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Der Kampf gegen die Anmut der Schönheit
Das heilige Geheimnis des Mädchens offenbart sich immer wieder in den Märchen. Dieses Motiv des die Brüder erlösenden Mädchens, seiner Sanftheit, seiner Demut, seiner eine reine Liebe erweckenden inneren und äußeren Schönheit, findet sich auch in modernen Verfilmungen. Die menschliche Seele hat eine Sehnsucht nach dem Mädchen.
Diese Märchensymbolik zeigt sich zum Beispiel auch in tiefer Eindrücklichkeit in Bildern der jungen polnischen Fotografin Laura Makabresku (geb. 1987). Da findet sich etwa ein Rehkitz vertrauensvoll an der Brust eines reinen, weißen, nur mit einem Hemdchen bekleideten Leibes einer jungen Frau – oder zu Füßen eines langen weißen Kleides. Oder es sucht ein Paar Stare an der Brust einer ein weißes Kleid tragenden Frau mit langem Haar einen Nistplatz.[1]
Wie umkämpft selbst solche Motive sind, zeigt sich daran, dass ein von einer anderen Künstlerin auf Instagram gestelltes Bild eines Mädchens, das unschuldig unbekleidet – auf dem Bauch, mit abgewandtem Gesicht – auf einem Bett liegt, auf dem neben ihm ein kleines Rehkitz steht, offenbar von Instagram zensiert wurde.[2]
Dies darf also nicht sein. Nacktheit wird heute gelöscht, darf nicht existieren, nicht gezeigt werden. Es gibt kein Ausnahmekriterium; einem Algorithmus gleich wird sie in allen Erscheinungsformen vernichtet. Am schlimmsten wäre die Nacktheit eines Mädchens – obwohl gerade dies, wie nichts sonst, die vollkommene Unschuld sichtbar macht. Sichtbar! Fühlbar. Die Seele kann es fühlen, und sie kann sich davon berühren lassen. Von der Schönheit, der Unschuld, der Zartheit, der Verletzlichkeit...
Die moderne Zensur wirkt wie eine hysterische Hyperreaktion einer technizistischen, Orwellschen Gedankenpolizei, die selbstherrlich wie ein Mullah-Regime entscheidet, was Kunst, Ästhetik und der Mensch überhaupt heute noch darf und was nicht mehr. Gedanken, Kunst und Schönheit sind heute absolut nicht frei – sie werden beherrscht von einer Doppelmoral, die die unglaubliche Unschuld des unbekleideten Leibes ganz und gar auslöscht. Sie darf nicht mehr gezeigt werden.
Wie ein religiöser Fanatismus, aber kalt-technokratisch, wird diese brutale Herrschaft, die gerade das Unschuldigste nicht mehr zulässt, umgesetzt. Das völlig unschuldige Mädchen fällt nur einem einzigen, ungeheuerlichen Missbrauch zum Opfer – dem seelisch-geistigen Mord des Nicht-mehr-da-sein-Dürfens.
Es ist, wie wenn in einer brutalen und kalten Welt das letzte Lebendige umgebracht wird. Von selbstherrlichen Orwell-Diktatoren, die genau wissen, dass damit auch die Seele selbst stirbt. Unschuld in ihrer heiligsten Form – der völligen, schutzlosen Verletzlichkeit – darf nicht mehr gezeigt werden.
Die Doppelmoral liegt darin, dass sonst alles gezeigt werden kann. Wir leben in einer brutalisierten und sexualisierten Welt, in der in jeder Videothek Filme mit grausamsten Morden und Folterungen und perversesten Sexualhandlungen zu haben sind; in einer Welt, in der das einzelne Individuum nichts mehr wert ist, weil sein Scheitern im Zeichen des neoliberalen Raubtierkapitalismus längst einkalkuliert ist – bis hin zum Scheitern ganzer Staaten im Zeichen geopolitischer Schachspiele. Hinzu kommt die brutale Vernichtung ganzer Ökosysteme, die die Existenz des Planeten erhalten würden. Es wird nicht offen ausgesprochen, aber offen umgesetzt: Die Unschuld ist auf dieser Welt keinen Cent wert. Sie wird gnadenlos niedergetrampelt. Es regiert das rohe Gesetz des Stärkeren.
