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,This Is Love’ (Glasner, 2009)
2009 erschien der Film ,This Is Love’ von Matthias Glasner, der zuvor durch den Film ,Der freie Wille’ bekannt wurde. Auf Wikipedia heißt es:[1]
Der erste Erzählstrang schildert die Geschichte von zwei Freunden, Chris und Holger, die immer wieder nach Vietnam reisen, um Kinder aus der Zwangsprostitution[2] herauszukaufen, die sie dann in Deutschland illegal an zahlungsbereite Adoptiveltern weiterverkaufen. Dies gelingt ihnen auch mehrfach, bis sie ein Mädchen namens Jenjira mit nach Deutschland nehmen, die allerdings mit einem Alter von neuneinhalb Jahren schon wesentlich älter ist als die bisherigen vermittelten Kinder. Da mehrere Vermittlungsversuche von Jenjira scheitern, stehen Chris und Holger vor der Entscheidung, Jenjira entweder wieder der Kinder-Mafia in Vietnam auszuhändigen oder aber schnellstens den noch ausstehenden Geldbetrag aufzutreiben. Letztendlich kommt es zum Bruch der Freundschaft der beiden und Chris und Jenjira fliehen vor der Mafia. Mehr und mehr entwickelt sich eine verhängnisvolle Zuneigung und unmögliche Liebe zwischen den beiden, welche zwangsläufig im Chaos enden muss.
Obwohl es hier scheinbar um ,Pädophilie’ geht, behandeln wir auch diesen Film in diesem Band, denn Jenjira ist keinesfalls neun, in einer anderen Besprechung heißt es ,zwölfjährig’, und ihre ganze Ausstrahlung ist nicht die eines Kindes, sondern eines Mädchens. Sie wirkt mindestens wie zwölf und bekommt bereits Brüste (was noch eine Rolle spielen wird).[3]
Gleich zu Beginn erfahren wir, dass ein Mann tot in Chris’ Wohnung liegt und er sich selbst umbringen wollte. Die Kommissarin, die seinen Fall untersucht, ist aber selbst halb ein menschliches Wrack, weil vor fünfzehn Jahren ihr Mann sie spurlos verlassen hat. Sie ist längst dem Alkohol hörig und versucht inmitten dieser eigenen Probleme, der Wahrheit von Chris auf die Spur zu kommen.
Regisseur Glasner sagt in einem Interview:[4]
Die Figur von Jens Albinus (Chris) beruht auf einer Geschichte, auf die ich bei der Recherche zu Der freie Wille gestoßen bin: Ein Mann weiß, dass er Sehnsucht nach Kindern hat, will diese Gefühle aber nicht. [...] In This Is Love müssen alle Figuren viel durchmachen, und ich will mit dem Film auf ihrer Seite sein, sie auffangen. Darum auch die warmen Bilder, die wunderschöne Musik. [...] Die erste Idee für Holger, der von Jürgen Vogel gespielt wird, war, dass diese Figur stellvertretend für Chris dessen Sehnsüchte ausleben soll. Chris ist bei ihm, um diese Adoptionen mit den Kindern machen zu können, ohne sich entlarven zu müssen. Holger bringt ihn in eine zwielichtige Halbwelt, in der sich Chris zuhause fühlt, weil er voller Schuldgefühle ist. [...] Bei der wichtigen Szene zwischen den beiden im Wald, bei der Holger versucht, Chris von dem Mädchen abzubringen, spricht er Dinge aus, die Chris niemals sagen könnte.
In einer Besprechung heißt es:[5]
Auf diesem Trip verliebt sich Chris in Jenjira (Duyen Pham), die in einer Gratwanderung als Kind und Lolita – schön, zart und auch verwegen – inszeniert ist.
[...] Kann man das, was zwischen einem erwachsenen Mann und einer zwölfjährigen Ex-Prostituierten geschieht, überhaupt Liebe nennen? Wenn ja, dann ist es eine Liebe jenseits der Schmerzgrenze und jenseits dessen, worauf sich eine Gesellschaft als Norm geeinigt hat. Natürlich gäbe es tausend andere, moralisch abgesicherte Möglichkeiten, eine solche Geschichte zu erzählen. Dann würde der Film aber nur von unserer Angst vor solchen Empfindungen erzählen und nicht von den Empfindungen selbst.
[...] Vielleicht bringt er in seinem Film – etwa in einer mit Musik untermalten, verzweifelten "Liebesszene" zwischen dem Mann und dem Kind – manchmal zu viel Verständnis für diese Geister [der Liebe, H.N.] auf. Aber es gibt sie nun mal. Und es erfordert nicht wenig Mut, sich ihnen auf der Leinwand zu stellen.
Die Frage ,Kann man das, was zwischen einem erwachsenen Mann und einer zwölfjährigen...’ entspricht natürlich genau unserem gesellschaftlichen Tabu – jenem Dogma, dass es zwischen einem Mann und einem so jungen Mädchen keine Liebe geben kann. Dass sie allenfalls in Anführungszeichen gesetzt werden kann, weil sie nicht das ist, was sie vorgibt – und selbst dann ist sie eine Zumutung. In solchen Fragen also distanziert sich der Rezensent bereits und wählt für sich die Position der ,sicheren’, nämlich der offiziellen Seite. Das ist bequem – und heuchlerisch zugleich.[6] Glasner selbst hat es sich nicht so einfach gemacht.
Chris fühlt sich von Anfang an zu diesem Mädchen hingezogen, das er den Zuhältern abkaufen will, obwohl er und sein Kumpel das Geld nicht aufbringen können. Bei der ersten Begegnung denkt sie, es sind ,Kunden’, sie erscheint abgebrüht und kann auf Abruf eine freundliche Miene aufsetzen.
Wie sehr sie aber auch noch unschuldig ist, zeigt sich, als sie in Deutschland zusammen einkaufen. Sie wünscht sich unbedingt ein Paar Stiefel; dann sieht man, wie sie sie anhat und sie nicht genug bestaunen kann, sich beim Laufen immer wieder um sich selbst dreht und sie kindlich bewundert, rührend und unverdorben von jedem Konsum. Als wolle sie Chris etwas zuflüstern, lockt sie ihn zu sich heran und drückt ihm dann schnell einen flüchtig-verschämten Kuss auf die Wange.
Unmittelbar darauf werden sie von einem der vietnamesischen Zuhälter verfolgt – und Chris schneidet sich ein Stück von seinem Finger ab, was den Mann so schockiert, dass sie fliehen können. An diesem Abend hat Jenjira einen Alptraum von den Zuhältern, Chris weckt und beruhigt sie. Als sie unmittelbar ruhig einschläft, legt er sich schützend zu ihr, möchte ihr Haar berühren, aber versagt sich selbst das...
In der erwähnten Szene am See sagt ihm Holger in einer heftigen Diskussion, er könne sie nicht behalten. Und als Chris fragt, warum nicht: ,Sie ist kaputt, sie ist fertig, sie sieht ganz süß aus, ja, aber das ist ’ne Nutte, die lutscht Schwänze! [...] Die weiß ganz genau, wie man Männer um den Finger wickelt!’ Chris will diese Anschuldigungen heftig zurückweisen, da bemerken beide, wie die potenziellen Adoptiveltern abfahren. Beide eilen zurück, Holger schleudert Jenjira wütend die Frage ,What?’ entgegen, sie erwidert genauso wütend ,Fuck you!’ Dann stapft auch Chris an ihr vorbei und ruft ebenso verzweifelt: ,What do you want!?’ – und sie ruft ihm hinterher: ,I want you!’ Er ist kurz erschüttert, geht dann weiter – und sie bleibt verzweifelt zurück.
