17.05.2011

Autorität als Forderung nach Devotion?

[608:] a. Erkenntnis und Autorität
Im Schulungsweg fällt die Häufung eines modalen Hilfsverbs auf: „müssen“. [...] Ich wiederhole diese Formulierungen mit einer gewissen Penetranz, weil im Stakkato der Imperative das Verhältnis von Pflicht und Wahl, von Determination und Freiheit aufgeworfen ist und sich die Frage nach projektiver Wahrnehmung in das Problem der Autorität im Vermittlungsprozeß transformiert. [...]
Autorität tritt im Verhältnis zwischen Schüler und Lehrer, zwischen dem Adepten und dem Eingeweihten als Forderung nach „Devotion“ auf. Sachlich gründet diese Forderung sowohl in den unterstellten formalen Kenntnissen des Eingeweihten über die Methode des Wissenserwerbs als auch in seinem materialen Wissen, denn als Leser in der Akasha‑Chronik ist er virtuell allwissender, gottgleicher Initiierter. Dieses Autoritätsverhältnis hat Steiner in einem locus classicus, der auch in der anthroposophischen Literatur oft zitiert wird, expliziert (spätere Veränderungen, vermutlich aus dem Jahr 1914 – dazu s.u. – unterstrichen):


Das Verhältnis zum Lehrer ist bei Steiner an dieser Stelle schlechterdings überhaupt nicht angesprochen. Die späteren Ergänzungen hat er mit Sicherheit eingefügt, um dieses Missverständnis vollkommen auszuräumen. Und das Hilfsverb „müssen“ kommt gehäuft vor, weil ohne eine Befolgung der Angaben kein Fortschritt zu erwarten ist. Vielleicht stört Zander sich ja sogar an dem „Man nehme“ in Kochbüchern... Wenn man nicht von vornherein einen Widerwillen gegen einen solchen inneren Schulungsweg hegt, wird man bemerken, dass die Angaben Rudolf Steiners in der Seele gerade einen Willen zur Selbsterziehung wecken, und dazu trägt das eherne, (nüchtern-sachlich!-)strenge und keineswegs autoritäre „man muß“ unter anderem bei. Es ist offenbar Zander, der ein „gebrochenes Verhältnis“ zum Autoritätsthema hat.

Zur Klarheit zitiere ich aus Steiners Vorwort von 1914:

Als ich die Aufsätze schrieb, aus welchen das Buch zusammengesetzt ist, mußte über manches auch aus dem Grunde anders gesprochen werden als gegenwärtig, weil ich auf den Inhalt dessen, was ich in den letzten zehn Jahren über Tatsachen der Erkenntnis geistiger Welten veröffentlicht habe, damals anders hinzudeuten hatte, als es jetzt, nach der Veröffentlichung, zu geschehen hat. [...] Ich mußte damals von vielem, das in dem Buche noch nicht geschildert wurde, sagen, es könne durch „mündliche Mitteilung“ erfahren werden. Gegenwärtig ist nun vieles von dem veröffentlicht, was mit solchen Hinweisen gemeint war. Es waren aber diese Hinweise, die irrtümliche Meinungen bei den Lesern vielleicht nicht völlig ausschlossen. Man könnte etwa in dem persönlichen Verhältnis zu diesem oder jenem Lehrer bei dem nach Geistesschulung Strebenden etwas viel Wesentlicheres sehen, als gesehen werden soll. Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, in dieser neuen Auflage durch die Art der Darstellung mancher Einzelheiten schärfer zu betonen, wie es bei dem, der Geistesschulung sucht im Sinne der gegenwärtigen geistigen Bedingungen, viel mehr auf ein völlig unmittelbares Verhältnis zur objektiven Geistes-Welt als auf ein Verhältnis zur Persönlichkeit eines Lehrers ankommt. Dieser wird auch in der Geistesschulung immer mehr die Stellung nur eines solchen Helfers annehmen, die der Lehrende, gemäß den neueren Anschauungen, in irgendeinem anderen Wissenszweige innehat. Ich glaube genügend darauf hingewiesen zu haben, daß des Lehrers Autorität und der Glaube an ihn in der Geistesschulung keine andere Rolle spielen sollten, als dies der Fall ist auf irgendeinem anderen Gebiete des Wissens und Lebens. Mir scheint viel darauf anzukommen, daß immer richtiger beurteilt werde gerade dieses Verhältnis des Geistesforschers zu Menschen, die Interesse entwickeln für die Ergebnisse seines Forschens. So glaube ich das Buch verbessert zu haben, wo ich das Verbesserungsbedürftige nach zehn Jahren zu finden in der Lage war.
GA 10, S. 9f.


Wenn man die Autoritätsfrage dennoch problematisiert, so wie Zander das tut, basiert dies auf reinster Unterstellung. Nun aber das Zitat zur Devotion:

Eine gewisse Grundstimmung der Seele muß den Anfang bilden. Der Geheimforscher nennt diese Grundstimmung den Pfad der Verehrung, der Devotion gegenüber der Wahrheit und Erkenntnis. Nur wer diese Grundstimmung hat, kann Geheimschüler werden. Wer Erlebnisse auf diesem Gebiete hat, der weiß, welche Anlagen bei denen schon in der Kindheit zu bemerken sind, welche später Geheimschüler werden. Es gibt Kinder, die mit heiliger Scheu zu gewissen von ihnen verehrten Personen emporblicken. Sie haben eine Ehrfurcht vor ihnen, die ihnen im tiefsten Herzensgrunde verbietet, irgendeinen Gedanken aufkommen zu lassen von Kritik, von Opposition. Solche Kinder wachsen zu Jünglingen und Jungfrauen heran, denen es wohltut, wenn sie zu irgend etwas Verehrungsvollem aufsehen können. Aus den Reihen dieser Menschenkinder gehen viele Geheimschüler hervor. Hast du einmal vor der Türe eines verehrten Mannes gestanden und hast du bei diesem deinem ersten Besuche eine heilige Scheu empfunden, auf die Klinke zu drücken, um in das Zimmer zu treten, das für dich ein „Heiligtum“ ist, so hat sich in dir ein Gefühl geäußert, das der Keim sein kann für deine spätere Geheimschülerschaft. Es ist ein Glück für jeden heranwachsenden Menschen, solche Gefühle als Anlagen in sich zu tragen. Man glaube nur ja nicht, daß solche Anlagen den Keim zur Unterwürfigkeit und Sklaverei bilden. Es wird später die erst kindliche Verehrung gegenüber Menschen zur Verehrung gegenüber Wahrheit und Erkenntnis. Die Erfahrung lehrt, daß diejenigen Menschen auch am besten verstehen, das Haupt frei zu tragen, die verehren gelernt haben da, wo Verehrung am Platze ist. Und am Platze ist sie überall da, wo sie aus den Tiefen des Herzens entspringt.
GA 10, S. 19f.

Kindlichkeits-Metaphern und halbherzige Relativierungen?

[609:] Diese Passage beschreibt das Verhältnis von Geheimschüler und Geheimlehrer, Initiation war für Steiner ein personalisierter Prozeß. Er beginne mit „Verehrung“, die Steiner in der „Devotion“ als Teil einer in der Kindheit ansetzenden Entwicklung beschrieb. Aber schon am Ende dieser Passage ist die kindliche Haltung zu einer Metapher für den Habitus des erwachsenen Geheimschülers geworden, das Kind wird zur Metapher für den Adepten.


Das ist vollkommener Unsinn. Der Prozess war nicht prinzipiell „personalisiert“, Steiner hat später nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Buch selbst der „Lehrer“ sein kann. Vor allem aber ist in dieser Passage nirgendwo eine „kindliche Haltung“ eine Metapher für den Geheimschüler! Steiner meint, wenn er von der „kindlichen Verehrung“ spricht, wirklich das Kind! Und die „heilige Scheu“ des Erwachsenen ist bereits die Verehrung von Wahrheit und Erkenntnis (auch da, wo sie sich in einem Menschen offenbart) oder deren unmittelbare Vorstufe! Es geht nicht um autoritäre Unterwerfung, sondern um frei empfundene Verehrung! Und natürlich zielt diese Verehrung auch nicht auf einen Personenkult, sondern auf die Verehrung dessen, was vielleicht ein anderer hoch entwickelter Mensch aus sich gemacht hat, also auf seine Geisteskraft, aus das Höhere, was in ihm und durch ihn zur Offenbarung kommt.

Es ist angesichts Zander’scher Deutungen offenbar sehr notwendig, dass Steiner am Ende noch einmal ausdrücklich darauf hinweist, dass Verehrung da am Platze ist, wo sie aus den Tiefen des Herzens entspringt. Es kann also auch in dieser Hinsicht absolut gar keine Rede von geforderter oder gar erzwungener Verehrung sein! Auch der Zusammenhang mit dem Freiheitserleben („das Haupt frei zu tragen“) zeigt, dass hier nichts in Frage kommt, was die Freiheit jetzt oder später beeinträchtigt, im Gegenteil. Aber dieses geistige Gesetz, dass gerade die reinen Verehrungskräfte zur Freiheit führen, scheint Zander wirklich nicht zu kennen.

