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Leahy 1991: Negotiating Stigma
Terry Leahy: Negotiating Stigma. Approaches to Intergenerational Sex. New South Wales 1991 [PhD Thesis], Victoria Park 2002. PDF 223 p., www.ipce.info. Im Folgenden Seitenangaben in hochgestellten eckigen Klammern.
In dieser Doktorarbeit untersucht Leahy die verschiedenen Diskurse, die in Bezug auf intergenerationelle Sexualität wirksam sind. Leahy zeigt, dass der dominante Diskurs – der seinerseits abhängig von anderen Diskursen bezüglich Familie, Gender, Sexualität und Alterskategorisierung ist, keineswegs unwidersprochen ist, gerade auch unter den ,zu schützenden’ Kindern und Jugendlichen nicht.
Einleitend weist er darauf hin, dass Studien über positive intergenerationelle Beziehungen sich bisher nur auf Mann/Junge-Beziehungen bezogen hätten, er aber erstmals auch Mann/Mädchen-, Frau/Mädchen- und Frau/Junge-Beziehungen mit einbezieht.[v] Insgesamt hat Leahy neunzehn ausführliche Interviews mit (oft ehemaligen) Kindern und Jugendlichen geführt, die über positive Erfahrungen[1] berichteten: zehn Mädchen (davon zwei mit Beziehungen zu Frauen, eine bisexuell) und neun Jungen (davon einer mit Beziehung zu einer Frau).[2][2]Bei zwei Mädchen und fünf Jungen begannen die Beziehungen, bevor sie zwölf waren.[8]
Der dominante Diskurs stigmatisiert diese Beziehungen – unter anderem schon durch Bezeichnungen wie ,Sex mit Minderjährigen’, ,sexueller Missbrauch’ oder ,Pädophilie’. Die ,Schutzalter’-Grenze liegt dabei in Australien wie in vielen anderen Ländern bei sechzehn Jahren (in Deutschland dagegen bei vierzehn).
Zunächst untersucht Leahy die existierende Literatur – die größtenteils alle intergenerationellen Beziehungen als Missbrauch klassifiziert – selbst da, wo positive Erfahrungen angegeben werden. Zudem werden diese, außer dass sie in die Statistik einfließen, nie weiter ausgeführt, als Beispiele wiedergegeben oder ähnliches, nicht einmal im Anhang. Man kann also von ,Missbrauchsliteratur’ sprechen.[3]
Diese Studien basieren hauptsächlich auf Aussagen über nicht einvernehmliche Kontakte mit schon zum Zeitpunkt des Kontakts negativen Erfahrungen, wobei dem Erwachsenen die Tatsache des fehlenden Konsenses auch klar war bzw. sein musste.[3] Finkelhor (1981)[3] etwa untersucht dann die Abhängigkeit möglicher Traumata von verschiedenen Faktoren, aber die Frage, welche Beziehungen (zumindest aus Sicht des Minderjährigen) einvernehmlich waren, wird nicht einmal gestellt.[3] Teilweise – etwa bei Inzestbeziehungen – wird die Möglichkeit gegenseitigen Einverständnisses nicht einmal mehr in Betracht gezogen.[4]
Finkelhor fand, dass 19 % der Frauen und 9 % der Männer im Alter von sechzehn Jahren bereits ,sexual victimization’ durch einen Erwachsenen erlebt hatten. Von den weiblichen Betroffenen hatten 66 % bzw. 9 %, von den männlichen 38 % bzw. 19 % die Erfahrungen als negativ bzw. positiv erlebt.[5][4]Bei der Analyse von Finkelhors Fragebogen im Anhang findet man jedoch, dass er alle Erfahrungen bis zum Alter von zwölf Jahren erfragt, danach aber nur jene mit Verwandten, Erziehungsberechtigten oder Freunden der Eltern sowie zuletzt auch nicht einvernehmliche sonstige Erlebnisse.[5] Ausgeschlossen wurden also einvernehmliche Erlebnisse ab dreizehn Jahren außerhalb der Familie – was Finkelhors Angaben über positive und negative Erfahrungen völlig wertlos werden lässt![7]
Der dominante Diskurs in Bezug auf intergenerationelle Sexualität hat im wesentlichen folgende Positionen:
• immer schädlich;
• generell ungewollt, gewöhnlich vom Erwachsenen initiiert;
• oft psychologische Probleme, Eltern unzureichend;
• Der Erwachsene ist böse, psychologisch nicht erwachsen, pädophil, typischer Vertreter des Patriarchats etc.;
• Das Kind ist unfähig zu ,informed consent’.
Selbstverständlich existieren diese negativen Erfahrungen – aber ebenso existieren positive Erfahrungen. Denise erlebte beide zur gleichen Zeit – Vergewaltigungen durch ihren Vater und Erfahrungen mit älteren Freunden, in denen ihr eigener Wille ernstgenommen wurde.[21][6] Ähnliches äußern die vier anderen Interviewten, die ebenfalls teilweise negative Erlebnisse hatten.[22][7]
In Bezug auf ihre eigenen positiven Erfahrungen konfrontierten die Interviewpartner den dominanten Diskurs auf verschiedene Weisen:[23f]
• Minimierung des ,Intergenerationellen’: erstmals wie ein Erwachsener behandelt, Prozess des Erwachsenwerdens, reifer als die Altersgenossen (,Ausnahmen der Regel’);
• Minimierung der ,Sexualität’: Spiel, ,Boyhood-Subkultur’, Auslassung ,erwachsener’ Sexualität (Penetration etc.);
• Zurückweisung der Opfer-Kategorie;
• Zurückweisung der Relevanz des Diskurses: Normalität statt Transgression (Subkultur);
• Umkehr des Diskurses: Ungleichheit hat keineswegs geschadet;
• Betonung der Transgression: Sexuelle Selbstbestimmung, ,Karneval’-Diskurs (Entlarvung verlogener Normen).
● Minimierung des ,Intergenerationellen’
Der dominante Diskurs nimmt an, dass nur zwischen Erwachsenen einvernehmliche Sexualität möglich sei. Feministinnen wiesen aber auch darauf hin, dass diese zwischen Erwachsenen im Patriarchat auch nicht möglich ist: Der Frau wird ihr Lebensunterhalt garantiert, während der Mann Gehorsam und sexuellen Zugang zu ihr erwarten darf. Der Heiratsvertrag ist so zugleich Zeichen und Verneinung von Gleichheit: Die Frau stimmt freiwillig ihrer Unterordnung zu (informed consent).[26][8] Bei Kindern dagegen wird dieser Austausch (Schutz gegen Gehorsam) sogar als Naturzustand angesehen – sie brauchen nicht einmal zuzustimmen.[26] Bei anderen intergenerationellen Beziehungen wird nun argumentiert, Kinder können nicht zustimmen, und automatisch von ,Missbrauch’ gesprochen, selbst dann, wenn das Kind sie freiwillig oder sogar von sich aus eingeht.
