10.12.2001

Der Terroranschlag vom 11. September 2001

  • Der ökonomische Terror der westlichen Welt
  • Doppelte Moral
  • Die wirklichen Interessen

Der ökonomische Terror der westlichen Welt

Der Terroranschlag vom 11. September war eine von Haß getriebene Tat. Haß hat einen Boden, auf dem er wachsen kann, hinter dem Haß liegt ein Abgrund von Qual – was wissen wir wirklich darüber? Wer eine erbarmungslose Politik ökonomischer Dominanz verfolgt, kann das Leiden anderer nicht empfinden, ja er ist ebenso ein Terrorist. Der Anschlag vom 11. September ist in Wahrheit ein Versagen der westlichen Welt. Das Leid und auch die Wut der Armen in der Welt wird sich immer mehr steigern. Das Versagen der westlichen Politik hinsichtlich der verschiedensten Konflikte ist offenbar. Und es ist ganz klar eine seelische Unfähigkeit, alles Böse immer woanders und nicht innerhalb der eigenen Person zu suchen. Von Jeremy Rifkin stammt der Satz: Die Amerikaner geben mehr für Kosmetik aus und die Europäer mehr für Eiskrem, als es kosten würde, den zwei Milliarden Menschen auf der Erde Grundschulbildung, sauberes Wasser und sanitäre Anlagen zu garantieren, die gegenwärtig ohne Schulen oder Toiletten leben müssen (Das Verschwinden des Eigentums, New York 2000).

Wäre das Mitgefühl mit den Opfern des 11. September ernst, dann fühlten wir uns ganz persönlich aufgerufen, Konsequenzen zu ziehen und nicht wieder so rasch wie möglich `in die Normalität´ zurückzukehren. Wir spielen die fragwürdige Rolle des tugendhaften Ritters, der den Widersacher durchschaut zu haben glaubt und zu bekämpfen sich aufgerufen fühlt. Wir versuchen, das Netzwerk von bin Laden hinwegzubomben und legen dabei ein ganzes Land in Schutt und Asche. Bei uns dagegen finden wie immer die Fußballspiele und das Oktoberfest statt, als wenn die Menschheit nicht langsam vor allergrößten Fragen stünde.

Bush will „das Böse“ durch eine Militäroperation aus der Welt schaffen, die radikal-islamistische Gegenseite sieht die USA als „den großen Satan“ an. Ehrlich wäre das Eingeständnis, daß die religiösen und ethischen Werte („Zivilisation“) auf unsere Kultur nur noch wie ein Lack aufgetragen sind, der abplatzt, wenn es ernst wird. Andere Kulturen schauen die unsere mit Recht als gottlos an. Gottlos, weil der Westen mit der ganzen Macht, die er hat, seine Lebensweise durchsetzen will – zunächst einmal in einer vollkommen ungehemmten „Weltwirtschaft“, was vor allem heißt, daß die Produkte der Industrieländer jeden Platz der Welt überschwemmen dürfen. Daß die bescheidene Binnenwirtschaft in den „unentwickelten“ Ländern selbst diesem Ansturm nicht standhalten und zusammenbrechen wird, ist für die Theoretiker der Mächtigen nicht wichtig bzw. wahrscheinlich sogar ein erwünschter Nebeneffekt. In diesem Sinne sind die sogenannten „Globalisierungsgegner“ die vielleicht einzigen Weltbürger, weil sie wirklich die Eine Welt ins Bewußtsein nehmen.

Inzwischen ist aus dem „Kampf gegen den Terror“ ansatzweise schon ein zweiter Terror gegen die eigene Bevölkerung geworden. Verschärfte „Antiterror-Gesetzespakete“ sollen die „innere Sicherheit“ in den westlichen Ländern gewährleisten. Immer weniger weiß man, wer hier eigentlich vor wem geschützt werden soll. Aber die erweiterten Möglichkeiten von Polizei und Sicherheitsdiensten werden natürlich sofort genutzt, um unliebsamen Personen ihre freiheitlichen Grundrechte zu beschneiden. Die Einschränkung der Reisefreiheit kann nun auch auf „gewaltbereite Globalisierungskritiker“ ausgedehnt werden (dies ist eigentlich eine Erweiterung der Anti-Hooligan-Gesetze, liegt aber in derselben Tendenz wie die Anti-Terror-Gesetze). Was „gewaltbereit“ heißt, definiert natürlich die Polizei, und der reicht es schon, wenn eine Person überhaupt auf einem Video einer Anti-Globalisierungs-Demonstration zu sehen ist. Inzwischen wurde aufgedeckt, daß die schwedische Polizei nach den Demonstrationen von Göteborg Videomaterial zu ihren Gunsten zurechtgeschnitten hat...

