21.04.2003

Eine andere Welt ist möglich – ein Grundsatzpapier

Entwurf für ein ATTAC Grundsatzpapier


  I. Grundsätzliches
 II. Grundlegung für das Konkrete
III. Konkretes: Wirklichkeitsgemäße Begriffe
  1. Der Sinn des Geldes und der Widersinn des Zinses
  2. Unternehmer und Kredit
  3. Das Problem des Eigentums
  4. Der Sinn des Geldes - II
  5. Lohn und „Profit“ – die wahre Leistungsgesellschaft
  6. Der rechtmäßige Anspruch der Gemeinschaft
  7. Geldmenge und Warenwertschöpfung
IV. Ausblick 

I. Grundsätzliches

1. Eine andere Welt ist möglich – dies ist der Wahlspruch von Attac. Wie könnte die Welt charakterisiert werden, die Mitglieder von Attac vor Augen haben, sich wünschen, erhoffen, erstreben, an der sie konkret arbeiten?

2. Eine andere Welt – das ist eine Welt, in der es um den Menschen geht – um jeden Menschen. In der die Idee der Freiheit nicht zum Instrument für Unfreiheit gemacht, in der die Idee der Gleichheit nicht von den Realitäten verhöhnt wird. Eine Welt, in der die Idee der Brüderlichkeit wirklich zu leben beginnt – bis in die von uns Menschen geschaffenen Einrichtungen hinein.

3. Sehr viele Mitglieder von Attac „wissen“ nicht nur, daß die Menschheit eine einzige ist, sondern beginnen, in ihrem eigenen Erleben die Realität dessen zu fühlen. In Reinform läßt sich dieses Erleben vielleicht auf die Aussage bringen: Ich selbst habe keinen Frieden, wenn auch nur ein anderer Mensch leidet.

4. Ein wesentliches Ziel der Mitglieder von Attac ist es, die Ursachen und die Mechanismen herauszuarbeiten und offenzulegen, die Menschen (und ihre Zusammenhänge: Familien, Gemeinden, Staaten) in Armut und Elend stürzen bzw. die Beseitigung unmenschlicher Daseinsbedingungen verhindern oder auch nur erschweren.

5. Attac bekämpft Ideologien, die stets den Blick auf die Realitäten verhindern. Die These, daß internationale Arbeitsteilung und freier Handel allen beteiligten Staaten nütze, ist nur in dieser abstrakten Formulierung nicht falsch. Ihre Verfechter blenden jedoch die realen Mechanismen des Marktes und (Ohn-)Machtpositionen der verschiedenen Beteiligten aus. - Eine gerechte Arbeitsteilung wäre noch lange nicht „die beste aller möglichen Welten“, doch gibt es sie bis heute nicht. Adam Smith´s „unsichtbare Hand“ hat sich ebensowenig bewahrheitet wie die Idee des Sozialismus.

6. Die Logik des Kapitals und des Profitstrebens haben heute eine Eigendynamik, die noch vor einigen Jahrzehnten fast undenkbar war. Alle Bemühungen um eine „bessere Welt“ müssen scheitern, wenn sie nicht darauf zielen, diese Eigendynamik zu beenden und Einrichtungen und Regelungen zu schaffen, die die ökonomischen Prozesse in den Dienst aller Menschen stellen. Das ist gemeint, wenn es heißt, Geld müsse allen Menschen dienen und nicht umgekehrt.

7. Auch die Eigendynamik von Organisationen, Bürokratien und anderen Systemen ist heute erwiesen. Die „Ideologie der Machbarkeit“ ist eine technokratische Illusion, die heute nahezu alle Lebensbereiche dominiert. Die Realität dagegen bestätigt in der Regel folgende Grundsätze: „Hilfe“ wird um so ineffektiver oder sogar schädlich, je größer die „helfende“ Organisation ist. Produktives Handeln überhaupt ist um so wirksamer, je weniger es von „außen“ kommt.

8. Eine bessere Welt ist nicht „machbar“. Eine an den Menschen orientierte Alternative muß der Idee der Subsidiarität zentrale Bedeutung zumessen. Menschliche Belange müssen soweit wie möglich von den jeweils Betroffenen selbst entschieden werden. Weder die WTO noch ein Mitgliedsstaat hat das Recht zu definieren, wie etwa eine Gemeinde öffentliche Ausschreibungen zu machen hat. Niemand darf definieren, wie „Schule“, „Medizin“ oder anderes auszusehen hat – und dann nur diese Definitionen subventionieren oder gar zulassen. Maßgebend für „übergeordnete Stellen“ kann alleine sein, wofür Menschen sich bewußt entscheiden.