[609:] Nun finden sich in diesem „Devotions“‑Text Einschränkungen der Macht der Eingeweihten, die personale Autorität ist an einzelnen Stellen durch Sachautorität ers­etzt, da es doch – wie es an den oben von mir unterstrichenen Stellen heißt – um „Devotion“ „gegenüber der Wahrheit und Erkenntnis“ gehe und „die erst kindliche Verehrung gegenüber Menschen zur Verehrung gegenüber Wahr­heit und Erkenntnis“ werde. Aber diese Stellen in der aktuellen Gesamtausgabe sind tückisch, handelt es sich doch um Ergänzungen aus dem Jahr 1914. Steiner hatte die Verehrung ursprünglich nicht auf abstrakte Größen, sondern auf Menschen be­zogen und versuchte erst später, diese persönliche Bindung durch einen Bezug auf eine unpersönliche Wahrheit oder Erkenntnis zu relativieren oder gar aufzuheben. So deutlich die Absicht ist, so ambivalent bleibt das Ergebnis: Steiner hat ­zwar der Entpersonalisierung der Initiation an derartigen Stellen eine Brücke gebaut, aber die personalisierte Autorität nur relativiert, nicht eliminiert. Die metaphorische Verkindlichung des Adepten ist geblieben und damit die hierarchische Konstruktion. Und ohnehin blieben die Geheimlehrer als Autoritäten der Erkenntnisordnung an vielen anderen Stellen im Schulungsweg stehen: Vielleicht weil er sie bei der Revision übersehen hat, wahrscheinlicher aber, weil er im Grunde an der Autoritätsfigur des Initiierten festhielt.


Dieser ganze Absatz besteht aus nichts als Unterstellungen. Wie gesagt war auch ohne die Einfügungen die Devotion nicht auf den Lehrer gerichtet – die Einfügungen dienten der Klarstellung dieser Tatsache und nicht dem „Brückenbau zur Entpersonalisierung“! Die Wiederholung der „metaphorischen Verkindlichung“ macht die Sache nicht wahrer, sondern Zanders bemühte Missdeutung höchstens peinlicher.

Was Zander am Ende bleibt, ist der Hinweis auf die „an vielen anderen Stellen“ als Autoritäten stehen bleibenden Geheimlehrer – und selbst dieser Hinweis ist völliger Unsinn. Es gibt nur ganz wenige Stellen, wo in dem Buch überhaupt von Lehrern gesprochen wird – und immer ohne jede Autorität, es sei denn, sie wird vom Schüler in freiester Weise anerkannt. Zum Beweis gebe ich hier diejenigen zehn Stellen an, wo außer in dem oben schon zitierten Vorwort überhaupt von einem Lehrer die Rede ist:

Die Rolle des Lehrers in „Wie erlangt man...“

Und wie jeder schreiben lernen kann, der die rechten Wege dazu wählt, so kann jeder ein Geheimschüler, ja ein Geheimlehrer werden, der die entsprechenden Wege dazu sucht.
S. 17.

Alle wahren Lehrer des geistigen Lebens stimmen in bezug auf den Inhalt dieser Regeln überein, wenn sie dieselben auch nicht immer in die gleichen Worte kleiden. Die untergeordnete, eigentlich nur scheinbare Verschiedenheit rührt von Tatsachen her, welche hier nicht zu besprechen sind.
Kein Lehrer des Geisteslebens will durch solche Regeln eine Herrschaft über andere Menschen ausüben. Er will niemand in seiner Selbständigkeit beeinträchtigen. Denn es gibt keine besseren Schätzer und Hüter der menschlichen Selbständigkeit als die Geheimforscher. [...] Tritt nun der Eingeweihte aus seinem umschlossenen Geistgebiet heraus, vor die Öffentlichkeit: dann kommt für ihn sogleich ein drittes Gesetz in Betracht. Es ist dieses: Richte jede deiner Taten, jedes deiner Worte so ein, daß durch dich in keines Menschen freien Willensentschluß eingegriffen wird.
Wer durchschaut hat, daß ein wahrer Lehrer des Geisteslebens ganz von dieser Gesinnung durchdrungen ist, der kann auch wissen, daß er nichts von seiner Selbständigkeit einbüßt, wenn er den praktischen Regeln folgt, die ihm geboten werden.
S. 29.

Viel kommt darauf an, daß man mit solcher geistigen Anschauung zart umgehe. Man tut am besten, wenn man zunächst zu niemand davon spricht als nur etwa zu seinem Lehrer, wenn man einen solchen hat. Denn versucht man eine solche Erscheinung durch ungeschickte Worte zu beschreiben, so gibt man sich meistens argen Täuschungen hin. [...] Wieder ist eine wichtige Regel für den Geheimschüler: Verstehe über deine geistigen Gesichte zu schweigen. Ja, schweige sogar vor dir selber darüber. Versuche nicht, was du im Geiste erschaust, in Worte zu kleiden oder mit dem ungeschickten Verstande zu ergrübeln.
S. 68.

Das sind Anweisungen, die jeder Geheimschüler von seinem Lehrer im Beginne des Weges erhält. Beobachtet er sie, dann vervollkommnet er sich. Beobachtet er sie nicht, dann ist alles Arbeiten vergebens. Aber sie sind nur für den schwierig, der nicht Geduld und Standhaftigkeit hat.
S. 98.

Die Bedingungen zum Antritt der Geheimschulung sind nicht solche, die von irgend jemand durch Willkür festgesetzt werden. Sie ergeben sich aus dem Wesen des Geheimwissens. Wie ein Mensch nicht Maler werden kann, der keinen Pinsel in die Hand nehmen will, so kann niemand eine Geheimschulung empfangen, der nicht erfüllen will, was die Geheimlehrer als notwendige Forderung angeben. Im Grunde kann der Geheimlehrer nichts geben als Ratschläge. Und in diesem Sinne ist auch alles aufzunehmen, was er sagt. Er hat die vorbereitenden Wege zum Erkennen der höheren Welten durchgemacht. Er weiß aus Erfahrung, was notwendig ist. Es hängt ganz von dem freien Willen des einzelnen ab, ob er die gleichen Wege wandeln will oder nicht. Wenn jemand verlangen wollte, daß ihm ein Lehrer eine Geheimschulung zukommen ließe, ohne die Bedingungen erfüllen zu wollen, so gliche eine solche Forderung eben durchaus der: lehre mich malen, aber befreie mich davon, einen Pinsel zu berühren. – Der Geheimlehrer kann auch niemals etwas bieten, wenn ihm nicht der freie Wille des Aufzunehmenden entgegenkommt. Aber es muß betont werden, daß der allgemeine Wunsch nach höherem Wissen nicht genügt. Diesen Wunsch werden natürlich viele haben. Wer nur diesen Wunsch hat, ohne auf die besonderen Bedingungen der Geheimschulung eingehen zu wollen, von dem kann zunächst nichts erreicht werden. Das sollen diejenigen bedenken, die sich darüber beklagen, daß die Geheimschulung ihnen nicht leicht wird. Wer die strengen Bedingungen nicht erfüllen kann oder will, der muß eben vorläufig auf Geheimschulung verzichten. Zwar sind die Bedingungen streng, aber nicht hart, da ihre Erfüllung nicht nur eine freie Tat sein soll, sondern sogar sein muß.
Wer das nicht bedenkt, für den können die Forderungen der Geheimschulung leicht als Seelen- oder Gewissenszwang erscheinen. Denn die Schulung beruht ja auf einer Ausbildung des inneren Lebens
; der Geheimlehrer muß also Ratschläge erteilen, die sich auf dieses innere Leben beziehen. Aber nichts kann als Zwang aufgefaßt werden, was als Ausfluß eines freien Entschlusses gefordert wird. – Wenn jemand von dem Lehrer forderte: teile mir deine Geheimnisse mit, aber lasse mich bei meinen gewohnten Empfindungen, Gefühlen und Vorstellungen, so verlangt er eben etwas ganz Unmögliches. Er will dann nichts weiter als die Neugierde, den Wissenstrieb befriedigen. Bei einer solchen Gesinnung kann aber Geheimwissen nie erlangt werden.
S. 102f.

