Eigene Bücher

Copyright-Hinweise zum Bild hier

Materialien

Inhaltsverzeichnis
Register
Leseproben [1], [2], [3]

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rudolf Steiner

Holger Niederhausen: Rudolf Steiner. 100 Jahre später / aktueller denn je. Books on Demand, 2025. Paperback, 432 Seiten, 19,90 Euro. ISBN 978-3-7693-6689-1. 


Erschienen am 30. März 2024.              > Bestellen: Books on Demand | Amazon <              > Reaktionen und Rezensionen <

Inhalt


Rudolf Steiner (1861-1925) ist 100 Jahre nach seinem Tod aktueller denn je. Der Kosmos seiner Geist- und Menschen-Erkenntnis erweist sich angesichts der zunehmenden Krisen menschlicher Gesellschaften und des menschlichen Bewusstseins insgesamt als absolut rettender Zugang zu einem wahrhaft menschlichen Denken, Fühlen, Wollen und Mensch-Sein. Die Ur-Sehnsucht des Menschen nach dem Menschlichen – hier findet sie ihre reale Erfüllung ... und eine unversiegliche Quelle für Antworten auf die immer brennenderen Fragen unserer Zeit.

Über dieses Buch


Rudolf Steiner – die Allgemeinheit kennt ihn allenfalls als Begründer der Waldorfschulen oder der anthroposophischen Medizin. Vielfach wird er verknüpft mit Vorwürfen von ,Rassismus’ und ,Scharlatanerie’, etwa in Bezug auf die angeblich ganz wirkungslose Homöopathie, dann wiederum mit ,Indoktrination’, etwa wenn Berichte auftauchen, dass an vereinzelten Waldorfschulen etwas über ,Atlantis’ oder ähnliches in Kinderheften landete.

Die Wenigsten wissen, dass es nie Rudolf Steiners Absicht war, dass ,Atlantis’ in Waldorfschulen gelehrt werden solle. Andererseits hat die Waldorfschule überhaupt keinen verbindlichen ,Lehrplan’ von Rudolf Steiner bekommen, weil er wusste, dass echte Pädagogik auf der Freiheit pädagogischer Intuitionen beruhen muss – was all jene übersehen, die mit Blick auf einzelne Negativbeispiele innerhalb der Waldorfschulbewegung die staatlichen Lehrpläne verherrlichen, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht. Denn dass das Staatsschulsystem in keinster Weise zukunftsfähig ist, das sollten gewissenhafte Seelen begreifen können.

Aber wie wird eine Seele gewissenhaft und zuinnerst wahrhaftig? Das eben ist bereits eine Frage, die ohne ein Eintauchen in die Anthroposophie fast gar nicht zu beantworten ist. Denn unsere Zeit ist so schnelllebig, schnell-urteilend und oberflächlich geworden, dass sie bereits nicht einmal mehr begreift, was eigentlich die Seele ist – geschweige denn, ein echtes Erleben dafür hat, was Wahrhaftigkeit für eine innerseelische Realität wäre. Ohne ein Eintauchen in die Realität der Seele, des Geistes, des Wesens des Menschen, kommt man hier nicht weiter.

Und um diese Realität ging es Rudolf Steiner vor allem. Hat doch die Anthropo-sophia ganz mit dem Menschen zu tun. Anthropos ist das griechische Wort für ,Mensch’, Sophia das für die Weisheit. Die Frage ist, ob wir es heute überhaupt noch ernst nehmen, dass Weisheit als eine Realität, vielleicht sogar als ein Wesen existiert... Wenn wir jedoch nichts dergleichen mehr ernst nehmen – wie könnten wir dann meinen, Rudolf Steiner und die Anthroposophie jemals verstehen zu können?

Es geht bei Rudolf Steiner um alles. Um die ganze, große Wahrheit des Menschen und des Geistes. Es geht um einen Kosmos. Und ohne den Mut, die Reise in diesen Kosmos zu beginnen, wird man Rudolf Steiner nicht verstehen. Man wird es allenfalls behaupten. Und das gerade ist Unwahrhaftigkeit. Hier beginnen die Lügen. Das Böswillige. Die Unredlichkeit. Die Seichtheit. Macht und Manipulation. Auch die Selbstlüge.

