Rudolf Steiner über...
Rudolf Steiner über (Geistes-)Vertrauen
Die Kräfte der Welt sind zerstörende und aufbauende: das Schicksal der äußeren Wesenheiten ist Entstehen und Vergehen. In das Wirken dieser Kräfte, in den Gang dieses Schicksals soll der Wissende blicken. Der Schleier, der im gewöhnlichen Leben vor den geistigen Augen liegt, soll entfernt werden. Der Mensch selbst aber ist mit diesen Kräften, mit diesem Schicksal verwoben. In seiner eigenen Natur sind zerstörende und aufbauende Kräfte. So unverhüllt die anderen Dinge vor das sehende Auge des Wissenden treten, so unverhüllt zeigt die eigene Seele sich selbst. Solcher Selbsterkenntnis gegenüber darf der Geheimschüler nicht die Kraft verlieren. Und sie wird ihm nur dann nicht fehlen, wenn er einen Überschuß an ihr mitbringt. Damit dieses der Fall sei, muß er lernen, in schwierigen Lebensverhältnissen die innere Ruhe und Sicherheit zu bewahren; er muß in sich ein starkes Vertrauen in die guten Mächte des Daseins erziehen. Er muß darauf gefaßt sein, daß manche Triebfedern ihn nicht mehr leiten werden, die ihn bisher geleitet haben. [...] Ganz neue Triebfedern zum Handeln und Denken wird er entwickeln müssen. Und eben dazu gehören Mut und Furchtlosigkeit.
Vorzüglich handelt es sich darum, im tiefsten Innern des Gedankenlebens selbst diesen Mut und diese Furchtlosigkeit zu pflegen. Der Geheimschüler muß lernen, über einen Mißerfolg nicht zu verzagen. Er muß zu dem Gedanken fähig sein: „Ich will vergessen, daß mir diese Sache schon wieder mißglückt ist, und aufs neue versuchen, wie wenn nichts gewesen wäre.“ So ringt er sich durch zu der Überzeugung, daß die Kraftquellen in der Welt, aus denen er schöpfen kann, unversieglich sind. Er strebt immer wieder nach dem Geistigen, das ihn heben und tragen wird, wie oft auch sein Irdisches sich als kraftlos und schwach erwiesen haben mag. Er muß fähig sein, der Zukunft entgegenzuleben, und in diesem Streben sich durch keine Erfahrung der Vergangenheit stören lassen.
1904, GA 10, S. 72f.
Und auf Vertrauen und wahre Menschenliebe muß alles Wahrheitsstreben gebaut sein. Es muß darauf gebaut sein, obgleich es nicht daraus entspringen, sondern nur aus der eigenen Seelenkraft quellen kann. Und die Menschenliebe muß sich allmählich erweitern zur Liebe zu allen Wesen, ja zu allem Dasein. Wer die genannten Bedingungen nicht erfüllt, wird auch nicht die volle Liebe zu allem Aufbauen, zu allem Schaffen haben, und die Neigung, alle Zerstörung, alles Vernichten als solche zu unterlassen. Der Geheimschüler muß so werden, daß er nie etwas vernichtet um des Vernichtens willen, nicht in Handlungen, aber auch nicht in Worten, Gefühlen und Gedanken. Für ihn soll es Freude am Entstehen, am Werden geben; und nur dann darf er die Hand bieten zu einer Vernichtung, wenn er auch imstande ist, aus und durch die Vernichtung neues Leben zu fördern. Damit ist nicht gemeint, daß der Geheimschüler zusehen darf, wie das Schlechte überwuchert; aber er soll sogar am Schlechten diejenigen Seiten suchen, durch die er es in ein Gutes wandeln kann.
1904, GA 10, S. 111f.
Das fünfte ist die Unbefangenheit gegenüber den Erscheinungen des Lebens. Man spricht in dieser Beziehung auch von dem „Glauben“ oder „Vertrauen“. Der Geheimschüler tritt jedem Menschen, jedem Wesen mit diesem Vertrauen entgegen. Und er erfüllt sich bei seinen Handlungen mit solchem Vertrauen. Er sagt sich nie, wenn ihm etwas mitgeteilt wird: das glaube ich nicht, weil es meiner bisherigen Meinung widerspricht. Er ist vielmehr in jedem Augenblicke bereit, seine Meinung und Ansicht an einer neuen zu prüfen und zu berichtigen. Er bleibt immer empfänglich für alles, was an ihn herantritt. Und er vertraut auf die Wirksamkeit dessen, was er unternimmt. Zaghaftigkeit und Zweifelsucht verbannt er aus seinem Wesen. Hat er eine Absicht, so hat er auch den Glauben an die Kraft dieser Absicht. Hundert Mißerfolge können ihm diesen Glauben nicht nehmen. Es ist dies jener „Glaube, der Berge zu versetzen vermag“.
1904, GA 10, S. 129.
Was wir heute als Frucht der anthroposophischen Weltanschauung entwickeln und was unsere Herzen beseligen und unsere Liebe warm machen kann: diese Frucht geisteswissenschaftlicher Weltanschauung kann man nicht haben ohne den Keim, das heißt die geisteswissenschaftliche Erkenntnis selber. Man sagt etwa: Was brauchen wir diese Vorstellungen über Reinkarnation und Karma, über die Glieder des Menschen und die Entwickelung der Welt? Es handelt sich um Entwickelung der Menschenliebe und einer edlen Gesinnung. - Gewiß handelt es sich darum, aber eine wahre, für die Welt fruchtbare Menschenliebe ist nur möglich auf der Grundlage der Erkenntnis, und zwar der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis.
Als Erkenntnis hat Geisteswissenschaft vieles vor den andern Weltanschauungen voraus. Wenn sie in uns wahrhaft innerlich erlebt wird, wenn wir uns nicht verdrießen lassen, in unseren Seelen immer wieder diese großen, umfassenden Gedanken zu erwecken, die Gedanken immer in uns herumtragen, dann sehen wir, daß diese Lehre in einem ganz bestimmten Sinn ein Lebensinhalt werden kann. Die geisteswissenschaftliche Lehre ist eine Summe von Ideen, die uns in übersinnliche Welten führen, und wir müssen uns deshalb bei unserem geisteswissenschaftlichen Denken aufschwingen zu höheren Welten. Eine jede geisteswissenschaftliche Stunde ist ein Hinausgreifen der Seele über das Alltägliche. Wir sind mit unserem Denken in dem Augenblick, wo wir uns der Lehre hingeben, hinausentrückt in eine andere Welt. Unser Ich ist dann vereint mit der geistigen Welt, und wenn wir bedenken, daß sie es ist, aus der unser Ich herausgeboren ist, so sind wir dann, wenn wir geisteswissenschaftlich denken, mit unserem Ich in unserer geistigen Heimat, bei dem Urquell, aus dem es stammt. [...]
Die spirituellen Gedanken sind starke Gedanken, wenn wir sie lebensvoll erfassen. Wenn wir uns hinauferheben zu den Gedanken der Erdenvergangenheit und -zukunft und diese grandiosen Geschehnisse auf uns wirken lassen, dann wird unsere Seele gespannt hingezogen werden zu ihnen und sie wird über die Sorgen des Tages weit hinweggetragen werden. Gedanken, wie aus dem Karma, diesem Schicksalsplan, uns das Ideal unseres eigenen königlichen Willens erwächst, geben uns Mut und Kraft, so daß wir uns sagen: Mögen auch heute diese oder jene Hindernisse in meinem Leben unüberwindlich sein - meine Kraft wächst von Inkarnation zu Inkarnation. Immer stärker wird der königliche Wille in mir, und alle Hemmnisse werden mir helfen, diesen Willen immer königlicher zu machen. Ich werde die Hemmnisse überwinden und daran wird sich mein Wille immer mehr entwickeln, meine Energie wird wachsen. Die Kleinlichkeiten des Lebens, als das Minderwertige des Daseins, werden schmelzen wie Reif an der Sonne, jener Sonne, die aufgeht in der Weisheit, die uns im spirituellen Denken durchdringt. Unsere Gefühlswelt wird durchwärmt, durchglüht, durchleuchtet; unser Dasein wird sich weiten und wir werden uns darin beseligt fühlen.