Allein, es gibt auch über höhere Wahrheiten in Wirklichkeit nur eine Meinung. Man kann zu dieser einen Meinung kommen, wenn man sich durch Arbeit und Andacht dazu erhoben hat, die Wahrheit wirklich zu schauen. Nur derjenige kann zu einer Ansicht kommen, die von der einen wahren abweicht, der, nicht genügend vorbereitet, nach seinen Lieblingsvorstellungen, seinen gewohnten Gedanken und so weiter urteilt. Wie es nur eine Ansicht über einen mathematischen Lehrsatz gibt, so auch über die Dinge der höheren Welten. Aber man muß sich erst vorbereiten, um zu einer solchen „Ansicht“ kommen zu können. Wenn man das bedenken wollte, so würden für niemand die Bedingungen der Geheimlehrer etwas Überraschendes haben. Es ist durchaus richtig, daß die Wahrheit und das höhere Leben in jeder Menschenseele wohnen und daß sie ein jeder selbst finden kann und muß. Aber sie liegen tief und können nur nach Hinwegräumung von Hindernissen aus ihren tiefen Schächten heraufgeholt werden. Wie man das vollbringt, darüber kann nur raten, wer Erfahrung in der Geheimwissenschaft hat. Solchen Rat gibt die Geisteswissenschaft. Sie drängt niemand eine Wahrheit auf, sie verkündet kein Dogma; sie zeigt aber einen Weg.
113f.

Es gehört zu den Grundsätzen wahrer Geheimwissenschaft, daß derjenige, welcher sich ihr widmet, dies mit vollem Bewußtsein tue. Er soll nichts vornehmen, nicht üben, wovon er nicht weiß, was es für eine Wirkung hat. Ein Geheimlehrer, der jemand einen Rat oder eine Anweisung gibt, wird immer zugleich sagen, was durch die Befolgung in Leib, Seele oder Geist desjenigen eintritt, der nach höherer Erkenntnis strebt.
S. 115.

Kommt zu allem Gesagten noch die Beobachtung gewisser Vorschriften hinzu, welche Geheimschüler von Geheimlehrern nur mündlich empfangen können, so tritt eine entsprechende Beschleunigung in der Entwickelung der Lotusblume ein. Doch führen die hier gegebenen Anweisungen durchaus in die wirkliche Geheimschulung ein. Nützlich aber ist auch für den, der nicht eine Geheimschulung durchmachen will oder kann, die Einrichtung des Lebens in der angegebenen Richtung. Denn die Wirkung auf den Seelenorganismus tritt auf alle Fälle ein, wenn auch langsam.
S. 130f.

Es darf daher niemand von den Okkultisten des weißen Pfades erwarten, daß sie ihm eine Anweisung zur Entwickelung des eigenen egoistischen Ich geben werden. Für die Seligkeit des einzelnen haben sie nicht das allergeringste Interesse. Die mag jeder für sich erreichen. Sie zu beschleunigen ist nicht die Aufgabe der weißen Okkultisten. Diesen liegt lediglich an der Entwickelung und Befreiung aller Wesen, die Menschen und Genossen des Menschen sind. Daher geben sie nur Anweisungen, wie man seine Kräfte zur Mitarbeit an diesem Werke ausbilden kann. Sie stellen daher die selbstlose Hingabe und Opferwilligkeit allen anderen Fähigkeiten voran. Sie weisen niemand geradezu ab, denn auch der Egoistischste kann sich läutern. Aber wer nur für sich etwas sucht, wird, solange er das tut, bei den Okkultisten nichts finden. Selbst wenn diese ihm nicht ihre Hilfe entziehen; er, der Suchende, entzieht sich den Früchten der Hilfeleistung. Wer daher wirklich den Anweisungen der guten Geheimlehrer folgt, wird nach dem Übertreten der Schwelle die Forderungen des großen Hüters verstehen; wer diesen Anweisungen aber nicht folgt, der darf auch gar nicht hoffen, daß er je zur Schwelle durch sie kommen werde. Ihre Anweisungen führen zum Guten oder aber zu gar nichts.
S. 214f.


Man wird sich überzeugt haben, dass keine Stelle irgendetwas mit Autorität auch nur zu tun hat, während vielmehr vollkommen klar wird, dass die Lehrer des esoterischen Schulungsweges zu den moralisch höchststehenden Menschen gehören, die es überhaupt gibt. Wie Zander zu seinen Behauptungen kommen kann, ist völlig zweifelhaft. Entweder, er hat ein extrem gestörtes Verhältnis zur Frage der „Autorität“, oder er ist Rudolf Steiner und der Anthroposophie gegenüber extrem übelwollend.

Vom Kampf mit Gedankenstrichen

[609f:] Weitere autoritätsrelativierende Gegenlager finden sich im Fortgang der Ar­gumentation. „In sich selbst muß der Geheimschüler einen neuen, einen höhe­ren Menschen gebären“ (GA 10,35), forderte Steiner. Aber der seit der schriftlichen Fassung am Ende eines Absatzes durch einen Gedankenstrich abgetrennte Satz steht nicht nur dadurch isoliert und ist nicht nur ein paraphrasiertes Tradi­tionszitat von Angelus Silesius [„Wird Christus tausendmal in Bethlehem geboren...“], sondern auch diese Selbstgeburt beruht auf der durch Devotion und Unterwerfung begründeten Adeptenschaft. Zu diesen Re­lativierungen der Autorität gehört auch eine Aussage zu den Handlungsgrenzen des „Geheimlehrers“ (seit 1914: „Lehrers des Geisteslebens“). Steiner schränk­te ein, er solle „in keines Menschen freien Willensentschluß“ eingreifen (GA 10,29). Später forderte Steiner „die volle Selbstgeltung eines jeden Menschen uneingeschränkt zu schätzen und als etwas Heiliges, von uns Unantastbares – auch in Gedanken und Gefühlen – zu betrachten, was in dem Menschen wohnt“ (ebd., 70). Diese Äußerungen waren Versuche einer Sicherung gegen Übergriffe auf das Forum internum des Menschen, aber es bleiben (bloße) Aufforderungen an den jeder Kontrolle enthobenen Geheimlehrer.


Hier setzen sich die Unterstellungen ungemindert fort – mit aller Kraft wird nach etwas gesucht, womit die Integrität Rudolf Steiners untergraben werden kann, und selbst wenn ein Gedankenstrich dafür herhalten muss! Ich zitiere die Passage, die schildert, wie der Geheimschüler lernt, sich Zeiten innerer Ruhe und Besinnung zu schaffen:

Man bedenke, daß der „höhere Mensch“ im Menschen in fortwährender Entwickelung ist. Durch die beschriebene Ruhe und Sicherheit wird ihm aber allein eine gesetzmäßige Entwickelung ermöglicht. Die Wogen des äußeren Lebens zwängen den inneren Menschen von allen Seiten ein, wenn der Mensch nicht dieses Leben beherrscht, sondern von ihm beherrscht wird. [...] Dem inneren Menschen können keine äußeren Kräfte Raum schaffen. Das vermag nur die innere Ruhe, die er seiner Seele schafft. Äußere Verhältnisse können nur seine äußere Lebenslage ändern; den „geistigen Menschen“ in ihm können sie nie und nimmer erwecken. – In sich selbst muß der Geheimschüler einen neuen, einen höheren Menschen gebären.
Dieser „höhere Mensch“ wird dann der „innere Herrscher“, der mit sicherer Hand die Verhältnisse des äußeren Menschen führt. [...] Hängt es von etwas anderem als von mir ab, ob ich mich ärgere oder nicht, so bin ich nicht Herr meiner selbst, oder – noch besser gesagt –: ich habe den „Herrscher in mir“ noch nicht gefunden. Ich muß in mir die Fähigkeit entwickeln, die Eindrücke der Außenwelt nur in einer durch mich selbst bestimmten Weise an mich herankommen zu lassen; dann kann ich erst Geheimschüler werden. – Und nur insoweit der Geheimschüler ernstlich nach dieser Kraft sucht, kann er zum Ziel kommen. Es kommt nicht darauf an, wie weit es einer in einer bestimmten Zeit bringt; sondern allein darauf, daß er ernstlich sucht.
S. 35f.


Der ganze Satz nach dem Gedankenstrich hätte auch weggelassen werden können. In jedem Fall geht es im nächsten Absatz mit der Schilderung des „höheren Menschen“ weiter, den auch Angelus Silesius im Auge hatte. Wie Zander aber in diesem einen Satz (mit oder ohne Gedankenstrich) etwas sehen will, was wiederum mit Autorität – und sei es mit dem Abbau von Autorität – zu tun haben soll, erschließt sich nicht und kann sich nicht erschließen, weil es völlig an den Haaren herbeigezogen ist! Mit Devotion und Unterwerfung hat diese Geburt des höheren Menschen nicht das Geringste zu tun, hier geht Zander eindeutig zu böswilligen Falschbehauptungen oder mutwilligen Fehldeutungen über.

Auch die weiterhin erwähnten Grundsätze für das Handeln des Geisteslehrers sind eherne Gesetze und keine nachträglichen Einschränkungen – wie auch der Sinn aller übrigen oben angeführten Zitate in Bezug auf den Geisteslehrer zeigt! Wiederum ist die Behauptung von „Übergriffen“ eine leere Unterstellung. Völlig schleierhaft bleibt die Formulierung „es bleiben (bloße) Aufforderungen an den jeder Kontrolle enthobenen Geheimlehrer“. In welche Richtung will Zander Steiner hier etwas vorwerfen? Das Buch „Wie erlangt man...?“ richtet sich an Geistesschüler und sonst niemandem. Soll Steiner jetzt auch noch verantwortlich für die von Zander hypothetisch konstruierten anderen Geisteslehrer sein, die irgendwo existieren oder auch nicht? Vielleicht möchte Herr Zander ja ein Aufsichtsorgan für Geheimlehrer einrichten?