Lernen wir also Rudolf Steiner wirklich kennen. Und damit auch uns selbst – nämlich das Wesen des Menschen ... und das, was möglich wäre, wenn wir es nur ernst genug nähmen. Die Wahrheit des Menschen – und nicht nur das, was wir derzeit daraus machen, mit immer schlimmeren Folgen. Der Mensch ist noch gar nicht geboren.

Dieses Buch ist für alle Menschen geschrieben. Jeder Mensch sollte sich zumindest einmal in seinem Leben vertieft mit der Anthroposophie auseinandersetzen.

In diesem Buch ist zusammengetragen, was auf das unmittelbar Menschliche so zielt, dass es wirklich jeden Menschen angeht. Es geht um Steiners Grundwerke, die bereits auf das höhere Wesen des Menschen verweisen und Wege dazu bahnen, bevor er ,esoterisch’ wurde. Es geht um Steiners Christus-Erkenntnis – eine Erkenntnis jenseits aller Konfessionalität, die aber zentral für die gesamte Menschheitszukunft ist. Es geht um die soziale Frage, die bis heute nichts von ihrer brennenden Ungelöstheit verloren hat, und um das tiefere Verstehen dessen, was Rudolf Steiner unter dem ,Dreigliederungsimpuls’ verstand.

Es geht um die Waldorfpädagogik als wahre Erziehungskunst, als wahre Erkenntnis vom Wesen des Kindes und einer Entwicklung des ganzen Menschen. Und es geht um das tiefe Menschentum überhaupt, das Rudolf Steiner in verschiedenster Hinsicht entfaltete; um einen heilig-sozialen Impuls, das heilige Geheimnis des Menschen und der Begegnung, der Mitmenschlichkeit.

Bereits dies ist ein ganzer Kosmos. Und mit Hilfe von allein schon über fünfhundert textlich abgesetzten Zitaten (sowie vielen weiteren im Fließtext) wird man unmittelbar Rudolf Steiner selbst begegnen – auch für ,Kenner’ wird diese Fülle zentraler Passagen eine Entdeckung sein.

Dennoch wird unendlich vieles unerwähnt bleiben. Steiners tiefgründiger Gang durch die Philosophie-Geschichte etwa (GA 18). Das, was er über die Erden- und Menschheitsentwicklung schilderte. Über die Landwirtschaft. Die Medizin. Die Heilpädagogik. Das Wesen der Farben. Des Weiteren unerwähnt bleiben wird die Weihnachtstagung und vieles, vieles weitere. Wer Rudolf Steiner ,entdecken’ wird, mag an all diesen wesentlichen Stellen selbst weiter in die Tiefe dringen.

In diesem Buch geht es um das, was so zentral ist, dass es jede Seele interessieren muss, wenn sie ihr eigenes Menschentum halbwegs aufrichtig tief genug versteht und erahnt. Wer sich noch nie wirklich mit Rudolf Steiner ,beschäftigt’ hat, möge und wird in diesem Buch entdecken, dass alle Vorurteile gegenüber Steiner völlig in die Irre gehen, weil dieser Mensch mehr zu einem wahren Menschentum und dessen Erkennen beigetragen hat als alle seine Kritiker zusammen. Möge es viele Leser finden!

Einhundert Jahre nach Rudolf Steiners Tod wartet das heilig-tiefe Geheimnis des MENSCHEN noch immer auf seine Entdeckung – und ist sein Werk in allen zentralen Aspekten aktueller denn je.

Leseprobe 1


Nimmt man den Gedanken der Eigenständigkeit des Wirtschaftslebens ernst, so ist eine Verstaatlichung oder staatliche Verwaltung von Post, Bahn etc. auch völlig fehlgedacht, denn auch dies sind Bereiche des Wirtschaftslebens. Es muss vielmehr umgekehrt darum gehen, diesem Wirtschaftsleben das egoistische Element zu entziehen, das assoziative Element zu stärken und alles, was Rechtsfragen sind, diesem Wirtschaftsleben zur Grundlage und Bedingung zu machen: ,[...] durch die Rechtsordnung auf den Wirtschaftskörper so zu wirken, daß der einzelne Mensch seine Eingliederung in den sozialen Organismus nicht im Widerspruche mit seinem Rechtsbewußtsein empfindet.’[77]

