27.05.2013

Novalis - der Prophet des magischen Idealismus

"Wir sind auf einer Mission. Zur Bildung der Erde sind wir berufen." (Novalis).


Novalis ist der heutigen Zeit noch unendlich ferner als Schiller oder Goethe. Von diesen hat man immerhin noch eine blasse Vorstellung als „Dichtergrößen der deutschen Klassik“. Dass es sich jedoch um die großen Geister des deutschen Idealismus handelt – wer weiß dies? Und wer erlebt, was dies heißt, was der „deutsche Idealismus“ ist?

Novalis aber ist in gewisser Hinsicht der Größte unter ihnen. Dieser schon mit 28 Jahren verstorbene Genius des wahren Mitteleuropas war der Prophet eines ... magischen Idealismus. Es wird für die Menschheit immer wichtiger werden – unendlich wichtig –, zu verstehen, was damit gemeint ist! Denn in diesem magischen Idealismus liegt die Zukunft und die Rettung der Mensch-heit, die sonst in die völlige Dekadenz geraten würde. Die Mensch-heit ist dabei, völlig verlorenzugehen. Das tiefste Geheimnis des Menschen – in Novalis’ Werk liegt es verborgen wie ein offenbares Geheimnis!

Die folgenden Seiten sollen einen tiefen Einblick in sein Werk geben, in dem das Wesen seines magischen Idealismus’ erlebt werden kann.

Ende 1794 begegnete Friedrich von Hardenberg (Novalis) dem jungen, 12-jährigen Mädchen Sophie von Kühn. Eine Viertelstunde habe über sein Leben entschieden, schrieb er später in sein Tagebuch. Sophie wurde jener Mensch, dem er sein Leben und seine unendliche Liebe verschrieb – und durch diese Liebe, die stärker war als der Tod, der ihm Sophie von Kühn nach nur zwei Jahren entriss,  wurde er der Verkünder des magischen Idealismus.

Schon 1795 schreibt er in seinem Gedicht „Anfang“:

             Du bist nicht Rausch – du Stimme des Genius,
             Du Anschaun dessen, was uns unsterblich macht,
             Und du Bewußtsein jenes Wertes,
             Der nur erst einzeln allhier erkannt wird.

             Einst wird die Menschheit sein, was Sophie mir
             Jetzt ist – vollendet – sittliche Grazie –
             Dann wird ihr höheres Bewußtsein
             Nicht mehr verwechselt mit Dunst des Weines.

Novalis wurde aber auch der Verkünder eines allertiefsten Christentums – eines von jeglicher konfessionellen Gebundenheit freien Geist-Christentums. Magischer Idealismus ist zugleich tiefste Religion – Menschheits-Liebe, Erden-Verwandlung, Gottes-Erkenntnis.

Wahrscheinlich 1798 entstand sein Gedicht „Hymne“:

             Wenige wissen
             Das Geheimnis der Liebe,
             Fühlen Unersättlichkeit
             Und ewigen Durst.
             Des Abendmahls
             Göttliche Bedeutung
             Ist den irdischen Sinnen Rätsel;
             Aber wer jemals
             Von heißen, geliebten Lippen
             Atem des Lebens sog,
             Wem heilige Glut
             In zitternden Wellen das Herz schmolz,
             Wem das Auge aufging,
             Daß er des Himmels
             Unergründliche Tiefe maß,
             Wird essen von seinem Leibe
             Und trinken von seinem Blute
             Ewiglich.
             Wer hat des irdischen Leibes
             Hohen Sinn erraten?
             Wer kann sagen,
             Daß er das Blut versteht?
             Einst ist alles Leib,
             Ein Leib,
             [...]
             Hätten die Nüchternen
             Einmal nur gekostet,
             Alles verließen sie,
             Und setzten sich zu uns
             An den Tisch der Sehnsucht,
             Der nie leer wird.
             Sie erkennten der Liebe
             Unendliche Fülle,
             Und priesen die Nahrung
             Von Leib und Blut.

Innerhalb nur drei Jahren, die Novalis bis zu seinem Tod blieben, schuf er ein Werk, das die Jahrhunderte überdauern wird, weil in ihm stärkste Zukunftsjugendkraft verborgen liegt. In diesem Werk – in den Hymnen an die Nacht, in hunderten von „Fragmenten“, im „Heinrich von Ofterdingen“ – liegen die Auferstehungskräfte des magischen Idealismus verborgen. Sie zu finden und in sich selbst real werden zu lassen, das ist die Aufgabe der Menschheit...

