25.06.2003

Reformen, die ihren Namen verdienen ...

... für eine Wirtschaft, die den Menschen dient

Entwurf eines Grundsatzpapieres für ATTAC

Steigende Arbeitslosigkeit, Aushöhlung der sozialen Sicherung, mittlerweile über 40.000 Firmenpleiten jährlich – und täglich erklingt der Ruf nach „Reformen“. Doch wer aus dem Chor der „Mahner und Macher“ ist frei von Eigeninteresse oder angeblichen „Sachzwängen“ – die doch nur bedeuten, mit dem Strom zu schwimmen, um seine Macht zu behalten? Wer macht sich wirklich Gedanken über die Ursachen der Krisensymptome? Wer wagt es, den Rezepten, den Ideologien, den festgefahrenen Vorstellungen oder Behauptungen zu trotzen, eigenständig zu denken und den wirklichen Prozessen auf den Grund zu gehen?

  • Die Unmöglichkeit des „Gewinns“
  • Die Geldmenge und ihr Gleichgewicht
  • Wachstum als Scheinlösung
  • Der Kampf um den größten Anteil
  • Das austrocknende Flußbett
  • „Finanzmärkte“ – stiller oder plötzlicher Tod der Wirtschaft
  • Casino-Kapitalismus als Zwang
  • Umverteilung – der totgeschwiegene Skandal
  • Die Rede vom „Sozialneid“ und andere Verbrechen
  • Dienendes statt mächtiges Geld
  • Das Problem des Eigentums
  • Lohn und „Profit“ – die wahre Leistungsgesellschaft
  • Zusammenfassung


Ganz Deutschland versinkt in Mittelmäßigkeit und Armut? Die Produktivität und die Lohnstückkosten legen das Gegenteil nahe – sie weisen nach wie vor Spitzenwerte auf, die im internationalen Vergleich ihresgleichen suchen. Das Bruttosozialprodukt stieg bis dato noch ständig – der daraus resultierende volkswirtschaftliche Reichtum ist irgendwo vorhanden. Und genau hier liegt das Problem. Deutschland ist nur in einer Hinsicht auf dem Weg zum Entwicklungsland: Ein wesentliches Charakteristikum von Entwicklungsländern ist die extreme, kaum vorstellbare Ungleichverteilung des volkswirtschaftlichen Reichtums. 

Unser Wirtschaftssystem basiert auf einer Lüge – man kann auch sagen auf einer Unmöglichkeit, die fortwährend verleugnet wird: Der Unmöglichkeit des Profits. Exakt formuliert geht es um die Unmöglichkeit von „Gewinn“, der nicht zu Lasten anderer geht und somit nicht nur eine unrechtmäßige Umverteilung wäre.

Gemeint ist nicht die ursprüngliche Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben – der Unternehmer muß ebenso leben wie der Arbeiter, er muß Rücklagen für den Erhalt des Unternehmens bilden, und so weiter. Gemeint ist jener Anteil an dieser Differenz, der nicht dem Gegenwert der wirklichen eigenen Leistung entspricht. Gemeint ist der tatsächlich geraubte, leistungslos angeeignete Anteil des Volkseinkommen, der einem nicht zusteht.

Während unvoreingenommene „Laien“ sofort verstehen, warum es die wundersame Geldvermehrung nur im Märchen geben kann, übersteigt es insbesondere für vermeintliche „Fachleute“ schlichtweg fast das Denkmögliche, auch nur in Betracht zu ziehen, daß der gesamte Kapitalismus als scheinbares Erfolgsmodell eine logische Unmöglichkeit ausgeblendet haben könnte.

Die Unmöglichkeit des „Gewinns“

Kapitalismus bedeutet, daß der eine den anderen ruiniert. Seine wahren Vertreter wissen das – sie verschweigen es gerne und fangen ihre Sätze lieber erst mit der Behauptung an, daß genau dies doch die effektivste Wertschöpfung garantiere und letztlich allen diene. Doch der Glaube an die „unsichtbare Hand“ bezeichnet schon den Beginn der von der Realität nicht gedeckten Behauptungen oder gar Ideologien und muß von den objektiven Voraussetzungen deutlich getrennt werden.

Um diese Voraussetzungen ganz deutlich zu machen, betrachten wir ein Beispiel: Ein Unternehmer will in das Wirtschaftsleben eintreten und etwa eine Tischlerei gründen. Er nimmt bei einer Bank einen Kredit auf. Später, wenn er die ersten Möbel mit Gewinn verkauft hat, zahlt er den Kredit mit Zins zurück... Wer hier noch nicht gedanklich „Halt!“ ruft, folgt ganz der gängigen Theorie, die auf dem Papier keine Probleme sieht. Das liegt daran, daß ein Begriff wie „Gewinn“ eine so selbstverständliche Grundgröße ist, daß er einfach vorausgesetzt wird. Selbstverständlich ist, daß durch menschliche Produktion Neues in die Welt kommt (Möbel). Klar ist auch, daß der Tischler dafür „seinen Preis“ bekommen soll.

Nun gibt es zu einem bestimmten Moment eine bestimmte Geldmenge. Mit diesem Geld kann sich eine Gesamtheit von Menschen bei festen Preisen eine bestimmte Gesamtheit von Waren kaufen. Jetzt kommen durch den Tischler neue Waren in die Welt. Womit aber sollen sie gekauft werden? Es ist ja nicht zu erwarten, daß alle anderen Produzenten ihre Waren ein klein wenig billiger machen. Allerdings hat der Tischler einen Kredit bekommen, dieses Geld ist inzwischen ebenfalls im Kreislauf, und damit können seine Möbel gekauft werden.