In einer späteren Szene sitzen sie zusammen auf dem Sofa. Jenjira sagt, sie möchte zur Schule gehen, Chris bestätigt ihr dies. Sie lernt mit einem Tablet Vokabeln. Dann lacht sie leise, nähert sich seinem Ohr und flüstert sehr zärtlich drei Worte: ,Ich – liebe – dich.’ Chris ist fast bestürzt und kann nur sehr unbeholfen herausbringen: ,Ich liebe dich ... auch.’ Dann sagt er ihr, sie solle jetzt Zähne putzen und ins Bett gehen.
Während er ihre Decke vorbereitet, findet er ein Schächtelchen, darin etwas Schmuck und ein Foto. Sie kommt und sieht es. Es stört sie nicht – aber sie hat eine andere Frage: ,I’ve got boobies now – you leave me?’ (Ich bekomme einen Busen – verlässt du mich jetzt?). Bestürzt fragt er, wie sie darauf komme. Sie erwidert, ihre Freundin auf dem Foto hatte einen Mann, aber als sie Brüste bekam, kam er nie wieder zurück. So ein ,Pädophiler’ würde Chris nie sein: ,Of course I don’t leave you. Of course not.’ Jenjira ist darüber innerlich glücklich und springt freudig ins Bett. Als er ihr einen Gute-Nacht-Kuss auf die Wange geben will, dreht sie ihr Gesicht schnell zu ihm, Mund vor Mund... Darauf wünscht er ihr scheu nur eine ,Gute Nacht’...
In einer folgenden Szene sind sie wieder mit Holger in dem Haus am See. Als Chris vom Schwimmen zurückkommt, bekommt er mit, wie Holger ganz offensichtlich mit Jenjira (Oral-) Sex gehabt hat[7] – völlig fassungslos tritt er im Flur auf Holger ein, bis dieser blutet: ,Mit dir bin ich fertig!’ Fassungslos stapft er hinaus, läuft den Fahrweg entlang. Jenjira läuft ihm hinterher, versucht dann zu erklären: ,He pay me!’ Offenbar wollte sie etwas zur finanziellen Situation beitragen, denn sie gibt Chris das Geld. Dieser aber zerreißt das Geld: ,Don’t do this ever – is wrong!’ Sie versteht das nicht gleich, weint total, dass er sie ausschimpft und ihre Handlung entwertet, schlägt ihn verzweifelt, während er sie umarmt und sie schließlich nur noch schluchzt. Schließlich knien beide voreinander, sich noch immer umarmend, in einer unendlich rührenden Szene. Währenddessen fährt Holger vorbei und weg.
Gegen Ende des Filmes findet Chris in dem Haus, wo er eine kleine Mietwohnung hat, krakelig-obszöne Zeichnungen. Zuhause will Jenjira ihm etwas zeigen – eine neue Jacke, über die sie sich sehr freut. Sie wirkt schon sehr weiblich, schminkt sich auch, möchte längst ,alt genug’ sein. Er fragt sie, ob sie sich noch erinnere, dass sie zusammenbleiben würden, und als sie dies bejaht: ,Das bleibt auch so.’ Er wird dieses Versprechen nicht brechen. Sie fühlt sich durch seine Worte geborgen, es ist eine sehr zarte Szene. Da klingelt es. Es ist das Jugendamt und ein Nachbar. Chris kocht einen Kaffee, da hört er Jenjiras Hilferufe und sieht, wie der Nachbar sich an Jenjira zu schaffen macht. Wie von Sinnen geht Chris auf ihn los und tötet den Mann an der Heizung.
Sie flüchten wieder zum Seehaus. Als er sich erschöpft schlafen legt, legt sie sich zu ihm. Sie fragt, was nun passiert. Er erwidert, er werde sich stellen, und dann werden sie ihn einsperren. Sie liebt ihn, und sie will irgendetwas für ihn tun. So öffnet sie seine Hose, und er lässt es zu, weil sie ihn fortwährend beruhigt. Dann befriedigt sie ihn – am Ende hört man seinen verzweifelten Schrei über den See hallen.
In der nächsten Szene hat Chris Jenjira in eine Schuppen eingesperrt und fährt mit dem Auto zurück in die Stadt. Dies schließt an den Anfang an – er fährt absichtlich in einen Lastwagen. Offenbar hält er seine Zuneigung zu ihr nicht aus und will im Impuls auch sie mit zu Tode bringen.[8] Aber er überlebt – und am Ende fährt die Komissarin mit ihm zurück – und findet Jenjira fast verhungert, aber noch lebend. Auch Chris ist total entkräftet und fällt nahezu ohnmächtig aus dem Wagen. In den letzten Szenen fahren sie in die Stadt zurück – und Chris damit seinem Prozess entgegen. Als Jenjira auf dem Rücksitz aus ihrer Ohnmacht aufwacht und langsam die Situation erfasst, da nähert sich zögernd ihre Hand dem Vordersitz von Chris und krallt sich sanft an seinem Hemd fest – und auch seine Hand nähert sich der ihren, sie verschränken sich ineinander, immer fester ... und diese letzten Momente rühren einen erschütternd und unmittelbar bis zu Tränen...
*
Wenn man den Film gesehen hat, dann werden viele ,Besprechungen’ dieses Filmes zu hohlen Floskeln, denen man zurufen möchte: Habt ihr ihn wirklich gesehen? Oder habt ihr nur abstrakt-distanziert konsumiert und schreibt nun von euren grünen Tischen aus?
Eine Besprechung gibt sich völlig verunsichert bzw. fragt rein rhetorisch:[9]
Anzuzweifeln ist, ob die Charakterisierung des pädophilen Mannes nicht zu positiv ausfällt und durch eine fehlende Distanzierung in gefährliche Grauzonen abdriftet. Darf man so darstellen wie hier geschehen?
Glaubt der Autor allen Ernstes, dass es unter den in Deutschland etwa dreihunderttausend (!) kernpädophil empfindenden Männern nicht zahllose Charaktere genau dieser positiven Art gibt – bezweifelt er also, dass der Film eine Realität zeigt!? Wie könnte es je Aufgabe der Kunst sein, unbeirrbar weiter an der Aufrechterhaltung von Klischees und Dogmen zu stricken?
Eine andere Besprechung (,Kann man das [...] überhaupt Liebe nennen?’) hatten wir bereits kennengelernt.
Ein Rezensent der ,taz’ urteilt so vernichtend wie hochmütig, in nichtssagende, aber alles behauptende Hohlformeln verklausuliert:[10]
Glasners anspruchsvolle Konstruktion hält dem Druck, unter den er selbst seine Erzählung setzt, nicht stand. Kein Gott kann da helfen, wo ein wenig intellektuelles und ästhetisches Maß schon gelangt hätte.
In der ,Frankfurter Rundschau’ heißt es gar, schon im Untertitel:[11]
Matthias Glasners scheinheiliges Pädophilen-Melodram "This is Love": Alles ist falsch an diesem scheinheilig-distanzierten[12] Exkurs über das, was der Titel ironisch "Liebe" nennt.
Und erläuternd:[13]
Und wenn das vermeintlich gerettete Mädchen schließlich ihrem Möchtegern-Beschützer auch noch ihre Liebesdienste schenkt, dann wird einem, pardon, nur noch totschlecht.