Magischer Idealismus – er bedeutet das Hereinrufen der edelsten Kräfte in die Anschauung und zugleich in die reale Wirklichkeit. In einem Fragment schrieb Novalis:

             Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn,
             dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn,
             dem Bekannten die Würde des Unbekannten,
             dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe,
             so romantisiere ich es.

Dieses „Romantisieren“ hat nichts von einem Schein – sondern es nimmt der scheinbaren Wirklichkeit gerade ihren Schein einer völligen Profanität. Die Wirklichkeit wird von ihrer Verzauberung erlöst, der Schleier wird enthüllt, und die volle Wirklichkeit kann erscheinen: eine Wirklichkeit voller Wunder...

Dazu braucht der Mensch die volle Kraft des wahren Menschseins, die zugleich die Kraft des magischen Idealismus ist. Das Geheimnis des menschlichen Ich, das die geistige Wirklichkeit zu sehen beginnt, sich als Geist unter Geistern erleben beginnt...

Abriss von Novalis' Leben

1772 | 2. Mai – Geburt von Friedrich von Hardenberg

1791 | Frühjahr – Engere Beziehungen zu Schiller während dessen schwerer Krankheit.

1792 | Januar – Beginn der Freundschaft mit Friedrich Schlegel.

1794 | 14. Juni – Juristisches Examen in Wittenberg.
        | 17. November – erste Begegnung mit Sophie von Kühn (geb. 17. März 1782)

1795 | 15. März – inoffizielle Verlobung mit Sophie von Kühn.
        | Sommer – Begegnung mit Fichte und Hölderlin in Jena.
        | Herbst – Beginn des kritischen Studiums von Fichtes „Wissenschaftslehre“
        | November – erste schwere Erkrankung von Sophie.
        | 30. Dezember – Ernennung zum Akzessisten bei der Salinendirektion in Weißenfels.

1796 | Juli – erneute schwere Erkrankung von Sophie.

1797 | 19. März – Tod von Sophie.
        | September – Entschluss zum Studium an der Bergakademie Freiberg.
        | Herbst – Studium der Werke von Franz Hemsterhuis.
        | Dezember – Begegnung mit Schelling in Leipzig. Beginn des Studiums. Studien zu Poesie, Physik, Politik.

1798 | 24. Februar – „Vermischte Bemerkungen“ („Blütenstaub“) an Schlegel, Bitte um Unterschrift Novalis.
        | 29. März – mit Schlegel bei Goethe in Weimar, abends bei Schiller in Jena.
        | April – Arbeit an „Die Lehrlinge zu Sais“.
        | 11. Mai – „Glauben und Liebe“ an Schlegel, Mitteilung der Entdeckung einer „sehr großen ... Idee“.
        | Juli/August – Kurzaufenthalt in Teplitz, „Teplitzer Fragmente“.
        | 26. August – mit Schelling und Schlegels in Dresden, Sixtinische Madonna.
        | September – Auseinandersetzung mit Schelling, Beginn „Allgemeiner Brouillon“.
        | Dezember – Verlobung mit Julie von Charpentier.

1799 | Mai – Rückkehr nach Weißenfels.
        | 17. Juli – Begegnung und Freundschaft mit Ludwig Tieck in Jena. Besuch bei Herder.
        | Juli – Erste „Geistliche Lieder“.
        | Sommer/Herbst – Diverse Fragmente.
        | Herbst – Studium von Schleiermachers Reden „Über die Religion“.
        | Oktober – „Die Christenheit oder Europa“, weitere „Geistliche Lieder“.
        | November – Romantikertreffen in Jena: Novalis, Schlegel, Tieck, Schelling, Ritter.
        | Dezember – Arbeit am „Heinrich von Ofterdingen“. Ernennung zum Salinenassessor.

1800 | Januar – Abschluss der „Hymnen an die Nacht“.
        | Februar – Intensives Studium von Jakob Böhme.
        | 5. April – Abschluss des ersten Teils des „Heinrich von Ofterdingen“.
        | Juni – Naturphilosophische, medizinische, religiöse und poetische Studien.
        | Juli bis September – Beginn des zweiten Teils des „Heinrich von Ofterdingen“.
        | Herbst – Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Letzte Fragmente und Tagebuchaufzeichungen.
        | Dezember – Ernennung zum Amtshauptmann im Thüringischen Kreise.

1801 | 25. März – Tod von Novalis.

Auf den folgenden Seiten 

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