Mehrere Interviewpartner wiesen darauf hin, dass der Ältere einer der ersten Erwachsenen – oder sogar der erste – war, der einen ebenfalls als ,erwachsen’ anerkannt und respektiert hat, womit auf die Gleichheit in der Beziehung hingewiesen ist. Eine solche kann den Jungen oder das Mädchen somit sogar stärken (empowerment) – etwas, was zum Beispiel Wendy auch direkt äußerte.[27][9] Bobbie hatte mit zehn bis zwölf Jahren eine selbst initiierte sexuelle Beziehung zu einem Onkel, in der sie sich verstanden, geschätzt, gleichwertig und bereichert fühlte.[27f][10]
Die Initiation zur Erwachsenheit wurde vor allem von den männlich-homosexuellen Interviewten betont. Diese verwiesen auf die Unterstützung, die ihnen Erwachsene für das eigene innere und äußere ,Coming Out’ gaben – gegen die Stigmatisierung durch die Umwelt.[28f]
Achtmal wurde darauf verwiesen, dass man reifer gewesen sei als der Durchschnitt. In diesem Zusammenhang zeigt sich auch die ganze Fragwürdigkeit eines abstrakten ,age of consent’.[29][11] Die Rationalität, Bewusstheit und Reife ist nicht nur altersabhängig, sondern individuell verschieden.[30] Erwachsene beanspruchen das Recht, ,Kindheit’ zu definieren – aber auch ,Kinder’ beanspruchen das Recht, ihre ,Reife’ zu definieren.[31]
● Minimierung der ,Sexualität’
Der dominante Diskurs basiert auf einem ganz bestimmten, implizit asexuellen Bild von ,Kindheit’: Kinder ,wissen noch nichts’ von Sexualität (obwohl das Medienzeitalter diese Grenze zwischen Kindes- und Erwachsenenwelt zunehmend aufhebt), sie sind nur ,neugierig’, haben noch kein sexuelles ,Begehren’, da die ,Hormone’ noch nicht wirken. Sind Kinder sexuell aktiv, gilt dies als Folge einer vorausgehenden Schädigung oder gar selbst als zivilisationsbedrohend.[34] Überall jedoch wird Kindheit mit einer Abwesenheit von Aspekten definiert. Kinder schaffen jedoch auch ihre eigene soziale Wirklichkeit, und es gibt auch eine Sexualkultur der Kindheit.[35][12]
Ein weiterer Diskurs beinhaltet insbesondere die sexuelle ,Reinheit’ von Mädchen (,girlhood purity’). Laut diesem Diskurs ist es der Mann, der die ,natürliche feminine Unschuld’ des jungen Mädchens korrumpiert und so den Übergang von ,asexueller’ Kindheit zur ,maßvollen weiblichen Sexualität’ der erwachsenen Frau verhindert.[45] Vier Mädchen, die mit elf bis vierzehn eine romantische Beziehung mit über fünfundzwanzigjährigen Männern begannen,[13] begrenzten jeweils den sexuellen Aspekt, was vom Mann akzeptiert wurde.[14]
Isobel (14), die bereits Erfahrungen mit Frauen gehabt hatte, beschreibt eindrücklich die Stigmatisierung durch die Umwelt, die in der Beziehung mit Martin (48) auch in sie eindringt:[45][15]
People’s reactions were really weird seeing us together. People used to think there was something going on between us. When I used to sometimes deny to myself that there was. It was like I couldn’t quite cope with what was going on. [...] After a certain stage I was aware totally of the sort of illicit nature of the whole thing. I was aware. I mean I wanted it and I was in it with him. But I was aware that it was totally unacceptable ’cause we would have these things together.
Und weiter:[47f]
But he never, never actually fucked with me or anything. I mean it was just … Kiss. Kissing was one of our major things. And he would also touch my whole body. [...] But … I was sort of physically desperate for him. But because of … obviously my fear and repression. I wasn’t. I couldn’t let myself be totally sexual with him. [...]
I wouldn’t have cared at all if we’d walked around with our arms around each other, or anything like that, but he was fanatical about not doing that and that used to very badly affect me as well. Because I used to want it. I used to find the split between the private and the public, umm appearances and expression really difficult and disturbing. And I think that is partly why I was so umm, repressed with him was because even when I was with him in private I couldn’t really let go of all this stuff that was sort of put onto us in public, you know.
Mit anderen Worten: Sie ist als Mädchen zutiefst bestürzt über die Unaufrichtigkeit, die durch die Kriminalisierung erzwungen wird – und die auch sie bis ins Innerste belastet, weil die Zuneigung und das, was man tun will, nicht mehr rein da sein darf.
Joanne berichtet über Orgasmus-Erfahrungen mit zwölf – und ebenfalls über jegliches Fehlen von Zwang:[47]
I remember the first time he played with my clitoris. And I. That was my first orgasm. I remember thinking – what the fuck is this? And the kissing and stuff like that. [...] I was 12, coming on 13 and I – like I wasn’t scared. [...] Nothing was ever forced. [...] I did oral sex and stuff like that, but again I had that no-no about penetration and he never forced the issue. He never forced it even as I got older.
● Zurückweisung der Opfer-Kategorie
Ein Beispiel hierfür ist David, der mit fünfzehn ein Verhältnis mit seiner Geschichtslehrerin hatte.[50][16] Ein anderes Beispiel ist Maria, die mit acht Jahren Spiele mit einem Onkel spielt, die auch eine sexuelle Note hatten.[17]
● Zurückweisung der Relevanz des Diskurses
Drei Mädchen aus der Arbeiterschicht äußerten sehr klar, dass in ihrer Subkultur Beziehungen mit Männern bis fünfundzwanzig nicht nur akzeptiert sind, sondern geradezu bevorzugt werden.[52][18] Gleichaltrige Jungen werden überhaupt noch nicht sexuell wahrgenommen, so Angela:[53][19]
I suppose I didn’t really see boys of the same age as sexual. [...] I mean you couldn’t go out with a boy your own age because they didn’t have any money and you didn’t have any money.
Die Transgression lag hier nicht im Altersunterschied – der normativ gutgeheißen, gar nicht als intergenerationell wahrgenommen wurde –, sondern allenfalls in Geschlechtsverkehr vor der Ehe, insbesondere für Mädchen und insbesondere bei einer Schwangerschaft.[53]
● Umkehr des Diskurses
Der Altersunterschied wird nicht als Gefahr gesehen, sondern aufgrund seiner Vorteile sogar begrüßt.[20] Der Erwachsene verführt nicht mit seiner Macht, sondern er ermöglicht mit ihren Elementen (Status, Geld, Wissen) auch dem Jüngeren vieles. Der Erwachsene hat Macht, aber er missbraucht sie nicht – sondern verwendet sie zum Guten.[54] Dasselbe gilt ja für Eltern!
Denise betrachtete den Sex als Tauschverhältnis – und sah sich selbst in der aktiven Rolle. Obwohl dies wie ,Prostitution’ anmutet, lehnt sie auch diesen Diskurs ebenso wie alle romantischen Ideale ab:[56f]
I had my first fuck, so to speak, when I was 13 at high school. I had this marvelous boyfriend and that managed to give me all manner of power and status. [...] I suppose, looking back on it, I was a cynical little manipulator really because it wasn’t love or anything like that. I didn’t see it in those terms at all. It was just handy. [...] I didn’t do it for the sex after the first time because I actually found it quite mundane, quite dull and boring really. I did it for – I don’t know why I did it, I liked the cuddling and kissing. [...] I just found that once you’d done it then you may as well keep on doing it. They wanted to do it, it made them happy. It didn’t make me unhappy. [...] I think I was maybe prostituting myself. And I think well, OK. [...] I always hated romanticism, I have never been a romantic. [...] You are left with something mutually pleasant and convenient to both people involved and something that’s working.