Alles ist falsch an diesem scheinheilig-distanzierten Exkurs über das, was der Titel ironisch "Liebe" nennt. Vietnam etwa, Schauplatz des Filmanfangs, wirkt so oberflächlich erfasst[14] wie die Besetzung der Kinderrolle durch die von diesem Unfug verständlicherweise überforderte[15] neunjährige Berlinerin Lisa Ngyuen, die mit deutschem Akzent erklären muss, dass sie kein Deutsch versteht.
"Liebe lässt verzweifeln", weiß der Trailer. Nein, Lieblosigkeit lässt verzweifeln.[16] Dieses hochgezüchtete Melodram über die ach so tragische Seite der Pädophilie gehört zum Grausigsten, was sich mit Steuer- und Gebührengeldern kaufen lässt.
Denkbar ungelenk erzählt in seiner Parallelstruktur und den larmoyanten Monologen aus dem Off, zugeklebt mit einer primitiven Orchestermusik mit viel Pathos aber keinem Einfall. Der einsame Finger auf dem Piano muss der Zeigefinger des Regisseurs sein. Nein, Bekenntnisse gibt es nicht von Glasner. Nur Mitleid heischende Tragik weit jenseits der Grenze zur Lächerlichkeit.
So destruktiv und ignorant muss man erst einmal schreiben können! Sogar wortschöpferisch – statt ,sterbensübel’ erfindet Kothenschulte also ,totschlecht’. Glasner meint den Begriff ,Liebe’ keineswegs ironisch – er ist zwar überzeugt davon, dass Liebe oft ins Unglück führt,[17] aber im Gegensatz zu Kothenschulte nimmt Glasner die Liebe seiner Protagonisten vollkommen ernst. Und für Chris ist seine Liebe so aufrichtig, dass er – weil er seine ,Neigung’ selbst verachtet – Jenjira nicht einmal zu berühren wagt. So siegt seine Liebe sogar über seine Bedürfnisse und Sehnsüchte. Wenn das keine Liebe ist!
Aber das ,hochgezüchtete’, von Chris verinnerlichte Urteil, das jede Beziehung zu einem so jungen Mädchen ,falsch’ und ,schlecht’ wäre (so schlecht, dass einem selbst ,totschlecht’ wird), ist es gerade, was am Ende zu seinem Suizidversuch führt, der auch fast Jenjira das Leben gekostet hätte. Ist es nicht gerade das, was viele Steuerzahler wünschen? ,Kopf ab’? ,An den nächsten Baum’? Die Wiedereinführung der Todesstrafe? Weil man ein Kind liebt? So liebt wie ... Chris? Und was, wenn das Kind diesen Erwachsenen auch liebt? Auch ... so? Nicht nur wie einen Vater – sondern mehr als das? Anders? Was, wenn das ,Kind’ gar nichts gegen echte körperliche Zärtlichkeit hätte, bis hin zu einer liebenden Vereinigung – ja, wenn es sich diese sogar irgendwo wünschen würde? Was, wenn Jenjira in dieser Hinsicht überhaupt kein Kind mehr ist?
Natürlich kommt dann der Einwand: Sie wurde ja auch brutal sexualisiert – aber in Wirklichkeit kann sie das gar nicht wollen. Ja, so hochmütig kommen die Besserwisser dann daher – die immer schon wissen, was ein Kind wollen kann und was nicht ... noch bevor das Kind selbst etwas gesagt hat! Jenjira aber kann viel mehr wollen, als was diverse Schreiberlinge mit ihrem hochgezüchteten Ekel glauben mögen. Für diese ist alles ,falsch’, was mit ,Kind’, ,Körper’ und ,Erwachsenem’ zu tun hat. Sie sehen nicht, dass für ein Kind etwas Liebe sein kann – und dass an dieser Liebe dann nichts mehr schlecht ist. Sie sehen nicht, dass unsere Auffassung von ,Kind’ starr und dogmatisch ist, während jedes ,Kind’ ein Recht darauf hat, wann, wo und in welchem Augenblick auch immer, mehr sein zu dürfen als dieses so verlogen von uns definierte ,Kind’. Dass es ein Recht darauf hat, auch über seine Sexualität, seine Erotik, seine Liebe, über all das, selbst zu bestimmen.
Kothenschulte muss alles niedermachen, weil er das Hauptthema nicht erträgt. Weder ist die Parallelstruktur der zwei Erzählstränge ,ungelenk’, noch sind die Off-Monologe ,larmoyant’ (wenn, dann betreffen sie die zur Selbstzerstörung neigende Kommissarin). Der Pathos der Musik spiegelt genau die inneren Stimmungen, würde also dem Zuschauer helfen, mit den Protagonisten mitzuempfinden – aber bei Kothenschulte hilft dies alles nichts, er vermag es nicht. Er wirft am Ende sogar mit Begriffen wie ,Lächerlichkeit’ umher, wo ihm am Anfang angeblich noch ,totschlecht’ war. Solche Rezensenten wissen gar nicht, welche Masse von Empfindungen sie verdrängen müssen, um eines nicht tun zu müssen: das im Film Gezeigte aufrichtig mitzuerleben. Sie verharren in dogmatischen Tabu-Vorstellungen, die sie wie brave Untertanen völlig verinnerlicht haben. Chris tut im Grunde das Gleiche – eigentlich müsste Kothenschulte mindestens das anerkennen. Aber er ist nicht einmal fähig, es überhaupt zu sehen.
Sogar in der ,Welt’ war man in dieser Hinsicht wesentlich weiter, denn dort heißt es in einer Besprechung:[18]
Chris wird zum Sympathieträger, weil er sich eine seltsame Unschuld bewahrt hat. [...]
[...] Deutlich über das Gewohnte hinaus geht Glasner aber, wenn er andeutet, dass sich auch Jenjira in Chris verliebt hat und dass diese Liebe vielleicht das einzige noch Reine in der zerrütteten Seele dieses äußerlich noch so liebreizenden Kindes sein könnte.
Ganz zum Schluss gönnt er den beiden eine zarte, vielsagende Berührung der Hände. Man hat sogar das Gefühl, dass Glasner diese Liebe für die einzige reine im Film hält.
Und so ist es tatsächlich. Nichts anderes als diese Empfindung hat man zutiefst, wenn man die letzte Szene wirklich gesehen hat. Aber selbst diese Besprechung setzt dann noch fort und endet:[19]
Für eineinhalb Stunden im Kino ist man bereit, sich auf diesen Skandal einzulassen, und wie jeder radikale Abschied von der Konvention tut auch diese Provokation der Kunst nur gut. „This Is Love“ ragt weit über die meisten deutschen Produktionen hinaus, in denen Sympathie und Empörung doch sehr vorhersagbar verteilt werden.
Aber bald nachdem man das Kino verlassen hat, denkt man doch wieder: Wenn Liebe tatsächlich nur zwischen einem kleinen Kind und einem kranken Mann möglich sein sollte, dann ist auf die Liebe gepfiffen! Dann ist Romantik vielleicht eine Form von Geisteskrankheit und Vernunftehe die neue Utopie.
