Vom Erleben der Idee zum Geist-Erleben – Zitate Rudolf Steiners

Zitate Rudolf Steiners aus seinen Schriften (GA 1-17 und weitere Auswahl).

Goethes Naturwissenschaftliche Schriften (GA 1)

Der Gedankeninhalt, der aus dem menschlichen Geiste entspringt, wenn dieser sich der Außenwelt gegenüberstellt, ist die Wahrheit. Der Mensch kann keine andere Erkenntnis verlangen als eine solche, die er selbst hervorbringt. [...] Die Dinge sprechen zu uns, und unser Inneres spricht, wenn wir die Dinge beobachten. Diese zwei Sprachen stammen aus demselben Urwesen, und der Mensch ist berufen, deren gegenseitiges Verständnis zu bewirken. Darin besteht das, was man Erkenntnis nennt. [...] Für den Menschen besteht nur so lange der Gegensatz von objektiver äußerer Wahrnehmung und subjektiver innerer Gedankenwelt, als er die Zusammengehörigkeit dieser Welten nicht erkennt. Die menschliche Innenwelt ist das Innere der Natur. [...]
Nicht in dem, was die Außenwelt liefert, liegt das Ziel des Weltalls und des Wesens des Daseins, sondern in dem, was im menschlichen Geiste lebt und aus ihm hervorgeht. [...]
Der Mensch muß die Dinge aus seinem Geiste sprechen lassen, wenn er ihr Wesen erkennen will. Alles, was er über dieses Wesen zu sagen hat, ist den geistigen Erlebnissen seines Innern entlehnt. [...] Aber diese subjektiven Erlebnisse sind das innere Wesen der Dinge. [...] Von einer andern als einer subjektiven menschlichen Wahrheit kann gar nicht die Rede sein. Denn Wahrheit ist Hineinlegen subjektiver Erlebnisse in den objektiven Erscheinungszusammenhang. Diese subjektiven Erlebnisse können sogar einen ganz individuellen Charakter annehmen. Sie sind dennoch der Ausdruck des inneren Wesens der Dinge. [...] Es handelt sich aber gar nicht darum, daß alle Menschen das gleiche über die Dinge denken, sondern nur darum, daß sie, wenn sie über die Dinge denken, im Elemente der Wahrheit leben. [...]
Die objektiven Dinge sind nur ein Teil der Wirklichkeit. Wer ausschließlich die sinnliche Erfahrung anpreist, dem muß man mit Goethe erwidern, „daß die Erfahrung nur die Hälfte der Erfahrung ist“ (Natw. Schr., 4. Bd., 2. Abt., S.503). „Alles Faktische ist schon Theorie“, d.h. es offenbart sich im menschlichen Geiste ein Ideelles, wenn er ein Faktisches betrachtet. [...]
Auch der Mystiker will durch Versenkung in das eigene Innere die Wesenheit der Dinge erkennen; aber er lehnt gerade die in sich klare und durchsichtige Ideenwelt ab als untauglich zur Erlangung einer höheren Erkenntnis. [...] Aber Gefühle und Empfindungen gehören nur zum subjektiven Wesen des Menschen. In ihnen spricht sich nichts über die Dinge aus. Allein in den Ideen sprechen die Dinge selbst. [...] [Die Mystiker] ahnen nicht, was Menschen, die wirklich Ideen haben, in diesen erleben. Aber für viele sind Ideen eben bloße Worte. Sie können die unendliche Fülle ihres Inhaltes sich nicht aneignen.
GA 1, S. 332-340.

Grundlinien einer Erkenntnistheorie... (GA 2)

All dem gegenüber stand bei mir die innerlich erlebte und im Erleben erkannte Tatsache, daß der Mensch mit seinem Denken, wenn er dies genügend vertieft, in der Weltwirklichkeit als einer geistigen drinnen lebt. Ich vermeinte diese Erkenntnis als eine solche zu besitzen, die mit der gleichen inneren Klarheit im Bewußtsein stehen kann wie das, was in mathematischer Erkenntnis sich offenbart. [...]
Aber das Sinnenfällige, richtig erkannt, zeigt überall, daß es Offenbarung des Geistigen ist. [...] Ich suchte hinter den sinnenfälligen Erscheinungen nicht ungeistige Atomwelten, sondern das Geistige, das sich scheinbar im Innern des Menschen offenbart, das aber in Wirklichkeit den Sinnendingen und Sinnesvorgängen selbst angehört. Es entsteht durch das Verhalten des erkennenden Menschen der Schein, als ob die Gedanken der Dinge im Menschen seien, während sie in Wirklichkeit in den Dingen walten. [...]
Ich muß heute zurückdenken an mein damaliges inneres Ringen. Ich habe es mir nicht leicht gemacht, über die Gedankengänge der damaligen Philosophien hinwegzukommen. Mein Leuchtstern war aber stets die ganz durch sich selbst bewirkte Anerkennung der Tatsache, daß der Mensch sich innerlich als vom Körper unabhängiger Geist, stehend in einer rein geistigen Welt, schauen kann.
GA 2, S. 8ff.

Man kann einen allgemeinen Begriff von „Mystik“ bilden. Danach ist sie der Umfang dessen, was man von der Welt durch inneres, seelisches Erleben erfahren kann. [...]
Man muß ein inneres Seelenorgan haben, um gewisse Dinge der Welt zu erfahren. Aber man muß die volle Begriffsklarheit in die Erfahrungen des mystischen Organes bringen, wenn Erkenntnis entstehen soll. Es gibt aber Leute, die wollen in das „Innere „ sich flüchten, um der Begriffsklarheit zu entfliehen. Diese nennen „Mystik“, was die Erkenntnis aus dem Licht der Ideen in das Dunkel der Gefühlswelt – der nicht von Ideen erhellten Gefühlswelt – führen will. Gegen diese Mystik sprechen meine Schriften überall; für die Mystik, welche die Ideenklarheit denkerisch festhält und zu einem seelischen Wahrnehmungsorgan den mystischen Sinn macht, der in derselben Region des Menschenwesens tätig ist, wo sonst die dunklen Gefühle walten, ist jede Seite meiner Bücher geschrieben. Dieser Sinn ist für das Geistige völlig gleichzustellen dem Auge oder Ohr für das Physische.
GA 2, S. 109.

Die Philosophie der Freiheit (GA 4)

Man entgeht der Verwirrung [...] nur, wenn man bemerkt, daß es innerhalb dessen, was man innen in sich und außen in der Welt wahrnehmend erleben kann, etwas gibt, das dem Verhängnis gar nicht verfallen kann, daß sich zwischen Vorgang und betrachtenden Menschen die Vorstellung einschiebt. Und dieses ist das Denken. Dem Denken gegenüber kann der Mensch auf dem naiven Wirklichkeitsstandpunkt verbleiben.
GA 4, S. 103.

Die in sich beruhende Wesenheit des ideell Erlebbaren gilt dem naiven Bewußtsein nicht in gleichem Sinne als real wie das sinnlich Erlebbare. Ein in der „bloßen Idee“ gefaßter Gegenstand gilt so lange als bloße Schimäre, bis durch die Sinneswahrnehmung die Überzeugung von der Realität geliefert werden kann. Der naive Mensch verlangt, um es kurz zu sagen, zum ideellen Zeugnis seines Denkens noch das reale der Sinne. [...]
Den naiven Realismus mit seinem Grundsatz von der Wirklichkeit alles Wahrgenommenen widerlegt die Erfahrung, welche lehrt, daß der Inhalt der Wahrnehmungen vergänglicher Natur ist. Die Tulpe, die ich sehe, ist heute wirklich; nach einem Jahr wird sie in Nichts verschwunden sein. Was sich behauptet hat, ist die Gattung Tulpe. Diese Gattung ist aber für den naiven Realismus „nur“ eine Idee, keine Wirklichkeit. So sieht sich denn diese Weltanschauung in der Lage, ihre Wirklichkeiten kommen und verschwinden zu sehen, während sich das nach ihrer Meinung Unwirkliche dem Wirklichen gegenüber behauptet.
GA 4, S. 119f.

Das Erleben der Wesenheit des Denkens, also die tätige Erarbeitung der Begriffswelt ist etwas durchaus anderes als das Erleben eines Wahrnehmbaren durch die Sinne. [...] Man muß eben einsehen, daß [erst] [...] das von der erlebten denkenden Betrachtung durchsetzte Wahrnehmungsbild den Menschen in die Wirklichkeit führt. [...]
Die Vertiefung der Erkenntnis hängt von den im Denken sich auslebenden Kräften der Intuition ab. Diese Intuition kann in demjenigen Erleben, das im Denken sich ausgestaltet, in tiefere oder weniger tiefe Untergründe der Wirklichkeit tauchen.
GA 4, S. 130ff.

Die Schwierigkeit, das Denken in seinem Wesen beobachtend zu erfassen, liegt darin, daß dieses Wesen der betrachtenden Seele nur allzu leicht schon entschlüpft ist, wenn diese es in die Richtung ihrer Aufmerksamkeit bringen will. Dann bleibt ihr nur das tote Abstrakte, die Leichname des lebendigen Denkens. [...]
Aber wer sich dazu bringt, das Leben im Denken wahrhaft zu haben, der gelangt zur Einsicht, daß dem inneren Reichtum und der in sich ruhenden, aber zugleich in sich bewegten Erfahrung innerhalb dieses Lebens das Weben in bloßen Gefühlen oder das Anschauen des Willenselementes nicht einmal verglichen werden kann, geschweige denn, daß diese über jenes gesetzt werden dürften. Gerade von diesem Reichtum, von dieser inneren Fülle des Erlebens rührt es her, daß sein Gegenbild in der gewöhnlichen Seeleneinstellung tot, abstrakt aussieht. Keine andere menschliche Seelenbetätigung wird so leicht zu verkennen sein wie das Denken. Das Wollen, das Fühlen, sie erwärmen die Menschenseele auch noch im Nacherleben ihres Ursprungszustandes. Das Denken läßt nur allzuleicht in diesem Nacherleben kalt; es scheint das Seelenleben auszutrocknen. Doch dies ist eben nur der stark sich geltend machende Schatten seiner lichtdurchwobenen, warm in die Welterscheinungen untertauchenden Wirklichkeit. Dieses Untertauchen geschieht mit einer in der Denkbetätigung selbst dahinfließenden Kraft, welche Kraft der Liebe in geistiger Art ist. [...] Wer nämlich zum wesenhaften Denken sich hinwendet der findet in demselben sowohl Gefühl wie Willen, die letztern auch in den Tiefen ihrer Wirklichkeit.
GA 4, S. 142f.

Ein richtiges Verständnis dieser Beobachtung kommt zu der Einsicht, daß das Denken als eine in sich beschlossene Wesenheit unmittelbar angeschaut werden kann. [...] Wer das Denken beobachtet, lebt während der Beobachtung unmittelbar in einem geistigen, sich selbst tragenden Wesensweben darinnen.
GA 4, S. 145.

Für eine Einsicht, die durchschaut, wie Ideen intuitiv erlebt werden als ein auf sich selbst beruhendes Wesenhaftes, wird klar, daß der Mensch im Umkreis der Ideenwelt beim Erkennen sich in ein für alle Menschen Einheitliches hineinlebt, daß er aber, wenn er aus dieser Ideenwelt die Intuitionen für seine Willensakte entlehnt, ein Glied dieser Ideenwelt durch dieselbe Tätigkeit individualisiert, die er im geistig-ideellen Vorgang beim Erkennen als eine allgemein-menschliche entfaltet. Was als logischer Widerspruch erscheint, die allgemeine Artung der Erkenntnis-Ideen und die individuelle der Sitten-Ideen: das wird, indem es in seiner Wirklichkeit angeschaut wird, gerade zum lebendigen Begriff. Darin liegt ein Kennzeichen der menschlichen Wesenheit, daß das intuitiv zu Erfassende im Menschen wie im lebendigen Pendelschlag sich hin- und herbewegt zwischen der allgemein geltenden Erkenntnis und dem individuellen Erleben dieses Allgemeinen. Wer den einen Pendelausschlag in seiner Wirklichkeit nicht schauen kann, für den bleibt das Denken nur eine subjektive menschliche Betätigung; wer den andern nicht erfassen kann, für den scheint mit der Betätigung des Menschen im Denken alles individuelle Leben verloren. Für einen Denker der erstern Art ist das Erkennen, für den andern das sittliche Leben eine undurchschaubare Tatsache. Beide werden für die Erklärung des einen oder des andern allerlei Vorstellungen beibringen, die alle unzutreffend sind, weil von beiden eigentlich die Erlebbarkeit des Denkens entweder gar nicht erfaßt oder als bloß abstrahierende Betätigung verkannt wird.
GA 4, S. 182.

Die Darstellung dieses Buches ist aufgebaut auf dem rein geistig erlebbaren intuitiven Denken, durch das eine jegliche Wahrnehmung in die Wirklichkeit erkennend hineingestellt wird. Es sollte in dem Buche mehr nicht dargestellt werden, als sich von dem Erlebnis des intuitiven Denkens aus überschauen läßt. Aber es sollte auch geltend gemacht werden, welche Gedankengestaltung dieses erlebte Denken erfordert. Und es fordert, daß es im Erkenntnisvorgang als in sich ruhendes Erlebnis nicht verleugnet werde. Daß ihm die Fähigkeit nicht abgesprochen werde, zusammen mit der Wahrnehmung die Wirklichkeit zu erleben, statt diese erst zu suchen in einer außerhalb dieses Erlebens liegenden, zu erschließenden Welt, der gegenüber die menschliche Denkbetätigung nur ein Subjektives sei. –
Damit ist in dem Denken das Element gekennzeichnet, durch das der Mensch in die Wirklichkeit sich geistig hinein- lebt [...] Was als Wahrnehmung auftritt, das muß der Mensch auf seinem Lebenswege schlechterdings erwarten. Es könnte sich nur fragen: darf aus dem Gesichtspunkte, der sich bloß aus dem intuitiv erlebten Denken ergibt, berechtigt erwartet werden, daß der Mensch außer dem Sinnlichen auch Geistiges wahrnehmen könne? Dies darf erwartet werden. Denn, wenn auch einerseits das intuitiv erlebte Denken ein im Menschengeiste sich vollziehender tätiger Vorgang ist, so ist es andererseits zugleich eine geistige, ohne sinnliches Organ erfaßte Wahrnehmung. Es ist eine Wahrnehmung, in der der Wahrnehmende selbst tätig ist, und es ist eine Selbstbetätigung, die zugleich wahrgenommen wird.
Im intuitiv erlebten Denken ist der Mensch in eine geistige Welt auch als Wahrnehmender versetzt. Was ihm innerhalb dieser Welt als Wahrnehmung so entgegentritt wie die geistige Welt seines eigenen Denkens, das erkennt der Mensch als geistige Wahrnehmungswelt. Zu dem Denken hätte diese Wahrnehmungswelt dasselbe Verhältnis wie nach der Sinnenseite hin die sinnliche Wahrnehmungswelt. Die geistige Wahrnehmungswelt kann dem Menschen, sobald er sie erlebt, nichts Fremdes sein, weil er im intuitiven Denken schon ein Erlebnis hat, das rein geistigen Charakter trägt. Von einer solchen geistigen Wahrnehmungswelt sprechen eine Anzahl der von mir nach diesem Buche veröffentlichten Schriften. Diese „Philosophie der Freiheit“ ist die philosophische Grundlegung für diese späteren Schriften. Denn in diesem Buche wird versucht, zu zeigen, daß richtig verstandenes Denk-Erleben schon Geist-Erleben ist. [...] Vom lebendigen Ergreifen des in diesem Buche gemeinten intuitiven Denkens wird sich aber naturgemäß der weitere lebendige Eintritt in die geistige Wahrnehmungswelt ergeben.
GA 4, S. 255ff.

