8
Ein schöner Mädchenleib – Pornografie?
Wenden wir uns nun den harten Paragrafen zu. Worum geht es in Deutschland laut Gesetz?
Zunächst durchbrachen die sechziger Jahre mit ihrem auf allen Ebenen befreienden Impetus die bis dahin geltende Enge, Heuchelei, Doppelmoral und moralisierende Kontrolle des Obrigkeitsstaates, der seinerseits meinte, die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft zu vertreten – oder sogar erst ,erziehen’ zu müssen, wie es dann auch das Nazi-Regime in allergrößtem Stil getan hatte. Die Große Strafrechtsreform beendete ihrem ganzen Ansatz nach die alte, reaktionäre Auffassung, der Staat müsse vorgeben, was die ,Moral’ ,seiner’ Bürger zu sein habe.
Auch was die Sexualität betraf – und eben gerade hier –, hörte der Staat auf, ,in die Wohnzimmer hineinzuregieren’. So wurde Pornografie und ihr Konsum die Privatsache jedes Einzelnen. Das 4. Strafrechtsreformgesetz von 1973 beendete das wilhelminische Verbot ,unzüchtiger Schriften’.[1] Pornografie im eigentlichen Sinne[2] unterlag nur noch wenigen Beschränkungen: Sie durfte nicht Minderjährigen zugänglich gemacht werden und keinen sexuellen Missbrauch von Kindern darstellen. Bloßer Besitz (selbst solcher Darstellungen) war in keiner Weise strafbar.
Mit dem Aufkommen des Internet und seiner Verbreitungsmöglichkeiten änderte sich dies. 1993 wurde auch der Besitz realer Missbrauchsdarstellungen strafbar, 1997 ebenso ,wirklichkeitsnah’ dargestellter Kindesmissbrauch. Das alles war noch bedingungslos nachvollziehbar und notwendig.
2008 aber erfolgte dann wie bereits erwähnt auch in Deutschland jener große Sprung, wonach ,Kinderpornografie’ nun die Darstellung jeder sexuellen Handlung von, an oder vor Kindern war – und dies schon die ,aufreizende Zurschaustellung’ einschloss. Ferner wurde nun sogar ,Jugendpornografie’ als eigener Tatbestand definiert und kriminalisiert.
Die Konsequenz war – die erneute Entmündigung der eigenen Bürger, sowohl Erwachsener als auch der Jugendlichen selbst. Denn auch der Jugendliche selbst war strafbar, wenn er ,Pornografie’ produzierte! Schauen wir uns die Wiederkehr des Verbots ,unzüchtiger Abbildungen’ genauer an:[3]
§ 184c Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Schriften
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. eine jugendpornographische Schrift verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht; jugendpornographisch ist eine pornographische Schrift (§ 11 Absatz 3),[4] wenn sie zum Gegenstand hat:
a) sexuelle Handlungen von, an oder vor einer vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Person oder
b) die Wiedergabe einer ganz oder teilweise unbekleideten vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Person in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung,[5]
2. es unternimmt, einer anderen Person den Besitz an einer jugendpornographischen Schrift, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, zu verschaffen,
3. eine jugendpornographische Schrift, die ein tatsächliches Geschehen wiedergibt, herstellt oder
4. eine jugendpornographische Schrift herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diese Schrift ein- oder auszuführen, um sie oder aus ihr gewonnene Stücke im Sinne der Nummer 1 oder 2 oder des § 184d Absatz 1 Satz 1 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen, soweit die Tat nicht nach Nummer 3 mit Strafe bedroht ist.
(2) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, und gibt die Schrift in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1, 2 und 4 ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wieder, so ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
(3) Wer es unternimmt, sich den Besitz an einer jugendpornographischen Schrift, die ein tatsächliches Geschehen wiedergibt, zu verschaffen, oder wer eine solche Schrift besitzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(4) Absatz 1 Nummer 3, auch in Verbindung mit Absatz 5, und Absatz 3 sind nicht anzuwenden auf Handlungen von Personen in Bezug auf solche jugendpornographischen Schriften, die sie ausschließlich zum persönlichen Gebrauch mit Einwilligung der dargestellten Personen hergestellt haben.
(5) Der Versuch ist strafbar; dies gilt nicht für Taten nach Absatz 1 Nummer 2 und 4 sowie Absatz 3.
(6) § 184b Absatz 5 und 6 gilt entsprechend.
Man sieht – die Regelungen werden immer länger... Außerdem sind sie so ,juristisch’ verfasst, dass der gewöhnliche Mensch sie kaum noch wirklich in ihrem exakten Sinn und vollständigen Umfang verstehen kann, oft überhaupt nur noch ganz oberflächlich erfasst, worum es ungefähr geht.
Zunächst die Strafen: Besitz von ,Jugendpornografie’ wird mit Geldstrafe oder bis zu zwei Jahren, Verbreitung mit bis zu drei Jahren Haft bestraft. Diese Strafen sind im Gegensatz zu jenen in den USA noch sehr ,moderat’ – dort war die Mindeststrafe fünf Jahre Haft. Hierzulande droht dies als Höchststrafe bei gewerbs- oder gruppenmäßigem Handeln. Allein schon diese Unterschiede zeigen, wie sehr Paranoia, Beliebigkeit und Willkür hier mitspielen.
Dann die Definition: Als ,Jugendpornografie’ gilt entsprechend dem Jugendalter einer Person von vierzehn bis siebzehn jede pornografische Schrift mit der Darstellung
- einer sexuellen Handlung von, an oder vor ihr
- von ihr in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung.
Das Verbreiten ist generell strafbar, der Besitz (oder das Verschaffen für einen Dritten) nur bei einem tatsächlichen oder wirklichkeitsnahen Geschehen, das Herstellen nur bei einem tatsächlichen Geschehen. Oder umgekehrt gesagt: Bei einem tatsächlichen Geschehen (reale Handlungen) ist schon das Herstellen strafbar, bei einem wirklichkeitsnahen Geschehen (Simulation) auch der Besitz, bei allem anderen nur die Verbreitung. – Das heißt: Bei der Verbreitung muss es nicht einmal wirklichkeitsnah sein. Es betrifft also selbst Zeichnungen, Malereien, Skulpturen oder Texte. Auch ist insbesondere hier schon der Versuch strafbar.
Dieser moralistische Wahnsinn ist nicht einmal durch die EU-Richtlinie gedeckt, die eben genau an diesem Punkt fiktiver Darstellungen Ausnahmen der nationalen Gesetzgebung erlaubt hätte.
Nicht anzuwenden ist das Herstellungs- und Besitzverbot auf Fotos etc., die mit Einwilligung der dargestellten Person nur zum persönlichen Gebrauch entstanden. Das Nacktfoto der Freundin darf also durchaus sogar pornografisch sein, wenn es nicht weiterverbreitet wird. Es ist aber nur ein ,gnädiger Ausnahmeabsatz’. Und der Freund muss es von ihr gemacht haben. Hat sie es von sich gemacht und ihm geschenkt, hat sie sich laut dem Buchstaben des Gesetzes sehr wohl bereits der ,Verbreitung’ strafbar gemacht – und er sich dann der Entgegennahme und des Besitzes![6]
In Bezug auf Kinder unter vierzehn (§ 184b)[7] ist seit 2015 noch ein drittes Element als pornografisch eingestuft:
die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes [...]
Der einschlägige ,Münchener Kommentar’ sagt hier bezüglich ,sexueller Handlungen’ von Kindern, durchaus auch auf Jugendliche übertragbar:[8]
Erforderlich für Handlungen von Kindern ist, daß ein Tun des Kindes vorliegt. Ein solches kann [...] auch darin liegen, daß das Kind ohne Berührungen des eigenen Körpers aktiv unnatürliche Körperhaltungen einnimmt (z.B. seine Beine spreizt), die die Genitalien oder das Gesäß betonen (sog. Posing). [...] Nacktheit ist keine zwingende Voraussetzung, wenn durch die Art der Gestaltung (die Art der Posen verbunden mit z.B. aufreizender Bekleidung und Accessoires) die unnatürliche Geschlechtsbezogenheit eindeutig zum Ausdruck kommt. [...] Es muß in der Schrift nicht der Bewegungsablauf wiedergegeben werden, sondern es genügt, daß das Ergebnis, die unnatürliche, sexualisierte Körperstellung, zu sehen ist.
Es genügt ein ,Tun’ ohne Bewegung, weil es schon ,getan’ wurde; es genügt Kleidung ohne Nacktheit... Einmal mehr wird hier zum einen deutlich, wie die Sexualität von Kindern – und damit kann auch ein dreizehnjähriges Mädchen gemeint sein – völlig dämonisiert wird, in einem erbarmungslosen Zangengriff einer Definitionsmanie, die um jeden Preis das Unzulässige in Buchstaben meißeln und mit extremen Strafen belegen will.
Und zweitens, nun auch auf Jugendliche mit bezogen, dass die Grenze zwischen Pornografie und Erotik völlig verwischt und vernichtet wird. Ist Erotik etwa nicht sexuell erregend? Wo bleibt der Raum für die Erotik, wenn die ,Pornografie’-Definition alles überschwemmt und sich selbst in einer ,pornografischen Pose’ über alles ausbreitet? Nicht die erotische Pose ist pornografisch, sondern die Definition ihres angeblichen Pornografischseins ist pervers und obszön.[9]
Auch Posing kann extrem erotisch sein, ohne pornografisch zu sein. Erotik muss nicht nur reizvoll sein – sie kann durchaus auch aufreizend sein, ohne vulgär zu werden. All diese Unterschiede versteht der Gesetzgeber nicht – weil er nicht verstehen will, sondern unterdrücken. Er will das aufreizende, sexuell betonte, durchaus von Lebens- und auch Verführungslust erfüllte Posing unterdrücken, das nichts Verwerfliches ist, sondern nur ein Spiel mit der Erotik.
Das zu begreifen, ist die Aufgabe einer Sexualreform und auch einer sexuellen Revolution der Zukunft.
*
Immerhin ist nicht jedes erotische Posing unmittelbar verboten. Denn zu beachten ist die unscheinbare Formulierung:
[...] jugendpornographisch ist eine pornographische Schrift, wenn…
Es steht dort nicht ,jugendpornografisch ist eine Schrift, wenn’, sondern: ,...ist eine pornografische Schrift, wenn’. Die Schrift muss also nicht nur die gekennzeichneten jugendsexuellen Inhalte haben, sondern sie muss auch in ihrer Gänze überhaupt erst einmal an sich pornografisch sein.
Es ist also durchaus möglich, dass eine Schrift gar keinen pornografischen (Gesamt-)Charakter hat, aber jugendsexuelle Inhalte, wie sie der obige Paragraf aufzählt – dann hätte sie zwar diese genannten Kennzeichen, fiele aber überhaupt nicht unter den Paragrafen, weil sie eben keine pornografische Schrift ist. Es könnte sich zum Beispiel um ein bildliches Kunstwerk oder einen Roman handeln, der gewisse pornografische Stellen, darunter auch mit Jugendlichen, hat. Wenn dies nur Elemente bleiben, ist nicht unbedingt die ganze Schrift pornografisch.
*
Bevor wir dies an einem Fall erläutern, wollen wir die Diskussion rund um die gravierenden Gesetzesänderungen des Jahres 2008 verfolgen, die aufgrund des EU-Rahmenbeschluss von 2003 erfolgten.[10]
Am 18. Juni 2007 fand zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eine Anhörung von Strafrechtlern statt.[11]
Finke wies auf die bisherige Schwierigkeit hin, nachzuweisen, dass eine dargestellte Person tatsächlich unter vierzehn Jahre alt ist[2] – und dass ,Posing’ zwar bis 2006 auch als ,Kindesmissbrauch’ zählte, dann aber ein gegenteiliges BGH-Urteil erging.[3][12]
Graupner betonte, dass Jugendliche – die ja teilweise bereits sogar schon wahl- und heiratsberechtigt sind – nicht nur geschützt werden müssen, sondern auch das grundlegende Menschenrecht auf sexuelle Selbstbestimmung haben.[5f][13] Die EU habe mit ihrem Rahmenbeschluss ihre Kompetenzen überschritten, die nur im Bereich organisierter Kriminalität liegen.[7][14] Die Kriminalisierung von Jugendsexualität konterkariere durch Bindung von Ressourcen (Überlastung der Strafverfolgungsbehörden) massiv den Kampf gegen den wirklichen Kindesmissbrauch.[7]
Hörnle übte scharfe Kritik an der Gleichsetzung von Kindern und Jugendlichen sowie kinder- und jugendpornografischer Schriften,[8f][15] ferner am Einschluss fiktionaler Darstellungen auch bei letzteren,[9] zumal der EU-Rahmenbeschluss selbst nur bildliche Darstellungen echter oder realistisch dargestellter Kinder erfasst und für letztere sogar andere als strafrechtliche Sanktionen erlaubt sind.[9f][16] Außerdem können Darstellungen ,Scheinjugendlicher’ generell sowie mündiger Jugendlicher oder virtueller Kinder für den persönlichen Gebrauch als Straftatbestand ausgenommen werden.[17] Hörnle widerspricht Finke, dass ein Posing-Foto nunmehr wiederum als ,Handlung’ gelte,[11] und betonte generell den Irrsinn einer Kriminalisierung zahlloser Bürger aufgrund von ,Jugendpornografie’.[10][18]
Jeßberg verwies auf diverse fragwürdige Verschärfungen des § 182 (sexueller Missbrauch von Jugendlichen).[12f]
Kühl kritisierte die Ausweitung des Strafrechts, da laut Subsidiaritätsprinzip gewissenhaft geprüft werden müsste, ob auch weniger scharfe Sanktionen möglich und ausreichend wären (Ordnungswidrigkeiten, Gewaltschutzgesetz im Zivilrecht).[15] Ferner sei es verfassungsrechtlich bedenklich, Jugendliche auch da noch zu ,schützen’, wo sie dies selbst können.[15] Und es sei auf allen Ebenen eine stärkere Individualisierung des Strafrechts nötig.[16][19]
Renzikowski erwähnte den ,Zeltlagerparagrafen’ § 180 Abs. 1 (Vorschubleisten sexueller Kontakte unter sechzehn) als ,völlig überholt’.[18] Außerdem kritisierte er völlig zu Recht, dass die Rechtsunsicherheit die Gewaltenteilung und die wirkliche Aufgabe des Gesetzgebers untergrabe.[35][20]
Thiee kritisierte die Ausweitung der ,Jugendpornografie’, da hier ,der Unrechtsgehalt schwer zu erkennen sein wird’ und auch die Wirkung von ,Pornografie’ wissenschaftlich noch gar nicht festgestellt sei. Auch er kritisierte die fortwährende Zunahme des Instruments ,Strafrecht’ ohne empirische Grundlage – und dass nur Strafrechtler angehört würden, während bei den großen Strafrechtsreformen der 70er Jahre Sachverständige vieler verschiedener Gebiete gehört wurden.