8a. Subsidiarität bedeutet für Attac, daß verschiedene Entwürfe des geplanten Grundsatz-Papiers allen Mitglie­dern von Attac zum Beispiel per Mailing-Liste online zur Abstimmung vorgelegt werden.

II. Grundlegung für das Konkrete

1. Die Ursache für alle ungerechten Machtpositionen auf ökonomischem Gebiet ist die Macht des Kapitals gegenüber jenen, denen es fehlt. Ursache für die Zunahme dieser Ungerechtigkeiten ist das heutige Primat des Profits. Der Profit und seine Logik werden nicht nur nicht begrenzt, es wurden und werden sämtliche Begrenzungen abgebaut und das Profitstreben umfassend gefördert.

2. „Eine andere Welt“ kann sich letztlich nur auf ein entsprechendes Bewußtsein der konkreten Menschen gründen. Doch erst die Beseitigung jener Mechanismen, die diese andere Welt verhindern, macht sie möglich – und wird für das Bewußtsein vieler Menschen erst eine wirkliche Freiheit der Wahl begründen.

3. Die Minimalforderung von Attac ist die nach einer gerechten Welt. Dies ist zugleich das Maximum dessen, was man fordern kann. Gerechtigkeit entspricht der Idee der Gleichheit - Gerechtigkeit anerkennt das Recht aller Menschen, bei gleichen Voraussetzungen gleich behandelt zu werden (gerade auch in der heutigen Leistungsgesellschaft ist die Tatsache, daß Menschen für gleiche Leistung ungleich „bezahlt“ werden, ein eklatanter Widerspruch zum Prinzip der Leistungsgerechtigkeit). Attac fordert eine gerechte Welt, in der jedem einzelnen und auch den verschiedenen sozialen Zusammenhängen jeweils das zukommt, was ihm auch wirklich zusteht.

4. Die Gleichheit - d.h. die gemeinsame Mensch-heit - aller Menschen ist eine Tatsache und damit eine Frage des fühlenden Erlebens (daher spricht man von Gerechtigkeitsempfinden). Brüderlichkeit wäre mehr – eine Frage des Wollens. Sie kann daher nicht gefordert werden. Brüderlichkeit übersteigt Gerechtigkeit, weil sie zum Beispiel bedeutet, mit einem Menschen zu teilen, der durch eigene Schuld in Not geraten ist. Gerechtigkeit ist auch rein egoistisch denkbar, Brüderlichkeit dagegen ist nur mit Liebe möglich. Eine gerechte Welt aber gibt jedem einzelnen erst die wirkliche Freiheit, darüber hinaus brüderlich zu handeln und gemeinsam mit anderen auch entsprechende Strukturen zu begründen.

5. Der größte Widerspruch gegenüber einer gerechten Welt ist heute die Möglichkeit und Förderung leistungsloser Einkommen.[1] Wir erleben praktisch täglich, wie die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer (Ausnahmen ändern nichts an diesem grundsätzlichen Phänomen). Ein wesentlicher Grund dieser ungerechten, da leistungslosen bzw. erzwungenen Umverteilung liegt im Zinsprinzip. Sachgemäß gedacht würde ein vereinbarter Zins einem Geldgeber einen Anteil an der Wertschöpfung eines initiativen Unternehmers zusprechen. Heute aber wird der Zins abstrakt gedacht und führt zur ewigen Vermehrung bestehender Vermögen – unabhängig von produktiven Kreditnehmern bzw. unabhängig vom realen Erfolg oder Mißerfolg ihrer Initiativen. Wenn es schon ein Irrsinn ist, den Schuldzins eines gescheiterten Unternehmers – oder Entwicklungslandes! – ins Ewige weiterzudenken, stellt erst recht der exponentiell wachsende Zinseszins nur noch eine perverse Erfindung einer rücksichtslosen Profitlogik dar.

6. Eine andere Welt ist nicht möglich, wenn die Mechanismen und Logiken der „alten“ Welt weiterwirken. Die Frage nach einer besseren Welt entscheidet sich nicht an „Reformen“ von WTO, IWF und Weltbank, sondern an der Frage, ob eine genügend große Zahl von Menschen ein menschengemäßes Wirtschaftssystem in seinen Grundsätzen denken kann und ein solches – welches ja eine zentrale Grundlage dieser „anderen Welt“ darstellen würde – wirklich will. Dabei ist der Weg zu sachgemäßen und menschlichen Alternativen bereits zu einem Großteil freigelegt, sobald die bestehenden Ungerechtigkeiten und Perversitäten gedanklich klar erfaßt werden.