Goethes Weltanschauung (GA 6)

Was ich an Gedanken zu dieser Arbeit mitgebracht und was ich während derselben ersonnen habe, bildet den Inhalt des vorliegenden Buches. Ich darf diesen Inhalt als erlebt im vollsten Sinne des Wortes bezeichnen.
GA 6, S. 10.

[Kant] ging nicht davon aus, in der menschlichen Wesenheit den lebendigen Zusammenklang von Ideenwelt und Sinneswahrnehmung zu schauen, sondern er legte sich die Frage vor: Kann von dem Menschen durch das Erleben der Ideenwelt etwas erkannt werden, das niemals in den Bereich der Sinneswahrung eintreten kann? Wer im Sinne der Goetheschen Weltanschauung denkt, der sucht den Wirklichkeitscharakter der Ideenwelt dadurch zu erkennen, daß er das Wesen der Idee erfaßt, indem ihm klar wird, wie diese in der sinnlichen Scheinwelt Wirklichkeit anschauen läßt. Dann darf er sich fragen: In wie weit kann ich durch den so erlebten Wirklichkeitscharakter der Ideenwelt in die Gebiete dringen, in denen die übersinnlichen Wahrheiten der Freiheit, der Unsterblichkeit, der göttlichen Weltordnung ihr Verhältnis zur menschlichen Erkenntnis finden? [...]
Im Sinne der Goetheschen Weltanschauung liegt es, das Wissen erst dadurch mit einer festen Grundlage zu versehen, daß die Ideenwelt in ihrem Wesen an der Natur geschaut wird, um dann in der befestigten Ideenwelt zu einer über die Sinnenwelt hinausliegenden Erfahrung zu schreiten. Auch dann, wenn Gebiete erkannt werden, die nicht im Bereich der Sinneswelt liegen, wird der Blick auf den lebendigen Zusammenklang von Idee und Erfahrung gelenkt und dadurch die Sicherheit des Erkennens gesucht.
GA 6, S. 43f.

Die Außenseite der Natur lernt der Mensch durch die Anschauung kennen; ihre tiefer liegenden Triebkräfte enthüllen sich in seinem eigenen Innern als subjektive Erlebnisse. In der philosophischen Weltbetrachtung und im künstlerischen Empfinden und Hervorbringen durchdringen die subjektiven Erlebnisse die objektiven Anschauungen. Das wird wieder ein Ganzes, Was sich in zwei Teile spalten mußte, um in den menschlichen Geist einzudringen. Der Mensch befriedigt seine höchsten geistigen Bedürfnisse, wenn er der objektiv angeschauten Welt einverleibt, was sie in seinem Innern ihm als ihre tieferen Geheimnisse offenbart. Erkenntnisse und Kunsterzeugnisse sind nichts anderes, als von menschlichen inneren Erlebnissen erfüllte Anschauungen.
In dem einfachsten Urteile über ein Ding oder Ereignis der Außenwelt können ein menschliches Seelenerlebnis und eine äußere Anschauung im innigen Bunde miteinander gefunden werden. Wenn ich sage: ein Körper stößt den andern, so habe ich bereits ein inneres Erlebnis auf die Außenwelt übertragen. Ich sehe einen Körper in Bewegung; er trifft auf einen andern; dieser kommt infolgedessen auch in Bewegung. Mit diesen Worten ist der Inhalt der Wahrnehmung erschöpft. Ich bin aber dabei nicht beruhigt. Denn ich fühle: es ist in der ganzen Erscheinung noch mehr vorhanden, als was die bloße Wahrnehmung liefert. Ich greife nach einem inneren Erlebnis, das mich über die Wahrnehmung aufklärt. Ich weiß, daß ich selbst durch Anwendung von Kraft, durch Stoßen, einen Körper in Bewegung versetzen kann. Dieses Erlebnis übertrage ich auf die Erscheinung und sage: der eine Körper stößt den andern. [...]
Wem es aber zum Bewußtsein kommt, was im Innern des Menschen sich offenbart, der [...] weiß, daß Wahrheit eben dadurch zustande kommt, daß Wahrnehmung und Idee sich im menschlichen Erkentnisprozeß durchdringen. Ihm ist klar, daß in dem Subjektiven das eigentlichste und tiefste Objektive lebt. [...]
Die der bloßen Anschauung zugängliche Wirklichkeit ist nur die eine Hälfte der ganzen Wirklichkeit; der Inhalt des menschlichen Geistes ist die andere Hälfte. Träte nie ein Mensch der Welt gegenüber, so käme diese zweite Hälfte nie zur lebendigen Erscheinung, zum vollen Dasein. Sie wirkte zwar als verborgene Kräftewelt; aber es wäre ihr die Möglichkeit entzogen, sich in einer eigenen Gestalt zu zeigen. Man möchte sagen, ohne den Menschen würde die Welt ein unwahres Antlitz zeigen. Sie wäre so, wie sie ist, durch ihre tieferen Kräfte, aber diese tieferen Kräfte blieben selbst verhüllt durch das, was sie wirken. Im Menschengeiste werden sie aus ihrer Verzauberung erlöst. Der Mensch ist nicht bloß dazu da, um sich von der fertigen Welt ein Bild zu machen; nein, er wirkt selbst mit an dem Zustandekommen dieser Welt.
Verschieden gestalten sich die subjektiven Erlebnisse bei verschiedenen Menschen. Für diejenigen, welche nicht an die objektive Natur der Innenwelt glauben, ist das ein Grund mehr, dem Menschen das Vermögen abzusprechen, in das Wesen der Dinge zu dringen. Denn wie kann Wesen der Dinge sein, was dem einen so, dem andern anders erscheint. Für denjenigen, der die wahre Natur der Innenwelt durchschaut, folgt aus der Verschiedenheit der Innenerlebnisse nur, daß die Natur ihren reichen Inhalt auf verschiedene Weise aussprechen kann. Dem einzelnen Menschen erscheint die Wahrheit in einem individuellen Kleide. Sie paßt sich der Eigenart seiner Persönlichkeit an. Besonders für die höchsten, dem Menschen wichtigsten Wahrheiten gilt dies. Um sie zu gewinnen, überträgt der Mensch seine geistigen, intimsten Erlebnisse auf die angeschaute Welt und mit ihnen zugleich das Eigenartigste seiner Persönlichkeit. Es gibt auch allgemeingültige Wahrheiten, die jeder Mensch aufnimmt, ohne ihnen eine individuelle Färbung zu geben. Dies sind aber die oberflächlichsten, die trivialsten. [...]
Nicht ein starres, totes Begriffssystem ist die Wahrheit, das nur einer einzigen Gestalt fähig ist; sie ist ein lebendiges Meer, in welchem der Geist des Menschen lebt, und das Wellen der verschiedensten Gestalt an seiner Oberfläche zeigen kann. [...] Und in der Wahrheit leben ist nichts anderes, als bei der Betrachtung jedes einzelnen Dinges hinzusehen, welches innere Erlebnis sich einstellt, wenn man diesem Dinge gegenübersteht.
GA 6, S. 63ff.

Die Mathematik ist ein Ergebnis reiner Gedankenprozesse, ihr Inhalt ist ein geistiger, subjektiver. Und der Mechaniker, der die Naturvorgänge in mathematischen Zusammenhängen vorstellt, kann dies nur unter der Voraussetzung, daß diese Zusammenhänge in dem Wesen dieser Vorgänge begründet sind. Das heißt aber nichts anderes als: in der Anschauung ist eine mathematische Ordnung verborgen, die nur derjenige sieht, der die mathematischen Gesetze in seinem Geiste ausbildet. Zwischen den mathematischen und mechanischen Anschauungen und den intimsten geistigen Erlebnissen ist aber kein Art-, sondern nur ein Gradunterschied. Und mit demselben Rechte wie die Ergebnisse der mathematischen Forschung kann der Mensch andere innere Erlebnisse, andere Gebiete seiner Ideenwelt auf die Anschauungen übertragen.
Nur scheinbar stellt der Tatsachenfanatiker rein äußere Vorgänge fest. Er denkt zumeist über die Ideenwelt und ihren Charakter, als subjektives Erlebnis, nicht nach. Auch sind seine inneren Erlebnisse inhaltsame, blutleere Abstraktionen, die von dem kraftvollen Tatsacheninhalt verdunkelt werden. Die Täuschung, der er sich hingibt, kann nur so lange bestehen, als er auf der untersten Stufe der Naturinterpretation stehen bleibt, solange er bloß zählt, wägt, berechnet. Auf den höheren Stufen drängt sich die wahre Natur der Erkenntnis bald auf. Man kann es aber an den Tatsachenfanatikern beobachten, daß sie sich vorzüglich an die unteren Stufen halten. Sie gleichen dadurch einem Ästhetiker, der ein Musikstück bloß danach beurteilen will, was an ihm berechnet und gezählt werden kann. Sie wollen die Erscheinungen der Natur von dem Menschen absondern.
GA 6, S. 69f.

Der Mystiker ist gerade so wie Goethe davon überzeugt, daß ihm in inneren Erlebnissen das Wesen der Welt offenbar werde. Nur gilt manchem Mystiker die Versenkung in die Ideenwelt nicht als das innere Erlebnis, auf das es ihm ankommt. Über die klaren Ideen der Vernunft hat mancher einseitige Mystiker ungefähr dieselbe Ansicht wie Kant. Sie stehen für ihn außerhalb des schaffenden Ganzen der Natur und gehören nur dem menschlichen Verstande an. [...]
Eine ähnliche Empfindung [wie die des Mystikers] ruft auch die Goethesche Weltanschauung in dem hervor, der sich zu ihr bekennt. Nur schöpft sie ihre Erkenntnisse nicht aus Erlebnissen, die nach Ertötung von Beobachtung und Denken eintreten, sondern eben aus diesen beiden Tätigkeiten. Sie flüchtet nicht zu abnormen Zuständen des menschlichen Geisteslebens, sondern sie ist der Ansicht, daß die gewöhnlichen naiven Verfahrungsarten des Geistes einer solchen Vervollkommnung fähig sind, daß der Mensch das Schaffen der Natur in sich erleben kann. [...]
Die einseitigen Mystiker verachten die Klarheit der Ideen. Sie halten diese Klarheit für oberflächlich. Sie ahnen nicht, was Menschen empfinden, welche die Gabe haben, sich in die belebte Welt der Ideen zu vertiefen. Es friert einen solchen Mystiker, wenn er sich der Ideenwelt hingibt. Er sucht einen Weltinhalt, der Wärme ausströmt. Aber der, welchen er findet, klärt über die Welt nicht auf. Er besteht nur in subjektiven Erregungen, in verworrenen Vorstellungen. Wer von der Kälte der Ideenwelt spricht, der kann Ideen nur denken, nicht erleben. Wer das wahrhafte Leben in der Ideenwelt lebt, der fühlt in sich das Wesen der Welt in einer Wärme wirken, die mit nichts zu vergleichen ist. Er fühlt das Feuer des Weltgeheimnisses in sich auflodern.
GA 6, S. 76f.

Erst wenn der Mensch gewahr wird, daß die Naturkräfte nichts anderes sind als Formen desselben Geistes, der auch in ihm selbst wirkt, geht ihm die Einsicht auf, daß er der Freiheit teilhaftig ist. Die Naturgesetzlichkeit wird nur so lange als Zwang empfunden, so lange man sie als fremde Gewalt ansieht. Lebt man sich in ihre Wesenheit ein, so empfindet man sie als Kraft, die man auch selbst in seinem Innern betätigt; man empfindet sich als produktiv mitwirkendes Element beim Werden und Wesen der Dinge. Man ist Du und Du mit aller Werdekraft. Man hat in sein eigenes Tun das aufgenommen, was man sonst nur als äußeren Antrieb empfindet. [...]
Zu der unmittelbaren Anschauung des Befreiungsaktes hat es aber Goethe nie gebracht. Diese Anschauung kann nur derjenige haben, der sich selbst in seinem Erkennen belauscht. Goethe hat zwar die höchste Erkenntnisart ausgeübt; aber er hat diese Erkenntnisart nicht an sich beobachtet. [...]
Eben weil Goethes Denken stets mit den Gegenständen der Anschauung erfüllt war, weil sein Denken ein Anschauen, sein Anschauen ein Denken war: deshalb konnte er nicht dazu kommen, das Denken selbst zum Gegenstande des Denkens zu machen. Die Idee der Freiheit gewinnt man aber nur durch die Anschauung des Denkens. Den Unterschied zwischen Denken über das Denken und Anschauung des Denkens hat Goethe nicht gemacht. Sonst wäre er zur Einsicht gelangt, daß man gerade im Sinne seiner Weltanschauung es wohl ablehnen könne, über das Denken zu denken, daß man aber doch zu einer Anschauung der Gedankenwelt kommen könne. [...]
GA 6, S. 84ff.

