01.02.2003

Eine Begegnung

Diese kleine Theaterszene entstand auf der Grundlage meiner Erlebnisse mit der Christengemeinschaft in der Gemeinde Berlin-Wilmersdorf.


Szene: Ein Lokal. Zwei Gäste, X und Y. X liest an einem Tisch Zeitung, Y kommt herein und geht zum Tisch von X. An einem etwas entfernt stehenden Ecktisch sitzt Z, vielleicht betrunken, ziemlich zusammengesunken und wie schlafend oder in Gedanken versunken vor seinem halbvollen Bierglas, das er mit beiden Händen festhält.

Y: Ist hier noch frei?

X (sieht auf): Ja.

Y: Danke. (setzt sich).

Der Kellner kommt, Y wendet sich ihm zu.

Y: Einen Kräutertee bitte. (Kellner notiert und ab).

Y studiert einen Zeitungsartikel auf der Rückseite, dann:

Y: Was meinen Sie denn zu dieser Irakgeschichte?

X (sieht auf, zögert einen Moment): Schwer zu sagen.

Y: Also eigentlich wäre es ja nur gut, wenn Hussein endlich verschwindet. Andererseits machen die USA zur Zeit, was sie wollen.

X: Tja... Vielleicht, aber man sollte nicht immer nur auf die USA gucken. Bei uns machen die doch auch, was sie wollen.

Y: Wer?

X: Na, die Regierung.

Y: Wie meinen Sie das?

X: Na, man braucht bloß auf „die Arbeitslosen“ hinweisen und baut inzwischen in aller Seelenruhe sämtliche Arbeitnehmerrechte und die soziale Sicherung ab.

Y: Ja, da haben Sie allerdings recht.

X (legt die Zeitung weg). Diese sogenannte „Globalisierung“ ist der große Zusammenhang, der im Moment die Geschehnisse bestimmt.

Y: Ja – es dreht sich alles nur um das Geld, und die Großen versuchen, immer mehr davon zu bekommen.

Z (wie kurz aufwachend, kaum Bewegung): Sie etwa nicht?

(X und Y schauen sich verwundert und leicht empört nach Z um, wenden sich dann beruhigt wieder zurück)

X: Ja, Sie haben recht. Es geht immer nur ums Geld. Um was auch sonst.

Y (etwas nachdenklich): Tja... Um was auch sonst.

X: Wenn man keinen anderen Sinn im Leben hat...

Y: Wer ist denn heute noch zum Beispiel religiös?

X (setzt sich etwas auf, lebhafter): Weil man das Christentum eben überhaupt nicht versteht.

Y: Dabei gibt es genug Ansätze, die zu einem wirklichen Verständnis führen könnten.

X: In der Tat.

Y: Und an was denken Sie?

X: Zum Beispiel an die Christengemeinschaft.

Y (erstaunt): Ach! Sind Sie Mitglied?

X: Ja. Sie auch?

Y: Nein, noch nicht.

(kleine Pause, nach einer Weile:)

Y: Aber es müßten viel mehr Menschen sich darüber Gedanken machen.

X (nickt, nachdenklich auf den Tisch schauend): Tja...

Y: Dann würde es auch weniger Kriege geben.

X (nach einer kleinen Pause): Aber – die Leute wollen eben nicht.

Y: Die Weihehandlung ist eigentlich das Wichtigste, was es gibt.

X (wie zum Weitersprechen auffordernd, etwas nachdenklich, sonst neutral): Hhmm

Y: Wenn ich Sonntags in der Weihehandlung war, gibt mir das für die ganze Woche Kraft.

X: Ja, das stimmt.

Y: Das müßten doch auch andere Menschen entdecken.

X: Aber die müßten erst mal wissen, daß es uns gibt. Die meisten hören doch einfach nie was von der Christengemeinschaft.

Y: Wer sich auf die Suche begibt, wird uns auch finden.

X: Das sagen Sie so einfach.