7. Das heutige Wirtschaftssystem beruht ganz zentral auf unhinterfragten Denkgewohnheiten in bezug auf wenige Begriffe – wie Arbeit, „Lohn“ und „Eigentum“, „Kredit“ und „Zins“. Aus völlig unsachgemäßen Gedanken entstehen Verhältnisse, die weder sachlich, noch menschlich, sozial oder irgendwie sonst legitimiert sind. Wenn diese Dinge in Zukunft allmählich immer mehr ins Rechte gedacht werden, wird man – spätestens als Historiker – fragen, wie gewisse Standpunkte und Forderungen, die heute sehr verbreitet sind, überhaupt vertreten werden konnten. Man wird fragen, ob die Menschen nicht denken konnten, oder ob sie bewußt nicht-men­schlich gedacht und agiert haben.

III. Konkretes: Wirklichkeitsgemäße Begriffe

1. Der Sinn des Geldes und der Widersinn des Zinses

Geld hat die Funktion, die Wirtschaftsprozesse zu vermitteln. Heute vermehrt es sich von selbst dort, wo es ohnehin in Mengen vorhanden ist – ein Widerspruch gegenüber jeglichem (noch nicht korrumpierten) Rechtsempfinden. Wie kann es sein, daß die Entwicklungsländer, aber auch die reichen Staaten wie Deutschland weitaus mehr allein an Zinsen (!) zahlen, als sie überhaupt insgesamt an Krediten aufgenommen haben? Ein feststehender Zins ist eine geradezu unglaubliche Absurdität. Die Grundidee des Zinses liegt darin, daß jemand mit geliehenem Geld produktiv werden und einen „Gewinn“ machen kann, der teilweise an den Kreditgeber abgegeben wird. Man kann sogar dies als unberechtigt ansehen, wenn man davon ausgeht, daß Geld hauptsächlich Tauschmittel und nicht Besitz bzw. Wertbewahrungsmittel sein muß, wenn es heilsam wirken soll. In keinem Fall aber ist der Zins berechtigt, Ewigkeitscharakter anzunehmen und als Zinseszins gar noch die ursprünglichen Schulden zu vermehren. Der Zins wird als Anrecht auf einen Teil des Profits begründet, fällt aber gerade dann immer wieder an, wenn sich der Profit nicht eingestellt hat! Diese Verhältnisse, die sich historisch aus den Machtverhältnissen zwischen Gläubigern und Schuldnern entwickelt haben, setzt man heute - in widersinniger Gedankenblindheit - absolut wie ein Naturgesetz und stellt sie über den Menschen.

Unabhängig von seiner Unrechtmäßigkeit schafft der Zins den Zwang, Gewinn machen zu müssen, und ist damit der Motor sinnlosen Wachstums. Doch wo soll der Gewinn herkommen? In einem Zinssystem muß es zwangsläufig zu Konkursen kommen. Der Kredit eines Produzenten wird zu Löhnen und Einnahmen für die Zulieferer, und nur ein gleicher Betrag kann im Grunde wieder zu ihm zurückfließen. Wovon soll er den Zins bezahlen (vom Kredit einmal abgesehen)? Entweder macht er Konkurs oder rettet sich durch den eines anderen. – Die Unmöglichkeit der Zinszahlung wird zunächst überdeckt, wenn die Geldmenge stetig ausgeweitet wird. Aber auch dann lassen sich Inflation und Konkurse nur durch ein dauerndes Wirtschaftswachstum vermeiden. Als dies in Deutschland nicht mehr gegeben war und es zu den ersten Firmenpleiten kam, verpflichtete sich der Staat 1967 (!) gesetzlich zur Förderung des Wirtschaftswachstums. Die Staatsverschuldung begann, und bald legte die Zentralbank Inflationsraten fest, die möglichst nicht zu überschreiten seien...

Geld wird nur dann keine Machtposition besitzen, wenn es genau wie die Ware entsteht und vergeht. Abgesehen von der Börse mit ihren Scheinwerten, die ja ebenfalls wieder zusammenbrechen, kann reales Geld letztlich nur den Wert dessen haben, was in der realen Wirtschaft an Waren und Dienstleistungen hervorgebracht wird - andernfalls kommt es zur Inflation. Die Geldschöpfung muß an die Warenwertschöpfung gebunden sein (siehe unten) und auf der anderen Seite muß das Geld wie die Waren „altern“ können.