In Bezug auf den auf dem Argument der ,Ungleichheit’ beruhenden ,Ausbeutungs’-Diskurs zeigt sich hier, dass Denise sich keineswegs ,sexuell ausgebeutet’ fühlt, sondern wenn überhaupt sich selbst als die ,zynische Ausbeuterin’ sieht. Der mächtige Erwachsene ist keine Bedrohung, sondern eine Quelle für das Gewünschte. Die Ungleichheit spielt keine Rolle, weil viel wichtiger die Gleichheit ist: Jeder bekommt, was er will, und es ist ein fairer Austausch. Damit liegt überhaupt keine Ausbeutung vor.[57f]
Dies ist das völlige Gegenbild zu Finkelhors Argumentation, der neben der behaupteten Unmöglichkeit des ,informed consent’ auf das völlige Machtübergewicht der Erwachsenen verweist:[58][21]
[...] a child does not have the freedom to say yes or no. [...] In a legal sense, a child is under the authority of an adult and has no free will. In a more important psychological sense, children have a hard time saying ‘no’ to adults, who control all kinds of resources that are essential to them. Food, money, freedom all lie in adult hands. In this sense, the child is like the prisoner who volunteers to be a research subject. The child has no freedom to consider the choice … a child is not fully free to say no.
Dieses Argument trifft allenfalls auf sogenannte ,Abhängigkeitsverhältnisse’ zu, aber nicht einmal da völlig, denn Eltern sind verpflichtet, Kinder zu unterhalten und jede Gewalt zu unterlassen. Gegenüber anderen Erwachsenen dagegen haben Kinder ohnehin alle Freiheiten, und sie müssen nicht das Geringste tun, was sie nicht wollen. Scharf ausgedrückt, ist Finkelhors Argument längst völlig überholt. In jedem Fall berücksichtigt er nicht, dass ein Kind nicht nur Schwierigkeiten haben könnte, unerwünschte Avancen von Erziehungsberechtigten abzuwehren, sondern dass es auch den Wunsch und das Recht haben könnte, erwünschte Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen.[22]
● Betonung der Transgression
Die liberale Vertragstheorie geht von gleichberechtigten Partnern aus, während Vereinbarungen nichtig seien, wenn ein Partner minderjährig, geistig behindert oder ein Sklave sei.[60] Diese Definition ist aber ihrerseits künstlich, wenn die angeblich vertragsunfähige Partei darauf besteht, eine Beziehung einzugehen, die sie als wünschenswert und vorteilhaft erlebt. Eine Leugnung, dass dies möglich sei, käme dann einer Entmündigung gleich.
Der homosexuelle Tristan etwa formuliert sehr klar, dass ihm schlicht und einfach das Recht, glücklich zu sein und er selbst zu sein, genommen werde:[61][23]
Yeah, it worried me in the fact that I couldn’t walk down the streets with my arm around the person that I wanted to whereas other people could. [...] I don’t know, I don’t think in my lifetime you’ll see the time when you’ll be able to do that. I wonder even if you ever will be. But that’s all.
Joanne begann mit zwölf eine Beziehung zu einem alleinerziehenden Mann (28), bei dem sie Babysitting machte. Sie wirft der Gesellschaft vor, sie mit Schuldgefühlen durchtränkt zu haben:[62][24]
No way, I can’t recall telling anybody. Not until it was over and even then, even then very few people would I tell about that episode because I had a lot of guilt around it. Even up until the last couple of years, in fact, was I able to get rid of the guilt enough to feel that I could actually tell people about it and it was actually all right. It happened and it’s OK and I’m not a bastard or a rotten person because I did all that … had those experiences. [...] | [...] and now I’m at a stage of my life where I really do see how fear absolutely controlled my life. Fear I sort of think that had been inculcated in convent school and all the other aunts and uncles, blah blah, blah over the years … that was the thing. It was mainly fear, incredibly crippling fear, which was almost irrational.
Es ist dieselbe Gesellschaft, die die Möglichkeit zu ,informed consent’ leugnet und die völlig uninformed Mädchen wie Joanne mit ihren Urteilen durchtränkt! Auch gegen diese kann sich ein Mädchen überhaupt nicht wehren, weil es sie gar nicht durchschaut – aber dennoch wehrlos aufnehmen muss und so regelrecht traumatisiert wird, schleichend, aber tiefgehend.
Ja, mehr noch: Joanne berichtet, dass ihre Schuldgefühle sie zu einem leichten Opfer in anderen sexuellen und überhaupt in sozialen Beziehungen gemacht haben![63] So macht die Gesellschaft Mädchen wie sie gleich doppelt zu Opfern.
Leahy verweist in diesem Zusammenhang absolut mit Recht auf Carol Gilligan, die mit ihrer wichtigen Arbeit ,In a Different Voice’ zeigte, dass Frauen sehr spezifisch auf Situationen blicken und nach dem realen Schaden und Nutzen für einen Menschen urteilen – während Männer die Tendenz haben, sich nach ,universellen’ Moralprinzipien und abstrakten Regeln zu richten und diese auch zu erschaffen.[63] Es ist interessant und paradox, dass auf diese Weise Männer sowohl die Missbraucher als auch die ,Schützer’ sind, die aber Gesetze schaffen, die wiederum andere Minderjährige ebenfalls zu Opfern machen, weil sie sie entmündigen und stigmatisieren. Die auf dem Fühlen gründende weibliche Seele könnte nie so abstrakte Regelungen fassen, ohne die inneren Widersprüche zu erkennen und auch darauf irgendwie zu reagieren.[25]
Durch Stigmatisierung entstehen auch Opfer – nicht nur durch Missbrauch. Der Missbrauch leugnet die sexuelle Selbstbestimmung eines Mädchen oder Jungen – die Stigmatisierung ihrer möglicherweise eigenen sexuellen Entscheidungen leugnet diese Selbstbestimmung aber ebenfalls. Sie werden nicht von einem Sexualtäter überfallen und gezwungen – aber von einem Gesetz. Auch hier sind es übermächtige Erwachsene, die vom Kind etwas fordern, was es nicht will – und nicht zulassen, was es will ... und sogar tut.[63]
Neben der Frage der sexuellen Rechte spielte in den meisten Interviews in irgendeiner Weise auch der ,Karneval’-Diskurs eine Rolle – die teilweise hilflose, teilweise selbstbewusste Konfrontation des dominanten Diskurses mit seiner ironischen, sarkastischen oder sonstigen Ablehnung.[64]
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Im zweiten Teil seiner Arbeit geht Leahy ausführlicher auf die Diskurse ein, die den in Bezug auf intergenerationelle Sexualität dominanten Diskurs beeinflussen.