Wenn wir solche Augenblicke wiederholen und auf uns wirken lassen, dann wird eine Stärkung unseres ganzen Daseins nach allen Richtungen hin daraus erfließen. Zwar nicht von heute auf morgen, aber in steter Wiederholung solcher Gedanken werden der Trübsinn, das Wehklagen über unser Schicksal, das trübselige Temperament nach und nach hinschwinden. Ein Heilmittel unserer Seele wird Geist-Erkenntnis sein! Und wenn sie das wird, wenn sich unser Dasein so weitet, dann pflanzt sie in uns die Gesinnung, welche die Frucht der Geist-Erkenntnis ist. Das, was sie so in uns erstehen läßt, muß betrachtet werden als das geisteswissenschaftliche Ideal. Aller Zwiespalt, alle Disharmonien des Lebens werden gegenüber den harmonischen Gedanken und Gefühlen, die einen energischen Willen nach sich ziehen, fallen. Damit erweist sich die Geistesforschung nicht bloß als Wissen und Lehre, sondern als Kraft des Lebens und als Inhalt unserer Seele. Wenn sie so verstanden wird, dann wird sie imstande sein, im Leben derart zu wirken, daß sie den Menschen allen Sorgen und Kümmernissen entreißt. Und so muß sie wirken in unserer Zeit, denn sie verdankt ihr Dasein nicht einer Willkür, sondern der Erkenntnis, daß sie notwendig ist.
25.5.1909, GA 109, S. 126-129.
Gottes schützender segnender Strahl
Erfülle meine wachsende Seele,
Daß sie ergreifen kann
Stärkende Kräfte allüberall.
Geloben will sie sich,
Der Liebe Macht in sich
Lebensvoll zu erwecken,
Und sehen so Gottes Kraft
Auf ihrem Lebenspfade
Und wirken in Gottes Sinn
Mit allem, was sie hat.
31.3.1910, GA 40, S. 114.
Aus den verschiedenen Darstellungen, die im Laufe der Zeit gegeben wor den sind, ist es uns ja geläufig, daß Geisteswissenschaft nicht eine abstrakte Theorie sein soll, nicht eine bloße Doktrin oder Lehre, sondern ein Quell für Leben und Lebenstüchtigkeit, und sie erfüllt erst dann ihre Aufgabe, wenn durch das, was sie an Erkenntnissen zu geben vermag, etwas hineinfließt in unsere Seelen, was das Leben reicher, verständlicher, was unsere Seelen tüchtiger und tatkräftiger machen kann. Wenn sich nun allerdings derjenige, der sich zu dieser unserer Weltanschauung bekennt, jenes Ideal, das eben mit ein paar Worten gekennzeichnet worden ist, vorhält und in der Gegenwart dann ein wenig Umschau hält, inwiefern er imstande ist, das, was ihm aus der Theosophie erfließt, in diesem Leben umzusetzen, dann könnte er vielleicht zu einem recht wenig erfreulichen Eindruck kommen. Denn wenn man unbefangen alles betrachtet, was heute die Welt meint zu "wissen", was in unserer Gegenwart die Menschen zu diesen oder jenen Gefühlen oder Handlungen treibt, so könnte man sagen, daß dies alles von den theosophischen Ideen und Idealen so unendlich weit verschieden ist, daß der Theosoph gar keine Möglichkeit habe, unmittelbar in das Leben einzugreifen mit dem, was er aus den Quellen der Geisteswissenschaft heraus sich aneignet.- Das wäre aber dennoch eine recht oberflächliche Betrachtung der Sachlage, oberflächlich aus dem Grunde, weil bei einer solchen Betrachtung nicht gerechnet würde mit dem, was wir aus unserer Weltanschauung selber dadurch entnehmen müssen, daß wir uns sagen: Wenn einmal wirklich jene Kräfte, die wir durch Theosophie aufnehmen, stark genug sein werden, dann werden sie auch die Möglichkeit finden, in die Welt einzugreifen; wenn aber niemals etwas dazu getan würde, diese Kräfte immer stärker und stärker zu machen, so würde eben ihr Eingreifen in die Welt unmöglich sein. Aber es ist noch etwas anderes, was uns sozusagen Trost geben kann, selbst wenn wir durch eine solche Betrachtung trostlos werden möchten, und das ist es gerade, was uns aus den Betrachtungen dieses Vortragszyklus folgen soll: Betrachtungen über das, was man menschliches Karma und Karma überhaupt nennt. Denn wir werden mit jeder Stunde, die wir hier verbringen, mehr sehen, wie wir gar nicht genug tun können an der Herbeiführung der Möglichkeit, mit theosophischen Kräften in das Leben einzugreifen, und wie wir, wenn wir ernsthaft an Karma glauben und festhalten, voraussetzen müssen, daß uns Karma selber dasjenige zuwerfen wird, was wir über kurz oder lang zu tun haben werden für unsere Kräfte. Wir werden sehen: Wenn wir vermeinen, wir könnten die aus unserer Weltanschauung gewonnenen Kräfte noch nicht anwenden, dann haben wir eben diese Kräfte noch nicht genügend stark gemacht, damit sie bewirken können, daß Karma es uns auch ermögliche, in die Welt mit diesen Kräften einzugreifen. So soll nicht nur eine Summe von Erkenntnissen über Karma in diesen Vorträgen leben, sondern es soll mit jeder Stunde mehr das Vertrauen in Karma geweckt werden, die Gewißheit, daß, wenn die Zeit gekommen sein wird, ob es nun morgen oder übermorgen oder nach vielen Jahren sein wird, unser Karma uns Aufgaben bringen wird, insofern wir als Bekenner unserer Weltanschauung Aufgaben zu verrichten haben.
16.5.1910, GA 120, S. 9f.
Geisteserkenntnis ist nur möglich, wenn die Menschen den lebendigen Geist wiederum suchen werden. Sie werden ihn wiederum suchen, denn das ist verknüpft mit einem unwiderstehlichen Drang der menschlichen Seele. Und auf dem Vertrauen, daß dieser Drang in der menschlichen Seele vorhanden ist, daß das Herz den Menschen treibt, den Zusammenhang mit den geistigen Quellen wieder zu suchen [...], darauf beruht im Grunde genommen alle Kraft, die uns beseelen kann auf dem anthroposophischen Boden. Durchdringen wir uns mit diesem Vertrauen, und wir werden auf diesem Gebiete, das uns in das geistige Leben hineinführen soll, die echten Früchte erzielen.
22.8.1910, GA 122, S. 126.
Wir müssen mit der Wurzel aus der Seele ausrotten Furcht und Grauen vor dem, was aus der Zukunft herandringt an den Menschen. [...] Gelassenheit in bezug auf alle Gefühle und Empfindungen gegenüber der Zukunft muß sich der Mensch aneignen, mit absolutem Gleichmut entgegensehen allem, was da kommen mag, und nur denken, daß das, was auch kommen mag, durch die weisheitsvolle Weltenführung uns zukommt.