Wehowsky vertrat schon damals die These, bei Kindern sei jegliche Darstellung sexueller Handlungen Pornografie, und wies auf die Frage hin, ob dies in Bezug auf Jugendliche künftig auch so ausgelegt würde.[21f] Auch er sieht die drohende (kontraproduktive) Mehrbelastung der Strafverfolgungsbehörden.[22]
Graupner thematisierte die Tatsache, dass im Vorfeld des EU-Rahmenbeschlusses gerade Deutschland bis zuletzt für differenzierte Altersgrenzen kämpfte – und sich dann doch vom US-Strafrecht ,breitschlagen’ ließ:[28f]
Warum dann letzten Endes die Bundesregierung nachgegeben hat und sich hat breitschlagen lassen, kann ich nicht nachvollziehen. Aber Deutschland war das Land, das wirklich bis zuletzt die Differenzierung der Altersgruppen, die [...] vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich vorgeschrieben ist, auch auf europäischer Ebene durchgesetzt haben wollte. Und ganz am Anfang der Beratungen wurde Deutschland auch von etwa der Hälfte der Mitgliedsstaaten unterstützt. Das waren einige Mitgliedstaaten, die hier eingetreten sind, z. B. für eine Altersgrenze von 16 Jahren – dann wären viele Probleme entschärft. Man hat sich hier wohl unter dem Eindruck der öffentlichen Diskussion und um sich nicht den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, sexuelle Ausbeutung von Kindern nicht stark genug zu bekämpfen, dazu hinreißen lassen, die überbordenden Bestimmungen zu schaffen. Es sei auch daran erinnert, dass die Bestimmungen zur Pornografie wortwörtlich, wirklich wortwörtlich aus dem amerikanischen Bundesstrafgesetzbuch übernommen sind.
Österreich habe den Rahmenbeschluss dann so restriktiv wie möglich umgesetzt, und auch sonst sei das Strafrecht zur Jugendsexualität milder als Deutschland:[29-32]
Österreich hat [...] von allen Ausnahmen Gebrauch gemacht, die der Rahmenbeschluss letzten Endes nach massiver Kritik – weltweiter, insbesondere auch aus dem deutschsprachigen Bereich kommender sexualwissenschaftlicher Kritik – zuließ. [...] Der Rahmenbeschluss bezieht sich ausschließlich auf bildliche Darstellungen. [...] Ich erachte es als grobes Unrecht und als eindeutige Verfassungs- und Grundrechtsverletzung, jemanden dafür zu bestrafen, dass er in einem Tagebuch, wenn auch pornografisch, seine sexuelle Beziehung zu seiner 17-jährigen, voll entwickelten Freundin festhält, die er sogar heiraten könnte. [...] Österreich beschränkt auf [...] wirklichkeitsnahe bildliche Darstellungen. Alles, was nicht wirklichkeitsnah und bildlich ist, ist nicht tatbestandsmäßig. Das fällt in Österreich unter das Pornografiegesetz. Das heißt, alle kommerzielle Verbreitung dieser Dinge – auch Texte, auch nichtwirklichkeitsnahe Bilder – ist strafbar, aber nicht das, was nicht kommerziell ist. [...] Auch wir haben die Grenze von 14 Jahren. [...] Darstellungen nackter Personen, wenn sie auch reißerisch erotisch sind, oder auch von sexuellen Handlungen, die ja in unseren beiden Ländern legale Handlungen bei über 14-Jährigen sind, sind nicht tatbestandsmäßig, wenn sie nicht [...] verzerrt pornografisch sind. Damit möchte man die Fälle aus dem Tatbestand herausnehmen, in denen etwa Jugendliche oder Erwachsene z.B. über Internetbörsen – es gibt ja auch ein Grundrecht, mit Erwachsenen sexuelle Kontakte einvernehmlich einzugehen – zum Kennenlernen aufreizende erotische Bilder verschicken und dadurch vielleicht sich oder den Partner strafbar machen. Das ist in Österreich ausgeschlossen und das wollte man auch ausschließen [...]. [...][21]
[...] Wir haben [...] keine vergleichbare Bestimmung für § 180 Abs. 1 StGB (Förderung sexueller Handlung Minderjähriger), also Förderung völlig legaler Handlungen. Gab es in Österreich nicht. Haben wir nicht. Wird auch nicht gefordert. Findet niemand notwendig.
[...] In Österreich ist ein Zungenkuss nie eine sexuelle Handlung. [...] Sexuelle Handlungen sind Kontakte mit den Genitalien [...].
Im Juni 2008 gab der Rechtsausschuss dann eine Beschlussempfehlung und einen Bericht.[22] Insbesondere die Fraktion DIE LINKE kritisierte in Übereinstimmung mit den angehörten Strafrechtlern die fehlende Kompetenz der EU, die Kriminalisierung von Jugendsexualität und die Erfassung von ,Schriften’, also etwa auch Literatur.[23]
Aufgrund der Beschlüsse des Ausschusses wurden dann immerhin überhaupt getrennte Paragrafen für Kinder- und für Jugendpornografie geschaffen.[24]
Dennoch – der Kriminalisierung der Darstellung des jugendlichen Körpers als ,Pornografie’ ist selbst ein Tabubruch nach der lange zuvor erfolgten Entkriminalisierung von Pornografie überhaupt. Auch die Juristin Monika Frommel schrieb seinerzeit:[25]
Im amerikanischen und skandinavischen Kulturkreis scheint es mittlerweile fast selbstverständlich zu sein, dass auch das sog. Sexting verboten werden sollte. Für die europäische Tradition ist eine solche Kontrollpolitik hingegen selbst ein Tabubruch, da ein Darstellungsverbot jugendlicher Sexualität kein klassisches Rechtsgut betrifft, sondern allenfalls ein Problem des Datenschutzes ist. Dann sollte diese Materie aber im Bundesdatenschutzgesetz geregelt werden und nicht als ein (2008 neu eingefügter) § 184c StGB.[26]
Und schärfer noch:
Sexuelle Handlungen von und mit Jugendlichen sind grundsätzlich kein Missbrauch und werden es auch nicht automatisch dadurch, dass sie vor einer Kamera statt finden.
Die neue Regelung errichte ein ,Darstellungsverbot von Handlungen, die Grundrechtsausübung sind’. Das ,Terrain der jugendschützenden Kontrollpolitik’:[132]
[...] gibt bisweilen Moralisierung[27] als Jugendschutz aus und spinnt ein feinmaschiges Netz der präventiven, möglichst freiwilligen und von Gremien beschlossenen Kontrollen, die nichts anderes tun, als eine je herrschende Sozialethik formulieren.
*
Doch was bedeutet die gewaltige Ausdehnung des ,Pornografie’-Begriffes nun wirklich? Wir wollen dies an einem recht eklatanten Fall jetzt einmal genau durchgehen.
Von dem Maler Balthus (1908-2001) gibt es ein Bild mit dem Titel ,Die Gitarrenstunde’. Prof. Scheffler vom Lehrstuhl für Strafrecht der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder hat diesen ,Fall’ untersucht.[28]
Das Bild zeigt ein etwa zwölfjähriges Mädchen mit entblößtem Unterkörper rücklings über dem Knie der Gitarrenlehrerin – eine Szene zwischen Gewalt und Lust.[29] Das Bild war bisher nur ein einziges Mal in ganz Europa zu sehen – 2001 in Venedig.[46] Davor hing es einmal 1977 in der Galerie Pierre Matisse in New York.[20] Der Kunstkritiker Robert Hughes nannte es bewundernd ,eines der wenigen Meisterwerke unter der erotischen Malerei westlicher Künstler der letzten fünfzig Jahre.’[14][30] Balthus selbst schreibt während der Vorbereitung:[19f][31]
Es handelt sich um eine erotische Szene. Aber versteh mich recht, sie hat nichts Belustigendes, nichts von jenen üblichen kleinen, schmutzigen Gemeinheiten, die man sich heimlich zeigt und einander dabei verschwörerisch mit den Ellenbogen anstößt. Nein, ich will in aller Öffentlichkeit, mit Wahrhaftigkeit und Gefühl die gesamte packende Tragik der Dramen des Fleisches verkünden, ich will die unerschütterlichen Gesetze des Instinkts laut herausrufen. Und so der Kunst ihren leidenschaftlichen Gehalt wiedergeben. Tod den Scheinheiligen!
[...] eine junge Frau hat einem kleinen Mädchen eine Gitarrenstunde gegeben, und danach spielt sie weiter Gitarre auf dem Mädchen. Nachdem sie die Saiten des Instruments zum Erklingen gebracht hat, bringt sie einen Körper zum Erklingen [...].
Heute würde man also sagen: eine pädophil-missbrauchende Szene!
Wie prüde die westliche Welt wieder geworden ist, zeigt sich an vielem. Der New Yorker TV-Sender ,Fox 5’ pixelte sogar das 2015 für 180 Millionen Dollar verkaufte Picasso-Bild ,Die Frauen von Algier’.[21][32]
Prof. Scheffler stellt nun aber in Bezug auf Balthus’ Nacktbilder junger Mädchen►5 schlicht und zweifelsfrei fest:[34]
Viele [...] Gemälde junger Mädchen von Balthus sind – bis auf die Tatsache der Nacktheit – ganz „normale“ Porträts, strafrechtlich unter dem Blickwinkel der Kinderpornographie von vornherein völlig irrelevant: Sie zeigen [...] weder „sexuelle Handlungen“ , noch eine „unnatürlich geschlechtsbetonte Körperhaltung“ , noch die „sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes“ .[33]
Die bei Kindern in § 184b als drittes ,pornografisches’ Element genannte ,sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes’ ist auch erst eine Folge der Gesetzesänderung von 2015.[35][34]
Die ,Gesäßformel’ wiederum war eine Folge des Skandals um den SPD-Politiker Sebastian Edathy. Anfang 2014 wurde bekannt, dass er in früheren Jahren bei dem kanadischen Onlineversand ,Azov Films’[35] ,FKK’-Videos und Fotos minderjähriger Jungen bestellt hatte, die keine sexuellen Handlungen zeigten, sondern einfach nur des öfteren nackt waren, tobten, spielten, sich darstellten. Der Oberstaatsanwaltschaft teilte mit, die Bilder würden sich ,im Grenzbereich zu dem, was Justiz unter Kinderpornografie versteht’, bewegen.[36]
Sofort entbrannte ein Shitstorm, der in Morddrohungen gipfelte. Fast alle Parteien wollten die Strafvorschriften sofort ausweiten[37] – was zeigt, dass die alten Kategorien des ,Obszönen’ und die Verurteilung alles ,Abweichenden’ noch immer virulent in den Köpfen herrschten. Als Edathy sein Tun ,bereute’, wurde das Strafverfahren gegen eine Zahlung von 5.000 Euro vom Landgericht Verden am 2. März 2015 eingestellt.[37]
Bereits früher waren wir der ,Lex Heinze’ begegnet, ein Gesetz vom Juni 1900, das auf persönliche Initiative des Kaisers ganz im Sinne konservativer Kreise in den Reichstag eingebracht worden war und innerhalb dessen ein sogenannter ,Schaufensterparagraph’ das öffentliche Ausstellen oder Anschlagen von Schriften verbieten sollte, die, auch ,ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen’.
Ungezählte Intellektuelle und Künstler protestierten. Es erschienen reihenweise Karikaturen in den damaligen Satirezeitschriften – eine etwa zeigte ein hässliches Schwein, das vor einer antiken Statue mit ebenmäßigen Brüsten hockte, mit dem Untertitel: ,Pfui Teufel. Wie kann man so ohne Borsten herumlaufen?’[38] In der Endfassung des Gesetzes wurde dann ,nur’ der mit bis zu 600 Mark oder bis zu sechs Monaten Haft bestraft, der solche Schriften ,einer Person unter sechzehn Jahren gegen Entgelt überläßt oder anbietet’.[39]
Die Karikatur ist sehr treffend – denn das Intolerante, Scheinheilige, das sich als moralische Instanz aufspielt und Nacktheit oder auch eine Lust an der Nacktheit – oder auch die Lust überhaupt – verbieten will, wie ein Inquisitor, ist innerlich gerade hässlich, um nicht zu sagen, das eigentliche Schwein. Die gehässigen, subtil sadistischen Strafen gegen alles, was anders ist, ist die hässlich-sexuelle Komponente der heuchlerischen Intoleranz.
Und so dichtete Otto Reutter, ein Klassiker des deutschen Varietés, schon 1900:[39][39]
Wer jetzt realistisch dichtet,
wird bestraft, wenn er nicht schweigt –
jeder Maler wird vernichtet,
wenn er uns die Eva zeigt.
Früher formte die Skulptur
nach natura die Figur.
Die Modelle ebenfalls
waren barfuß – bis zum Hals!
Selbst ein Storch – wie unvernünftig! –
Kam mit nackten Kindern an.
Nun erwägt man, ob man künftig
sowas nicht verhindern kann.
Und Prof. Scheffler schreibt, heute sei es nun also das ,sexuell Aufreizende’, das ins Gesetz gelangt sei,[40]
[...] nicht zuletzt deshalb, weil diesmal die mahnenden Stimmen vor allem der Künstler und Intellektuellen anders als damals kaum zu vernehmen waren.
Und warum wohl? Weil eine inzwischen schon jahrzehntelange Konditionierung auf den ,Kinderschutz mit allen Mitteln’ ein Klima der Angst und des allgemeinen Gehorsams erzeugt hat, das noch viel machtvoller wirkt als das Zensur-Klima der wilhelminischen Zeit. Gegen den Kaiser und seine reaktionären ,Schergen’ konnte man sich auflehnen – doch niemand möchte als ,Pädophiler’ dastehen, denn dann verfolgt ihn die gesamte Volksmeinung, dann bekommt er Todesdrohungen von seinesgleichen! Und so kann die eigentlich reaktionäre Strömung, die mit diesen Gefühlen gekonnt spielt, immer weitere Beschränkungen des Sagbaren und Zeigbaren durchsetzen. Jede Erotik von Kindern und Jugendlichen soll im Grunde ausgelöscht werden – das ist das bleibende Ziel dieses Impulses.
Was ich hier betonen will, ist, dass es gar nicht darum geht, ein ,echter’ Pädophiler zu sein, erst recht nicht ein solcher, der Kinder tatsächlich missbrauchen würde, weil er gar nicht merkt, wo der wirkliche Missbrauch anfängt (so, wie der Gesetzgeber gar nicht merkt, wo der Missbrauch noch überhaupt nicht anfängt) – sondern es geht darum, dass man ein ,normaler’ – im Sinne von: ,durchschnittlicher’ – Mensch sein kann und trotzdem im einen oder anderen Fall etwas Erotisches beim Anblick bestimmter Kinder empfinden kann, oder gar etwas Erotisches beim Anblick eines lange dem Kindsein entwachsenen bestimmten Mädchens. Es geht darum, dass dies nicht etwas Schlechtes und Böses und Verurteilenswertes ist, sondern etwas Schönes, etwas das Leben Bereicherndes und Vertiefendes.