Und vor dem Hintergrund dieses kaum noch bemäntelten, offenen Geheimnisses wird mit ungeheurer Doppelmoral, das heißt Verlogenheit, auf einmal das Nackte ,geschützt’, in Wirklichkeit aber ausgelöscht. Im ,Netz’ wird, wie wir sehen, jede kleine Darstellung von selbsterklärten ,Saubermännern’ und ,Sittenwächtern’ unterdrückt – und nebenan können reale Familien dem Raubtierkapitalismus zum Fraß vorgeworfen werden und zugrunde gehen, ohne dass ein Hahn danach kräht.
Und niemand sieht, dass Bilder der Unschuld wie das des Mädchens mit dem Rehkitz einer anderen Welt den Boden bereiten könnten. Nicht etwa einer Welt perverser Triebtäter an jeder Ecke, sondern einer Welt neuer Empfindungen, einer Welt von mehr Wärme, weniger Härte, mehr Sanftheit, mehr Sich-berühren-Lassen, mehr Demut, mehr Sehnsucht nach Harmonie, nach Schönheit, nach Bewahren, nach Rettung.
Das nackte Mädchen mit dem Rehkitz erinnert die Seele daran, dass nicht nur es selbst zutiefst verletzlich ist, sondern alles. Dass wir dabei sind, unsere Seele und den ganzen Planeten zu vernichten. Aber Instagram löscht das Bild – und vernichtet damit gerade die Unschuld, trägt dazu bei, dass der Wahnsinn unverändert und unberührt weitergeht...
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Ein weiteres Beispiel für die voranschreitenden Zensurbestrebungen ist der in Australien berühmte Fotograf Bill Henson (geb. 1955), der schon 1975 seine erste Einzelausstellung in der Nationalgalerie von Victoria hatte. Er fotografiert in einem sehr typischen kontrastreichen Stil unter anderem junge Menschen, und zwar vielfach nackt. Seine Bilder finden sich nicht nur in allen großen australischen Museen.
Im Zuge einer Ausstellungseröffnung in Sydney wurden 2008 dann auf einmal die Bilder zweier Teenager beschlagnahmt und ein Verfahren angekündigt. Sogar Premier Kevin Rudd nannte die Fotos ,absolutely revolting’ und leugnete ihren künstlerischen Wert, und das ganze Land diskutierte, ob Hensons Bilder zulässig seien. Die frühere Direktorin der Nationalgalerie, Betty Churcher, nannte das Vorhaben eines Gerichtsverfahrens ,lächerlich’.[3] Die Geschäftsführerin der ,National Association for the Visual Arts’ sagte noch schärfer:[4]
We are really seeing the results of the campaign being waged by child protection zealots. [] Images of children, clothed or unclothed, are disappearing from the public domain. [] This form of censorship is a scapegoating of artists.
Eine ausführliche Recherche von David Marr dokumentierte den ganzen Fall noch im selben Jahr.[5]
Letztlich wurde kein Verfahren eingeleitet, und die Bilder wurden als berechtigt zugelassen.[6] Doch solche Überreaktionen verschärfen das Klima der Angst immer weiter. Welche Galerie wird noch die Schönheit junger Mädchen zeigen, wenn sie befürchten muss, dass die Polizei oder eine aufgehetzte Öffentlichkeit einmal mehr Amok laufen?
Wie paranoid diese Geschehnisse sind, zeigt ein ausführlicher Hintergrundartikel.[7] Henson arbeitet mit jedem seiner Modelle über Jahre – und sie alle schätzen seine Arbeit sehr. Aber es ist nicht ihre Entscheidung, ob die entstandenen Bilder gezeigt werden dürfen, sondern die Öffentlichkeit bestimmt selbst über ihre Tabus. Wir dürfen täglich unzählige Morde im Fernsehen sehen – aber die Brust eines Mädchens darf nicht gezeigt werden:[8]
In May 2008, invitations were sent out for Henson's exhibition at Roslyn Oxley9 Gallery. An image called Untitled (#30) – chosen by Henson – was featured on the invitation. It was of a girl who became known as N, a 13-year-old whose nipples were just budding into breasts and whose waist was still quite girl-like. As Marr writes, it was the budding breast – "rarely seen and almost never celebrated" – that initially caused such a fuss. "[...] Henson had broken a powerful little taboo."
Henson had been photographing young nudes for years [...], but this time it hit him with full force. [...] Police marched into galleries all over Australia to inspect Henson photographs.
Und die Journalistin selbst berichtet:[9]
As I researched this piece, most of my male friends – intelligent, considered people – told me they find Henson's work troubling. | [...] Society tells us not to find children or adolescents attractive, says Nelson, and Henson's pictures challenge this [...].
