21.03.2009

Gedanken zu Ostern – vom Geheimnis der Auferstehung

veröffentlicht in der "Mittenmang", Schulzeitung der Waldorfschule Berlin-Mitte, Ostern 2009.


Ostern – sind das vier freie Tage (oder eben: Schulferien) und Eierverstecken für die Kinder ... oder ist es mehr? Die meisten Menschen wissen natürlich noch, was Ostern gefeiert wird, aber die Frage ist: Welchen Bezug hat man selbst dazu?

Wenn man nicht sofort die Antwort gibt: „überhaupt keinen“, so stellt sich eine damit unmittelbar zusammenhängende Frage eigentlich riesengroß vor einen hin. Es stellt sich die Frage: Welchen Bezug kann ich zu Ostern gewinnen, wie kann ich überhaupt einen Bezug zu Ostern, zur Auferstehung Christi, entwickeln?

Man wird unmittelbar erleben können, dass diese Frage ungleich größer, ungleich schwieriger ist als die Frage nach Weihnachten. Hilft uns eigentlich alles, einen Bezug zu Weihnachten gewinnen zu können – die dunkle, verinnerlichende Jahreszeit, die Lichter am Tannenbaum, Kindheitserinnerungen, das Geheimnis des unschuldigen Kindes, der heiligen Familie, die Verheißung, die noch wie in der Schwebe ist –, so tritt Ostern ganz und gar unmittelbar als ungeheures Rätsel vor uns hin.

Das Rätsel der Auferstehung, die Tatsache ... das Grab ist leer, „Er ist nicht hier“ – wir haben hier die Vollendung eines Geheimnisses, nichts ist mehr in der Schwebe, die Tat(sache), die wir hier begreifen müssen, tritt in ihrer vollen Rätselhaftigkeit vor uns hin...

Nun, diese Frage – wie kann ich dazu einen Bezug gewinnen? – stellt sich nur ein Mensch, der sich nach einem solchen Bezug sehnt. Diese Sehnsucht wiederum kann einen auf den Weg führen. Jeder spirituellen oder religiösen Tatsache kann man sich nur nähern, wenn man sich ihrer Sphäre zuwendet. Dazu muss man sich von der Einseitigkeit der materialistischen Weltauffassung abwenden. Die Sehnsucht an sich ist schon der stärkste Hinweis darauf, dass es außer materiellen Wirksamkeiten noch etwas anderes gibt, dass nämlich so etwas wie die „Seele“ ebenfalls eine Realität ist – und zwar nicht nur ein Epi-Phänomen, das nun wieder psychologisch erklärt werden kann (wenn man schon nicht weiß, wo das Seelische an sich herkommt) –, sondern eine Realität, die auf etwas Absolutes hindeutet: auf die Tatsache, dass der Mensch seinem Wesen nach eine geistige, ewige, unsterbliche Individualität ist.

Noch kein Naturwissenschaftler und erst recht kein Psychologe konnte auch nur das Wesen der Sehnsucht befriedigend erklären, ganz abgesehen von vielem anderen, was seelischer oder geistiger Natur ist und worauf man immer mehr aufmerksam werden kann. Man kann versuchen, diese Phänomene immer konkreter, immer tiefer zu erleben – und wird dadurch nach und nach die Realität dieser Sphären immer mehr empfinden. Beginnt der Weg damit, dass man überhaupt aufmerksam dafür wird, so wird es einem dann immer mehr zu einer Tatsache, dass es das Seelische und das Geistige gibt – nicht nur als Begriffe, sondern als Wirklichkeiten, als eigene Bereiche der Wirklichkeit, die so real sind wie das Materielle, auf das wir in jedem Augenblick ganz wörtlich gestoßen werden.

Bis zu einem anfänglichen Verständnis der Auferstehung Christi ist es dann immer noch ein weiter Weg, aber von da an kann er gegangen werden.

Über das Materielle hinauskommen

Wenn das Seelische und Geistige Realitäten sind, dann sind es nicht aus der Materie entstandene Erscheinungen. Ein Gedanke, der aus den Nervenzellen aufsteigt, ein Gefühl, das sich aus den Herzmuskelfasern herauslöst, wurde noch nie beobachtet... Man kann zwar inzwischen messen, dass die Neuronen während des Denkens aktiv sind, aber über das, was dieser Zusammenhang besagt, herrschen heute nur die größten Irrtümer und vorschnelle, eben materialistische Urteile. Und ob es daneben auch ein Denken gibt, das ganz ohne Gehirnzellen auskommt, das kann die Wissenschaft nicht einmal mehr messen... Wenn aber das Geistige etwas ist, was nicht aus der Materie aufsteigt, dann war es immer schon da. „Im Urbeginne war das Wort...“.

