24.12.2012

Das Mysterium des guten Willens

Der einzige Weg von Konflikten zu inniger Zusammenarbeit

Dieser Text ist eine vertiefte Besinnung über das Mysterium des guten Willens. Aus meiner Erfahrung als Mediator und Berater muss ich sagen, dass die Lösbarkeit tiefgreifender Konflikte und erst recht der Weg zu wirklicher Zusammenarbeit ganz von einer entscheidenden Frage abhängt: Wie sehr ist eine essentielle innere Umkehr möglich – von einem Gegeneinander (und Nebeneinander) zu einem wirklichen guten Willen? Dieser gute Wille kann unendlich vertieft werden, und er führt in die Essenz des Menschseins überhaupt hinein...


In unserer Zeit sind Konflikte allgegenwärtig. So groß die Sehnsucht der Menschen nach einer harmonischen Zusammenarbeit auch sein mag – in unzähligen Fällen scheitert diese und endet in Konflikten. Man versteht sich im Kollegium nicht, man arbeitet gegeneinander, man redet übereinander, man steht allein, ist Einzelkämpfer, oder schließt Allianzen gegen andere Gruppen... Die Folge ist ein umfassendes Scheitern jeder Sehnsucht auf echte Beziehungen und inniges Zusammenarbeiten. Wohin wir auch blicken – dies scheint fast der Normalfall zu sein. Unzählige Einrichtungen stehen vor demselben Problem in verschiedenster Variation.

Dies ist eine zwangsläufige Folge der Bewusstseins- und Seelenentwicklung des modernen Menschen. Der Mensch ist heute in stärkstem Maße auf sich selbst zurückgeworfen, getrennt von allem, was ihn umgibt. Diese Trennung war nie größer als heute. In früheren Zeiten verband die Menschen noch ein gewisses, unfassbares „Etwas“ miteinander, wodurch der Mitmensch einem im seelischen Empfinden noch nicht so fern stand, so fremd, so egal war. Dieses weitreichende Vakuum in der zwischenmenschlichen Beziehung füllt sich dann schnell mit Antipathie, sobald eine Reizung, eine Störung der eigenen Vorstellungen, Interessen und Impulse auftritt. Und wenn es nichts gibt, was eine Verbindung schafft, dann siegt die Antipathie auf der ganzen Linie – und sie kann in kürzester Zeit schwerste Konflikte heraufbeschwören.

Nun sind gemeinsame Ziele und Arbeitsbeziehungen zwar etwas Verbindendes – aber sehr oft sind sie es letztlich doch nicht, denn sehr oft gehen sie nach einiger Zeit über „Zwangsbeziehungen“ nicht hinaus. Man muss mit einigen KollegInnen zusammenarbeiten, aber „am liebsten würde man sie...“. Und statt dass das Ziel eine verbindende Wirkung entfaltet, verliert man „mit diesen KollegInnen“ sogar das eigene Ideal...

In einer „schwächeren Variante“ versteht man sich oberflächlich vielleicht sogar ganz gut, aber etwas Tieferes entwickelt sich trotzdem nicht – erst recht keine tiefere gemeinsame inhaltliche Arbeit. Möglicherweise ist einem das auch ganz recht; oder man leidet zunächst darunter, resigniert jedoch irgendwann. Dann wird zum Beispiel gesagt: „Wir sind einfach zu verschieden; es geht eben nicht. Jeder steht an einem anderen Punkt. Das kann nur jeder für sich machen.“ Die gemeinsame Grundlagenarbeit wird entweder ein kleiner oberflächlicher Konferenzpunkt, der niemals wirklich in die Tiefe führt, oder sie wird sogar ganz zu einem „No go“, zu etwas, was ins „Privatleben“ abgeschoben wird – wo es dann auch nicht stattfindet...

„Beratung“ und „Organisationsentwicklung“ ist heute in aller Munde, vielleicht mehr als jede zweite Einrichtung arbeitet mit irgendeinem Berater zusammen. Sehr oft liegt dann das Augenmerk auf „Strukturfragen“. Immer wieder fragt man sich: Was machen wir falsch, was müssten wir an den Strukturen verändern und neu einführen, damit es „besser läuft“? Wie können wir die Konferenzen anders gestalten, wo können wir Zeiten ändern, wo können wir das „Delegationsprinzip“ einführen usw.?

Selbstverständlich kann man organisatorisch fast immer vieles noch verbessern, gerade in selbstverwalteten Einrichtungen. Aber aus meiner Erfahrung muss ich sagen: Das alles Entscheidende ist der „menschliche Faktor“ – und gerade dieser wird fast immer so intensiv verdrängt, dass die dahinterstehende Angst gleichsam geradezu mit Händen zu greifen ist. Die Suche nach anderen Strukturen ist in der Regel eine Flucht, eine Verleugnung, eine illusionäre Hoffnung, dass es „mit anderen Strukturen“ anders würde...