Es geht darum, dass Eros etwas Heiliges ist – und dass selbst da das Unheilige nicht betreten wird, wo man an einem bestimmten erotischen Anblick oder Wesen – das zumindest in diesem Moment erotisch ist –, vielleicht sogar eine Lust empfindet. Ein Begehren, einen sexuellen Liebesimpuls. Das ist nicht im Geringsten etwas Schlimmes. Es ist die Offenbarung des Lebens selbst. Es ist die Offenbarung der Tatsache, dass das Erblickte schön ist, unglaublich schön, erregend schön, begehrenswert. Und dies ist selbst etwas unglaublich Schönes. Dass ein Menschenwesen ein anderes Menschenwesen lieben, begehren, schön finden kann.
Und es sind – bildlich, aber auch innerlich-wirklich – häss-liche Borstenschweine, die diese Empfindungen per Gesetz unterdrücken, verbieten und ausrotten wollen. Diese Menschen sind die Nachkommen des Puritanismus – Menschen, die das Leben selbst verneinen, die nicht alle seine Formen zulassen können. Formen, in denen kein Mensch zu Schaden kommt. Denn wer ein Mädchen begehrt, wird ihr noch immer nichts tun.
Man ist kein Verbrecher, bloß weil man begehrt – im Gegenteil. Vielleicht aber werden manche zum Verbrecher, die in einer Kultur aufwachsen, in der das Begehren fortwährend unterdrückt und verboten wird. Jeder normale Mensch aber lernt, mit seinem Begehren umzugehen. Und insofern Begehren gerade Liebe ist, wird gerade der Begehrende nie ein Verbrecher. Dies wird immer nur der, für den das Begehrte schlicht und einfach austauschbar ist – weil er eigentlich nur ein Ziel für seinen Trieb sucht. Ein solcher Verbrecher braucht aber auch keine Fotos oder Filme, sondern einfach nur ein Opfer.
Erotische Fotos sind kein Verbrechen und machen niemanden zum Verbrecher – sie können Menschen sogar von Verbrechen abhalten, weil sie neben der Sehnsucht nach Schönheit auch eine sexuelle Sehnsucht befriedigen, ohne dass es irgendeinen Kontakt braucht.
Gesetze haben nicht Erotik oder das Aufreizende zu verbieten, sondern Übergriffe. Das ist der Unterschied zwischen einer Moraldiktatur und einem Rechtsstaat.
Dass dies offensichtlich ist, könnte jeder Blick wohin auch immer während der Sommermonate zeigen. Es ist auch nicht Aufgabe des Staates, knappe Höschen und aufreizende Blusen zu verbieten – er tut dies weder gegenüber den Bekleidungsgeschäften noch gegenüber realen Menschen, die diese aufreizende Kleidung tragen. Wie kommt er dann dazu, es gegenüber Abbildungen zu tun?
Bloß, weil dann die Kleidung fehlt und es die Schamregion selbst ist, die aufreizend erscheint, ,zur Schau gestellt’ wird? Und was wird in knappen Höschen und halb offenen Blusen zur Schau gestellt? Etwa nicht die Schamregion – obwohl noch leidlich bekleidet?
Woher kommt diese heuchlerische Scham und Abscheu gegenüber dem Nackten und seiner – ja, auch aufreizenden – Darstellung? Die Schamregion ist aufreizend – und sie darf es sein. Alles andere ist wilhelminisches Zeitalter, ist reaktionäres Kaisertum.
Damals ließ man Originalgemälde gerade noch so gelten, verbot aber schon Reproduktionen, da diese als Massenware bereits die Sittlichkeit des Volkes untergraben würden:[40][40]
[...] verkennt nicht, dass es Kunstwerke geben kann, die, in einem Museum oder in einer Ausstellung zur Schau gestellt, trotz ihres sinnlichen Gehaltes das Schamgefühl nicht verletzen, während Reproduktionen derselben den Charakter des Unzüchtigen haben können. ... Hier handelt es sich um eine Massenproduktion von Ansichtspostkarten, die in den Schaufenstern ... ausgestellt und für geringen Preis jedem Beliebigen – mithin nicht nur solchen, von denen das Urteil annimmt, daß ihnen „ein Einblick in die französische Kunst gewährt werden sollte“ – verkauft werden.
Zur ,französischen Kunst’ war also nur der zugelassen, der mit einer abgetöteten Sinnlichkeit interessiert die Bildkomposition zu studieren vermochte – nicht der, der einfach nur darüber staunte, wie es eine so schöne Frau geben konnte, und begann, sie einfach nur aufgrund der meisterhaften Darstellung zu begehren, sogar noch auf der Postkarte. Das war nicht erlaubt, denn dazu war ,Kunst’ nicht gedacht. Nein?
Sind nicht die größten Kunstwerke entstanden, weil der Künstler auch vor Begehren, vor Liebe, vor Fülle an Sinnlichkeit brannte? Und ist die allergrößte Krankheit der heutigen ,Kunstbetrachtung’ nicht gerade die, dass sie im Grunde gar nichts mehr begreift, weil sie – die Leidenschaft nicht mehr kennt? Und ist diese Leidenschaft nicht gerade dasjenige, was am allermeisten abgetötet wird in unserer gesamten Kultur? Im Bildungswesen? In der Wissenschaft? Im akademischen Betrieb? In der Politik? In der Gesetzgebung? In der Regelung noch des kleinsten und des intimsten Bereiches im Leben? Ist nicht das Fehlen der Leidenschaft überall das Problem?
Die Aufgabe der Gesetzgebung ist es nicht, das Leben zu regeln. Es ist nicht einmal ihre Aufgabe, das Verhalten zu regeln. Ihre einzige Aufgabe ist es, ein einem anderen Menschen schadendes Verhalten zu bestrafen.
Das geregelte Leben stirbt, es ist kein Leben mehr. Das Leben muss sich selbst regeln – und wird dies tun, wenn schädigendes Verhalten bestraft wird.
Es ist kein schädigendes Verhalten, ein Mädchen schön zu finden. Ebensowenig, es zu begehren. Noch nicht einmal, es anzufassen – es sei denn, das Mädchen möchte dies nicht (was vielleicht die Regel ist, wie beim Erwachsenen auch). Der Staat hat weder zu regeln, was man schön findet, noch, was man begehrt, noch, wen man anfasst. Er hat nur zu regeln, dass bestraft wird, was jemand anders nicht möchte.
Erotik und selbst Pornografie hat der Staat nicht zu regeln, solange niemand existiert, der sich dazu äußert, ob er etwas nicht möchte. Er hat aufzudecken, wo jemand ausgenutzt, gegen seinen Willen festgehalten, fotografiert, gefilmt oder was auch immer wird. Aber er hat nicht einen ganzen Bereich von Darstellungen zu diskriminieren und zu kriminalisieren, nur weil in diesem Bereich ungewünschte Dinge möglich sind. Denn dann würde er auch zahllose Darstellungen kriminalisieren (und tut das ja auch!), wo definitiv kein einziger Wille verletzt wurde – und wo nur der Staat den Willen des Einzelnen verletzt, nämlich den, nicht moralisch überwacht, nicht bestraft, nicht ins Gefängnis geworfen, nicht diskrimiert zu werden. Der Staat hat kein Moralwächter zu sein! Er hat Kinder und Jugendliche, sofern sie sich noch nicht selbst schützen können, anders zu schützen und nicht, indem er zum Polizisten gegen sämtliche Bürger wird.
Kehren wir nun wieder zu dem Maler Balthus zurück, so hat er mehrere Mädchenbilder gemalt, auf denen Mädchen durchaus in ,aufreizender’ und bisweilen sogar ,unnatürlich erscheindender’ Weise ihre Beine leicht spreizen, wodurch eigentlich jedesmal (auch) ihre Genitalregion ,zur Schau gestellt’ wird – ganz abgesehen von ihrer übrigen ,aufreizenden’ Nacktheit.
Charakteristisch an Balthus Bildern ist aber, dass sie immer auch eine Komposition sind – sie zeigen die Mädchen in einem Raum, der nicht beliebig ist, sondern Umgebung, Ambiente, ihr Zimmer, ihr Bett... Zweitens reizen die Mädchen keineswegs selbst – sie sind in anderen Handlungen begriffen, liegen manchmal einfach nur da. Manchmal kann man ihre Körperhaltungen als ,lasziv’ bezeichnen, weil schon die unbeobachtete schöne Nacktheit allein ganz schnell lasziv ,wirkt’, gerade weil die Mädchen sich unbeobachtet fühlen. Sie posieren also gerade nicht.
In Wirklichkeit strahlt jedes Bild eine mehr oder weniger große Unschuld aus. Die Mädchen sind einfach, was sie sind – Mädchen. Und ihre Schönheit kann teilweise so groß sein, wie sie manchmal bei Mädchen ist. Ein Mädchen ist in all seiner jugendlichen Nacktheit verwirrend schön...
Das also sind Balthus’ Bilder – sie zeigen die Schönheit des Mädchens, bis hin zu einer scheinbar ,aufreizenden’ Deutlichkeit. Die aber doch nichts anderes als Unschuld ist und bleibt, weil die Nacktheit das Natürlichste ist, was es gibt. Dass sie auch das (auch sexuell) Anziehendste ist – insofern sie reine Schönheit ist –, gibt ihr dieses Aufreizende.
Das Aufreizende entsteht durch das Sexuelle der Schönheit, denn es ist die Schönheit der Nacktheit. Es entsteht durch die Schönheit des Sexuellen, denn es ist natürliche Schönheit. Hier ist nichts zu verurteilen oder zu verdammen, denn wer es täte, wäre unempfindsam für die Schönheit, für die Anziehung, für die Schönheit der Anziehung und für die Anziehung des Schönen...
Der Moralapostel verurteilt alles, weil er nichts empfindet. Nichts als nur sein eigenes Verurteilen. Er verdrängt aktiv und doch zugleich ganz unbewusst dasjenige, was eigentlich reine Schönheit sehen könnte. Er verdrängt aber zugleich das, was Begehren sein könnte – und werden möchte. Nur gibt es ein Begehren, das ebenso schön ist wie die Schönheit des Mädchens, ebenso unschuldig wie sie, nicht ,böser’ oder dunkler oder schmutziger als das Mädchen selbst.
Wir erinnern uns an die Uranfänge der Kultur – an ihre weiblichen Anfänge und an das, was Wilhelm Reich über die zarte, keusche Sinnlichkeit schrieb.►3
Sofern das Begehren nach einem jungen, unschuldigen Mädchen schmutzig ist, hat es dies der patriarchalischen Kultur zu verdanken. Daran ändern auch noch so viele Gesetze und Verbote nichts. Diese können es höchstens noch schmutziger machen. Aber das Begehren nach einem bestimmten jungen Mädchen – und sogar im allgemeinen – ist nicht schmutzig, nicht falsch, nicht unmoralisch. Es ist natürlich. So natürlich wie das Mädchen selbst.
In Bezug auf die gemalten Bilder von Balthus stellt Prof. Scheffler nun fest:[45]
Es stellt sich grundsätzlich die Frage, inwieweit Gemälde oder Zeichnungen, die von einer (foto-)realistischen Darstellungsweise abweichen, selbst dann, wenn sie Geschlechtsorgane oder Gesäße auffällig zur Schau stellen, überhaupt geeignet sind, das Tatbestandsmerkmal der „sexuell aufreizenden Wiedergabe“ auszufüllen.
Seit 2015 gibt es aber als zweites ,Pornografie-Merkmal’ eben auch die ,ganz oder teilweise unbekleidete’ Wiedergabe ,in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung’ – was aber, worauf Scheffler aufmerksam macht, auch zuvor schon im Jugendschutzrecht existierte.[41] Es durfte also im Fernsehen oder in Jugendlichen zugänglichen Medien schon vorher kein einziges Kind oder Jugendlicher in diesen Haltungen zu sehen sein.
Das ist interessant. Es galt bis dahin eben gerade nicht ausdrücklich als pornografisch – aber als ,jugendgefährdend’! Es galt auch nicht als ,unzüchtig’, sondern – als jugendgefährdend. Mit anderen Worten: Die Jugend war vor allem, was mit dem Geschlechtlichen, Sexuellen zu tun hatte, zu schützen – so sehr, dass im Fernsehen keinerlei Momente auftauchen durften, wo auch nur für Sekunden diese Haltung eingenommen wurde.
Im Grundgesetz steht, eine Zensur finde nicht statt. Hier findet sie eben doch statt. Und dieser Punkt steht im ,Jugendmedienschutz-Staatsvertrag’ neben anderen Verboten wie denen volksverhetzender, unmenschliche Gewalttaten verharmlosender oder Krieg verherrlichender Darstellungen.
Bei diesem Punkt muss man wirklich einmal innehalten, so unfassbar ist er. Neben brutalsten Aufhetzungen steht hier also das Verbot ,unnatürlich geschlechtsbetonter Pose’ – als ob die Geschlechtlichkeit an sich schon unnatürlich wäre! Oder als ob es unnatürlich wäre, sie manchmal zu betonen.
Die entlarvende Formulierung offenbart nur eines: die Perversität dieses ,Staatsvertrages’ selbst. Denn es gibt nur eines, was unnatürlich ist: zu glauben, ein Jugendlicher würde nie eine solche Pose einnehmen. Oder, obwohl man weiß, dass es so ist, es dennoch zu zensieren und über viele Jahrzehnte aus dem Fernsehen fernzuhalten, zu eliminieren, zu unterdrücken.
Was hier geschah, war eine Lüge. Es war die Schaffung eines lügenhaften Bildes der Wirklichkeit, das völlig unnatürlich ausschloss, was zur Natur der Jugend ganz und gar dazugehört, nämlich manchmal geschlechtsbetonte Posen einzunehmen!
Unnatürlich ist hier nur eines: die moralin-betonte Haltung der Autoren dieser Zensur. Es ist eine Zensur, die durch ihre Praxis in die Köpfe hämmert, dass ,unnatürlich’ sei, was völlig ,natürlich’ wäre, wenn es in den Medien nicht fortwährend unterdrückt würde. Klammheimlich. Per ,Staatsvertrag’. Ohne dass irgendjemand darüber redet.
Nicht die Sexualität der Jugendlichen ist unnatürlich, nicht ihr teilweise unglaublich aufreizendes Posing – sondern die Zensur ist es. Es ist eine Adenauersche Sexualfeindlichkeit, die ihresgleichen sucht – und die, versteckt im Mief eines ,Jugendmedienschutz-Staatsvertrages’, die Jahrzehnte überdauert hat, um nun, in dem ganz neuen, durch Jahrzehnte in den Köpfen vorbereiteten Kleid der sogenannten ,Kinder- und Jugendpornografie’ mit noch viel größerer Macht ans Licht zu treten.