Was wir heute als materielle Welt kennen, ist nicht nur nicht das einzige, was es gibt – es war nicht einmal das erste! Dass heute alles von der Materie abhängig zu sein scheint, dass es Krankheit und Tod und überhaupt den physischen Leib, die physische Welt gibt, ist schon die Folge einer langen Entwicklung – einer Entwicklung, an deren Anfang etwas steht, was mit dem Terminus „Sündenfall“ angedeutet ist.

Mit diesem Wort ist nun eine ganze Welt von tradierten Vorstellungen verbunden, eine Welt kirchlicher Dogmatik, die natürlich in jenen Jahrhunderten entstanden ist, die ebenfalls lange nach dem „Sündenfall“ liegen. Diese dogmatischen Vorstellungen sind selbst auch ein Teil und ein Ergebnis des Sündenfalls, auch sie können sich über die Verstrickung in die Sinneswelt nicht wirklich erheben.

Erst bei Rudolf Steiner finden wir die Schilderung der Weltentwicklung, der geistigen Menschheitsgeschichte in ihrer umfassenden Grandiosität, die viel, viel großartiger ist, als es jegliche Dogmatik erfassen könnte. Was Rudolf Steiner etwa in seiner „Geheimwissenschaft“, aber darüber hinaus in seinem gesamten, heute über 350 Bände umfassenden Lebenswerk schildert, das ist jene Fülle der ganzen Wirklichkeit, von der die heutige Wissenschaft eben nur den toten, materiell gewordenen Teil untersucht und erkennt – und selbst hier zwangsläufig zahllose Fehlschlüsse mit hineinwebt.

Und Rudolf Steiner beschreibt dann auch, wie man über das Christus-Wesen denken kann – und wie man dadurch zum ersten Mal verstehen kann, was man bisher vielleicht als dieses oder jenes Bibelwort „kannte“, aber ohne irgendeinen Zugang dazu finden zu können. Rudolf Steiner entfaltet auch hier eine ganze Welt von Verständnis – für das Wesen des Christus, für den Zusammenhang mit dem Menschen Jesus, für die Taten des Christus, und vor allem für das größte Ereignis – die Auferstehung.

Man kann zum Christuswesen und zur Auferstehung einen Zugang gewinnen, der dem heutigen Denken und dem heutigen, berechtigten Bedürfnis, etwas ganz und gar verstehen zu können, voll und ganz gerecht wird.

Ein neuer Anfang

Und damit fängt der eigentliche Weg erst an... Denn wenn ich im Verständnis einen Zugang zur Auferstehung gewonnen habe ... dann erst steht diese Tatsache ja überhaupt erst wirklich als grandiose Wirklichkeit vor mir. Dann erst beginnt die wirkliche Aufgabe: Ich habe diese Tat des Christus ansatzweise verstanden, aber wie stehe ich nun dazu...?

Man erlebt, dass es ja gar nicht allein darum geht, einen Verständnis-Zugang zur Auferstehung zu finden, sondern dass es um den Zugang zur Realität der Auferstehung geht. Es geht nicht um eine Tat, die vor 2000 Jahren vollzogen wurde, sondern wenn Christus auferstanden ist, dann ist er eine Realität – jetzt und hier –, und die Frage ist, welchen Zugang ich selbst zur Auferstehung, zum Auferstandenen finden kann. Die Frage ist dann nicht mehr: Wie kann ich so etwas wie die Auferstehung verstehen – sondern: Wie finde ich den Christus?

Auf diesem Weg muss zum Verständnis der Wille hinzukommen...

Der Wille war natürlich immer schon da, denn auch verstehen wollte man ja. Nun aber muss der Wille die Führung übernehmen, darf nicht mehr nur unbewusst „mitwirken“. Das bedeutet aber: Der Weg wird verbindlich. – Der Verstand lässt frei. Was ich „nur“ verstanden habe, dazu kann ich mich stellen, wie ich will. Wenn das, was ich verstanden habe, für mich weiterhin egal ist, kann ich darüber hinweggehen. Wenn ich mich aber anders dazu stellen will, dann wird es tatsächlich zu einer Angelegenheit meines Willens. Der reale Weg zu Christus braucht die innerste Beteiligung des ganzen Menschen – weil dieses Christuswesen den Menschen vollkommen frei lässt.

Wenn man den Weg zu Ihm als Realität aber betritt, dann erlebt man mehr und mehr, wie in Ihm und seiner Tat der gesamte Erdensinn verborgen ist – das Geheimnis des Menschen und auch das Geheimnis des eigenen, individuellen Ich. Man nähert sich nicht nur dem Christuswesen, sondern auch seinem eigenen wahren Wesen... Es ist dies die wesentlichste Erfahrung, die ein Mensch in seinem Leben machen kann. Und so beginnt man, die Auferstehung langsam, nach und nach, Schritt für Schritt zu begreifen – nicht nur zu verstehen, sondern als Realität zu erleben.

Ostern ist das größte Fest des Christentums – und sein Geheimnis will in jedem Menschen sein ganzes Leben hindurch immer mehr zur Realität werden.