So kann man sich etwa vorstellen, dass der einzelne Mensch ein Recht auf Anbindung an einen öffentlichen Nahverkehr hat, sodass auf das Wirtschaftsleben die Pflicht fällt, auch kleinere Dörfer entsprechend zu versorgen, statt Strecken stillzulegen – und auf die einzelnen Organe und Organisationen dieses Wirtschaftslebens die Pflicht, entsprechende Wege einschließlich der hierfür notwendigen Interessenausgleiche zu finden. Nicht Aufgabe des Staates ist dies, sondern Aufgabe des Wirtschaftslebens. Aufgabe des Staates ist es, Recht zu setzen – solches Recht, wie es dem Rechtsbewusstsein, auch der einzelnen Menschen, entspricht. Selbstverständlich gehören dazu unmittelbar auch Fragen der sozialen Teilhabe, egal, ob man in der Stadt oder auf dem Land lebt. Wir sehen, wie umfassend die hier entwickelten Begriffe den Blick verändern.

Aber grundlegend ist eben schon die Verwandlung der Arbeitskraft in Ware, die Steiner nun näher charakterisiert. Die Arbeitskraft wird vom ,Arbeitgeber’ dem ,Arbeitnehmer’ wie eine Ware abgekauft. In seiner tieferen Wirklichkeit kann sich der Tausch zwischen Geld und Arbeit gar nicht vollziehen, es ist ein falscher bzw. ein Scheinvorgang. In Wirklichkeit gibt der Arbeitgeber Geld für das mit Hilfe der Arbeitskraft entstandene Produkt – das nur einem Teil von dessen Wert entspricht, während er sich den berühmten ,Mehrwert’ im Sinne von Marx aneignet.

Eigentlich müsste das Verhältnis zwischen Arbeiter und Unternehmer ein reines Rechtsverhältnis sein – aber die Beziehung ist eben nicht gleichwertig: ,Zur Herstellung des Produktes ist ein Rechtsverhältnis zwischen Arbeiter und Unternehmer notwendig. Dieses kann aber durch die kapitalistische Wirtschaftsart in ein solches verwandelt werden, welches durch die wirtschaftliche Übermacht des Arbeitgebers über den Arbeiter bedingt ist.’[78] Und jetzt wird Steiner ganz deutlich: Arbeit kann nicht bezahlt werden. Sie ist völlig anders zu begreifen:[78]

Im gesunden sozialen Organismus muß zutage treten, daß die Arbeit nicht bezahlt werden kann. Denn diese kann nicht im Vergleich mit einer Ware einen wirtschaftlichen Wert erhalten. Einen solchen hat erst die durch Arbeit hervorgebrachte Ware im Vergleich mit andern Waren. Die Art, wie, und das Maß, in dem ein Mensch für den Bestand des sozialen Organismus zu arbeiten hat, müssen aus seiner Fähigkeit heraus und aus den Bedingungen eines menschenwürdigen Daseins geregelt werden. Das kann nur geschehen, wenn diese Regelung von dem politischen Staate aus in Unabhängigkeit von den Verwaltungen des Wirtschaftslebens geschieht.

Arbeit kann nicht bezahlt werden. Wie und wieviel ein Mensch zu arbeiten hat, als Teil und Mitglied des gesamten sozialen Organismus, ist eine Rechtsfrage – und damit eine Frage des Staates als rechtssetzende Vertretung der ganzen Gemeinschaft. Diese Frage ist auf Grundlage der individuellen Fähigkeiten und der allgemeinen Menschenwürde zu regeln – und auf keiner anderen Grundlage.

Wie unglaublich weitreichend diese Begriffsbildung ist, braucht kaum näher ausgeführt zu werden – und doch ist kaum etwas wichtiger als diese weitere Ausführung, weil die gegenwärtigen Denkgewohnheiten dem noch immer fast grenzenlos widersprechen.

Es ist deutlich, wie etwa das Ringen um die Frage des ,Mindestlohns’ bereits in genau diese Richtung zielt – und doch noch viel zu sehr vor dem Eigentlichen haltmacht, nämlich vor der Tatsache, dass Arbeit gar nicht bezahlbar ist. Das bedeutet, bereits der ganze ,Lohn’-Begriff müsste völlig abgeschafft werden – und bereits die Kinder in der Schule müssten dies lernen! Es geht um etwas völlig anderes, um die Menschenwürde. Es ist kein Lohn – es ist die Ermöglichung des Lebens jedes Einzelnen.