Wovon der Mensch sonst nur als von einem Unergründlichen, Unerforschlichen, Göttlichen sprechen kann: das tritt ihm in der Selbstanschauung in wahrer Gestalt vor Augen. Weil er in der Selbstanschauung das Ideelle in unmittelbarer Gestalt sieht, gewinnt er die Kraft und Fähigkeit, dieses Ideelle auch in aller äußeren Erscheinung, in der ganzen Natur aufzusuchen und anzuerkennen. Wer den Augenblick der Selbstanschauung erlebt hat, denkt nicht mehr daran, hinter den Erscheinungen einen „verborgenen“ Gott zu suchen: er ergreift das Göttliche in seinen verschiedenen Metamorphosen in der Natur. [...]
Die höchste Anschauung befreit aber den Menschengeist auch von allem einseitigen Abhängigkeitsgefühl. Er fühlt sich durch ihren Besitz souverän im Reiche der sittlichen Weltordnung. Er weiß, daß die Triebkraft, die alles hervorbringt, in seinem Innern als in seinem eigenen Willen wirkt, und daß die höchsten Entscheidungen über Sittliches in ihm selbst liegen. Denn diese höchsten Entscheidungen fließen aus der Welt der sittlichen Ideen, bei deren Produktion die Seele des Menschen anwesend ist. Mag der Mensch im einzelnen sich beschränkt fühlen, mag er auch von tausend Dingen abhängig sein; im ganzen gibt er sich sein sittliches Ziel und seine sittliche Richtung. Das Wirksame aller übrigen Dinge kommt im Menschen als Idee zur Erscheinung; das Wirksame im Menschen ist die Idee, die er selbst hervorbringt.
GA 6, S. 91f.

Ich selber sehe in der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft [...] diejenige Erkenntnisart für den dem Menschen zugänglichen geistigen Weltgehalt, zu welcher derjenige kommen muß, der die Goetheschen Naturideen als etwas ihm Gemäßes in seiner Seele belebt hat und von da ausgehend zu Erkenntniserlebnissen über das Geistgebiet der Welt strebt. Ich bin der Ansicht, [...] daß Goethes Ideen über das Naturgebiet, wirklich erlebt, zu den von mir dargelegten anthroposophischen Erkenntnissen notwendig führen müssen, wenn man, was Goethe noch nicht getan hat, die Erlebnisse im Naturgebiet überleitet zu Erlebnissen im Geistgebiet. Wie diese letzteren Erlebnisse geartet sind, das findet man in meinen geisteswissenschaftlichen Werken beschrieben.
GA 6, S. 212f.

Die Mystik... (GA 7)

Begreife ich etwas, so ist es in seiner ganzen Fülle meinem Begriffe präsent; im innersten Heiligtum seines Wesens bin ich zu Hause, nicht deshalb, weil es kein eigenes Ansich hätte, sondern weil es mich durch die über uns beiden schwebende Notwendigkeit des Begriffes, der in mir subjektiv, in ihm objektiv erscheint, zwingt, seinen Begriff nachzudenken. Durch dies Nachdenken offenbart sich uns, wie Hegel sagt, – ebenso wie dies unsere subjektive Tätigkeit ist, – zugleich die wahre Natur des Gegenstandes.“
– So kann nur sprechen, wer mit dem Lichte der inneren Erfahrung die Erlebnisse des Denkens zu beleuchten vermag. [...]
Im Erkennen vollzieht sich aber, was sich in der Außenwelt nirgends vollzieht: Das Weltgeschehen stellt sich selbst sein geistiges Wesen gegenüber. Ewig wäre dieses Weltgeschehen nur eine Halbheit, wenn es zu dieser Gegenüberstellung nicht käme. Damit gliedert sich das innere Erleben des Menschen dem objektiven Weltprozesse ein; dieser wäre ohne es unvollständig.
Es ist ersichtlich, daß nur das Leben, das vom inneren Sinn beherrscht wird, den Menschen in solcher Weise über sich hinaushebt, sein im eigensten Sinne höchstes Geistesleben. Denn nur in diesem Leben enthüllt sich das Wesen der Dinge vor sich selbst.
GA 7, S. 28f.

Nicht eine gedankliche Wiederholung, sondern ein reeller Teil des Weltprozesses ist das, was sich im menschlichen Innenleben abspielt. Die Welt wäre nicht, was sie ist, wenn sich das zu ihr gehörige Glied in der menschlichen Seele nicht abspielte. Und nennt man das höchste, das dem Menschen erreichbar ist, das Göttliche, dann muß man sagen, daß dieses Göttliche nicht als ein Äußeres vorhanden ist, um bildlich im Menschengeiste wiederholt zu werden, sondern daß dieses Göttliche im Menschen erweckt wird. [...]
Als geistiger Inhalt kommt der innerste Kern der Welt in der Selbsterkenntnis zum Leben. Das Erleben der Selbsterkenntnis bedeutet für den Menschen Weben und Wirken innerhalb des Weltenkernes.
GA 7, S. 34f.

Der bedeutsamste Begriff des Geisteslebens Nicolaus' [von Kues] ist derjenige der „gelehrten Unwissenheit“. Er versteht darunter ein Erkennen, das gegenüber dem gewöhnlichen Wissen eine höhere Stufe darstellt. Wissen im untergeordneten Sinne ist Erfassen eines Gegenstandes durch den Geist. Das wichtigste Kennzeichen des Wissens ist, daß es Aufklärung gibt über etwas außer dem Geiste, daß es also auf etwas blickt, was es nicht selbst ist. Der Geist beschäftigt sich also im Wissen mit außerhalb seiner gedachten Dingen. Nun ist aber dasjenige, was der Geist in sich über die Dinge ausbildet, das Wesen der Dinge. Die Dinge sind Geist. Der Mensch sieht zunächst den Geist nur durch die sinnliche Hülle. Was außerhalb des Geistes bleibt, ist nur diese sinnliche Hülle; das Wesen der Dinge geht in den Geist ein. Blickt dann der Geist auf dieses Wesen, das Stoff von seinem Stoffe ist, dann kann er gar nicht mehr von Wissen reden, denn er blickt nicht auf ein Ding, das außerhalb seiner ist; er blickt auf ein Ding, das ein Teil von ihm ist; er blickt auf sich selbst. Er weiß nicht mehr; er schaut nur auf sich. Er hat es nicht mit einem „Wissen“, sondern mit einem „Nicht-Wissen“ zu tun. Er begreift nicht mehr etwas durch den Geist; er „schaut, ohne Begreifen“ sein eigenes Leben an. Diese höchste Stufe des Erkennens ist im Verhältnis zu den niedrigen Stufen „Nicht-Wissen“. – Es ist aber einleuchtend, daß das Wesen der Dinge nur durch diese Stufe der Erkenntnis vermittelt werden kann. Nicolaus von Kues spricht also mit seinem „gelehrten Nichtwissen“ von nichts anderem als von dem als inneres Erlebnis wiedergeborenen Wissen. [...]
Vom Gesichtspunkte des Nicolaus von Kues aus kann man somit nicht davon sprechen, daß es nur eine Art des Erkennens gebe. Es legt sich das Erkennen vielmehr deutlich auseinander in ein solches, welches ein Wissen von äußeren Dingen vermittelt, und in ein solches, welches der Gegenstand, von dem man eine Erkenntnis erwirbt, selbst ist. Das erstere Erkennen herrscht in den Wissenschaften, die wir uns über die Dinge und Vorgänge der Sinneswelt erwerben; das zweite ist in uns, wenn wir in dem Erworbenen selbst leben. [...]
[Es kann] der Punkt kommen, wo dem Menschen durch eine unwiderlegliche innere Erfahrung klar wird, daß er in dem, was er in seinem Inneren wahrnimmt, erlebt, nicht die Äußerung, die Wirkung einer verborgenen Kraft oder Wesenheit, sondern diese Wesenheit selbst in ihrer ureigensten Gestalt hat. Er darf sich dann sagen, alle anderen Dinge finde ich in einer gewissen Weise fertig vor; und ich, der ich außer ihnen stehe, füge zu ihnen hinzu, was der Geist über sie zu sagen hat. Was ich so aber selbst zu den Dingen in mir hinzu schaffe, darin lebe ich selbst, das bin ich; das ist mein eigenes Wesen. Was aber spricht da auf dem Grunde meines Geistes? Es spricht das Wissen, das ich mir über die Dinge der Welt erworben habe. Aber in diesem Wissen spricht nicht mehr irgendeine Wirkung, eine Äußerung; es spricht etwas, was nichts zurückbehält von dem, was es in sich hat. Es spricht in diesem Wissen die Welt in aller ihrer Unmittelbarkeit. [...] Ich spreche also, in Wahrheit, gar nicht mehr bloß mein Wesen aus; ich spreche das Wesen der Dinge aus. Mein „Ich“ ist die Form, das Organ, in dem sich die Dinge über sich selbst aussprechen. Ich habe die Erfahrung gewonnen, daß ich in mir meine eigene Wesenheit erlebe; und diese Erfahrung erweitert sich mir zu der anderen, daß sich in mir und durch mich die All-Wesenheit selbst ausspricht, oder, mit anderen Worten, erkennt. [...]
Das, was in der höheren Erkenntnis vermittelt wird, ist noch nicht da, solange diese höhere Erkenntnis selbst noch nicht da ist. Erst im Schaffen dieser höheren Erkenntnis wird der Mensch wesenhaft; und erst durch des Menschen höhere Erkenntnis bringen auch die Dinge ihr Wesen zum tatsächlichen Dasein.
GA 7, S. 86ff.

Das Christentum als mystische Tatsache (GA 8)

Es kommt für den Mysten zuerst auf die Stimmung an, in der er sich dem naht, was er als das Höchste, als die Antworten auf die Rätselfragen des Daseins empfindet. Gerade in unserer Zeit, in der man als Erkenntnis nur das Grob-Wissenschaftliche anerkennen will, wird es schwer, zu glauben, daß es in den höchsten Dingen auf eine Stimmung ankomme. Die Erkenntnis wird ja dadurch zu einer intimen Angelegenheit der Persönlichkeit gemacht. Für den Mysten ist sie aber eine solche. Man sage jemand die Lösung des Welträtsels! Man gebe sie ihm fertig in die Hand!
Der Myste wird finden, daß alles leerer Schall ist, wenn nicht die Persönlichkeit in der rechten Art dieser Lösung gegenübertritt. Diese Lösung ist nichts; sie zerflattert, wenn nicht das Gefühl das besondere Feuer fängt, das notwendig ist. Eine Gottheit trete dir entgegen! Sie ist entweder nichts oder alles. Nichts ist sie, wenn du ihr entgegentrittst in der Stimmung, in der du den Dingen des Alltags begegnest. Sie ist alles, wenn du für sie vorbereitet, gestimmt bist. Was sie für sich ist, das ist eine Sache, die dich nicht berührt: ob sie dich läßt, wie du bist, oder ob sie aus dir einen anderen Menschen macht: darauf kommt es an. Aber das hängt lediglich von dir ab. Eine Erziehung, eine Entwicklung intimster Kräfte der Persönlichkeit muß dich vorbereitet haben, damit in dir entzündet, ausgelöst werde, was eine Gottheit vermag. Es kommt auf den Empfang an, den du dem bereitest, was dir entgegengebracht wird.
GA 8, S. 26f.

Theosophie (GA 9)

Wie man Bücher in unserem Zeitalter zu lesen pflegt, kann dieses nicht gelesen werden. In einer gewissen Beziehung wird von dem Leser jede Seite, ja mancher Satz erarbeitet werden müssen. Das ist mit Bewußtsein angestrebt worden. Denn nur so kann das Buch dem Leser werden, was es ihm werden soll. Wer es bloß durchliest, der wird es gar nicht gelesen haben. Seine Wahrheiten müssen erlebt werden. Geisteswissenschaft hat nur in diesem Sinne einen Wert.
GA 9, S. 12.

Aus der hiermit angedeuteten Gesinnung heraus wird in dieser Schrift eine Skizze theosophischer Weltanschauung entworfen. Der sie niedergeschrieben hat, will nichts darstellen, was für ihn nicht in einem ähnlichen Sinne Tatsache ist, wie ein Erlebnis der äußeren Welt Tatsache für Augen und Ohren und den gewöhnlichen Verstand ist. – Man hat es ja mit Erlebnissen zu tun, die jedem zugänglich werden, wenn er den in einem besonderen Abschnitt dieser Schrift vorgezeichneten „Erkenntnispfad“ zu betreten entschlossen ist.
Man stellt sich in der richtigen Art zu den Dingen der übersinnlichen Welt, wenn man voraussetzt, daß gesundes Denken und Empfinden alles zu verstehen vermag, was an wahren Erkenntnissen aus den höheren Welten fließen kann, und daß man, wenn man von diesem Verständnisse ausgeht und den festen Grund damit legt, auch einen gewichtigen Schritt zum eigenen Schauen gemacht hat; wenn auch, um dieses zu erlangen, anderes hinzukommen muß. [...] Der Grundsatz: erst höhere Welten anzuerkennen, wenn man sie geschaut hat, ist ein Hindernis für dieses Schauen selbst. Der Wille, durch gesundes Denken erst zu verstehen, was später geschaut werden kann, fördert dieses Schauen. Es zaubert wichtige Kräfte der Seele hervor, welche zu diesem „Schauen des Sehers“ führen.
GA 9, S. 22f.

In der ersten Region des „Geisterlandes“ ist der Mensch umgeben von den geistigen Urbildern der irdischen Dinge. Während des Erdenlebens lernt er ja nur die Schatten dieser Urbilder kennen, die er in seinen Gedanken erfaßt. Was auf der Erde bloß gedacht wird, das wird in dieser Region erlebt. Der Mensch wandelt unter Gedanken, aber diese Gedanken sind wirkliche Wesenheiten. Was er während des Erdenlebens mit seinen Sinnen wahrgenommen hat, das wirkt auf ihn jetzt in seiner Gedankenform. Aber der Gedanke erscheint nicht als der Schatten, der sich hinter den Dingen verbirgt, sondern er ist lebensvolle Wirklichkeit, welche die Dinge erzeugt.
Der Mensch ist gleichsam in der Gedankenwerkstätte, in der die irdischen Dinge geformt und gebildet werden. Denn im „Lande des Geistes“ ist alles lebensvolle Tätigkeit und Regsamkeit. Hier ist die Gedankenwelt am Werke als Welt lebendiger Wesen, schöpferisch und bildend. Man sieht da, wie das gebildet wird, was man im Erdendasein erlebt hat. Wie man im physischen Leibe die sinnlichen Dinge als Wirklichkeit erlebt, so erlebt man jetzt als Geist die geistigen Bildungskräfte als wirklich.
GA 9, S. 132f.