27.11.1910, GA 40a, S. 283f, ungefähre, nicht stenographische Wiedergabe.
Wenn wir innerhalb unserer Bewegung Pfleger jenes Lichtes sein wollen, das in die Menschheitsevolution einströmen soll, so müssen wir Wächter werden gegenüber alledem, was an Irrtümern sich gleichzeitig mit diesem Licht einschleichen kann. [...] Wenn Sie auch zuweilen Zweifel überkommen könnte bei dem Gedanken: Wohl ist starkes Licht vorhanden, aber auch eine große Irrtumsmöglichkeit, wie sollst du schwacher Mensch dich darin zurechtfinden? Wie sollst du entscheiden können, was von der Wahrheit stammt und was Irrtum ist? – Wenn ein solcher Gedanke in der Brust aufsteigt, können Sie Stärkung und Kräftigung fühlen durch den Leitspruch: Die Wahrheit wird dasjenige sein, was die höchsten Impulse für die Menschheitsentwickelung abgeben wird, und näher soll mir die Wahrheit stehen als ich mir selber. Verhalte ich mich so zur Wahrheit, und irre ich hier in dieser Inkarnation, so wird die Wahrheit die Kraft haben, mich zu sich zu ziehen in der nächsten Inkarnation. Wenn ich ehrlich irre in dieser Inkarnation, wird sich dieser Irrtum ausgleichen in der nächsten. Besser ist es, ehrlich zu irren, als unehrlich Dogmen anzuhängen. Und das Wort wird vor uns aufleuchten: Nicht durch unser Wollen, wohl aber durch die göttliche Kraft der Wahrheit selbst wird diese Wahrheit siegen. Ist aber das, wozu wir durch irgendwelche Umstände in dieser Inkarnation gedrängt werden, nicht die Wahrheit, ist es der Irrtum, sind wir zu schwach, um zur Wahrheit hingezogen zu werden, dann möge das, wozu wir uns bekennen, nur untergehen, denn dann hat es nicht die Kraft zu leben, soll nicht die Kraft zu leben haben. Wenn wir ehrlich zur Wahrheit streben, dann wird sie der siegende Impuls in der Welt sein. Und ist das, was wir jetzt schon haben, ein Stück Wahrheit, so wird dies nicht durch das, was wir für diese Wahrheit vorbringen können, in uns siegen, sondern durch die Kraft, die ihr selber innewohnt. Ist es aber der Irrtum, dann haben wir auch die Kraft, zu sagen: Es möge dieser Irrtum untergehen.
Wenn wir dieses zu unserem Leitspruch machen, dann werden wir den rechten Standpunkt finden, daß wir uns sagen: Wir können unter allen Umständen das gewinnen, was wir brauchen innerhalb einer spirituellen Bewegung: Vertrauen. Ist es die Wahrheit, was dieses Vertrauen uns eingibt, so wird diese Wahrheit siegen, mögen ihre Gegner sie auch noch so sehr bekämpfen.
Diese Empfindung kann leben in eines jeden Theosophen Seele. Und wenn wir die Vermittler sein sollen dessen, was uns aus der geistigen Welt herabfließt, und was solche Gefühle wachruft im menschlichen Herzen, welche Sicherheit und Kraft für das Leben geben, dann erfüllt sich die Mission der neuen spirituellen Offenbarung, die mit dem, was wir als Theosophie bezeichnen, in die Menschheit gekommen ist und immer mehr und mehr die menschlichen Seelen in eine geistigere Zukunft hineintragen wird.
14.6.1911, GA 127, S. 179-181.
Wir können nun als Menschen ein Zweifaches tun mit diesem Seelenschatze, der ein göttliches Erbteil ist. Wir können aus einer gewissen menschlichen Bequemlichkeit heraus sagen: Ach, was brauche ich Erkenntnis, die Götter werden mich schon selber zu den Zielen führen. - Das tun sie aber nicht, denn sie haben solchen Schatz in unser Inneres gesenkt, damit wir ihn durch unsere Freiheit herausheben. Wir können also diesen Seelenschatz in uns verkommen lassen. Das ist der eine Weg, den die Menschenseele einschlagen kann. Der zweite Weg ist der, daß wir uns unserer höchsten Pflicht bewußt werden gegenüber den himmlischen Mächten und uns sagen: Wir müssen ihn heben, wir müssen ihn heraufbringen aus den verborgenen Tiefen in unser Bewußtsein herein. [...] Wenn wir aber den Seelenschatz verfallen lassen in uns, dann treiben wir im wahrsten Sinne Egoismus, denn alsdann bleibt dieser Seelenschatz unwiederbringlich für den Weltenprozeß verloren: der Götter Erbteil lassen wir verwesen, wenn wir nicht erkennen wollen in uns. [...]
Da gibt es dann nur ein einziges: Vertrauen haben zu der eigenen Seele. Wenn sie in Geduld nach und nach entwickelt, was in sie gelegt ist, dann müssen ihr die Kräfte, die sie jetzt noch schwach fühlt, immer mehr und mehr wachsen, so daß sie ihre Pflicht gegenüber den kosmischen Mächten wirklich erfüllen kann. Dieses Vertrauen in die Tragkraft und Fruchtbarkeit der menschlichen Seele muß uns tragen, wenn wir oftmals, weil wir nur die aus der Vergangenheit erworbene Kraft mitbringen, ratlos und furchtsam stehen, wenn es uns erscheint: Du mußt, und du kannst nicht in diesem Augenblick!
Alle Prüfungen der Seele spielen sich im Grunde genommen so ab, daß wir vor dieser Furcht oder vor dieser Ohnmacht zurückschaudern. Und nur wenn wir in uns jene Seelenstärke finden, die aus dem Vertrauen zu sich selbst hervorgeht, aus dem Vertrauen, das uns allmählich durch die Vertiefung in die Geisteswissenschaft heranwächst, nur dann können wir solche Prüfungen im wahren Sinne des Wortes bestehen.
25.8.1911, GA 129, S. 161-163.
Weil wir nicht im Geiste uns wissen, wohl aber im Geiste leben, müssen wir solche Prüfungen durchmachen. Denn wir leben zwar im Geiste, wissen es aber nicht. Wir sehen den Geist in einer trügerischen Form und müssen aus dem Truge, der wir selber sind, aus dem Traum, als welchen wir uns selber träumen, zur Realität vordringen, müssen abstreifen alles das, was noch an Materielles oder an Gesetze von Materiellem erinnert. Das ist ein Weg, dessen Ende wir ahnen können, aber aus solchen Ahnungen entsprießt uns die Stärke, die uns sagt: Wir werden endlich den Kreis schließen können und in der Geistesoffenbarung die Lösungen der Weltenwunder, die Befriedigungen für die Seelenprüfungen finden können.
So muß uns eine wirkliche Betrachtung der Geisteswissenschaft niemals mutlos machen. Und wenn uns auch gezeigt werden muß, wie schwer die Seelenprüfungen sind, wie sie immer wieder von neuem auftreten müssen, so müssen wir uns dennoch sagen: Kennenlernen müssen wir sie, ja, auch durchmachen müssen wir sie, denn daß wir sie abstrakt wissen, das hilft uns nichts. Aber wir müssen auch das Vertrauen haben, daß wir über die Seelenprüfungen zu den Geistesoffenbarungen vorschreiten werden.
27.8.1911, GA 129, S. 224.