Das Kreditgeld kam in den Kreislauf, indem der Tischler es zunächst dem Holzfäller gab (von den Händlern sei hier abgesehen). Nur das gleiche Geld kann auch wieder zu ihm zurückfließen. Damit sind seine Tische so teuer wie das Holz. Und er kann das Geld nicht einmal behalten, sondern muß es erneut dem Holzfäller geben. Das Geld, das durch den Kredit in den Kreislauf kam, ist fortwährend notwendig, um die Tische zu kaufen bzw. um das Holz für neue Tische zu kaufen. Der Tischler macht keinen Gewinn.

Die Geldmenge und ihr Gleichgewicht

Das eigentliche Problem hat für den Tischler aber noch nicht einmal begonnen. Die Bank möchte den Kredit wieder zurückbekommen! Lassen wir einmal beiseite, daß sie sogar noch Zinsen verlangt und bleiben bei der reinen Tilgung. Das kreditierte Geld ist für den Wirtschaftskreislauf unabdingbar, und der Tischler kann darüber gar nicht verfügen. – Aber er könnte doch auf seine Preise etwas aufschlagen...? Nun, die Wirtschaft besteht aus vielen Menschen, die als Produzenten alle unter ähnlichen Bedingungen wie der Tischler angefangen haben. Ein Preisaufschlag bedeutet, daß der Tischler die Taktik der Bank übernimmt und mehr zurückhaben will, als er ausgegeben hat – um in der Folge nicht wieder alles ausgeben zu müssen, sondern auch der Bank etwas zurückgeben zu können.

Wo in einer komplexen Wirtschaft das Geld tatsächlich hinfließt, ist offen und hängt von den Bedürfnissen der Menschen ab. Tatsache aber ist, daß eine bestimmte Geldmenge existiert. Wenn jemand mehr erhält, als er gegeben hatte, nennt man das „Gewinn“. Dieser positiv besetzte Begriff verdeckt, daß ihm zwangsläufig ein Verlust gegenübersteht. Sobald es irgendwo einen Gewinn gibt, erhalten anderswo Menschen weniger Geld als sie bräuchten, um ihre produktive Tätigkeit aufrechtzuerhalten.

Statisch gesehen kann kein Wirtschaftsteilnehmer einen Kredit zurückzahlen. Das grundlegende Problem ist die Tatsache, daß die gesamte Wirtschaft bzw. Geldmenge auf Kredit basiert. Ein Ausgleich wäre erst dann gegeben, wenn die Banken das gesamte umlaufende Geld wieder eingesaugt hätten!

An sich würde auch eine kreditgetragene Wirtschaft funktionieren, wenn die „Kreditschulden“ eine rein rechnerische Größe wären, die die Unternehmen einfach fortwährend in ihren Bilanzen mitführen würden. Es hätten alle Unternehmen ihre Grundschuld, die Bankangestellten würden von den Zinsen leben, die sie als Konsumausgaben auch wieder in den Kreislauf zurückfließen lassen – und alle könnten existieren.

Das Problem entsteht, weil die Banken tatsächlich die Tilgung der Kredite verlangen und die Unternehmen nach „Gewinnen“ streben, um zunächst ihren Kredit zu tilgen und fortan den Gewinn für sich zu behalten. Dynamisch gesehen ist „Profit“ natürlich möglich – und ein alltägliches Phänomen –, aber eben nur auf Kosten anderer. Es können genau die Produzenten durch „Gewinne“ ihre Kredite zurückzahlen, die aus dem Wirtschaftsstrom etwas von jenem Geld „auffangen“, das als Kredit für andere Produzenten in den Kreislauf kam und auch wieder zu diesen hätte zurückfließen müssen. Der „Gewinn“ der einen führt also zum Ruin der anderen. Der „Gewinner“ profitiert von Geld, was ohne diese anderen gar nicht im Kreislauf wäre und das er diesen entzieht.

Wachstum als Scheinlösung

Vielleicht wendet man gedanklich ein, die Wirtschaft funktioniere real aber doch. Schaute man sich die Realität wirklich an, könnte man wahrnehmen, daß wir bereits mitten in den Vorläufern der Krise stecken (siehe den allerersten Satz). Manch einer mag immer noch von einer „schlechten konjunkturellen Lage“ murmeln – tatsächlich jedoch sehen wir die verschiedenen Symptome des akuten Zusammenbruchs. Die Frage ist eigentlich nur: Warum hat das Ganze so lange halbwegs funktioniert, so daß die Menschen sich täuschen lassen konnten?

Das Geheimnis liegt im „Wachstum“, das nicht ohne Grund zur Ideologie und Pflicht erhoben wurde. Solange die Wirtschaft wächst und die Investitionen zunehmen, steigt auch die Vergabe von Krediten und damit die Geldmenge. Die Gesamthöhe der Verschuldungen stieg stetig. Aber immer wenn neues Geld in den Kreislauf kommt, wird ein Teil dessen von den alten Schuldnern „aufgefangen“, die damit zumindest ihre Zinsen zahlen können.