Fast alle Probleme in Einrichtungen sind zwischenmenschliche Probleme. Selbstverständlich gibt es manchmal auch Probleme in den Strukturen, aber meistens sind die Strukturen an sich gut – zumindest nicht schlechter als anderswo! Das Problem sind die menschlichen Beziehungen. Und diese führen sekundär dazu, dass dann auch die Strukturen nicht ausgefüllt und „gelebt“ werden, sondern dass sie ausgehöhlt und hintergangen werden, dass immer mehr KollegInnen in die „innere Emigration“ gehen, einige sogar äußerlich kündigen oder gekündigt werden... Die Strukturen haben hiermit nicht das Geringste zu tun. Das Grundproblem liegt auf einer ganz anderen Ebene. Es liegt in der Frage: Wie ist echte, tiefe Zusammenarbeit in der heutigen Zeit überhaupt möglich?

In letzter Hinsicht ist dies eine rein menschliche Frage.

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Der Mensch ist in seiner heutigen Seelenverfassung zunächst ganz auf sich gestellt. Es ist hilfreich, sich dies ganz klar zu machen. Man mache sich selbst einmal bewusst, was einem die KollegInnen wirklich bedeuten. In welchem Maße sind sie einem egal? Wie viele sind einem eher (oder sogar sehr) unsympathisch, und wer tendiert auf der eigenen Urteilsskala auf die sympathische Seite? Von welchen KollegInnen kennt man überhaupt mehr als deren Aussehen und deren Tätigkeit? Von wem kennt man auch nur ein wenig die Biographie? Seine familiäre Situation? Seine Ideale? Man wird vielleicht erstaunt feststellen können, dass man von den meisten KollegInnen eigentlich nichts weiß, obwohl man Tag für Tag mit ihnen zusammenarbeitet.

Und wie ist es mit der Sympathie? Warum ist ein Mensch mir sympathisch? Weil er ein angenehmes, vielleicht sogar reizvolles Äußeres hat? Weil er eine angenehme, „sympathische“ Eigenschaft hat? Weil er mir schon manchmal geholfen hat? Weil ich ihm sympathisch bin? Auch dies ist eine Besinnung wert. Und man wird feststellen, dass diese Gründe und Ursachen der Sympathie für gewöhnlich ohne jede Ausnahme selbstbezogen sind.

Nicht wenige Menschen halten sich für „gute Menschen“, weil sie „nett“ zu anderen Menschen sind. Bei Licht besehen stellt sich dann oft heraus, dass es nur ein ziemlich kleiner Kreis von Menschen ist, zu denen sie „nett“ sind – und dass sie es nur deshalb sind, weil diese ganz bestimmten, wenigen Menschen ihnen „sympathisch“ oder aus anderen Gründen angenehm oder nützlich sind. Sich aufgrund dessen für einen „guten“ oder „netten“ Menschen zu halten (und dieses Selbstbild in der Regel auch noch subtil, und sei es unbewusst, zu genießen), ist ein ungeheurer Selbstbetrug. Denn bei alledem ist noch immer ganz der pure Selbstbezug wirksam; diese Art von Nettigkeit und Sympathie ist „keine Kunst“.

Dies mag hart klingen, aber man besinne diese Dinge einmal ganz selbstständig in voller Ehrlichkeit, und man wird die Wahrheit selbst finden. Die Wahrheit ist oft „hart“, weil man sich allzu gerne anders sieht, als man ist. Zunächst ist der Mensch schwach: Lieber, als der Wahrheit ins Auge zu blicken, flüchtet er sich in den Selbstbetrug. Dieser Selbstbetrug ist so vollkommen, dass man oft felsenfest von seiner Wahrheit überzeugt sein kann. Das bedeutet: Ein wesentlicher Teil der eigenen Seele hält ihn mit aller Macht aufrecht...

Vertiefen wir die Besinnung, können wir aber auch ein Weiteres entdecken: Woher kommt dieser Selbstbetrug? Woher kommt die Sehnsucht, sich besser zu fühlen, als man es im Moment ist? Die Tatsache, dass diese Sehnsucht offenbar existiert, zeigt doch nicht nur, dass der Mensch sich gerne selbst betrügt, sondern sie zeigt doch zugleich auch, dass er eine Sehnsucht hat! Diese ist nicht weniger real als der Selbstbetrug. Das aber heißt: Der Mensch will gut sein! Diese Sehnsucht, dieser Wunsch, ist eine ebensolche Realität wie der geschehende Betrug. Statt sich auf den realen Weg zu machen, ein guter Mensch zu werden, wählt er den leichten, aber unwahrhaftigen Weg, sich bereits als guten Menschen zu sehen.

Hier müssen wir um der Klarheit willen einen ganz bestimmten Begriff des „Willens“ einführen (wie es Rudolf Steiner tat): Im Gegensatz zum „Wunsch“, der zunächst eine bloße Vorstellung ist, ist der Wille etwas Reales. Wenn der Wille da ist, dann wirkt er auch; er ist tätig, er schafft die Realität, die er – will.