Y: Die ganzen Vorträge, die stattfinden. Dann der Kasten draußen, die Zettel, die in der Stadt verteilt werden.

X (wie zustimmend): Najaa...

Y: Aber natürlich ist die Weihehandlung als solche auch jetzt eine Kraft.

X: Wie meinen Sie das?

Y: Na, ich meine... In die Welt ausstrahlend. Ohne sie sähe es noch ganz anders aus. Wurde doch neulich auch in einem Vortrag gesagt.

X: Ja, aber das hängt doch von den Menschen ab, die da sind.

Y: Aber es sind doch Menschen da. Und sie findet statt.

X: Trotzdem wäre es anders, wenn mehr Menschen teilnehmen würden.

Y: Das denke ich nicht unbedingt. Der Priester..., na wie sagt man...

X: ...zelebriert?

Y: Ja. Der Priester zelebriert, und wir als Gemeinde sind doch da.

X: Wie – da?

Y: Na, wir begleiten das. Ich versuche das immer so aufmerksam wie möglich zu verfolgen und mitzutragen. Und die anderen doch auch.

X: Aber wenn es noch mehr mittragen würden, könnte es noch mehr ausstrahlen.

Y: Nein, es reicht, wenn der Priester zelebriert und wir als Gemeinde teilnehmen.

X: Aber alles wird doch kraftvoller, wenn mehr Menschen beteiligt sind.

Y: Nun, ich denke, bei der Weihehandlung gibt es kein mehr oder weniger. Das Wesentliche geschieht eben.

X: Und was hat der Einzelne für eine Bedeutung?

Y: Der Einzelne ist schon wichtig. Aber wenn dann eine Gemeinde da ist, dann ist ihre Größe nicht so wichtig. Die Frage ist dann eher, was die Weihehandlung dem Einzelnen gibt. Ich versuche wie gesagt, die Worte jeweils zu verstehen und möglichst viel in mich aufzunehmen.

Z (wie oben): Scheinbar aktiv.

(Y wendet sich Z zu, sieht ihn nach wie vor wie schlafend. Er schickt ihm einen bösen Blick und dreht sich wieder um).

Y: ...und wie gesagt, das Ganze mitzutragen.

X: Aber müßte man die Weihehandlung nicht eben mit vollbringen?

Y: Das passiert doch. Indem man ganz aufmerksam auf das ist, was vor dem Altar geschieht, haben wir doch alle Anteil daran.

(kleine Pause)

Y: Natürlich ist man nicht die ganze Zeit aufmerksam. Das kann keiner. Aber man merkt dann ja, daß man gerade an etwas anderes dachte, und ist dann wieder dabei.

X: Hhmm, das ist für mich irgendwie noch kein richtiges Vollbringen.

Y (leichter Anflug von Unverständnis): Was meinen Sie denn?

X: Na, ich meine... Eben... Richtig mit-vollbringen. Weiß auch nicht, wie ich das sagen soll. Sozusagen wie der Priester selbst.

Y: Aber Sie stehen doch nicht vorne.

X: Ich meine innerlich.

Y (mit der Tendenz, das Thema abschließen zu wollen): Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen. Indem man versucht, die Weihehandlung zu verfolgen und mit den Worten und so weiter etwas zu verbinden, und versucht, die Weihehandlung mitzutragen, macht man das doch.

X: Nein...! Ich meine, es wäre noch irgendwie anders...

Z (wie oben): ziemlich.

(kleine Pause)

Y: Na, jedenfalls – die Pfarrer versuchen ja - mit Vorträgen und so - auch, diese Sachen den Leuten näherzubringen.

X: Man müßte darüber aber auch einmal untereinander sprechen.

Y: Sie meinen, ein Gesprächsabend?

X: Egal was, ich meine einen Austausch. So daß man mal gegenseitig hört, was andere darüber denken.

Y: Wie – ohne Pfarrer?

X: Kann auch ohne Pfarrer sein.