Zumeist haben die jeweils schon länger am Markt etablierten Produzenten aus verschiedensten Gründen Konkurrenzvorteile. Das vielfache Scheitern der neuen (manchmal auch der etablierten) Wirtschaftsteilnehmer ist systemimmanent schon einkalkuliert, denn nur dank dieser Konkurse kann die übriggebliebene Konkurrenz überleben. Kurz gesagt, darf jeder hoffen, „Gewinne“ zu machen und Kredite oder zumindest Zinsen abzahlen zu können, solange die Wirtschaft wächst, also neue Kredite in Umlauf kommen. Aus diesem Grund kommt es schon einer Krise gleich, wenn auch nur das Wachstum (!) sich verlangsamt.

Ein weiterer „Rettungsanker“ ist der Staat. Er darf im Gegensatz zu den Unternehmen Schulden in unvorstellbarer Höhe machen – und läßt dieses Geld quasi als Schenkung in den Kreislauf einfließen. Der Staat ist für die Wirtschaft ein gigantischer Auftraggeber, außerdem gibt er riesige Subventionen für verschiedenste Sektoren (Landwirtschaft, Kohle, Stahl etc.). Ohne Staatsverschuldung hätte das heutige Wirtschaftssystem nach 1945 nicht einmal drei Jahrzehnte durchgehalten. Doch inzwischen ist auch der staatliche Schuldenberg so groß, daß allein die Zinsen ein Viertel der Steuereinnahmen verschlingen (würden, wenn sie nicht nach wie vor einfach dem Schuldenberg aufgeschlagen würden).

Der Kampf um den größten Anteil

Die letzte Möglichkeit, sich noch so lange wie möglich auf Kosten anderer aus der Schlinge zu ziehen, ist die ständige „Kostensenkung“. Wer jährlich 10% Zinsen zahlen muß, die er aber nirgendwo abzweigen kann - da der Umsatz gerade die laufenden Kosten deckt, wie es einem Gleichgewicht eben entspricht -, der muß jährlich seine Kosten senken. Das heißt: Mitarbeiter entlassen, Löhne kürzen, Arbeitszeit erhöhen, Produktivität steigern... Dadurch wird eben doch ein „Gewinn“ möglich. Der objektive Begriff dafür ist Umverteilung.

Wohlgemerkt: Die gesamte Geldmenge kommt als Kredit in den Kreislauf und wird von den Banken zurückgefordert. Dies setzt die Produzenten unter Druck, ihrerseits Geld aus dem Kreislauf zu saugen, wo immer es möglich ist. Unabhängig davon, ob menschlicher Egoismus zu Verteilungskämpfen führen würde, schafft die heutige auf Kredit basierende Wirtschaft solche Kämpfe mit absoluter Notwendigkeit. Die Lohnnebenkosten sind nicht „zu hoch“, die Sozialsysteme sind nicht zu „luxuriös“ – selbst kostenlose Arbeitssklaven würden viele Unternehmer nicht retten.

Solange sich das Wirtschaftssystem nicht ändert, werden die Verteilungskämpfe weitergehen – wie seit Menschengedenken, immer auf Kosten der jeweils Schwächeren. Nur daß heute zusätzlich immer raffinierter die Schwächeren auch noch als Schuldige hingestellt werden. Wo das nicht geht, bleibt stets noch die angebliche Naturgesetzlichkeit der Entwicklung: „Die guten Zeiten sind vorbei, der Sozialstaat hat ausgedient“. Doch wenn es jemals bessere Zeiten gab, dann nur, weil früher andere vermehrt ausgebeutet werden konnten, die heute mit zur Konkurrenz zählen (etwa ehemalige Entwicklungsländer).

Die Produktivität des menschlichen Wirtschaftens steigt stetig. In einem wirklichen Gleichgewicht kann sich jeglicher Wohlstand nur erhöhen. Er vermindert sich für einige nur unter zwei Bedingungen: Wenn andere dasjenige beanspruchen, was ihnen früher unrechtmäßig vorenthalten wurde (Entwicklungsländer); oder wenn andere unrechtmäßig beanspruchen, was ihnen überhaupt nicht zusteht.

Das austrocknende Flußbett

Mit dieser Andeutung kommen wir zu den Vermögensbesitzern, die im heutigen System gewissermaßen „garantiert und ewig“ Zinsen bekommen, deren Vermögen sich also von selbst vermehrt. Auf diesem Felde verläuft die Umverteilung sogar ganz ohne Kampf. Der Reiche wird schlichtweg kontinuierlich reicher, einfach weil er reich ist. Die Kämpfe spielen sich dann im Wirtschaftsleben ab, dem das Geld entzogen wird. Obwohl der Zins die allergrößte der vielen Ungerechtigkeiten ist, wird gerade er am wenigsten hinterfragt.

Während schon jeder „Profit“ eines Unternehmers die Krise verschärft, macht der Vermögende diesen Profit nicht nur „naturgegeben“, sondern sogar gänzlich ohne eigene Leistung!

Immer noch stellt man sich vor, daß ja ohne Zins niemand sein Geld zur Verfügung stellen würde. Damit aber macht man schon drei Voraussetzungen: Die gegebenen Eigentumsverhältnisse, überhaupt die Möglichkeit des „Besitzes“ von Geld und seine selbstverständliche Vermehrung. – Wie kann man noch immer an der Zinstheorie vom „entgangenen Nutzen“ festhalten, wenn die Vermögenden nichts lieber tun, als ihr Geld zu verleihen? Wie kann man noch an Zins als „Bezahlung“ für den Verzicht auf eigene produktive Investition glauben, wenn jeder wirklich produktiv tätige Unternehmer der tödlichen Verschuldung kaum entgehen kann, während der Reiche gerade durch Kreditvergabe völlig ohne eigenes Zutun ernährt wird?