Wir müssen nicht nur äußere Trostgründe haben gegenüber dem, der bei einem äußeren Unglück durch die Erweckung der inneren Kräfte das Unglück ertragen lernen soll, sondern wir müssen die realen inneren Kräfte ihm geben können, die über die Sphäre des Unglückes hinausführen zu einer Sphäre, zu der er gehört, trotzdem das Leben dem zu widersprechen scheint. Das kann aber nur eine Wissenschaft geben, die zeigt, wie das Menschenleben hinausreicht über Geburt und Tod, wie es doch zusammenhängt mit alle dem, was die beseligenden Gründe unserer Weltordnung bildet. Wenn wir von einer Weltanschauung solches erwarten können, dann können wir sagen, daß sie die Ahnungen der allerbesten Menschen mit einem Inhalt erfüllt. Mit einer solchen Weltanschauung kann der Mensch das Leben so ansehen, daß er in diesem Leben wie derjenige steht, der auf einem Schiffe von den im Sturme auf- und abwogenden Wellen geschaukelt wird, aber doch in seinem Innern den Mut findet, auf nichts in der äußeren Welt im gleichen Sinne zu bauen wie auf die Kraft und Wesenheit seines eigenen Innern.
7.12.1911, GA 61, S. 192f.
Zum Menschenursprung hinauf, zur Menschenseele, als diese noch nicht heruntergestiegen war, selbst noch nicht heruntergestiegen war in Adams Natur, erinnerte sich der Mensch zur Weihnachtszeit. Er wollte sagen, daß in Bethlehem, in Palästina, jene Seelensubstanz geboren wurde, die nicht mit teilgenommen hat an dem Abstieg der Menschheit, sondern zurückgeblieben war und zum ersten Male eigentlich in einen Menschenleib einzog, indem sie in den Lukas-Jesusknaben verkörpert wurde.
Man kann an die Menschheit glauben, man kann zur Menschheit Vertrauen haben, so kann die Menschenseele empfinden, wenn ihr Gedanke sich hinlenken darf zu der Tatsache: Wie auch Streit, wie auch Unglaube, wie auch Disharmonie Platz gegriffen haben innerhalb der Menschheitsentwickelung – und sie haben Platz gegriffen durch alles, was sich in die Menschheit hineinergossen hat von Adams Zeit bis in unsere Gegenwart –, blickt man zurück auf das, was die alten Zeiten „Adam Kadmon“ genannt haben, was dann zum Christus-Begriff geworden ist, dann entflammt sich in der Menschenseele Vertrauen zur Richtigkeit der Menschenkraft, entflammt sich das Vertrauen in die ursprüngliche Friedens- und Liebesnatur der Menschheit.
21.12.1911, GA 127, S. 219.
In den Menschen fließen nicht nur diejenigen Dinge ein, die in dem Umkreise der Erde vorhanden sind, nicht nur die Dinge, welche aus der Evolution der Erde selbst stammen, sondern es ist dem Menschen möglich, seine Seele so zu stimmen, daß er aus den geistigen Welten heraus Hilfskräfte erhält, die in ihn einfließen können, die einen Ausgleich herbeiführen zwischen dem einzelnen egoistischen Ich und der Gesamtheit unserer Organisation, wenn er dieser Möglichkeit sich öffnet, die in die Erdenmission eingeflossen ist. Wer erringen kann das Vertrauen an diesen Zufluß aus den geistigen Welten, der hat - wie er dies innere Ereignis, dies innere Erlebnis auch nennen mag - die persönliche Christus-Erfahrung im Inneren erlebt.
17.4.1912, GA 143, S. 131.
Meine lieben Freunde, wichtig, unendlich wichtig ist es, daß wir in unseren Seelen allmählich dieses Gefühl von der waltenden Weisheit der Welt heranziehen, daß wir uns ganz mit diesem Gefühl durchströmen. Wenn dieses Gefühl den Menschen allmählich durchströmt, wird das herauskommen, was uns das Schicksal und alle Schicksalsschläge, die wir ohne dieses Gefühl schwer ertragen, in tiefem echtem Vertrauen auf die waltende Weisheit der Welt wird hinnehmen lassen.
9.5.1914, GA 261, S. 20.
Aber die menschliche Seele braucht etwas, was bleibt, was nicht so ist, daß man heute von Dingen spricht, die morgen schon sich als unhaltbar erweisen; sie braucht etwas, was heute Wahrheit ist und was morgen Wahrheit ist. Solche Wahrheit wird sie nur finden, wenn sie sich mit dem Geiste verbindet. Auf die Sieghaftigkeit des Geistes dürfen wir vertrauen. Wer sich mit dem Geiste verbindet, wird den rechten Weg finden zu jener Weisheit, die eben nur aus der Verbindung mit dem Geiste entstehen kann.
30.9.1914, GA 174b, S. 27.
Wer sich so recht einlebt in das, was heute noch unser geisteswissenschaftliches Erkennen ist, den überkommt tiefe Demut. Denn nur ahnen dürfen wir, was die Geisteswissenschaft einstmals in der Zukunft für die Menschheit werden soll, denn was wir heute von ihr zu erkennen vermögen, es kann sich, wenn viele Zeiträume verflossen sein werden, nur verhalten zu dem, was einstmals der Menschheit geschenkt werden wird, wie das junge Weihnachtskind zu dem erwachsenen Christus Jesus.
Wir haben wirklich heute in unserer neubeginnenden Geisteswissenschaft noch das Kind. Daher ist das Weihnachtsfest so recht unser Fest, und wir verspüren, daß wir gegenüber dem, was als Menschenlicht walten kann in der Erdenentwickelung, heute leben in tiefer, finsterer Winternacht, und daß wir wirklich stehen mit unserem heutigen Wissen vor dem, was sich uns in tiefer Winterfinsternis der Erdenentwickelung offenbart, wie einstmals die Hirten gestanden haben vor dem Christuskinde, das sich ihnen zuerst offenbarte. Gegenüber dem Verständnis von dem Christus Jesus können wir uns heute so recht fühlen wie die damaligen Hirten und so recht bitten die Quellen des geistigen Lebens, die immer mehr und mehr fließen mögen den Menschen, so recht sie bitten, sie mögen immer mehr und mehr wahrmachen göttliche Offenbarung in den geistigen Höhen, und jenen Frieden geben, den diese Offenbarung den Menschengemütern geben kann, die wirklich guten Willens sind. Wie ein Wahrzeichen erscheint uns dann wohl gerade dieses Weihnachtsfest. Wir wissen noch wenig von dem, was die Welt einstmals als Geisteswissenschaft haben wird. Wir ahnen, was noch kommen wird, wir ahnen es in tiefer Demut. Aber das Wenige, wenn wir es so recht in unser Herz eintreten lassen wollen, ach, wie kommt es uns dann vor! [...]
Aber blicken wir hin auf dasjenige, was sich vor dieser unserer chaotischen Gegenwart schon geoffenbart hat und was jetzt einen so erschütternd traurig-schmerzlichen Ausdruck gefunden hat, dann finden wir, wie so sehr klein jene Seelenwohnung ist, in der heute wohnen muß das neue Verständnis von dem Weihnachtskinde, das zur Erde kommen soll. [...]