Deswegen geht auch die Idee des ,Grundeinkommens’ ganz ebenso in dieselbe richtige Richtung, nur dass dies die Verpflichtung des Einzelnen, zum Wohle des sozialen Organismus nach seinen Fähigkeiten beizutragen, nicht aufhebt. Auch hier wären Begriffe und Gestaltung der Wirklichkeit gemäß weiterzuentwickeln. Aber der Gedanke ist richtig. Arbeit ist nicht bezahlbar und der Mensch muss seine Arbeitskraft nicht verkaufen. Dennoch hat er natürlich kein Recht, auf Kosten aller Anderen zu leben, wenn er seinen Fähigkeiten nach zum Ganzen beitragen könnte. Er ist Teil des Ganzen, und das Ganze kann nur leben, wenn jeder Einzelne dazu beiträgt. Aber der lebendige soziale Organismus wird hierfür Lösungen finden – die ganz anders aussehen als die jetzigen, die den Einzelnen zum scheinbaren Verkauf seiner Arbeitskraft zwingen.

Und in dieselbe Richtung zielen auch jene seit vielen Jahren immer wieder sich erhebenden Rufe, die ,nicht bezahlte Arbeit’ vor allem von Frauen (Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, Haushalt etc., ,Care-Arbeit’ im umfassenden Sinne) der ,Lohnarbeit’ gleichzustellen. Hieraus aber den Schluss zu ziehen, nun auch die unbezahlte Arbeit von vor allem Frauen zu bezahlen, wäre genau der falsche Weg, denn Arbeit kann nicht bezahlt werden. Es wäre die Fortsetzung des Falschen in dann noch größerem Ausmaß, es wäre die Ausweitung des falschen Denkens.

Sehr wohl aber geht es darum, die Frauen aus der Abhängigkeit der Männer zu befreien, die aufgrund ihrer ,Lohnarbeit’ finanziell unabhängig sind, während die nicht berufstätigen Frauen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Partnern stehen. Die nach Steiner grundlegende Frage ist nun aber nicht, wie auch die Arbeit der Frauen ,bezahlt’ werden kann, was gar nicht möglich ist – sondern: Wie sind die sozialen Verhältnisse so zu gestalten, was muss geschehen, damit die Frau dasselbe menschenwürdige Leben führen kann wie der Mann, mit allen Implikationen? Wie ist die volle Unabhängigkeit der nicht berufstätigen Frau zu gewährleisten? Was muss die Gesellschaft, der soziale Organismus als Ganzes, dafür tun?

Aber für den ,Mann’ (den berufstätigen Menschen) gilt eben ganz ähnlich: Wie kann der scheinbare Verkauf der Arbeitskraft in jeder Hinsicht beendet werden? Was muss geschehen, um diese Frage vom Kopf auf die wirklichen Füße zu stellen?

Neben der Frage der ,Entlohnung’ als solcher – die immer mehr zu einer Frage der bloßen Sicherung eines menschenwürdigen Lebens werden wird –, geht es auch um die Arbeitsbedingungen in jeglicher Hinsicht. Was bisher als ,Arbeitsschutzgesetze’ auch schon existierte, würde in seiner Bedeutung umfassend werden, denn der ,Arbeitgeber’ würde jegliche Übermacht verlieren, da deutlich würde, dass das Ziel der Menschenwürde tatsächlich obererstes (fast einziges) Ziel der Tätigkeit des gesetzgebenden Staates wäre und es die fraglose, ganz klare Pflicht der Zusammenhänge des Wirtschaftslebens wäre, genau dies neben aller Produktion und Zirkulation von Waren zu ermöglichen.

Damit gäbe es keine Doppelmoral mehr, wie sie nach wie vor in unglaublicher Stärke herrscht – wo einerseits alle von ,Menschenwürde’ reden, andererseits die Bedingungen etwa bei ,Amazon’ immer wieder in die Schlagzeilen kommen und man dies als ,Kollateralschäden’ des Kapitalismus einfach hinnimmt. Deutlich werden würde, dass all solche Fälle ein Versagen des Staates (der Rechtssphäre) wären, weil dessen Aufgaben eben genau die Regelung der Verhältnisse von Mensch zu Mensch ist, die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens für jeden Einzelnen, die er jetzt gerade versäumt, wie jeder der zahllosen Einzelfälle, die Schlagzeilen machen und wiederum nur die Spitze des Eisberges sind, beweist. Wo aber Gesetze schon bestehen, hat der Staat selbstverständlich auch die Pflicht, sie durchzusetzen.