Das genau ist es, was auch Glasner sagt: Liebe führt oft ins Unglück, sie hat mit Vernunft nicht viel zu tun. Insbesondere sieht man an der Kommissarin, dass sie seit sechzehn Jahren selbstzerstörerisch daran leidet, dass ihr Mann sie verlassen hat. Sie hat darüber sogar ihrer Tochter nie eine wirkliche Mutter sein können. Doch der Grund all dessen war, dass sie selbst damals einen jüngeren Liebhaber gehabt hatte. Über das ,Kranke’ dieser Frau regt sich kaum jemand auf, denn während der hervorragende Film von Glasner Sympathie und Empörung eben nicht ,vorhersagbar verteilt’, führen Dogma und Tabu im Kopf dazu, dass viele Rezensenten sie dennoch vorhersagbar verteilen. Man muss gar nicht näher hinschauen – der ,Pädophile’ und die Empörung sind geradezu Synonyme, sie gehören zusammen, ohne dass man überlegen muss. Genau das ist der Punkt: die Empörung ist zum bloßen, gehorsamen Reflex erstarrt. Nirgendwo ist der Deutsche so sehr Untertan wie hier: Er gehorcht, ohne nachzudenken. So funktioniert ein Tabu, hier ist es intakt, hier ist es die allmächtige ,Schere im Kopf’.
Es ist unglaublich, wie leichtfertig hier mit einem Begriff wie ,krank’ umgegangen wird. Pädophile Empfindungen sind keine Krankheit. Früher hat man auch homosexuell empfindende Menschen für ,krank’ gehalten – immer mit unscharfer Grenze zu ,geisteskrank’, zu ,lebensunwertem Leben’ und anderen Etikettierungen. Pädophil empfindende Menschen fühlen sich zu Kindern hingezogen statt zu Erwachsenen. Ihr Liebesideal sind also Individuen, die von Konvention, Tabu und Gesetz heute hermetisch gegen jede auch nur erotisch konnotierte Beziehung ,abgeriegelt’ sind – völlig unabhängig davon, was das Kind möglicherweise vielleicht auch wollen würde. Das interessiert die heute herrschende Auffassung überhaupt nicht. Und ebenso wenig interessiert es die meisten, dass es ein Unterschied ist, sich zu einem Menschen hingezogen zu fühlen, und, diesen Menschen zum Objekt zu machen. Dass ein Mensch sich zu einem Kind hingezogen fühlt, bedeutet eben nicht, dass er nicht darauf achten würden, was das Kind möchte und was nicht – sondern es bedeutet dies oft gerade[20]
Dem ,kranken Mann’ entspricht es, wenn der ,Welt’-Rezensent darauf hinweist, dass Glasners Film in seiner ,Sympathie für den Außenseiter’ dem Klassiker ,Taxi Driver’ ähnele, der ja auch von der Liebe eines ,Freaks zu einer Kinderhure’ erzählt habe. So wird also sowohl das damalige als auch das jetzige Mädchen (Jenjira) zur ,Kinderhure’ degradiert. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Wie das noch damit zusammengehen soll, dass man eigentlich ,auf der Seite des Kindes’ steht, das müsste der Rezensent erst einmal erklären. In Wirklichkeit wird hier doch nur noch mit Versatzstücken changiert, wie es einem gerade passt! Es sind die Rezensenten, die kranke Begriffe haben...[21]
Und dennoch, der vorletzte Satz dieses Rezensenten lautete: ,Wenn Liebe tatsächlich nur zwischen einem kleinen Kind und einem kranken Mann möglich sein sollte...’ Diese Liebe wurde nicht geleugnet, sondern es wurde im nächsten Atemzug auf sie ,gepfiffen’. So leicht macht es sich der Rezensent also in dieser Frage! Weil die Liebe zwischen Chris und Jenjira das Tabu umstößt, kehrt der Rezensent zur ,Vernunftehe’ früherer Jahrhunderte zurück. Wie praktisch! Auch diese Wirklichkeitsflucht ist eine Form, den unbequemen Realitäten aus dem Weg zu gehen.
Einen anderen Rezensenten des ,Deutschlandfunk’ stört diese Liebe ebenfalls. Er setzt das Alter von Jenjira, das oft ziemlich abwegig mit ,neun’ angegeben wird, sogar völlig absurderweise willkürlich auf ,acht’ herunter und schreibt:[22]
Der Tabubruch besteht eigentlich darin, dass der Film suggeriert, das pädophile Verhältnis sei eigentlich wahre Liebe und natürlich wechselseitig. Regisseur Glasner weiß offenbar, dass er sich auf schwierigem Gelände bewegt. Schon, dass er aus dem Mädchen eine gewiefte kleine Prostituierte macht, die mit Fachausdrücken um sich wirft und mit dem zunächst väterlichen Freund glückliche Momente vor dem Fernseher verbringt, löst einen heftigen Klischeealarm aus. Glasner will das Tabu des Schweigens über sexuell-triebhafte Liebe zu Kindern brechen und schildert seine Hauptfigur als einen sympathischen Charakter, der an seiner Liebe zerbricht, genauer gesagt an deren Unerfüllbarkeit, weil sie ein Verbrechen ist.
Schon der behauptete ,heftige Klischeealarm’ ist völlig unverständlich – offenbar gehört auch dieser Rezensent zu jenen Menschen, die sich nicht einlassen können. Ewig distanziert und stets mit ihren festen Kategorien im Kopf, vermögen sie alles immer nur von außen zu betrachten und – wiederum reflexartig – zu beurteilen. Sie können die Wirklichkeit nicht erkennen.
Dass Jenjira nur deshalb ,gewieft’ ist, weil sie brutal sexualisiert wurde, ist kein Klischee, sondern tausendfache Realität. Schon hier beweist eine solche Bemerkung, dass ,Kinderschutz’ für einen wirklich nur ein Abstraktum ist. Kinderprostitution ist dann ein Schlagwort für Sonntagsreden, aber mit ihren echten Folgen will man sich gar nicht auseinandersetzen. Und darum wird eben auch Jenjira hier zur ,gewieften kleinen Prostituierten’ gemacht, anstatt zu erkennen, was diesem Mädchen bereits angetan wurde. Ebenso fremd und fern steht es dem Rezensenten, dass Jenjira mit Chris wirklich glückliche Momente vor dem Fernseher verbringen könnte, weil sie endlich aus diesem traumatischen Milieu herausgerettet wurde und nun langsam an eine Rettung auch zu glauben wagt. Und dies ist genau jene Szene, wo sie Chris sagt, dass sie gerne in die Schule gehen möchte – und wo sie ihm im nächsten Moment zärtlich drei gelernte Vokabeln ins Ohr flüstert, die sie auch so meint: ,Ich – liebe – dich.’ Sie meint sie nicht wie ein Kind, sondern anders. Für den Rezensenten aber ist schon der friedvolle[23] Moment vor dem Fernseher ein ,Klischee’, und den nächsten Moment verschweigt er lieber ganz.
Deswegen erwähnt er im Folgenden doch nur die Liebe von Chris, bezeichnet sie als ,sexuell-triebhaft’, als ob nicht auch die Liebe unter Erwachsenen ,sexuell-triebhaft’ wäre – wo dies aber natürlich nicht betont, nicht einmal erwähnt, sondern verschämt unterschlagen wird –, und schreibt dann, Chris würde an der Unerfüllbarkeit seiner Liebe zerbrechen, weil sie ein Verbrechen sei.