So ist ohne Zweifel das männliche Begehren nach einer jüngeren Partnerin (und umgekehrt) auch ein mächtiges soziales Konstrukt – das Tabu von Mann/Mädchen-Beziehungen ist dem diametral überlagert. Die soziale Kodierung des Weiblichen als mütterlich und fürsorglich schließt wiederum Sexualbeziehungen einer Frau zu einem Jungen oder Mädchen aus.[77] Daher haben insbesondere Frauen in solchen Beziehungen Schuldgefühle und ist die Stigmatisierung[26] hier teilweise noch stärker.[182][27]
● Die Kernfamilie
Dies ist ein weiterer mächtiger Diskurs: die Kernfamilie als verantwortlich für die ,sexuelle Sozialisation’ ihrer Kinder und als ,Hort der Liebe’, auf deren Mangel sofort hingedeutet ist, wenn Kinder und Jugendliche ,verfrüht’ sexuelle Beziehungen – und gar mit Erwachsenen – beginnen. Dies steht dem Dogma der ,asexuellen Kindheit’ und einem geordneten Übergang in die Ehe als allein ,legitimem Ort’ erwachsener Sexualität entgegen. Insbesondere die ,Promiskuität’ des Mädchens wird befürchtet. Ein anderer Erwachsener stellt zugleich eine Bedrohung des elterlichen ,Eigentumsrechts’ am Kind dar und gefährdet die gesamten Lebensziele und Ideale, die man mit dem Kind verknüpfte.[79][28]
Die Kernfamilie hat sich und die Kinder jedoch erst im 18. Jahrhundert von der Gesellschaft abgesondert.[80] In Familien der Arbeiterschicht dauern Kindheit und Jugend zudem keineswegs so lange wie in der Mittelschicht.[81]
Da das Dogma besagt, Kinder würden nie freiwillig zu intergenerationeller Sexualität kommen, muss, wenn dies offenbar doch geschieht, bereits eine ,Pathologie’ vorliegen, entweder ein vorangegangener ,Missbrauch’ oder problematische Familienverhältnisse, ein abwesender Vater etc. – man kann dies als ,ätiologischen’ oder defektorientierten Ansatz bezeichnen.[82] Wegen der Schwäche der Kernfamilie wird ein unschuldiges Kind zur Beute eines Erwachsenen...[83]
Dieser Ansatz führt jedoch nur dazu, die Betroffenen pauschal zu etikettieren oder gar zu pathologisieren – und berücksichtigt weder, dass sehr viele Familienverhältnisse mangelhaft sind, noch dass Kinder mit intergenerationellen Beziehungen mit ihren Familien durchaus sehr zufrieden sein können.[84][29] Der Ansatz propagiert ein ,heiles Bild’ der Mittelklassefamilie mit Mutter am Herd, das mit der Realität nicht mehr viel zu tun hat. Zudem ist in vielen Fällen ein fehlender Elternteil oder ein zeitweiliges ,Unbeaufsichtigtsein’ auch kein ,Risikofaktor’, sondern schlicht und einfach ein Umstand, der das Eingehen einer intergenerationellen Beziehung überhaupt ermöglicht und nicht unterbindet – also kein Kausalfaktor.[85]
Die Kernfamilie ist ausführendes Organ des herrschenden Diskurses[30] – in nahezu allen Fällen haben die Befragten ihre Beziehungen vor den Eltern verschwiegen, weil sie wussten, dass diese nicht akzeptiert werden würden.[85] Nur vier jedoch – darunter nur ein Mädchen, Joanne[31] – gaben an, dass ihre Familiensituation sie in diese Beziehungen geführt habe.[86] Aber auch Isobel berichtet von einer dominanten Mutter, die gleichwohl nie für sie da war.[87] Dennoch betrachtet sie Martin nicht als Elternersatz.[88] Mehrere Interviewte wiesen darauf hin, dass ihre Eltern keine adäquaten Eltern waren und sie sich daher auch nicht durch irgendeine Loyalität gebunden fühlten, die jeweiligen Beziehungen nicht einzugehen.[90ff]
● Die Rolle der Mutter
Seit langem gilt die Frau als moralischer, galt früher selbst als asexuell und engelhaft, jenseits von ,tierischer Lust’ und daher als ideale Beschützerin unschuldiger Kinder und ihrer Moral.[94f] Insbesondere die Mutter hat ,Wärme und Geborgenheit’ zu geben. Zugleich müssen insbesondere Söhne irgendwann ,die Nabelschur durchschneiden’. Aber auch Mädchen können sich gegen ,sexuelle Aufsicht’ wehren – oder Mütter und Töchter sich gegen den patriarchalen Diskurs der ,girl purity’ verbünden.[94][32] Ein mächtiger Diskurs fordert jedoch von Kindern und insbesondere Töchtern Loyalität (Keuschheit) als Dank für die erhaltene Mutterliebe.[95]
Tatsächlich empfanden die Interviewpartner vor allem gegenüber der Mutter Schuld wegen der verheimlichten Beziehungen.[95f] In acht Fällen wurde die Mutter jedoch auch kritisiert – dafür, dass keine Kommunikation möglich war, sie kalt und unzugänglich war etc.[97f] Nur Mädchen empfanden jedoch, dass sie ihre ,Illoyalität’ irgendwie zu begründen hätten.[98]
● Beschützender Vater – artige Tochter
In diesem Diskurs besteht die ,Außenwelt’ aus lustgetriebenen Männern, die auf unschuldige Mädchen nur so lauern.[112] Das zweite Element für das Tabu intergenerationeller Beziehungen ist das der ,artigen Tochter’ und ,Mädchenunschuld’ (girlhood purity). Hierzu gehört das gesamte Paradigma der Femininität: das Weibliche als abhängig, passiv, nicht konkurrierend, nicht ehrgeizig, taktvoll, höflich, empathisch, zartfühlend etc.[112] In diese Rolle der ,maßvollen’, sich unterordnenden[33] Weiblichkeit soll die Tochter aus einer möglichst asexuellen Kindheit heraus[34] hineinwachsen – intergenerationeller Sex dagegen bedeutet die Gefahr von Promiskuität bzw. ist bereits gleichbedeutend damit. Die Tochter ist damit bereits ,beschädigte Ware’ und für eine Verheiratung nur noch bedingt tauglich.[112f]
In diesen Zusammenhang gehört auch der Frauentausch patriarchaler Gesellschaften. Der Vater ,besitzt’ die Tochter und gibt sie schließlich an den legitimen Ehemann weiter. Eine von ihr selbst gewählte Beziehung unterminiert dies. Rubin hat dies mit Freuds Ödipuskomplex und dem Inzesttabu verknüpft und darauf aufmerksam gemacht, dass hier ein patriarchaler Generationenvertrag vorliegt: Die Söhne verzichten auf Feindschaft gegen die Väter (und Konkurrenz um die Mütter), weil sie wissen, dass sie die nächste Generation der Frauen bekommen (da die Väter auf die Töchter verzichten).[113][35]
Als Sharon (14) eine Beziehung mit Jeffrey (40) begann, begann auch ihr Vater sie sexuell zu bedrängen, und sie musste zu ihrer Mutter ziehen.[114] Als Wendy ihre Beziehung mit Paul begann, verbot ihr Vater ihr, ihn weiter zu sehen.[115] Bobbie hatte eine sexuelle Beziehung mit ihrem Onkel, der sie auch in ihren liberalen politischen Ansichten bestärkte – ihr Stiefvater jedoch zwang sie zu Oralsex.[115][36] In all diesen Fällen haben wir zum einen selbstgewählte Beziehungen von Mädchen – und zum anderen echten Missbrauch. Auch Wendys Vater war innerlich zutiefst übergriffig, indem sie sich von nun an in seinen Augen wie eine promiske Hure fühlte:[119][37]
Oh, it made me feel really smutty. Really [...] dirty. [...] Dressing up to go out at night, I just couldn’t bear that walk from my bedroom to the front door having to walk past my father’s chair and just see him saying “You slut”. [...] I used to be very conservatively dressed. I wasn’t allowed to wear anything else. [...] I didn’t feel like I was putting myself on display. He sort of looked at me and said “You’re just a ….”