Eröffnung der „okkulten Schrift“ als Machtminderung?

[610:] Und, um ein letztes Beispiel zu nennen, nach der Feuerprobe „muß“ dem Schüler, wie Steiner schrieb, die „okkulte Schrift“ eröffnet werden (ebd., 78). Aber diese Einschränkung der Macht des Lehrers stand unter dem Determinismus einer höheren Gewalt, denn „die Wege, die den Menschen reif zum Empfange eines Geheimnisses machen, sind genau bestimmte. Ihre Richtung ist mit unauslöschlichen, ewigen Buchstaben vorgezeichnet in den Geisteswelten, in denen die Eingeweihten die höheren Geheimnisse behüten.“ (ebd., 19) Auch der Geheimlehrer war nur Mittler einer übergeordneten Autorität.


Ich zitiere die ganze Passage:

Aber zweierlei ist richtig. Erstens wird derjenige, der ernstlich nach höherem Wissen trachtet, keine Mühe, kein Hindernis scheuen, um einen Eingeweihten aufzusuchen, der ihn in die höheren Geheimnisse der Welt einführen kann. Aber andererseits kann auch jeder sich klar darüber sein, daß ihn die Einweihung unter allen Umständen finden wird, wenn ernstes und würdiges Streben nach Erkenntnis vorliegt. Denn es gibt ein natürliches Gesetz für alle Eingeweihten, das sie dazu veranlaßt, keinem suchenden Menschen ein ihm gebührendes Wissen vorzuenthalten. Aber es gibt ein ebenso natürliches Gesetz, welches besagt, daß niemandem irgend etwas von dem Geheimwissen ausgeliefert werden kann, zu dem er nicht berufen ist und ein Eingeweihter ist um so vollkommener, je strenger er diese beiden Gesetze beobachtet. [...]
Die Wege, die den Menschen reif zum Empfange eines Geheimnisses machen, sind genau bestimmte. Ihre Richtung ist mit unauslöschbaren, ewigen Buchstaben vorgezeichnet in den Geisteswelten, in denen die Eingeweihten die höheren Geheimnisse behüten.
S. 18f.

Ein Mensch kann von den Geheimnissen des Daseins nur so viel wirklich erfahren, als dem Grade seiner Reife entspricht. Nur deshalb gibt es Hindernisse zu den höheren Stufen des Wissens und Könnens. [...] Würde heute jemand ohne weiteres eingeweiht, so würde ihm die Erfahrung fehlen, die er durch die Verkörperungen in der Zukunft noch machen wird, bis ihm die entsprechenden Geheimnisse im regelmäßigen Verlauf seiner Entwickelung zuteil werden. Deshalb müssen an der Pforte der Einweihung die Erfahrungen durch etwas anderes ersetzt sein. In einem Ersatz für künftige Erfahrungen bestehen daher die ersten Unterweisungen des Einweihungskandidaten. Es sind das die sogenannten „Proben“, die er durchzumachen hat und die sich als regelmäßige Folge des Seelenlebens ergeben, wenn Übungen, wie die in den vorhergehenden Kapiteln geschilderten, richtig fortgesetzt werden. [...]
Die erste „Probe“ besteht darinnen, daß er eine wahrere Anschauung erlangt
von den leiblichen Eigenschaften der leblosen Körper, dann der Pflanzen, der Tiere und des Menschen, als sie der Durchschnittsmensch besitzt. [...] In der Regel ist der Vorgang so, daß der Einzuweihende erkennen lernt, wie sich die Naturdinge und Lebewesen für das geistige Ohr und geistige Auge kundgeben. [...] Dem sinnlichen Auge und dem sinnlichen Ohre verbergen sich die Eigenschaften, die man da hört und sieht. Sie sind für dieses sinnliche Anschauen wie mit einem Schleier verhüllt. Daß dieser Schleier für den Einzuweihenden wegfällt, beruht auf einem Vorgang, den man als „geistigen Verbrennungsprozeß“ bezeichnet. Deshalb wird diese erste Probe die „Feuerprobe“ genannt. [...]
Will der Kandidat nach vollbrachter Feuerprobe die Geheimschulung fortsetzen, so muß ihm nunmehr ein bestimmtes Schriftsystem enthüllt werden, wie solche in der Geheimschulung üblich sind. In diesen Schriftsystemen offenbaren sich die eigentlichen Geheimlehren. Denn dasjenige, was in den Dingen wirklich „verborgen“ (okkult) ist, kann weder mit den Worten der gewöhnlichen Sprache unmittelbar ausgesprochen, noch kann es mit den gewöhnlichen Schriftsystemen aufgezeichnet werden. Diejenigen, welche von den Eingeweihten gelernt haben, übersetzen die Lehren der Geheimwissenschaft in die gewöhnliche Sprache, so gut das geht. Die okkulte Schrift offenbart sich der Seele, wenn diese die geistige Wahrnehmung erlangt hat. Denn diese Schrift steht in der geistigen Welt immer geschrieben.
S. 75ff.


Hier wird folgendes klar: Es geht gar nicht um einen äußeren Lehrer, der eine bestimmte Schrift enthüllt, sondern es geht um innerseelische Vorgänge, die sich gesetzmäßig ergeben, wenn die Schulung eine bestimmte Stufe erreicht hat. Die „Feuerprobe“ besteht darin, dass der Sinnesschleier wegfällt und die geistige Wahrnehmung erlangt wird. Dann offenbart sich der Seele die „okkulte Schrift“. Diese muss man dann lesen lernen.

Der Bezug zum ersten Zitat ist zunächst ganz indirekt. Die Eingeweihten vermögen bzw. tun nichts, was nicht dem inneren Zustand der Seele eines Menschen entspricht.

Wenn Zander auch hier wiederum von einer „Einschränkung der Macht des Lehrers“ fabuliert, weil der Lehrer dem Schüler nach der „Feuerprobe“ die „okkulte Schrift“ eröffnen müsse, so beweist er auch hier wieder sein völliges Unverständnis (oder bewusste Entstellung) des eigentlichen Inhaltes des Gesagten. Außerdem möge er einmal sagen, wer oder was die „übergeordnete Autorität“ ist, für die auch der Eingeweihte nur Mittler ist. Die Antwort auf diese Frage könnte außerordentlich interessant sein!

Zander gefällt sich in der Rhetorik von Macht, Determinismus, Gewalt, Einschränkung der Macht, Autorität... Seine Gedanken kreisen fortwährend in dieser Sphäre – aber dass er den geistigen Inhalt der von ihm zitierten Passagen gar nicht berührt, scheint ihm nicht aufzufallen. Er ist wie geblendet von seiner Sicht auf die Dinge.

Von „verbotener Kritik“

[610:] Wenn letztlich übergeordnete Mächte um den richtigen Schulungsweg wissen, ist folgerichtig Kritik den Lernenden verboten: „Jede Kritik, jedes richtende Urteil vertreiben ebenso die Kräfte der Seele zur höheren Erkenntnis, wie jede hingebungsvolle Ehrfurcht sie entwickelt“ (GA 10,21), meinte Steiner etwa, und beim Geheimschüler soll „zu gewissen Zeiten“ sogar „alles verständnismäßige Urteilen schweigen“ (ebd., 50). Dies war auch Teil einer kulturkritischen Reserve Steiners, derzufolge „in der veräußerlichten Zivilisation unserer Tage“, dem „kritischen Zeitalter“ eben, „die Ideale ... herabgezogen“ würden (ebd., 22). Steiner beeilte sich zwar festzuhalten, daß man „gerade der Kritik, dem selbstbewußten menschlichen Urteil“, „die Größe unserer Kultur“ verdanke (ebd.), doch relativierte er diese Feststellung umgehend, indem er sie gegen die Erlangung „höherer Erkenntnis“ ausspielte: „Was wir dadurch [das ‚selbstbewusste Urteil’] an äußerer Kultur gewonnen haben, mußten wir mit einer entsprechenden Einbuße an höherer Erkenntnis, an spirituellem Leben bezahlen.“ (ebd.) Zur Kritik als einer fundamentalen, auch formalen Kategorie zur Prüfung seines Gegenstandes besaß Steiner ein gebrochenes Verhältnis.