Viele intelligente Männer finden die Bilder also ,beunruhigend’. Ist hier die innere Abwehr möglicherweise auch eigenen Begehrens nicht mit Händen zu greifen? Der Zensor im Kopf schlägt bereits zu, bevor man irgendeine Empfindung zulässt. Aber mit diesen Abwehrreaktionen kann man auch das Reine gerade nicht mehr empfinden – die tiefe Schönheit des Mädchenleibes in all seiner Unschuld.[10] Man bringt sich selbst um jedes Erlebnis – sogar das heiligste. Und alles hat nur damit zu tun, dass man es von vornherein abwehrt – weil man in vorauseilendem Gehorsam das verinnerlichte Tabu für einen reagieren lässt.
Henson selbst sieht die Gesellschaft gefangen in einer sinn- und fruchtlosen Dualität von Lüsternheit und Abwehr, die zu automatischen, konditionierten Reaktionen führe:[11]
“The public imagination has been hijacked by a kind of prurience,” he says. “When people see the beauty of the human body, and when it's a young person, they've already had a stick put in them that says 'Vulnerability! Danger!' [...]”
Das betroffene Mädchen wollte zwei Wochen nach der ganzen Aufregung mit Henson weiterarbeiten. Auf die Frage der Interviewerin, ob ein dreizehnjähriges Mädchen schon die ganzen Konsequenzen existierender Nacktaufnahmen überblicke, erwidert Henson, Kinder in einem Klima von Verdacht und Furcht aufwachsen zu lassen, habe etwas Tragisches und tief Ungesundes.[12] Kann man noch mehr hinzufügen?
2014 wollte Henson zur Biennale in der ,Art Gallery of South Australia’ in Adelaide wieder ausstellen. Obwohl seine Bildauswahl noch überhaupt nicht bekannt war, schrieb ein Polizist an Premier Weatherill, er möge ,gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern Stellung nehmen’. Und David Penberthy, früher Chefredakteur bzw. Herausgeber des konservativ-nationalistischen Boulevardblatts ,The Daily Telegraph’,[13] unterstellte Henson offen pädophile Tendenzen.[14] Henson wollte die öffentliche Finanzierung der Galerie nicht gefährden und stellte nicht aus. Die ersten Bilder Jugendlicher (neben vielen anderen) wurden erst wieder 2017 in der Nationalgalerie von Victoria ausgestellt.[15]
2008 hatten sich hochrangige australische Künstler in einem Schreiben hinter Henson gestellt, darunter Oscar-Preisträgerin Cate Blanchett. Wegen der wesentlichen Bedeutung dieser öffentlichen Stellungnahme, die in der liberalen Tageszeitung ,The Age’ erschien, seien größere Abschnitte hier zitiert:[16]
The potential prosecution of one of our most respected artists is no way to build a Creative Australia, and does untold damage to our cultural reputation. The public debate prompted by the Henson exhibition is welcome and important. We need to discuss the ethics of art and the issues that it raises. That is one of the things art is for: it is valuable because it gives rise to such debate and difference, because it raises difficult, sometimes unanswerable, questions about who we are, as individuals and as members of society. However, this on-going discussion, which is crucial to the healthy functioning of our democracy, cannot take place in a court of law.
We invite the Prime Minister, Mr Rudd, and the NSW Premier, Mr Iemma, to rethink their public comments about Mr Henson’s work. We understand that they were made in the context of deep community concern about the sexual exploitation of children. We understand and respect also that they have every right to their personal opinions. However, as political leaders they are influential in forming public opinion, and we believe their words should be well considered. [...]
[...] Mr Henson’s work has nothing to do with child pornography and, according to the judgment of some of the most respected curators and critics in the world, it is certainly art. We ask for the following points to be fairly considered:
1. [Hier werden die Museen aufgezählt, die Werke von ihm in ihrer Sammlung haben, darunter das Solomon R. Guggenheim Museum in New York und die Bibliothèque Nationale in Paris]
2. Mr Henson has been photographing young models for more than 15 years. Until now, there has been no suggestion by any of his subjects or their families of any abusive practices. On the contrary, his models have strongly defended his practice and the feeling of safety generated in his process, and have expressed pride in his work. [...]