Im Zeitalter des angeblichen ,Kindesmissbrauchs’ – der Jahr für Jahr immer mehr zurückgegangen ist[42] – und im Zeitalter der ,Internet-Kinderpornografie-Ringe’, über die aber nie irgendwelche genauen Zahlen genannt werden und die nur einen unendlich kleinen Promillebereich der Bevölkerung betreffen – wird genau dieses Totschlagargument wie eine Riesenkeule hervorgeholt und verschwören sich die hier, im ,Kinderschutz’, aktiven Mächte, eine Zensur durchzusetzen, die das Kind kaum schützen wird, die aber das gesamte Leben mit ihrer Zensur durchsetzt, durchdringt.
Der ,Erfolg’ dieser Zensur, dieser Dimension von Zensur, die so in gewisser Form noch nie dagewesen war, ist nur scheinbar der Schutz des Kindes. In Wirklichkeit ist sie eine tiefe Kontrolle der Sexualität überhaupt. In Wirklichkeit ist es die Schaffung eines Klimas der Angst, der Verbote, des Gehorsams. Und die Vernichtung der Erotik, der Empfindung überhaupt, des Natürlichen – letztlich die Vernichtung der ,zarten Sinnlichkeit’ selbst.
Denn wo die Mauer zwischen Jugend und Erwachsenenalter aufgerichtet wird, haushoch, wo sogar die natürliche, zweifelsfrei vorhandene Sexualität der Jugend derart massiv unterdrückt wird, dass sie nicht einmal in Momentaufnahmen im Fernsehen sichtbar werden kann, wo also ein völlig illusionäres Bild der Wirklichkeit geschaffen wird (während Morde und andere Brutalitäten im allabendlichen Krimi fröhlich weitergehen können), da entsteht der synthetische Mensch.
Es entsteht wirklich der synthetische, sterile Mensch, der perfekte Untertan. Der, der morgens zur Arbeit geht und abends wiederkommt, um zu schlafen und morgens wieder zur Arbeit zu gehen. Der nichts empfindet, wenn er einmal einem Jugendlichen begegnen sollte. Der auch nie in Kontakt mit ihm kommen wird. Der auch nie von dessen Zukunftsfragen oder Sorgen erfahren wird. Denn die Mauer ist aufgerichtet – die Mauer zwischen Jugend und Erwachsenenalter. Die Gesellschaft ist in der Mitte gespalten – und genau das ist ihr Tod.
Man wird dies gar nicht begreifen, denn das Eigentliche ist unglaublich schwer erlebbar zu machen – und wer es nicht erlebt, ist bereits in der Schiene gefangen, die vorgegeben ist. Es geht nicht darum, dass man ,auch so’ mit der Jugend in Kontakt und Begegnung kommen und sich für ihre Fragen interessieren könnte. Es geht um die eben skizzierte Mauer.
,Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten’. So sagte es Walter Ulbricht am 15. Juni 1961. Kurz darauf war die Mauer gebaut. Ebenso ist es heute. Auch jetzt verkünden alle, dass niemand die Absicht habe, eine Mauer zu errichten – aber genau das geschieht.
Denn die Begegnung zwischen Jugend und Erwachsenenalter braucht auch das Lebenselement der Erotik. Nicht in jeder Begegnung, aber als Grundelement, das nicht zensiert, nicht verboten, nicht kriminalisiert werden darf.
Wir sind eine sexualfeindliche Gesellschaft geworden, die den Kontakt zwischen Jugend und Erwachsenenalter schon da verbietet und beargwöhnt, wo noch gar nichts vorgefallen ist (Anfangsverdacht, Pädophilieverdacht, ,da kann doch was nicht stimmen’ etc.).
Aber der Eros ist das Grundelement von Begegnung überhaupt! Er ist auch das Grundelement von Pädagogik (pädagogischer Eros) – was nicht heißt, dass ein Lehrer einem Mädchen auf die Brust starrt oder sogar dahin greift![43] Was ich zum Ausdruck bringen will, geht viel, viel tiefer als solche Art von Begierde – aber es wird erstickt, weil die ganze Diskussion, der gesellschaftliche Diskurs bereits völlig abgeglitten ist – und die traurigen Missbrauchsfälle selbst missbraucht werden, um in einer nie dagewesenen Hysterie das Tor zwischen den Generationen völlig zu schließen.
Man kann nun fragen: Warum brauchst du so unbedingt ,unnatürlich geschlechtsbetonte Posen’? Aber dann hätte man noch immer nichts begriffen – denn darum geht es nicht. Es geht um ihre Zensur. Umgekehrt muss gefragt werden: Warum braucht ihr unbedingt deren Zensur? Und dann kommt gleich der ganze Schwall: Weil wir die Jugend schützen müssen. Weil überall Pädophile rumlaufen. Weil die Sexringe jeden Tag größer werden. Es wird wie ein Reflex heruntergebetet. Die Köpfe sind bereits imprägniert damit.
Und genau so musste auch der Orwellsche Big Brother nur jedem Einzelnen einimpfen, dass das Verbrechen ,da draußen’ lauert (man denke wieder an Hoovers Armeen) – und schon war jede Maßnahme legitimiert, die völlige Überwachung, jede Art von Zensur. Der Mensch wurde zum braven Staatsbürger, perfekt manipulierbar. Man gab ihm die Grenzen vor – er hielt sie ein. Eine Ameise.
Es geht nicht um den Grenzbereich zwischen Erotik und Pornografie, es geht um die Frage der Zensur – denn sie bezeichnet die Grenze der Demokratie. Die Pornografie muss deshalb frei sein, damit die Demokratie nicht zu einer Diktatur wird. Das klingt wie Irrsinn, ist es aber nicht. Denn, noch einmal: geschlechtsbetonte Haltungen sind für die Jugend manchmal das Natürlichste, was es gibt. Hier das Verbot anzusetzen, bricht zentral ein in das, was die Jugend ist – sie ist in ihrem Wesen unendlich frei und in ihrer Sexualität teilweise weit entwickelt.
Deswegen wird genau an diesem Punkt der Jugend, der Begegnung der Generationen und der Demokratie das Rückgrat gebrochen. Man glaube es oder nicht – es ist so. Es geht nicht darum, ob man mit der Jugend Sex haben möchte – es geht darum, ob hier die Freiheit leben darf. Die Freiheit der Begegnung, die Freiheit der Darstellung, die Freiheit überhaupt. Nicht die Freiheit, alles zu tun – aber die Freiheit, all das zu tun, was die übrigen Gesetze nicht verbieten.
Man denke einmal daran, wie verkrampft selbst die Familienmitglieder einander nach den Wahnprozessen in den USA begegneten. Die Begegnung selbst nahestehendster Menschen war völlig pathologisch geworden – nicht die kleinste Berührung, nicht die kleinste Zuneigung wurde mehr gewagt.
Aber: Diese Pathologisierung durchzieht heute die gesamte Gesellschaft. Und sie beginnt da, wo man zum Beispiel als Lehrer schon ein komisches Gefühl bekommt, wenn man unversehens mit einem Mädchen allein im Raum ist. ,Moment mal, ich muss mich absichern, ich mach die Tür auf, ja?’ Ich mag übertreiben, aber es geht um das Prinzip. Es geht um die schleichende, aber völlige Vergiftung von etwas, was das Lebenselement von Begegnung sein müsste: eine tiefe Natürlichkeit. Eine tiefe Unschuld. Sie gerade ist verlorengegangen – und wurde verboten. Nicht durch die Gesetze selbst, sondern in den Köpfen – durch die Gesetze.
Man hat selbst schon Angst, ein ,halber Pädophiler’ zu sein, wenn man die Tür nicht auflässt oder wenn man ein Mädchen mag oder wenn man aus Versehen mit der Hand an seine Schulter gekommen ist. – Ich versuche, Vergleiche zu finden, etwas erlebbar zu machen, was nicht mit einzelnen Beispielen zu tun hat, sondern mit dem gesamten Denken, Fühlen und Wahrnehmen, dem ganzen Lebensgefühl, dem Gesamtklima einer Gesellschaft und des Einzelnen.
Hysterie ist krasse Übersensibilisierung, die einen innerlich pathologisch und verrückt werden lässt. Und genau das passiert. Wir sind so übersensibilisiert wie das Kaninchen vor der Schlange. Wir wollen, dass keine einzige Vergewaltigung mehr passiert – und vergewaltigen fortwährend uns selbst. Wir als Gesellschaft. Ein vergewaltigtes Mädchen steht unter einem Trauma. Und unsere Gesellschaft tut es längst auch. Wir handeln traumatisiert. Wir sind nicht mehr wir selbst. Wir haben unsere Natürlichkeit verloren – und die Natürlichkeit gegenüber dem anderen, spätestens dann, wenn er jung ist – und spätestens dann, wenn wir ihn mögen, vielleicht mehr als andere.
Die Begegnung zwischen Jugend und Erwachsenenalter ist nicht mehr frei. Aber sie ist das Wichtigste, was eine Gesellschaft hat. Wenn diese beiden, Jugend und Erwachsenenalter, einander nicht mehr begegnen dürfen – dann hat eine Gesellschaft ihr Todesurteil unterschrieben.
Diese Begegnung muss frei sein. Nicht ungeschützt. Jeder Mensch einer Gemeinschaft, wie sie auch ein Staatswesen ist, muss in jedem Moment durch das Gesetz vor Gewalt und Übergriffen und allem, was er sonst wesentlich nicht möchte, geschützt sein. Aber hier ist die Grenze, wo der Staat Halt machen muss und die individuelle Begegnung beginnt, die ein Staatswesen nicht mehr regulieren kann, wenn es nicht selbst übergriffig werden will – der ,große Bruder’, der es buchstäblich gut meint und doch alles falsch macht, wenn er nicht irgendwann aufhört, seine kleine Schwester zu überwachen.
Der generelle Missbrauchsverdacht, die generelle Verdächtigung des einzelnen Menschen – ist das tödlichste, was eine Gesellschaft freisetzen kann. Es ist wie Kinderlähmung, wie Wundstarrkrampf. Meistens tödlich, zuerst schleichend.
*
Die ,unnatürlich geschlechtsbetonte Körperhaltung’ ist also selbst bekleidet verboten. Hier kommt es auf das bloße ,Posing’ an, das offenbar bereits in sich ,aufreizend’ ist. Und obwohl im Gesetzestext ausdrücklich von ,ganz oder teilweise unbekleidet’ die Rede ist, ist die Rechtssprechung an den Gerichten teilweise auch darüber schon hinausgegangen und bestraft durchaus auch völlige Bekleidung, wenn sie zu viele Elemente einer offenbar nur den Erwachsenen vorbehaltenen Erotik enthält, als ,Pornografie’:[46][44]
Nicht erforderlich ist, dass die minderjährige Person nackt oder auch nur teilweise entkleidet dargestellt wird, wenn sich schon allein aus der Körperhaltung oder eingenommenen Pose die unnatürliche Geschlechtsbetontheit ergibt. Erfasst werden mit Blick auf den Schutzzweck unter Umständen auch Abbildungen von Kindern und Jugendlichen in Reizwäsche, übermäßiger Schminke oder sonstigen aufreizenden Bekleidungen ...
Man lerne also als gehorsamer Staatsbürger die Grundregel: Was bei Erwachsenen erotisch ist, ist bei Jugendlichen pornografisch und daher vielleicht sogar Missbrauch. Das Einverständnis des Jugendlichen ist dabei völlig irrelevant.
Scheffler fährt fort, dass dies nicht nur für Acessoires, sondern eben auch für das Verhalten gilt:[45f]
Marc Liesching ergänzte in seiner Kommentierung, eine Unnatürlichkeit der Körperhaltung liege vor, wenn das Verhalten der „Erwachsenenerotik zuzuordnen“ sei: „Dies kann im Einzelfall auch bei Formaten wie der ‚Mini-Playback-Show’ der Fall sein, wenn Kinder aufreizende Choreographien aufführen.“
Gleiches mag dann übrigens gelten, wenn (weibliche) Kinder in den sogenannten Ästhetiksportarten auftreten, in denen es – wie schon die dort vorgeschriebene oder zumindest übliche Sportkleidung indiziert – durchaus auf weiblich-erotische, nicht kindliche Körperpräsentation[45] ankommt – besonders etwa Eiskunstlaufen, Rhythmische Sportgymnastik. Liesching betonte ausdrücklich, schon allein aus der Körperhaltung oder eingenommenen Pose wie dem „Spreizen der Beine“ könne sich die „unnatürliche Geschlechtsbetontheit“ ergeben.[46]
Er bringt einige Fotos von diesen Kinder-Playbackshows und auch von kindlichen Eisläuferinnen und Kunstturnerinnen im Alter von meist zehn bis zwölf Jahren, die beweisen, wie anziehend und unschuldig-erotisch Mädchen in diesem Alter sein können. Dies zu leugnen – oder gar als (tendenziell) ,pornografisch’ zu bezeichnen, zu verurteilen und gegebenenfalls zu verbieten, ist geradezu blasphemisch – eine Sünde gegenüber einer, man kann sagen überirdischen Schönheit.
In einer Fußnote ist darauf hingewiesen, dass die spätere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ein Verbot der auch sonst sehr geschmähten ,Mini-Playback-Show’ forderte, da sie dazu animiere, ,in Kindern Sexualobjekte’ zu sehen.[47] Die Frage wäre: Animieren dann auch alle Frauen die Männer dazu, wenn sie sich entsprechend kleiden? Kein Mensch animiert einen anderen, in einem ein Objekt zu sehen – und kein Mensch muss in einem anderen ein Objekt sehen, bloß weil er seine natürliche Erotik unterstreicht oder seine natürliche Schönheit erotisiert. Immer bleiben Menschen Subjekte. Sie werden nur anziehender, weil Eros die Anziehung ist.
Eines ist es, dass unsere ganze Kultur immer sexualisierter wird. Ein anderes ist es, dass, wenn ein Kind, das längst nicht mehr nur ganz Kind ist, seine zarte, unschuldige Erotik betont – dass dies dann zugleich fast eine Heilung dieser sexualisierten Gesellschaft sein kann, denn es zeigt, wie zart, wie rein etwas sein kann, wenn es nicht allein um den Sex geht, ja sogar noch überhaupt nicht. Die Erotik der Kinder ist umwerfend – gerade weil sie so völlig anders als die der Erwachsenen ist. Sie offenbaren, wie unschuldig Erotik wieder werden könnte – wenn man es nur zuließe.
Der zweite Teil der Fußnote betrifft das Musikvideo ,Elastic Heart’ der Sängerin Sia, das Anfang 2015 geradezu als ,pädophil’ verdammt wurde. In ihm tanzt die zwölfjährige, blonde Maddie Ziegler mit einem achtundzwanzigjährigen, bärtigen, etwas dunkelhäutigen, nur mit einer Unterhose bekleideten Mann in einem runden Käfig. Das Mädchen trägt auch nur einen fast hautfarbenen Gymnastikanzug.[47]
Die beiden nähern sich an, entfernen sich wieder, balgen sich, manche Szenen scheinen gefährlich, dann wieder liebevoll. Das Ganze wirkt an vielen Stellen außerordentlich erotisch, gerade weil man ,weiß’ bzw. ,gelernt’ hat, dass all das ,nicht sein darf’. Und doch sieht man, wie zärtlich, wie vorsichtig der Mann mit ihr umgeht, während sie mit ihm fast alles machen darf. Es ist im Grunde ein unglaublich schönes Bild einer Beziehung zwischen Mann und Mädchen. Erotisch und zart zugleich, niemals Grenzen überschreitend.