Die Krise verschärft sich nochmals drastisch dadurch, daß ein zunehmender Teil der Vermögen der Wirtschaft überhaupt nicht mehr zufließen. Das von Marxisten gepflegte Bild der vom Unternehmer ausgebeuteten Arbeitskraft weist nur auf einen Teil der Wirklichkeit hin. Selbst rücksichtslos wirtschaftende Unternehmen stehen nicht unbedingt besser da, als solide, solidarisch wirtschaftende Kleinbetriebe, weil grundsätzlich etwas nicht stimmt. Es ist, wie wenn ein Bachbett austrocknet, weil durch einen unbemerkten Riß fast alles Wasser sich in einen vom übrigen Ökosystem völlig isolierten See ergießen würde.

1991 bis 2001 wuchs das Bruttoinlandsprodukt um 37% auf rund zwei Billionen Euro. Die Nettolöhne stiegen nur um 23%, aber auch die Einkommen aus Unternehmertätigkeit stiegen nur um 31%! Dagegen haben sich die gesamten Geldvermögen genau verdoppelt (auf über sechs Billionen Euro). Im Jahre 2001 hatten die Zinszahlungen der Banken einen Umfang, der über 50% aller Nettolöhne entsprach.

„Finanzmärkte“ – stiller oder plötzlicher Tod der Wirtschaft

Die Geldvermögen wuchsen also rasant, obwohl sich dies weder in den Löhnen, noch in den Unternehmensgewinnen wiederspiegelt. Wie ist das möglich?

Das Geld der Vermögenden fließt nicht mehr in den realen Wirtschaftskreislauf, sondern in einen zunehmend rein virtuellen Finanzkreislauf. Da reale Investitionen in Produktionsmittel, in Unternehmen, in die Herstellung realer Waren, nicht mehr genügend rentabel erscheint, wird das Vermögen in Aktien, Optionen, Derivate und andere „Wertpapiere“ und „Finanzprodukte“ angelegt. In diesem virtuellen Universum können Wetten abgeschlossen werden, kann auf die Entwicklung von Aktienindizes und andere Rechengrößen spekuliert werden, hier kann auf das große Glück gehofft werden. Und solange alle Teilnehmer diese Hoffnung haben, steigen die Kurse entsprechend der Nachfrage nach den begehrten Papieren von selbst und saugen auf diese Weise immer mehr Kapital aus der realen Welt der Waren- und Dienstleistungs-Wirtschaft ab.

Ende 2001 existierten Finanzderivate im „Wert“ von über 120.000 Mrd $, der tägliche Handel betrug rund 2.800 Mrd $. Die reale Wirtschaft spürt diese mysteriöse Welt der Finanzen zum einen in einer rein negativen Form als Geldmangel – wie wenn einem Organismus die Luft abgedrückt wird. Zum anderen entfalten die Finanzmärkte immer dann erstaunlich reale Wirkungen, wenn durch große Umschichtungen und insbesondere durch massive Währungsspekulationen ganze Volkswirtschaften ruiniert werden (wie in der Vergangenheit die asiatischen Tigerstaaten, Rußland, Brasilien oder Argentinien). In solchen Fällen liegt nicht etwa ein originäres Währungsproblem vor, weil ein Land vielleicht unsolide gewirtschaftet hätte, sondern die Spekulanten selbst sorgen durch zielgerichtete An- und Verkäufe für die Abwertung einer Währung, gegen die sich keine Regierung mehr wehren kann.

Wir erleben also in unserer Generation mehr als jemals zuvor die Ungeheuerlichkeit, daß die ohnehin schon Superreichen durch Spekulation ihren Reichtum nicht nur stetig vermehren, ohne selbst irgendwie produktiv tätig zu sein, sondern daß sie durch diese spekulativen Prozesse immer größere Teile der Welt in den Ruin treiben – die heimische Wirtschaft ebenso wie ferne Länder, die sie nur aus Zeitungsnotizen kennen.

Casino-Kapitalismus als Zwang

Das „normale“ Glücksspiel ist verboten bzw. auf kontrollierte Casinos oder ähnliche Orte beschränkt. Viel gefährlicher, jedoch absolut nichts anderes ist das tägliche „Börsengeschehen“. Der einzige Unterschied ist, daß hier die gutinformierten und gutbetuchten Reichen a priori die größten Aussichten auf Erfolg haben (weil für sie Pech schon an Dummheit grenzt) und vor allem – daß alle Welt gezwungen ist, sich in diese zerstörerische Casino-Welt einbinden zu lassen.