3. The work itself is not pornographic, even though it includes depictions of naked human beings. [...] Many of Henson’s controversial images [...] depict the sexuality of young people, but in ways that are fundamentally different from how naked bodies are depicted in pornography. The intention of the art is not to titillate or to gratify perverse sexual desires, but rather to make the viewer consider the fragility, beauty, mystery and inviolabilty of the human body. [...] I would personally argue that, in its respect for the autonomy of its subjects, the work is a counter-argument to the exploitation and commodification of young people in both commercial media and in pornographic images. Many of us have children of our own. The sexual abuse and exploitation of children fills us all with abhorrence. But it is equally damaging to deny the obvious fact that adolescents are sexual beings. This very denial contributes to abusive behaviour, because it is part of the denial of the personhood of the young. In my opinion, Mr Henson’s work shows the delicacy of the transition from childhood to adulthood, its troubledness and its beauty, in ways which do not violate the essential innocence of his subjects. [...]
4. Perhaps the most distressing aspect of the trial-by-media to which Mr Henson and his work has been subject over the past few days, is how his art has been diminished and corrupted. The allegations that he is making child pornography have done more to promote his work to possible paedophiles than any art gallery, where the work is seen in its proper, contemplative context. [...]
If an example is made of Bill Henson, one of Australia’s most prominent artists, it is hard to believe that those who have sought to bring these charges will stop with him. Rather, this action will encourage a repressive climate of hysterical condemnation, backed by the threat of prosecution.
We are already seeing troubling signs in the pre-emptive self-censorship of some galleries. [...]
Hier sind alle wesentlichen Gedanken vereint. In einer Art ,Moral Panic’ wird inzwischen alles in die Ecke von ,Kinderpornografie’ gerückt, was mit unbekleideten Körpern zu tun hat, selbst wenn in der Art der Darstellung nur ihre tiefe, berührende Schönheit sichtbar wird. Die Verleugnung der Sexualität junger Menschen schädigt diese ebenso wie manch anderes, denn sie verneint einen wesentlichen Aspekt ihres Menschseins und ihrer Jugend – und liegt damit in derselben Richtung wie der eine Person verneinende Missbrauch. Und jede heuchlerische Aufregung zieht potenzielle Verbrecher überhaupt erst an. Was sie verhindern will, verursacht sie – und schafft nebenbei noch ein immer repressiveres Klima. Schönheit darf nicht mehr gezeigt werden. Die Tabus im Kopf werden zu einer gigantischen Paranoia...
Und – die verkrampfte ,Moral Panic’ macht letztlich jeden Einzelnen zum ,Pädophilen’ – wie es eine Bloggerin sehr eindrücklich in Worte fasste und erlebbar machte:[17]
The attitude that ANY nude [...] photograph of a child or teenager is inherently pornographic and sexualised (in the way adults perceive sexuality) is simply vile. It imposes the paedophilic mindset on all of us. [...]
The following image disturbs the hell out me. It’s a reproduction of one of Henson’s images from the Sydney gallery at the centre of police investigations. The pixellation and black bar have been added by the online media outlets that have published stories about the Henson case. I have seen the image several times now in various places on different days.
I have not viewed the original, uncensored print but I imagine from what I have seen of Henson’s work that it would be a beautiful, powerful portrait. I imagine a complex expression on the girl’s face. I imagine adolescent uncertainty and fragility, combined with a flash of youthful pride and promise. I imagine her semi-shadowed eyes staring back at me, challenging me to regard her as a person, not as an image [...]. [...]
Instead, I have this image. This censored image, an image completely the reverse of Henson’s original intention.
Girl as Victim.
Her face obscured, rendered anonymous. Expressionless. One of many. Victim. Criminal. Pixellation is indifferent and will do for both. And that black bar. So ugly, so solid. “Look,” it says. “But don’t look. Because it’s bad, what I’m covering up. You’re not supposed to look, you’re not supposed to see. It’s bad. You’re bad. But look, you mustn’t look.” [...]
Girl as Striptease.
Bill Henson didn’t do this. Hysterical, holier-than-thou fucktards did this. The Wowsers. The Police. The Media. The Politicians.
And they’re making all of us paedophiles together.
Merken wir also endlich, was wir gerade mit dieser paranoiden Panik den Mädchen antun!? Diesen stolzen, unschuldigen, bewundernswerten Mädchen, die sich nicht schämen, uns ihren Körper in all seiner Verletzlichkeit zu offenbaren – während wir uns schämen, ihn anzuschauen und mit ihm zugleich das ganze Mädchen zu sehen, ihre Person, ihr Wesen... Wir sollten uns schämen, dass wir derart verlogen und ängstlich sind! Dass wir das Mädchen inmitten seiner ganzen Verletzlichkeit gerade verraten – indem wir nicht bereit sind, seine Unschuld anzuschauen, sondern uns über den Fotografen erregen, dem es sich freiwillig enthüllt hat. Schande über unsere ganze Engherzigkeit!