Feiern wir, meine lieben Freunde, dieses Weihnachtsfest des erneuten Christus-Verständnisses in unseren Herzen und in unseren Seelen; fühlen wir uns, wenn wir ein rechtes Weihnachtsfest feiern wollen, gleich jenen Hirten, weit weg von dem, was jetzt die Welt erfaßt hat. Aber erkennen wir durch das, was uns als solchen Hirten sich offenbart, dasjenige, was damals erkannt werden mußte, erkennen wir die Verheißung einer sicheren Zukunft. Und bauen wir auf in unseren Seelen das Vertrauen zur Erfüllung dieser Verheißung: das Vertrauen dazu, daß dasjenige, was wir heute empfinden für das Kind, das wir anbeten wollen - das neue Christus-Verständnis ist dieses Kind -, werde wachsen, es werde leben und es werde in nicht zu langer Zeit so heranwachsen, daß sich in ihm verkörpern kann der ätherisch erscheinende Christus, wie sich der Christus verkörpern konnte im fleischlichen Leibe zur Zeit des Mysteriums von Golgatha. Erfüllen wir uns mit dem Lichte, das uns durch das Vertrauen in diese Verheißung bis ins tiefste Seeleninnere erleuchten kann, durchwärmen wir uns mit der Wärme, welche unser Gemüt durchpulsen kann! Wenn wir uns also gegenüber der Höhe fühlen, in welcher das Licht von der Geisteswissenschaft vor unsere ahnende Seele tritt, dann allein können wir sicher sein, daß es einmal die Welt erfüllen werde.
Wenn wir also denken, begehen wir - gerade in dieser schweren, schmerzlichen Zeit - ein echtes Weihnachtsfest. Denn nicht nur ist die tiefe, finstere Winternacht der Jahreszeit da; es ist über den Völkerhorizont hin das Ergebnis ahrimanischer Finsternis da, wie sie allmählich heraufgezogen ist seit dem Beginne des fünften nachatiantischen Zeitalters. Wie aber die Christus-Verkündigung zuerst nur den Hirten zukommen konnte und dann die Welt immer mehr und mehr erfüllte, so wird immer mehr und mehr die Welt erfüllen auch das neue Verständnis des Mysteriums von Golgatha. Und Zeiten werden kommen, die als Lichtzeiten auch für die Menschheit ablösen werden die Zeit der Winterfinsternis, in der wir heute leben.
26.12.1914, GA 156, S. 200-203.
Welches ist eigentlich die Vorstellung von dem, was der Christus Jesus selber den Glauben, das Vertrauen nennt? Man hat heute eine viel zu theoretische, viel zu abstrakte Vorstellung von dem Glauben. Denken Sie einmal, was sich heute der Mensch sehr häufig vom Glauben vorstellt, wenn er von dem Gegensatze des Glaubens zum Wissen redet. [...] Vergleichen Sie einmal ganz oberflächlich diese Glaubensvorstellung mit jener Vorstellung, die der Christus Jesus hervorruft. Ich will nur einmal hinweisen auf die Evangelienstelle: Wenn ihr glaubet, der Berg, der vor euch steht, soll sich ins Meer stürzen, und ihr habt den wirklichen Glauben, so wird er sich ins Meer stürzen! [...]
Was soll der Glaube? Er soll etwas bewirken, etwas hervorbringen. Er soll nicht bloß eine Vorstellung, ein Wissen erwecken; wenn man ihn hat, den Glauben, soll etwas geschehen können durch den Glauben. Sehen Sie sich daraufhin das Evangelium an. Überall, wo Sie es aufschlagen können, und wo Sie die Ausdrücke „Vertrauen“ und „Glauben“ finden, werden Sie überall finden, daß es sich um diese tätige Vorstellung handelt, daß man etwas haben soll, wodurch etwas verrichtet, etwas getan wird, wodurch etwas geschieht. Das ist außerordentlich wichtig.
10.4.1917, GA 175, S. 205f.
Die moralischen Vorstellungen, an die man sich gebunden fühlt, zu denen das Gewissen sich hindrängt, den Menschen hindrängt, diese moralischen Vorstellungen erscheinen gewiß notwendig; aber mit der Naturordnung, mit dem, was real notwendig, von der Naturanschauung notwendig genannt wird, hat es keinen Zusammenhang, wenn man ganz ehrlich ist! Sie sind schwach geworden, die Vorstellungen. Sie sind so stark, daß man seine Taten danach einrichtet; so stark sind sie, daß man sich an diese Vorstellungen durch sein Gewissen gebunden fühlt; aber sie sind nicht so stark, daß man denken könnte: Was du heute dir ausdenkst über irgendeine Moralidee, das ist ein real Wirksames! Dazu braucht es etwas, damit das real wirksam sein kann. Wo ist das, was dasjenige, was in unserer moralischen Idee lebt, real wirksam macht? Das ist der Christus - das ist der Christus! Das ist eine Seite des Christus-Wesens! [...]
„Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Es ist die Kraft, welche zum Jupiter hinüberträgt das Moralische der Erden weit. Nun, stellen Sie sich die Erde vor als physische Natur, so wie Sie sich die Pflanze vorstellen, die moralische Ordnung wie den Keim der Pflanze, und die Christus-Kraft als dasjenige, was den Keim aufgehen läßt als die künftige Erde, als den Jupiter: Sie haben dann die ganze Evangelienvorstellung aus der Geisteswissenschaft wiederum auferbaut!
Aber wie kann das sein? Wie kann dasjenige, was nur im Gedanken lebt nach den naturalistischen Vorstellungen, was nur eine Vorstellung ist, zu der man sich moralisch verbunden fühlt, wie kann das umgesetzt werden in solche Realität, wie diejenige ist, die in der Steinkohle brennt oder mit der Flintenkugel in die Luft fliegt? Wie kann das eine dichte Vorstellung sein, was so dünn ist als moralische Vorstellung? Dazu braucht es eines Impulses. Es muß ergriffen werden diese moralische Vorstellung von einem Impulse. Wo ist er, dieser Impuls? Jetzt erinnern Sie sich an das, was wir vorher gesagt haben: Der Glaube soll nicht bloß ein Surrogat des Wissens sein; der Glaube soll etwas wirken. Das, was er wirken soll, ist: er soll unsere moralischen Vorstellungen real machen. Er soll sie hinübertragen und eine neue Welt daraus bilden. Darauf kommt es an, daß die Glaubensvorstellungen nicht bloß ein unbewiesenes Wissen sind, etwas, was man glaubt, weil man es nicht weiß, sondern darauf kommt es an, daß in dem, was man glaubt, die Kraft liegt, welche imstande ist, den Keim „Moral“ zum Weltenkörper zu realisieren. Diese Kraft mußte durch das Mysterium von Golgatha in die Erdenentwickelung hereingetragen werden. Diese Kraft mußte in die Seele der Jünger hereingesenkt werden, indem ihnen gesprochen wurde von dem, was diejenigen nicht mehr hatten, die nur die Schrift hatten. Auf die Kraft des Glaubens kommt es an. Und wenn man nicht versteht, was der Christus hereinbringt, gerade indem das Wort „Vertrauen“, „Glaube“ so oftmals ausgesprochen wird, versteht man nicht, was in der Zeit, in der das Mysterium von Golgatha eintrat, in die Erdenentwickelung hereinkam.
10.4.1917, GA 175, S. 225-227.
Zur Erfassung des Evangeliums im Sinne des Mysteriums von Golgatha gehört vor allen Dingen ein innerer Mut der Seele, den heute die Menschen sich aneignen müssen. Es gehört dazu, die Dinge ernst zu nehmen vor allen Dingen, bei denen von dem Christus Jesus im Gegensatz zu dem Reiche, das sich allmählich herausgebildet hatte unter der herabsteigenden Strömung, zu dem Reiche der Welt, die Reiche der Himmel hinzugefügt werden, ihm entgegengesetzt werden. [...] Denn das Evangelium spricht in jedem seiner Teile: Mut! - enthält in jedem seiner Teile den Aufruf, nichts anderem zu folgen als jenem Impuls, den der Christus Jesus wirklich einprägt der Erdenentwickelung.