Am Ende will das Mädchen, das mühelos zwischen den Gittern hindurchschlüpfen kann, auch den Mann daraus befreien – aber es scheitert. Was für ein Wahrbild! Der Mann ist in unserer Gesellschaft gefangen. Er darf dem Mädchen nicht in die Freiheit folgen, in die es ihn so gerne mitnehmen möchte...
Scheffler weist auf einen Artikel hin,[47] der sich in seinem Urteil scharf und moralisch über das Video hermacht:[47]
Darf ein 12-jähriges Mädchen fast nackt auf einem erwachsenen Mann herumturnen? Ja, Maddie Ziegler darf das und Shia LaBeouf dachte sich sicher nichts Schlimmes dabei, doch das Musikvideo zu Sias Song "Elastic Heart" überschreitet moralische Grenzen.
Doch auch wenn man dem Video seine beeindruckende Bildästhetik nicht absprechen kann, die Darsteller tänzerisch und schauspielerisch glänzen: Mann und Mädchen sollen sich nicht balgen. Das musste auch die 39-jährige Sia lernen.
"Ich habe mit einigen 'Pädophilie!!!'-Schreien bezüglich des Videos gerechnet", gestand Sia via Twitter. "Alles, was ich sagen kann, ist, dass Maddie und Shia zwei der wenigen Darsteller sind, von denen ich das Gefühl hatte, sie könnten diese zwei sich bekriegenden 'Sias' spielen." [...]
Das Problem: [...] Sia ist keine Mutter [...]. Und sie ist kein Pädophiler, der sich vom frechen Spiel des Mädchens herausgefordert fühlen könnte. [...]
Eine der Mütter [...] bezeichnete Maddies Auftritt im Sia-Video gegenüber dem Portal "TMZ" als "abscheulich". Sie habe sich beim Anschauen beinahe übergeben.
Es ging also eigentlich um eine poetische Darstellung der eigenen Innenwelt einer Seele – um den Kampf ihrer Anteile, wobei der sanftere, kindlichere siegt und harmonisiert. Das ändert nichts an meiner eigenen Aussage: Auch in der Beziehung zwischen Mann und Mädchen wäre es in jedem Fall, der nicht übergriffig wird, immer das Mädchen, das die Führung übernimmt, weil der Mann ihr diese Führung gibt. Einem Mann zu unterstellen, dass er ein Mädchen ausnutzt, bloß weil er ein Mann ist, ist infam. Jeder Mann, der ein Mädchen liebt, wird wissen, wie sehr er ihr die Führung übergeben muss – weil sie noch ein Mädchen ist. Es ist etwas, was das Herz einem unmittelbar sagt, und Missbrauch gibt es immer nur – in jedem Fall und überall – da, wo das Herz nicht mitspricht.
Und all diese Urteile, so von oben herab, so moralin, so besserwisserisch, so pathologisch (,fast übergeben’) – sie alle zeigen nur, wo wir bereits angelangt sind: Bei dem Generalverdacht. Bei dem Verdikt, der völligen Verurteilung von allem, was auch nur im Entferntesten einen dieser ,dem Abschaum Angehörenden’ in ,Versuchung’ führen könnte. Mit anderen Worten: Wir müssen die gesamte Gesellschaft wie mit einer Neutronenbombe entsexualisieren, wie ein Vakuum – damit keiner der schlimmen Sextäter auch nur den Hauch einer Anregung hat...
Wir müssen uns also von den Monstern diktieren lassen, was wir zu tun haben. Der schlimme Pädophile[48] ist unser Diktator, weil wir alles Tun und Lassen nach ihm ausrichten.
,Mann und Mädchen sollen sich nicht balgen.’ – bei solchen Sätzen muss ich mich, bildlich gesprochen, fast übergeben. Es ist dieser ungeheure Hochmut, der glaubt, eine allgemein verbindliche moralische Wahrheit auszusprechen, obwohl er nur von seiner eigenen Pathologie ausgeht. Es steht weder auf einer der Zwölf Tafeln des Mose noch sonst irgendwo, dass ,Mann und Mädchen’ sich ,nicht balgen sollen’. Dieser Satz kommt allein aus einem kranken Herzen, das zur allgemeinen Regel machen will, was es ganz subjektiv empfindet, weil irgendetwas in ihm schon lange unterdrückt, konditioniert oder sonstwie gequält und pervertiert wurde.[49]
Mann und Mädchen sollen sich balgen – und zwar, wann immer sie es (beide) möchten! Im ,Balgen’ steckt schon das Einvernehmliche – denn sonst ist es kein Balgen mehr. Wie krank muss man sein, zu meinen, dies moralisch verbieten oder schlecht oder bedenklich machen zu können?[50]
,Darf ein 12-jähriges Mädchen fast nackt auf einem erwachsenen Mann herumturnen?’ Ein zwölfjähriges Mädchen darf alles – alles, was ein sechs- oder fünfzehnjähriges Mädchen auch dürfte. Diese hässlich-suggestive Frage legt ja bereits nahe, dass genau dieses Alter mitten auf dem Weg von der Kindheit zur Jugend ist. Aber – es offenbart eben auch grandios die Mauer, die wir mittlerweile errichtet haben und immer höher ziehen.
Ich wiederhole nochmals: Ein zwölfjähriges Mädchen darf alles. Alles, was der Mann zulässt – warum sollte irgendjemand ihr etwas verbieten können, was nur die beiden etwas angeht?
,Sia ist keine Mutter...’ – Ich wünsche auch keinem einzigen Mädchen eine Mutter, die es bewusst und unbewusst mit Angst durchdringt. Mit einer Angst, die auch das Mädchen dann genauso pathologisch werden lässt, dass es ,fast erbrechen’ muss, wenn vielleicht ein Mann in seine Nähe kommt. Sondern ich wünsche Mädchen Mütter, die wissen, dass die meisten (!) Männer keine Schweine sind, dass ein winziger Promilleanteil aller Männer bösartige[51] ,Pädophile’ sind – und dass man den übrigen Männern, auch wenn sie einen mögen sollten, vertrauen kann. Ich wünsche den Mädchen Mütter, die einem beibringen können, wie man Männer unterscheiden kann, wie man auf den eigenen Körper und die eigene Seele hören kann – und wie man dennoch ein immer größeres Vertrauen und eine immer größere Liebe in die Welt bekommt.
Das wünsche ich den Mädchen. Und ich möchte ihnen sagen, wie in dem Brief an den kleinen Jonathan: Hört nicht auf eure Mütter, wenn sie schon bei dem Gedanken erbrechen, dass ihr mit einem Mann balgen könntet. Natürlich könnt ihr das. Es ist nie etwas Schlimmes, zu jemandem eine Zuneigung zu haben. Und ihr werdet mit eurer Zuneigung auch im Anderen nie das Böse aufrufen, wenn es nicht schon vorher da ist. Aber das werdet ihr selbst erkennen – dafür braucht ihr niemanden, der euch mit riesigen Wurfschaufeln die Angst ins Herz lädt. Folgt diesem Herzen einfach – es ist ein besserer Führer als die Angst. Immer.
Prof. Scheffler wirft dann einen kurzen Blick auf Balthus’ ,Träumende Therese’,[48f] ein unglaublich erotisches Bild eines Mädchens, das, einen Fuß aufgestützt, auf einem Stuhl sitzend und natürlich keinen Beobachter vermutend ... den Blick auf ihr Höschen und die junge Haut ihrer Schenkel freigibt.►6
Auch hier wollen wir kurz verweilen und auch hier sagen: Dem, dem es nur um den lüsternen Blick geht, der hat überhaupt nichts verstanden. Es gibt Menschen, die machen alles zum Objekt – und es ist deutlich, dass gerade dies der ,Erfolg’ der patriarchalischen Kultur ist, im doppelten Sinne: ein zweifelhafter Erfolg, dies verursacht zu haben, und zugleich die Grundlage ihres sonstigen Erfolges.
Mit dem Zum-Objekt-Machen ist die patriarchalische Kultur das geworden, was sie heute ist. Sie hat sich alles unterworfen – die Natur, die Schwarzen, die Indianer, die Frauen. Die Naturwissenschaft beruht auf Objektivierung. In der Medizin wird die Krankheit zum Objekt – neben dem Patienten. Pille A hilft gegen Kranheit B, einwerfen – fertig.
Das Objekt-Denken hat unsere Kultur bis ins Innerste durchdrungen – und es geht noch immer weiter. Auch das, was bisher noch nicht ökonomisiert wurde, soll wie ein ökonomisches Objekt ,gemanagt’ werden. Noch immer feiert die patriarchalische Objekt-Kultur Hochkonjunktur.
Unter anderem in Bezug auf die Frauen wird es jetzt offiziell immer mehr rückgängig gemacht – aber es zeigt sich, wie schwer das ist. Nur deswegen sehen viele Männer ein weibliches Wesen bloß als Sexobjekt an – sie können nicht anders, denn ihre Kultur hat es ihnen nicht anders beibringen können. Selbst wenn es heute überall anders heißt, beruht unsere gesamte Kultur noch immer auf diesem Prinzip. Das ganze abstrakte, das ,managende’ und ,regelnde’ Denken ist nichts anderes.
Problem Kindesmissbrauch? Gesetze her, möglichst streng, Problem gelöst. Patriarchalisches Denken! Denken, das in letzter Hinsicht nichts löst, weil es immer nur neue Probleme schafft. Denken das immer wieder genauso diktatorisch wird und genauso fehlgreift wie der alte Patriarch. Denken, das nichts Weibliches an sich hat – und darum sein eigenes Grundproblem immer nur weiter reproduziert.
Jeder Mensch kann lernen, Therese nicht wie ein Sexobjekt anzusehen – und das Bild trotzdem unglaublich erotisch finden, weil Erotik nicht da aufhört, wo die Menschen keine Objekte mehr sind, sondern im Gegenteil – da in Wahrheit erst anfängt. Von da an beginnt eine unschuldige Erotik, die aber die wahre Erotik ist. Wer sie verbietet oder lächerlicherweise ,Pornografie’ nennt, der schüttet das Kind mit dem Bade aus. Man bekämpft auch das Unkraut nicht, indem man alles ausrauft, was auf dem Felde wächst, denn dann könnte man nicht mehr ernten...
Ein Bild, das die ,Therese’ kopierte, eine Werbung von ,American Apparel’, wurde Ende 2012 von der britischen Werberegulierungsbehörde ASA (Advertising Standards Authority) verboten[50] – mit der Begründung, es erwecke den Eindruck, ,ein Kind zu sexualisieren’, und könne daher mit einiger Wahrscheinlichkeit ernsthafte oder verbreitete Straftaten verursachen (,likely to cause serious or widespread offence’). Und im Einzelnen:[52]
Während wir einräumen, dass das Bild keine explizite Nacktheit enthielt, fanden wir, dass der Amateur-Stil des Fotos, das Posing des Models mit ihren auf eine Art Bürostuhl gestützten Beinen, dem Sichtbarsein ihres Höschens und dem nicht lächelnden Ausdruck im Gesicht des Models bedeutete, dass das Foto als eines mit sexuellen Untertönen und einer voyeuristischen Qualität interpretiert werden würde.
Auf der Webseite der ASA selbst ist vermerkt, dass es zwei Beschwerden gab.[53] Aber es ist egal, wieviel – die ASA selbst entscheidet wie eine Richterin. Scheffler erwähnt, dass das norwegische Berufsmodel Becca Hiller damals schon 23 Jahre alt war – dennoch wirkt es tatsächlich wie sechzehn.
Doch auch hier wieder die unglaubliche Tatsache, dass sechzehnjährige Mädchen nicht erotisch sein dürfen, sich nicht so fotografieren lassen dürfen und nicht so in der Öffentlichkeit, in einer Werbekampagne erscheinen dürfen.[54] Die unglaubliche Tatsache, dass die reale Wirklichkeit fortwährend sterilisiert wird, entkleidet und entkernt von der Tatsache, dass es unglaublich schöne, erotische jugendliche Mädchen gibt. Diese Erotik darf nicht gezeigt werden.
Dies ist die fortwährende Zensur, die vor unser aller Augen stattfindet – mit der Behauptung, es gebe keine Zensur. Mit der heuchlerischen Argumentation, es ginge um ,moralische Verantwortung’ und um ,Vermeidung von Straftaten’.[55]
Die Worte, mit denen diese zwei Regeln formuliert werden, könnten auch in bester Manier dem Orwellschen ,Neusprech’ entstammen. Alles hört sich wunderbar schön an, Verantwortung hoch drei, klinisch rein, politisch hyperkorrekt. Und doch ist es auf Vernichtung gerichtet – selbst wenn keiner der ,Funktionäre’ dies begreift.
Indem jedes Höschen eines schönen Mädchens sofort von den Raubtieren der Aufsichtsbehörde angefallen wird, weil es angeblich ,ernstliche’ oder ,verbreitete’ Straftaten ,wahrscheinlich’ macht, wird die Erotik ausgerottet – lügenhaft bis zum Gehtnichtmehr. Aber die ,political correctness’ bemerkt gar nicht mehr, wann sie zu lügen anfängt, denn die Hysterie selbst hält ja alles für wahr, was sie in ihrem Wahn sagt.
Es könnte sogar sein, dass dieser Wahn seine eigene Wahnidee zur Verwirklichung treibt. Denn, wenn die dargestellte Wirklichkeit fortwährend ,klinisch rein’ ist und jede Erotik von Verbot erschlagen – dann könnte es tatsächlich sein, dass verirrte Männerseelen mit ihren unkontrollierten Trieben einen inneren Kurzschluss haben, wenn sie einmal bei einem echten Mädchen kurz sein Höschen sehen... Mit anderen Worten: Der pathologische Kontrollwahn bringt dasjenige, was er als Pathologie unterstellt, erst selbst hervor.
Wer hat wohl mehr Kinder missbraucht? Die normale Welt, in der Begegnung und auch das Erotische von Begegnung einfach zugelassen war und Teil des Lebens – oder die Welt der Kirche, wo alles gnadenlos unterdrückt war und nichts sein durfte? Ich will damit sagen: Verbote, Kontrollen, Unterdrückung, Leugnung und all dies lassen etwas pathologisch werden, was überhaupt nicht pathologisch werden müsste – und gar nicht dazu bestimmt ist, pathologisch zu werden. Es ist aber nicht pathologisch, ein sechzehnjähriges Mädchen erotisch zu finden, sondern es ist pathologisch, dies nicht zu tun – und sogar seine Darstellung zu verbieten! Das ist pathologisch.