Und es geht nicht nur um die Regelung von Mindeststandards wie Pausen, Zeiten für Trinken, Essen, Toilettengänge etc. – es geht um ein menschenwürdiges Leben, auch und gerade auch da, wo der Mensch arbeitet, nämlich nicht für den Profit eines einzelnen Unternehmens, sondern für die ganze Gemeinschaft, immer. Es muss quasi nach und nach unmöglich werden, diese grundlegende Tatsache zu umgehen und den Einzelnen zu einem moderenen Sklaven zu machen. Unmöglich werden. Die Rechtssphäre muss zu etwas derart Selbstverständlichem werden, wie es das Wirtschaftsleben heute schon ist. Genau das ist es, worauf Steiner hinweist. Dies aber ist letztlich eine Bewusstseinsfrage des gesamten sozialen Organismus.

Aber auch hier gilt: Das Wirtschaftsleben ist letztlich auch dafür verantwortlich – dafür, die Setzungen des Staates (und damit der ganzen Gemeinschaft) in seinem Bereich durchzusetzen. Das würde zum Beispiel bedeuten, dass Assoziationen des Wirtschaftslebens mit einem Unternehmen, das die menschenwürdigen Verhältnisse klar offensichtlich missachtet, die Zusammenarbeit schlicht beenden, sodass jedes Unternehmen durch den aus dem Wirtschaftsleben selbst kommenden Druck einfach gezwungen sein wird, das Recht ebenso einzuhalten wie jedes andere Unternehmen auch. Auch hier ist also nicht nur der Staat gefragt, sondern ,die’ Wirtschaft selbst, die ebenfalls ein lebendiger (Teil-)Organismus ist, der sich zu organisieren hat. In jedem Fall muss die Rechtssphäre für das Wirtschaftsleben so selbstverständlich werden, wie es die Naturgrundlage heute schon ist.

Letztlich bestimmt auf diese Weise die Gesellschaft selbst, wie sie leben und arbeiten möchte – unter anderem natürlich auch, wieviel. Nicht mehr der Zwang, arbeiten zu müssen, bestimmt, auch nicht die Vorgaben ,der’ Wirtschaft und der Arbeitgeber, von denen man abhängig ist, sondern die Gesellschaft als Ganze, unmittelbar aus ihrem Rechtsbewusstsein heraus. Und erst dann werden die sozialen Fragen sich lösen lassen – was für die heutige Zeit nicht weniger gilt als für Steiners Zeit:[79]

Es ist leicht einzusehen, daß durch eine solche Führung des sozialen Organismus der wirtschaftliche Wohlstand sinken und steigen wird je nach dem Maß von Arbeit, das aus dem Rechtsbewußtsein heraus aufgewendet wird. Allein eine solche Abhängigkeit des volkswirtschaftlichen Wohlstandes ist im gesunden sozialen Organismus notwendig. Sie allein kann verhindern, daß der Mensch durch das Wirtschaftsleben so verbraucht werde, daß er sein Dasein nicht mehr als menschenwürdig empfinden kann. Und auf dem Vorhandensein der Empfindung eines menschenunwürdigen Daseins beruhen in Wahrheit alle Erschütterungen im sozialen Organismus.

Es ist deutlich, dass die Gesellschaft längst zu der Erkenntnis kommen könnte, dass ein menschenwürdiges Leben in der heutigen Zeit unter anderem nur noch in fünf oder sechs Stunden ,Erwerbsarbeit’ täglich bestehen würde – weil die Produktivität seit Jahrzehnten ununterbrochen gestiegen ist, während die ,40-Stunden Woche’ seit Jahrzehnten sich in fast keiner Weise verändert hat. Der daraus hervorgehende Mehrwert ist natürlich zu einer explodierenden Flut materiellen Wohlstands geworden, andererseits aber auch in die Taschen einiger Weniger gewandert. Aber selbst wenn man voraussetzen würde, hier hätte sich niemand bereichert (was angesichts der eklatanten Anwächse der Reichen und Superreichen einfach eine Illusion ist), wäre die Gesellschaft und niemand sonst vor die Frage gestellt, wieviel materielle Flut sie haben und wieviel sie arbeiten will.  Die Gesetzgebung würde dann entsprechende Vorgaben machen, und die Wirtschaftssphäre müsste diese fraglos umsetzen...