2. Unternehmer und Kredit

Heute muß ein in den Markt eintretender Unternehmer zunächst Schulden machen, um etwas produzieren zu können, was die Gesellschaft braucht. Dabei ist es in der heutigen, hoch arbeitsteiligen Wirtschaft offensichtlicher als je zuvor, daß ein Produzent seine Waren nicht für sich selbst herstellt. Es ist daher ganz unsachgemäß, ihm das volle Risiko zu überlassen.

Statt dessen könnte ein neu in die Wirtschaft eintretender Produzent eine frei geschöpfte Schenkung für seinen Berufs­einstieg erhalten, deren Wert dann dem gesamten Wirtschaftskreislauf wieder entzogen wird – entsprechend dem Verschwinden der verkauften Waren aus der Wirtschaftssphäre (sachgemäß zum Beispiel als eine Art Konsumsteuer). Die kreditgebende bzw. schenkende „Bank“ würde die Fähigkeiten des Produzenten (unter Berücksichtigung der entsprechenden Nachfrage) bewerten. Die heutige Kreditvergabe dagegen beruht auf „Sicherheiten“ und erklärt damit gleichsam Eigentum selbst zum Produzenten, obwohl dieses niemals von sich aus produktiv sein kann.

3. Das Problem des Eigentums

Gegen Schenkungen an Unternehmer wehrt sich das eingefahrene Denken deshalb, weil der Unternehmer ja auch „seinen Profit für sich behalten“ kann – anstatt auch diesen „Grundsatz“ zu hinterfragen. Wie gesagt ist die arbeitsteilige Wirtschaft das genaue Gegenteil von Subsistenzwirtschaft, wo jeder ganz real „für sich“ arbeitet. Der Unternehmer ist begrifflich nicht identisch mit einem Eigentümer, sondern zunächst nur ein produktiv tätiger Mensch – unabhängig vom heute sehr problematischen Eigentumsbegriff.

Das über den Eigengebrauch hinausgehende Privateigentum war Wegbereiter des Kapitalismus mit all seinen positiven und negativen Erscheinungen. Privateigentum geht einher mit der Möglichkeit, dessen Nutzung durch andere zu blockieren bzw. eine entsprechende „Bezahlung“ zu fordern. Dieses leistungslose Einkommen bedeutet Ausbeutung - und ermöglicht eine weitere Konzentration von Eigentum. Der Begriff des Privateigentümers setzt den Nichteigentümer voraus, den er zu Pachtzahlung oder Lohnarbeit zwingen kann. Die sachgemäße Minimal-Folgerung aus diesen Überlegungen ist: Eigentum an prinzipiell begrenzten Ressourcen (insbesondere Boden) kann nur Nutzungseigentum sein.

Wie ist es bei einem Unternehmen? Jemand, der als Kapitalgeber ein Unternehmen gründet oder möglich macht, kann heute das Eigentum an diesem beanspruchen. Was heißt das? Wer einmal sein Geld gegeben hat, damit eine Webmaschine gekauft werden konnte, wird nicht nur ihr Eigentümer, sondern bleibt bis in alle Ewigkeit Eigentümer von allem, was damit zusammenhängt. Er ist zuletzt vielleicht Besitzer eines multinationalen Textilkonzerns (Nike?). Das abstrakte Denken setzt den Eigentumsbegriff absolut - als Wert an sich und außerdem höherstehend als alles andere.

Am Anfang ist ein „Unternehmen“ ein Prozeß im Keimzustand, eine Unternehmung. Am Ende ist ein „Unternehmen“ ein Konzern, der die Weltpolitik bestimmt. Wer Geld für eine Unternehmung gegeben hat, wird Eigentümer alles dessen, was daraus entsteht. Der zynischste Fehlschluß besteht aber in der Ignoranz gegenüber allen, die die anfängliche Unternehmung noch möglich gemacht haben - und allen, die das Unternehmen durch die Zeit tragen (z.B. indem sie ein Leben lang darin arbeiten). Für alle Ewigkeit gehört das Ganze dem einen, der am Anfang einen Teil zur Realisierung beisteuerte, nämlich („sein“) Geld... Was aber ist dies anderes als ein simpler Kredit? Wenn ich einem anderen Geld leihe, und er damit ein Unternehmen aufbaut, gehört dieses ihm. Wenn ich selbst Geld in ein Unternehmen stecke, gehört dieses mir. Beides ist falsch.