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Der amerikanische Fotograf Frank Cordelle arbeitete seit den 80er Jahren an dem sogenannten ,The Century Project’,[18] das ab 1992 auch eine Wanderausstellung wurde. Es zeigt Frauen jeden Alters, bis fast hundertjährig, in ihrer natürlichen Nacktheit. Doch in North Carolina musste er im März 2009 die Aufnahmen minderjähriger Mädchen entfernen.[19] Wie brutal und heuchlerisch diese Paranoia ist, zeigen die eigenen Aussagen der entsprechenden Mädchen:[20]
A female who had been photographed at the age of 14 wrote, “The experience was a wonderful one that was incredibly beneficial to my view of my body.” A female who had been photographed when she was 15 wrote, “The day I saw The Century Project was the day my own distorted view of my body started to heal.”
Die Angst vor der Darstellung des jungen Leibes führt zu einer krampfartigen Paranoia, die jegliche Sinnhaftigkeit verliert und alles echte Leben leugnet... Um die Mädchen selbst geht es gar nicht mehr – nur noch um den eigenen Tunnelblick, dessen Verengung kein Ende kennt.
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Der hervorragende Jurist Edward de Grazia schrieb einmal in Bezug auf ,Free Speech’ und nonverbale Realitäten (hier Kunst und Unterhaltung):[21]
Of course art and entertainment convey “ideas”. It’s just that the ideas conveyed touch the emotions more directly and intimately than words alone do, and characteristically are difficult to identify, and defend, in word.
Der unbekleidete Mädchenleib signalisiert nicht nur ,sexuelle Verfügbarkeit’ – was sich im wesentlichen im Kopf des Betrachters abspielt, weil das Mädchen nicht verfügbar ist –, sondern noch etwas ganz anderes, nämlich Unschuld – weil der Leib eines Mädchens unschuldig ist.[22] Wer dies ausrotten will, durch eine Perversion des Begriffes ,Pornografie’, der trägt zu einer reaktionären, verhärteten, zynischen Welt bei, in der Unschuld und Schönheit immer mehr aufhören zu existieren.
Und de Grazias Lehrer in Chicago, Harry Kalven, formulierte nach den wegweisenden Urteilen des Supreme Court 1960:[23]
I am not suggesting that the Court will have any hesitation in recognizing, not, as Keats would have it, that truth and beauty are one, but that beauty has constitutional status too, and that the life of the imagination is as important to the human adult as the life of the intellect.
Wer in der Schönheit – und gerade die Unschuld hat eine unfassbare Schönheit – nicht mehr die übersinnliche Ideen-Realität erleben kann, der sollte zumindest dieser Schönheit an sich absoluten Verfassungsrang zugestehen. Sie ist die Quelle der Imagination. Und je mehr sie verboten wird – desto visionsloser wird diese Welt. Der Zusammenhang ist vollkommen offensichtlich. Angst, Zensur und intellektuelle Besserwisserei lassen die Seele zutiefst einschrumpfen. Die Schönheit des unbekleideten Mädchenleibes könnte die Seele wieder eines lehren: wirkliche Unendlichkeit. Das aber will man heute nicht mehr begreifen. Die Verhärtung ist schon weit fortgeschritten.
Um so wesentlicher bräuchte diese Welt wieder Lehrerinnen und Priesterinnen der Schönheit. Mädchen in ihrer ganzen Unschuld...
Fußnoten
[1] Siehe zum Beispiel Interview und Fotos: Kelly Richman-Abdou: Interview: Spiritual Photographer Captures Spellbinding Images Inspired by Fairytales. mymodernmet.com, 19.4.2018. • Neben der Bibel und den Märchen nennt die Künstlerin als Inspirationen auch klassische Maler sowie Andrei Tarkovsky und Arvo Pärt. • Siehe auch: Im Gespräch mit Laura Makabresku. kwerfeldein.de, 10.4.2011.
[2] Die mexikanische Sängerin und Schauspielerin Camila Sodi, die es eingestellt hatte, kommentierte die Löschung auf Spanisch: ,Pff ... Die Doppelmoral...’ Censuran a Camila Sodi por desnudo. www.laurag.tv, 30.8.2013.