Das ist eine Unwahrheit. Die Wahrheit ist: Diese Liebe gilt als Verbrechen. Das Tabu und das Dogma sehen sie als Verbrechen. In Wirklichkeit ist aber immer nur Missbrauch ein Verbrechen – und die Frage ist also, wann und wo etwas Missbrauch ist und wo dieser beginnt. Diese Frage stellt der Rezensent nicht einmal, geschweige denn, dass er sie beantworten würde oder könnte. Aber er behauptet: Die Liebe zu einem Kind ,ist’ ein Verbrechen. Dann aber müsste er auch eingestehen, dass die Liebe zwischen einem Kind und einem Erwachsenen ein Verbrechen ,ist’. Er wird dann vielleicht einwenden, dass ein Kind noch gar nichts dafür könne. Das Problem und die Wahrheit ist nur, dass ein ,Kind’, das einen Erwachsenen ebenfalls anders als ein Kind liebt, kein Kind mehr ist – sich selbst also autonom und mit vollem Recht aus seinem Status als ,Kind’ befreit hat und seinen Status selbst und eigenständig bestimmt.
Mit anderen Worten: Wo immer die Liebe zwischen einem Kind und einem Erwachsenen wechselseitig ist, kann von einem Kind keine Rede mehr sein. Das Kind selbst sprengt die Grenzen, die ihm das Dogma setzt. Gerade deshalb gilt (!) die Darstellung wechselseitiger Liebe ja als der entscheidende Tabubruch – weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Es ist unmöglich, so sagt man, dass auch das Kind den Erwachsenen über die ,kindliche Unschuld’ hinausgehend liebt. Wo aber etwas als ,unmöglich’ gilt, lässt ein einziges Gegenbeispiel das Kartenhaus des Dogmas zusammenbrechen. Deswegen darf es nicht wahr sein, dass Jenjira Chris liebt – von sich aus, aktiv, ehrlich, aufrichtig. Sie tut es. Und deswegen ist der Film allen Rezensenten ein Ärgernis.
Und es ist tatsächlich so, dass derselbe Rezensent dann auch noch schreibt:[24]
Das Unbehagen ist jedenfalls groß, wenn am Ende des Films, das Mädchen nach der Hand des Mannes sucht. Eine zärtliche Geste, wo Chris sie doch gerade in einem Verschlag eingesperrt hatte, damit es nicht zu weiteren sexuellen Handlungen kommt.
Das genau ist es, was man nicht ertragen kann – diese zärtliche Geste am Ende des Filmes. Es ist die eigentliche Hauptaussage des ganzen Filmes. Und sie lautet, aus dem Herzen des Mädchens gesprochen: ,Ich – liebe – dich.’
Niemand hat behauptet, dass Liebe rational sei – auch bei einem Kind nicht. Liebe geht über Rationalität weit hinaus. Sie ist unter Umständen treu gegen alle Vernunft. Aber Tatsache ist, dass Jenjira Chris nicht nur liebt, sondern sogar seine Verzweiflungstat versteht – und zwar versteht, weil sie ihn liebt. Für den egoistischen Mainstream-Bürger wäre hier die Liebe natürlich längst zu Ende. Nicht aber für Jenjira – nicht für jene beiden Charaktere, die der andere Rezensent ja ohnehin als ,krank’ bezeichnet hatte. Wir erinnern uns: Der Kranke und die Kinderhure. Aber gerade diese beiden sind die eigentlich Liebenden in diesem Film. Und sei es als die zwei Königskinder, die ,nicht zueinander kommen konnten’ – und warum nicht? Weil die Gesellschaft ihre Trennung fordert, und sei es um den Preis des Todes.[25]
Das Unbehagen dieser Gesellschaft ist so groß, dass sich auch dieser Rezensent, nachdem er dieses verinnerlichte Unbehagen ganz nach Schema und Vorschrift ,losgeworden’ ist – und abschließend den Filmtitel mit den Worten ,an Naivität eigentlich kaum noch zu überbieten’ verunglimpft hat –, geradezu erleichtert auf den anderen Handlungsstrang stürzt (in der Verhaltensbiologie spricht man von ,Übersprungshandlung’) und diesen wie im Kontrast gleichsam in den Himmel lobt:[26]
Dass Glasner trotzdem ein wirklich guter Regisseur ist, zeigt die zweite Geschichte, die der Film quasi parallel erzählt. Es ist die Geschichte der Kommissarin Maggie, die den rätselhaften Verlust ihres Mannes 16 Jahre zuvor konsequent im Alkoholismus ertränkt.
Die Rolle fordert Corinna Harfouch einige wirklich großartige Szenen ab und über weite Strecken hat man viel mehr Lust, noch mehr über sie zu erfahren, als weiter der hanebüchenen [...] Päderastenstory zu folgen. Grandiose darstellerische Leistungen in einem eigentlich schlechten Film können durchaus manchmal zu den Höhepunkten der Filmkunst zählen. So würde man Corinna Harfouch sofort für jeden Filmpreis vorschlagen, den durchaus talentierten Regisseur Matthias Glasner aber doch auffordern, sich aus der Sackgasse des fortgesetzten Tabubruchs in seinen Filmen zu befreien und eine neue Richtung einzuschlagen. Dass er das kann, zeigt er mit der bewegenden, berührenden und gelegentlich auch humorvollen Geschichte der Kommissarin Maggie, die das Beste an diesem Film ist.
Es wird also gleich mehrfach und ständig wiederholt darauf herumgeritten: ,großartige Szenen’, ,mehr über sie erfahren’, ,grandiose darstellerische Leistungen’, ,sofort für jeden Filmpreis vorschlagen’. Und am Ende ist die Geschichte der als Mutter völlig unfähigen, kaputten Alkoholikerin, die trotz allem noch immer Kommissarin spielt, nicht nur ,bewegend’ und ,berührend’, sondern sogar ,humorvoll’ und auf jeden Fall ,das Beste an diesem Film’.
Das Menschenbild des Rezensenten ist wirklich erschreckend. Bewegend und berührend, ja, aber darüber den Blick dafür zu verlieren, was diese Frau angerichtet hat, zeugt ebenso von Ignoranz. Denn es grenzt an Missbrauch oder ist sogar ausgesprochener seelischer Missbrauch – zwar konnte sie es nicht besser, aber das entschuldigt bekanntlich nichts. Darüber schlicht hinwegzugehen und den Charakter als konsumierender Zuschauer schließlich sogar noch als ,humorvoll’ zu bezeichnen, ist eine regelrechte Demütigung aller Protagonisten, einschließlich dieser Frau.