Dass Steiner die Frage der Arbeitszeit ganz klar als eine gesamtgesellschaftliche Frage der Rechtssphäre sah (mit der das Wirtschaftsleben ebenso als Voraussetzung zu rechnen hat wie mit der Naturgrundlage), geht aus folgender Passage hervor:[79f]

Man kann einen wenig ertragreichen Boden durch technische Mittel ertragreicher machen; man kann, veranlaßt durch die allzu starke Verminderung des Wohlstandes, die Art und das Maß der Arbeit ändern. Aber diese Änderung soll nicht aus dem Kreislauf des Wirtschaftslebens unmittelbar erfolgen, sondern aus der Einsicht, die sich auf dem Boden des vom Wirtschaftsleben unabhängigen Rechtslebens entwickelt.

Und aus der Einsicht des vom Wirtschaftslebens unabhängigen Rechtslebens stünde heute eben längst der Schritt an, die menschenwürdige und gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ganz deutlich zu senken – ein Schritt, der nur dadurch nicht erfolgt, weil das Rechtsleben eben nach wie vor nicht unabhängig ist, sondern die Politik sich von Drohkulissen ,der’ Wirtschaft einschüchtern und von vermeintlichen ,Sachzwängen’ benebeln lässt, den Konkurrenzvorteil ausbeuterischer Praktiken nach wie vor nicht verhindert (ebensowenig wie es die Wirtschaftssphäre selbst tut) – und die Gesamtheit der Menschen, deren Vertretung sie eigentlich ist, niemals über diese entscheidenden sozialen Fragen befragt...

...

Leseprobe 2


Dass man dieses Geistesleben nach wie vor nicht wirklich denken kann, liegt gerade daran, dass nicht nur der sozialistisch-dialektische, sondern auch der kapitalistische Materialismus den Geist schlicht nicht denken kann: ,[...] daß man sich gewöhnt hat, das Geistige möglichst fern von allem Materiellen und Praktischen vorzustellen’.[101] In Wirklichkeit aber ist es doch offensichtlich, dass jegliche Initiative und jedes echte Unternehmertum bereits geistiger Natur ist, wie auch jede Fähigkeit überhaupt. Und das Geistige nicht anzuerkennen, kann seinen verborgenen Ursprung eigentlich nur darin haben, dass man weiter den niederen Profit- und Ausbeutungs-Impulsen folgen möchte...

Steiner entlarvt alles, was nicht auf derart grundlegende Weise den Kapitalismus überwindet, als Halbheit, im Grunde als Selbstlüge – etwa die Überzeugung, man könne ein ,guter Mensch’ sein, aber der Kapitalismus müsse nicht überwunden werden. Man kann hier auch an das ,C’ im Namen der ,CDU’ denken, die dieses ja ohnehin längst bis zur Unkenntlichkeit hat verkommen lassen, um sich allenfalls noch wie ein hässliches Alibi darauf zu berufen. Steiner hat viel aufrichtigere Seelen- und Gedankenströmungen im Auge, wenn er dennoch schreibt:[102f]

Diese Gedankenströmungen streben mehr oder weniger unbewußt – hinweg von dem, was dem inneren Erleben die rechte Stoßkraft gibt. Sie erstreben eine Lebensauffassung, ein seelisches, ein denkerisches, ein nach wissenschaftlicher Erkenntnis suchendes inneres Leben gewissermaßen wie eine Insel im Gesamtmenschenleben. Sie sind dann nicht in der Lage, die Brücke zu bauen von diesem Leben hin zu demjenigen, was den Menschen in die Alltäglichkeit einspannt. Man kann sehen, wie viele Menschen der Gegenwart es gewissermaßen „innerlich vornehm“ finden, in einer gewissen, sei es auch schulmäßigen Abstraktheit nachzudenken über allerlei ethisch-religiöse Probleme in Wolkenkuckucksheimhöhen; man kann sehen, wie die Menschen nachdenken über die Art und Weise, wie sich der Mensch Tugenden aneignen könne, wie er in Liebe zu seinen Mitmenschen sich verhalten soll, wie er begnadet werden kann mit einem „inneren Lebensinhalt“. Man sieht dann aber auch das Unvermögen, einen Übergang zu ermöglichen von dem, was die Leute gut und liebevoll und wohlwollend [...] nennen, zu dem, was in der äußern Wirklichkeit, im Alltag den Menschen umgibt als Kapitalwirkung, als Arbeitsentlöhnung, als Konsum, als Produktion, als Warenzirkulation, als Kreditwesen, als Bank- und Börsenwesen.

