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,Lulu’ wirkt zu jung
Die außergewöhnliche Anziehung des Mädchens lässt Marken wie ,Calvin Klein’ immer wieder Models engagieren, die, selbst wenn sie erwachsen sind, wesentlich jünger wirken.
Als Calvin Klein im März 2017 die neue Werbekampagne für Unterwäsche mit dem längst erwachsenen Model ,Lulu’ startete, erhoben sich vielfache Proteste. Denn das schöne Mädchen wirkte für viele wie vierzehn oder noch jünger. Im britischen Cheltenham beschwerte sich eine Frau:[1]
Auch wenn ich realisiere, dass es wahrscheinlich ist, dass sie vermutlich das legale Alter dafür hat, bedeutet die Tatsache, dass sie in Bezug auf ihre Gestalt und einen etwas verletzlichen Gesichtsausdruck minderjährig aussieht, verbunden mit der Tatsache, dass sie sehr wenig anhat und eine seltsam provokative Pose einnimmt, dass dies als Sexualisierung von Kindern gewertet werden kann.
Lulu hat einen Daumen unter den Träger ihres Bikinis geschoben und zieht diesen ein klein wenig nach außen. Ihr Gesichtsausdruck wirkt jugendlich-unschuldig, zugleich aber auch leicht lasziv-provokant. Man kann ihn und das ganze Sichzeigen auf dem Plakat als Verführung lesen – aber auch als selbstbewusste Botschaft der heutigen Jugend, die dann hieße: ,Ich ziehe an, was mir gefällt. Ich zeige mich, wie es mir gefällt. Mein Körper gehört mir.’ – Und letztlich sogar: ,Und meine Sexualität auch.’
Gerade dies aber wollen die protestierenden Stimmen nicht wahrhaben. Für sie dürfen vierzehnjährige Mädchen keine Sexualität haben, ihren Körper auch nicht zeigen und schon gar nicht Werbung für Unterwäsche machen. Und erwachsene Models dürfen dies auch nicht, wenn sie jünger aussehen, weil es die Mädchen nicht dürfen. So wird die sogenannte ,sexuelle Selbstbestimmung’ durch ein striktes Gestrüpp aus Regulierungen, Verboten, Verurteilungen und Tabus erstickt und zu einer ebenso strikten Fremdbestimmung.
Diese Fremdbestimmung wird gerade als ,Schutz der Selbstbestimmung’ verkauft, weil die ,Sexualisierung der Werbung’ als Fremdbestimmung hingestellt wird.
Sicher gibt es heute einen großen sozialen Druck in Richtung Exhibitionismus, wenn man etwa daran denkt, dass viele Mädchen von ihren ,Freunden’ teilweise geradezu gezwungen werden, Nacktfotos etc. zu verschicken (,Sexting’). Aber was hier nicht verstanden wird, ist, dass ein Mädchen frei sein muss, zu tun und zu lassen, was es will.
Niemand darf ein Mädchen dazu zwingen, irgendetwas zu tun, was es nicht will. Und dies sollte ein absolut selbstverständlicher Grundsatz sein. Viele Menschen, ältere und jüngere, verlernen zunehmend, wie sehr sie sich in das Unmoralische und zutiefst Hässliche begeben, wenn sie über einen anderen Menschen Macht ausüben – sei es durch Urteile, Verurteilungen, Spott, Mobbing oder subtile Beeinflussung. Dass dies teilweise immer weniger empfunden wird, gehört zu den alarmierenden Zeichen unserer Zeit.
Auf der anderen Seite müssen die Mädchen aber auch frei sein, sich zu zeigen. – Im Schwimmbad sieht man Mädchen jeden Alters im Bikini, und eine Werbung für Unterwäsche eines mädchenhaft jung aussehenden erwachsenen Models soll verboten sein? Wie verlogen ist das denn? Ja, es ist die Betonung jugendlicher Schönheit, der Schönheit der Jugend. Aber was hat man damit für ein Problem? Das Problem ist nicht diese Schönheit. Wahrhaftig nicht. Sondern das Problem ist die Hässlichkeit derjenigen Seelen, die damit nicht umgehen können.
Es ist zum Beispiel ein Problem, wenn in männlichen Seelen ein Mädchen in einem knappen Bikini zu einem Sexualobjekt wird – wenn ihm innerlich mit dem Blick auch dieser noch ausgezogen wird. Wieder sind wir mitten in diesem Bereich zwischen Begehren und Bewunderung, zwischen Gier und Liebe, zwischen Trieb und Ehrfurcht. Dieser Unterschied wird nicht mehr empfunden – weil man immer mehr nur noch die eine Seite kennt und die andere Seite überhaupt nicht mehr hütet, geschweige denn, auch nur kennenlernt.