Der Mensch, der sich nur einredet, ein guter Mensch zu sein, verharrt in der bloßen Wunschvorstellung (die er aber unbewusst zu einer bereits verwirklichten Realität erklärt), während ihm der reale Wille fehlt, die Wahrheit zu erkennen und mit einem realen inneren Streben, also einer echten Willensentfaltung, einer wirklichen inneren Aktivität, zu beginnen.

Derjenige Mensch, der in wahrer Selbsterkenntnis erkennt, dass er noch längst kein guter Mensch ist, dass er noch sehr wenig wahrhaft guten Willen hat, der über die gewöhnliche, bequeme Sympathie hinausgeht, hat in dieser Selbsterkenntnis auch einen Willen entfaltet: den Willen zur Wahrheit. Dennoch kann es sein, dass er nun aber innerlich nicht den Willen aufbringt, über das Bisherige hinauszugehen. Er wünscht sich weiterhin, ein guter Mensch zu sein, er sieht ein, dass dies weniger real ist, als er es sich bisher vorstellte, aber er hat nicht die Kraft, nicht den Willen, sich zu ändern. Oder er versucht es, aber stößt schnell auf Hindernisse: Gewohnheiten, neue Schwächen... Es kann also sogar sein, dass sich der Wille wirklich entfaltet, aber dass er nicht stark genug ist, das Bestehende, das sich ihm nun auf einmal mit aller Kraft entgegenstellt und sich als machtvolles Hindernis erweist, zu überwinden. „Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach“.

Aber – die Sehnsucht, ein guter Mensch zu werden, ist im Menschen anwesend. In einer weiteren, energischen Besinnung kann man nun dieser Sehnsucht nachforschen und versuchen, ihrer Quelle näherzukommen. Woher kommt diese Sehnsucht? Vollzieht man diese Besinnung energisch und ehrlich genug, wird man hier zu feinen Unterscheidungen kommen können. Eine Form einer solchen Sehnsucht entspricht sicher der Sehnsucht nach Anerkennung, nach Zuneigung. Ein guter Mensch wird gemocht... Diese Form der Sehnsucht wäre dann noch sekundär, wäre im Grunde nichts anderes als ein Mittel zum Zweck, ein Weg, auf dem man Zuneigung erreichen kann. Doch kann man wahrhaft ein guter Mensch sein, wenn man es nicht um der Gutheit selbst willen wird? Wenn man „gute Handlungen“ um der Zuneigung und des Fremdbildes willen (das andere Menschen von einem haben) tut, so mögen die Handlungen gut sein, und man kann dann im äußerlichen Sinne als „guter Mensch“ bezeichnet werden, doch diese Handlungen fließen nicht wirklich und nicht vollständig aus dem reinen Willen zum Guten.

Das ist der gute Wille: Er will das Gute um seiner selbst willen – ohne jeden noch so feinen Hintergedanken; ausschließlich deshalb, weil es das Gute ist. Dieses Gute hat dann keine einzige Bedingung – es wird nicht getan, um Zuneigung zu gewinnen. Es wird nicht aus Gewohnheit getan, nicht um der Erwartung anderer willen, nicht aus irgendeiner Furcht, nicht aufgrund irgendeiner Forderung, auch nicht aufgrund abstrakter, überlieferter oder sonst irgendwelcher äußerer Moralvorstellungen – sondern einzig und allein aus einem in diesem Moment aktuell und real tätigen Willen zum Guten und einem realen, individuellen Erleben, was in diesem Moment, in dieser Situation das Gute ist.

Wenn der Mensch in seiner Seele die Sehnsucht hat, ein guter Mensch zu sein, dann gilt der innerste Kern dieser Sehnsucht diesem Willen zum Guten. Es kann sein, dass in der Selbstbesinnung erkannt wird, dass diese Sehnsucht, „ein guter Mensch zu sein“, so stark gar nicht ist; dass in ihr tatsächlich nur sekundäre Motive wirksam sind und dass darüber hinaus gar nichts gewollt, ersehnt wird. Doch wenn nach ehrlicher Absonderung aller noch selbstbezogenen Motive etwas übrigbleibt – etwas, was nicht mit irgendeinem Selbstbezug erklärt werden kann –, dann stehen wir vor der wahren Sehnsucht der menschlichen Seele nach dem Guten. Wir stehen vor dem ersten, innersten Keim des guten Willens.

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Es ist, wie wenn der innerste Kern der Seele eine heilige Sehnsucht hat, während alles, was diesen Kern wie gleichsam in Schichten umgibt, mit dem Selbstbezug zu tun hat – und diesen Selbstbezug immer stärker macht.

Erleben wir diese heilige Sehnsucht in genügender Klarheit – und in der Sicherheit, dass hier wirklich eine Sehnsucht vorhanden ist, von sich abzusehen und ohne jede Vorbedingung das Gute zu tun –, so ist dies eigentlich ein unmittelbarer Beweis dafür, dass der Mensch ein geistiges Wesen ist, dass nur eine geistig-spirituelle Weltanschauung eine wahre Weltanschauung sein kann. Es gibt unzählige Beweise dafür, aber das Wunder des guten Willens ist sicher einer der erschütterndsten. Bloße Materie, bloße Physik und Chemie könnte nie leben. Sie könnte auch nie empfinden, sie könnte nie Gefühle haben, nie denken, sie könnte aber vor allem nie, nie und niemals das Gute wollen...