Y: Nee. Das bringt doch nichts. Ich würde da jedenfalls nicht kommen. Und wozu überhaupt? Außerdem weiß man noch nicht mal, ob dann was Richtiges dabei rauskommt.

X: Wie, rauskommt?

Y: Na, dann sagt zum Beispiel jemand was, und man weiß gar nicht, ob das stimmt.

X: Aber man kann sich das doch überlegen, ob das stimmt.

Y: Ja. Überlegen kann ich übrigens auch alleine, dazu brauche ich nicht solche Treffen. Aber ob das dann auch wirklich stimmt, weiß man nicht.

X: Hhmm.

Y: Überhaupt, stellen Sie sich mal vor, da sitzen dann ein paar mit bei, die erst seit kurzem in der Christengemeinschaft sind, und dann unterhält man sich über solche Dinge, und hinterher kommt was ganz Falsches raus - und die nehmen das dann so mit.

(kleine Pause)

Y: Die Pfarrer haben ja nun mal die Aufgabe der Verkündigung. Und das muß man ihnen dann auch überlassen.

X: Dann darf man also gar nicht darüber sprechen?

Y: Das habe ich nicht gesagt. - Aber es muß eben ein Pfarrer dabei sein.

X: Hhmm... Das ist mir sehr unangenehm. (hat eine Idee). Wenn wir uns in der U-Bahn über so was unterhalten, ist doch auch kein Pfarrer dabei.

Y: In der Uuu-Bahn?

X: Naja, ich meine...

Y: Das ist ja auch was anderes. Da sind Sie dann ja ganz privat, ich meine, dann nehmen Sie das auf Ihre Kappe und sind in dem Sinne kein Vertreter der Christengemeinschaft. Ich meine – in dem Beispiel da gab es doch eine Verantwortung für einen Neuen, der noch gar nichts weiß, und da kann man dann doch nicht einfach irgendwas sagen.

X: Trotzdem ist das irgendwie komisch. (kurze Pause). Wie ist das überhaupt  mit den Pfarrern? Ich meine, einerseits machen sie alles Mögliche, andererseits sind sie doch auch nicht überall dabei – beim Sommerfest zum Beispiel.

Y: Wieso? Da sind sie doch mit dabei?

X: Ich meine die Vorbereitung.

Y: Wieso? Die sitzen doch auch im Basarkreis und so?

X: Tatsächlich? Das wußte ich nicht. Aber trotzdem – ich meine, sie sagen da doch nicht, das wird so und so gemacht. Das ist doch eine Sache der ganzen Gemeinde, und das wird dann eben auf die Beine gestellt.

Y: Naja, aber man würde zum Beispiel auf dem Sommerfest keine Popmusik spielen.

X: Wie kommen Sie denn jetzt darauf? Will das jemand?

Y: Nein, aber ich meine, wenn der Vorschlag käme.

X: Also ich denke, darauf würde die Gemeinde auch selbst kommen.

Y: Ja, aber der Pfarrer hätte das eben zu sagen. Im Zweifelsfall.

X: Aber das ist doch ein ganz herbeigezerrtes Beispiel.

Y (lebhafter): Nein, das gehört eben auch in diese Frage – wie stellt man sich nach außen dar? Das ist doch ein Bild. Was ist Christengemeinschaft? Da darf dann doch nicht auf dem Sommerfest Popmusik gespielt werden. Da sagen Sie: wird doch nicht. Aber wenn doch – jedenfalls ist das eindeutig die Sache des Pfarrers. Das gehört auch zu seiner Aufgabe der Verkündigung.

X (sehr zweifelnd): Das kommt mir reichlich komisch vor.

Y (sich wieder zurücklehnend): Ist aber so.

X: Dann darf die Gemeinde gar nichts selbst machen?

Y: Die Gemeinde darf alles machen. Aber nicht, wo es sozusagen nach außen dringt und man Verantwortung hat, wie es ankommt. Meiner Meinung nach geht das bis zu den Farben in der Toilette.