Geld, was wann auch immer einem Unternehmen gegeben wird, ist ein Kredit und kann irgendwann zurückgezahlt werden. Es kann doch nicht die Eigentumsfrage entscheiden, ob ich einen Kredit irgendwann später oder zum Zeitpunkt der Gründung gebe. Im übrigen ist heute der Kapitalgeber aufgrund der geltenden Haftungsbeschränkungen (GmbH) de facto wirklich ein reiner Kreditgeber, da er keinerlei Risiko mehr hat - und trotzdem gehört ihm das Unternehmen. Wenn der Widersinn dieser „Gewohnheiten“ eingesehen wird, kann erkannt werden, daß auch das Eigentum an einem Unternehmen nur ein Nutzungseigentum sein kann.

4. Der Sinn des Geldes - II

Die eben angestellten Überlegungen werfen wiederum auch ein klärendes Licht auf das Geld. Auch Geld kann im Grunde nur „Nutzungseigentum“ sein. Das Geld, was ich durch meine Arbeitsleistung verdient habe, ist ja selbst kein Wert, sondern ein Beleg für meine produktive Leistung. Es kann daher kein absolutes Eigentum sein, sondern begründet einen Anspruch auf Gegenleistung. Wenn der Bäcker dem Schuster für seine Schuhe Geld gibt, vermittelt dies dem Schuster den Anspruch auf Brot. Zugleich aber hat der Bäcker Anspruch darauf, daß ihm das Brot auch wirklich abgekauft wird, denn er braucht das Geld, um Mehl für die nächsten Brote zu kaufen. Geld muß im Wirtschaftskreislauf zirkulieren. Wird es irgendwo gehortet, fehlt es an einer anderen Stelle.

Regelrechte Kapitalakkumulation ist ein Hinweis auf auch in sonstiger Hinsicht un-rechte Prozesse im Wirtschaftsleben. Die eine Seite der Gesellschaft wird genau dadurch in die Verschuldung getrieben (und dort festgekettet), daß das gesamte Vermögen auf der anderen Seite bei einigen Wenigen sich sammelt – sogar oft noch völlig leistungslos, doch ist dies für die Unzulässigkeit der Hortung irrelevant. Sachgemäß wäre ein reines Nutzungseigentum an Geld. Der Eigentumsanspruch würde bei ungenutztem Vermögen verfallen und dieses als Schenkung wieder dem produktiven Bereich zufließen – dorthin wo es nötig ist. Vermittelt werden könnte dies durch „Schenkungsbanken“, die mit Fachleuten der Zivilgesellschaft besetzt sind.

5. Lohn und „Profit“ – die wahre Leistungsgesellschaft

Heute soll allen Ernstes die Arbeitslosigkeit bekämpft werden, indem Arbeitsplätze gestrichen werden und generell die „Kosten“ für die Ware „Arbeitskraft“ stetig gesenkt werden („Wettbewerbsstandort Deutschland“). Tatsächlich könnten die Lohnnebenkosten abgeschafft und „Sozialleistungen“ aus einer Art erhöhten Mehrwertsteuer finanziert werden – dann wird der Unternehmer nicht „bestraft“ oder zur „Rationalisierung“ gezwungen und jeder zahlt Steuern entsprechend seines Konsumanteils am Sozialprodukt. Voraussetzung für dieses gerechte System ist aber zunächst die wirkliche Durchsetzung des Leistungsprinzips.

Das „Einkommen“ jedes einzelnen muß dem entsprechen, was er für die Gemeinschaft und ihre Bedürfnisse tut und leistet. Welchen Leistungsanteil hat aber der Einzelne – etwa in einem Industriebetrieb? Daß die Produktion stattfinden kann, ist der Zusammenarbeit aller mit ihr Beschäftigten zu verdanken. Die Höhe der Produktion wird natürlich wesentlich von den Entscheidungen dessen bestimmt, der sie organisiert. Wenn dieser „Chef“ die Produktion steigert, kann er theoretisch den höheren Erlös zunächst egoistisch für sich beanspruchen (eigentlich auch nur dann, wenn niemand anders dazu in der Lage gewesen wäre; nebenbei gesagt müßte auch jeder „Nachfolger“ seine Gehaltsansprüche wiederum mit eigenen innovativen Entscheidungen begründen, also „bei Null anfangen“). Nun haben aber auch andere Unternehmen Ideen, und der jeweilige Erlös richtet sich nicht nach den Innovationen des eigenen Unternehmens, sondern nach dem Verhältnis zwischen Gesamtproduktion und Nachfrage. Aufgrund des reinen Produktionsanstieges kann kein „Chef“ irgendwelche Ansprüche geltend machen - sonst müßte er selbst den Großteil aller Erlöse noch heute an Menschen wie Leibniz abführen, ohne dessen „Innovation“ der Differentialrechnung industrielle Produktion gar nicht möglich wäre.