Sollte ein Staat sich weigern und Kapitalverkehrskontrollen oder ähnliches einführen wollen, wäre er binnen kurzem ein internationaler Paria, isoliert vom mächtigen IWF und der „freien Welt“ der G7-Staaten und ihrer gehorsamen Satrapen. Jeglicher Eingriff in die „Freiheit der Finanzmärkte“ ist ein schlimmeres Verbrechen als es ein Eingriff in die Freiheit oder gar die Unversehrtheit von Menschen oder auch Staaten je sein könnte. Es gibt außerhalb der neoliberalen Ideologie keine selbstbestimmte Souveränität mehr – das Interesse und der Wille der oberen Zehntausend ist für die übrige Welt (Natur-)Gesetz. Sprach man früher vom Naturrecht und einer voraussetzungslosen „Würde“ eines jeden Menschen, so ist dies heute durch das Recht des Stärkeren vollständig ersetzt. Die tägliche Vergewaltigung hüllt sich ins Kleid „westlicher Werte“.

Diese perfekte Ideologie ist in Theorie und Praxis menschenverachtender als es in einfachen Worten ausgedrückt werden kann – unerreicht in ihrer perfiden Subtilität, die trotz aller Fakten nicht müde wird zu behaupten, es diene doch alles zum Wohle aller.

Zum Wohle aller muß Spekulation unmöglich gemacht werden. Die Finanzmärkte müssen wieder ein würdiger Ort für ihre ursprüngliche Aufgabe werden: Währungswechsel- und Termingeschäfte, die unmittelbaren Bezug zur Realwirtschaft haben. In einem ersten Schritt ist eine differenzierte Devisensteuer einzuführen, die dazu führt, daß Spekulation – ihrem Wesen nach unproduktiv, unsozial und zerstörerisch – nicht mehr rentabel ist!

Umverteilung – der totgeschwiegene Skandal

In einem weiteren Gedankengang kann untersucht werden, was für Folgen die zunehmende Ungleichverteilung der Vermögen hat. Würde sich das gesamte Geldvermögen zunehmend bei einer Handvoll Superreichen konzentrieren, könnte es theoretisch dennoch der Realwirtschaft immer wieder zufließen, indem jene Reichen konsumieren, investieren und verleihen. Die heutigen Reichen können jedoch schon jetzt nur noch einen Bruchteil ihrer Vermögen immer wieder verkonsumieren. „Investitionen“ würden bedeuten, daß auch die gesamte Wirtschaft zunehmend in den Besitz dieser Reichen kommt. Und das Verleihen ihres Reichtums zöge es nach sich, daß sich die übrigbleibenden Wirtschaftsteilnehmer immer mehr verschulden. Alles in allem – eine Wirtschaft, die im wesentlichen für die Reichen selbst produziert, überwiegend in deren Besitz oder andernfalls bei ihnen verschuldet ist, und in der alle übrigen Menschen von Gnaden der Reichen existieren.

Die hier in ihrem noch nicht erreichten Endstadium skizzierte Umverteilung findet heute in voller Dynamik statt, wie die eingangs erwähnten Zahlen zeigen. Während in immer wiederkehrenden Ritualen Arbeitnehmer und Arbeitgeber einander bekämpfen, um ein gerechtes Stück vom Kuchen zu erhalten, freut sich der schweigende Dritte, dem allein vollkommen klar ist, daß es für beide nicht reicht und immer weniger reichen wird. Während es obszön ist, daß etwa DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp im letzten Jahr ein Grundgehalt von 6,5 Millionen Euro einstreichen durfte (Aktienoptionen nicht mitgerechnet), sind die Vermögenden an sich (zu denen Schrempp natürlich spätestens seit diesem Gehalt auch gehört) diejenigen, die wirklich völlig ohne eigene Leistung von der Arbeit anderer leben können.

Schon ein zweifacher Millionär erhält bei einem Zinssatz von nur fünf Prozent jährlich 100.000 Euro Zinsen. Selbst wenn er die Hälfte dem Staat überlassen müßte, hätte er täglich 140 Euro zur Verfügung. In Deutschland fließen täglich etwa eine Milliarde Euro Zinsen von arm zu reich. Schon mit einem Drittel davon könnten problemlos vier Millionen Arbeitslosen normale Löhne erhalten – für welche sinnvollen Arbeiten auch immer.

Die Rede vom „Sozialneid“ und andere Verbrechen

Würde der Reiche alle ihm zufließenden Zinsen auch wieder ausgeben, würde sein Vermögen zumindest nicht weiter wachsen – er würde dann „nur“ in konstantem Maße von den übrigen Menschen ernährt, die für ihn arbeiten (wobei sie selbst ihm direkt oder indirekt jeweils die Zinsen überlassen, mit denen er ihre Waren und Dienste kaufen kann). Das heutige Geldsystem ist tatsächlich so beschaffen, daß sich Bilder von Parasiten schlichtweg aufdrängen. Dies hat nichts mit Sozialneid zu tun, sondern mit der objektiven Antisozialität unserer Geldordnung – von der die Reichen letztlich aus eigenem Entschluß profitieren, sofern sie die Zinsen nicht gemeinnützigen Zwecken zugute kommen lassen.

Es ist schon erstaunlich, daß heute offen von „Neid“ gesprochen wird, wo es in Wirklichkeit um die Schädigung und den Betrug anderer Menschen geht. Für diese Tatsache spielt es keine Rolle, daß es sich gleichzeitig um objektive Prozesse handelt, hinter denen kein böser Wille stecken muß. Gleichwohl tritt die Moral (bzw. die Unmoral) spätestens dann auf, wenn mit suggestiven Reden etwa vom „Sozialneid“ der Versuch unternommen wird, die objektiven Strukturen zu decken, zu bewahren, zu legitimieren.