Gehen wir also mit der gewonnenen (oder zu gewinnenden) inneren Sicherheit von einem spirituellen Welt- und Menschenbild aus! Wenn der Mensch ein geistiges Wesen ist, dann hat er eine ewige individuelle Essenz. Wir lassen im Moment offen, ob es wiederholte Erdenleben gibt, oder ob der Mensch nur für ein einziges – angesichts der Ewigkeit merkwürdig kurzes – Leben in einem irdischen Körper lebt. Wenn er ein ewiges Wesen hat, dann ist der Tod kein Ende, sondern dann ist der Tod der Moment, wo der Mensch alles ablegt, was irdisch ist und was vom Irdischen irgendwie abhängig (geblieben) ist und nicht rein geistig existieren kann.

Folgen wir den sehr detaillierten und ausführlichen Schilderungen Rudolf Steiners, so können wir mit seiner Hilfe sehr genau unterscheiden lernen, was dieses rein Geistige ist und was nicht zu dieser Essenz gehört und damit nach dem Erdenleben vergeht. Das Bleibende ist die ewige Individualität, das „Ich“ – aber nicht das, was wir jetzt in den Leibeshüllen als „Ich“ erleben und was sehr viel mit diesen Hüllen zu tun hat, sondern das reine Ich, die reine individuelle Essenz. Im Tode muss alles abgelegt werden, was nicht ganz in dieses rein geistige Ich aufgenommen worden und mit ihm eins geworden ist: der Körper, die Lebenskräfte, aber auch viel von der Seele, die Gewohnheiten, die Gedanken.

Was aber bleibt dann übrig? Was ist ewig? Was ist durch und durch individuell und bleibt nach dem Tode erhalten, geht weiter durch die Zeit und lebt zugleich in der Ewigkeit? Es ist die Essenz des Individuellen, etwas zunächst kaum Fassbares und doch so Unverwechselbares. Wenn wir einen Menschen erleben, erleben wir seine Individualität – durch alles Unindividuelle hindurch. Wir erleben nicht nur seine körperliche Gestalt, nicht nur seine Gewohnheiten, nicht nur seine hier auf Erden entstandenen Lieblingsmeinungen, sondern durch all dieses hindurch erleben wir eine absolut individuelle Art, sich zu bewegen, die einzigartige, unverwechselbare Art gerade seiner Bescheidenheit oder seines persönlichen Einsatzes, seiner Art, die Gedanken zu formen, und so weiter. Es ist sehr schwer, den Unterschied zu Prägungen, Gewohnheiten usw. deutlich zu machen, aber es geht um dasjenige, was übrig bleibt, wenn man von alledem absieht – und es bleibt dann noch etwas übrig...

Für die innere Entwicklung des Menschen ist es nun sehr wichtig, sich diese Tatsachen sehr klar zu machen: Die Realität des Todes, der irgendwann notwendigerweise kommen wird. Die reale Tatsache, dass mit dem Tode alles außer der innersten individuellen Essenz abgelegt werden muss – auch alle Gewohnheiten, alle irdischen Gedanken. Es fällt alles fort, womit wir uns hier im Irdischen gewöhnlich identifizieren: nicht nur der Körper, auch alle gewöhnlichen Gefühle, alle Lieblingsmeinungen, alle Urteile, alles Wissen, die ganze Art des irdischen Denkens...

All dies ist hier im irdischen Dasein nur deshalb da, weil unser geistiges Wesen sich in die Körperlichkeit und damit in die Materie inkarniert. Erst durch diese Hineinkörperung, ja Hineinstauchung in die Materie tritt das auf, was unser irdisches Bewusstsein ausmacht: Die starke Identifikation mit dem eigenen Körper, die Trennung zwischen Ich und Welt, die Sonderung, der Egoismus, das Gegeneinander, das Entweder-Oder. All dies sind Kennzeichen der irdisch-materiellen Welt. Im Irdischen können sich die materiellen Körper nicht durchdringen, entweder der eine Körper ist an diesem Ort oder der andere. Im Geistigen gelten ganz andere Verhältnisse. Doch der Geist wird in die Leiblichkeit geführt – und nimmt ein Bewusstsein an, das der materiell-physischen Welt entspricht. Er erlebt sich als getrennten Ich-Punkt inmitten einer umfassenden Welt getrennter anderer Dinge und Ich-Punkte, die ihm fremd sind...