X: In der Toilette?

Y: Jawohl. Stellen Sie sich doch einfach immer wieder den Besucher vor, der vielleicht Zugang zur Christengemeinschaft finden will. Da kann dann in der Toilette eine 08-15-Farbe an der Wand sein, oder eben eine geistgemäße Farbe.

X: Eine geistgemäße Farbe...?

Y: Ja, ich meine, eine Farbe, die schon zeigt, daß hier etwas Besonderes geschieht.

X: Und die Pfarrer wissen dann die richtige Farbe?

Y: Ja klar! Ich meine - wenn überhaupt, dann sie.

X: Aber man kann doch Vorschläge machen!

Y: Ja, aber warum? Ich meine, das bringt doch nichts. Ich meine, man sollte den Pfarrern diese Aufgabe schon überlassen.

Z (wie oben, nicht ironisch, sondern sehr ernst): O, Gott!

(X und Y wenden sich kurz um).

X: Aber die Pfarrer tun doch ohnehin schon alles. Wieviel wollen Sie ihnen denn noch zumuten?

Y: Ich meine natürlich die Entscheidung. Streichen kann dann die Gemeinde.

X: Aha.

Y: Also eben die, die können und wollen.

X: Das mit der Gemeinde ist mir auch so eine Frage.

Y: Inwiefern?

X: Wer ist denn die Gemeinde?

Y: Na wir alle.

X: Und was heißt das?

Y: Was heißt das! Wir besuchen die Menschenweihehandlung, wir pflegen gemeinsam den Kultus, Bewegung für religiöse Erneuerung eben.

X: Und was wird erneuert?

Y: Das religiöse Leben, durch den Kultus. Und durch das, was jeder davon mitnimmt.

X: Und was nimmt jeder mit?

Y: Das ist doch natürlich ganz unterschiedlich. Der eine mehr, der andere weniger. In jedem Fall geht es um die tragenden Impulse für den Alltag.

X: Sie meinen - daß man den Alltag mit Hilfe der Weihehandlung gut durchsteht?

Y: Na, das ist jetzt etwas platt, nicht wahr? Ich meine, daß man sich durch den Kultus mit der göttlichen Welt in Verbindung weiß und das mit in seinen Alltag nehmen kann.

X: Das tun sie?

Y: Ja... natürlich. – ich denke doch.

X: Und  d a s  ist religiöse Erneuerung?

Y: Ja. – Was denken Sie denn?

X: Hhmm. Wie zeigt sich das denn, daß man sich mit der göttlichen Welt verbunden fühlt, im Alltag?

Y: Wie zeigt sich das. Man steht sicherer in der Welt. Nehmen Sie diese Globalisierung. Man kann sich darüber aufregen, aber man hat dann keine Angst davor, wie so viele andere.

X: Aber dann können Sie doch auch autogenes Training machen.

Y: Das ist doch was ganz anderes! Da suggeriere ich mir ja nur was ein.

X: Und Sie meinen, mit der geistigen Welt stehen Sie wirklich in Verbindung?

Y: Ich fühle mich mit ihr verbunden – ja.

X: Na, dann könnten Sie eben meditieren. Wozu aber Kultus?

Y: Man gibt doch auch der geistigen Welt etwas.

X: Bei der Meditation nicht?

Y: Nein, da meditiert man eben so für sich.

X: Und was gibt man beim Kultus?

Y: Na... zum Beispiel seine Aufmerksamkeit. Ich meine... da passiert doch was beim Kultus. Das ist ja ein Opfer. Brot und Wein und so. Sie kennen das doch auch! Der Weihrauch steigt nach oben. Und dann sind da noch die Verstorbenen. Das ist doch ein gemeinsames Opfer.

X: Und wofür?