Zurück zu Therese und Balthus. Zum Glück ist die Gesetzgebung noch nicht ganz so hysterisch wie viele gewöhnliche Menschen – einschließlich der Werbeaufsicht –, die bereits da von ,Pädophilie’ sprechen, wo einem Mädchen träumend der Rock hochgerutscht ist, anstatt die ungeheure Unschuld dieser Szene zu erleben. Denn, wie Scheffler nun ausführt, eine ,Schrift’ (das ist auch ein Bild) ist nicht nur verboten, weil sie einen ,kinderpornografischen’ Gegenstand hat, sondern sie muss zusätzlich noch überhaupt pornografisch sein. In den Worten des Bundesgerichtshofs:[50][56]
Der Wortlaut des § 184b Abs. 1 StGB [...] bestimmt, dass nur eine ‚pornographische’ Schrift auch ‚kinderpornographisch’ i.S.v. § 184b Abs. 1 StGB sein kann.
Auch dies hatte der Rechtsausschuss Ende 2014 bewusst wieder eingefügt, nachdem der Regierungsentwurf es ohne Begründung gestrichen hatte:[57]
Der Ausschuss schlägt vor, in der Definition kinderpornographischer Schriften zur Vermeidung von Missverständnissen ausdrücklich hervorzuheben, dass es sich dabei um pornographische Schriften handeln muss. In der Sachverständigenanhörung am 13. Oktober 2014 wurde darauf hingewiesen, dass für dieses Erfordernis auch im Rahmen des § 184b StGB ein Anwendungsbereich als Korrektiv verbleibe, etwa bei so genannten Gesamtkunstwerken – beispielsweise bei Büchern oder Filmen, die den sexuellen Missbrauch von Kindern schildern –, bei denen nur einzelne Textteile oder Szenen sexuelle Handlungen schilderten, was noch nicht dazu führe, dass das gesamte Werk als pornographisch zu qualifizieren sei.
Wie einfach wäre doch alles, wenn auch die Werbeaufsicht begreifen würde, dass, wenn man die Aufnahme einer Jugendlichen erotisiert, dies noch nicht bedeutet, dass die ganze Jugendliche ein bloßes ,Sexobjekt’ ist!
Und jetzt, in Prof. Schefflers Darstellung, erst hier – nicht etwa in den Gesetzestexten oder in der allgemeinen, aber lange konditionierten Meinung – kommt zur Sprache, was ,pornografisch’ eigentlich ist. Zumindest nach der langjährigen Meinung zum allgemeinen (Erwachsenen-)Pornografie-Paragraphen § 184 geht es bei Pornografie um:[51][58]
[...] eine vergröbernde Darstellung sexuellen Verhaltens, die den Menschen unter weitgehender Ausklammerung emotional- individualisierter Bezüge zum bloßen – auswechselbaren – Objekt geschlechtlicher Begierde oder Betätigung macht.
Oder genauer, in einem juristischen Kommentar:[51][59]
Als pornografisch ist eine Darstellung nach herrschender Meinung anzusehen, die unter Ausklammerung sonstiger menschlicher Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher [...] Weise in den Vordergrund rückt und die in ihrer Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf sexuelle Stimulation angelegt ist, sowie dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertevorstellungen gezogenen Grenzen eindeutig überschreitet [...] Wesentlich ist danach zunächst inhaltlich die Verabsolutierung sexuellen Lustgewinns und die Entmenschlichung der Sexualität, mit anderen Worten, dass der Mensch durch die Vergröberung des Sexuellen „auf ein physiologisches Reiz-Reaktions-Wesen reduziert“ [...], dass er „zum bloßen (auswechselbaren) Objekt geschlechtlicher Begierde degradiert wird“ [...] Zum anderen kann formal die vergröbernde, aufdringliche, übersteigerte, „anreißerische“ oder jedenfalls plump-vordergründige – im Unterschied zu einer ästhetisch stilisierten – Art der Darstellung Indiz für den pornografischen Charakter sein [...].
Das ist genau der Punkt. All die Vorwürfe gegen erotisierende Jugenddarstellungen behaupten nur dasjenige, was überhaupt nicht stimmt. Weder wird ein Mädchen durch eine erotische Darstellung austauschbar, noch ist es überwiegend auf sexuelle Stimulation angelegt. Es ist auch auf sexuelle Stimulation angelegt – was aber etwas völlig anderes ist. Es werden auch keine Wertevorstellungen ,eindeutig’ überschritten – wenn man nicht von pathologischer Konditionierung oder puritanistisch-wilhelminischem Denken ausgeht. Absolut nicht geht es um die ,Verabsolutierung des sexuellen Lustgewinns’, im Gegenteil, es geht um die der wahren Erotik immer zutiefst innewohnende Ästhetik, die das Mädchen gerade schöner erscheinen lässt, auch verführerischer, aber nicht im Sinne physiologischer ,Reiz-Reaktion’, die nur noch den Sex ausführen wollen würde. Es ist weder aufdringlich, noch übersteigert oder reißerisch, es hat eine zutiefst unschuldige Sinnlichkeit mit sexueller Komponente. Das ist Erotik. Sie ist von Pornografie um Welten getrennt.
Allerdings verneinte auch der Bundesgerichtshof 2014 die Übertragbarkeit des allgemeinen Pornografie-Begriffs auf die Kinder, wo er stattdessen schärfer zu fassen sei:[52][60]
Die gleichzeitige Verwendung des Begriffs in anderen Strafnormen [...], gebietet nicht von vornherein eine gleichlautende Auslegung auch für § 184b StGB.“ [...]
Eine derartig degradierende[61] Wirkung wohnt der Darstellung sexueller Handlungen von, an und vor Kindern jedoch in aller Regel inne. [...] sind realitätsbezogene Darstellungen sexueller Handlungen von, an oder vor Kindern daher regelmäßig auch „pornographisch“ i.S.v. § 184b Abs. 1 StGB. Eines darüber hinausgehenden „vergröbernd-reißerischen“ Charakters der Darstellung bedarf es demgegenüber nicht.
Dagegen schreiben selbst Juristen:[52][62]
Die Annahme, der Begriff ‚Pornographie’ sei in §§ 184b, 184c ‚anders gemeint’ als in §§ 184, 184a, 184d, ist fern liegend. Das ergibt sich auch aus § 184d, der eine Differenzierung zwischen verschiedenen ‚Pornographie’-Begriffen gerade nicht erkennen lässt.
Aber selbst wenn es nicht so ist, hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil zustimmend einen Kommentar zitiert, nach dem es auch hier darauf ankomt, dass ,die Gesamttendenz des Werkes ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes’ zielt – und er hat von ,realitätsbezogenen Darstellungen’ gesprochen. Dies meint ein ,tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen’, wobei ,erkennbar künstliche Produkte’ ausgeschlossen sind.[52]
Kunst ist nun die freie Gestaltung eines Mediums, ist Ausdruck eines Künstlers (materialer Kunstbegriff). Kunst ist aber auch gegeben, wenn bei formaler Betrachtung ,die Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps erfüllt sind’ (formaler Kunstbegriff). Dies bedeutete aber – während man früher dachte, Kunst und Pornografie schlössen sich aus –, dass auch Pornografie Kunst sein kann.[63] Dem schloss sich im gleichen Jahr 1990 das Bundesverfassungsgericht an. Eine Anerkennung als Kunst:[54][64]
[...] darf nicht von einer staatlichen Stil-, Niveau- und Inhaltskontrolle oder von einer Beurteilung der Wirkungen des Kunstwerks abhängig gemacht werden [...]. Solche Gesichtspunkte können allenfalls bei der Prüfung der Frage eine Rolle spielen, ob die Kunstfreiheit konkurrierenden Rechtsgütern von Verfassungsrang zu weichen hat.
Daneben begründete das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1984 noch einen dritten, den ,offenen Kunstbegriff’, wonach es das Merkmal einer künstlerische Äußerung ist, dass der Darstellung wegen ihres mannigfaltigen Aussagegehalts durch fortgesetzte Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen entnommen werden können.
Was ist nun das geschützte Rechtsgut, das zur Abwägung kommen kann? Allgemein ist es zunächst die Gefährdung der psychosexuellen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, die mit pornografischen Schriften in Berührung kommen.[57] Bei der Kinder- und Jugendpornografie sollen darüber hinaus die ,Darsteller’ vor der Verbreitung der Bilder geschützt werden, zum anderen soll verhindert werden, dass weitere Pornografie hergestellt und weitere Kinder zu Opfern werden (Austrocknung des Marktes).[58]
Allerdings bestraft, wie wir sahen, bereits § 201 die Herstellung von Nacktaufnahmen eines Minderjährigen. Erklärter Zweck der Einfügung war hier sogar die Verhinderung einer Umgehung der Pornografie-Paragrafen. Das Persönlichkeitsrecht erstreckt sich jedoch nur auf Fotos. Selbst bei naturalistischen Malereien handelt es sich bereits um eine subjektive Wiedergabe.[58][65] Die Kunst entspricht ebensowenig einem kriminellen Markt. Der Künstler wird sich bei seinem Tun selten an einem Markt orientieren.
Zudem ging es aber auch immer um den Schutz von Kindern vor den Pornografie-Konsumenten:[66] Andererseits weisen auch juristische Kommentare daraufhin, dass Pornografie gerade der ,Triebabfuhr’ dienen könne,[67] was zum Beispiel angesichts der Missbrauchsfälle in der Kirche ebenfalls nicht gleich abzuweisen ist.[61]
Vor diesem Hintergrund kann auch das Verbot nur kindlich wirkender Darsteller kontraindiziert sein, denn gerade diese könnten kindliche Darsteller künftig davor schützen, Opfer zu werden, werden nun aber stattdessen an ihrer ,freien Persönlichkeitsentfaltung’ und eventuell sogar an ihrer Berufsausübung gehindert.[62]
Für Kunstwerke wiederum dürfte es kaum zutreffen, dass sie von Triebtätern zur ,Anregung’ gewählt werden.
Fast erscheinen die Gesetze weniger darauf ausgelegt, Kinder zu schützen, als vielmehr einem ,Pädophilen’ alles zu nehmen. Denn selbst Caravaggios Meisterwerk ,Amor als Sieger’ (1602) erregte – kurz nach der Edathy-Affäre – Anstoß:[42][68]
Das Bild soll nun, ginge es nach den Briefschreibern, wegen seiner ,unnatürlichen und aufreizenden Position’ schleunigst von der Wand. Die ,ausdrücklich obszöne Szene’ diene ,zweifellos der Erregung des Betrachters’. Auch unter Rücksicht auf das Alter des ,Modells’ sei dieses ,künstlerische Produkt’ höchst verwerflich. Es könnten Pädophile ihre perversen Neigungen darauf projizieren.
Und hier nun schreibt Prof. Scheffler, dass die Hatz auf Edathy fatal an die ,Jagd auf Homosexuelle’ in der Adenauerzeit der 50er und 60er Jahre erinnere.[63][69] Diesbezüglich hatte der Bundestag am 7. Dezember 2000 einstimmig beschlossen:[63][70]
Der Deutsche Bundestag bedauert, dass die in der NS-Zeit verschärfte Fassung des § 175 in der Bundesrepublik Deutschland bis 1969 unverändert in Kraft blieb. [...] Unter Hinweis auf die historischen Bewertungen zum § 175 StGB, die in der Plenardebatte anlässlich seiner endgültigen Streichung aus dem Strafgesetzbuch im Jahre 1994 abgegeben wurden, bekennt der Deutsche Bundestag, dass durch die nach 1945 weiter bestehende Strafdrohung homosexuelle Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind.
Wann wird der Bundestag wohl eine solche Erklärung für all jene generationenübergreifenden Beziehungen abgeben, die er auch jetzt noch in seinem Sexualstrafrecht in ihrer Menschenwürde verletzt auch da, wo in den Augen der Kinder und ,Kinder’ keinerlei Übergriffe stattfinden, weil sie einfach nicht existieren?
In Bezug auf die These, potenzielle Straftäter könnten durch gewisse Bilder animiert werden, schreiben sogar ausgewiesene Juristen:[63][71]
Die Regelungen [...] versuchen, den – anlässlich des Falls Edathy angeblich neu erkannten – Usancen von pädophil veranlagten Personen nachzuspüren, die sich durch Betrachten, Anfertigen, Verbreiten usw. von so genannten ‚Posing’-Fotos sexuell zu erregen pflegen. Das ist schlechterdings Unsinn. Denn das sexuelle Bedürfnis schafft sich [...] dort Raum, wo es geht; und die menschliche Fantasie ist [...] durch Strafrecht nicht beschränkbar.
Aber sie ist kriminalisierbar – selbst da, wo sie gar nichts Böses vorhat. Es ist noch immer die Gedankenkontrolle, die selbst da, wo etwas nicht ausdrücklich verboten ist, siehe Fall Edathy, noch einen Schritt weitergeht, damit auch das noch verboten ist. Jede Nacktheit oder Halbnacktheit aller Kinder bis achtzehn. Darum geht es. Sogar Prof. Scheffler muss bekennen:[64]
Das Bestreben, flächendeckend Abbildungen von Kindern und weitgehend auch von Jugendlichen, die irgendwie als sexuell anzüglich interpretiert werden können, zu verbieten, hat dazu geführt, fast unbemerkt die (zumeist eher naturalistische) Malerei der Alten Meister ins Zwielicht zu stellen.
Das sollte den ehrlicher gesinnten Menschen doch wirklich zu denken geben. Der ,Kinder- und Jugendschutz’ wird zu einer realen Verleugnung der Erotik und letztlich der Schönheit des (nackten, natürlichen) Körpers überhaupt. Wer dies nicht glaubt, höre noch einmal Prof. Scheffler:[64]
Damit ist nicht mehr die Frage zu entscheiden, ob Pornographie ausnahmsweise Kunst sein kann, sondern es droht umgekehrt, große Teile der Kunst der Antike und des Abendlandes (und auch der alten asiatischen Kulturen!) zu Pornographie zu erklären. Von Botticelli bis Bouguereau waren die (naturalistische) „Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes“ und die Wiedergabe in „geschlechtsbetonter Körperhaltung“ Standard der Bildenden Kunst – auch und gerade die „sexuell aufreizende“ und „unnatürlich“ geschlechtsbetonte. Eine diesbezügliche „Altersgrenze“ von 14 oder gar 18 Jahren war völlig fremd. [...]
In Ansehung der Erweiterungen von § 184b [...] ist die Ausgangssituation beinahe wieder wie zu Zeiten der Gegenreformation, als selbst auf Meisterwerken von Masaccio und Michelangelo nachträglich Geschlechtsteile übermalt wurden.