In und mit diesem irdischen Körper erlebt man sich, seinen Ich-Punkt, nun gewissermaßen als Mittelpunkt der Welt. Alles andere umgibt einen, aber man schaut immer von sich aus, und man selbst ist immer der Mittelpunkt. Egal, wo man steht und wohin man geht – den eigenen Mittelpunkt nimmt man immer mit... Dies gilt nicht nur für die räumliche Wahrnehmung, sondern auch für die seelische Aktivität. Wenn man fühlt, dann fühlt man das Gefühlte auf sich bezogen. Wenn man nachdenkt, dann ist man überzeugt, die richtigen Gedanken zu denken – wenn der Andere etwas anderes denkt, irrt er selbstverständlich. Wenn man urteilt, dann ist man überzeugt, das einzig richtige oder zumindest das richtigste Urteil zu fällen. Im Zweifel lässt man sich angesichts unleugbarer Tatsachen im Nachhinein auch mal eines anderen belehren – aber beim nächsten Mal beginnt man erneut mit einer ebenso festen Überzeugung, deren Zentrum man ist.

Der Leib, die Gewohnheiten, die Lieblingsgedanken – all dies führt dazu, dass wir fortwährend bei uns bleiben, dass wir immer wieder auf uns als Zentrum zurückgeworfen werden und dieses Zentrum auch nach außen hin vertreten. Ich bin der Mittelpunkt der Welt, es geht um mich, um meine Bedürfnisse, meine Gefühle, meine Gedanken, meine Urteile.

Es ist wohl deutlich, dass wir auf diese Weise nie auch nur einen Schritt auf den anderen Menschen zu machen könnten...

Nun hat der Mensch aber auch die Sehnsucht nach Verständigung, nach Beziehung, nach Zusammenhang. Aber wird seine Sehnsucht erfüllt? Kann er selbst sie erfüllen? Gewiss hört man natürlich auch anderen Menschen zu; hat vielleicht auch gelernt, bis zu Ende zuzuhören, nicht gleich alles abzulehnen und so weiter... Und dennoch bleibt die Sache fragwürdig, denn kommt man irgendwo wirklich von sich selbst los? Selbst wenn man zuhört, nimmt man sich doch immer mit. Man sagt: „Ich will ihm ganz zuhören“ und vielleicht gelingt es auch wirklich, nicht sofort eigene Gedanken und Assoziationen zu haben, aber spätestens wenn der Andere dann fertig ist, entsteht doch geradezu zwangsläufig das eigene Urteil und die eigene Meinung über das Gesagte. Man hat dieses Urteil zwar für gewisse Zeit unterdrückt (was schon unendlich schwer war), aber das Urteil konnte sich gewissermaßen beruhigt zurücklehnen, denn am Ende durfte es natürlich doch hochkommen...

Scheinbar ist man „ganz beim Anderen“ – aber man hat sich ja zum Anderen mitgenommen! Scheinbar ist man verständnisvoller, aufmerksamer, steht dem Anderen gar nicht distanziert gegenüber, sondern ist ihm ganz nahe – aber im Grunde ist man nur äußerlich näher beieinander, ist „kollegialer“, vielleicht jovialer, fühlt sich „verständnisvoller“, aber all dies täuscht auf einer sehr subtilen Ebene nur darüber hinweg, dass man dem Anderen zwar „nähergerückt“ ist – aber ohne seine eigenen Urteile, Meinungen etc. aufzugeben. Eine wirkliche Begegnung mit dem Anderen ist so nicht möglich. Im Extremfall kommt es stattdessen zur seelischen Vergewaltigung des Anderen (was auf andere Weise natürlich auch „aus der Distanz“ geschehen kann)!

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Im beruflichen Zusammenhang spricht man oft von „Professionalität“. In pädagogischen und ähnlichen Zusammenhängen spricht man nicht selten auch von „professioneller Distanz“. Damit soll ausgedrückt werden, dass dem Schüler bzw. anderen Menschen dessen Integrität gelassen werden muss – und auch, dass der Pädagoge sich selbst nicht voll involvieren soll, weil er dann ebenfalls seine „Professionalität“ oder „Objektivität“ verliere. In dieser Weise verstanden, ist der Begriff jedoch recht zweifelhaft, denn auch hier gilt, dass der Mensch sich bei alledem immer „mitnimmt“. Man kann auch sehr „distanziert“ einen anderen Menschen demütigen. Und umgekehrt kann man durch ebenso falsch verstandene Distanz seine besten pädagogischen Fähigkeiten verdorren lassen. Aber auch die „Objektivität“ ist allein durch Distanz nicht zu erreichen – man kann auch aus der Distanz sehr subjektiv blicken und urteilen...

Was übersehen wird, ist, dass eine andere Distanz viel entscheidender wäre: eine „professionelle Distanz“ ... von sich selbst! Und mit „professionell“ meine ich hier eine wirkliche Fähigkeit. Diese Distanz bedeutet nicht, dass man nun auch noch sich selbst so abstrakt und entfremdet gegenüberstehen soll wie zuvor schon der übrigen Welt, sondern sie bedeutet einen ganz anderen, alles entscheidenden Schritt: Man muss lernen, sich von dem zu distanzieren, was einen zum absoluten Mittelpunkt macht.