Aber ein Mädchen ist ein Wunder – ein Wunder an Schönheit und auch an Unschuld, selbst da, wo es nicht mehr so unschuldig ist. Und ein Mädchen hat das volle Recht, eine Hand an seinen Bikiniträger zu legen und auf ganz unschuldige Art eine unglaublich verführerische Geste zu machen. Und kein einziger Mensch hat das Recht, deshalb über dieses oder ein anderes Mädchen herzufallen. Aber diese Dinge müssen empfunden werden. Es müsste empfunden werden, erlebt, innerlich mit der Seele, dass dies einzig und allein die Möglichkeit ist, eine unbeschreibliche Schönheit zu bewundern. Mädchenschönheit...
Aber wenn diese Dinge verlorengehen – wenn die Empfindungsfähigkeit der Seele verlorengeht, und sie dann von Mädchenschönheit nicht mehr berührt wird, sondern allenfalls noch in ihrer Triebhaftigkeit aufgestachelt, oder wenn umgekehrt nur die ,Aufregung’ regiert, über das Unzulässige, das Unzüchtige, das angeblich Sexualisierende, das Kindergefährdende, und wenn aus alledem nur pharisäerhafte, rechthaberische Verbote resultieren, die die Schönheit unterdrücken wollen, dann ist die Zeit des Wunders vorbei. Denn die Seele verliert die reine, heilige Fähigkeit des Bewunderns. Das bedeutet nicht, dass sie nicht auch begehrt. Aber die Verehrung, die Liebe, das Heiligende ist größer. Und dann dient das Begehren nicht der Gier, sondern der Kraft der Liebe selbst – denn es ist letztlich nichts anderes, sondern die Frage ist nur, welche reine, unschuldige Gestalt es annehmen kann.
Die Liebe zum Mädchen ist die natürlichste Seelenregung, die es in einer männlich inkarnierten Seele gibt. Die männliche Seele verehrt das Mädchen von ihrer ganzen Natur aus. Diese heilige Regung wird von unserer ganzen Zeit nur zugedeckt und erstickt, weil noch so unendlich viele andere Kräfte am Wirken sind.
Das Problem ist, dass niemand so unschuldig ist wie das Mädchen. Auch die nicht, die es verbieten wollen, dass eines dieser Mädchen seine verführerische Schönheit von einem Plakat offenbart.
In einem Roman habe ich die Empfindungen eines Mädchens beschrieben, das die Unterwäsche-Werbung von Mädchen und Frauen schlimm findet.[2] Dies scheint die völlige Gegenposition zu sein – aber nur, solange man nicht wirklich mitempfinden kann, um was es sich handelt. Dieses Mädchen, Saskia, ist viel empfindsamer als alle anderen Mädchen. Sie könnte sich nie vor anderen ausziehen und findet es schon schwierig, ins Schwimmbad zu gehen, weil einen dort alle sehen können. Dieses Mädchen empfindet die Verletzlichkeit des menschlichen Körpers, des eigenen, aber auch überhaupt, sehr tief – die Verletzlichkeit und die Heiligkeit. Und dass man dieser überhaupt nicht gerecht wird. Es könnte dies so nie ausdrücken. Es empfindet einfach die eigene Scham bei dem Gedanken, sich so präsentieren zu müssen – und doch fühlt es all dieses andere mit, denn es ist ein und dasselbe.
Die Heiligkeit des Leibes ist so groß und die verletzliche Unschuld des unbekleideten Leibes ist so tief, dass es schon ein Vergehen und ein Versäumnis ist, einfach so zu tun, als wäre Nacktheit – auch jene Nacktheit, die im Schwimmbad das Gegebene ist – normal. Man kann diese tiefen Empfindungen das Mädchens als ,falsche Scham’, als ,prüde’ missverstehen, aber dann würde man sie in ihrem wahren Wesen gar nicht erkennen, weil man selbst nicht dazu fähig ist. Es gibt eine anerzogene Scham, und es gibt eine aufrichtige, vollkommen unschuldige Scham, die etwas empfindet, was mit dem innersten Heiligtum der Seele, aber auch des Leibes zu tun hat. Wer diese Scham nicht empfindet, der ist nicht einfach nur ,sexuell befreit’ sondern auch in eine Dumpfheit gefallen, die das Heilige ganz verloren hat.