Es kommt auf das Streben, auf die Gesinnung an. Selbst der Irrende hat in dem Streben nach dem Wahren eine Kraft, die ihn von der unrichtigen Bahn ablenkt. Ist er im Irrtum, so ergreift ihn diese Kraft und führt ihn die Wege zum Rechten. Schon der Einwand: ich kann auch irren, ist störender Unglaube. Er zeigt, daß der Mensch kein Vertrauen hat in die Kraft des Wahren. Denn gerade darauf kommt es an, daß er sich nicht vermißt, von seinem eigensüchtigen Standpunkte aus sich die Ziele zu geben, sondern darauf, daß er sich selbstlos hingibt und von dem Geiste sich die Richtung bestimmen läßt. Nicht der eigensüchtige Menschenwille kann dem Wahren seine Vorschriften machen, sondern dieses Wahre selbst muß in dem Menschen zum Herrscher werden, muß sein ganzes Wesen durchdringen, ihn zum Abbild machen der ewigen Gesetze des Geisterlandes. Erfüllen muß er sich mit diesen ewigen Gesetzen, um sie ins Leben ausströmen zu lassen. – Wie sein Denken, so muß der Erkenntnis Suchende seinen Willen in strengem Gewahrsam haben können. Er wird dadurch in aller Bescheidenheit – ohne Anmaßung – ein Bote der Welt des Wahren und Schönen. Und dadurch, daß er dies wird, steigt er zum Teilnehmer der Geisteswelt auf. Dadurch wird er von Entwickelungsstufe zu Entwickelungsstufe gehoben. Denn man kann das geistige Leben nicht allein durch Anschauen, sondern man muß es dadurch erreichen, daß man es erlebt.
Beobachtet der Erkenntnis Suchende diese dargestellten Gesetze, so werden bei ihm diejenigen seelischen Erlebnisse, die sich auf die geistige Welt beziehen, eine völlig neue Gestalt annehmen. Er wird nicht mehr bloß in ihnen leben. Sie werden nicht mehr bloß eine Bedeutung für sein Eigenleben haben. Sie werden sich zu seelischen Wahrnehmungen der höheren Welt ausbilden. In seiner Seele wachsen die Gefühle, wachsen Lust und Unlust, Freude und Schmerz zu Seelenorganen aus, wie in seinem Körper Augen und Ohren nicht bloß ein Leben für sich führen, sondern selbstlos die äußeren Eindrücke durch sich hindurchgehen lassen. Und dadurch gewinnt der Erkenntnis Suchende die Ruhe und Sicherheit in der Seelenverfassung, die für das Forschen in der Geisteswelt nötig sind. [...]
Es ist unrichtig, zu glauben, der Erkennende werde ein trockener, nüchterner, lust- und leidloser Mensch. Lust und Leid sind in ihm vorhanden, aber dann, wenn er in der Geisteswelt forscht, in verwandelter Gestalt; sie sind „Augen und Ohren“ geworden.
Solange man persönlich mit der Welt lebt, so lange enthüllen die Dinge auch nur das, was sie mit unserer Persönlichkeit verknüpft. Das aber ist ihr Vergängliches. Ziehen wir uns selbst von unserem Vergänglichen zurück und leben wir mit unserem Selbstgefühl, mit unserem „Ich“ in unserem Bleibenden, dann werden die vergänglichen Teile an uns zu Vermittlern; und was sich durch sie enthüllt, das ist ein Unvergängliches, ein Ewiges an den Dingen. [...]
Man soll nicht glauben, daß solches Hinlenken des Geistes zum Ewigen die hingebungsvolle Betrachtung und den Sinn für die Eigenschaften des Alltags in uns austilge und uns der unmittelbaren Wirklichkeit entfremde. Im Gegenteil. Jedes Blatt, jedes Käferchen wird uns unzählige Geheimnisse enthüllen, wenn unser Auge nicht nur, sondern durch das Auge der Geist auf sie gerichtet ist. Jedes Glitzern, jede Farbennuance, jeder Tonfall werden den Sinnen lebhaft und wahrnehmbar bleiben, nichts wird verlorengehen; nur unbegrenztes neues Leben wird hinzugewonnen werden. Und wer nicht mit dem Auge das Kleinste zu beobachten versteht, wird auch nur zu blassen, blutleeren Gedanken, nicht aber zu geistigem Schauen kommen. – Es hängt von der Gesinnung ab, die wir uns in dieser Richtung erwerben. Wie weit wir es bringen, das wird von unseren Fähigkeiten abhängen. Wir haben nur das Rechte zu tun und alles übrige der Entwickelung zu überlassen. Zunächst muß es uns genügen, unseren Sinn auf das Bleibende zu richten. Tun wir das, dann wird eben dadurch die Erkenntnis des Bleibenden uns aufgehen. Wir müssen warten, bis uns gegeben wird. Und es wird zur entsprechenden Zeit jedem gegeben, der in Geduld wartet und – arbeitet.
GA 9, S. 186ff.

Was hier über den geistigen Erkenntnispfad gesagt ist, kann nur allzuleicht durch eine mißverständliche Auffassung dazu verführen, in ihm eine Empfehlung solcher Seelenstimmungen zu sehen, die eine Abkehr vom unmittelbaren freudigen und tatkräftigen Erleben des Daseins mit sich bringen. Demgegenüber muß betont werden, daß diejenige Stimmung der Seele, welche diese geeignet macht, die Wirklichkeit des Geistes unmittelbar zu erleben, nicht wie eine allgemeine Anforderung über das ganze Leben ausgedehnt werden kann. Der Erforscher geistigen Daseins kann es in seine Gewalt bekommen, für diese Erforschung die Seele in die dazu notwendige Abgezogenheit von der sinnenfälligen Wirklichkeit zu bringen, ohne daß diese Abgezogenheit ihn im allgemeinen zu einem weltfremden Menschen macht. – Auf der anderen Seite muß aber auch erkannt werden, daß ein Erkennen der geistigen Welt, nicht etwa nur ein solches durch Betreten des Pfades, sondern auch ein solches durch Erfassen der geisteswissenschaftlichen Wahrheiten mit dem vorurteilsfreien gesunden Menschenverstande, auch zu einem höheren sittlichen Lebensstand, zu wahrheitsgemäßer Erkenntnis des sinnlichen Daseins, zu Lebenssicherheit und innerer seelischer Gesundheit führt.
GA 9, S. 193f.

Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? (GA 10)

Wer diese Schrift intim liest, so daß ihm Lesen wie ein innerliches Erleben wird, der wird sich nicht nur mit dem Inhalte bekannt machen, sondern auch an dieser Stelle dieses, an einer anderen jenes Gefühl haben; und dadurch wird er erkennen, welches Gewicht für die Seelenentwickelung dem einen oder dem anderen zukommt. Er wird auch herausfinden, in welcher Form er diese oder jene Übung, nach seiner besonderen Individualität, gerade bei sich versuchen sollte. Wenn, wie hier, Beschreibungen in Betracht kommen von Vorgängen, welche erlebt werden sollen, so erweist sich als notwendig, daß man auf den Inhalt immer wieder zurückgreife; denn man wird sich überzeugen, daß man manches erst dann für sich selbst zu einem befriedigenden Verständnis bringt, wenn man es versucht hat und nach dem Versuche gewisse Feinheiten der Sache bemerkt, die einem früher entgehen mußten.
GA 10, S. 14f.

Wenn ein gefühlsreicher und gemütstiefer Mensch durch eine schöne Gebirgslandschaft geht, erlebt er anderes als ein gefühlsarmer. Erst was wir im Innern erleben, gibt uns den Schlüssel zu den Schönheiten der Außenwelt. Der eine fährt über das Meer, und nur wenig innere Erlebnisse ziehen durch seine Seele; der andere empfindet dabei die ewige Sprache des Weltgeistes; ihm enthüllen sich geheime Rätsel der Schöpfung. Man muß gelernt haben, mit seinen eigenen Gefühlen, Vorstellungen umzugehen, wenn man ein inhaltvolles Verhältnis zur Außenwelt entwickeln will. Die Außenwelt ist in allen ihren Erscheinungen erfüllt von göttlicher Herrlichkeit; aber man muß das Göttliche erst in seiner Seele selbst erlebt haben, wenn man es in der Umgebung finden will. –
Der Geheimschüler wird darauf verwiesen, sich Augenblicke in seinem Leben zu schaffen, in denen er still und einsam sich in sich selbst versenkt. Nicht den Angelegenheiten seines eigenen Ich aber soll er sich in solchen Augenblicken hingeben. Das würde das Gegenteil von dem bewirken, was beabsichtigt ist. Er soll vielmehr in solchen Augenblicken in aller Stille nachklingen lassen, was er erlebt hat, was ihm die äußere Welt gesagt hat. Jede Blume, jedes Tier, jede Handlung wird ihm in solchen stillen Augenblicken ungeahnte Geheimnisse enthüllen. Und er wird vorbereitet dadurch, neue Eindrücke der Außenwelt mit ganz anderen Augen zu sehen als vorher.
Wer nur Eindruck nach Eindruck genießen will, stumpft sein Erkenntnisvermögen ab. Wer, nach dem Genusse, sich von dem Genusse etwas offenbaren läßt, der pflegt und erzieht sein Erkenntnisvermögen. Er muß sich nur daran gewöhnen, nicht etwa nur den Genuß nachklingen zu lassen, sondern, mit Verzicht auf weiteren Genuß, das Genossene durch innere Tätigkeit zu verarbeiten. [...] Der Geheimschüler betrachtet den Genuß nur als ein Mittel, um sich für die Welt zu veredeln. Der Genuß ist ihm ein Kundschafter, der ihn unterrichtet über die Welt; aber er schreitet nach dem Unterricht durch den Genuß zur Arbeit vorwärts.
GA 10, S. 26f.

Was man in den ausgesonderten Augenblicken anzustreben hat, ist nun, die eigenen Erlebnisse und Taten so anzuschauen, so zu beurteilen, als ob man sie nicht selbst, sondern als ob sie ein anderer erlebt oder getan hätte. [...] Kommt man zur inneren Ruhe des Überblicks, dann sondert sich das Wesentliche von dem Unwesentlichen. Kummer und Freude, jeder Gedanke, jeder Entschluß erscheinen anders, wenn man sich so selbst gegenübersteht. [...] Der Wert solcher inneren, ruhigen Selbstschau hängt viel weniger davon ab, was man dabei erschaut, als vielmehr davon, daß man in sich die Kraft findet, die solche innere Ruhe entwickelt.
Denn jeder Mensch trägt neben seinem – wir wollen ihn so nennen – Alltagsmenschen in seinem Innern noch einen höheren Menschen. Dieser höhere Mensch bleibt so lange verborgen, bis er geweckt wird. Und jeder kann diesen höheren Menschen nur selbst in sich erwecken. Solange aber dieser höhere Mensch nicht erweckt ist, so lange bleiben auch die in jedem Menschen schlummernden höheren Fähigkeiten verborgen, die zu übersinnlichen Erkenntnissen führen.
Solange jemand die Frucht der inneren Ruhe nicht fühlt, muß er sich eben sagen, daß er in der ernsten strengen Befolgung der angeführten Regel fortfahren muß. Für jeden, der so verfährt, kommt der Tag, wo es um ihn herum geistig hell wird, wo sich einem Auge, das er bis dahin in sich nicht gekannt hat, eine ganz neue Welt erschließen wird.
GA 10, S. 30ff.

Man bedenke, daß der „höhere Mensch“ im Menschen in fortwährender Entwickelung ist. Durch die beschriebene Ruhe und Sicherheit wird ihm aber allein eine gesetzmäßige Entwickelung ermöglicht. Die Wogen des äußeren Lebens zwängen den inneren Menschen von allen Seiten ein, wenn der Mensch nicht dieses Leben beherrscht, sondern von ihm beherrscht wird. Ein solcher Mensch ist wie eine Pflanze, die sich in einer Felsspalte entwickeln soll. Sie verkümmert so lange, bis man ihr Raum schafft. Dem inneren Menschen können keine äußeren Kräfte Raum schaffen. Das vermag nur die innere Ruhe, die er seiner Seele schafft. Äußere Verhältnisse können nur seine äußere Lebenslage ändern; den „geistigen Menschen“ in ihm können sie nie und nimmer erwecken. – In sich selbst muß der Geheimschüler einen neuen, einen höheren Menschen gebären. [...]
Hängt es von etwas anderem als von mir ab, ob ich mich ärgere oder nicht, so bin ich nicht Herr meiner selbst, oder – noch besser gesagt –: ich habe den „Herrscher in mir“ noch nicht gefunden. Ich muß in mir die Fähigkeit entwickeln, die Eindrücke der Außenwelt nur in einer durch mich selbst bestimmten Weise an mich herankommen zu lassen; dann kann ich erst Geheimschüler werden. – Und nur insoweit der Geheimschüler ernstlich nach dieser Kraft sucht, kann er zum Ziel kommen. Es kommt nicht darauf an, wie weit es einer in einer bestimmten Zeit bringt; sondern allein darauf, daß er ernstlich sucht.
GA 10, S. 35f.

Aber nur eine Seite der inneren Tätigkeit des Geheimschülers ist durch diese Geburt des eigenen höheren Menschen gekennzeichnet. Es muß dazu noch etwas anderes kommen. [...] Er muß sich erheben zu einem rein Menschlichen, das nichts mehr mit seiner besonderen Lage zu tun hat. Er muß zu einer Betrachtung derjenigen Dinge übergehen, die ihn als Mensch etwas angingen, auch wenn er unter ganz anderen Verhältnissen, in einer ganz anderen Lage lebte. Dadurch lebt in ihm etwas auf, was über das Persönliche hinausragt. Er richtet damit den Blick in höhere Welten, als diejenigen sind, mit denen ihn der Alltag zusammenführt. Und damit beginnt der Mensch zu fühlen, zu erleben, daß er solchen höheren Welten angehört. Es sind das Welten, über die ihm seine Sinne, seine alltägliche Beschäftigung nichts sagen können. So erst verlegt er den Mittelpunkt seines Wesens in sein Inneres. Er hört auf die Stimmen in seinem Innern, die in den Augenblicken der Ruhe zu ihm sprechen; er pflegt im Innern Umgang mit der geistigen Welt. [...] Die ruhige Beschaulichkeit im Innern, die Zwiesprache mit der rein geistigen Welt füllt seine ganze Seele aus. –
Ein natürliches Lebensbedürfnis muß dem Geheimschüler solche stille Beschaulichkeit werden. Er ist zunächst ganz in eine Gedanken-Welt versenkt. Er muß für diese stille Gedankentätigkeit ein lebendiges Gefühl entwickeln. Er muß lieben lernen, was ihm der Geist da zuströmt. [...] Und dann naht für ihn auch der Augenblick, in dem er das, was sich ihm in der Stille innerer Gedankenarbeit offenbart, als viel höher, wirklicher zu fühlen beginnt als die Dinge im Raume. Er erfährt, daß sich Leben in dieser Gedankenwelt ausspricht. Er sieht ein, daß sich in Gedanken nicht bloße Schattenbilder ausleben, sondern, daß durch sie verborgene Wesenheiten zu ihm sprechen. Es fängt an, aus der Stille heraus zu ihm zu sprechen.
GA 10, S. 36f.