Y: Wofür. Wie lange sind Sie eigentlich schon in der Christengemeinschaft? Sie müßten sich diese Sachen doch auch beantworten können. Man opfert..., damit einem wiederum etwas entgegenkommt. Um dieses geht es doch dann eigentlich. (kurze Pause). Das ist die Aufgabe des Kultus.

X: Was will einem denn da entgegenkommen?

Y: Na – letztlich natürlich der Christus.

X: Und mit Ihm gehen Sie dann durch den Alltag?

Y: Na – ansatzweise eben. Ich versuche das. Wenn man das könnte, dann bräuchten wir ja die Weihehandlung nicht mehr. (kleine Pause). Das ist doch alles Bemühung.

X: Und wie zeigt sich das nach außen?

Y: Nach außen? Bei mir zeigt sich das erst einmal nach innen. Ich habe ihnen ja gesagt, diese stärkere Sicherheit, das Sichaufgehobenfühlen. Nach außen zeigt es sich natürlich auch. (kleine Pause). Man geht natürlich anders auf Menschen zu. Also man weiß dann, der andere ist ja auch wie ich. Ich meine, ein Geistwesen und so. Man sieht die anderen einfach mit anderen Augen.

X: Denken Sie bei einer Begegnung wirklich an so was?

Y: Na, nicht so wortwörtlich. Das ist ja unbewußt. Aber man weiß das eben. Und dann verhält man sich anders.

X: Wie denn?

Y: Na... Zum Beispiel mit mehr Verständnis. In der normalen Welt geht es doch heute nur noch um Konkurrenz und so. Das sieht man dann anders. 

X: Wenn Sie also jemand beleidigt, dann nehmen Sie das nicht übel, sondern denken an vergangenes Karma?

Y: Naja, was heißt nicht übelnehmen. Ich bin ja kein Heiliger. Aber man kann es anders einordnen. Und behält dann eben die Ruhe.

Z (siehe oben): Tödliche Ruhe.

(X und Y wie oben).

X: Ich hatte die Frage am Anfang eigentlich gestellt, weil mir etwas anderes eine Frage ist. – Wie ist das mit der Gemeinschaft?

Y: Mit welcher?

X: Na... Also Christengemeinschaft hat ja schon im Namen Gemeinschaft.

Y: Ja. Das gehört ja auch von Anfang an dazu.

X: Wie...

Y: Na, die Christengemeinschaft ist eine Gemeinschaft. Da wird gemeinsam der Kultus gepflegt. Nehmen Sie jemand, der neu dazukommt. – Der findet die Gemeinschaft schon vor. Das ist einfach unmittelbarer Bestandteil. Ich weiß nicht genau, worauf Sie hinauswollen.

X: Auf den Unterschied zum Kegelclub.

Y: Also das können Sie sich ja wohl selbst beantworten!

X: Na gut. Dann eben auf den Unterschied zu... einer Sekte!

Y: Na, da kann ich Ihnen aber einen Haufen aufzählen: In einer Sekte sind die Leute völlig unfrei. Sie unterliegen einer Suggestion. Sie meinen, daß sie ungeheuer was Wichtiges und Richtiges tun würden, und in Wirklichkeit... tja...

X: Ja...?

Y: Na, in Wirklichkeit... unterliegen Sie doch den Illusionen der Widersacher.

X: Ja, aber wo kommt bei uns die Gemeinschaft her? Ich meine nicht, daß es die automatisch schon gibt.

Y: Doch, mit jeder Weihehandlung bildet die sich doch neu.

X: Sie meinen Kultusgemeinschaft, wie es in Vorträgen manchmal heißt?

Y: Ja genau, und das ist dann die Basis für alles übrige.

X: Was für übriges?

Y: Na, für die Sommerfeste, für die Gesprächsabende, dafür, daß man sich als eine Gemeinschaft empfindet.

X: Das ist mir aber zu schwammig. Das hört sich natürlich alles sehr gut an. Aber eine Gemeinschaft besteht doch schließlich aus einzelnen. Wie ist denn das Verhältnis dieser einzelnen zueinander?