Dieses Mädchen erlebt sehr genau, dass die meisten Menschen einen dürftig bekleideten, verletzlichen Leib nicht mit sich vertiefender Ehrfurcht wahrnehmen würden – weil sie diese Empfindung an sich schon überhaupt nicht mehr kennen – sondern nur, im Gegenteil, mit sich vertiefendem Voyeurismus, mit Gier ... oder auch nur Gleichgültigkeit.[3]
Die unbeschreibliche Schönheit des Mädchenleibes kann nur mit einem Mit-Empfinden von Ehrfurcht wahrgenommen werden. Sonst geht man an dem Wesentlichen vollkommen vorbei. Das Mädchen – dies ist das Mysterium – ist mit Leib und Seele heilig.
Wenn man dieses Heilige schützen will, wäre mit tiefstem Ernst zu fragen, wie das Unheilige in die Welt kommt. Dieses Unheilige beginnt nicht damit, wunderschöne Mädchen verführerisch von Plakaten lächeln zu lassen. Sondern es beginnt mit einem Verlust des Seelischen überhaupt. Es beginnt mit einem materialistischen Menschenbild. Es beginnt mit einem explizit sozialdarwinistischen Wirtschaftssystem. Es beginnt mit einem selektierenden Bildungswesen. Mit der Verherrlichung der ,Konkurrenzfähigkeit’. Es beginnt mit der Monetarisierung aller Lebensbereiche. Mit der Vergottung des Intellekts. Mit der Allmacht des Profits. Mit Tierversuchen, mit Massentierhaltung, mit Monokulturen, Pestiziden, mit Steueroasen, mit Rüstungsexporten, und, und, und.
Hier dringt das Unheilige ungefiltert in die Seelen – und die Verlogenheit führt dazu, dass dies niemals zugegeben wird. Dass niemals zugegeben wird, wie hässlich, wie unmenschlich, wie egoistisch und wie verlogen die Seele längst geworden ist – und immer wieder neu zulässt, dass dies niemals aufhört.
Wollte man wirklich das Mädchen schützen ... dann ginge es nicht um die scheinheilige Empörung gegenüber der einem von Plakaten entgegenleuchtenden Mädchenschönheit, sondern dann ginge es um eine entschlossene innere Wende, um die Seelenhässlichkeit in der Welt zu stoppen. Kein einziges Mädchen würde Tiere in Massen halten und quälen, die Natur in Monokultur zerstören, Waffen herstellen und das Gegeneinander vorantreiben. Jedes Mädchen würde dies alles, wenn es könnte, beenden.
Das kaum bekleidete Mädchen Lulu könnte, obwohl nur eine kommerzielle Werbung des großen Konzerns Calvin Klein, dazu beitragen, die Seelen an das Mysterium der Unschuld zu erinnern – gerade weil es fast unbekleidet ist und noch so sehr Mädchen ist.
Die ,moralische’ Empörung über die ,Sexualisierung von Kindern’ dagegen ist das perfekte Ruhekissen, um auch weiterhin die Brutalisierung der gesamten Welt und ihre rasende Vernichtung nicht zu sehen, nicht zum Thema zu machen und nichts an ihr zu ändern. – Lasst die Plakate hängen und empfindet in euren Seelen, was sie euch neben aller Kommerzialisierung und ,Sexualisierung’ in Wahrheit noch sagen wollen!
Die Geschäftskette ,House of Fraser’ ließ die Plakate trotz einer nur ,geringen Zahl von Kundenbeschwerden’ entfernen.[4] Diese Kunden können sich moralisch befriedigt fühlen, und die Welt rollt weiter – ohne die Schönheit Lulus auf den Straßen...
Fußnoten
[1] John Shammas: The adult Vogue cover girl whose Calvin Klein ad was taken down by House of Fraser ‘because she looked 12’. The Sun, 14.3.2017, übersetzt H.N. • Dort sieht man das Plakat, ein Vogue-Cover mit Lulu, weitere Fotos und ein Video, in dem sie ebenfalls sehr mädchenhaft wirkt.
[2] Tagebuch eines Mädchens. Norderstedt 2015, S. 91, 110f.
[3] In einem anderen Roman von mir, ,Feuerbahn’ (2020), ist die Hauptperson Tyra leise bestürzt, als sie im Regal des Erzählers einen Bildband mit Mädchenfotos von Hamilton entdeckt. Der Erzähler kann ihr deutlich machen, dass man die Schönheit dieser Mädchen mit einer ähnlichen Aufrichtigkeit lieben, verehren und anschauen kann wie einen Regenbogen. Sie kann dies mitempfinden, aber es bleibt deutlich, dass nur sehr wenige Männer diese Art Seele und Blick haben... Ebd., S. 41-44.
[4] John Shammas, a.a.O.