12.4.1917, GA 175, S. 254.
So stellt sich eine ganz bestimmte Empfindung, die unterbewußt immer vorhanden ist, aber ins Bewußtsein allmählich heraufgebracht werden kann, der Dankbarkeit an die Seite, eine Empfindung, die dem Menschen um so mehr abhanden kommt, je mehr er ins Materialistische umschlägt. Aber im Unterbewußten ist sie bis zu einem gewissen Grade immer vorhanden und ist eigentlich selbst durch den stärksten Materialismus nicht auszurotten. Aber eine Bereicherung, eine Erhöhung, eine Veredelung des Lebens hängt davon ab, daß man solche Dinge auch heraufholt aus dem Unterbewußten ins Bewußte. Die Empfindung, die ich meine, ist das, was man bezeichnen könnte mit dem allgemeinen Vertrauen in das durch uns hindurchflutende und an uns vorbeiflutende Leben, Vertrauen zum Leben! Innerhalb einer materialistischen Lebensauffassung ist die Stimmung des Vertrauens zum Leben außerordentlich schwer zu finden. [...] Denn Vertrauen zum Leben besteht darin, daß eine unerschütterliche Stimmung in der Seele vorhanden ist, daß das Leben, wie es auch an uns herantreten mag, unter allen Umständen uns etwas zu geben hat, daß wir niemals auch nur auf den Gedanken verfallen können, daß das Leben uns durch dieses oder jenes, was es uns entgegenbringt, nichts zu geben hätte. Gewiß, wir machen schwere Lebenserfahrungen, leidvolle Lebenserfahrungen durch, aber in einem größeren Lebenszusammenhange stellen sich gerade leidvolle und schwere Lebenserfahrungen als die heraus, die uns am meisten das Leben bereichern, uns am meisten für das Leben stärken. Es handelt sich darum, diese fortdauernde Stimmung, die in der Unterseele wieder vorhanden ist, ein wenig in die Oberseele heraufzuheben, diese Stimmung: Du, Leben, du hebst und trägst mich, du sorgst dafür, daß ich vorwärtskomme. [...]
Denn, kann man etwas von dem im Unterbewusstsein immer vorhandenen Vertrauen zum Leben heraufholen, so bahnt es den Weg, um das Geistige, die weisheitsvolle Fügung und Führung im Leben auch wirklich zu beobachten. [...]
Was der Mensch in dieser Beziehung braucht, ist die Möglichkeit, seine Gefühle für das, was ihn im Leben trifft, immer wieder und wieder zu verjüngen, zu erfrischen an dem Leben selber. Wir können das Leben so verbringen, daß wir von einem gewissen Lebensalter an mehr oder weniger uns müde fühlen, weil wir die lebendige Teilnahme am Leben verlieren, weil wir nicht mehr genug für das Leben aufbringen können, damit uns seine Erscheinungen Freude machen. Man vergleiche nur miteinander, wenn man äußere Extreme verbindet: das Ergreifen und Entgegennehmen der Erlebnisse in früher Jugend und das müde Entgegennehmen der Lebenserscheinungen im späten Alter. Denken Sie, wie viele Enttäuschungen mit solchen Dingen zusammenhängen. Es ist ein Unterschied, ob der Mensch imstande ist, seine Seelenkraft gewissermaßen einer fortwährenden Auferstehung teilhaftig werden zu lassen, daß ihr jeder Morgen neu ist für das seelische Erleben, oder ob er gewissermaßen im Laufe des Lebens für die Erscheinungen ermüdet.
26.3.1918, GA 181, S. 127-130.
Es ist [...] in der Menschheit allmählich eingetreten ein, man könnte schon fast sagen, nahezu an das Absolute gehender Unglaube an sich selbst. [...] Er macht sich so geltend, daß zuweilen Menschen glauben, großes Vertrauen zu sich selber zu haben, aber sich das nur aus allerlei unterbewußten Untergründen heraus einreden, während es bei ihnen zu einem rechten, wahren, tatkräftigen Selbstvertrauen einfach aus dem Grunde nicht kommt, weil eben das vorliegt, durch die ganze Erziehung des neunzehnten Jahrhunderts das vorliegt, daß die Menschen in bezug auf ihr seelisches Leben, auf die Bloßlegung und Inkraftsetzung der seelischen Kräfte, unendlich bequem geworden sind. Und würde nur einmal das Bewußtsein Wurzel schlagen können, daß zu unendlich vielem, wovon man sagt, man könne es nicht, bloß in Wahrheit der Wille fehlt, so würde schon ungeheuer viel getan sein. Denn das Wichtigste, das Allerwichtigste, was für die Zukunft geschehen soll, wird nicht geschehen durch Institutionen, wird nicht geschehen durch allerlei Einrichtungen, so sehr man heute an Institutionen und Einrichtungen wie an ein Alleinseligmachendes überall glaubt, sondern das Wichtigste für die Zukunft wird geschehen durch die Tüchtigkeit des einzelnen menschlichen Individuums. Diese Tüchtigkeit des einzelnen menschlichen Individuums ergibt sich aber nur aus einem wahrhaften, wirklichen Vertrauen in einen unerschöpflichen Born von göttlicher Kraft in der menschlichen Seele. Aber weit, weit entfernt ist die gegenwärtige Menschheit von diesem Glauben an einen unerschöpflichen Quell in der menschlichen Seele.
Deshalb steht die heutige Menschheit so ratlos vor den großen Aufgaben, die, ich möchte sagen, heute gewissermaßen auf der Straße überall das Leben stellt. Ratlos steht die Menschheit vor den großen Aufgaben. Und die katastrophalen Ereignisse der letzten Jahre, sie haben diese Aufgaben ins Unermeßliche vergrößert, so sehr ins Unermeßliche vergrößert, daß die meisten Menschen, die ja schlafen heute, gar nicht ahnen, wie groß, wie umfassend diese Aufgaben sind, gar nicht sich beschäftigen wollen mit dem Umfassenden, mit dem Großen dieser Aufgaben, die heute im Grunde genommen alles, was um uns herum ist, stellt. [...] Und so werden wir es erleben, daß dasjenige, was die Leute tun werden, um an die Stelle der katastrophalen Zustände geordnete, wie sie meinen, zu setzen, zunächst für lange Zeit unfruchtbare Arbeit bleiben muß, eher ins Chaos hineinführen wird als zu irgendwelcher Ordnung. Einfach deshalb wird es dazu kommen, weil das charakterisierte Vertrauen der Menschen zu sich selbst fehlt. Es ist ja allerdings bequemer, gegenüber Aufgaben, die das Leben stellt, zu sagen: Ich kann sie nicht bewältigen -, als die Mittel und Wege zu suchen, um aus dem Seelenleben heraus wirklich die Kräfte für diese Aufgaben zu gewinnen. Und sie sind im Seelenleben, diese Kräfte, denn der Mensch ist von unendlich weiten göttlichen Kräften durchwallt. Und wenn er diese Kräfte nicht sucht, so läßt er sie eben brach liegen, so will er sie nicht entwickeln.
22.11.1918, GA 185a, S. 147-149.
Die Fäden der Zukunft können nur die des Vertrauens sein. Würde Mißtrauen morgen und übermorgen noch Platz greifen können, so müßten wir eben auf das, was auf morgen und übermorgen folgt, warten, denn wenn Gutes kommen soll, kann es nur aus dem Vertrauen heraus kommen. Das Vertrauen, das ich meine und an dem wir arbeiten müssen, dieses Vertrauen wird aus den Seelen hervorgehen müssen. Dieses Vertrauen muß eben erzeugt werden, es ist sogar heute wichtiger als alles andere. [...]