Aber gerade aufgrund ihres eigenen abgrundtiefen Versagens versteht sie die Liebe zwischen Chris und Jenjira am Ende tiefer als jeder andere. In der letzten Szene blickt sie kurz auf die ineinander verschränkten Hände der beiden und richtet den Blick dann wieder auf die Fahrbahn vor ihr. Als vom Leben tief Enttäuschte und Gezeichnete verzieht sie in der ganzen Szene keine Miene, gerade das ist Harfouchs große schauspielerische Leistung, und doch geschehen in diesen Momenten Welten, denn wer tiefer mitempfinden kann, erkennt: Als sie diese beiden Hände wahrnimmt, begreift sie fassungslos eine Liebe, die über ihr eigenes Verstehen hinausgeht. Und sie urteilt darüber nicht einen einzigen Moment. Vielmehr wird ihr in den darauf folgenden Momenten das Rätsel des Mysteriums Liebe durch den Kopf gehen – und dass sie selbst eine solche Liebe nie erleben durfte. Aber sie nimmt dies mit der gleichen stoischen Haltung hin, die ihr auch sonst längst zum Wesen geworden ist, trotz all ihres Selbstmitleids, über das sie in Wirklichkeit aber längst hinausgekommen ist. Man mag von Zynismus sprechen, dennoch ist sie innerlich noch lebendig genug, um ihren Gegenüber als Menschen zu begreifen – und die Liebe dieser beiden Gezeichneten als geradezu übermenschlich... Sie allein ist die schweigende Zeugin dieses gleichsam ewigen Augenblickes – und ihr eigenes Schweigen heiligt ihn gerade. Nicht ein Wort wirft sie dazwischen, nicht einmal einen weiteren Blick. Sie lässt die beiden Liebenden schlicht allein mit sich – und staunt inmitten ihrer eigenen Verhärtetheit ungläubig, dass zwischen Menschen so etwas möglich ist...[27]
In einem Interview macht Glasner dies übrigens selbst deutlich – dass die Kommissarin Chris verstehen kann, weil sie ihm so ähnlich ist. Und dann zeigt Glasner, wie sehr man rein und tief menschlich auf den Film schauen könnte:[28]
Ich habe diese Berührungsängste nicht. Für mich ist das kein Tabu. Ich sehe da genauso hin wie in alle anderen menschlichen Bereiche auch. Pädophilie ist eine Neigung, die man nicht so leicht ablegen kann. Niemand möchte sich in Kinder verlieben, weil er ja genau weiß, dass er etwas tut, was die Gesellschaft[29] in keinster Weise akzeptieren kann. Es muss schrecklich sein, diese Gefühle zu haben mit dem Wissen, dass man niemals lieben und immer einsam sein wird. Während des Drehens hatte ich überhaupt nicht das Gefühl irgendein Tabu zu brechen. Ich merke das jetzt erst an den Reaktionen auf den Film.
[...] Das liegt daran, dass ich überhaupt keine Aggressionen gegenüber den Figuren habe. [...] In diesem Film empfinde ich mit den Figuren ein sehr starkes Mitleid. Liebeskummer ist für mich selbst immer ein wichtiges Thema gewesen. [...] Ich wollte die Figuren streicheln und warm halten. Ich betrachte sie nicht distanziert und analytisch, sondern wollte ihnen wenigstens in meinem Film mit der Musik, der Kamera und der Bildgestaltung ein Umfeld bereiten, in dem sie sich aufgehoben fühlen.
Wer vom Dogma beherrscht ist, dem ist dies nicht möglich. Und zugleich behandelt er letztlich sowohl Chris als auch Jenjira als bloße Schachfiguren seiner eigenen Gefühle und Abneigungen, die er zum Gesetz für alle erheben möchte.
Das ist der Punkt: Da, wo ein wahres, richtiges Bestreben zu einem Dogma wird, erstarrt es und wird in seiner Richtigkeit nicht mehr hinterfragt. Damit aber ist selbst das ursprünglich Gute missbrauchs-anfällig.
Eine andere Kritik bringt das Anliegen von Glasners Filmen auf folgenden Nenner. Es gehe ihm um:[30]
[...] die widerstreitenden Urstände von Trieb und Vernunft, um die Tabuverordnungen einer Gesellschaft, die ihr Bestehen gegen individualistische Auswüchse abzusichern sucht.
Es geht eben nicht mehr um ,das Gute’ – sondern um die bloßen Tabuverordnungen einer Gesellschaft. Um das, was eine Gesellschaft durchsetzen will, weil sie es für am praktikabelsten hält, für, gemessen am pragmatisch Durchsetzbaren, am ,sinnvollsten’. Der einzelne Fall fiel dabei schon immer durchs Raster. Es geht nicht um Gerechtigkeit, sondern um die Durchsetzung von Recht und Ordnung. Das ist alles. Mehr wäre ein Ideal. Aber dies sich einzugestehen, muss man den Mut haben: Unserer Gesellschaft geht es nicht um den Einzelnen, sondern um ,Law and Order’ im Interesse der Gesamtheit. Über den Einzelnen muss sie regelrecht hinweggehen, wenn ,übergeordnete Interessen’ dies ,erfordern’. Und das Individuelle hat sie schon immer als ,Auswüchse’ betrachtet. Wer zu individuell ist, macht sich bereits verdächtig – zumindest in den Augen einer Gesellschaft, die durch ihre Gesetze die Kontrolle behalten will. Nicht nur den Missbrauch verhindern, sondern wirklich die Kontrolle behalten. Damit aber stellt sie sich über ihre einzelnen Bürger.
Angeblich geht es um die Zähmung der ,Triebe’ durch die ,Vernunft’ – aber das ist eine Lüge. Es ist Etikettenschwindel. Denn Chris hat seine Triebe längst selbst bezwungen – und seine Liebe ist viel stärker als seine Triebe. Und Jenjira muss keinen einzigen Augenblick Angst vor Chris haben – als sei er ein Triebtäter oder könnte es jemals werden. Aber das Gesetz nimmt darauf keine Rücksicht. Es geht nicht um die Vernunft, sondern um das Prinzip. Chris ist weitaus vernünftiger als die Kommissarin, die ihre Befindlichkeiten fast jederzeit auslebt – zum Beispiel mit Stühlen schmeißt, wie es ihr in den Sinn kommt, egal, ob andere anwesend sind. Sie hält sich an keine Konventionen der Vernunft – aber sie darf das offensichtlich. Ja man hätte gern ,noch mehr über sie erfahren’. Sich ,mal gehen zu lassen’, ist ja doch sehr menschlich, wer hat sich schon immer unter Kontrolle?
Das heißt, in Wirklichkeit herrscht ein weit verbreiteter Konsens, dass es gar nicht darum geht, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten, seine Launen, seine Befindlichkeiten – ist doch gerade ihre Unterdrückung längst als das Unmenschliche und unmenschlich Machende erkannt. Aber sobald Liebe zu einem Kind hinzukommt, wird man auf einmal schlagartig ,vernünftig’ und zieht eine Grenze, die man sich selbst sonst nie zieht – und zieht die Grenze sogar da, wo gar keine Gefahr besteht, weil der Betreffende die Grenze längst selbst gezogen hat: kein Missbrauch, nie. Aber das reicht der Gesellschaft nicht – sie will diesen Menschen verurteilen, ausstoßen, als vogelfrei sehen, als Triebtäter und Verbrecher, obwohl sie sieht, dass es nicht so ist. Es ist ihr egal. Ein Pädophiler ist ein Pädophiler, und sie hat den Begriff für sich längst definiert: Kinderschänder.
Welch eine Lüge! Welch ein fortwährendes Wegschauen, welch eine Flucht vor der Realität – nur um seine fertigen Schubladen behalten zu können!
Das Erstaunliche an allen Rezensionen ist doch, dass das Verurteilungswürdige überhaupt nicht angesprochen wird. Alle, alle halten sich bei ,dem Pädophilen’ auf, bei Chris, der ja ach so verwerflich ist in seinen Neigungen, in seiner Liebe zu Jenjira. Aber kein Wort, nicht ein einziges, über die Zuhälter, die das Mädchen auf dem Gewissen haben, rücksichtslos mit seinem Körper gehandelt haben. Kein Wort über Chris’ Kumpel, der sich bedenkenlos von dem jungen Mädchen befriedigen lässt, gegen Bezahlung. Kein Wort! Kein Wort auch über den Nachbarn, der Chris heuchlerisch nachstellt mit obszönen Krakeleien im Treppenhaus, nur um, als er endlich Zutritt zu Chris’ Wohnung hat, über das Mädchen herzufallen, diese ,Schlampe’, der er die Kleider vom Leib reißen will, um ihre Schande zu offenbaren – und seine eigene unterdrückte Lust an ihr zu stillen und sei es nur an ihrem Anblick...