Was auf dem hier gemeinten Wege von der Menschenseele durchlebt wird, das verläuft durchaus im Felde rein geistig-seelischen Erfahrens. Es ist nur dadurch möglich, solches zu durchleben, daß sich der Mensch auch noch für andere innere Erfahrungen so frei und unabhängig von dem Leibesleben machen kann, wie er im Erleben des gewöhnlichen Bewußtseins nur ist, wenn er sich über das von außen Wahrgenommene oder das im Innern Gewünschte, Gefühlte, Gewollte Gedanken macht, die nicht aus dem Wahrgenommenen, Gefühlten, Gewollten selbst herrühren. [...] Wer aber solches erlebt hat, für den ist es Erfahrung geworden, daß überall, wo im Seelenleben Denken waltet, in dem Maße, als dieses Denken andere Seelenverrichtungen durchdringt, der Mensch in einer Tätigkeit begriffen ist, an deren Zustandekommen sein Leib unbeteiligt ist. Im gewöhnlichen Seelenleben ist ja fast immer das Denken mit anderen Seelenverrichtungen: Wahrnehmen, Fühlen, Wollen und so weiter vermischt. Diese anderen Verrichtungen kommen durch den Leib zustande. Aber in sie spielt das Denken hinein. Und in dem Maße, in dem es hineinspielt, geht in dem Menschen und durch den Menschen etwas vor sich, an dem der Leib nicht mitbeteiligt ist. [...] Man kann aus dem Umfange des Seelenlebens etwas herauslösen, das nur in reinen Gedanken besteht. In Gedanken, die in sich bestehen, aus denen alles ausgeschaltet ist, was Wahrnehmung oder leiblich bedingtes Innenleben geben. Solche Gedanken offenbaren sich durch sich selbst, durch das, was sie sind, als ein geistig, ein übersinnlich Wesenhaftes. Und die Seele, die mit solchen Gedanken sich vereinigt, indem sie während dieser Vereinigung alles Wahrnehmen, alles Erinnern, alles sonstige Innenleben ausschließt, weiß sich mit dem Denken selbst in einem übersinnlichen Gebiet und erlebt sich außerhalb des Leibes. [...]
Für die hier gemeinte übersinnliche Seelenbetätigung ist es außerordentlich bedeutsam, in voller Klarheit das Erleben des reinen Denkens zu durchschauen. Denn im Grunde ist dieses Erleben selbst schon eine übersinnliche Seelenbetätigung. Nur eine solche, durch die man noch nichts Übersinnliches schaut. Man lebt mit dem reinen Denken im Übersinnlichen; aber man erlebt nur dieses auf eine übersinnliche Art; man erlebt noch nichts anderes Übersinnliches. Und das übersinnliche Erleben muß sein eine Fortsetzung desjenigen Seelen-Erlebens, das schon im Vereinigen mit dem reinen Denken erreicht werden kann. Deshalb ist es so bedeutungsvoll, diese Vereinigung richtig erfahren zu können.
GA 10, S. 217ff.

Die Stufen der höheren Erkenntnis (GA 12)

Denn der Schüler lernt nicht leicht auf die zarten Gebilde seiner Seele achten, die sich im Laufe seiner Entwickelung hineinmischen in die groben Erlebnisse des alltäglichen Sinneslebens. Anfangs erscheinen ihm solche Gebilde wie das, was man zufällige Eindrücke der Seele nennt. Alles kommt darauf an, daß er unterscheiden lernt, was er der gewöhnlichen Welt verdankt von dem, was durch seine eigene Wesenheit als Kundgebung höherer Welten sich darstellt. In einem stillen, in sich gekehrten Gemütsleben muß er sich diese Unterscheidung aneignen.
GA 12, S. 26.

So wie derjenige nichts von der physischen Welt weiß, der sich nur immer wieder sagen kann: diese Welt enthält in sich verhüllt das „göttliche Selbst“, so weiß auch derjenige nichts von höheren Welten, welcher das „göttliche Geisterreich“ nur in verschwommener, unbestimmter Allgemeinheit sucht. Man soll seine Augen öffnen und die Offenbarung der Gottheit in den Dingen der physischen Welt, im Stein, in der Pflanze anschauen, nicht davon träumen, daß dies jedoch alles nur „Erscheinungen“ seien und daß Gottes wahre Gestalt dahinter „verborgen“ sei. Nein, Gott offenbart sich in seinen Schöpfungen, und wer Gott erkennen will, muß das Wesen dieser Schöpfungen erkennen lernen. [...] Der Standpunkt des Okkultismus ist [...], ein anderer Mensch zu werden, damit man anderes als das Gewöhnliche schauen und erleben kann.
GA 12, S. 38f.

Ganz systematisch muß der Geheimschüler die Aufmerksamkeit auf sein Seelenleben lenken: und er muß es dahin bringen, daß ihm das logisch Unrichtige eine Quelle des Schmerzes wird, der durchaus nicht hinter einem physischen Schmerze zurückbleibt; und in umgekehrter Art muß ihm das „Richtige“ wirkliche Freude oder Lust bereiten. Wo also ein anderer nur seinen Verstand, seine Urteilskraft in Bewegung bringt, muß der Geheimschüler lernen, die ganze Stufenfolge von Gefühlen, vom Schmerz bis zum Enthusiasmus, von der wehevollen Spannung bis zur entzückenden Lösung im Besitz der Wahrheit zu durchleben. Ja, er muß etwas wie Haß empfinden lernen gegen dasjenige, was beim „normalen“ Menschen nur als ein nüchternkaltes „Unrichtiges“ erlebt wird; er muß eine Liebe zur Wahrheit in sich entwickeln, welche einen ganz persönlichen Charakter trägt; so persönlich, so warm wie der Liebende der Geliebten gegenüber empfindet. – Man wird ja gewiß auch in den Kreisen unserer „Gebildeten“ vielfach von der „Liebe zur Wahrheit“ reden; doch ist das, was man da meint, eben gar nicht zu vergleichen mit dem, was der Geheimschüler in stiller, innerer Seelenarbeit nach dieser Richtung durchmachen muß. Er muß sich geduldig immer wieder probeweise dieses oder jenes „Wahre“, dieses oder jenes „Falsche“ vorlegen; und sich der Sache hingeben, um nicht bloß seine Urteilskraft zu schulen, die nüchtern unterscheidet zwischen „wahr“ und „falsch“; sondern er muß zu dem allen ein ganz persönliches Verhältnis gewinnen.
GA 12, S. 53f.

Erhält man [...] solche Wahrheiten mitgeteilt, dann erregen sie in der Seele durch ihre eigene Kraft die Inspiration. Man muß nur versuchen, wenn man solcher Inspiration teilhaftig werden will, diese Erkenntnisse nicht nüchtern und verstandesmäßig zu empfangen, sondern sich von dem Hochschwung der Ideen in alle nur möglichen Gefühlserlebnisse versetzen lassen. Und wie sollte man dies nicht können! Kann das Gefühl stumpf bleiben, wenn man die überwältigenden Vorgänge im Geiste vor sich vorüberziehen läßt, wie die Erde sich aus Mond, Sonne und Saturn entwickelt hat, oder wenn man die unendlichen Tiefen der Menschennatur durch eine Erkenntnis seines Äther-, Astralleibes usw. durchschaut?
Man möchte fast sagen: schlimm genug für einen solchen, welcher in Nüchternheit solche Gedankengebäude erleben kann. Denn erlebte er sie nicht in Nüchternheit, sondern durchlebte er alle durch sie möglichen Gefühlsspannungen und Gefühlslösungen, alle Steigerungen und Krisen, alle Fortschritte und Rückschritte, alle Katastrophen und Verkündigungen: dann eben würde in ihm der Mutterboden zur Inspiration selbst zubereitet. Allerdings wird man das notwendige Leben in Gefühlen gegenüber solchen Mitteilungen aus einer höheren Welt nur wirklich entfalten können, wenn man Übungen solcher Art, wie sie oben angedeutet sind, macht. Wer alle seine Gefühlskräfte an die äußere sinnliche Wahrnehmungswelt wendet, dem werden die Erzählungen aus einer höheren Welt als „trockene Begriffe“, als „graue Theorie“ erscheinen. [...]
Gewiß, es müssen zum „Lernen“ andere Übungen hinzukommen, wenn der Schüler rasche Fortschritte in dem Erleben der höheren Welten machen will; es sollte aber niemand die unbegrenzt große Bedeutung gerade des „Lernens“ unterschätzen. Und jedenfalls kann niemandem Hoffnung gegeben werden, daß er durch irgendwelche Übungen rasche Eroberungen in den höheren Welten machen werde, der es nicht zugleich über sich bringt: unablässig sich in die Mitteilungen zu vertiefen, die, rein erzählend, von den Vorgängen und Wesen der höheren Welten von berufener Seite gemacht werden.
GA 12, S. 62ff.

Die Erkenntnis durch Inspiration führt den Menschen zum Erleben der Vorgänge in den unsichtbaren Welten, also zum Beispiel der Entwickelung des Menschen, derjenigen der Erde und ihrer planetarischen Verkörperungen; kommen aber innerhalb dieser höheren Welten nicht bloß Vorgänge, sondern Wesen in Betracht, dann muß die Intuition als Erkenntnisart eintreten. Was durch solche Wesen geschieht, das erkennt man im Bilde durch die Imagination, den Gesetzen und Verhältnissen nach durch die Inspiration; will man den Wesen selbst gegenübertreten, dann braucht man die Intuition.
GA 12, S. 64.

Imagination – das ist wirkliches astrales Erlebnis – wird es erst, wenn nicht nur die Farbe ganz abgehoben ist von dem Sinneseindrucke, sondern wenn auch die dreidimensionale Raumausdehnung sich völlig verloren hat. Daß dies letztere der Fall ist, kann nur durch ein gewisses Gefühl wahrgenommen werden. Zu beschreiben ist dieses Gefühl nur dadurch, daß man sagt, man fühlt sich nicht mehr außerhalb, sondern innerhalb des Farbenbildes, und man hat das Bewußtsein, daß man an seiner Entstehung teilnimmt. Wenn dies Gefühl nicht da ist, wenn man sich also der Sache gegenüberstehend glaubt wie einem sinnlichen Farbenbild gegenüber, dann hat man es noch nicht mit einer wirklichen Imagination, sondern mit etwas Phantastischem zu tun. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, daß solche Phantasiegemälde ganz wertlos seien. Sie können nämlich ätherische Abbilder – gleichsam Schatten – wirklicher astraler Tatsachen sein. [...]
Will man die Wahrheit der imaginativen Welt treffen, so darf man den Begriff des geistigen Schauens nicht zu eng fassen. Denn es finden sich in dieser Welt nicht etwa bloß Licht- und Farbenwahrnehmungen, die sich also den Gesichtserlebnissen der physischen Welt vergleichen lassen, sondern auch Eindrücke von Wärme und Kälte, von Geschmack und Geruch, ja noch andere Erlebnisse der imaginativen „Sinne“, für die es etwas ähnliches in der physischen Welt nicht gibt. Die Eindrücke des Warmen und Kalten sind in der imaginativen (astralen) Welt die Offenbarungen des Willens und der Absichten seelischer und geistiger Wesen. Ob ein solches Wesen etwas Gutes oder Böses bezweckt, das kommt in einer bestimmten Wärme- oder Kältewirkung zum Vorschein. Auch „schmecken“ und „riechen“ kann man die astralen Wesenheiten. – Nur dasjenige, was in eigentlichem Sinne das Physische des Tones und Schalles ausmacht, fehlt fast ganz in der wirklich imaginativen Welt. In dieser Beziehung herrscht da lautlose Stille.
GA 12, S. 66ff.

[Inspiration:] Dafür aber bietet sich etwas ganz anderes dem in der geistigen Beobachtung Fortschreitenden dar, was sich mit dem Tönen und Klingen, mit Musik und Sprache der sinnlichen Welt vergleichen läßt. [...] Dann tritt für den Beobachter das ein, was man ein Verstehen der Bedeutung der imaginativen Erlebnisse nennen kann. [...] In dem Aufglänzen und Verlöschen, in der Farbenwandlung der Bilder offenbaren sich Harmonien und Disharmonien, welche die Gefühle, Vorstellungen und Gedanken seelischer und geistiger Wesenheiten enthüllen. Und wie sich der Ton beim physischen Menschen zum Worte steigert, wenn sich ihm der Gedanke einprägt, so steigern sich die Harmonien und Disharmonien der geistigen Welt zu Offenbarungen, welche wesenhafte Gedanken selbst sind. Dazu muß es allerdings „dunkel werden“ in dieser Welt, wenn der Gedanke in seiner Unmittelbarkeit sich offenbaren soll.
Das hier auftretende Erlebnis stellt sich so dar: Man sieht die hellen Farbentöne, das Rot, Gelb und Orange, ersterben und nimmt wahr, wie sich die höhere Welt durch Grün hindurch abdunkelt zum Blauen und Violetten; dabei erlebt man in sich selbst eine Steigerung der inneren Willensenergie. Man erlebt eine völlige Freiheit in bezug auf Ort und Zeit; man fühlt sich in Bewegung. Es sind gewisse Linienformen, Gestalten, die man erlebt. Doch nicht etwa so erlebt man sie, daß man sie vor sich in irgendeinem Raume gezeichnet sähe, sondern so, als ob man in fortwährender Bewegung mit seinem Ich jedem Linienschwung, jeder Gestaltung selbst folgte. Ja, man fühlt das Ich als den Zeichner und zugleich als das Material, mit dem gezeichnet wird. Und jede Linienführung, jede Ortsänderung sind zugleich Erlebnis dieses Ich. Man lernt erkennen, daß man mit seinem bewegten Ich hineingeflochten ist in die schaffenden Weltenkräfte. Die Weltgesetze sind nun dem Ich nicht mehr etwas äußerlich Wahrgenommenes, sondern ein wirkliches Wundergewebe, an dem man spinnt.
GA 12, S. 69ff.

In der Inspiration sprechen die Erlebnisse der höheren Welten ihre Bedeutung aus. Der Beobachter lebt in den Eigenschaften und Taten der Wesen dieser höheren Welten. [...] In der Inspiration wird er sich bewußt, daß er eins wird mit den Taten solcher Wesen, mit den Offenbarungen ihres Willens; erst in der Intuition verschmilzt er mit Wesen, die in sich geschlossen sind, selbst. Im richtigen Sinne kann das nur geschehen, wenn diese Verschmelzung nicht unter Auslöschung, sondern unter völliger Aufrechterhaltung seiner eigenen Wesenheit der Fall ist. [...] Daher kann nur ein Ich, das in sich bis zu einem hohen Grade gefestigt ist, in ein anderes Wesen ohne Schaden untertauchen. – Man hat erst dann etwas intuitiv erfaßt, wenn man diesem „Etwas“ gegenüber zu der Empfindung gekommen ist: es äußert sich in ihm ein Wesen, das von derselben Art und inneren Geschlossenheit wie das eigene Ich ist.
GA 12, S. 75f.