Nehmen wir an, ein Unternehmer steigert durch eine Idee die Produktion und dadurch den Erlös, worauf der Unternehmer die Differenz für sich beansprucht. Bald haben auch andere Unternehmer Ideen, überall wird die Produktion effektiver, der Erlös ist wieder wie vorher. In dieser Situation leistet der Unternehmer in erfinderischer Hinsicht nichts mehr, die gesamte Leistung geht von den Arbeitenden aus, die die (überall!) effektiver gewordene Produktion aufrecht erhalten. Daneben trifft der Unternehmer natürlich ständig „normale“ unternehmerische Entscheidungen. Aber welchen Anteil will er daraus beanspruchen?

Die Frage ist, wer überhaupt die Verteilung des Erlöses festsetzt, und nach welchen Kriterien. Bloß weil jemand die unternehmerischen Entscheidungen trifft, hat er nicht das Recht auf die Verteilung. Oder aber er betrachtet sich deswegen völlig unsachgemäß als Eigentümer des Unternehmens. Wenn er „Löhne“ festsetzt und den Rest für sich beansprucht, müßte er auch das Risiko tragen und die „Löhne“ eben konstant zahlen, auch wenn für ihn einmal weniger übrigbleiben sollte, als für den einfachen Arbeiter! Die Frage ist jedoch, wie überhaupt jemand dazu kommt, sich als Eigentümer anzusehen.

Heute gelten die Kapitalgeber bzw. Aktionäre als Eigentümer (siehe 3. „Das Problem des Eigentums“). Die Kapitalgeber aber haben sachgemäß wie andere Kreditgeber auch nur Anspruch auf ihr ursprüngliches Kapital und zunächst auf einen Anteil am Erlös, sofern er erzielt wird (keinesfalls also einen automatischen Anspruch auf „Mehr“). Irgendwann erlischt aber dieser Anspruch, denn ein Anteil steht nur dem zu, der wirklich arbeitet. Zunächst wurde real mit dem ursprüng­lich gegebenen Kapital gearbeitet. Bald aber hat sich dieses völlig ausgetauscht, und das Unternehmen arbeitet längst mit seinem eigenen Kapital (nur durch tote Begriffe kann man glauben, dies wäre noch immer das Geld des ursprünglichen Kapitalgebers. Die Kapitalsubstanz eines Unternehmens kann sich nur aus sich selbst heraus immer erneuern oder gar nicht).

Da es sachgemäß kein Besitz-Eigentum an einem Unternehmen geben kann, ist die Einkommensfrage eine reine Rechtsfrage und damit Gegenstand gleichberechtigter Verhandlungen unter allen Beteiligten.

Hier liegt übrigens auch ein Bezugspunkt zur Frage des Geldes als Nutzungseigentum. Mein Einkommen muß meinem wirklichen „Verdienst“ entsprechen (in dem Wort liegt das Dienen). Es ist aber sachgemäß unmöglich, daß dieser Verdienst eines Menschen größer ist als ein Einkommen, das er auch wieder ausgeben kann. Die Gesellschaft kann einem Menschen für seine Leistungen bzw. Innovationen ja nicht mehr danken, als ihm einen Anteil des Sozialproduktes zuzugestehen, der unbegrenzten Konsum erlaubt. Auf jeden darüber hinausgehenden Erlös ist ein Anspruch absolut unmöglich, da er ohnehin nur durch Arbeitsteilung zustande gekommen sein kann. Weiterhin ist der Vermögende zur „Nutzung“ seines Geldes verpflichtet (siehe 4. „Der Sinn des Geldes II“). Alles, was jemand bei bestem Willen nicht verkonsumieren kann und was ihm gemäß seiner Leistung auch gar nicht zusteht, enthält er heute jenen vor, die weniger bekommen, als sie leisten.

6. Der rechtmäßige Anspruch der Gemeinschaft

Wenn durch Innovationen die Produktion effektiver wird, bedeutet das Produktionsanstieg oder Entlassungen - zumeist letzteres, da die Nachfrage irgendwann gesättigt ist. Heute beansprucht ein „Unternehmen“ den vollen Erlös, der auf weniger Menschen zu verteilen ist, und überläßt der Gemeinschaft die Versorgung der „Arbeitslosen“. In der Tat hat die Gemeinschaft diese Aufgabe, aber in demselben Maße hat sie Anspruch auf den die Arbeitslosigkeit verursachenden „Produktivitätsanstieg“. Ein „Erlös“, der auf Entlassungen zurückgeht, steht dem Unternehmer überhaupt zu keinem Zeitpunkt zu. Die Gesellschaft versorgt die „Entlassenen“ und muß die Mittel haben, um ihnen ein gerechtes Einkommen zu zahlen, wenn sie sich alternative Tätigkeiten suchen, z.B. im sozialen, pädagogischen oder im Umweltbereich.