Ich zitiere zunächst die Passagen:

Im geistigen Leben gibt es ebenso Gesetze wie im materiellen. Streiche eine Glasstange mit einem entsprechenden Stoffe, und sie wird elektrisch, das heißt: sie erhält die Kraft, kleine Körper anzuziehen. Dies entspricht einem Naturgesetz. Hat man ein wenig Physik gelernt, so weiß man dies. Und ebenso weiß man, wenn man die Anfangsgründe der Geheimwissenschaft kennt, daß jedes in der Seele entwickelte Gefühl von wahrer Devotion eine Kraft entwickelt, die in der Erkenntnis früher oder später weiter führen kann.
Wer in seinen Anlagen die devotionellen Gefühle hat, oder wer das Glück hat, sie durch eine entsprechende Erziehung eingepflanzt zu erhalten, der bringt vieles mit, wenn er im späteren Leben den Zugang zu höheren Erkenntnissen sucht. Wer eine solche Vorbereitung nicht mitbringt, dem erwachsen schon auf der ersten Stufe des Erkenntnispfades Schwierigkeiten, wenn er nicht durch Selbsterziehung die devotionelle Stimmung energisch in sich zu erzeugen unternimmt. In unserer Zeit ist es ganz besonders wichtig, daß auf diesen Punkt die volle Aufmerksamkeit gelenkt wird. Unsere Zivilisation neigt mehr zur Kritik, zum Richten, zum Aburteilen und wenig zur Devotion, zur hingebungsvollen Verehrung. Unsere Kinder schon kritisieren viel mehr, als sie hingebungsvoll verehren. Aber jede Kritik, jedes richtende Urteil vertreiben ebensosehr die Kräfte der Seele zur höheren Erkenntnis, wie jede hingebungsvolle Ehrfurcht sie entwickelt. Damit soll gar nichts gegen unsere Zivilisation gesagt sein. Es handelt sich hier gar nicht darum, Kritik an dieser unserer Zivilisation zu üben. Gerade der Kritik, dem selbstbewußten. menschlichen Urteil, dem „Prüfet alles und das Beste behaltet“, verdanken wir die Größe unserer Kultur. Nimmermehr hätte der Mensch die Wissenschaft, die Industrie, den Verkehr, die Rechtsverhältnisse unserer Zeit erlangt, wenn er nicht überall Kritik geübt, überall den Maßstab seines Urteils angelegt hätte. Aber was wir dadurch an äußerer Kultur gewonnen haben, mußten wir mit einer entsprechenden Einbuße an höherer Erkenntnis, an spirituellem Leben bezahlen. Betont muß werden, daß es sich beim höheren Wissen nicht um Verehrung von Menschen, sondern um eine solche gegenüber Wahrheit und Erkenntnis handelt.
Nur das eine muß freilich sich jeder klarmachen, daß derjenige, der ganz in der veräußerlichten Zivilisation unserer Tage darinnen steckt, es sehr schwer hat, zur Erkenntnis der höheren Welten vorzudringen. Er kann es nur, wenn er energisch an sich arbeitet. In einer Zeit, in der die Verhältnisse des materiellen Lebens einfache waren, war auch geistiger Aufschwung leichter zu erreichen. Das Verehrungswürdige, das Heiligzuhaltende hob sich mehr von den übrigen Weltverhältnissen ab. Die Ideale werden in einem kritischen Zeitalter herabgezogen. Andere Gefühle treten an die Stelle der Verehrung, der Ehrfurcht, der Anbetung und Bewunderung. Unser Zeitalter drängt diese Gefühle immer mehr zurück, so daß sie durch das alltägliche Leben dem Menschen nur noch in sehr geringem Grade zugeführt werden. Wer höhere Erkenntnis sucht, muß sie in sich erzeugen. Er muß sie selbst seiner Seele einflößen. Das kann man nicht durch Studium. Das kann man nur durch das Leben. Wer Geheimschüler werden will, muß sich daher energisch zur devotionellen Stimmung erziehen. Er muß überall in seiner Umgebung, in seinen Erlebnissen dasjenige aufsuchen, was ihm Bewunderung und Ehrerbietung abzwingen kann. Begegne ich einem Menschen und tadle ich seine Schwächen, so raube ich mir höhere Erkenntniskraft; suche ich liebevoll mich in seine Vorzüge zu vertiefen, so sammle ich solche Kraft. Der Geheimjünger muß fortwährend darauf bedacht sein, diese Anleitung zu befolgen. Erfahrene Geheimforscher wissen, was sie für eine Kraft dem Umstande verdanken, daß sie immer wieder allen Dingen gegenüber auf das Gute sehen und mit dem richtenden Urteile zurückhalten. Aber dies darf nicht eine äußerliche Lebensregel bleiben. Sondern es muß von dem Innersten unsrer Seele Besitz ergreifen. Der Mensch hat es in seiner Hand, sich selbst zu vervollkommnen, sich mit der Zeit ganz zu verwandeln. Aber es muß sich diese Umwandlung in seinem Innersten, in seinem Gedankenleben vollziehen.
S. 21ff.

Was für die Ausbildung des Geheimschülers ganz besonders wichtig ist, das ist die Art, wie er anderen Menschen beim Sprechen zuhört. Er muß sich daran gewöhnen, dies so zu tun, daß dabei sein eigenes Innere vollkommen schweigt. Wenn jemand eine Meinung äußert, und ein anderer hört zu, so wird sich im Innern des letzteren im allgemeinen Zustimmung oder Widerspruch regen. [...] Die [Geistes-]Schüler fühlen sich verpflichtet, übungsweise zu gewissen Zeiten sich die entgegengesetztesten Gedanken anzuhören und dabei alle Zustimmung und namentlich alles abfällige Urteilen vollständig zum Verstummen zu bringen. Es kommt darauf an, daß dabei nicht nur alles verstandesmäßige Urteilen schweige, sondern auch alle Gefühle des Mißfallens, der Ablehnung oder auch Zustimmung. Insbesondere muß sich der Schüler stets sorgfältig beobachten, ob nicht solche Gefühle, wenn auch nicht an der Oberfläche, so doch im intimsten Innern seiner Seele vorhanden seien.
GA 10, S. 50f.


Hier wird nun wirklich klar, dass Zander bewusst böswillig vorgeht. So viele Fehldeutungen wären für einen Wissenschaftler wie ihn definitiv unmöglich – auch nicht bei einer völlig verzerrten Sichtweise. Es beginnt schon bei der Logik: Warum sollte Kritik verboten sein, wenn „übergeordnete Mächte um den richtigen Schulungsweg wissen“? Allenfalls könnten diese übergeordneten Mächte die Schüler „entlassen“. Es geht aber gar nicht um den „richtigen“ Schulungsweg, sondern um die Gesetzmäßigkeiten des Schulungsweges. Und so ist auch der Bezug zur Kritik von Zander herbeigezerrt – denn es geht in den Passagen gar nicht um auch nur potentielle Kritik am Schulungsweg, sondern um die Übung der Urteilslosigkeit oder auch der Positivität.

Dass Zander sich nicht einmal im Ansatz vorstellen kann, was ein solches Üben für Früchte in der Seele hervorbringt, zeigt jedes seiner Worte. Dazu kommt das Missverstehen einfachster Begriffe bei Steiner: Statt verstandesmäßig zitiert er „verständnismäßig“!

Natürlich muss Zander dann auch noch eine angebliche Kulturkritik bzw. Reserve Steiners in den bereits übervollen Topf seiner Vorurteile einrühren. Von Kritik kann keine Rede sein. Steiner betont ja sogar – und das ist absolut kein „beeilte sich zwar“! –, dass der Kritik, dem selbstbewussten Urteil die „Größe unserer Kultur“ zu verdanken ist. Sondern er beschreibt sachlich und objektiv (!), was der menschlichen Seele durch die Entwicklung des kritischen Urteiles verlorengegangen ist. Würde Zander auch nur für Sekunden innerlich nachspüren, was hier von Steiner ausgesagt wird, so würde selbst er ein Stück der Wahrheit erahnen können.

Aber stattdessen bleibt er bei seiner Kritik in jedem einzelnen Wort. Während Steiner für den Geistesschüler schildert, wie er, um weiterzukommen, lernen muss, sich der Kritik auch vollständig enthalten zu können, ist für Zander dieser Schritt unmöglich. Er kann nicht einmal von seinen Fehldeutungen loskommen – ja, seine gesamte Kritik beruht auf Fehldeutungen, die offenbar geradezu zwanghaft sind. Wenn das die von Zander gelobte „Kritik“ sein soll, dann hätte ich auch am liebsten sofort ein „gebrochenes Verhältnis“ dazu. Zum Glück aber ist die Kritik als Urteilsfähigkeit durchaus etwas sehr anderes als das, was Zander praktiziert – nämlich so ziemlich das genaue Gegenteil!

Und dennoch, selbst sachliches, voll bewusstes, klares und wahres Urteilen entzieht der Seele etwas, was sie an Kräften in sich entwickeln könnte, wenn sie sich zu gewissen Zeiten in der völligen Enthaltsamkeit des Urteils üben würde. Aber wie gesagt: Für Zander sind solche seelisch-geistigen Gesetzmäßigkeiten etwas, was völlig jenseits seines Erfahrungs-, Denk- und Vorstellungshorizontes liegt. Das ist eine menschliche Tragik...