Das ist der Punkt. Es ist entweder Selbstlüge oder aber regelrecht Heuchelei, wenn man von Moralität oder sonst einer Selbstrechtfertigung spricht – und gleichzeitig den Kapitalismus mit all seinen täglichen Realitäten hinnimmt, gleichsam sich auf beiden Augen blindmachend oder sogar dessen Krankheitsprozesse negierend. Wer sich aber nur in innerseelisch-geistige Höhen flüchtet, dem entgegnet Steiner, dass der wahre Geist sehr wohl bis in diese äußeren Verhältnisse eingreifen kann, um sie grundlegend zu ändern.

Dafür aber müssen sie zunächst mit wahrem Geist, geistgemäßen Gedanken durchdrungen werden – wie Steiner es eben tut. Was bis dahin bloß gedankenlos abgelaufen ist und so, wie es ist, hingenommen wird, durchdringt Steiner mit Gedanken, die aus dem Geist selbst kommen und den Menschen und das Menschliche in keinem Moment aus dem Auge verlieren, also lebendig wirksamer Geist bleiben. Und Steiner formuliert an die bloßen ,Schwarmgeister’ gerichtet, die das konkrete Leben scheuen, weil sie ihm machtlos gegenüberstehen: ,Dazu genügt nicht, daß die Menschen in einer Seitenströmung des Lebens sich mit dem Geiste beschäftigen. Dazu ist notwendig, daß das alltägliche Dasein geistgemäß werde.’[105]

Und nun führt er den zentralen Punkt weiter aus – die Verwaltung des Kapitals durch das Geistesleben selbst. Gerade bei Steiner kommt alles auf die Individualität, auf die freie Initiative an. Denn nur auf dieser Grundlage werden sich die individuellen Fähigkeiten voll entfalten – jeder andere Umstand wird sie in irgendeiner Weise behindern oder lähmen: ,Was aus diesen Quellen nicht in Freiheit erfließen kann, das wird der Menschenwohlfahrt mindestens bis zu einem gewissen Grade entzogen.’[106]

Das aber bedeutet, dass alle Menschen ein Interesse daran haben müssen, dass die Beziehung zwischen Mensch und Kapital eine solche ist – dass also das Kapital die Entfaltung der Fähigkeiten ermöglicht. Man könnte meinen, das tue es ja immer. Oft ist es aber umgekehrt: Vorhandene Fähigkeiten ermöglichen das Wirken von Kapital – mit dem Ziel bloßen Profits. Hier geht es nicht um die Entfaltung von Fähigkeiten, sondern nur um deren Anwendung mit dem Ziel, Profit zu generieren. Steiner dagegen zielt darauf, dass umgekehrt Kapital zur Verfügung stehen soll, um die Entfaltung von Fähigkeiten zu ermöglichen. Man muss diesen Unterschied absolut grundlegend durchdenken, um zu empfinden, wie wirklich Welten zwischen beiden Varianten liegen. Man kann geradezu sagen: Egoismus lässt Fähigkeiten letztlich immer verkümmern. Sie mögen da sein, aber das ist auch alles. Wahre Entfaltung von Fähigkeiten bringt immer nur ein Dienst an der Sache und für die Sache. Erst hier lebt der Geist wahrhaft auf.

Die unheilvolle Verbindung zwischen Kapital und Egoismus aber wird gerade da aufgehoben, wo das Kapital tatsächlich nur noch der Entfaltung von Fähigkeiten dient. Dazu ist nur ein einziger Schritt notwendig – die Verwaltung des Kapitals durch das freie Geistesleben selbst. Steiner formuliert:[106]

Das Kapital aber ist das Mittel, solche Fähigkeiten für weite Gebiete des sozialen Lebens in Wirksamkeit zu bringen. Den gesamten Kapitalbesitz so zu verwalten, daß der einzelne in besonderer Richtung begabte Mensch oder daß zu Besonderem befähigte Menschengruppen zu einer solchen Verfügung über Kapital kommen, die lediglich aus ihrer ureigenen Initiative entspringt, daran muß jedermann innerhalb eines sozialen Organismus ein wahrhaftes Interesse haben. Vom Geistesarbeiter bis zum handwerklich Schaffenden muß ein jeder Mensch, wenn er vorurteilslos [auch, H.N.] dem eigenen Interesse dienen will, sagen: Ich möchte, daß eine genügend große Anzahl befähigter Personen oder Personengruppen völlig frei über Kapital nicht nur verfügen können, sondern daß sie auch aus der eigenen Initiative heraus zu dem Kapitale gelangen können; denn nur sie allein können ein Urteil darüber haben, wie durch die Vermittlung des Kapitals ihre individuellen Fähigkeiten dem sozialen Organismus zweckmäßig Güter erzeugen werden.