Die Geheimwissenschaft im Umriss (GA 13)

Hier stehen demjenigen, was in diesem Buche geschildert wird, gewisse – durchaus begreifliche – Denkgewohnheiten so schroff gegenüber, daß mit vielen eine Verständigung gegenwärtig noch ganz aussichtslos ist. [...]
[Und es] fühlt der Verfasser nur allzudeutlich, wie wenig auch die neue Auflage dem entspricht, was sie als „Umriß einer übersinnlichen Weltanschauung“ eigentlich sein sollte. Noch einmal wurde zur Neuauflage das Ganze durchgearbeitet, viele Ergänzungen wurden an wichtigen Stellen eingefügt, Verdeutlichungen wurden angestrebt. Doch fühlbar wurde dem Verfasser an zahlreichen Stellen, wie spröde sich die Mittel der ihm zugänglichen Darstellung erweisen gegenüber dem, was die übersinnliche Forschung zeigt. So konnte kaum mehr als ein Weg gezeigt werden, um zu Vorstellungen zu gelangen, welche in dem Buche für Saturn-, Sonnen-, Mondenentwickelung gegeben werden. [...] Doch weichen die Erlebnisse in bezug auf solche Dinge so sehr von allen Erlebnissen auf dem Sinnesgebiete ab, daß die Darstellung ein fortwährendes Ringen nach einem nur einigermaßen genügend scheinenden Ausdruck notwendig macht. Wer auf den hier gemachten Versuch der Darstellung einzugehen willens ist, wird vielleicht bemerken, daß manches, was dem trockenen Worte zu sagen unmöglich ist, durch die Art der Schilderung erstrebt wird.
GA 13, S. 20f.

In der Naturwissenschaft liegen die Tatsachen im Felde der Sinneswelt vor; der wissenschaftliche Darsteller betrachtet die Seelenbetätigung als etwas, das gegenüber dem Zusammenhang und Verlauf der Sinnes-Tatsachen zurücktritt. Der geisteswissenschaftliche Darsteller muß diese Seelenbetätigung in den Vordergrund stellen; denn der Leser gelangt nur zu den Tatsachen, wenn er diese Seelenbetätigung in rechtmäßiger Weise zu seiner eigenen macht. Diese Tatsachen sind nicht wie in der Naturwissenschaft – allerdings unbegriffen – auch ohne die Seelenbetätigung vor der menschlichen Wahrnehmung; sie treten vielmehr in diese nur durch die Seelenbetätigung. Der geisteswissenschaftliche Darsteller setzt also voraus, daß der Leser mit ihm gemeinsam die Tatsachen sucht. Seine Darstellung wird in der Art gehalten sein, daß er von dem Auffinden dieser Tatsachen erzählt und daß in der Art, wie er erzählt, nicht persönliche Willkür, sondern der an der Naturwissenschaft heranerzogene wissenschaftliche Sinn herrscht. Er wird daher auch genötigt sein, von den Mitteln zu sprechen, durch die man zu einer Betrachtung des Nichtsinnlichen – des Übersinnlichen – gelangt. – Wer sich in eine geheimwissenschaftliche Darstellung einläßt, der wird bald einsehen, daß durch sie Vorstellungen und Ideen erworben werden, die man vorher nicht gehabt hat. So kommt man zu neuen Gedanken auch über das, was man vorher über das Wesen des „Beweisens“ gemeint hat. Man lernt erkennen, daß für die naturwissenschaftliche Darstellung das „Beweisen“ etwas ist, was an diese gewissermaßen von außen herangebracht wird. Im geisteswissenschaftlichen Denken liegt aber die Betätigung, welche die Seele beim naturwissenschaftlichen Denken auf den Beweis wendet, schon in dem Suchen nach den Tatsachen.
Man kann diese nicht finden, wenn nicht der Weg zu ihnen schon ein beweisender ist. Wer diesen Weg wirklich durchschreitet, hat auch schon das Beweisende erlebt; es kann nichts durch einen von außen hinzugefügten Beweis geleistet werden. Daß man dieses im Charakter der Geheimwissenschaft verkennt, ruft viele Mißverständnisse hervor.
GA 13, S. 39ff.

Der Leser muß zunächst eine größere Summe von übersinnlichen Erfahrungen, die er noch nicht selbst erlebt, mitteilungsgemäß aufnehmen. [...] So könnte es scheinen, als ob doch die Voraussetzung gemacht würde, daß eine Anzahl vermeintlicher Erkenntnisse wie Dogmen vorgetragen würden, für die Glauben auf Autorität hin verlangt würde. Es ist dies aber doch nicht der Fall. Was nämlich von übersinnlichen Weltinhalten gewußt werden kann, das lebt in dem Darsteller als lebendiger Seeleninhalt; und lebt man sich in diesen Seeleninhalt ein, so entzündet dieses Einleben in der eigenen Seele die Impulse, welche nach den entsprechenden übersinnlichen Tatsachen hinführen. Man lebt im Lesen von geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen auf andere Art, als in demjenigen der Mitteilungen sinnenfälliger Tatsachen. Liest man Mitteilungen aus der sinnenfälligen Welt, so liest man eben über sie. Liest man aber Mitteilungen über übersinnliche Tatsachen im rechten Sinne, so lebt man sich ein in den Strom geistigen Daseins. Im Aufnehmen der Ergebnisse nimmt man zugleich den eigenen Innenweg dazu auf.
Es ist richtig, daß dies hier Gemeinte von dem Leser zunächst oft gar nicht bemerkt wird. Man stellt sich den Eintritt in die geistige Welt viel zu ähnlich einem sinnenfälligen Erlebnis vor, und so findet man, daß, was man beim Lesen von dieser Welt erlebt, viel zu gedankenmäßig ist. Aber in dem wahren gedankenmäßigen Aufnehmen steht man in dieser Welt schon drinnen und hat sich nur noch klar darüber zu werden, daß man schon unvermerkt erlebt hat, was man vermeinte, bloß als Gedankenmitteilung erhalten zu haben.
Man wird über die echte Natur dieses Erlebten dann volle Klarheit erhalten, wenn man praktisch durchführt, was im zweiten (letzten) Teile dieses Buches als „Weg“ zu den übersinnlichen Erkenntnissen geschildert wird. Man könnte leicht glauben, das Umgekehrte sei richtig: dieser Weg müsse zuerst geschildert werden. Das ist aber nicht der Fall. Wer, ohne auf bestimmte Tatsachen der übersinnlichen Welt den Seelenblick zu richten, nur „Übungen“ macht, um in die übersinnliche Welt einzutreten, für den bleibt diese Weit ein unbestimmtes, sich verwirrendes Chaos. Man lernt sich einleben in diese Welt gewissermaßen naiv, indem man sich über bestimmte Tatsachen derselben unterrichtet, und dann gibt man sich Rechenschaft, wie man – die Naivität verlassend – vollbewußt selbst zu den Erlebnissen gelangt, von denen man Mitteilung erlangt hat.
GA 13, S. 48ff.

Aber in dem Falle mit den angeführten geistigen Tatsachen liegt die Sache doch noch anders. Wenn man sie annimmt, so hat das nicht nur die intellektuelle Folge, daß man durch sie das Leben begreiflich findet, sondern man erlebt durch die Aufnahme dieser Voraussetzungen in seine Gedanken noch etwas ganz anderes. Man denke sich den folgenden Fall: Es widerfährt jemand etwas, das in ihm recht peinliche Empfindungen hervorruft. Er kann sich nun in zweifacher Art dazu stellen. Er kann den Vorfall als etwas erleben, was ihn peinlich berührt, und sich der peinlichen Empfindung hingeben, vielleicht sogar in Schmerz versinken. Er kann sich aber auch anders dazu stellen. Er kann sagen: In Wahrheit habe ich selbst in einem vergangenen Leben in mir die Kraft gebildet, welche mich vor diesen Vorfall gestellt hat; ich habe in Wirklichkeit mir selbst die Sache zugefügt. Und er kann nun alle die Empfindungen in sich erregen, welche ein solcher Gedanke zur Folge haben kann. Selbstverständlich muß der Gedanke mit dem allervollkommensten Ernste und mit aller möglichen Kraft erlebt werden, wenn er eine solche Folge für das Empfindungs- und Gefühlsleben haben soll. [...]
Diese bloße Vorstellung regt in ihm eine wirkliche Kraft an, durch die er in einer ganz andern Art dem Ereignis begegnen kann, als wenn er diese Vorstellung nicht hegt. Es geht ihm dadurch ein Licht auf über die notwendige Wesenheit dieses Ereignisses, das er sonst nur als einen Zufall anerkennen könnte. Und er wird unmittelbar einsehen: ich habe den rechten Gedanken gehabt, denn dieser Gedanke hatte die Kraft, die Tatsache mir zu enthüllen. Wiederholt jemand solche innere Vorgänge, so werden sie fortgesetzt zu einem Mittel innerer Kraftzufuhr, und sie erweisen so ihre Richtigkeit durch ihre Fruchtbarkeit. Und diese Richtigkeit zeigt sich, nach und nach, kräftig genug. [...]
Einen solchen rein inneren Beweis von der geistigen Verursachung kann sich ein jeder allerdings nur selbst in seinem Innenleben verschaffen. Aber es kann ihn auch ein jeder haben. Wer ihn sich nicht verschafft hat, kann seine Beweiskraft allerdings nicht beurteilen. Wer ihn sich verschafft hat, der kann ihn aber auch kaum mehr anzweifeln. Man braucht sich auch gar nicht zu verwundern, daß dies so ist. Denn was so ganz und gar mit demjenigen zusammenhängt, was des Menschen innerste Wesenheit, seine Persönlichkeit ausmacht, von dem ist es nur natürlich, daß es auch nur im innersten Erleben genügend bewiesen werden kann. – Vorbringen kann man dagegen allerdings nicht, daß eine solche Angelegenheit, weil sie solchem inneren Erlebnis entspricht, ein jeder mit sich selbst abmachen müsse, und daß sie nicht Sache einer Geisteswissenschaft sein könne. Gewiß ist, daß ein jeder selbst das Erlebnis haben muß, wie ein jeder selbst den Beweis eines mathematischen Satzes einsehen muß. Aber der Weg, auf dem das Erlebnis erreicht werden kann, ist für alle Menschen gültig, wie die Methode, einen mathematischen Satz zu beweisen, für alle gültig ist.
GA 13, S. 130ff.

Im Erdenleben führt die Gewalt Ahrimans dazu, das sinnlich-physische Dasein als das einzige anzusehen und sich dadurch jeden Ausblick auf eine geistige Welt zu versperren. In der geistigen Welt bringt diese Gewalt den Menschen zur völligen Vereinsamung, zur Hinlenkung aller Interessen nur auf sich. Menschen, welche beim Tode in Ahrimans Gewalt sind, werden als Egoisten wiedergeboren.
Man kann gegenwärtig innerhalb der Geisteswissenschaft das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt so beschreiben, wie es ist, wenn der ahrimanische Einfluß bis zu einem gewissen Grade überwunden ist. [...] Und so muß es geschildert werden, wenn anschaulich werden soll, was in dieser Daseinsform von dem Menschen erlebt werden kann, wenn er sich den reinen Geistesblick für das wirklich Vorhandene erobert hat. Inwieweit es der einzelne mehr oder weniger erlebt, hängt von seiner Besiegung des ahrimanischen Einflusses ab. Der Mensch nähert sich dem, was er sein kann in der geistigen Welt, immer mehr und mehr. Wie dies, was da der Mensch sein kann, beeinträchtigt wird von anderen Einflüssen, muß [...] scharf ins Auge gefaßt werden.
GA 13, S. 287f.

In der Geisteswissenschaft soll aber die „imaginative“ Erkenntnis als eine solche aufgefaßt werden, welche durch einen übersinnlichen Bewußtseinszustand der Seele zustande kommt. [...] Weil dieser Zustand in der Seele erweckt wird durch die Versenkung in Sinnbilder oder „Imaginationen“, so kann auch die Welt dieses höheren Bewußtseinszustandes die „imaginative“ und die auf sie bezügliche Erkenntnis die „imaginative“ genannt werden. [...] Auf den Inhalt der Vorstellungen, welche das imaginative Erleben erfüllen, kommt nichts an; dagegen alles auf die Seelenfähigkeit, die an diesem Erleben herangebildet wird. [...]
Es kommt darauf an, daß durch die Konzentration auf die entsprechende Vorstellung oder das Bild die Seele genötigt ist, viel stärkere Kräfte aus ihren eigenen Tiefen hervorzuholen, als sie im gewöhnlichen Leben oder dem gewöhnlichen Erkennen anwendet. Ihre innere Regsamkeit wird dadurch erhöht. Sie löst sich los von der Leiblichkeit, wie sie sich im Schlafe loslöst; aber sie geht nicht wie in diesem in die Bewußtlosigkeit über, sondern sie erlebt eine Weit, die sie vorher nicht erlebt hat. [...] Dadurch erlebt sich die Seele in ihrer wahren inneren, selbständigen Wesenheit, während sie sich im gewöhnlichen Tagwachen durch die in demselben vorhandene schwächere Entfaltung ihrer Kräfte nur mit Hilfe des Leibes zum Bewußtsein bringt, sich also nicht selbst erlebt, sondern nur in dem Bilde gewahr wird, das – wie eine Art Spiegelbild – der Leib (eigentlich dessen Vorgänge) vor ihr entwirft.
Diejenigen Sinnbilder, welche in der oben geschilderten Art aufgebaut werden, beziehen sich naturgemäß noch nicht auf etwas Wirkliches in der geistigen Weit. Sie dienen dazu, um die menschliche Seele loszureißen von der Sinneswahrnehmung und von dem Gehirninstrument, an welches zunächst der Verstand gebunden ist. Diese Losreißung kann nicht früher geschehen, als bis der Mensch fühlt: jetzt stelle ich etwas vor durch Kräfte, bei denen mir meine Sinne und das Gehirn nicht als Werkzeuge dienen. Das erste, was der Mensch auf diesem Wege erlebt, ist ein solches Freiwerden von den physischen Organen. [...] Das ist das erste rein geistige Erlebnis: die Beobachtung einer seelisch-geistigen Ich-Wesenheit. [...]
Die Seele muß innerhalb dieser Bilder völlig frei und vollbesonnen walten können. Das gehört zur richtigen Geistesschulung in diesem Punkte. Würde sie dieses nicht können, so wäre sie im Gebiete der geistigen Erlebnisse in demselben Falle, in dem eine Seele wäre in der physischen Welt, welche, wenn sie das Auge nach einem Gegenstande richtete, durch diesen gefesselt wäre, so daß sie von demselben nicht mehr wegschauen könnte. Eine Ausnahme von dieser Möglichkeit des Auslöschens macht nur eine Gruppe von inneren Bilderlebnissen, die auf der erlangten Stufe der Geistesschulung nicht auszulöschen ist. Diese entspricht dem eigenen Seelen-Wesenskerne; und der Geistesschüler erkennt in diesen Bildern dasjenige in ihm selber, welches sich als sein Grundwesen durch die wiederholten Erdenleben hindurchzieht. Auf diesem Punkte wird das Erfühlen von wiederholten Erdenleben zu einem wirklichen Erlebnis. In bezug auf alles übrige muß die erwähnte Freiheit der Erlebnisse herrschen. Und erst, nachdem man die Fähigkeit der Auslöschung erlangt hat, tritt man an die wirkliche geistige Außenwelt heran. An Stelle des Ausgelöschten kommt ein anderes, in dem man die geistige Wirklichkeit erkennt. Man fühlt, wie man seelisch aus einem Unbestimmten als ein Bestimmtes herauswächst. Von dieser Selbstwahrnehmung aus muß es dann weiter gehen zur Beobachtung einer seelisch-geistigen Außenwelt.
GA 13, S. 317ff.