● Romantische Beziehung
Im Kontext von ,Femininität’ werden von Mädchen romantische Beziehungen erwartet. Da im Rahmen von ,Männlichkeit’ gerade von heranwachsenden Jungen das Gegenteil erwartet wird, wäre eine Beziehung zu einem Mann im Vertrauen auf eine längerfristige Beziehung sogar schon deshalb eine rationale Wahl.
Intergenerationelle Beziehungen haben jedoch auch Aspekte, die den romantischen Diskurs brechen: Zumeist wird die Beziehung nicht lebenslang konzipiert, sondern als ein Lernfeld, ein Sich-Erproben. Wendy berichtet, dass vor allem Paul romantisch zu ihr war.[38] Dies hob jedes ,Machtungleichgewicht’ völlig auf.[39] Gerade dadurch, dass sich die Mädchen endlich gleichberechtigt behandelt fühlen, wird der romantische (aber auch patriarchale) Diskurs gebrochen.[133] Folgende Aussage von Wendy ist vielleicht für viele Mädchen typisch:[133]
But I guess I felt like he was giving more than I was [...] and I really liked him. I really really did. I thought he was just wonderful but I didn’t feel like it was that head-over-heels, you know, all time love affair.
Hier kann von ,Ausbeutung’ durch den Mann keinerlei Rede sein, im Gegenteil.[40] Und zugleich spiegelt Folgendes das volle Vertrauen wieder, das das Mädchen in dieser Beziehung haben konnte:[133f]
I just think he wanted something more than I had to offer at the time and I think that was really unfair of me [...]. [...] | In fact I used to flirt with him all the time sort of giving him the come on but stopping when it got a little bit too passionate but that was all part of the game too. [...] Just the fact that I could attract somebody and how to actually do it and have someone respond without them just diving on me which is what would happen if it was somebody my own age if I did some of the things that I did to Paul. But in fact, I don’t know, perhaps they just wouldn’t even notice because the communication was much more subtle. He was much more responsive and much more concerned about me than the boys of my own age.
Drei weitere der insgesamt zehn interviewten Mädchen bestätigen die besondere Achtsamkeit (concern and care) des Mannes, während sie selbst dem romantischen Diskurs nicht voll folgten.[134]
Joanne, die Babysitterin, sagt, sie sei noch zu jung gewesen. Der Mann liebte sie spätestens, als sie fünfzehn war, und hätte sie mit sechzehn gerne geheiratet, als ihre Eltern in eine andere Stadt zogen, aber sie lehnte dies ab. Später begann sie ein unabhängiges, lesbisches Leben.[135] Isobel (14) liebte Martin dagegen ganz klar. Sie schrieben einander alle zwei, drei Tage lange Briefe, in denen es auch viel um ihrer beider Begeisterung für die Kunst ging. Wie die anderen Männer hätte auch Martin gerne echten Geschlechtsverkehr gehabt, aber die Mädchen lehnten dies ab, und sie fühlten dann keinerlei Druck. Aber auch für Isobel war Martin nicht die Liebe ihres Lebens.[135f][41] Das Gleiche gilt für Bobbie mit ihrem Onkel.[136][42]
Generell sind die modernen, emanzipierten Mädchen nicht mehr so romantisch wie früher, gerade auch ihren eigenen Peers gegenüber nicht – und waren es in der Arbeiterklasse sowieso stets weniger.[137f][43]
Sehr romantisch sah auch Pippa (15) ihre zwei Jahre dauernde homoerotische Beziehung mit der neun Jahre älteren Glenys. Es zeigt sich, dass hier Erotik, Zärtlichkeit und ein Bedürfnis nach Aufgehobensein zusammenfließen:[193][44]
I was really, really in love with her and it didn’t start out as sexual and we didn’t see each other as lesbians; we saw each other as a person that we strongly admired and loved and felt all these things for. [...] Whereas I mean I just had to kiss this woman [Glenys] and I was right through the roof. [...]
I did form friendships with older women because they were nurturing and kind and loving and I needed that.
[...] And plus, I’m so shy … it’s usually people that are older than you initiate any sexual contact or friendship or stuff like that so that makes it easier for me. ’Cause they initiate it, at the moment.
Mit anderen Worten: Ein Mädchen kann sich den älteren Partner wünschen, damit er den sexuellen Kontakt initiiert...
● Selbstentdeckung der Jugend
Im Kontrast zu den oben genannten Mädchen stehen jene, die Romantik offen ablehnen – etwa die sich als ,cynical little manipulator’ bezeichnende Denise, die mit dreizehn bereits Koitus hat und mit fünfzehn mit einer Freundin knapp doppelt so alte Migranten in einer Disco aufgabelt.[138f] Auch Angela wollte vor allem mit Männern schlafen, während diese durchaus romantisch sein wollten.[141]
Sharon wollte ebenso alles ausprobieren, dennoch bezeichnete sie ihre Beziehungen als ,Freundschaften’, eine Mischung der Aspekte ,adolescent’ und ,feminine’.[142f] Im Gegensatz zu Denise und Angela genoss sie den Sex sehr und hatte auch Orgasmen.[144]
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Insgesamt schafft Leahys ausführliche Arbeit ein gründliches Bewusstsein von den zahlreichen normativen Diskursen, die die Debatte prägen bzw. zu dem dominanten Diskurs zusammenfließen: Kinder sind schutzwürdig und können nicht selbst entscheiden – die Familie hat für eine ,geordnete sexuelle Sozialisation’ zu sorgen, und insbesondere Mädchen sind als ,feminines Opfer schlechthin’ zu beschützen, um einst ,dem Richtigen’ übergeben zu werden.
Die Kinder und Jugendlichen können sich gegen die Stigmatisierung ihrer freiwillig eingegangenen und aufrechterhaltenen Beziehungen wehren, indem sie den Diskurs nicht angreifen, aber dessen Angriffsfläche minimieren (,Altersunterschied gar nicht wesentlich’, ,kein richtiger Sex’, ,fühle mich nicht als Opfer’) – oder sie können aktiv auf ihren Rechten beharren, indem sie das Positive der Ungleichheit herausstellen, das Recht ihrer eigenen Subkultur, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und eigene Erfahrungen ... und schließlich das Unrecht aller abstrakten Normen oder gar überholter dahinterstehender Vorstellungen.