Das ist gerade das, was heute in dieser sozial aufgewühlten Zeit so furchtbar fehlt, der Wille, aufzubauen auf Vertrauen. Oh, dieses Vertrauen, es wird vorhanden sein, je mehr und mehr Prüfungen über die Menschen kommen, und ich würde verzweifeln müssen an der Menschheit, wenigstens an dem Neuaufbau gesunder Verhältnisse, wenn ich nicht mehr glauben könnte, daß ein Mensch den Weg zum anderen Menschen durch Vertrauen wird finden können. Denn, meine sehr verehrten Anwesenden, sozialisieren Sie soviel Sie wollen, reden Sie von Sozialisierung soviel Sie wollen, eines wird dieser Sozialisierung zugrunde liegen müssen: die Sozialisierung der Seelen. [...] Und nicht anders heißt der Seelensozialismus als Vertrauen.
13.5.1919, GA 330, S. 191f.
Man soll sich heute gar nicht beirren lassen dadurch, daß Meinungen auftreten, die ja doch nur aus romanischer Bourgeoisie stammen in ihrer Denkweise, daß man sagt: Ach, wenn die Menschheit durch das vorwärtskommen sollte, was ihr da meint, dann dauert das Jahrzehnte! - Das ist Unsinn wiederum gegenüber der Wirklichkeit. Es ist wiederum nichts anderes als römisch-juristische Logik. Die Wahrheit muß anders denken.
Wenn Sie eine Pflanze im Wachstum schauen, sie entwickelt erst langsam Blatt nach Blatt. Und derjenige, der glaubt, daß das immer so fortgehen würde in dem Tempo, irrt sich ganz beträchtlich. Dann kommt ein Ruck, dann entwickeln sich rasch aus dem Blatt Kelch und Blumenblätter. Und so wird es auch sein, wenn uns nur selber die Kraft ausdauert mit dem, was wir geisteswissenschaftlich und sozial bewirken können. Es kommt da auf das Wollen an. [...]
Wir können heute nicht uns dem naiven Glauben hingeben, wir wüßten schon alles und wir könnten aus dem, was wir wissen, Programme aufstellen. Wir müssen aus dem Leben heraus heute wiederum Ideen finden, aber das Leben erneut sich an jedem Tag, und wir müssen das Vertrauen haben zu dem, was wir an jedem Tag neu lernen können vom Leben. Und wir müssen nicht Feiglinge sein, die glauben, daß sie nur dann arbeiten können, wenn sie auf sogenannte sichere Ideen bauen können, wobei sie immer diejenigen Ideen meinen, die von alters her überliefert sind, die einmal da sind. Wir müssen den Mut haben, lernend zu arbeiten, arbeitend zu lernen. Anders kommt der Mensch in die Zukunft und ihre Forderungen nicht hinein. Das wird auch sein neues Christentum sein. [...]
Und damit kommt eben die Menschheit heute nicht vorwärts, daß sie sich verläßt auf etwas anderes als auf das, was mit der eigenen Seele sich verbindet. Der Christus muß auch neu begriffen werden. [...] Nur das, was der Mensch in sich selbst erlebt, kann ihn vorwärtsbringen. Daher begreift niemand den Christus, der ihn nicht so begreift, daß er wiedergeboren werden muß in der Seele eines jeden einzelnen Menschen. Der Mensch muß aber mitschaffen an seiner geistigen Gestaltung. Erst wenn wir daran glauben, daß nicht schon unsere eigentlich menschlichen Kräfte mit uns geboren werden, sondern daß unsere eigentlich wirksamen menschlichen Kräfte in der Zukunft diejenigen sein werden, die wir selbst in uns entwickeln, dann erst stehen wir auch auf wirklich christlichem Boden. Nicht der Christus, der mit uns geboren wird - das ist nur der Gott-Vater -, sondern der Christus, den wir selbst in uns erleben, indem wir uns zu ihm hinentwickeln, das ist der Christus, der begriffen werden muß.
3.8.1919, GA 192, S. 344-346.
In weiterer Weise wird die Kultur zertrümmert werden. Aus dem, was gerade der neueren Menschheit sich als das Wertvollste für Erkenntnis und Wollen ergeben hat, aus dem wird unmittelbar nichts zu gewinnen sein. Das äußere Erdendasein, insoferne es ein Ergebnis früherer Zeiten ist, es wird vergehen, und ganz vergeblich hoffen diejenigen, welche glauben, die alten Denk- und Willensgewohnheiten fortsetzen zu können. Was heraufkommen muß, das ist ein neues Erkennen und ein neues Wollen auf allen Gebieten. Wir müssen uns bekanntmachen mit dem Gedanken des Hingehens einer Kultur, einer Zivilisation; aber wir müssen hineinschauen in das menschliche Herz, in den Geist, der in dem Menschen wohnt. Wir müssen Vertrauen haben zu diesem Menschenherzen und zu diesem Menschengeiste, die in uns wohnen, damit durch alles das, was wir tun können innerhalb der Zertrümmerung der alten Zivilisation, neue Gebilde entstehen, wirkliche Neugebilde entstehen. [...]
Die neuere Menschheit überschreitet eine Schwelle, an der ein bedeutsamer Hüter steht, ein ernster Hüter. Und dieser ernste Hüter spricht vor allen Dingen das aus: Bleibet nicht hängen an dem, was sich heraufverpflanzt hat aus den alten Zeiten. Sehet in eure Herzen, sehet in eure Seelen, daß ihr Neugebilde schaffen könnet! Diese Neugebilde könnet ihr nur schaffen, wenn ihr den Glauben habt, daß aus der geistigen Welt heraus die Erkenntniskräfte und die Willenskräfte zu diesem geistigen Neuschaffen kommen können.
25.12.1920, GA 202, S. 256f.
Wir sehen heute, nur verkannt und mißverstanden von dem größten Teil der zivilisierten Menschheit, zwei der allerwichtigsten sittlichen Impulse heraufziehen. Sie ziehen herauf in den Untergründen des Seelischen. Will man sie interpretieren, so kommt man gewöhnlich auf die verkehrtesten Ideen. Will man sie praktisch machen, so weiß man gewöhnlich nicht viel mit ihnen anzufangen; aber sie ziehen herauf. Es sind, in bezug auf das Innere des Menschen: der Impuls der sittlichen Liebe, und in bezug auf den Verkehr unter den Menschen: der sittliche Impuls des Vertrauens von Mensch zu Mensch. [...]
In Zukunft wird die reine große Liebe von innen heraus den Menschen beflügeln müssen zu dem, was Ausführung seiner sittlichen Intuitionen wird sein müssen; und diejenigen Menschen werden sich schwach und willenlos fühlen gegenüber den sittlichen Intuitionen, die nicht aus den Tiefen ihrer Seele heraus das Feuer der Liebe für das Sittliche entzünden, wenn ihnen durch ihre moralische Intuition die Tat, die geschehen soll, vor Augen steht. [...]