Die Produktivität ist über Hunderte von Jahren ununterbrochen gewachsen, das Bruttosozialprodukt und der gesellschaftliche Wohlstand wachsen weiterhin jährlich. Warum sieht es so aus, als sei für immer mehr Menschen immer weniger da? Weil sich Einzelne den Erlös aus dem Produktivitätsanstieg auf Dauer aneignen. Arbeitslosigkeit und Leistungslosigkeit sind zwei Seiten derselben Medaille. Die soziale Frage stellt sich zwangsläufig überall da, wo es leistungslose Einkommen gibt. Die wahre Leistungsgesellschaft steht dem Ideal der Brüderlichkeit näher als ihrem heutigen Lügenbild.

7. Geldmenge und Warenwertschöpfung

Geld darf kein Machtmittel sein, dessen Besitz vorteilhafter als die Produktion und der Verkauf von (verderblichen) Waren ist. Geld muß ein Tauschmittel sein, in dessen Besitz man durch eigene Leistung kommt und dessen Hortung durch Wertminderungs-Prozesse verhindert wird. Im Interesse der allgemeinen Geldwertstabilität muß die Geldmenge an die Warenmenge, d.h. die Geldschöpfung an die Warenwertschöpfung gebunden werden.

Heute entsteht Geld durch die Kreditvergabe der Banken quasi aus dem Nichts (die Kreditvergabe übersteigt die Spargeldmenge um ein Vielfaches), und die Kredite können gleichermaßen für Investitionen, Konsum oder Spekulationen verwendet werden. Der Finanzsektor, der ursprünglich der Bereitstellung von Geld für Investitionen diente, ist heute Schauplatz gigantischer Spekulationen, deren Gewinne sich größtenteils anhäufen und dem produktiven Kreislauf entzogen werden – und nebenbei ganze Volkswirtschaften ruinieren (oder aufkaufen) können. In der realen Wirtschaft steigt die Zahl der Konkurse stetig, weil die Unternehmen die Zinsen nicht zahlen können, die die Banken verlangen, ohne das entsprechende zusätzliche Geld jemals in den Kreislauf gegeben zu haben.

Finanzspekulation ist als Möglichkeit leistungsloser Einkommen und auch sonst volks- und weltwirtschaftlich schädliches Phänomen zu unterbinden.

Die Geldmenge kann an die Warenmenge gebunden werden, indem das Geld genau mit der Ware entsteht und wieder vergeht: Heute nehmen Händler bei Markteintritt einen sogenannten Kontokorrentkredit auf, um ein Warenlager einzukaufen. Da es sich um den Einkauf von Umlaufmitteln handelt, kann dieser Kredit (auch ohne Zins) im Grunde nie zurückgezahlt werden, es sei denn durch Erzielen eines Profits, der andere Marktteilnehmer in den Ruin treibt. Sachgemäß sollte jedoch der Händler kontinuierlich frei geschöpfte, zinslose Kredite erhalten, mit denen er die ebenfalls „aus dem Nichts“ entstandenen Waren kauft. Aus dem Verkaufserlös – die Differenz bildet sein (profitloses) Einkommen – wird jeder Kredit wieder zurückgezahlt und verschwindet ebenso wie die an den Konsumenten verkaufte Ware.

Investitionen dagegen werden sachgemäß aus realem Spargeld finanziert, da gespartes Geld unverkauften Waren entspricht und Investitionen nur möglich sind, wenn unverkaufte Waren vorhanden sind (die den Investor versorgen, bis auch dieser reale Produkte zum Wirtschaftskreislauf beisteuern kann). Um einen Menschen, der unternehmerisch bzw. produktiv tätig werden will, nicht zu bestrafen, sondern zu fördern, sollte er – sofern seine „Waren“ gesellschaftlich sinnvoll und gefragt sind – eine Schenkung erhalten, die ihm die nötigen Investitionen und den Beginn seiner Tätigkeit ermöglicht (zur Eigentumsfrage sie 3.). Um die Geldmenge an diesem Punkt konstant zu halten, ist jeweils der gleiche Betrag dem Wirtschaftskreislauf wieder zu entziehen – als Konsumsteuer für die Wirtschaftsteilnehmer, denen die Produktion ja dient (siehe 2.).