Man muss lernen, aus sich hinauszugehen, und sich dabei mitzunehmen – aber nun eben genau umgekehrt wie oben geschildert. Herausgehen tut man aus dem, womit man zuvor immer fest verbunden geblieben war (selbst dann, wenn man meinte, einem anderen „ganz“ zuzuhören) – und mitnehmen tut man das, was einem bis dahin ganz unbekannt und unbemerkt geblieben war, nämlich die Essenz des eigenen Wesens. Man lässt dasjenige zurück, was man bisher immer mitgenommen hatte und was dann letztlich doch immer die eigenen Gedanken gedacht, die eigenen Gefühle gefühlt, die eigenen Meinungen gehabt und die eigenen Urteile gefällt hat – und man nimmt nur sein innerstes Wesen mit, diejenige Essenz, die so rein ist, dass sie alles abgelegt hat, was auch im Tode alles abgelegt wird.

Mit dieser reinen Essenz, diesem innersten Seelenkern, ist man dann beim Anderen, hört ihm zu, schaut mit ihm, denkt mit ihm, fühlt mit ihm und versteht ihn ... von seinem Standpunkt aus.

Zunächst kann man dies absolut nicht, man vermag es einfach nicht. Man nimmt sich zu großen Teilen doch immer weiter mit und vermag es nicht, von sich, von all seinen Gedanken, Vorstellungen, Urteilen abzusehen. Aber es gibt keinen anderen Weg zum anderen Menschen, als dies zu üben! Wie kann man von sich loskommen? Wie kann man zu einer „professionellen Distanz“ von sich selbst kommen, um mehr und mehr nur noch mit dem vereint zu sein, was die eigene reinste, geistige Essenz ist?

Im reinen Denken – auf das Rudolf Steiner und heute die niederländische Anthroposophin Mieke Mosmuller – immer wieder hinweist, kommt der Mensch von sich los. Er denkt Inhalte, die mit der sinnlich-materiellen Welt und seinem persönlichen Leben nichts mehr zu tun haben – und schließlich lernt er sogar, ganz ohne Inhalte nur noch die Kraft des Denkens zu entfalten.

Ein solches reines Denken ist zum Beispiel das mathematische. Man kann einen Kreis denken – nicht nur vorstellen, sondern wirklich denken. Dazu gehört, dass man sich ganz bewusst wird, was gesetzmäßig ein Kreis ist, was sein Bildegesetz ist, und dass man diesen Kreis aktiv denkt. Es geht aber nicht um einen Kreis, sondern um den Kreis, um den Begriff des Kreises. In einem Übergang kann man zum Beispiel den zunächst gedachten und innerlich auch noch vorgestellten Kreis in aktivem, inneren Tätigsein größer und größer werden lassen, immer größer... Was geschieht dann? Wenn er unendlich groß wird, wird er zugleich zur Geraden. Und wenn er noch größer wird, stülpt sich diese Gerade nach unten um, und der „neue“ Kreis wird langsam wieder kleiner, immer kleiner... Dies kann man viele Male hintereinander innerlich aktiv formen, und man wird bemerken, wie man diese innere aktive Tätigkeit immer mehr in die Hand bekommt, sie auch immer noch weiter verstärken kann. In einem nächsten Schritt kann man nun versuchen, wirklich den Kreis zu denken, nur zu denken – den Begriff des Kreises, ohne irgendeine „sichtbare“ Vorstellung eines Kreises. Man weiß unmittelbar, welches Gesetz dem Kreis zugrunde liegt – und nun versucht man, rein zu denken, ohne vorzustellen. Auch dies kann man immer stärker, immer besser, immer realer tun.

Wenn einem dies wirklich gelingt und man diese Übung des reinen Denkens energisch verfolgt, wird man deutlich erleben können, wie einen dies von allem Persönlichen fortführt und immer fähiger macht, jenseits dieses zurückgelassenen Persönlichen innerlich aktiv und bewusst zu sein. Dann aber kann man auch immer mehr ebenso selbstlos – und dennoch bewusst und innerlich aktiv – bei dem anderen Menschen sein! Übt man das reine Denken, so übt man zugleich die reale Brücke zum anderen Menschen. Man übt die volle Zurückhaltung alles Eigenen und das voll bewusste, aktive Anwesendsein in etwas Anderem. Nichts von einem selbst ist hier mit dabei, nur noch die reinste innere Aktivität, die eigene Essenz, die unverfälscht das Andere wahrnimmt, erlebt.

Das Ganze ist ein langer, nicht endender Übungsweg – und man darf nicht wiederum verschiedenen Arten von Selbstbetrug erliegen und glauben, weiter zu sein, als man ist! Die Klarheit und Bewusstheit wird auf diesem Wege immer größer, aber die Versuchungen der Illusionen und des Selbstbetruges werden einen natürlich noch lange begleiten – so lange, bis man fähig wird, sich in absoluter Wahrhaftigkeit und unerschütterlicher Selbsterkenntnis anzuschauen, um alle noch verbliebenen Schwächen bis ins Detail zu erkennen...