Doppelte Moral

Bush sprach in seiner ersten Rede, in der er versprach, „das Böse aus der Welt zu schaffen“ spürbar mit dem Anspruch eines allerchristlichsten Staatenlenkers. Welche Heuchelei! Oder wenn es ernst gemeint war: welche Verblendung und welcher Wahnsinn! Die USA sind der weltgrößte Waffenexporteur; sie unterstützen die Terroristen, die sie später bekämpfen (Hussein gegen Iran, Rote Khmer gegen Vietnam, UCK gegen Milosewic...); sie definieren selbstherrlich die „Schurkenstaaten“ (gegen Pakistan wurden nun die Sanktionen aufgehoben, die das Land an den Rand des Ruins brachten). Der CIA hat weltweit in völkerrechtswidrigen Machenschaften seine Hände im Spiel, wie auch nur der oberflächlichste Blick in die Geschichte der US-Außenpolitik zeigt. Die USA weigern sich immer öfter, rechtlichen Regelungen und Verträgen beizutreten (Landminenvertrag, B-Waffen-Abkommen, Internationaler Strafgerichtshof), sie zu fördern (Kyoto-Prozeß zum Klimaschutz) oder sie einzuhalten (UNO-Beiträge). Die USA wollen bin Laden „tot oder lebendig“, boykottierten aber 1998 die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes. In ihren Kriegen betreiben sie schwere Zensur und Propaganda, die den früheren Verlautbarungen der sowjetischen Führung in nichts nachstehen. Bush hält sich offenbar schlichtweg für den Fürsten dieser Welt: Alle, die sich dem Kreuzzug gegen den Terrorismus nicht anschließen, haben dieselben Repressalien zu erwarten wie die Terroristen selbst.

Bush behauptet, ein Streiter für die Freiheit zu sein (wörtlich am 12.9.: Amerika wurde zum Angriffsziel, weil wir in der Welt die strahlendste Fackel der Freiheit und der Selbstverwirklichung sind). Doch Freiheit ohne Gerechtigkeit ist nur ein Synonym für das „Gesetz des Dschungels“ – für das Faustrecht der Neuzeit. Dabei geht es den USA gar nicht um weltweite demokratische Freiheit. Die USA setzen von Marroko bis Saudi-Arabien auf dekadente, monarchische Systeme. Während des Kalten Krieges wurde der Islam wahlweise als „fundamentalistisch“ bezeichnet oder im Sinne „freier Religionsausübung“ in Schutz genommen, um nicht die Demokratie und damit den Kommunismus zu riskieren (z.B. in Algerien). Die US-Außenpolitik der letzten 50 Jahre bestand darin, Diktatoren im Amt zu halten und zu bewaffnen: Marcos (Philippinen), Suharto (Indonesien), Duvaliers (Haiti), Mobutu (Zaire) u.v.a.; 1953 stürzte die CIA den iranischen Ministerpräsidenten, um den Schah an die Macht zu bringen. Jetzt wird für Afghanistan der schon 1973 gestürzte 80j. Muhammad Zahir Shah wieder ausgegraben, weil sich nur um ihn herum die Warlords und alten Mudjaheddin nicht sofort gegenseitig zerfleischen. Welche demokratischen Kräfte es in Afghanistan gibt, interessiert niemanden. Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung stellte fest:

Der Anschlag selbst – den ich missbillige und verurteile – sollte schon auch als Vergeltung für die US-Politik des 'big stick', Vergeltung für die 'Neue Weltordnung', die so viel Armut schafft, gesehen werden. Diese Armut ist eine der Wurzeln des islamischen Fundamentalismus! Die USA haben 228 Militärinterventionen ohne Mandat der UNO durchgeführt. Mit Hilfe ihres Geheimdienstes CIA sind von 1949 bis 1987 an die sieben Millionen Menschen umgebracht worden. Das waren zumeist kleine Leute in sogenannten 'linken' Organisationen in Indonesien, auf den Philippinen, im Iran des Schah, im Sudan unter Numeiri, im NATO-Land Türkei, in Latein- und Zentralamerika, in Guatemala, El Salvador.