Y: Das müssen Sie doch selbst beurteilen. Wie erleben Sie denn die anderen Gemeindemitglieder? Wie erleben Sie denn Gemeinschaft, wenn man gemeinsam ein Sommerfest vorbereitet?

X: Nun... Man verfolgt irgendwie eine gemeinsame Sache. Aber wenn ich mal von den Sommerfesten absehe, stelle ich mir manchmal die Frage: Was haben wir für eine Aufgabe? (kleine Pause). Außer dem Kultus. Ich meine, was stellt der Kultus uns gerade für eine Aufgabe? Für eine gemeinsame Aufgabe? Dann frage ich mich, was die anderen Menschen bewegt. Wo sie gerade stehen. Und dann merke ich, daß ich von den anderen kaum mehr als den Namen kenne. Und das ist schon viel. Ich frage mich manchmal: Was ist der andere für ein Mensch – wer ist er?

Z (wie oben, das eine Wort leicht anerkennend-freudig betonend): Eine echte Frage!

Y: Aber Sie können doch nicht alle Menschen kennenlernen! Und kennen schon gar nicht. Und außerdem haben Sie in jedem Einzelfall doch trotzdem immer die Möglichkeit dazu!

X: Ja? Ist es heute so einfach, Menschen kennenzulernen?

Y: Na, man muß natürlich auf den anderen zugehen, wenn man ihn wirklich kennenlernen will.

X: Tja, das ist das eine... Aber wir reden ja auch schon eine sehr lange Zeit, noch dazu über wichtige Dinge, und dennoch habe ich nicht das Gefühl, sie im Grunde auch nur anfänglich kennengelernt zu haben.

Y: Das braucht ja auch Zeit.

X: Meine Frage zielte zwar auch auf den einzelnen Menschen, aber vor allem auf die Frage der Gemeinschaft. Sicherlich können sich nicht alle auf einen Schlag gegenseitig – jeden einzelnen – kennenlernen. Aber es müßte doch irgendwie eine Begegnung untereinander geben, die zugleich die Gemeinschaft bildet.

Y: Ja, aber auf den Sommerfesten und so weiter haben Sie doch immer Gelegenheit dazu!

X: Auf dem Sommerfest wird man sich aber doch wohl kaum darüber unterhalten, welche Aufgabe wir vielleicht gemeinsam haben?

Y: Und welche großartige Aufgabe sollte das sein?

X: Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß wir sie haben.

Y: Ach...?

X: Naja, ich habe das sichere Gefühl, möchte ich sagen. Und es gibt doch auch den Gemeindeengel. Was hat das denn zu bedeuten?

Y: Jede Gemeinde hat einen Engel.

X: Und was macht er?

Y: Tja... Ich würde sagen, er leitet die Gemeinde. Die Gemeinde gibt ihm im Kultus... – na, wie soll ich sagen – Raum... Eigentlich müßte Ihnen das ein Pfarrer beantworten.

X: Ja, sehen Sie, so ist das. Bei den wichtigsten Fragen hört es auf, weil wir nichts wissen. Der Engel ist doch nicht einfach nur die Summe der karmischen Besonderheiten einer bestimmten Gemeinde. Wozu aber hat dann jede Gemeinde ihren eigenen Engel? Was heißt das?

Y: Das kann ich Ihnen auch nicht so genau sagen.

X: Ich meine, der Engel will doch durch die Gemeinschaft wirken. Wenn es nur um die Weihehandlung ginge, könnte doch jede Gemeinde denselben Einheitsengel haben, der dann wirkt, wenn die Menschen sie würdig und wirklich vollbringen. Warum hat jede Gemeinde einen eigenen Engel?

Y: Na, die Engel sind schon deshalb verschieden, weil auch das verschieden ist, was sonst noch so in der Gemeinde passiert.

X: Nein, darum kann es nicht gehen. Dann müßte ja jedesmal der Engel wechseln, wenn jemand etwas anders macht. Die Blickrichtung muß doch vielmehr vom Engel aus sein. – Man muß doch fragen: Was will der Engel mit uns?