Gerade so, wie wir appellieren müssen für die ethische Zukunft, wenn wir in unser eigenes Innere hineinsehen, an die Liebe, so müssen wir appellieren, wenn wir auf den Verkehr der Menschen untereinander sehen, an das Vertrauen. Wir müssen dem Menschen so begegnen, daß wir ihn als das Weltenrätsel selber empfinden, als das wandelnde Weltenrätsel. Dann werden wir schon vor jedem Menschen die Gefühle entwickeln lernen, die aus den allertiefsten Untergründen unserer Seele heraus das Vertrauen holen. Vertrauen in ganz konkretem Sinn, individuell, einzelgestaltet, ist das Schwerste, was aus der Menschenseele sich herausringt. Aber ohne eine Pädagogik, eine Kulturpädagogik, die auf Vertrauen hin orientiert ist, kommt die Zivilisation der Menschheit nicht weiter.
8.10.1922, GA 217, S. 91ff.
Dieses Sich-Aufschwingen dazu, daß man von den Gedanken über das Geistige so erfaßt werden kann wie durch irgend etwas Physisches in der Welt: das ist Michael-Kraft! Vertrauen haben zu den Gedanken des Geistigen, wenn man die Anlage dazu hat, sie überhaupt aufzunehmen, so daß man weiß: Du hast diesen oder jenen Impuls aus dem Geistigen. Du gibst dich ihm hin, du machst dich zum Werkzeug seiner Ausführung. Ein erster Mißerfolg kommt - macht nichts! Ein zweiter Mißerfolg kommt - macht nichts! Und wenn hundert Mißerfolge kommen - macht nichts! Denn kein Mißerfolg ist jemals ausschlaggebend für die Wahrheit eines geistigen Impulses, dessen Wirkung innerlich durchschaut und ergriffen ist. Denn erst dann hat man Vertrauen, das richtige Vertrauen zu einem geistigen Impuls, den man in einem bestimmten Zeitpunkt faßt, wenn man sich sagt: Hundert Male habe ich Mißerfolg gehabt, das kann mir aber höchstens beweisen, daß für mich in dieser Inkarnation die Bedingungen zur Realisierung dieses Impulses nicht gegeben sind. Daß dieser Impuls aber richtig ist, das schaue ich durch seinen eigenen Charakter. Und wenn es auch erst nach der hundertsten Inkarnation sein wird, daß für diesen Impuls die Kräfte zu seiner Realisierung mir erwachsen - nichts kann mich überzeugen von der Durchschlagskraft oder Nichtdurchschlagskraft eines geistigen Impulses als dessen eigene Natur. - Wenn Sie sich dies im Gemüte des Menschen als das große Vertrauen für irgend etwas Geistiges ausgebildet denken, wenn Sie sich denken, daß der Mensch felsenfest halten kann an etwas, was er als ein geistig Siegendes durchschaut hat, so festhalten kann, daß er es auch dann nicht losläßt, wenn die äußere Welt noch so sehr dagegen spricht, wenn Sie sich dies vorstellen, dann haben Sie eine Vorstellung von dem, was eigentlich die Michael-Kraft, die Michael-Wesenheit von dem Menschen will, denn dann erst haben Sie eine Anschauung von dem, was das große Vertrauen in den Geist ist. Man kann irgendeinen geistigen Impuls zurückstellen, selbst für die ganze Inkarnation zurückstellen, aber hat man ihn einmal gefaßt, so darf man niemals wanken, ihn in seinem Inneren zu hegen und zu pflegen; dann allein kann man ihn aufsparen für die folgenden Inkarnationen. Und wenn auf diese Weise das Vertrauen zu dem Geistigen eine solche Seelenverfassung begründet, daß man in die Lage kommt, dieses Geistige als so real zu empfinden wie den Boden unter unseren Füßen, von dem wir wissen, daß, wenn er nicht da wäre, wir mit unseren Füßen nicht auftreten könnten, dann haben wir ein Gefühl in unserem Gemüte von dem, was eigentlich Michael von uns will.
28.9.1923, GA 233, S. 117f.
Den Berliner Freunden
Es siehet der Mensch
Mit dem welt’erzeugten Auge;
Ihn bindet, was er siehet,
An Weltenfreude und Weltenschmerz;
Es bindet ihn an alles,
Was da wird, aber minder nicht,
An alles, was da stürzet
In Abgrundes finstre Reiche.
Es schauet der Mensch
Mit dem geist’verlieh’nen Auge;
Ihn bindet, was er schauet,
An Geisteshoffen und Geistes-Halte-Kraft:
Es bindet ihn an alles,
Was in Ewigkeiten wurzelt
Und in Ewigkeiten Früchte trägt.
Aber schauen kann der Mensch
Nur wenn er des Innern Auge
Selber fühlet als Geistes-Gottes-Glied,
Das auf der Seele Schauplatz
Im Menschen-Leibes-Tempel
Der Götter Taten wirket.
Es ist die Menschheit
Im Vergessen an das Gottes-Innre,
Wir aber wollen es nehmen
In des Bewusstseins helles Licht,
Und dann tragen über Schutt und Asche
Der Götter Flamme im Menschenherzen.
So mögen Blitze unsere Sinneshäuser
In Schutt zerschmettern;
Wir errichten Seelenhäuser
Aus der Erkenntnis
Eisenfestem Lichtesweben.
Und Untergang des Äußern
Soll werden Aufgang
Des Seelen-Innersten.
Das Leid dringet heran
Aus Stoffes-Kraft Gewalten;
Die Hoffnung leuchtet,
Auch wenn Finsternis uns umwallt;
Und s i e wird dereinst
In unsre Erinnerung dringen,
Wenn wir nach der Finsternis
Im Lichte wieder leben dürfen.
Wir wollen nicht, dass diese Leuchte
Dereinst in künft’gen Helligkeiten uns fehle,
Weil wir sie jetzt im Leide
Nicht in unsre Seelen eingepflanzet haben.
November 1923, GA 268, S. 289ff.
Die Jugend muß sich finden in dem, was sie zu spirituellen Taten befeuert. Die Jugend hat bisher manches von uns über ihr Jungsein erfahren. Das genügte ihr. Jetzt muß sie lernen, dieses Jungsein selber zu erleben. So gilt es, die Erde neu zu gewinnen für das Denken, Fühlen und Wollen. Sich selbst gilt es zu finden im Werdestrom der Welt.
Da aber werdet Ihr zu dem Erlebnis kommen, daß Euch das Erdenwesen entschwindet. Es wird die Stunde kommen, da Euch der Boden weggezogen wird unter den Füßen. Und wenn dann der Augenblick kommt in Eurem Leben, da alles Physische in den Abgrund stürzt, da der Abgrund sich auftut, der feste Boden unter den Füßen schwindet, dann wird das Geistes-licht, das im Werdestrom der Welt leuchtet, immer schwächer und schwächer werden. Es wird werden wie ein dünner Faden, und Ihr werdet erleben, daß dieser Faden brennt. Dann aber müßt Ihr den Mut haben, diesen Faden zu ergreifen, auch wenn er brennt – Euch fest zu halten an diesem glimmenden, brennenden Faden des Geistigen, und Ihr müßt Euch sagen: Einen neuen Boden wollen wir uns schaffen unter unseren Füßen!
So müßt Ihr lernen, seelischen Mut zu haben!
Es gab in der Menschheit ein uralt-heiliges Wissen. Ihr müßt den Mut haben, wieder daran anzuknüpfen. Einst hat dieses Wissen noch gelebt in Aristoteles. Es schwand dahin, man verstand den Aristoteles nicht mehr. Nur in gewissen katholischen Orden, da wußte man es noch im 19. Jahrhundert, daß die Weisheit des Aristoteles in Wahrheit ein Meditationsweg ist. Da verstand man noch, seine Bücher auf diese Weise zu lesen.
30.12.1923, 266c, 483f, Esoterische Stunde, nicht stenografische Nachschrift.