Die wirklichen Interessen

Die Politik, die jetzt vertreten wird – eine unbeschränkte Ausweitung amerikanischer Militäraktionen im Ausland und ein hartes Durchgreifen gegen die Vertreter abweichender Meinungen im Innern – wurde von langer Hand vorbereitet. Jeder größere Krieg, den die USA seit ihrer Entstehung als imperialistische Weltmacht geführt haben setzte als Katalysator einen Vorfall voraus, an dem sich die öffentliche Meinung entzündete. Seit Jahren machen sich die reaktionärsten Teile der in den USA herrschenden Kreise auf den Kommentarseiten des Wall Street Journals für ein Ende des "Vietnamsyndroms" stark und fordern den ungehemmten Einsatz militärischer Gewalt, um die Interessen des US-Imperialismus zu wahren. Was bisher die Verwirklichung dieser Pläne verhinderte, war das Fehlen jeder nennenswerten Unterstützung in der amerikanischen Bevölkerung und der Widerstand der Rivalen in Europa und Asien.

Noch am frühen Morgen des 11. September stand Bush einer Regierung vor, die in einer tiefen Krise steckte. Er verdankte sein Amt der betrügerischen Manipulation von Wahlergebnissen; Millionen in den USA und weltweit sprachen seiner Regierung die Legitimation ab. Dazu kam die zunehmende Rezession. Der Haushaltsüberschuss löste sich in Luft auf und Bush mußte sein Versprechen, die Rücklagen für soziale Sicherungssysteme nicht anzutasten, rückgängig machen. Die gedrückte Stimmung schlug nahezu in Panik um, als die Arbeitslosenzahlen für August zeigten, dass die Arbeitslosenrate innerhalb nur eines Monats von 4,5 auf 4,9 Prozent angestiegen war. Im August waren nahezu eine Million Arbeitsplätze vernichtet worden. Im Hinblick auf zahlreiche Fragen – Raketenabwehr, globale Erwärmung, internationaler Gerichtshof – befanden sich die USA in offenem Konflikt mit ihren nominalen Verbündeten.

Dann kam der Terroranschlag, und sofort richtete sich die gesamte Aufmerksamkeit nur noch nach außen. Milliarden Dollar werden in Form von Militär- und Sicherheitsausgaben in die Wirtschaft gepumpt werden. Die Reste des sozialen Sicherheitsnetzes werden vor dem fragwürdigen Kampf gegen „das Böse“ keinen Bestand haben. Der amerikanischen Bevölkerung wurde in einem Moment tiefer Trauer und großer Ängste eröffnet, ihre Söhne würden in ferne Gebiete geschickt, um zu töten und getötet zu werden, und sie habe gleichzeitig die Abschaffung einiger demokratischer Rechte hinzunehmen. Verschwiegen wird ihr, dass die mit der Konzern- und Finanzwelt verbundene Politik im Namen eines heiligen Krieges gegen den Terrorismus Tod und Vernichtung über Abertausende Menschen bringt, um seit langem gehegte globale Ziele zu verwirklichen – z.B. die Kontrolle über die Öl- und Gasreserven des Nahen Ostens, des Persischen Golfs und des Kaspischen Raums.

Die Ölkonzerne Enron, Exxon und BP Amoco „spendeten“ für Bush´s Wahlkampf insgesamt fünf Millionen Dollar. Im Winter 2000 schrieb der heute in der Bush-Regierung für die Region Afghanistan zuständige Zalmay Khalilzad, ein ehemaliger Berater des Ölkonzerns Unocal: Die Bedeutung Afghanistans (wird) in den kommenden Jahren noch steigen, wenn die Öl- und Gasreserven Zentralasiens...anfangen, eine Führungsrolle auf dem Energiemarkt der Welt zu spielen... Mit der Zeit sollten sich die USA für eine Regierung in Afghanistan einsetzen, die mehr im Einklang mit unseren regionalen Interessen steht. – Spätestens seitdem eine vor kurzem fertiggestellte russische Route zur Versorgung des europäischen Marktes die bisher von den USA bevorzugte Trassenführung durch die Türkei unwahrscheinlich macht, ist eine (Iran- oder) Afghanistan-Route für den indischen Markt die einzige Alternative für eine US-Beteiligung am „Great Game“.