Alles in allem zeigt diese Arbeit, dass die Zeit reif ist, endlich eine sehr viel differenziertere Sicht auf die Frage intergenerationeller Beziehungen zuzulassen[45] – und insbesondere viel mehr als bisher den Minderjährigen selbst die Entscheidungen zu überlassen.[46]
Fußnoten
[1] Leahy erwähnt, dass es ihm leicht fiel, solche Menschen zu finden und dass ihm seitdem viele weitere begegnet sind.[8] Er zieht die Möglichkeit rückwirkender Idealisierung etc. in Betracht, beruft sich aber auf die soziologische Praxis, die Selbstaussagen von Menschen ernst zu nehmen. Ein Zitat: ,In their accounts are to be found, prima facie, the best interpretations of what went on, from the standpoint of the problem of the interpretation of action. [...] … we take it as axiomatic that unless it can be established to the contrary, the best authorities as to what went on are the actors themselves. Their meanings and their rules have priority in the scientific analysis of the phenomena.’ Peter Marsh, Elizabeth Rosser & Rom Harre: The Rules of Disorder. London 1978, p. 21f.[16] Er selbst betont: ,However, they are not being examined primarily in terms of what really happened to them, but in terms of how they in fact interpreted what they thought was happening at the time.’[16]
[2] Dreizehn Interviewte kommen aus der Mittelschicht, sechs aus der Arbeiterklasse.[2] Im Folgenden konzentriere ich mich vorwiegend auf Erfahrungen der Mädchen.
[3] David Finkelhor: Sexually Victimized Children. New York 1981.
[4] Ebd., p. 52 , 53, 70 (positiv, gesamt, negativ). Die Erwachsenen waren bei Mädchen zu 6 %, bei Jungen zu 16 % Frauen. Ebd., p. 78.[5] Bei Mädchen waren sie zu 43 % Familienmitglieder, aber nur zu 1 % Väter bzw. Stiefväter. Ebd. p. 73, 88.[6] Ein größerer Teil der feministischen Literatur bezieht sich aber wiederum auf Vater-Tochter-Inzest. In Leahys Studie berichteten zwei Mädchen Erfahrungen mit Onkeln.[6]
[5] Finkelhor 1981, a.a.O., p. 172, 175, 177.
[6],That was going on at the same time that I was being raped by my father – and the contrast between the two… One where I had no power whatsoever, and the other where I could, you know, say “Yes”, “No” or otherwise, just get up and leave. It was quite different.’[21]
[7] Selbst unerwünschter Koitus kann zu etwas Positivem führen – nämlich einer Durchbrechung der ,Mr. Normal’-Fassade der sonst so maskenhaften, letztlich kinderfeindlichen Erwachsenenwelt. Bobbie berichtet in Zusammenhang mit der Erfahrung mit einem Onkel, als sie neun war: ,But there was also an element of trust. Like we went through it a couple of times and it was alright. His advance would start off with things I really liked, like he’d stroke me or we’d be having jokes about things [...] and all that sort of thing and all of that I really liked. It was only the penetration that terrified me basically. I wasn’t particularly penetration obsessed. It was just other things that nobody ever thought of trying to cater for. I still really liked him. Because when people [...] take you into their confidence like that, when they’re taking a risk with you, there’s a sort of shared trust and caring about it. They are actually doing something intimate with you. I think there is such a gap between what men are supposed to be which precludes most, umm sensibilities or anything caring and intimate basically and when it came to being anything sexual or sensual it was sort of sissy. I didn’t see it as sissy, I actually saw it as a lot more normal and they were being a lot more accessible and I enjoyed that aspect of it, but it was obviously difficult for them. Also because I then had evidence to undermine their Mr. Normal act the rest of the time.’[22]
[8] So etwa Carol Pateman: The Sexual Contract. Cambridge 1988. Dies zeigt sich bis in die Sprache: Auch erwachsene Frauen werden oft noch als ,girls’ bezeichnet, Männer jedoch nie als ,boys’.[26]
[9] Von ihren Eltern erhielt sie keinen Respekt. Mit zwölf begann sie eine Beziehung zu dem Studenten Paul, ,someone who was willing to discuss things and say, “Oh, yeah, I understand what you mean,” and not lecture me about it.’ Auch Pauls Freunde respektierten sie als vollwertig.[27]
[10] Dies war nicht der oben genannte erste Onkel, sondern: ,He was exceptional in the adults that I knew in that he would consult with me about what we would do and things like that. It was an open … he had a respect for what I thought and felt which I had never known anyone else to have.’[27]
[11] So ist Tristan für dessen völlige Abschaffung: ,[...] that’s another stupid thing about the age of consent, especially because at sixteen, you’re meant to be able to say “yes” straight away but before that you’re not meant to know anything of anything. I mean that’s ridiculous [...]. [...] I mean there are even some sixteen year olds who aren’t ready to say “yes”. But that’s everywhere, just like there are some eighteen year olds who aren’t ready for driving or to get married.’[29] • Die intellektuell sehr reife Isobel sagt: ,His name was Martin. When I first met him I think he was 48 and I was 14. Which to me was nothing. It didn’t matter. [...] I used to go to art galleries constantly and my obsessions were in that sort of area.’[30]
[12] So berichtet Louise von erotischen Spielen mit zwei jeweils älteren Cousinen, als sie selbst fünf bis sieben bzw. zehn Jahre alt war (und die Cousine drei bzw. zwei Jahre älter). Mit der ersten Cousine: ,we’d start off with mummies and daddies [...]. And every time she came up, I’d really look forward to it.’ Mit der zweiten: ,I think we… she undressed me but it wasn’t… it was. That’s all we ever seemed to get to. [...] We didn’t know what to do after that…’[36]
[13],[...] candle-lit dinners, nude romping in the surf (Wendy), cozy evenings at his house looking after the baby, offers of marriage (Joanne), intimate chats about life and the universe on the bed (Bobbie), and lengthy letters about art and literature signed with love (Isobel).’[45]
[14] Wendy, die mit zwölf eine Beziehung zu Paul einging, beschreibt sehr berührend das Zärtliche und auch die Grenze, über die sie nicht hinausgehen konnte: ,We used to cuddle a lot and kiss and things. It got vaguely sexual for a while. Tongue kissing … a great wet beard. He was really really really gentle. More gentle than I think anyone else I’ve known as far as that goes. He was obviously being really careful. That was Paul too, because he was that sort of person anyway, it wasn’t just because I was young. We had a few vaguely sort of sexual experiences like, we were in the shower once together [...] and he whipped my bikini top off and started sucking my tits. He was kneeling down on the floor and I was standing in the shower. Yeah, that was really funny because there was a really strange … I felt, I don’t know. I felt really detached from it. Like I felt like I was trying to detach myself so I didn’t have to say “no”, didn’t have to say “yes” and I could just be there. | And there was another night too that he [...] asked me if he could lay between my legs and I said, sure, fine – that same air of detachment. I don’t really know what you mean! That sort of attitude. And umm, we just sort of stayed there for a while, just talking. He just laid on top of me while we talked. I mean there wasn’t anything.’[46] • Mit Peers hatte Wendy längst andere Erfahrungen: ,whom she describes as having groped her in cinemas, “fingers in vaginas, grasping tits and things”. [...] She also mentions the fact that Paul made a comment to the effect that it would be nice to be inside her when they were lying together. She ignored this suggestion.’[46] Mit Paul blieb also etwas Unausgesprochenes – aber in jedem Fall achtete dieser sanfte Student stets ihre Grenze!
