit der er sich schon Jahre vorher gezeigt hatte. Hochzeit fünf Monate nach der Affäre. www.shz.de, 18.8.2011.

[20] Franz Josef Wagner: Lieber CDU-Politiker von Boetticher, Bild.de, 15.8.2011.

[21] Franz Josef Wagner: Liebe Lehrer, liebe Eltern, Bild.de, 15.2.2008.

[22] An einer einzigen Stelle leuchtet die wahre Unschuld des ganzen Geschehens auf: in den Worten ,Ich weiß nicht, wer wen verführt hat.’ Hier wird ganz deutlich, dass auch das Mädchen den Mann, gerade auch durch seine Unschuld, verführt haben könnte. Aber für Wagner hat dies natürlich nur die Konnotation: ,Es ist mir auch egal. Meine Tochter kann nichts für ihre Unschuld. Aber Sie sind und bleiben ein Lustmolch, der für alles ganz allein verantwortlich ist.’ Je unschuldiger das Mädchen, desto verantwortlicher der Mann. Aber das Ganze ist von vornherein geprägt von dem absoluten Verbot. Bei Wagner ist und bleibt das Mädchen entmündigt – mit Leib und Seele.

[23] Ich möchte wissen, was Wagner gemacht hätte, wenn seine imaginäre Tochter am Wochenende um Mitternacht nach Hause gekommen wäre und dennoch zuvor mit einem mehr als doppelt so alten Mann geschlafen hätte – aus eigenem Wunsch und weil sie ihn liebt. Hätte er sie mit ihrem alten Plüschdelfin über den grauenvollen Missbrauch durch den gottlosen Lustmolch hinweggetröstet – oder hätte er sie gezüchtigt, um ihr die Unschuld wieder einzuprügeln?

[24] Nach Lektüre des Wikipedia-Artikels über Wagner erübrigt sich jeder weitere Kommentar. Dort heißt es unter anderem: ,Seine [...] sich mitunter binnen kurzer Zeit widersprechenden Texte und seine wilden Argumentationssprünge haben Wagner unter anderem den Spitznamen „Gossen-Goethe“ eingebracht.’ Und: ,Er gilt als cholerisch, viril, impulsiv, reaktionär, hysterisch, zynisch, chaotisch, mithin unerträglich.’ (taz). Wikipedia: Franz Josef Wagner. • Wagners Tochter kann einem leidtun!