Von alledem also kein Wort – bei keinem Rezensenten. Stattdessen das scheinheilige, politisch hoch korrekte Herumhacken auf dem einzigen Menschen, der den ganzen Film über auf ihrer Seite stand – auf der Seite des Mädchens, das schon so viel erleiden musste. Der ihr das Vertrauen in das Leben wiedergab. Der ihr den Glauben daran wiedergab, dass es so etwas wie echte Liebe gibt. Und bei dem sie sogar begann, wirklich zu lieben, nämlich gerade den, der vor dieser Liebe trotz allem weglief: ihn...
Die Mädchenhändler, der misshandelnde ,Freund’, der letztlich nicht besser ist als jeder andere Sextourist, und der lüstern-neidische Nachbar, der vor unterdrückten Neigungen geradezu bebt – sie alle gehen in den Dutzenden von Besprechungen ,frei aus’. So, als ob ,klar sei’, dass sie alle natürlich ,auch verurteilenswert’ seien und man dies ,ja gar nicht erwähnen’ müsse – aber hier liegt eben die ganze Heuchelei. So ist es nämlich nicht! In Wirklichkeit ist man blind dafür, guckt mit zugedrückten Augen darüber hinweg, weil man sein ganzes Unbehagen und Empören auf Chris konzentrieren möchte – die Hauptperson, um die es geht und die der Regisseur so verständnisvoll zeichnet. Das ist der Eklat! Er soll moralisch auf dem nächsten Baum aufgeknüpft werden, niemand sonst. Nur Chris stört das dogmensichere Publikum derart auf – nur gegen ihn muss man innerlich alles aufbringen, was man an Sicherheiten hat, um ihn mit all der Wucht zu verurteilen, die man gar nicht mehr zur Verfügung hätte, wenn man sich ,an Nebenschauplätzen verlieren’ würde.
Nebenschauplätze? Hehler, die ein Kind an Seele und Körper ruinieren? Ein angeblicher Freund, der dies schamlos ausnutzt? Ein Nachbar der kaum an sich halten kann?
Dies sind die Felder, wo der ,Kinderschutz’ ansetzen müsste. Die Kommissarin hat dies alles ja nicht gesehen – aber die Zuschauer und Rezensenten. Und dennoch: kein einziges Wort. Das ist der Offenbarungseid in Bezug auf die Frage, wie ernst man es mit dem ,Kinderschutz’ eigentlich meint. Es ist in Wirklichkeit nur ,Gutmenschentum’, das sich erfolgreich auf der richtigen Seite wähnt, wenn es korrekt gegen ,den Pädophilen’ gehetzt oder sich zumindest für jeden gut sichtbar vor diesem geekelt und dies auch ausgesprochen hat. Auch im Blätterwald geht es eigentlich nur noch um die Politik der richtigen Gesten. Man schreibt, was erwartet wird. Und man empfindet natürlich auch so. Zu einem Kinderschützer ist man dadurch noch lange nicht geworden.
Und man wird auch nie verstehen, warum Jenjira Chris auch liebt... Aber warum sollte man auch, wenn man diese Tatsache ja ohnehin leugnet?[31]
Der Heuchelei der Erwachsenen möchte man eine Passage aus den Erinnerungen von Vicki Baum entgegenhalten:[32]
Mit zwölf Jahren ist man eine Kaulquappe. Man hat noch Kiemen und einen kleinen Schwanz, aber gleichzeitig Arme und Beine. Ein Teil ist noch Kind, und andere Teile sind bereits ganz erwachsen. Es ist ein ungestümes Alter [...]; so viel gibt es abzuwerfen, so viel aufzunehmen und zu verarbeiten, so vieles, was noch verschleiert und dunkel ist, und anderes, was einem fast unerträglich hell und scharf konturiert erscheint. Mit surrealistischer Klarheit sieht man zunächst die Erwachsenen, ihre Ungerechtigkeit, ihre Bigotterie; für was halten sie sich, dass sie sich so anmaßend benehmen? Aufgeblasene Narren, voller Falschheit, Betrug und Humbug. [...] Wozu diese superkolossale Verschwörung? Um dich – das Kind – für dumm zu verkaufen? Lächerlich, unverständlich!
Für was halten sie sich... Schon ein zwölfjähriges Mädchen kann reifer sein als all diese Heuchler zusammen.
Fußnoten
[1] Wikipedia: This Is Love (Film).
[2] Etwas nochmals anderes ist ,freiwillige Prostitution’, wie es sie etwa in der Siedlung Baan Nua gab, wo es teilweise langjährige ,Beziehungen’ zwischen Mädchen und ausländischen Männern gab und die Mädchen sich weigerten, sich als ,missbraucht’ zu definieren, vielmehr betonten, dass der ,Freund’ ihnen und ihrer Familie sehr half. Heather Montgomery (2011): Defining child trafficking & child prostitution: The case of Thailand. Seattle Journal for Social Justice, 9(2), 775-811, dann 2012 in Thailand Law Journal 15(1), Kapitel IV: An ethnographic study of child prostitution in Baan Nua. thailawforum.com. • Bezeichnenderweise ist im Zusammenhang mit Kinderprostitution selten die Rede davon, dass die reichsten Länder der Erde durch ihre gewalttätige Wirtschaftsmacht noch immer dafür verantwortlich sind, dass ganze Weltregionen in Armut gehalten werden. Der Kapitalismus in seinen Strukturen ist reinste Vergewaltigung – und so treibt er Millionen von Mädchen und ihre Familien in die Armut und hält sie dort.
[3] Die Schauspielerin wird mit zwei Namen genannt: Duyen Pham bzw. Lisa Nguyen. • Zu Beginn der Dreharbeiten war sie elf Jahre alt. "This is Love": Das Leiden an einer illegalen Liebe. www.evangelisch.de, 19.11.2009. • Ihre Ausstrahlung ist genau jenes Grenzalter, wo die Parthenophilie beginnt. Siehe unter anderem das Bild auf www.filmstarts.de, Duyen Pham, und das erste und vierte Bild auf www.tvspielfilm.de, Lisa Nguyen.
[4] Matthias Glasner erklärt die Wunden der Liebe. www.moviepilot.de, 16.11.2009.
[5] Andrea Hünniger: Abgrund des Begehrens. DIE ZEIT 48/2009, ZEIT.de, 19.11.2009.
[6] Ganz abgesehen von der Heuchelei, dass es bereits ach so viel ,Mut’ erfordere, sich auch nur dem Film (,ihnen auf der Leinwand’) zu stellen! Der verachtenswerte Pflichttribut an das allgegenwärtige Dogma – und zugleich die subtile Selbstaufwertung, dass man es geschafft habe, den Film anzuschauen! Letztlich sind all diese Phrasen so unglaublich erbärmlich... • Der wirkliche Mut begänne da, wo es nicht mehr nur um die Leinwand geht – sondern man sich den ,Geistern der Liebe’ im realen Leben stellen würde: der realen Anziehung eines zwölfjährigen Mädchens auf die eigene Seele... Diesen Mut wird man in den meisten Seelen vergeblich suchen. Und es ist ach so einfach, zu behaupten, dass ,da nichts ist’...
[7] Blutend am Boden liegend bringt er dann heraus: ,Gib sie weg, Chris. Gib sie weg.’ Es ist also denkbar, dass er Chris nur beweisen wollte, dass sie ,eine Nutte’ ist und seine Beziehung zu ihr keine Zukunft haben würde.