[610:] Aber Steiner ging noch weiter und unterlief bereits die Reflexion auf eine mögliche Kritik, indem er die Verehrung im „Devotions“text in die Emotionen verlagerte („heilige Scheu“, „Gefühl“). Vergleichbar wirkte der Verweis auf die „Anlage“, eine biologische Metapher, die eine Disposition oder gar Determination unterstellte und ebenfalls die Diskursivität des Verhältnisses zwischen Lehrendem und Lernendem unterlief. In dieser autoritären Disposition sah Steiner ein festes Gesetz, daß [sic!] von Generation zu Generation weitergegeben werde, wie er wenige Zeilen später erläuterte:
„Der Eingeweihte hat sich nur dadurch die Kraft errungen, sein Haupt zu den Höhen der Erkenntnis zu erheben, daß er sein Herz in die Tiefen der Ehrfurcht, der Devotion geführt hat. Höhe des Geistes kann nur erklommen werden, wenn durch das Tor der Demut geschritten wird.“ (GA 10,20)


Hier wird es nun wirklich absurd! Was ist denn Verehrung oder Devotion anderes als ein Gefühl!? Und was soll das zwanghafte Herumreiten auf der „Anlage“, die das „diskursive Verhältnis“ unterlaufe? Steiner schrieb: „Wer Erlebnisse auf diesem Gebiete hat, der weiß, welche Anlagen bei denen schon in der Kindheit zu bemerken sind, welche später Geheimschüler werden. Es gibt Kinder, die mit heiliger Scheu...“. Wer die Gesetzmäßigkeiten nicht glaubt, mag es doch bleiben lassen! Wer die Bedeutung der Fähigkeit zur Ehrfurcht nicht erkennt, mag doch über den Schulungsweg hinweggehen! Wer auf einem „diskursiven Verhältnis“ besteht und zugleich überall „autoritäre Disposition“ sieht, der mag sich denjenigen Geisteslehrer suchen, der ihn unterrichten will! Dazu  noch einmal Steiner:

Wenn jemand verlangen wollte, daß ihm ein Lehrer eine Geheimschulung zukommen ließe, ohne die Bedingungen erfüllen zu wollen, so gliche eine solche Forderung eben durchaus der: lehre mich malen, aber befreie mich davon, einen Pinsel zu berühren.
S. 102.

Die Frage der Autonomie

[610f:] Okkultes Wissen konnte man in Steiners Augen nicht autonom erwerben, sondern nur in einem hierarchischen Gefälle erhalten. Nun ist jede gesellschaftliche Traditionsbildung und jedes Lernen von einem Autoritätsverhältnis umschlossen, aber Steiner ging über diese regulative Funktion von Autorität hinaus. Die kritische Vergewisserung hinsichtlich Angemessenheit, Ausübung und Inhalte der autoritären Vermittlung war nicht zugelassen. Deshalb gehörte die Einweihung zu ­einer hierarchischen, einer heiliger Ordnung, die nicht über Plausibilität und Einwilligung, sondern über Unterwerfung unter eine Autorität funktionierte und eher der Vermittlung von „Weisheit“ ähnelte denn Wissenschaft war.


Wirklich nur noch böswillig... Zunächst: Man kann okkultes Wissen „autonom“ erwerben, mit Hilfe des von Rudolf Steiner in seinen Schriften geschilderten Schulungsweges. Das Gefälle zwischen Schüler und Lehrer auf dem anthroposophisch-rosenkreuzerischen Weg ist so wenig hierarchisch wie das zwischen Christus und seinen Jüngern. Hat Christus eine Hierarchie aufgebaut? Nein. Konnte man ihm gegenüber kritisch sein? Ja – aber man wollte es nicht. Das ist der Unterschied, den Zander nicht begreifen wird. Wie oft soll denn in einer Schrift wie der hier untersuchten noch die Rede vom freien Willen sein, um Zander zu beweisen, dass es tatsächlich um Einwilligung und nicht um Unterwerfung geht? Dazu noch einmal Rudolf Steiner:

Man wird finden, daß, je unbefangener man die Geisteswissenschaft gerade mit den positiven wissenschaftlichen Errungenschaften zusammenhält, um so schöner die volle Übereinstimmung erkannt werden kann. – Ein anderer Teil der geisteswissenschaftlichen Mitteilungen wird sich allerdings mehr oder weniger dem bloßen Verstandesurteile entziehen. Aber es wird unschwer derjenige ein rechtes Verhältnis auch zu diesem Teile gewinnen können, welcher einsieht, daß nicht nur der Verstand, sondern auch das gesunde Gefühl ein Richter über die Wahrheit sein kann. Und wo dieses Gefühl sich nicht durch Sympathie oder Antipathie für diese oder jene Meinung treiben läßt, sondern wirklich unbefangen die Erkenntnisse der übersinnlichen Welten auf sich wirken läßt, da wird sich auch ein entsprechendes Gefühlsurteil ergeben.
S. 12.


Und zur Autonomie auch noch folgendes:

Es ist durchaus richtig, daß die Wahrheit und das höhere Leben in jeder Menschenseele wohnen und daß sie ein jeder selbst finden kann und muß. Aber sie liegen tief und können nur nach Hinwegräumung von Hindernissen aus ihren tiefen Schächten heraufgeholt werden. Wie man das vollbringt, darüber kann nur raten, wer Erfahrung in der Geheimwissenschaft hat. Solchen Rat gibt die Geisteswissenschaft. Sie drängt niemand eine Wahrheit auf, sie verkündet kein Dogma; sie zeigt aber einen Weg. Zwar könnte jeder – vielleicht aber erst nach vielen Verkörperungen – diesen Weg auch allein finden; doch ist es eine Verkürzung des Weges, was in der Geheimschulung erreicht wird. Der Mensch gelangt dadurch früher zu einem Punkte, auf dem er mitwirken kann in den Welten, wo das Menschenheil und die Menschenentwickelung durch geistige Arbeit gefördert werden.
S. 114.


Dass Zander am Ende einen Widerspruch zwischen Weisheit und Wissenschaft eröffnet, spricht nicht gerade für die Wissenschaft. Selbstverständlich aber beginnt die Geisteswissenschaft erst in einer bestimmten Phase des Schulungsweges. Dann nämlich, wenn der Schüler sich eine untrügliche Urteilsfähigkeit auch im Geistigen errungen hat. Bei Zander jedoch kann man sich fragen, wo seine Wissenschaft überhaupt beginnt. Er geht weder wissenschaftlich noch irgendwie weise vor. Es ist bei ihm nur intellektuelle Deutungs- und Zerstörungswut zu bemerken. Er, der fortwährend im Kontext von Macht, Autorität und Unterwerfung denkt und schreibt, übt doch die allergrößte Deutungsmacht aus, indem er fortwährend die wahren Gedanken und Zusammenhänge entstellt und zerstört!

Von kundigen Führern, Geduld und höherer Wahrheit

[610f:] Diese Grundstruktur [der Unterwerfung usw.] läßt sich durch eine Vielzahl nur selektiv beigebrachter Belege illustrieren:

Die Frage ist, wie viele Belege Zander noch bringen könnte, sie erschöpfen sich nun wahrlich!

– „Einzusehen ist, daß solche Meditationstätigkeit besser zum Ziele führt, wenn sie unter Anleitung erfahrener Menschen geschieht. Solchen Menschen, die von sich aus wissen, wie alles am besten zu machen ist.“ (GA 10,40)

Zander unterschlägt die unmittelbar folgenden Sätze:

Man sehe daher den Rat, die Anweisung solcher Menschen sich an. Man verliert dadurch wahrlich nicht seine Freiheit. Was sonst nur unsicheres Tappen sein kann, wird durch solche Anleitung zum zielsicheren Arbeiten. Wer sich um solche kümmert, die in dieser Richtung Wissen, Erfahrung haben, wird niemals vergeblich anklopfen. Er sei sich nur bewußt, daß er nichts anderes sucht als den Rat eines Freundes, nicht die Übermacht eines solchen, der herrschen will. Man wird immer finden, daß diejenigen, die wirklich wissen, die bescheidensten Menschen sind, und daß ihnen nichts ferner liegt als dasjenige, was die Menschen Machtgelüste nennen.

 

– „Hat der Mensch es so weit gebracht [auf der Stufe der „Erleuchtung“ mit „Geistesaugen“ zu sehen] ..., so stehen ihm die Wege zu vielem offen. Aber es ist keinem anzuraten, noch weiter zu gehen ohne kundigen Führer.“ Seit 1914 ist der „kundige Führer“ durch „sorgfältige Beachtung des vom Geistesforscher Gesagten oder sonst von ihm Mitgeteilten“ ersetzt. (GA 10,56)

Zander unterschlägt den selbst hier gegebenen autonomen Aspekt des Schülers:

Hat übrigens der Mensch in sich die Kraft und Ausdauer, es so weit zu bringen, wie es den angegebenen elementaren Stufen der Erleuchtung entspricht, so wird er ganz gewiß auch die rechte Führung suchen und finden.