IV. Ausblick

In diesem Papier wurde zunächst nur Grundsätzliches angesprochen und es wurde versucht, grundlegende Begriffe „ins Rechte“ zu denken. Konkretere Vorschläge wurden schon aus der Überzeugung vermieden, daß eine „bessere Welt“ nicht „machbar“ und schon gar nicht am „Grünen Tisch“ planbar ist. Die Umsetzung des hier angedeuteten Grundsätzlichen in die Realität wird jeweils so erfolgen können, wie es je nach den Umständen und den handelnden Menschen sachgemäß ist.

Es scheint, als sei kaum auf die Probleme der Dritten Welt und das Verhältnis zwischen Nord und Süd eingegangen worden. Dieser Eindruck täuscht jedoch. In Wirklichkeit geht es hier um die gleichen Machtfragen, die in diesem Papier ausführlich besprochen wurden, und eine Übertragung auf die Ebene internationaler Beziehungen dürfte dem selbständigen Denker leicht fallen. Hinzuzufügen wäre der Deutlichkeit halber noch, daß alle Fragen, die das unmittelbar Menschliche betreffen (Arbeitsbedingungen, Einkommen, Rechte...) keine wirtschaftlichen Probleme, sondern Rechtsfragen darstellen, die zwischen allen jeweils Beteiligten auf einer völlig gleichberechtigten Ebene zu verhandeln bzw. festzulegen sind.

Gegenwärtig wird es als „Gefährdung“ des eigenen „Wirtschaftsstandortes“ wahrgenommen, daß die Entwicklungsländer mit Niedriglohnproduktion auf den Weltmarkt drängen. Sie tun damit jedoch nichts weiter, als den einzigen Weg zu beschreiten, der ihre eigene Entwicklung möglich macht: Sie versuchen, einen Exportüberschuß zu erzielen. Im Grunde müßten die Industrieländer, sollte ihnen an der Entwicklung der Armen wirklich gelegen sein, freiwillig ein Handelsdefizit auf sich nehmen – als Schenkung an die Dritte Welt (ganz moralfrei gemeint; es dürfte sich weniger um eine Gunst als um einen Beginn der Wiedergutmachung für vergangene Jahrhunderte handeln).

Unabhängig davon, ob die Industrieländer sich zu einem realen teilweisen Transfer ihres Bruttosozialproduktes an die Dritte Welt bereit finden oder nicht, werden Möglichkeiten gefunden werden müssen, die Austauschbeziehungen gerechter zu gestalten. Dies wird nur gelingen, wenn man das Dogma eines durch Angebot und Nachfrage definierten Preises überwindet (wie man es in bezug auf Subventionen eigener Wirtschaftssektoren seit jeher tut). Solange die Entwicklungsländer überhaupt keine eigene Freiheit des Angebots haben, muß es menschlichere Wege der Preisbildung geben. Auch hier darf sich die Verteilung des Weltsozialprodukt nicht nach nackten Machtverhältnissen richten.

Gewissermaßen als Schlußwort sei nochmals wiederholt, daß weltweit und erst recht hierzulande die Produktivität stetig gewachsen ist. Es geht weniger darum, daß die Dritte Welt endlich ein wachsendes Stück vom – ebenfalls wachsenden – Kuchen erhält (dies ist keine Gefahr, sondern für jeden, der menschlich denkt, ein Ziel), sondern um die Verteilungsfrage im eigenen Land.

Die große Gefahr des Sozialdarwinismus – einer Welt, in der jeder nur noch an sich denkt und den anderen bekämpft – droht nicht, weil die Dritte Welt mit dem Mut der Verzweiflung und Selbstausbeutung Anschluß an unseren Wohlstand sucht, sondern weil im Norden selbst noch weitgehend unerkannt ein Verteilungskampf tobt, in dem sich die Reichen und Mächtigen, die an den geheimen Schalthebeln der (Lobby)Macht sitzen, immer ungehemmter ihre Profite sichern und von den Armen immer unverschämter die aufgrund der „Globalisierung“, „Überalterung“ oder anderer Scheingründe „nötigen“ Opfer fordern, zu denen sie selbst niemals bereit wären.

Das Ziel von Attac ist es gewissermaßen, „die Wahrheit ans Licht zu bringen“ – bis jeder Mensch, der guten Willens ist, sich selbst davon überzeugen kann: Eine andere Welt ist möglich.

Fußnoten


[1] Leistungsloses Einkommen meint unverdienten Profit. Sozialhilfe ist im völligen Gegensatz dazu bereits ein Element von Brüderlichkeit, die allerdings staatlich verordnet ist, aber auch nur durch Ungerechtigkeiten wie unverdienten Profit erst nötig wird.