[8] So Regisseur Glasner selbst: ,Zum Beispiel Chris: Nachdem es zwischen ihm und dem Mädchen zu einem sexuellen Akt kommt, lässt er sie zurück. Obwohl er das Mädchen liebt, will er, dass sie stirbt, weil er es einfach nicht aushält, dass es diese Grenzüberschreitung gegeben hat.’ "This is love". www.dw.com, 22.11.2019.
[9] This Is Love. www.ruhr-guide.de, ohne Autor oder Datum.
[10] Bert Rebhandl: Das Verhängnis genießen. taz.de, 18.11.2009.
[11] Daniel Kothenschulte: Zum Verzweifeln. Frankfurter Rundschau, 18.11.2009.
[12] Man beachte die geradezu aufgeregt-hysterisch wirkende Doppelung des Wortes ,scheinheilig’, zudem das merkwürdige Auftauchen des Wortes ,distanziert’. Denn Glasners Film ist alles andere als distanziert, siehe auch seine eigenen Aussagen dazu weiter unten. Distanziert und sich distanzierend sind allein die vielen Rezensionen dieser Art.
[13] Ebd.
[14] Auch dies ist schlicht falsch. Erstens ging es nicht um ,Vietnam’, sondern nur um das Zuhälter-Milieu, und zweitens hat Glasner zu diesem Thema lange recherchiert und war auch längere Zeit in Vietnam und Kambodscha, hat auch viel mit betroffenen Mädchen gesprochen. Siehe: Matthias Glasner erklärt die Wunden der Liebe. www.moviepilot.de, 16.11.2009 & "This is Love": Das Leiden an einer illegalen Liebe. www.evangelisch.de, 19.11.2009.
[15] Sie ist keineswegs überfordert, sondern spielt diese Rolle unglaublich authentisch und glaubhaft.
[16] Ja, und insbesondere die Lieblosigkeit des Rezensenten treibt einen zur Verzweiflung.
[17],Ich wollte einen Film machen darüber, welches Leid und welche Schmerzen die Liebe einem zufügen kann, wie sehr sie manchmal Leben zerstört. Ich habe das Gefühl, dass Menschen durch die Liebe mehr Unglück als Glück erfahren. Liebe – und vor allem der Wunsch nach der „ewigen Liebe“ – ist auch ein Fluch. Und dieser Wunsch, zu lieben und geliebt zu werden ist mehr Bürde als Freude. Schließlich ist Liebeskummer der Hauptgrund dafür, dass Menschen sich das Leben nehmen. [...] Es geht vor allem um die dunkle Seite der Liebe, darum ist der Titel ein wenig provokativ. Den Satz so hinzustellen und damit zu sagen: Meiner Meinung nach ist DAS Liebe! Liebe ist Schmerz, Leiden, Einsamkeit.’
[18] Matthias Heine: Die Liebe, dieses wahrhaft seltsame Spiel. Welt.de, 18.11.2009.
[19] Ebd.
[20] Eltern achten darauf oft überhaupt nicht. Egal, was das Kind möchte, tun sie schlicht, was sie für ,das Richtige’ und ,gut für das Kind’ halten. So arrogant könnte der wahrhaft Pädophile niemals sein! So wie ein Liebender sich niemals über die Geliebte und ihre Empfindungen und Wünsche hinwegsetzen würde, ja könnte. Es ist ihm schlicht nicht möglich. • Das bedeutet, dass Pädophile, die Kinder einfach manipulieren, keinerlei Liebe haben, sondern Getriebene sind, buchstäblich ,Trieb-Täter’. Chris ist nun gerade das Gegenteil dessen. Er würde niemals irgendeine Empfindung von Jenjira verletzen. Damit steht er in seiner Liebe noch weit über den ,Standard-Eltern’ heutiger Konvention.
[21] Zwar ist Jenjira nur eine ,Kinderhure’, aber eigentlich verdient sie unsere ganze Sympathie, denn sie ist ja ,Kind’, also per Definition das, auf dessen Seite wir uns stellen müssen. Und Chris ist natürlich der ,Kranke’, und deswegen müssen wir eigentlich auch mit ihm Mitleid haben, aber gleichzeitig ist er der ,Pädophile’, also müssen wir ihn natürlich verabscheuen, und deswegen meinen wir das ,krank’ auch sehr, sehr ernst, und Mitleid haben wir nicht wirklich – eben nur mit Jenjira, auch wenn wir sie soeben noch ,Kinderhure’ nannten... • Das Lavieren mit diesen abstrakten Begriffen ist einfach nur verachtenswert, denn mit genau dieser Haltung interessiert man sich für die Wirklichkeit kein bisschen. Andererseits kann sie einem auch leidtun, denn Menschen, die derart abstrakt ,denken’, sind weder mit sich selbst noch mit der Wirklichkeit in irgendeiner echten Berührung. Sie können nur entlang fest vorgegebener Schablonen denken, das hat aber mit irgendeinem Miterleben von Wirklichkeit nicht das Geringste zu tun.
[22] Josef Schnelle: Tabubruch Pädophilie. Deutschlandfunk, 19.11.2009.
[23] Denn darum geht es: Der Moment ist so glücklich, weil er so friedvoll ist. Dem Rezensenten steht dies so fern wie die vorherige Traumatisierung. Deswegen wird ihm beides zum Klischee – aber damit offenbart er nur seine Ignoranz, seine Erlebens-Unfähigkeit.
[24] Josef Schnelle: Tabubruch Pädophilie. Deutschlandfunk, 19.11.2009, auch für das folgende Zitat.
[25] Daher kann auch Glasner den Film nur drehen, indem er Chris in einen Totschlag verwickelt und beide auf diese Weise dauerhaft getrennt werden werden, zumindest, soweit wir den weiteren Verlauf überblicken können.
[26] Auch dieses Phänomen kennt man zur Genüge: Kaum hat man sich in einer Situation eines ,lästigen Zeitgenossen’ entledigt oder ihn angegriffen, gedemütigt oder sonstwie ausgestoßen, sucht man auffallend affektiert und betont den Schulterschluss mit allen übrigen Menschen, die einem sonst auch nicht unbedingt sonderlich viel bedeuten, jetzt aber essenziell wichtig sind, um sich rückzuversichern und die eigene Handlung innerlich zu bestätigen.
[27] So ist tatsächlich die Geschichte der Kommissarin das (Zweit-)Beste an diesem Film, weil diese eigene tragische Geschichte es möglich macht, dass ein Mensch da ist, der die beiden Hauptprotagonisten verstehen kann – und da, wo es über alles Verstehen hinausgeht, ohne jedes Urteil sein lassen kann, was sie sind: Liebende.
[28]"This is Love": Das Leiden an einer illegalen Liebe. www.evangelisch.de, 19.11.2009.
[29] Das ist der Punkt: die Gesellschaft. Nicht die Liebe selbst ist schlecht, die Gesellschaft definiert sie so. Und sie verurteilt nicht erst irgendwelche Handlungen, sie verurteilt bereits die Liebe selbst.
[30] Birgit Glombitza: Kritik zu This is Love. www.epd-film.de, 1.11.2009.
[31] Wenn man Jenjira ihre Liebe unbedingt nehmen will, aber dennoch behauptet, es gehe einem wirklich um das Kind, so sollte man sich einmal fragen, was mit Jenjira geschehen wäre, wenn sie Chris nicht begegnet wäre...
[32] Vicki Baum (1962): Es war alles ganz anders. Erinnerungen. Köln 2018, o. S. • Baum ist 1888 in Wien geboren.