 

– „Ich muß zwar alles tun zu meiner Seelen- und Geistesausbildung; aber ich werde ganz ruhig warten, bis ich von höheren Mächten für würdig befunden werde zu bestimmter Erleuchtung.“ (ebd., 91)

Zander unterschlägt, was vorausgeht:

Es ist ja begreiflich, daß der Lernende ungeduldig die Ergebnisse erwartet. Dennoch erlangt er nichts, solange er diese Ungeduld nicht bemeistert. Es nützt auch nichts, wenn man diese Ungeduld nur in gewöhnlichem Sinne des Wortes bekämpft. Dann wird sie nur um so stärker. Man täuscht sich dann über sie hinweg, und in den Tiefen der Seele sitzt sie nur um so stärker. Nur wenn man sich einem ganz bestimmten Gedanken immer wieder hingibt, ihn ganz sich zu eigen macht, erreicht man etwas. Dieser Gedanke ist:

 

– „Allein, es gibt auch über höhere Wahrheiten in Wirklichkeit nur eine Meinung.“ (ebd., 113)

Was Zander dagegen hat, erschließt sich nicht – es sei denn, der Anspruch ist ihm zu „autoritär“, und er möchte, dass seine Meinung genauso Gültigkeit hat. Nun das hat sie (für ihn und in der Diskursgesellschaft) – aber sie bezeichnet eben keine höhere Wahrheit, an die Zander aber ja ohnehin nicht glaubt. Zander braucht die Aussage Steiners doch nicht anerkennen? Dennoch gilt für Zander vollauf das, was Steiner danach schreibt:

Man kann zu dieser einen Meinung kommen, wenn man sich durch Arbeit und Andacht dazu erhoben hat, die Wahrheit wirklich zu schauen. Nur derjenige kann zu einer Ansicht kommen, die von der einen wahren abweicht, der, nicht genügend vorbereitet, nach seinen Lieblingsvorstellungen, seinen gewohnten Gedanken und so weiter urteilt.

 

– „Eine wirkliche Gefahr liegt nur dann vor, wenn der Geheimschüler durch Ungeduld oder Unbescheidenheit sich gegenüber den Erfahrungen der höheren Welt zu früh eine gewisse Selbständigkeit beimißt, wenn er nicht abwarten kann, bis ihm die zureichende Einsicht in die übersinnlichen Gesetze wirklich zuteil wird.“ (ebd., 183)

Auch die Schwierigkeiten Zanders mit diesem Satz können sich mir einfach nicht erschließen. Offenbar möchte er ungeduldig und unbescheiden sein dürfen! Und das auch noch gefahrlos? Nun, er braucht Steiners Worten ja keinen Glauben schenken! Aber die Diskussion ist ohnehin wortwörtlich akademisch, da Zander sich ja nicht auf den Weg machen wird...
Zander hält es offenbar nicht für möglich, dass auf diesem Wege wirkliche Gefahren drohen. Das Zitat wird umschlossen von folgenden Worten:

Der Mensch lernt grausige, das Leben an allen Ecken und Enden bedrohende Gewalten kennen. Es wird ihm möglich, sich selbst gewisser Kräfte und Wesen zu bedienen, welche der sinnlichen Wahrnehmung entzogen sind. Und die Versuchung ist groß, sich dieser Kräfte im Dienste eines eigenen unerlaubten Interesses zu bemächtigen oder aus mangelnder Erkenntnis der höheren Welten in irrtümlicher Weise solche Kräfte zu verwenden. Einige von solchen besonders bedeutsamen Erlebnissen (zum Beispiel die Begegnung mit dem „Hüter der Schwelle“) sollen noch in diesen Aufsätzen geschildert werden. – Aber man muß doch bedenken, daß die lebenfeindlichen Mächte auch dann vorhanden sind, wenn man sie nicht kennt. [...] Auf diesem Gebiete sind eben Demut und Bescheidenheit noch viel weniger leere Worte als im gewöhnlichen Leben. Sind diese aber dem Schüler im allerbesten Sinne eigen, so kann er sicher sein, daß sich sein Aufstieg ins höhere Leben gefahrlos für alles das vollzieht, was man gewöhnlich Gesundheit und Leben nennt. – Vor allen Dingen darf keine Disharmonie aufkommen zwischen den höheren Erlebnissen und den Vorgängen und Anforderungen des alltäglichen Lebens. Des Menschen Aufgabe ist durchaus auf dieser Erde zu suchen.

Inhalte vor Methode – was heißt das?

Schließlich forderte Steiner bis in seine letzten Lebensjahre, den Inhalten den Primat vor der Methode des Schulungswegs einzuräumen: „Man wird über die echte Natur dieses Erlebten dann volle Klarheit erhalten, wenn man praktisch durchführt, was im zweiten (letzten) Teile dieses Buches [der „Geheimwissenschaft“] als ‚Weg’ zu den übersinnlichen Erkenntnissen geschildert wird. Man könnte leicht glauben, das Umgekehrte sei richtig: dieser Weg müsse zuerst geschildert werden. Das ist aber nicht der Fall.“ (GA 13,50 [1920]) Die Methode war Anleitung zum bloßen Nachvollzug.


Hier versteht Zander nicht einmal den bloßen, wörtlichen Sinn des Gesagten! Was er selbst versteht, bleibt ziemlich unklar, jedenfalls sind diese herausgerissenen Sätze nicht dazu geeignet, dass der Leser dieses Zitates irgendetwas versteht. Was bedeutet „Die Methode war Anleitung zum bloßen Nachvollzug“? Zum Nachvollzug von was denn? Die Inhalte, von denen Steiner spricht, sind das, was im Laufe des Schulungsweges an übersinnlichen Erfahrungen auftritt. Um diese Erfahrungen selbst zu haben, muss der Schulungsweg („Methode“) natürlich praktiziert werden! Dass Steiner in seinem Buch der Beschreibung der Methode dennoch die Beschreibung der auf diesem Wege erfahrbaren Erfahrungen voranstellt, begründet er selbst damit, dass die Schilderung dieser Erfahrungen die Seele bereits auf den Weg führt – worüber sie sich in voller Bewusstheit klar werden wird, wenn sie dann auch selbst den „Weg“ praktiziert. Die ganze Passage lautet:

Der Leser muß zunächst eine größere Summe von übersinnlichen Erfahrungen, die er noch nicht selbst erlebt, mitteilungsgemäß aufnehmen. Das kann nicht anders sein und wird auch mit diesem Buche so sein. Es wird geschildert werden, was der Verfasser zu wissen vermeint über das Wesen des Menschen, über dessen Verhalten in Geburt und Tod und im leibfreien Zustande in der geistigen Welt; es wird ferner dargestellt werden die Entwickelung der Erde und der Menschheit. So könnte es scheinen, als ob doch die Voraussetzung gemacht würde, daß eine Anzahl vermeintlicher Erkenntnisse wie Dogmen vorgetragen würden, für die Glauben auf Autorität hin verlangt würde. Es ist dies aber doch nicht der Fall. Was nämlich von übersinnlichen Weltinhalten gewußt werden kann, das lebt in dem Darsteller als lebendiger Seeleninhalt; und lebt man sich in diesen Seeleninhalt ein, so entzündet dieses Einleben in der eigenen Seele die Impulse, welche nach den entsprechenden übersinnlichen Tatsachen hinführen. Man lebt im Lesen von geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen auf andere Art, als in demjenigen der Mitteilungen sinnenfälliger Tatsachen. Liest man Mitteilungen aus der sinnenfälligen Welt, so liest man eben über sie. Liest man aber Mitteilungen über übersinnliche Tatsachen im rechten Sinne, so lebt man sich ein in den Strom geistigen Daseins. Im Aufnehmen der Ergebnisse nimmt man zugleich den eigenen Innenweg dazu auf. Es ist richtig, daß dies hier Gemeinte von dem Leser zunächst oft gar nicht bemerkt wird. Man stellt sich den Eintritt in die geistige Welt viel zu ähnlich einem sinnenfälligen Erlebnis vor, und so findet man, daß, was man beim Lesen von dieser Welt erlebt, viel zu gedankenmäßig ist. Aber in dem wahren gedankenmäßigen Aufnehmen steht man in dieser Welt schon drinnen und hat sich nur noch klar darüber zu werden, daß man schon unvermerkt erlebt hat, was man vermeinte, bloß als Gedankenmitteilung erhalten zu haben. – Man wird über die echte Natur dieses Erlebten dann volle Klarheit erhalten, wenn man praktisch durchführt, was im zweiten (letzten) Teile dieses Buches als „Weg“ zu den übersinnlichen Erkenntnissen geschildert wird. Man könnte leicht glauben, das Umgekehrte sei richtig: dieser Weg müsse zuerst geschildert werden. Das ist aber nicht der Fall. Wer, ohne auf bestimmte Tatsachen der übersinnlichen Welt den Seelenblick zu richten, nur „Übungen“ macht, um in die übersinnliche Welt einzutreten, für den bleibt diese Weit ein unbestimmtes, sich verwirrendes Chaos. Man lernt sich einleben in diese Welt gewissermaßen naiv, indem man sich über bestimmte Tatsachen derselben unterrichtet, und dann gibt man sich Rechenschaft, wie man – die Naivität verlassend – vollbewußt selbst zu den Erlebnissen gelangt, von denen man Mitteilung erlangt hat.