In einer Wirtschaft, in der ein wachsender Anteil des Geldes automatisch an die (ohnehin schon) Vermögenden fließt, ist kein Platz für alle. Dies und nicht die Konkurrenz jenseits des Atlantik oder Pazifik ist der Hauptgrund für die zusammenbrechende Wirtschaft. Hat ein Unternehmen schon genug Schwierigkeiten, die anfangs aufgenommenen Kredite zurückzuzahlen, sind die Zinsen spätestens dann nicht aufzubringen, wenn diese der Wirtschaft nicht regelmäßig wieder zufließen, sondern sich auf wachsende Vermögen aufhäufen. Dies ist der Grund für die zunehmende Zahl der Firmenpleiten, für die seit 40 Jahren exponentiell wachsende Staatsverschuldung (die immer auch der „Wirtschaftsförderung“ dienen sollte) und für den Kampf aller gegen alle.

Wenn nicht genug Geld im Wirtschaftskreislauf zirkuliert, muß einer dem anderen „das Wasser abgraben“. Es überlebt dasjenige Unternehmen, das die durch Kredite neu in den Kreislauf gelangenden Gelder für die Rückzahlung eigener Schulden und Zinsen „auffangen“ kann – den Letzten beißen die Hunde. Im heutigen Wirtschaftssystem ist ein solidarisches Mit- oder auch nur Nebeneinander nicht möglich.

Wie ein Lack eine häßliche Fratze verdeckt, funktionierte das System solange, wie die Wirtschaftsleistung real wuchs und wachsen konnte. Die sich ausweitende Wirtschaft, die wachsende Geldmenge und wachsende Schulden bildeten zusammen einen so dynamischen Prozeß, daß es zunächst nicht offensichtlich erkennbar war, daß im Zustand des Gleichgewichts dasselbe System zusammenbrechen muß. Diese Zwangsläufigkeit ist jedoch der wahre Grund für die weitere „Flexibilisierung“ der Wirtschaft, die die menschliche Arbeitskraft wieder für eine Art moderne Sklaverei zurichtet.

Die Unternehmen hoffen, sich durch Senkung der „Arbeitskosten“ aus der Schlinge zu ziehen – und der Staat hilft ihnen. Es handelt sich aber um eine Schlinge, die sich immer weiter zuzieht. Selbst kostenlose Sklaven würden das System nicht retten – nach einem eisernen Grundsatz muß das, was produziert wird, auch verkauft werden können.

Dienendes statt mächtiges Geld

Geld hat insbesondere die Funktion, den Warentausch zu vermitteln. Dazu aber darf es sich nicht dort vermehren, wo ihm kein realer Konsumbedarf entspricht, während es gleichzeitig dort fehlt, wo es gebraucht wird. Es müßte ein Tauschmittel sein, in dessen Besitz man durch eigene Leistung kommt und dessen Hortung durch Wertminderungs-Prozesse verhindert wird. Unser Zinssystem jedoch erzwingt ein ständiges Wachstum und damit sinnlose Produktion und künstliche Erweckung immer neuer „Bedürfnisse“, während andererseits selbst jene Unternehmen, die bedarfsgerechte Waren produzieren, wegen schwindender Kaufkraft der Mehrheit in die Krise geraten.

Die Begriffe „Vermögen“ und „Tauschmittel“ stehen sich ziemlich polar gegenüber. Wenn ich uneingeschränkt akzeptiere, daß man Geld „horten“ kann, muß ich mich mit jenem Geldumlauf bescheiden, den der Reiche durch seinen Konsum bestimmt. Will er aber einfach nur immer reicher werden (oder wird er es, weil er nicht einmal alle Zinsen verkonsumieren kann), haben alle anderen das Nachsehen. – Will man aber das Geld als Tauschmittel, führt dies zwangsläufig zu dem Gedanken, daß es keinen Besitz von ungenutztem Geld, also keine Geldhortung geben darf. Dann aber braucht es auch keinen Zins als Anreiz zum Verleihen.

Das Tauschmittel Geld kann immer nur ein „Nutzungseigentum“ sein. Das Geld, was ich verdient habe, ist ja selbst kein Wert, sondern ein Beleg für meine produktive Leistung, der einen Anspruch auf Gegenleistung begründet. Wenn der Bäcker dem Schuster für seine Schuhe Geld gibt, vermittelt dies dem Schuster den Anspruch auf Brot. Zugleich aber hat der Bäcker Anspruch darauf, daß ihm das Brot auch wirklich abgekauft wird, denn er braucht das Geld, um Mehl für die nächsten Brote zu kaufen. Geld muß im Wirtschaftskreislauf zirkulieren - wird es irgendwo gehortet, fehlt es an einer anderen Stelle. Sachgemäß würde ein Eigentumsanspruch auf ungenutztes Vermögen allmählich verfallen – dieses könnte unter anderem als Schenkung in den gemeinnützigen Bereich fließen (vermittelt beispielsweise durch „Schenkungsbanken“, die mit Fachleuten der Zivilgesellschaft besetzt sind).