[15] Auch Wendy berichtet: ,People [...] who lived around the area, when they saw us together, they used to sort of … umm, you know, point and “That’s a bit weird”, and whisper whisper.’[46]
[16],If people ever found out [...] they’d say “Oh that horrible woman, that poor boy”, and they’d say a lot of horrible things about Diane which weren’t true and they’d say a lot of horrible things about me which were untrue. They’d say, “Ahh, she corrupted me” and she’s only using me for sex, but it hasn’t been like that, it’s been a really good, like friendly relationship. Actually I am pleased the way our relationship has been, not specifically as a youth, but at any time, because she’s such a nice person.’[50]
[17] Sie freute sich stets, ihn zu sehen: ,I think that I had a lot of fun and love. [...] I remember always looking forward anxiously to seeing him anyway, put it that way.’[39]
[18] Sharon beschreibt zwei Beziehungen zu einem Mann (40) und einer Frau (25) und nur nebenbei, dass sie mit vierzehn bzw. fünfzehn jeweils auch Geschlechtsverkehr mit ihrem siebzehn- bzw. neunzehnjährigen Freund hatte.[52] • Denise bestätigt, dass ein erwachsener Freund ,Status’ bedeutet: ,It was status to have an older boyfriend and it was status to have one with a car. All those things that came with age were attractive.’[123] • Leahy: ,In fact, to have a boyfriend of the same age was in itself stigmatizing.’[123]
[19] Und: ,Well we found that out quite early on really. That boys your own age weren’t all that good at it and you were much better off with men who’d had a bit of practice.’[122] • Angela und ihre Freundin gabelten sogar mit fünfzehn, sechzehn regelmäßig Männer in einer Bar auf und verweigerten den Diskurs ,sexueller Ausbeutung’ oder die Tatsache, dass sie von den Männern möglicherweise als ,leichtes Mädchen’ gesehen wurde: ,You just picked somebody up in the Wimpy bar and go back to their place and probably you would do the same person for a couple of weeks. [...] They probably thought it was fantastic, you know, that they could get easy fucks but I mean I don’t suppose it bothered us. I don’t suppose we even thought about it.’[123]
[20] In diesem Abschnitt geht es vor allem um homosexuelle Jungen. Christopher, der bereits mit neun Jahren eine solche Beziehung begann, kritisiert die Gesellschaft, ,that didn’t encourage me to take an active role in any sort of relationship like that. [...] In retrospect I’d say it should have been open, it should have been allowable and so forth [...].’ Sie schaffe Traumata gerade, weil sie kriminalisiere.[56]
[21] David Finkelhor: Child Sexual Abuse: New Theory and Research. New York 1984, p. 18.
[22] Leahy schreibt: ,Being persuaded because of perceived rewards is not the same thing as being trapped by a lack of alternatives or being physically coerced.’ Denises Argument bedeutet: ,The moral focus should be on the experience of the younger party’.[65] Zumal nicht einmal der Erwachsene die Minderjährige lockt, sondern sie selbst aktiv auf die Männerwelt losgeht, um an ihren Segnungen teilzuhaben.
[23] Dabei betont er, dass er sich nicht von gleichaltrigen Jungen, sondern von Männern angezogen fühlt: ,Can you imagine, if I was forced to have sex with people my own age I wouldn’t be happy. I wouldn’t be who I am. And that’s ridiculous, people should be who they are.’[161]
[24] Als sie sich doch einmal einer engen Freundin aus der Frauenbewegung anvertraut, wird sie nur mit dem Missbrauchsdiskurs konfrontiert: ,She said it sounded like child molestation and I started to almost choke and I got into what I see as my real victim role. My God I was molested and I didn’t even know it. But then I started to rethink it through and think – no, I don’t think I was molested because I could see a difference between consent and molestation and I came down on the side that I certainly wasn’t molested because I actually took a lot of the initiative in that relationship.’[62]
[25] Ich vergesse hier nicht, dass auch Frauen wesentlich zur Verachtung der sogenannten ,Huren’ oder ,Flittchen’ beitrugen, die unehelichen Sex hatten, oder dass sich gerade Frauen für Erhöhungen des ,age of consent’ und damit auch für dieses selbst einsetzten. All dies geschah jedoch vor dem Hintergrund einer zutiefst patriarchalen Gesellschaft, die dadurch eben bereits als Ganzes zutiefst korrumpiert war. Der Begriff der sexuellen Reinheit etwa wurde von Männern geschaffen, um das exklusive sexuelle Eigentum an einer Frau genießen zu können. Ihrem Wesen nach und unkorrumpiert von männlichen Dogmen hat die Frau niemals die Tendenz zu abstrakten, allgemeingültigen Urteilen oder gar Normensetzungen. Ihre wesentliche Fähigkeit besteht gerade in der Empathie – und diese steht im Widerspruch zu allem, was sich in angemaßter Allgemeingültigkeit über das einzelne Individuum erhebt.
[26] Andererseits wird diese auch wieder dadurch gebrochen, dass der männliche Partner per Definition ,stark’ sein muss, so dass die Kritik nicht offen geäußert werden kann.[201] Die Mann/Mädchen-Beziehung entspricht genau dem Rollenmuster, aber die Gefahr der Ausbeutung ist offensichtlich, was die feministische Kritik ja völlig erkannt hat.