Das andere Erlebnis besteht darin, daß man sein bisheriges Wesen nunmehr wie ein zweites neben sich haben kann. Dasjenige, worin man bisher sich eingeschlossen wußte, wird zu etwas, dem man sich in gewisser Beziehung gegenübergestellt findet. [...] Es ist so, wie wenn man nun in voller Besonnenheit in zwei „Ichen“ lebte. Das eine ist dasjenige, welches man bisher gekannt hat. Das andere steht wie eine neugeborene Wesenheit über diesem. Und man fühlt, wie das erstere eine gewisse Selbständigkeit erlangt gegenüber dem zweiten; etwa so wie der Leib des Menschen eine gewisse Selbständigkeit hat gegenüber dem ersten Ich. [...]
Das zweite – das neugeborene – Ich kann nun zum Wahrnehmen in der geistigen Welt geführt werden. In ihm kann sich entwickeln, was für diese geistige Welt die Bedeutung hat, welche den Sinnesorganen für die sinnlich-physische Welt zukommt. Ist diese Entwickelung bis zu dem notwendigen Grade fortgeschritten, so wird der Mensch nicht nur sich selbst als ein neugeborenes Ich empfinden, sondern er wird nunmehr um sich herum geistige Tatsachen und geistige Wesenheiten wahrnehmen, wie er durch die physischen Sinne die physische Welt wahrnimmt. Und dies ist ein drittes bedeutsames Erlebnis.
Um völlig auf dieser Stufe der Geistesschulung zurechtzukommen, muß der Mensch damit rechnen, daß mit der Verstärkung der Seelenkräfte die Selbstliebe, der Selbstsinn in einem solchen Grade auftreten, den das gewöhnliche Seelenleben gar nicht kennt. [...] Es ist ein starker Trieb da, sich in der Welt beseligt zu fühlen, welche man sich erst selbst herangeschaffen hat. Und man muß gewissermaßen das in der oben erwähnten Art auslöschen können, um das man sich erst mit aller Anstrengung bemüht hat. In der erreichten imaginativen Welt muß man sich auslöschen. Dagegen aber kämpfen die stärksten Triebe des Selbstsinnes an. –
Es kann leicht der Glaube entstehen, daß die Übungen der Geistesschulung etwas Äußerliches seien, das von der moralischen Entwickelung der Seele absieht. Demgegenüber muß gesagt werden, daß die moralische Kraft, die zu der gekennzeichneten Besiegung des Selbstsinnes notwendig ist, nicht erlangt werden kann, ohne daß die moralische Verfassung der Seele auf eine entsprechende Stufe gebracht wird. Fortschritt in der Geistesschulung ist nicht denkbar, ohne daß zugleich ein moralischer Fortschritt sich notwendig ergibt. Ohne moralische Kraft ist die erwähnte Besiegung des Selbstsinnes nicht möglich. Alles Reden darüber, daß die wahre Geistesschulung nicht zugleich eine moralische Schulung sei, ist doch unsachgemäß. [...]
Wenn nun der Mensch aus seinem gewöhnlichen Ich ein höheres herauszieht, so wird das erstere in einer gewissen Beziehung selbständig. Es wird diesem so viel an lebendiger Kraft weggenommen, als dem höheren Ich zugewendet wird. [...] Ist das Maß des geordneten Denkens zu gering, dann wird in dem selbständig gewordenen gewöhnlichen Ich ein ungeordnetes, verworrenes, phantastisches Denken und Urteilen auftreten. Und weil bei einer solchen Persönlichkeit das neugeborene Ich auch nur schwach sein kann, wird für das übersinnliche Schauen das verworrene niedere Ich die Oberherrschaft erlangen und der Mensch das Gleichgewicht seiner Urteilskraft für die Beobachtung des Übersinnlichen nicht zeigen. [...] Und auf dem ethischen Gebiete ist es ebenso. Wenn der Mensch nicht Festigkeit im moralischen Urteil erlangt hat, wenn er nicht genügend Herr geworden ist über Neigungen, Triebe und Leidenschaften, dann wird er sein gewöhnliches Ich verselbständigen in einem Zustand, in dem die genannten Seelenkräfte wirken. Es kann der Fall eintreten, daß der Mensch in dem Feststellen der erlebten übersinnlichen Erkenntnisse nicht einen gleich hohen Wahrheitssinn walten läßt wie in dem, was er sich durch die physische Außenwelt zum Bewußtsein bringt. Er könnte bei so gelockertem Wahrheitssinn alles mögliche für geistige Wirklichkeit halten, was nur seine Phantasterei ist. In diesen Wahrheitssinn hinein müssen Festigkeit des ethischen Urteiles, Sicherheit des Charakters, Gründlichkeit des Gewissens wirken, die in dem zurückgelassenen Ich ausgebildet sind, bevor das höhere Ich zum Zwecke der übersinnlichen Erkenntnis tätig wird. – Es darf dies durchaus nicht zu einem Abschreckungsmittel gegenüber der Schulung werden; es muß aber ganz ernst genommen werden.
GA 13, S. 324ff.

Der sicherste und nächstliegende Weg für den Geistesschüler, zu solchem sinnlichkeitsfreien Denken zu kommen, kann der sein, die ihm von der Geisteswissenschaft mitgeteilten Tatsachen der höheren Welt zum Eigentum seines Denkens zu machen. Diese Tatsachen können von den physischen Sinnen nicht beobachtet werden. Dennoch wird der Mensch bemerken, daß er sie begreifen kann, wenn er nur Geduld und Ausdauer genug hat. Man kann ohne Schulung nicht in der höheren Welt forschen, man kann darin nicht selbst Beobachtungen machen; aber man kann ohne die höhere Schulung alles verstehen, was die Forscher aus derselben mitteilen. Und wenn jemand sagt: Wie kann ich dasjenige auf Treu und Glauben hinnehmen, was die Geistesforscher sagen, da ich es doch nicht selbst sehen kann?, so ist dies völlig unbegründet. Denn es ist durchaus möglich, aus dem bloßen Nachdenken heraus die sichere Überzeugung zu erhalten: das Mitgeteilte ist wahr. [...] Um in diesem Punkte Klarheit zu haben, muß man bedenken, daß das menschliche Denken, wenn es sich energisch innerlich aufrafft, mehr begreifen kann, als es in der Regel wähnt. In dem Gedanken selbst liegt nämlich schon eine innere Wesenheit, welche im Zusammenhang steht mit der übersinnlichen Welt. Die Seele ist sich gewöhnlich dieses Zusammenhanges nicht bewußt, weil sie gewöhnt ist, die Gedankenfähigkeit nur an der Sinnenwelt heranzuziehen. [...]
Dadurch, daß man sich unablässig zum Eigentum macht, was die Geistesforschung sagt, gewöhnt man sich an ein Denken, das nicht aus den sinnlichen Beobachtungen schöpft. Man lernt erkennen, wie im Innern der Seele Gedanke sich an Gedanke webt, wie Gedanke den Gedanken sucht, auch wenn die Gedankenverbindungen nicht durch die Macht der Sinnenbeobachtung bewirkt werden. Das Wesentliche dabei ist, daß man so gewahr wird, wie die Gedankenwelt inneres Leben hat, wie man sich, indem man wirklich denkt, im Bereiche einer übersinnlichen lebendigen Welt schon befindet.
Man sagt sich: Es ist etwas in mir, was einen Gedanken-Organismus ausbildet; aber ich bin doch eines mit diesem „Etwas“. Man erlebt so in der Hingabe an sinnlichkeitsfreies Denken, daß etwas Wesenhaftes besteht, was einfließt in unser Innenleben, wie die Eigenschaften der Sinnendinge durch unsere physischen Organe in uns einfließen, wenn wir sinnlich beobachten. [...] Man braucht nun nur genug vorurteilslos zu sein, um sich dann, wenn das sinnlichkeitsfreie Denken in einem arbeitet, ganz entsprechend zu sagen: es kündigt sich mir ein Wesenhaftes an, welches in mir Gedanken an Gedanken bindet, welches einen Gedankenorganismus formt. [...] Man muß unterscheiden lernen zwischen den Gedankenverbindungen, die man durch eigene Willkür schafft, und denjenigen, welche man in sich erlebt, wenn man solche eigene Willkür in sich schweigen läßt. [...]
Es ist der Weg, welcher durch die Mitteilungen der Geisteswissenschaft in das sinnlichkeitsfreie Denken führt, ein durchaus sicherer. Es gibt aber noch einen andern, welcher sicherer und vor allem genauer, dafür aber auch für viele Menschen schwieriger ist. Er ist in meinen Büchern „Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung“ und „Philosophie der Freiheit“ dargestellt. Diese Schriften geben wieder, was der menschliche Gedanke sich erarbeiten kann, wenn das Denken sich nicht den Eindrücken der physisch-sinnlichen Außenwelt hingibt, sondern nur sich selbst. [...] Es stehen diese Schriften auf einer sehr wichtigen Zwischenstufe zwischen dem Erkennen der Sinnenwelt und dem der geistigen Welt. Sie bieten dasjenige, was das Denken gewinnen kann, wenn es sich erhebt über die sinnliche Beobachtung, aber noch den Eingang vermeidet in die Geistesforschung. Wer diese Schriften auf seine ganze Seele wirken läßt, der steht schon in der geistigen Welt; nur daß sich diese ihm als Gedankenwelt gibt. [...]
GA 13, S. 340ff.

Die Schwelle der geistigen Welt (GA 17)

Diejenigen Denker, welche an der Gültigkeit und Kraft des Denkens selbst zweifeln, täuschen sich über die Grundstimmung ihrer Seele. [...] Vertrauten sie dem Denken wirklich nicht, so zerquälten sie sich nicht mit diesen Zweifeln und Rätseln, welche doch nur die Ergebnisse des Denkens sind.
Wer das hier angedeutete Gefühl in bezug auf das Denken in sich entwickelt, der empfindet in diesem nicht allein etwas, das er in sich als Kraft der menschlichen Seele ausbildet, sondern auch etwas, das ganz unabhängig von ihm und seiner Seele eine Welt-Wesenheit in sich trägt. Eine Welt-Wesenheit, zu welcher er sich hindurcharbeiten muß, wenn er in etwas leben will, das zugleich ihm und der von ihm unabhängigen Welt angehört.
Dem Gedanken-Leben sich hingeben zu können, hat etwas tief Beruhigendes. Die Seele fühlt, daß sie in diesem Leben von sich selbst loskommen kann. Dieses Gefühl aber braucht die Seele ebenso wie das entgegengesetzte, dasjenige des völlig In-sich-selbst-sein-Könnens. In beiden Gefühlen liegt der ihr notwendige Pendelschlag ihres gesunden Lebens. [...]
Von dieser Empfindung ist es dann nicht mehr weit zu dem Schritte, nach welchem die Seele sagt: Nicht ich denke bloß, sondern es denkt in mir; es spricht das Weltenwerden in mir sich aus; meine Seele bietet bloß den Schauplatz, auf dem sich die Welt als Gedanke auslebt.
Diese Empfindung kann von dieser oder jener Philosophie zurückgewiesen werden. Es kann mit den mannigfaltigsten Gründen scheinbar ganz einleuchtend gemacht werden, daß der eben ausgesprochene Gedanke von dem „Sich-Denken der Welt in der menschlichen Seele“ völlig irrtümlich sei. Demgegenüber muß erkannt werden, daß dieser Gedanke ein solcher ist, der durch inneres Erleben erarbeitet wird.
GA 17, S. 10ff.

Für denjenigen, welcher sich in die Geisteswissenschaft finden will, sind Meditationen von Nutzen wie die eben über das Denken vorgebrachte. Für einen solchen handelt es sich doch darum, daß er seine Seele in eine Verfassung bringe, die ihr den Zugang in die geistige Welt öffnet. Dieser Zugang kann dem scharfsinnigsten Denken, kann der vollendetsten Wissenschaftlichkeit verschlossen bleiben, wenn die Seele nichts den geistigen Tatsachen oder ihrer Mitteilung entgegenbringt, die auf sie eindringen wollen. Es kann eine gute Vorbereitung für das Erfassen der geistigen Erkenntnis sein, wenn man öfters gefühlt hat, welche Stärkung in der Seelenstimmung liegt: „Ich empfinde mich denkend eins mit dem Strom des Weltgeschehens.“ –
Es kommt dabei viel weniger auf den abstrakten Erkenntniswert dieses Gedankens an, als vielmehr darauf, in der Seele oft die stärkende Wirkung empfunden zu haben, die man erlebt, wenn ein solcher Gedanke kraftvoll durch das Innenleben strömt, wenn er sich wie geistige Lebensluft im Seelenieben ausbreitet. Es handelt sich nicht allein um das Erkennen dessen, was in einem solchen Gedanken liegt, sondern um das Erleben. Erkannt ist er, wenn er einmal mit genügender Überzeugungskraft in der Seele gegenwärtig war; soll er Früchte zeitigen für das Verständnis der geistigen Welt, ihrer Wesenheiten und Tatsachen, so muß er, nachdem er verstanden ist, in der Seele immer wieder belebt werden. Die Seele muß sich immer wieder ganz von ihm erfüllen, nur ihn in ihr anwesend sein lassen, mit Ausschluß aller anderen Gedanken, Empfindungen, Erinnerungen usw. – Ein solches wiederholtes Sich-Konzentrieren auf einen volldurchdrungenen Gedanken zieht Kräfte in der Seele zusammen, die im gewöhnlichen Leben gewissermaßen zerstreut sind; sie verstärkt sie in sich selbst. Diese zusammengezogenen Kräfte werden zu den Wahrnehmungsorganen für die geistige Welt und ihre Wahrheiten.
GA 17, S. 12f.