Es ist bereits ein volkswirtschaftlicher Irrsinn, daß Geld nur als Kredit in den Wirtschaftskreislauf eintreten kann, weil dies zwangsläufig immer wieder zu Konkursen führen muß. Am schnellsten ist ein Händler vom Ruin bedroht. Da er sein Warenlager immer aufrechterhalten muß, kann er einen anfangs aufgenommenen Kredit selbst zinslos nie zurückzahlen (außer durch einen Profit, der andere Marktteilnehmer in den Ruin treibt). Sachgemäß sollte der Händler kontinuierlich frei geschöpfte, zinslose Kredite erhalten, mit denen er die ebenfalls „aus dem Nichts“ entstandenen Waren kauft.  Aus dem Verkaufserlös – die Differenz bildet sein (profitloses) Einkommen – wird jeder Kredit wieder zurückgezahlt und verschwindet ebenso wie die an den Konsumenten verkaufte Ware.

Auf diese Weise wäre das ruinöse und ungerechte Kredit- und Zinssystem überwunden und zugleich die Geldmenge im Interesse der Geldwertstabilität an die Warenmenge gebunden. Wenn so genau an der richtigen Stelle im Kreislauf das nötige Geld vorübergehend frei geschöpft werden kann, werden wir zugleich der Kapitalflucht des unnützen Geldes gelassen zusehen und dem fliehenden Geld freudig hinterher winken, denn übrigbleiben wird allein das der Wirtschaft dienende Geld.

Das Problem des Eigentums

Die Überlegungen zum Geld werfen auch ein Licht auf die Eigentumsfrage. Die wichtigste Unterscheidung ist hier ebenfalls die zwischen Nutzungseigentum und absolutem Privatbesitz („privat“ kommt von lateinisch „rauben“). So sehr jegliches Nutzungseigentum zu befürworten ist, weil es schöpferische und verantwortliche Initiative freisetzen kann, so sehr ist der Missbrauch von Eigentum zur Erlangung arbeitslosen Einkommens abzulehnen. Der über den Eigengebrauch hinausgehende Privatbesitz kann von allen Nichteigentümern Pachtzahlungen oder Lohnarbeit erzwingen. Leistungsloses Einkommen bedeutet Ausbeutung – und ermöglicht eine weitere Konzentration. Eigentum an prinzipiell begrenzten Ressourcen (insbesondere Boden) kann daher nur Nutzungseigentum sein.

Wie ist es bei einem Unternehmen? Wer heute als Kapitalgeber ein Unternehmen gründet oder möglich macht, kann das Eigentum an diesem beanspruchen. Wer also einmal sein Geld gegeben hat, damit eine Webmaschine gekauft werden konnte, wird nicht nur ihr Besitzer, sondern bleibt für immer Eigentümer von allem, was damit zusammenhängt – zuletzt vielleicht ein multinationaler Textilkonzern (Nike?). Der zynischste Fehlschluß besteht in der Ignoranz gegenüber allen, die die anfängliche Unternehmung noch möglich gemacht haben – und allen, die das Unternehmen fortwährend durch ihre Arbeit tragen. Für alle Ewigkeit gehört das Ganze dem einen, der am Anfang einen Teil zur Realisierung beisteuerte, nämlich („sein“) Geld... Was aber ist dies anderes als ein simpler Kredit?

Es kann doch nicht die Eigentumsfrage entscheiden, ob ich einen Kredit irgendwann später oder zum Zeitpunkt der Gründung gebe. Ein Kapitalgeber hat sachgemäß wie andere Kreditgeber nur Anspruch auf das ursprüngliche Kapital und zunächst auf einen Anteil am Erlös, sofern er erzielt wird (keinesfalls also einen automatischen Anspruch auf "Mehr"). Irgendwann erlischt aber dieser Anspruch, denn ein Anteil steht nur dem zu, der wirklich arbeitet. Genauso wie sich das Blut eines Organismus ständig erneuert und erneuern muß, ist das Unternehmenskapital nach kurzer Zeit in Wirklichkeit gar nicht mehr das Geld des ursprünglichen Kapitalgebers.

Heute beruft sich ein Unternehmer in der Eigentumsfrage auf „sein“ in das Unternehmen investierte Geld. In Zukunft könnte ein neuer Produzent eine frei geschöpfte Schenkung  für seinen Berufseinstieg erhalten – und hat das gewissermaßen „treuhänderische“ Nutzungseigentum am Unternehmen. Die kreditgebende bzw. schenkende „Bank“ würde die Fähigkeiten des Produzenten (unter Berücksichtigung der entsprechenden Nachfrage) bewerten. Die heutige Kreditvergabe dagegen beruht auf „Sicherheiten“ und erklärt damit gleichsam Eigentum selbst zum Produzenten, obwohl dieses niemals von sich aus produktiv sein kann.

Lohn und „Profit“ – die wahre Leistungsgesellschaft

Heute soll allen Ernstes die Arbeitslosigkeit bekämpft werden, indem Arbeitsplätze gestrichen und die "Kosten" für die Ware "Arbeitskraft" stetig gesenkt werden. Tatsächlich könnten die Lohnnebenkosten abgeschafft und "Sozialleistungen" aus einer Art erhöhten Mehrwertsteuer finanziert werden – dann wird der Unternehmer nicht "bestraft" oder zur "Rationalisierung" gezwungen und jeder zahlt Steuern entsprechend seines Konsumanteils am Sozialprodukt. Voraussetzung für dieses gerechte System ist aber zunächst die wirkliche Durchsetzung des Leistungsprinzips.