Man vergleiche das heutige, wieder zunehmend repressive Sexualstrafrecht mit seinen vorgeschobenen ,Pornografie’-Vorwürfen mit den Beschlüssen des gegenreformatorischen Konzils von Trient im Jahre 1563:[65][72]
Allein wofern bei diesen heiligen und heilsamen Beobachtungen [...] Missbräuche eingeschlichen sind. So wünscht der heilige Kirchenrat sehnlichst, dass dieselbigen durchaus abgestellt werden, so dass keine Bildnisse [...], welche den Ungebildeten Anlass zu gefährlichen Irrtümern geben könnten, aufgestellt werden sollen. [...] Ferner werde [...] alles Schlüpfrige vermieden, so dass keine Bildnisse mit verführerischer Schönheit gemalt oder ausgeziert [...] werden [...].
Die überall unterstellten ,gefährlichen Irrtümer’ sind heute, dass ein Kind oder ein jugendliches Mädchen ,Sexualobjekt’ sein könnte. Der ,Kirchenrat’ ist heute der ,Gesetzgeber’, und er wünscht sehnlich, dass in allen Bildnissen seiner ,schutzbefohlenen Schäfchen’ alles Schlüpfrige vermieden werde, so dass es keine Bildnisse mit verführerischer (heute: ,aufreizender’) Schönheit mehr geben könne...
Dass damit die Essenz von Kunst überhaupt angegriffen und in wohlgeordnete Grenzen ,eingehegt’ und damit mundtot gemacht wird, begreifen die Wenigsten. Denn Kunst lebte schon immer von Grenzüberschreitungen und dem Aufbrechen scheinbarer, aber stets neu erstarrender Gewissheiten. Wer der Kunst Zügel anlegt, der verstopft eine Lebensader der Kultur selbst.
Die Absurdität beginnt schon bei der Diskussion um einzelne Künstler. Neuerdings gibt es etwa um die ,Brücke’-Maler ,Missbrauchs’-Diskussionen, weil sie immer wieder nackte kleine Mädchen malten.[73] ►5 Aber die Innsbrucker Kulturwissenschaftlerin Irene Berkel sagt angesichts eines verlogenen und von Angst geprägten Bemühens um eine bloß noch ,brave’ und in jedem Fall ,korrekte’ Kunst ganz richtig:[74]
[...] wo fängt das unterstellte pädophile Interesse an? Darf kein nacktes Kind mehr gezeigt werden? Ein leicht bekleidetes vielleicht, aber nur dann, wenn keine Unterwäsche zu sehen ist, und am Ende gar kein Kind mehr, weil schließlich jedes Interesse an Kindern und Jugendlichen verdächtig erscheint. [...] Wir sollten uns primär für die Werke des Künstlers interessieren. Der Versuch, den vermeintlich pädophilen vom nicht pädophilen Künstler zu unterscheiden und die Arbeiten des Letzteren zu verbieten, brächte uns in große Schwierigkeiten. Zumal es nicht die Aufgabe der Kunst ist, unverfänglich zu sein.[75]
Zugleich macht Berkel klar, dass die gegenwärtige Hysterie eine Grenzüberschreitung ist – denn sie unterstellt Künstlern Dinge, die zunächst nur im Kopf des Deuters vorliegen, und vor allem vernichtet sie das unbefangene Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern, um an dessen Stelle Angst und Paranoia zu setzen.
*
Wir lassen die Ausführungen von Prof. Scheffler nun hinter uns blicken kurz auf die Jugendsexualität, bevor wir wieder zu den Kindern zurückkehren.
Wir sahen, dass unter ,Jugendpornografie’ alle pornografischen Darstellungen fallen, die auch Jugendliche involvieren. Letztlich wird aber auch diese entscheidende Spezifizierung in der Praxis zunehmend weniger berücksichtigt – und zählt Jugendsexualität ebenfalls per se als ,pornografisch’.
So geriet das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main 2010 aufgrund seiner Ausstellung ,The Lucide Evidence’[76] unter den Verdacht der ,Jugendpornografie’, weil unter anderem Fotografien von Larry Clarke gezeigt wurden, auf denen junge Menschen Geschlechtsverkehr hatten. Entwarnung gab der Polizeisprecher nicht etwa wegen mangelnder Pornografie, sondern wegen des Alters: ,Wir konnten klären, dass es sich bei monierten Fotos, auf denen junge Leute Geschlechtsverkehr haben, um junge Erwachsene handelt.’[77]
Zuerst wäre zu klären, ob die Fotografien überhaupt als ,pornografisch’ zu bezeichnen wären! Und hier wieder muss man fast definitorisch sagen: Solange sie künstlerisches Potenzial haben, sind sie es nicht! Denn dann geht es bereits nicht mehr um die bloße sexuelle Erregung, losgelöst von allen menschlichen Zusammenhängen – sondern um Ästhetik, die Vielschichtigkeit menschlicher Erlebensweisen und vieles andere mehr. Das aber ist nicht Pornografie – und daher auch niemals ,Jugendpornografie’. Es ist Kunst und Wahrheit – statt Scheinheiligkeit.
Fußnoten
[1] Sie trat diesbezüglich erst Anfang 1975 in Kraft, weil die Bundesregierung zuvor noch die Genfer Konvention ,Internationale Übereinkunft zur Bekämpfung der Verbreitung und des Vertriebes unzüchtiger Veröffentlichungen’ vom 12. September 1923 kündigen und die einjährige Kündigungsfrist abwarten musste. Ralf Gnüchtel: Jugendschutztatbestände im 13. Abschnitt des StGB. Ihre Legitimation im Lichte eines zeitgemäßen Jugendschutzes. Berlin/Boston 2013, S. 61. • Laut Roth habe sogar die ,Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften’ kurz vor der Auflösung gestanden, sei aber insbesondere von SPD-Fraktionschef Herbert Wehner ,gerettet’ worden. Roth, Uncle Sam’s Sexualhölle, a.a.O., S. 401.
[2] Hier ausgenommen bereits sogenannte ,Gewaltpornografie’ sowie sexuelle Handlungen mit Tieren. Beides zählt zur ,harten Pornografie’.
[3] Der Regierungsentwurf hatte zunächst kinder- und jugendpornografische Schriften unterschiedslos – auch im Strafmaß! – in § 184b unterbringen wollen! Bundestags-Drucksache 16/3439 vom 16.11.2006, S. 5. • Wiedergegeben ist die bis Ende 2020 gültige Fassung. Danach wurde ,Schriften’ durch ,Inhalte’ ersetzt und ein Buchstabe (1) c) eingefügt, siehe Seite 628
[4]§ 11 (3) definiert ,Schrift’: ,Den Schriften stehen Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen in denjenigen Vorschriften gleich’.
[5],Posing’-Zusatz, seit 27.1.2015 in Kraft. Wikipedia: Jugendpornografie. • Bis dahin setzte das bloße ,aufreizende Zur-Schau-Stellen’ notwendig eine bewusste Handlung des Kindes voraus. Siehe Prof. Jörg Eisele: Posing und der Begriff der Kinderpornografie in § 184b StGB nach dem 49. Strafrechtsänderungsgesetz, in: Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, 19. Juli 2017, S. 920-932, hier 922. www.bmjv.de.
[6] Dies stimmt tatsächlich und wundert selbst die Rechtsexperten als ,nicht nachvollziehbar’, siehe Tatjana Hörnle: Kommentierung der §§ 183-184g, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 3, §§ 80-184g StGB, München 2.2012, § 184c, Rn. 11, zitiert nach Roth, a.a.O., S. 404. • Auch in Amerika ist diese Absurdität selbstverständlich bemerkt worden – siehe zum Beispiel Bosak DA (2012): The blurring line between victim and offender: Self-produced child pornography and the need for sentencing reform. Ohio State Law Journal 73(1), 141-176.
[7] Die gleiche Formulierung wurde Ende 2020 dann auch in den Paragrafen zur ,Jugendpornografie’ eingefügt! Wir sehen die unaufhaltsame Verschärfung, die im Folgenden noch ausführlich dargestellt wird.
[8] Hörnle, op. cit., Rn. 4, zitiert nach Roth, a.a.O., S. 406.
[9] Vergleiche den Film ,Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt’ (1971) von Rosa von Praunheim. Wikipedia. • Sowie nochmals Herbert Marcuse: ,Öbszön ist nicht das Bild einer nackten Frau, die ihr Schamhaar entblößt, sondern das eines voll bekleideten Generals [...].’ Herbert Marcuse: An Essay on Liberation. Boston 1969, p. 7f, übersetzt H.N.
[10] Rahmenbeschluss 2004/68/JI des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie. Siehe Seite 567.
[11]● Protokoll der 68. Sitzung am 18. Juni 2007. www.gesmat.bundesgerichtshof.de. Im Folgenden Seitenangaben in hochgestellten eckigen Klammern • Angehört wurden Klaus Finke (Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Hannover, Zentralstelle zur Bekämpfung jugendgefährdender Schriften), Helmut Graupner (Rechtsanwalt aus Wien), Prof. Tatjana Hörnle (Universität Bochum), Prof. Florian Jeßberger (Humboldt-Universität Berlin), Prof. Kristian Kühl (Eberhard-Karls-Universität Tübingen), Prof. Joachim Renzikowski (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), Philipp Andreas Thiee (Strafverteidigervereinigung e. V. Berlin) und Dr. Ralf Wehowsky (Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof Karlsruhe).
[12]1997 hatte der BGH geurteilt, Posing sei eine ,an sich’ vorgenommene sexuelle Handlung vor einem Dritten (§ 176 Abs. 4 Nr. 2). • 2006 lautete das Urteil, das Kind müsse hierfür eine sexuelle Handlung an sich selbst vornehmen und nicht nur in aufreizender Weise das Genital zur Schau stellen (BGH, 2.2.2006 – 4 StR 570/05). • Mit der Gesetzesänderung von 2008 wurden dann die Worte ,an sich’ gestrichen, so dass nun auch ,Posing’ als ,sexuelle Handlung’ mit erfasst war.
[13] Und er macht auf die Absurdität aufmerksam, dass möglicherweise nicht nur bildliche, sogar gar rein literarische Zeugnisse real erlaubter Handlungen Jugendlicher kriminalisiert werden könnten: ,Textliche Schilderungen von völlig legalen Handlungen, die sogar im grundrechtlich geschützten Bereich der beteiligten Personen liegen. Schilderungen der Ausübung des Menschenrechts werden unter Strafe gestellt.’[30]
[14] Siehe ,Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union’, Art. 83 (1): ,Das Europäische Parlament und der Rat können [...] durch Richtlinien Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität festlegen, die [...] eine grenzüberschreitende Dimension haben. | Derartige Kriminalitätsbereiche sind: Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität.’ Amtsblatt vom 26.10.2012. eur-lex.europa.eu. • Das ,und organisierte Kriminalität’ erscheint lächerlich, da es fortwährend nur um solche geht.
[15],Vergegenwärtigt man sich, wie groß dieser Unterschied ist, kann man nur verblüfft sein über die unreflektierte Gleichsetzung [...].’[9]
[16],Jeder Mitgliedstaat kann [...] auch andere Sanktionen, einschließlich nicht strafrechtlicher Sanktionen oder Maßnahmen, vorsehen.’ Art. 5 (4).
[17] Art. 3 (2).
[18],[...] ich würde vermuten, dass in Deutschland in Schubladen, Schränken und auch auf Computerfestplatten Millionen solcher Bilder lagern. Das bedeutet für die jeweiligen Besitzer, dass sie sich mit Inkrafttreten der Regelung [...] automatisch strafbar machen, nur Kraft Besitzes, und das bedeutet Freiheitsstrafe als Mindeststrafe. Ein absurdes Ergebnis, übrigens auch für die Strafverfolgungsbehörden.’
[19],Ganz allgemein noch in aller Kürze. Kann nicht noch mehr individualisiert werden? Erstens [...] innerhalb der Länder Europas, so dass sich die europarechtlichen Vorgaben in dieser Hinsicht zurückhalten sollten, weil sie so pauschal gar nicht urteilen können; zweitens zwischen weiblichen und männlichen Jugendlichen. Drittens wäre überhaupt eine Individualisierung nötig, wie sie jetzt in § 182 Abs. 2 StGB praktiziert wird, wo der Richter im Einzelfall die fehlende Fähigkeit der Selbstbestimmung des Betroffenen festzustellen hat. Das ist natürlich ein Anwendungsproblem, würde der Sache aber aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten besser gerecht werden als Altersgrenzen, die notwendigerweise – so rechtsklar sie sind – immer pauschal bleiben müssen.’[16] • Zur Geschlechtsdifferenzierung: ,Ich weiß, dass am bisherigen § 182 StGB [...] immer kritisiert wurde, dass der Schutz für männliche Jugendliche mit 16 Jahren zu kurz greife, weil diese in ihrer Entwicklung noch nicht so abgeschlossen seien wie weibliche Jugendliche. Aber das provoziert [...] die Gegenfrage, wieso man den Schutz auch bei den weiblichen Jugendlichen heraufsetzt, bei denen es angeblich gar nicht nötig ist.’[16]
[20],Man kann nicht hingehen und sagen, die Gerichte werden vielleicht eine entsprechend restriktive Anwendung, die dieser Rahmenbeschluss ja auch anempfiehlt, vollziehen. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, zu regeln, was Recht sein soll.’[35]
[21] Siehe den österreichischen § 207a StGB ,Pornographische Darstellungen Minderjähriger’. www.jusline.at. • Erfasst sind hier ,wirklichkeitsnahe Abbildungen’ einer ,geschlechtlichen Handlung’ an einer unmündigen Person oder dieser an sich selbst oder einer anderen Person; oder eines Geschehens, das diesen Eindruck vermittelt; oder dasselbe mit mündigen Minderjährigen bzw. der Genitalien oder der Schamgegend Minderjähriger, ,soweit es sich um reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelt, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen’. • Es geht also tatsächlich nur um genitale Handlungen, und bei Jugendlichen bzw. bloßen Genitalien muss die Darstellung ausdrücklich pornografisch verzerrt sein.
[22] Bundestags-Drucksache 16/9646 vom 18.6.2008. dip21.bundestag.de.
[23],Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung gelingt es [...] nicht, die [...] vorgegebene Systemänderung angemessen und unseren Wertvorstellungen entsprechend zu vollziehen. Indem er teilweise Jugendliche mit Kindern gleichsetzt, hebelt er das gewachsene System der Schutzaltersgrenzen des deutschen Sexualstrafrechts aus und führt dadurch zu Veränderungen des den Straftatbeständen zu Grunde liegenden Schutzzwecks und nicht hinnehmbaren Wertungswidersprüchen innerhalb der Rechtsordnung. Er wird damit der Komplexität des Rechts der sexuellen Selbstbestimmung Jugendlicher nicht gerecht. [...] Gerade in dem für moralische und paternalistische Implikationen besonders anfälligen Bereich des Sexualstrafrechts kommt [...] einer streng an dem Bestimmtheitsgebot und dem ultima-ratio-Prinzip orientierten Tatbestandsfassung entscheidende Bedeutung zu.’ Ebd., S. 11. • Die CDU/CSU-Fraktion entgegnete in Bezug auf die ,Schriften’, dieser Begriff sei auch hier ,bewusst [...] eingeführt worden, weil alle Pornographievorschriften des StGB hierauf verwiesen. Es gebe keinen Grund, warum dies bei Jugendlichen nicht der Fall sein sollte.’ Ebd., S. 16.