Mit seinem Erleben in der Sinneswelt steht der Mensch außerhalb der geistigen Welt, in welcher im Sinne der vorangehenden Betrachtungen seine Wesenheit wurzelt. Welchen Anteil dieses Erleben an der menschlichen Wesenheit hat, ersieht man, wenn man bedenkt, daß das übersinnliche Bewußtsein, welches die übersinnlichen Welten betritt, einer Verstärkung eben der Seelenkräfte bedarf, die in der Sinneswelt erworben werden. [...]
Findet sich aber die Seele stark genug zum Eintritte, erkennt sie in sich die Kräfte, welche ihr gestatten, nach dem Eintritte ihre Wesenheit als selbständige zu behaupten und in dem Felde ihres Bewußtseins nicht nur Gedanken, sondern auch Wesenheiten zu erleben, wie sie es muß in der elementarischen und in der geistigen Welt: so erfühlt sie auch, daß sie diese Kräfte nur innerhalb des Lebens in der Sinneswelt hat sammeln können. Sie sieht die Notwendigkeit ein, in ihrem Weltenlaufe durch die Sinneswelt geführt zu werden.
Insbesondere ergibt sich diese Einsicht durch die Erlebnisse, welche das übersinnliche Bewußtsein mit dem Denken hat. Beim Eintritte in die elementarische Welt erfüllt sich das Bewußtsein mit Wesenheiten, die in Bildform wahrgenommen werden. Es kommt gar nicht in die Lage, innerhalb dieser Welt gegenüber deren Wesenheiten eine ähnliche innere Seelentätigkeit zu entwickeln, wie sie im Gedankenleben innerhalb der Sinneswelt entwickelt wird. – Dennoch wäre es unmöglich, sich innerhalb dieser elementarischen Welt als menschliches Wesen zurechtzufinden, wenn man sie nicht denkend beträte. Man würde ohne denkende Betrachtung wohl die Wesenheiten der elementarischen Welt schauen; man würde aber von keiner in Wahrheit wissen können, was sie ist. Man gliche einem Menschen, der eine Schrift vor sich hat, die er nicht lesen kann; ein solcher sieht mit seinen Augen genau dasselbe, was auch derjenige sieht, der die Schrift lesen kann; Bedeutung und Wesenheit hat sie aber doch nur für diesen.
Dennoch übt das übersinnliche Bewußtsein während seines Verweilens in der elementarischen Welt keineswegs eine solche denkerische Tätigkeit aus, wie sie in der Sinneswelt sich vollzieht. Es ist vielmehr so, daß ein denkendes Wesen – wie der Mensch – im richtigen Schauen der elementarischen Welt die Bedeutung ihrer Wesen und Kräfte mit-wahrnimmt, und daß ein nicht-denkendes Wesen die Bilder ohne deren Bedeutung und Wesenheit wahrnehmen würde.
Wird die geistige Welt betreten, so würden zum Beispiel die ahrimanischen Wesenheiten für etwas ganz anderes gehalten werden, als was sie sind, wenn sie nicht von der Seele als einer denkenden Wesenheit geschaut würden. Ebenso ist es mit den luziferischen und anderen Wesenheiten der geistigen Welt. Die ahrimanischen und luziferisehen Wesenheiten werden von dem Menschen als das geschaut, was sie sind, wenn er sie von der geistigen Welt aus mit dem hellsichtigen Blicke betrachtet, der durch das Denken erkraftet ist.
GA 17, S. 45ff.

Durch alles, was das Zusammenleben mit der Sinneswelt der Seele geben kann, ist diese dann in der Lage, in die elementarische Welt so einzutreten, daß sie in dieser ihre Selbständigkeit, ihre in sich geschlossene Wesenheit nicht verliert. Die Verstärkung, die Erkraftung des Seelenlebens muß erworben werden, damit diese Selbständigkeit beim Eintritte in die elementarische Welt nicht nur als unbewußte Seeleneigenschaft vorhanden ist, sondern auch im Bewußtsein klar festgehalten werden kann. [...]
Durch solches Erkraften der Urteilsfähigkeit wird das richtige Verhältnis der Seele zu den Vorgängen und Wesenheiten der übersinnlichen Welten entwickelt. Um in diesen Welten bewußt zu leben, ist nämlich ein Trieb der Seele notwendig, welcher in der Sinneswelt nicht in der Stärke zur Entfaltung kommen kann, in welcher er in den übersinnlichen Welten auftritt. Es ist der Trieb der Hingabe an dasjenige, was man erlebt. Man muß in dem Erlebnis untertauchen, man muß eins mit ihm werden können; man muß dies bis zu einem solchen Grade können, daß man sich außerhalb seiner eigenen Wesenheit erschaut und in der anderen Wesenheit drinnen fühlt. Es findet eine Verwandlung der eigenen Wesenheit in die andere statt, mit welcher man das Erlebnis hat. Wenn man diese Verwandlungsfähigkeit nicht hat, so kann man in den übersinnlichen Welten nichts Wahrhaftiges erleben. Denn alles Erleben beruht darauf, daß man sich zum Bewußtsein bringt: jetzt bist du in „dieser bestimmten Art“ verwandelt, also bist du lebensvoll mit einem Wesen zusammen, das durch seine Natur die deinige in „dieser“ Weise umwandelt. Dieses Sich-Umwandeln, dieses Einfühlen in andere Wesenheiten ist das Leben in den übersinnlichen Welten.
GA 17, S. 52ff.

Es ist dem menschlichen Bewußtsein innerhalb der Sinneswelt wesentlich, daß das Selbstgefühl der Seele (ihr Ich-Erleben), trotzdem es vorhanden sein muß, abgedämpft ist. Dadurch hat die Seele die Möglichkeit, innerhalb der Sinneswelt die Schulung für die edelste sittliche Kraft, für das Mitgefühl zu erleben. Ragte das starke Ich-Gefühl in die bewußten Erlebnisse der Seele innerhalb der Sinneswelt hinein, so könnten sich die sittlichen Triebe und Vorstellungen nicht in der richtigen Weise entwickeln. Sie könnten nicht die Frucht der Liebe hervorbringen. Die Hingabe, dieser naturgemäße Trieb der elementarischen Welt, ist nicht dem gleich zu achten, was man im menschlichen Erleben als Liebe bezeichnet. Die elementarische Hingabe beruht auf einem Sich-Erleben in dem anderen Wesen oder Vorgang; die Liebe ist ein Erleben des andern in der eigenen Seele. Um dies Erleben zur Entfaltung zu bringen, muß in der Seele über das in ihren Tiefen vorhandene Selbstgefühl (Ich-Erlebnis) gewissermaßen ein Schleier gezogen sein [...].
Die Liebe ist für den Menschen die bedeutsamste Frucht des Erlebens in der Sinneswelt. Durchdringt man das Wesen der Liebe, des Mitgefühls, so findet man in diesen die Art, wie das Geistige in der Sinneswelt sich in seiner Wahrheit auslebt. Es ist hier gesagt worden, daß es zum Wesen des Übersinnlichen gehört, sich in ein anderes zu verwandeln. Wenn das Geistige im sinnlich-physisch lebenden Menschen sich so verwandelt, daß es das Ich-Gefühl abdämpft und als Liebe auflebt, so bleibt dieses Geistige seinen eigenen elementarischen Gesetzen treu. Man kann sagen, daß mit dem übersinnlichen Bewußtsein die Menschenseele in der geistigen Welt aufwacht; man muß aber ebenso sagen, daß in der Liebe das Geistige innerhalb der Sinneswelt aufwacht.
GA 17, S. 58f.

In der geistigen Welt steht man vor völlig neuen Verhältnissen. Man kann da nichts anfangen, wenn man nur die Vorstellungen hat, welche man in der Sinneswelt gewinnen kann. [...] Man muß in die geistige Welt als Menschenseele alles dasjenige mitbringen, was in der Sinneswelt nicht vorhanden ist, was sich jedoch innerhalb derselben als vorhanden bezeugt. Man muß sich in der Sinneswelt Vorstellungen bilden können, zu welchen diese wohl anregt, die aber keinem Dinge oder Vorgange in derselben unmittelbar entsprechen. [...]
Was aber die Seele an richtigen Vorstellungen in die geistige Welt hineinbringt, dem strebt in dieser Welt ein Verwandtes entgegen; die Seele erfühlt in der geistigen Welt, daß dort Wesen vorhanden sind, welche mit ihrem ganzen Innensein so sind, wie innerhalb ihrer selbst nur die Gedanken sind. [...] Wenn das Gefühl der Hingabe, wie es für die Verwandlungsfähigkeit in der elementarischen Welt entwickelt werden muß, so verschärft wird, daß in dieser Hingabe das fremde Wesen, in das man sich verwandelt, nicht nur sympathisch oder antipathisch erfühlt wird, sondern so, daß es mit seiner Eigenart in der Seele, die sich hingibt, aufleben kann, dann tritt die Wahrnehmungsfähigkeit für die geistige Welt ein. Es spricht dann gewissermaßen das eine geistige Wesen in dieser, das andere in einer anderen Weise zur Seele. Und es entsteht ein geistiger Verkehr, der in einer Gedankensprache besteht. Man erlebt Gedanken; aber man weiß, daß man in den Gedanken Wesen erlebt. In Wesen zu leben, die in Gedanken sich nicht bloß ausdrücken, sondern die mit ihrem Eigensein in den Gedanken anwesend sind, heißt mit der Seele in der geistigen Welt leben.
Gegenüber den Wesenheiten der elementarischen Welt hat die Seele das Gefühl, daß diese Wesenheiten die Weltgedanken in ihr Eigensein hereinstrahlend haben, und daß sie sich wollen in Gemäßheit dieses in sie einstrahlenden Weltendenkens.
Gegenüber den Wesenheiten, welche nicht zur elementarischen Welt herabzusteigen brauchen, um das zu erreichen, was der Mensch erst in der Sinneswelt erreicht, sondern welche zu dieser Stufe des Daseins schon in der geistigen Welt gelangen, hat die Menschenseele das Gefühl, daß diese Wesenheiten ganz aus Gedankensubstanz bestehen, daß die Weltengedanken in sie nicht nur einstrahlen, sondern daß die Wesen selbst mit ihrem Eigensein in diesem Gedankenweben leben. Sie lassen völlig die Weltgedanken in sich lebend denken. Ihr Leben verläuft in dem Wahrnehmen der Weltgedankensprache. Und ihr Wollen besteht darin, daß sie sich gedankenhaft zum Ausdrucke bringen können. Und dieses ihr Gedankensein wirkt wesenhaft auf die Welt zurück. Gedanken, welche Wesen sind, sprechen mit anderen Gedanken, welche auch Wesen sind.
Das menschliche Gedankenleben ist das Spiegelbild dieses geistigen Gedankenwesenlebens. In der Zeit, welche für die menschliche Seele zwischen dem Tode und einer neuen Geburt verläuft, ist sie in dieses Gedankenwesenleben so einverwoben, wie sie in der Sinneswelt in das physische Dasein einverwoben ist. Tritt die Seele durch die Geburt (beziehungsweise durch die Empfängnis) in das Sinnessein, so wirkt die Gedanken-Dauer-Wesenheit der Seele so, daß sie das Schicksal dieser Seele ausgestaltet, inspiriert. In dem menschlichen Schicksale wirkt dasjenige, was aus den der Gegenwart vorangegangenen Erdenleben von der Seele verblieben ist, so, wie die reinen Gedankenlebewesen in der Welt wirken.
GA 17, S. 74ff.

In der geistigen Welt sind die Gedanken vollends selbständige Lebewesen. Sollen sie im Bewußtsein verbleiben, so muß die Seele so erkraftet sein, daß sie selbst die Kraft in ihrem Innern entfaltet, die ihr in der Sinneswelt der physische Leib entfaltet, in der elementarischen die Sympathien und Antipathien des ätherischen Leibes. Auf alles dieses muß sie in der geistigen Welt verzichten. Da sind ihr die Erlebnisse der Sinneswelt und der elementarischen Welt nur wie Erinnerungen gegenwärtig. Und sie ist selbst außerhalb dieser beiden Welten. Um sie ist die geistige Welt. Diese macht auf den astralischen Leib zunächst keinen Eindruck. Die Seele muß lernen, für sich selbst von ihren Erinnerungen zu leben. Ihr Bewußtseinsinhalt ist zuerst nur der: ich bin gewesen, und ich stehe jetzt dem Nichts gegenüber. Aber wenn die Erinnerungen aus solchen Seelenerlebnissen kommen, die nicht bloß Abbilder sinnlicher oder elementarischer Vorgänge sind, sondern von diesen angeregte freie Gedankenerlebnisse darstellen, so beginnt in der Seele ein Gedankengespräch zwischen den Erinnerungen und dem vermeintlichen „Nichts“ der geistigen Umwelt. Und was als Ergebnis dieses Gesprächs entsteht, wird Vorstellungswelt im Bewußtsein des astralischen Leibes. [...]
Sie lernt sich in diesem Gespräch als astralische Wesenheit erfühlen. Mit einem Ausdrucke, der alten Traditionen entspricht, kann man sagen: Die Menschenseele erlebt sich als astralische Wesenheit innerhalb des Weltenwortes. Mit dem Weltenwort sind da gemeint die Gedankentaten der Gedankenlebewesen, welche wie lebendige Geistergespräche sich in der geistigen Welt abspielen. Aber durchaus so, daß diese Geistergespräche für die geistige Welt dasselbe sind, was Taten für die Sinneswelt sind.
Will nun die Seele in die übergeistige Welt übertreten, so muß sie durch ihren eigenen Willen ihre Erinnerungen aus der physischen und der elementarischen Welt austilgen. Sie kann das nur, wenn sie aus dem Geistergespräch die Sicherheit gewonnen hat, daß sie ihr Dasein nicht völlig verlieren werde, wenn sie alles das in sich vertilgt, was ihr bisher das Bewußtsein dieses Daseins gegeben hat. Die Seele muß in der Tat sich vor einen geistigen Abgrund stellen, und an demselben den Willensimpuls fassen, ihr Wollen, Fühlen und Denken zu vergessen. Sie muß auf ihre Vergangenheit in ihrem Bewußtsein verzichten. [...] Das übersinnliche Bewußtsein kann zu diesem Willensentschluß kommen, wenn es sich die nötige Seelenstärke erobert hat. Kommt es dazu, dann taucht ihm aus dem selbst hervorgerufenen Vergessen die wahre Wesenheit des „Ich“ auf.
GA 17, S. 85ff.