Y: Das klingt mir jetzt ein bißchen zwanghaft.

X: Wieso? Sie müssen ja nicht.

Y: Naja, aber wo bleibt da die Freiheit?

X: Die entscheidet sich an der Frage, ob wir eine Aufgabe haben. Ob der Engel, der eben der Engel unserer Gemeinde ist, eine bestimmte Aufgabe für uns hat. Eine gemeinsame Aufgabe für uns als Gemeinschaft, die sich erst bilden muß. Vielleicht an dieser Aufgabe. Vielleicht sind es auch mehrere Aufgaben. Dann haben Sie die Freiheit. Man darf ja wohl auch annehmen, daß das, was der Engel eigentlich für uns bereithält, viel größer ist als das, was wir - auch mit gutem Willen - sogleich verwirklichen könnten. Dann wäre zu entscheiden, wo und wie anzufangen. Und der konkrete Weg muß ja auch gefunden werden. Freiheit ist überall – und sie ist zugleich nie getrennt von der Notwendigkeit.

(Z hat zunehmend interessiert seinen Kopf gehoben, ohne in die Richtung von X und Y zu blicken. Als Y spricht, läßt Z den Kopf wieder fallen).

Y: Also das klingt mir doch sehr spekulativ. Ich wüßte auch nicht, wie diese Aufgabe zu finden sein sollte. Können Sie das nicht den einzelnen Menschen überlassen?

X: Nun, vorschreiben kann man sowieso nichts. Man könnte nur hindeuten und sich auf einen gemeinsamen Prozeß einlassen.

Y (ist ihm zu schwammig): Auf was für einen Prozeß denn?

X: Nun, mit dieser Frage nach der gemeinsamen Aufgabe sollte man vielleicht nicht anfangen. Aber eine gemeinsame Arbeit an der Vertiefung des eigenen Verständnisses und Tuns der Weihehandlung. Erleben Sie nicht ein solches Bedürfnis? Empfinden Sie das nicht als Notwendigkeit?

Y: Nein. (kleine Pause). Jeder hat natürlich die Aufgabe, das ständig zu vertiefen. Aber das muß ganz individuell sein.

X: Sehen Sie denn das Individuelle ausgeschaltet, wenn man gemeinsam arbeitet?

Y: Nein, das nicht. Aber man kommt bei so was doch ganz schnell in etwas Gezwungenes hinein.

X: Wissen Sie, was ich denke? Die Gefahr besteht natürlich ganz real. Aber sie ist nur deshalb so groß, weil man es eben nicht übt. Nie geübt hat.

Y: Aber Sie können doch niemanden zwingen, gemeinsam an etwas zu arbeiten!

X: Das will ich doch gar nicht! Ich habe Sie nur gefragt, ob Sie nicht ein Bedürfnis danach empfinden. Und Sie haben nein gesagt.

Y: Genau.

X: Trotzdem könnte man sich - wenn man wollte und die Notwendigkeit sehen würde - individuell zusammenfinden und seine Individualität auch in der gemeinsamen Arbeit behalten, ja gerade einbringen. Nichts anderes wollte ich sagen.

Y: Ja, und wenn Leute zusammen arbeiten wollen, werden sie sich schon finden.

X: Ja, aber die Gemeinde wird sich anscheinend nicht finden. Denn dazu müßte jedes Gemeindemitglied zumindest die Möglichkeit haben, die Notwendigkeit zu erkennen. Aber die meisten stellen sich diese Frage gar nicht, und offen gestellt wurde sie bisher nicht.

Y: Das können Sie ja tun.

X: Und was wäre damit gewonnen?

Y: Das jeder die Frage einmal gehört hat. Das wollen Sie doch?

X: Man hört nur mit dem Herzen gut.

Y: Jetzt moralisieren Sie aber kräftig.