Immer wieder erlebt man, wie grundlegend hier jeglicher Egoismus ausgeschaltet ist – bis in die Begriffe hinein beweist Steiner, dass ein solcher nicht nur überhaupt nicht nötig ist, sondern dass erst seine Abwesenheit zum rein Menschlichen erhebt, zu etwas, aus dem der soziale Organismus dann auch unmittelbar hervortritt, gesund und lebendig, eine Realität. Menschen, die einzeln oder gemeinsam initiativ werden, um etwas hervorzubringen, was dem Ganzen dienen wird – und die Kapital erhalten, um genau dies zu realisieren. Das ist der erschütternd einfache Kerngedanke, der aber bereits den gesamten Kapitalismus aus den Angeln hebt. Einfach, weil der Egoismus hier überhaupt nicht vorkommt.

Der sozialistische Ansatz will Privateigentum in Gemeineigentum überführen, aber das Entscheidende ist, nicht etwa die individuelle Initiative zu unterdrücken, sondern nur, die Verknüpfung zwischen Kapital und niederem Gewinnstreben aufzulösen – darum geht es. Der Besitz muss aufgelöst werden, nicht aber die Verfügung, diese sollen die initiativ werdenden Menschen gerade erhalten! Steiner weist darauf hin, dass die sozialistische Idealvorstellung – Gemeinbesitz, Verhinderung der Entstehung von Privatbesitz – sowohl abstrakt als auch statisch ist, einen vermeintlichen Idealzustand erhalten will, während der soziale Organismus etwas Lebendiges ist, also auch lebendig behandelt werden muss.[107]

Heute wissen wir, dass der ,real existierende Sozialismus’ nicht einmal die Frage lösen konnte, wer eigentlich initiativ werden dürfe, dazu Kapital erhalte, oder wie Initiative überhaupt ermöglicht werden könne. Im Sozialismus wurde zwar das Profitstreben unterbunden, aber auch die Initiative an sich. Die abstrakten, statischen Vorstellungen führten auch ganz real zu einer Erstarrung. Nicht, weil die Menschen ohne Profitaussicht nicht initiativ werden könnten, sondern weil der sozialistische Staat von vorne bis hinten alles verwaltete und kontrollierte – und so jegliche Initiative lähmte.

Die kapitalistische Gesellschaft macht es jedoch nicht besser, sie macht es zwar materiell erfolgreicher – aber nur dadurch, dass sie fortwährend die niederen Impulse des Menschenwesens anstachelt, daneben die subtile Ausbeutung in keiner Weise beendet etc.

Nirgendwo findet sich das wahrhaft Menschliche, nirgendwo der Geist in seiner wahren Gestalt. Bei Steiner aber schon. Durch seine Ausführungen lernt man, den Geist und das Wesen des Menschen und des sozialen Organismus wirklich zu denken. Und noch einmal formuliert er unmissverständlich:[107]

Eine Lebensbedingung des sozialen Organismus ist, daß demjenigen, welcher der Allgemeinheit durch seine individuellen Fähigkeiten dienen kann, die Möglichkeit zu solchem Dienen aus der freien eigenen Initiative heraus nicht genommen werde. Wo zu solchem Dienste die freie Verfügung über Produktionsmittel gehört, da würde die Verhinderung dieser freien Initiative den allgemeinen sozialen Interessen schaden.

Und den Verteidigern des Privatbesitzes an Produktionsmitteln (und des Profitdenkens) entgegnet Steiner, dass sie sich tatsächlich als Egoisten selbst offenbaren, denn: ,[...] nicht darum kann es sich allein handeln, aus welchen Impulsen heraus der Privatbesitz an Produktionsmitteln bei Menschen beliebt ist, sondern darum, ob die freie Verfügung über solche Mittel, oder die durch die Gemeinschaft geregelte den Lebensbedingungen des sozialen Organismus entspricht.’[108] Dennoch geht es Steiner gerade um die letztlich freie Verfügung, sobald dann die Initiative entfaltet wird, ohne eine fortwährend übergeordnete Kontrolle.[109] An ihre Stelle tritt gerade das Vertrauen in die entfaltete Initiative – die unmittelbar berechtigt ist, sobald das Profitstreben wegfällt.

...