Überhaupt ist die Selbstbesinnung und auch die regelmäßige Rückschau ein weiteres wichtiges Element, um von sich loszukommen. Entfaltet man den realen Willen zu dieser Selbstbesinnung und Selbsterziehung, wird eine neue Kraft in einem wirksam, die einen sowohl von sich losreißt als auch zu sich selbst hinführt. Sie reißt los von dem Subjektiv-Persönlichen, von dem Mittelpunkts-Ich, und sie führt hin zu demjenigen Ich, das man in Wahrheit ist. Diese Selbsterziehung ist ja letztlich nichts anderes als ein „entsagungsreiches“ Sich-Lösen von allem, was man bisher als „ich“ bezeichnet hatte – und was bleibt, ist eigentlich einzig und allein der Wille selbst: der Wille zur Selbsterziehung, zur Selbstverwandlung, zur Läuterung... Was hier geschieht, ist eine allmähliche, immer vollkommenere Umschmelzung des gewöhnlichen (Mittelpunkt-)Selbst zu einem höheren Selbst, das ganz mit der Essenz eins ist und das überall, in allem sein kann, ohne sich zu verlieren – es ist nicht mehr Mittelpunkt, es kann in unendlich vielen anderen Mittelpunkten vorübergehend „Wohnung nehmen“. Es ist Umkreis geworden...

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Wir sind ausgegangen von der Entdeckung der Sehnsucht des Menschen, ein guter Mensch zu sein. Zunächst konnten wir noch zweifeln, welche Motive dieser Sehnsucht zugrunde liegen – und die Sehnsucht nach einem positiven Selbstbild, die Wunschvorstellung, bereits ein guter Mensch zu sein, bestätigt die Zweifelhaftigkeit der menschlichen Seele. Doch wenn der Mensch so weit kommt, seine innerste Sehnsucht ernst zu nehmen und den Weg der Selbsterziehung und Selbstverwandlung durch Entfaltung eines realen Willens wirklich zu betreten, kann es keinen Zweifel an der wahren Bedeutung dieser Sehnsucht und dieses Tuns mehr geben.

Je mehr der Mensch auf diesem Weg voranschreitet, desto tiefer erlebt er, dass er hier real auf dem Weg zur wirklichen Menschwerdung ist! Der Mensch befreit sich von sich selbst und befreit sich zugleich zu sich selbst. Das Betreten des Weges der Selbsterziehung ist ein Befreiungserlebnis. Der Mensch beginnt, einen realen Willen zu entfalten. Diese Realität wird als eine solche erlebt. Nur ein absolut realer Wille vermag es, sich von sich selbst zu lösen! Man löst sich von dem, was man geworden ist, und man geht dem entgegen, der man werden will.

Auf diesem Weg der Selbsterziehung muss jeder einzelne Schritt durch Entfaltung des Willens errungen werden. Denn das, was man geworden ist; der, der man geworden ist; der unverwandelte Teil des eigenen Seelenwesens (und natürlich auch die Leiblichkeit) will einen festhalten. Mit dem Erleben der Befreiung und der ersten kleinen Schritte geht auch das Erleben der Hindernisse und der Rückschläge einher. Es ist, als ob sich eine wütende Meute von Widersachern erhebt, die nicht zulassen will, dass hier eine Seele den Weg der Selbsterziehung geht. Und dies ist auch wirklich der Fall! Rudolf Steiner, der große Eingeweihte des Geistes, beschrieb im Detail, wie diese Widersachermächte tatsächlich existieren und wie sie alles daran setzen, den Menschen von diesem Weg abzuhalten – geht ihnen doch eine Seele verloren, die zu ihrem wahren Wesen finden will!

Der Mensch, der sich auf den Weg der Selbsterziehung begibt und sich zugleich in Rudolf Steiners Werk vertieft, wird sich der Realitäten auf diesem Gebiet sehr bewusst. Er erlebt immer mehr den Gegensatz, in den er als leiblich verkörpertes geistiges Wesen mitten hineingestellt ist. Das Ziel seiner Sehnsucht nach dem Guten wird ihm immer tiefer erlebbar als etwas, was „nicht von dieser Welt ist“, was vielmehr wie ein völlig neuer Einschlag in dieser Welt wirken kann, wenn der Mensch den Willen zum Guten in sich aufnimmt. Zugleich erlebt man immer mehr, wie auch das eigene Wesen, das diese Sehnsucht hat, nicht von dieser Welt ist, in der das Leibliche, die Materie, das Beharrende, das Statische, das Verhindernde, das Selbstbezogene „Herrscher“ ist.