X: Hat der kleine Prinz das auch getan?

Y: Also, ich muß Ihnen ehrlich sagen, ich kann mit Ihrem Anliegen nicht viel anfangen. Ich habe Ihre Fragen gehört und verstanden, wie ich meine. Ich habe diese Frage nicht. Sie müssen auch damit leben können, daß das vielleicht nur Ihre Fragen sind.

X: Das tue ich ja. Ich frage mich nur manchmal, wie man leben kann, wenn man diese Fragen nicht hat.

Z (wie oben): Man kann es nicht.

(kleine, etwas peinliche Pause)

Y (jovial-versöhnlich): Aber trotzdem sind wir eine Kultusgemeinschaft.

X: Ja, wo der eine den anderen nicht kennt.

Y: Wissen Sie, dieses „jeder kennt jeden“ ist mir zur Genüge bekannt aus meiner Heimatstadt und klingt mir auch zu sehr nach Sekte!

X: Dann braucht man auch nicht von Gemeinschaft zu reden. Es geht aber ja natürlich um neue Gemeinschaften. Doch die bestehen nicht darin, daß man keine Gemeinschaft ist. Wo sind denn die Widersacher? Etwa nur bei denen, die wir als Sekte erkennen? Wir kommen Sonntags hier zusammen, wir kennen uns alle nach und nach vom Sehen, wir empfinden gemeinsam die mögliche Größe dessen, was wir tun – und furchtbar deutlich erhebt sich vor uns die Illusion, wir wären eine wirkliche Gemeinschaft!

(kleine Pause)

X: Ja, der Kultus schafft Realitäten auch zwischen uns, er verbindet, er schafft karmische Verbindungen. Zweifelsohne werden wir auch in den nächsten Leben miteinander zu tun haben. Aber werden wir uns dann besser erkennen? Werden wir dann mehr miteinander wollen? Sie sehen heute schon, daß die, die karmisch miteinander zu tun haben, sich eben nicht automatisch verstehen. Denn was gehörte dazu? Wirkliche, aktive Begegnung. In der es dann erst nach und nach möglich wäre, die eigenen Oberflächlichkeiten, die man Sympathie und Antipathie nennt, zu überwinden.

Nicht nur die Weihehandlung, auch wir – wenn sie zuende ist – schaffen Karma. Und wie begegnen wir uns? Auf dem Gang ein kurzes Kopfnicken oder aber ein freundliches Aneinander-Vorbeischauen. Jeder trägt seine eigenen Fragen mit sich herum, oder aber gar keine. Wie sich das im nächsten Leben metamorphosiert, will ich lieber gar nicht wissen. Die Weihehandlung will aber nicht eine in der Luft hängende, schön klingende, karmische Gemeinschaft begründen. Sie will auf die Erde kommen. Sie will den Menschen wandeln, und zwar jetzt und hier.

Z (wie oben): Ja, so ist es.

(X schaut Y in Erwartung einer Antwort an)

Y (ziemlich reserviert): Ich kann dazu nichts sagen. Sie können ja gerne einmal mit einem Pfarrer darüber reden. Das würde mich eigentlich auch interessieren, was sie von ihm dann für eine Antwort erhalten. Suchen Sie sich einfach die Menschen, die ähnliche Fragen haben wie Sie.

X (steht auf, innerlich eine schwere Enttäuschung): Ich wünsche Ihnen alles Gute...

(X steht auf, zahlt an der Theke und geht, Y schaut ihm nach der letzten Äußerung verwundert-verständnislos nach)

(Z steht auf und will zur Theke)

Y: Wer sind Sie eigentlich?

Z (spricht nach einem kurzen Moment zwei Worte auf gleicher Tonhöhe und etwas langsamer als gewöhnlich, so daß es den Anschein hat, als überlege er und es folge noch ein drittes Wort. Nach einem kurzen Moment blickt er dann Y an, geht zur Theke zahlen und dann ab):

Ich bin...