Das "Einkommen" jedes einzelnen muß dem entsprechen, was er für die Gemeinschaft und ihre Bedürfnisse tut und leistet. Welchen Leistungsanteil hat aber der Einzelne in einem Unternehmen? Daß die Produktion stattfinden kann, ist der Zusammenarbeit aller zu verdanken. Die Höhe der Produktion wird natürlich wesentlich von den Entscheidungen dessen bestimmt, der sie organisiert. Wenn dieser „Chef“ die Produktion steigert, kann er theoretisch den höheren Erlös zunächst egoistisch für sich beanspruchen – bis der Erlös wieder sinkt, weil auch andere Unternehmen Ideen haben.[1] Daneben trifft der Unternehmer natürlich ständig "normale" unternehmerische Entscheidungen. Aber welchen Anteil will er daraus beanspruchen?

Niemand hat das Recht auf die Verteilung des Erlöses, bloß weil er die unternehmerischen Entscheidungen trifft  – oder aber er betrachtet sich deswegen völlig unsachgemäß als Eigentümer des Unternehmens.[2] Die Einkommens­(ver­tei­lungs)­frage ist nie eine wirtschaftliche, sondern immer eine reine Rechtsfrage und damit Gegenstand gleichberechtigter Verhandlungen unter allen Beteiligten.

Zusammenfassung 

Die Produktivität des menschlichen Wirtschaftens steigt stetig. In einem wirklichen Gleichgewicht kann sich jeglicher Wohlstand nur erhöhen.

Der Wohlstand vermindert sich – außer durch Kriege oder Naturkatastrophen – nur unter zwei Bedingungen: Für die Reicheren, wenn andere dasjenige beanspruchen, was ihnen früher unrechtmäßig vorenthalten wurde; oder für die ohnehin schon Benachteiligten, wenn andere unrechtmäßig beanspruchen, was ihnen überhaupt nicht zusteht.

In einer Volkswirtschaft als geschlossenem System kann es keinen „Profit“ geben bzw. ist Profit nichts anderes als unrechtmäßige Umverteilung. „Profit“ hat nichts mit verdientem Einkommen zu tun, sondern ist gerade ein leistungslos erworbener Aufschlag auf dieses, der in Wirklichkeit anderen Wirtschaftsteilnehmern zusteht.

Für eine Wirtschaft, die nicht nur einigen wenigen, sondern allen Menschen dient, muß leistungsloses Einkommen aller Art unmöglich gemacht werden:

* Spekulation ist – zunächst durch eine differenzierte Devisensteuer – unmöglich zu machen. Die Finanzmärkte dienen ausschließlich Währungswechsel- und Termingeschäften, die unmittelbaren Bezug zur Realwirtschaft haben.

* Der Zins ist durch sein Gegenteil zu ersetzen: einen Negativzins auf alle Vermögen, die nicht selbst konsumptiv oder investiv genutzt werden, sondern bisher nur dazu dienen, andere für sich arbeiten zu lassen. – Dieser Negativzins ist zugleich eine Umlaufsicherung für das Tauschmittel Geld, das keinen Wert an sich darstellt, sondern einen Anspruch auf Gegenleistung – indem es ausgegeben wird.

* Auch übriges Eigentum darf nur Nutzungseigentum sein – vollgültiges Eigentum, solange es dem Eigengebrauch oder der eigenen Tätigkeit dient und nicht dazu, von Nichteigentümern leistungsloses Einkommen zu erpressen (überhöhte Mieten, Ausbeutung von Lohnabhängigen).

Sobald leistungsloses Einkommen durch solche Maßnahmen unmöglich gemacht wurde, wird sich im Wirtschaftsorganismus ein Gleichgewicht einstellen, welches jedem ein Einkommen ermöglicht, das seiner Leistung entspricht. Dann wird sich die vorhandene Geldmenge so verteilen, daß nirgendwo mehr ein Geldmangel entstehen kann, der dazu zwingt, seinen Konkurrenten niederzukämpfen.

Sobald leistungslose Einkommen unmöglich gemacht sind, kann die Einkommensfrage endlich als reine Rechtsfrage behandelt werden, was sie schon immer war: Wie sich das betriebs- oder auch volkswirtschaftliche Einkommen verteilt (die Löhne in einem Betrieb, die Höhe der Renten usw.), ist Sache gleichberechtigter Verhandlung unter allen Beteiligten, die von einer Erkenntnis der wirklichen Leistungen des einzelnen getragen sind.

Eine bessere Welt ist möglich – stellen wir konkrete Forderungen, die sie wirklich möglich machen!

Fußnoten

 


 

[1] Eigentlich gilt dies nur dann, wenn niemand anders dazu in der Lage gewesen wäre (in jedem Fall müßte auch jeder "Nachfolger" seine Gehaltsansprüche wiederum mit eigenen innovativen Entscheidungen begründen, also "bei Null anfangen"). Aufgrund des reinen Produktionsanstieges kann kein "Chef" Ansprüche geltend machen - sonst müßte er selbst den Großteil aller Erlöse noch heute an Menschen wie Leibniz abführen, ohne dessen "Innovation" der Differentialrechnung industrielle Produktion gar nicht möglich wäre.

[2] Wenn er "Löhne" festsetzt und den Rest für sich beansprucht, müßte er auch das Risiko tragen und die "Löhne" selbst dann zahlen, wenn für ihn weniger gbleiben sollte, als für den einfachen Arbeiter! Die Frage ist jedoch, wie überhaupt jemand dazu kommt, sich als Eigentümer anzusehen.