[24] Ebd., S. 4-6.
[25]● Monika Frommel: Pornografie – das liberale Dilemma jeder Kontrollpolitik. 2010 aktualisierte Version des 2004 gedruckten Artikels in: Meike Penkwitt (Hg.): Entfesselung des Imaginären? Zur neuen Debatte um Pornografie (= Freiburger FrauenStudien 15). Freiburg 2004, S. 131-147. Originalversion unter www.budrich-journals.de. Im Folgenden Seitenangaben für auch im Original-Artikel bereits vorhandene Zitate in hochgestellten eckigen Klammern.
[26] In einer Fußnote erwartete Frommel damals sogar noch, dass dieser Schritt geschehen werde.
[27] Und etwas später: ,Wenn aber eine Strafbestimmung nicht ohne Moralisierung umsetzbar ist, dann sollte man sie erst gar nicht erlassen.’[134] • Das war schon der Grundsatz der Großen Strafrechtsreform der 70er Jahre!
[28]● Prof. Uwe Scheffler: Materialien zu den Ausstellungstafeln Kunst und Strafrecht, Annex: Kunst und Kinderpornographie, ,Gitarrenstunde’-Fall. 2016, PDF, 69 S. Im Folgenden Seitenangaben in hochgestellten eckigen Klammern
[29],Seine "Gitarrenstunde" von 1934 zeigt, fast in Lebensgröße, eine Musiklehrerin mit entblößter Brust auf einem höfischen Sessel; kunstvoll rücklings über ihr Knie gelegt eine schmale Gitarrenschülerin, deren zurückgerutschter Rock im Zentrum des Bildes [...]. Die eine Hand der Lehrerin, die ein Bein des Mädchens hält, ruht fast an seiner unbehaarten Scham, während die andere Hand in die Locken der hingegebenen Schülerin greift. Das Mädchen greift nach der Brust der Lehrerin: eine pädophil-lesbische Szene, wie man heute sagen würde. Die halb zugekniffenen Augen beider exakt zwischen Wollust und Tod.’ Harald Fricke & Ulf Erdmann Ziegler: Einsame Melancholie des Adels. Die Tageszeitung, 20.2.2001.[14]
[30] Robert Hughes: The Nymphets of Balthus. Time, 28.11.1977, p. 93, übersetzt H.N.
[31] Brief vom 1.12.1933. Balthus, Antoinette De Watteville: Liebesbriefe 1928-1937, hrsg. Stanislas & Thadée Klossowski de Rola. Bern 2005, S. 102.
[32] Joachim Huber: US-Sender Fox zensiert Brüste. Tagesspiegel.de, 14.5.2015.
[33] Im Weiteren führt Scheffler aus, dass der 2015 geänderte § 201a Bildaufnahmen (Foto, Film) minderjähriger Nacktheit, die mit Entgelt verknüpft sind, generell kriminalisiert. Ausgenommen sind auch hier jedoch Kunst, Wissenschaft oder ähnliches. Siehe Seite 624.
[34] Der Zusatz wurde sogar erst sehr spät auf Initiative des Rechtsausschusses eingefügt, ,um sicherzugehen, dass die Richtlinie 2011/93/EU vollständig umgesetzt wird’. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) vom 12.11.2014, Bundestags-Drucksache 18/3202 (neu), S. 27.[35]
[35] Siehe Wikipedia: Operation Spade.
[36] Staatsanwälte sprechen von "Grenzbereich zu Kinderpornografie". Spiegel.de, 14.2.2014.
[37] Wikipedia: Edathy-Affäre.
[38] Siehe auch Wikipedia: Datei:Zur lex Heinze - F. v. Rezniček 1900.png.
[39] Lex Heinze, www.otto-reutter.de. Dort in der ersten Zeile nicht reimgemäß ,dichtert’.
[40] Grundsatzurteil vom 22.11.1904, wonach Gemäldereproduktionen ,unzüchtige Schriften’ waren.
[41] Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV), § 4 Abs. 1 Nr. 9 sowie Jugendschutzgesetz, § 15 Abs. 2 Nr. 4 (hier mit Komma: „in unnatürlicher, geschlechtsbetonter...“).
[42] Erst seit wenigen Jahren steigen die Zahlen leicht, mit Sicherheit aber nur durch eine immer intensivere Sensibilisierung und erhöhte Anzeigenrate – und wohl nicht zuletzt auch durch die erotisierende Wirkung eines immer massiveren Tabus, ferner auch durch die fortschreitende kapitalistische Entseelung einer ganzen Gesellschaft!
[43] Ich meine hier etwas durchaus viel Zarteres und Heiligeres als jene, die mit einer offen päderastischen Zielsetzung von diesem Begriff sprachen, wie etwa Hans Blüher (1888-1955) oder Gustav Wyneken (1875-1964).
[44] OLG Celle, 13.2.2007 – 322 Ss 24/07. openjur.de. • Dort heißt es auch: ,Eine unter § 4 Abs. 1 Nr. 9 JMStV unterfallende Bilddarstellung liegt insbesondere dann vor, wenn beim Betrachter der Eindruck eines sexuell anbietenden Verhaltens in einer Weise erweckt wird, die dem jeweiligen Alter der dargestellten Person nicht entspricht.’ • Immerhin gibt es also offenbar ,sexuell anbietendes’ Verhalten! Allerdings weiß die Rechtssprechung offenbar ziemlich genau, was dem jeweiligen Alter ,entspricht’ – und anders sollte sich ein Mädchen dann auch nicht verhalten...
[45] Das Kindliche wird also fortwährend im Gegensatz zum Weiblich-Erotischen gedacht: ein Kind hat asexuell zu sein.
[46] Zitate: Liesching in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 192. Erg.-Lfg. 2012, § 15 JuSchG Rn. 36 bzw. 35. • Völlig übersehen wird, dass in diesen bestimmten Sportarten das Spreizen der Beine oder vielleicht sogar die Geschlechtsbetonung gerade etwas Natürliches ist, und zwar seit langem. Weiterhin, dass durch die Sexualisierung und Erotisierung der Gesellschaft erotisches Posing auch schon für Kinder teilweise (je nach Kind und Situation) etwas Natürliches wird. Die Grenzziehung lässt sich einfach nicht aufrechterhalten – es sei denn, durch Entmündigung und Kriminalisierung.
[47] Anna Meinecke: Sias "Elastic Heart" ist Kunst – vielleicht. www.n-tv.de, 9.1.2015.
[48] Ich meine hier nicht die pädophil empfindenden Menschen – sondern das perverse Klischee, den klaren Missbrauchstäter.
[49] Oder weil die entsprechende Frau selbst irgendwann einmal ein Missbrauchs-Opfer war. Sie hat also Missbrauch erlebt! Genau das, worum es in diesem Video nicht ging. • Auch in dieser Hinsicht ist das Video eigentlich eine Heilung: Es zeigt, was die Begegnung zwischen Mann und Mädchen eigentlich sein kann: tiefer Friede, wunderbares Spiel... Es ist klar, dass Missbrauchsopfer diese andere Wirklichkeit, wie sie sein sollte, fast nicht ertragen können... Auch ein Ertrinkender reißt seinen eigenen Retter mit in die Tiefe ... wenn es ihm nicht gelingt, sich retten zu lassen.
[50] Zu beachten ist auch, dass gerade jene Männer Missbrauchstäter werden, die niemals befriedigende, harmonische, liebevolle oder ähnliche Begegnungen mit Mädchen gehabt haben!
[51] Auch die wenigsten pädophil empfindenden Menschen sind bösartig, und die deutliche Mehrzahl von Missbrauchstaten wird nicht von ihnen begangen.
[52] Mark Sweney: American Apparel's 'voyeuristic' magazine ad banned. The Guardian, 12.12.2012, übersetzt H.N.
[53] ASA Adjudication on American Apparel (UK) Ltd. www.asa.org.uk, 12.12.2012. Complaint Ref: A12-212169.
[54] Siehe auch Lara O’Reilly: American Apparel rapped again for sexualising children. www.marketingweek.com, 12.12.2012, dort auch die Abbildung. • Viele andere Berichte, so auch der des ,Guardian’, hatten das Foto beschnitten.
[55],The ad breached CAP Code (Edition 12) rules 1.3 (Social responsibility) and 4.1 (Harm and offence).’ • Unter 1.3 heißt es: ,Marketing communications must be prepared with a sense of responsibility to consumers and to society.’ • Und unter 4.1: ,Marketing communications must not contain anything that is likely to cause serious or widespread offence. Particular care must be taken to avoid causing offence on the grounds of race, religion, gender, sexual orientation, disability or age. Compliance will be judged on the context, medium, audience, product and prevailing standards.’
[56] Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (BGHSt) 59, 177 (180). • Siehe den Wortlaut: ,[...] kinderpornographisch ist ein pornographischer Inhalt [...], wenn [...].’ Hervorhebung H.N. • Zu der ab 2014 allmählich geänderten Rechtsauffassung siehe Seite 612-620.
[57] Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) vom 12.11.2014, Bundestags-Drucksache 18/3202 (neu), S. 27.
[58] BGHSt 59, 177 (179).
[59] Jörg Eisele in Schönke/Schröder, StGB, § 184 Rn. 8 (Nachweise weggelassen, einige Abkürzungen ausgeschrieben).
[60] BGHSt 59, 177 (179 f.). • Die Vorinstanz hatte den pornografischen Charakter eines Dias, auf dem der nackte Angeklagte einem nackten Kind an das Genital fasste, verneint. Der sexuelle Bezug liege ,auf der Hand’, die Darstellung sei aber nicht ,vergröbernd-reißerisch’.[52]
[61] Warum wohnt der Darstellung sexueller Handlungen mit Kindern eine ,degradierende Wirkung’ inne? Weil sie nicht ,normal’ wäre und daher das Kind als austauschbares Sexualobjekt suggerieren würde? Je mehr man Kinder von Sexualität abschottet, um so ,unnormaler’ macht man diese – und um so degradierender jede Darstellung? Man schafft hier künstliche Rechtfertigungen, die zur selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Für die meisten Pädophilen ist jedes Kind ganz real individuell, und dies schließt Degradierung automatisch aus.
[62] Thomas Fischer: StGB, 62. Aufl. (2014), § 184b Rn. 2c.
[63] Woraus der BGH 1990 in seinem Urteil gegen das als pornografisch angeklagte Werk ,Opus Pistorum’ von Henry Miller die Konsequenzen zog. Den materialen Kunstbegriff entwickelte das BVG 1971 im Mephisto-Urteil um den Roman ,Mephisto’ von Klaus Mann, in dem der verstorbene Schauspieler Gustav Gründgens als Opportunist während der NS-Zeit herabgewürdigt worden sein sollte. Den formalen Kunstbegriff hatte das BVG 1984 im Beschluss zum ,Anachronistischen Zug’ angeführt, ein in München aufgeführtes Straßentheater, das auf einem gleichnamigen Brecht-Gedicht basierte und Ministerpräsident Strauß beleidigt haben sollte.[53f] Im ,Opis Pistorum’-Urteil bejahte der BGH ausdrücklich auch für die ,harte Pornografie’ die Vereinbarkeit mit Kunst (Sodomie, Gewalttaten, siehe Marquis de Sade).[56]
[64] Dies betraf den Roman ,Josefine Mutzenbacher. Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt’, dem ,Bambi’-Autor Felix Salten zugeschrieben. Er beinhaltet die wohl fiktiven erotischen Lebenserinnerungen einer Wiener Prostituierten und erschien zuerst 1906 in Wien. Deutsche Ausgaben seit 1965 wurden von der ,Bundesprüfstelle’ als ,schwer jugendgefährdend’ indiziert.[54]
[65] So das OLG Dresden 2010, als ein Gemälde die damalige Dresdener Bürgermeisterin nahezu nackt und mit naturalistisch wiedergegebenem Gesicht zeigte. OLG Dresden, ZUM 2010, 597.[58]
[66],Es soll der – zumindest nach dem bisherigen Erkenntnisstand nicht auszuschließenden – negativen Auswirkung auf Betrachter entgegengewirkt werden, [...] daß der Betrachter [...] zum Kindesmißbrauch angeregt wird.’ Begründung Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 3.7.1992, BT-DrS 12/3001, S. 6.
[67] Laufhütte/Roggenbuck in Leipziger Kommentar, StGB, § 184 Rn. 2.
[68] Ingeborg Ruthe: Kunst unter Pädophilieverdacht. Caravaggios anstößiger Amor. Berliner Zeitung, 28.2.2014.
[69],Akten belegen, wie systematisch Polizei und Justiz in der Adenauerzeit gegen Schwule vorgingen.’ Wolfgang Kerler: Der Paragraf 175 und seine juristische Aufarbeitung, Deutschlandfunk, 19.11.2014.
[70] Volltext in Bundestags-Drucksache 14/4894 vom 6.12.2000, S. 3 f.
[71] Fischer, StGB, 62. Aufl. (2014), Anhang, §§ 184a, 184b, 184c Anm. 3 f.
[72] Kathpedia: Cum catholica ecclesia (Wortlaut). • Das damalige ,Feigenlaub’ mit dem alle Statuen etc. nachträglich bedeckt wurden, geht heute oft viel einfacher mit Pixeln...
[73] Auch dies ist wieder Zeichen eines heuchlerischen Diskurses, der die wirklichen Mädchen überhaupt nicht befragt, sondern sie seinerseits von vornherein nur instrumentalisiert.
[74]„Nicht jedes reizvolle Bild ist ein Beweis für Pädophilie“. Christ & Welt 10/2014. www.eckiger-tisch.de.
[75] Amy Adler formulierte dies einmal unabhängig vom Motiv des Kindes, aber hinsichtlich der diversen geschichtlichen Versuche, ,sittenwidrige’, ,obszöne’ und andere Darstellungen zu bekämpfen, mit folgenden Worten: ,"Art," by its nature, will call into question any definition that we ascribe to it. As soon as we put up a boundary, an artist will violate it, because that is what artists do. In the end, we as a society are left with a choice: either we protect art as a whole or we protect ourselves from obscenity. But we choose one at the sacrifice of the other. It is impossible to do both.’ Adler A (1990): Post-modern art and the death of obscenity law. The Yale Law Journal 99(6), 1359-1378, hier 1378. • Kurz gesagt: ,Political correctness’ und Kunst sind unvereinbar – man muss sich entscheiden, was einem mehr wert ist...
[76] The Lucid Evidence. Fotografie aus der Sammlung. Ausst.-Kat. Frankfurt am Main, 25.9.2010-25.4.2011.
[77] Frankfurter Ausstellung unter Kinderpornografie-Verdacht. Welt.de, 24.2.2011. • Dennoch heißt es weiter: ,Der Fall sei zur endgültigen Klärung an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.’