[27] Dies war insbesondere in den beiden lesbischen Beziehungen von Pippa und Louise der Fall, die daran schließlich auch scheiterten.[182ff]
[28] Wie ja überhaupt der ,falsche’ Haarschnitt, Job, Partner etc. von den Eltern als Angriff auf ihr ,Sozialisationsprojekt’ empfunden werden kann.[80]
[29] Leahy verweist darauf, dass auch die Homosexualität früher durch solche Ansätze zu ,erklären’ versucht wurde, und schreibt: ,The fact that analogous theories are still produced in reference to intergenerational sex says more about the widespread opposition to intergenerational sex than about the adequacy of the etiological theory as social science.’[84]
[30] Und sei es auf Umwegen. Im Fall von Michael, der mit elf Jahren eine Beziehung zu Toby (26) begann, drohte ein Nachbar die Polizei einzuschalten. Michaels Mutter verbot daraufhin den Kontakt, Michael lief von zuhause weg, die Mutter schaltete einen Sozialarbeiter ein, Michael schwänzte die Schule und floh mit vierzehn schließlich mit Toby in einen anderen Bundesstaat.[91]
[31] Joanne (12) begann eine Beziehung mit dem Mann (28), bei dem sie Babysitting machte. Sie bezeichnet ihre Mutter als ,schizophren’, ihr Vater war meist abwesend. Der Mann war für sie auch Vaterfigur, sie selbst aber übernahm zugleich die Rolle der Mutter und Frau: ,she substituted for her own mother and created a new and satisfactory family to replace her unsatisfactory one’.[99] Sie liebte das Kind des Mannes und ihre eigene Mutterrolle. Zugleich war auch das Sexuelle für sie wichtig und keinesfalls Ausbeutung: ,I remember distinctly when the sexual thing started, a lot of my going there was for that. [...] I know I was going there for the sex because I liked it and it was a very positive experience and I’d never say it was anything else.’[100]
[32] Die Akzeptanz der Beziehungen der Töchter kann ein liberaler, feministischer, ,kameradschaftlicher’ Ansatz oder die Normalität innerhalb der Arbeiterklasse sein.[106f] • Die einzige Bedingung von Louises Mutter zum Beispiel war: kein Sex zuhause. Louises fand das ärgerlich, verstand aber, dass es für ihre Mutter nicht einfach war, zu akzeptieren, dass sie mit vierzehn Sex mit älteren Frauen und schon davor mit verschiedenen Jungen hatte.[110] • Als Pippa (15) eine Beziehung mit einer Frau (24) hatte, sagte ihre Stiefmutter: ,I want you to know that I don’t approve of what you’re doing but I know that it’s making you happy and that is what you have to do.’[110]
[33] Die weibliche Sexualität ist für das Patriarchat so angstbesetzt, dass ungebundene Frauen immer wieder als ,alte Jungfern’ oder aber ,nymphomanisch’ (bzw. Hure, ,slut’ etc.) herabgewürdigt und pathologisiert werden mussten: ,The very idea of it is so threatening that, even now, a woman in her twenties to forties, who is not attached to a man may be desexualized as the spinster or over-sexualized as the nymphomaniac.’ Luise Eichenbaum & Susie Orbach: What Do Women Want? Glasgow 1983, p. 124.
[34],As Jackson puts it, it is by “keeping children asexual that we prepare the ground for the emergence of the passive, dependent style of sexuality expected of adult women”’. Stevi Jackson: Childhood and Sexuality. Oxford 1982, p. 171.[117] .
[35] Gayle Rubin: The Traffic in Women: Notes on the ‘Political Economy’ of Sex, in: Ranya R. Reiter (Ed.): Toward an Anthropology of Women. New York 1975, p. 157-210.
[36],She sees it as having undone some of the sexual confidence she had developed through her relationship with her uncle. So, these events fit the pattern of Brownmiller’s (1976) analysis of rape; rape serves to terrorize women and maintain patriarchy as an institution.’[116]
[37] Sie traf Paul heimlich weiter – aber die Worte ihres Vaters trugen dazu bei, dass die Beziehung dennoch kaputtging: ,From what my father said, I thought, oh well, maybe that is true. Maybe he is just a dirty old man, or something, you know. He only likes me ’cause he wants to get into my pants and that, that sort of really killed it I think.’[119] • Selbst Healy kommentiert: ,More effective than actually controlling her movements is the way that his gaze determines the narrative structure within which Wendy positions herself. She comes to see her relationship with Paul as defiling. The father’s gaze is not just an eroticisation it also has a sadistic element [...]. [...] It is sadistic in working to undermine the pleasures his daughter may be getting from these relationships, by telling her that she is just being used.’[120]
[38],He was just really … He was much more sensitive than most people I’ve known. He’s much more concerned. He just had … the cup runneth over with love and affection. He was really attentive all the time and that sort of attention I’ve not had from, really from anybody. Just that depth of sensitivity and asking me how I felt about things all the time.’[131] An ihrem dreizehnten Geburtstag lud er sie zum Dinner ein. Er schickte ihr eine Duftkerze, die sie mit seinen Briefen viele Jahre lang aufbewahrte.[131] • Paul veränderte ihren bisher sehr nüchternen Blick auf die Sexualität: ,I guess I had some romantic idea after seeing him that it could be warm and wonderful or something instead of just diving into one another’s pants in the back row of the movies.’[132]
[39],Oh, this is a bit sordid. I felt less respect for him because he was so devoted to me [...]. [...] He would be saying what I wanted to hear [...].’[133]
[40] Es ist bezeichnend, dass eine von Pauls Freundinnen Wendy sogar ermahnte, mit Paul nicht nur zu ,spielen’: ,I can remember Rusty giving me a hard time one day saying that I had better make up my mind and not to mess Paul around and that I should really think about this. I should think about what I’m doing and not just play around with him because he’d been hurt by women before … responsibility.’[134]
[41] Als Martin eines Tages seine Frau nicht vom Flughafen abholen wollte, was seine Ehe beendet hätte, sorgte Isobel entschieden dafür, dass er es doch tat. Mehrere Jahre nach Beginn ihrer Beziehung begann sie eine Freundschaft mit einem nicht so viel älteren Partner, was dann zum Ende der Beziehung mit Martin führte.[136]
[42] Wobei auch auf seiner Seite mehr von Zuneigung und sexueller Anziehung zu sprechen ist als von romantischer Liebe. In jedem Fall aber fühlte Bobbie sich bei ihm sehr aufgehoben: ,So that if there was any anxiety or query about what was happening, it would just stop and we’d talk about it and not do it any more. In some ways it’s made it difficult because it was so caring and considerate [...] I’ve never found that sort of catering for again but I treasure having been, not nurtured, but having been cared for that much [...].’[136]
[43] Leahy zitiert: ,Most of the young women with whom I talked ‘saw through’ the dominant presentation of true love as the source of their salvation. They had a low opinion of their male peers, and a pragmatic approach to the role of romance in heterosexual relationships.’ Griffin C (1982): Cultures of Femininity: Romance Revisited. Centre for Contemporary Cultural Studies 69, 7.[138]
[44] Das Gegenteil dessen war wiederum Sharon, die vor allem das absolut Gleichberechtigte ihrer Beziehung mit Marianne (25) schätzte: ,Umm, she, she never tried to dominate me [...]. [...] I didn’t see her as an adult and I didn’t see me as a child. Umm, we were just women with each other and that was the really good thing about it. There was no pressure, no judgment, no nothing like that. It was great.’[195]
[45] Vergleiche: ,Die sture numerische Bestimmung, die ja [...] auch die gegenwärtigen Rechte beherrscht, geht zurück auf Justinian, wogegen das ältere römische Recht die Heiratsfähigkeit nach der individuellen Reife der Partner feststellen ließ’. Dinzelbacher P (2018): Pädophilie im Mittelalter. Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs 8, 5-38, hier 14.
[46] Ein kürzerer, auf seiner Studie beruhender Artikel Leahys endet mit den Worten, dass eine abstrakte Sexualnorm, wie sie sich im gegenwärtigen Strafrecht manifestiert, den realen Bedürfnissen auch der Jugendlichen geradezu zuwiderläuft: ,Ethics becomes a set of abstract rules [...] unable to take into account [...] the actual needs and desires experienced by people.’ Leahy T (1996): Sex and the age of consent: The ethical issues. Social Analysis: The International Journal of Anthropology 39(Apr.), 27-55, hier 52.