[3] Wikipedia englisch: Bill Henson. • Im Internet finden sich die Bilder des einen dreizehnjährigen Modells. Es sind höchst reizvolle Dunkel-Gegenlichtaufnahmen, die sehr berührend die verletzliche Schonheit eines so jungen Mädchens zeigen. Sogar die Mutter des Mädchens verteidigte den ihr seit Jahren bekannten Künstler. Model's mother defends Henson. www.smh.com.au, 30.5.2008.
[4] Stephen Johnson: Henson photos likened to child porn. www.smh.com.au, 27.4.2011.
[5] David Marr: The Henson Case. Melbourne 2008.
[6] Wikipedia englisch: Bill Henson.
[7] Melissa Fyfe: Bill Henson: 'I am quite comfortable with the fact my pictures disturb people'. www.smh.com.au, 9.2.2017.
[8] Ebd.
[9] Ebd.
[10] Genau diese Unschuld sah Premier Rudd gerade gefährdet: ,I am passionate about children having innocence in their childhood. And therefore, when I'm presented with those sorts of photographs, and asked for my personal view as a parent, I gave them.’ Joint Press Conference with Deputy Prime Minister, Julia Gillard, Canberra. pmtranscripts. pmc.gov.au, 28.5.2008. • Man sollte es dem Mädchen überlassen, zu urteilen, ob es seine Unschuld gewahrt empfindet!
[11] Fyfe, a.a.O.
[12],[...] there's something tragic and deeply unhealthy in bringing children up in a climate of suspicion and fear’. Ebd.
[13] Wikipedia: The Daily Telegraph (Australien). • Wikipedia englisch: David Penberthy.
[14],I don't know that much about art but I know what gives me the creeps, and there is something about Henson's work which strikes me as creepy.’, ,The great mass of suburbia responded [2008, H.N.] that Henson was a weirdo whose photos looked like kiddie porn [...].’, ,Henson is by any measure an amazing stylist. But there is something in his obsessive nature [...], that gives people every right to question just what the bloke is up to.’ David Penberthy: Art or exploitation? The creepy truth about Bill Henson's naked photos of adolescents. The Advertiser, www.adelaidenow.com.au, 14.9.2013.
[15] Fyfe, a.a.O. • Die Ausstellung: Bill Henson. Festival of Photography. National Gallery of Victoria, Melbourne, 10.3.-23.8.2017. www.ngv.vic.gov.au.
[16] Open letter in support of Bill Henson. The Age, 28.5.2008.
[17] Kirstyn McDermott: Bill Henson and the Paedophilic Gaze. kirstynmcdermott.com, 27.5.2008. • Sie schreibt hier über eine Reproduktion eines dieser berührenden Bilder des dreizehnjährigen Mädchens, bei dem von den Medien das Gesicht gepixelt und der verletzliche Brustbereich des Mädchens mit einem dicken schwarzen Balken ausgelöscht wurde...
[18] Frank Cordelle: Bodies and Souls: The Century Project. Ancaster, Ont. 2006.
[19] Zunächst hatte sich ein Professor beschwert, es handle sich um ,an unconscionable act of exploitation of children that research shows will cause many harms to our nation's college campuses’. Jennie Klahre: The Century Project sparks controversy at UNCW. The Seahawk, 21.11.2009.
[20] Innocent Nudes by Frank Cordelle. artcontroversies.wordpress.com, 22.1.2011.
[21] Edward De Grazia: Girls Lean Back Everywhere: The Law of Obscenity and the Assault on Genius. New York 1993, p. 619.
[22] So gesehen, empfunden und begriffen ist der Leib eines Mädchens selbst bereits eine Idee – offenbart die Idee der Schönheit und der Unschuld, und jede künstlerische Darstellung kann dies sogar noch steigern und noch sichtbarer werden lassen. • Selbst die erotische Anziehung eines Mädchens beruht auch auf der Anziehung der Unschuld und damit der Anziehung einer Idee in ihrer sinnlichen Erscheinung – und diese ist zugleich zutiefst individualisiert. Und auch die Idee des Individuums und ihre Wirklichkeit ist zutiefst anziehend. Im Mädchen verbinden sich diese beiden: Individuum und Unschuld...
[23] Kalven Jr. H (1960): The Metaphysics of the Law of Obscenity. The Supreme Court Review 1960, 1-45, hier 16.