Je deutlicher man aber dies alles erlebt: Das als Befreiung erlebte Geschehen dieser Aktivität, das eigene Wesen und das Ziel der Sehnsucht nach dem Guten – um so mehr empfindet man die unendliche Bedeutung alles dessen. Man strebt nach dem Wertvollsten und Heiligsten, nach dem die Seele streben kann. Man strebt nach der Verwandlung der eigenen Seele, die lernen will, von sich abzusehen, um den realen Willen zum Guten aufzunehmen. Aber man erlebt immer mehr, dass das Wesen und die reale Kraft des Guten aus dem hohen Wesen der Liebe selbst hervorgehen – aus jenem Wesen, das durch Tod und Auferstehung ging und das Wesen der Auferstehung ist.

Diesem Wesen hat die Seele es zu verdanken, wenn sie zu ihrer Sehnsucht auch die Kraft findet, den Weg zum Guten, zur Entfaltung des guten Willens wirklich zu betreten. Diesem Wesen verdankt sie es, wenn sie angesichts der unvermeidlichen Rückschläge immer wieder die Kraft findet, wiederum aufzustehen und weiterzustreben. Fort von sich selbst, hin zu sich selbst, und hin zu dem Wesen der Liebe. Innig durchdringen sich auf diesem Weg die Sterbeprozesse und die Prozesse der Geburt des Neuen. Aus dem, was mit dem Tode vergehen muss und was nun schon vor dem physischen Tod mehr und mehr überwunden und verwandelt wird, wird das geboren, was nicht vergeht, sondern ewig ist. Und der innere Mensch, der auf diese Weise geboren wird – er ist ein Meister der Begegnung und ein Meister der Liebe, denn er kann fortwährend in den Anderen hineinsterben, um in ihm aufzuerstehen...

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Niemand darf erwarten, auf diesem Wege Fortschritte zu machen, ohne die Hindernisse kennenzulernen und ohne dass seine Sehnsucht auf ihre Stärke und ihren Ernst hin geprüft werden wird... Es ist hier zugleich ein Ideal geschildert. Aber wo auch immer die Seele steht und wie groß die Hindernisse auf ihrem Weg auch sein werden: Es gibt keine begeisterndere Perspektive, keinen lohnenderen Weg – nicht für jene Seele, die in diesem Weg die Erfüllung ihrer wahren Sehnsucht erkennt!

Selbstverständlich wird sich der noch unverwandelte Teil der Seele dagegen wehren... Dieser Teil wird sich gegen alle Versuche der Selbsterziehung wehren, er wird sogar schon die Begeisterung ablähmen und abschneiden, er wird die Sehnsucht der Seele nach dem Guten lächerlich machen oder als Illusion hinstellen, er wird alles tun, damit der Weg nicht betreten und nicht beibehalten wird.

Es ist dann die alles entscheidende Frage, welcher Teil der Seele die Oberhand behalten wird. Ist der reine, innerste Teil der Seele stark genug? Ist die Sehnsucht stark und klar genug? Die Erkenntnis von der Bedeutung des Weges und seines Zieles? Sucht die Seele die Verbindung zu jenen Wesen, unter deren Schutz dieser Weg steht...? – Oder ist die Sehnsucht, ist der Wille noch zu schwach? Wird zwar vieles gewünscht, aber noch zu wenig wirklich gewollt und in Angriff genommen? Überrollt einen der Alltag immer wieder, überrollt die Realität alle guten Vorsätze?

Wenn dies der Fall ist, dann vertiefe man sich in ruhigen Stunden in seine Sehnsucht. Man kann gleichsam sein Wesen in sie versenken und dadurch die Sehnsucht selbst tiefer und inniger werden lassen... Man kann auch auf die ersten kleinen Fortschritte seiner anfänglichen Bemühungen in der Selbsterziehung achten: Man versuche zu erleben, wie sich die Begegnungen mit anderen Menschen tatsächlich mehr und mehr vertiefen, wenn es gelingt, die beschriebene Brücke zu schlagen, weil es gelingt, den eigenen Mittelpunkt zu verlassen. Aber das Wichtigste bleibt doch, sich auf dasjenige zu besinnen, was man wirklich will. Dieser wirkliche Wille ist nicht der alltägliche Wille, sondern entspricht der innersten, verborgensten, oft noch ganz schwachen Sehnsucht. Darum ist es wichtig, sich in diese zu versenken. Erst dadurch kommt diese Sehnsucht nach und nach zu einem realen Dasein, wird das wahre Wesen der Seele, die reale Kraft des höheren Willens, in die irdischen Bedingungen „hereingezogen“, gewinnt die Kraft, sich zu offenbaren und im Irdischen, gegen alle Widerstände, zu wirken... Die Sehnsucht wird realer Wille, eine willenshafte innere absolute, unmittelbare Realität, der höhere Mensch wird geboren...

Der Mensch, der den wirklichen Willen hat, das Gute zu tun, dem wird diese Kraft um seines unerschütterlichen Willens willen geschenkt werden. Und wenn sich zwei oder drei Menschen in diesem guten Willen begegnen, dann wird das Wesen des guten Willens mitten unter ihnen sein...

Dies ist wahre Gemeinschaftsbildung. Anders ist sie nicht möglich, anders kann sich die wahre Sehnsucht des Menschen nicht erfüllen...