Von Urteilsfähigkeit und hermeneutischem Schlüssel

[611f:] Die Schüler waren bei Steiner an Vorgaben gebunden, über die sie nicht ver­fügen, und auch die Lehrer (und dabei darf man wohl auch denken: Steiners Konkurrenten) sollten einer höheren Macht unterliegen. Die einzige Instanz, die produktiv über die Optionen des Schulungswegs verfügte, war Steiner als Verfasser ­des Schulungsbuches. Letztlich fehlt eine der Einübung in die „Devotion“ vergleichbare Wegleitung des Schülers in Kritikfähigkeit und Selbständigkeit.


Hier wiederholt Zander seine bisherigen Fehldeutungen. Welche höhere Macht? Welche Konkurrenten? Was heißt „produktiv über die Optionen des Schulungsweges verfügen“? Glaubt Zander etwa, Steiner hätte sich nicht am allerstrengsten an jene Gesetze gehalten, die er für den Eingeweihten schilderte? Und die Urteilsfähigkeit des Schülers wird ja gerade dadurch genährt, dass Steiner so genau wie möglich schildert, was den Schüler auf dem Schulungsweg an Erfahrungen erwartet. Was erwartet Zander noch mehr? Was?! Ich wiederhole das Ende des letzten Zitats:

Wer, ohne auf bestimmte Tatsachen der übersinnlichen Welt den Seelenblick zu richten, nur „Übungen“ macht, um in die übersinnliche Welt einzutreten, für den bleibt diese Weit ein unbestimmtes, sich verwirrendes Chaos. Man lernt sich einleben in diese Welt gewissermaßen naiv, indem man sich über bestimmte Tatsachen derselben unterrichtet, und dann gibt man sich Rechenschaft, wie man – die Naivität verlassend – vollbewußt selbst zu den Erlebnissen gelangt, von denen man Mitteilung erlangt hat.


Und auch ein weiteres, bereits angeführtes Zitat:

Es gehört zu den Grundsätzen wahrer Geheimwissenschaft, daß derjenige, welcher sich ihr widmet, dies mit vollem Bewußtsein tue. Er soll nichts vornehmen, nicht üben, wovon er nicht weiß, was es für eine Wirkung hat. Ein Geheimlehrer, der jemand einen Rat oder eine Anweisung gibt, wird immer zugleich sagen, was durch die Befolgung in Leib, Seele oder Geist desjenigen eintritt, der nach höherer Erkenntnis strebt.
S. 115.

 

[612:] Letztlich hängt die Bestimmung des hermeneutischen Schlüssels an der Entscheidung, ob man den Schulungsweg von den hierarchischen oder selbstbestimmenden Stellen her liest.

Sehr richtig! Nur dass es die hierarchischen Stellen gar nicht gibt – wir haben nunmehr ausführlichst die Entstellungen von Zander aufgedeckt. Dennoch fährt er fort:

[612:] In anthroposophischen Kreisen ist die Tendenz deutlich, die Textpartikel, die einen eigenverantwortlichen Schulungsweg zu konzipieren scheinen, als interpretationsleitend zu betrachten. Meines Erachtens nach unterschlagen diese Versuche die autoritative Grundlegung jedweder Erkenntnisbemühungen im hierarchischen Verhältnis von „Geheimlehrer“ und Schüler und der beide beherrschenden heiligen Erkenntnisordnung.

Mit anderen Worten, nach Zander: Wo es einen Lehrer gibt, entfällt die Selbstbestimmung und herrscht die Hierarchie. Außerdem herrscht die „heilige Erkenntnisordnung“. Nun, wir haben genug Zitate angeführt, die alle den freien Willen des Schülers und die absolute Moralität des Lehrers belegen. Wenn jemand kein Schüler sein will, dann muss er nicht. Es bleibt schleierhaft, wie man es Zander noch anders „recht machen“ kann...

[612:] Relativierungen des personalen Verhältnisses zugunsten abstrakter Prinzipien seit 1914 änderten am hierarchischen Prinzip nichts, denn die Abkehr vom Institut der geheimen Meister und Eingeweihten bedeutete keine prinzipielle Reduktion der gegenüber Kritik abgeschotteten Autorität im Schulungsweg. Bestenfalls wird die Autorität heischende Instanz durch eine andere Autorität relativiert, schlechtestenfalls verschärft sich das Autoritätsproblem: Je stärker man die Autorität auf eine abstrakte Instanz hin verlagert, desto schwerer wird deren Kontrolle, weil eine personalisierte Autorität in Abstraktion aufgeht oder sich dahinter verbirgt – bis hin zur Ungreifbarkeit. Autoritär bleibt der Schulungsweg in jeder Variante.


Wahrscheinlich ist Zander gegen jede Form von Ausbildung, beim Bäckerhandwerk angefangen.
Wahrscheinlich favorisiert er doch die Selbstausbildung, die Selbsteinweihung und die Selbsterlösung... Er kann doch nicht im Ernst meinen, dass die Einfügung Steiners, die Devotion solle gegenüber der Wahrheit und Erkenntnis geübt werden (und nicht etwa gegenüber einem Lehrer), zu einer Verschärfung des Autoritätsproblems führe, weil sich die personalisierte Autorität bis zur Ungreifbarkeit hinter Abstraktion verberge oder gar darin aufgehe (was auch immer das heißen mag)!

Nun, wir haben gesehen, dass Zander durchaus alles meinen und behaupten kann – egal, was Steiner schreibt und tut. Geben wir also unsere Hoffnung auf, ihn jemals widerlegen zu können. Er wird doch immer Recht behalten...

Von dem „gesunden Wahrheitssinn“

[612:] b. Irrtum und Täuschung
In der historiographischen Analyse geht es hinsichtlich der Erkenntnisse Steiners nicht um wahr und falsch, da nicht seine Wahrnehmungen, sondern nur seine Aussagen über seine Wahrnehmungen den Gegenstand der Analyse bilden. [...]


Wenn es denn wenigstens so wäre! Zander nimmt ja nicht einmal Steiners eigene Aussagen über seine Wahrnehmungen ernst, sondern unterstellt fortwährend, Steiner würde täuschen und falsche Behauptungen machen.

[612:] Spannend ist dabei die Frage, wie sich Steiner als Theosoph die Vermeidung von Täuschungen vorstellte. Einen ersten Fokus bilden die zwischen 1904 und 1905 im Schulungsweg von Steiner selbst zur Prüfung der Wahrheitsfrage angeführten Kriterien. Er wies darauf hin, daß der Mensch beim ‚Erleben’ übersinnlicher Eindrücke „nicht Phantasie und geistige Wirklichkeit miteinander ... verwechseln“ dürfe (GA 10,62). Dieser präzisen Artikulation des Problems folgte aber die Allerweltsantwort, „daß der gesunde Sinn, der Wahrheit und Täuschung unterscheidet, fortwährend gepflegt werden muß“ (ebd., 62f.). Kriterien zur Unterscheidung eines „gesunden“ von einem ungesunden Sinn fehlen. Steiner glitt vielmehr in eine lebensphilosophisch getönte Evidenz ab, die den eröffneten rationalen Diskurs unterlief. „Man muß“, schrieb er, einen angezielten Gedanken „in sich erleben“ (ebd., 62). Dieses Erlebnis liefere dann einen epistemischen Mehrwert.


An der zitierten Stelle schildert Steiner die Übung zur übersinnlichen Wahrnehmung an einem Samenkorn. Er schreibt dort:

Es ist begreiflich, daß mancher Mensch das alles für Illusion halten wird. Viele werden sagen: „Was sollen mir solche Gesichte, solche Phantasmen?“ Und manche werden abfallen und den Pfad nicht fortsetzen. Aber gerade darauf kommt es an: in diesen schwierigen Punkten der menschlichen Entwickelung nicht Phantasie und geistige Wirklichkeit miteinander zu verwechseln. Und ferner darauf, den Mut zu haben, vorwärts zu dringen und nicht furchtsam und kleinmütig zu werden. Auf der anderen Seite aber muß allerdings betont werden, daß der gesunde Sinn, der Wahrheit und Täuschung unterscheidet, fortwährend gepflegt werden muß. Der Mensch darf während all dieser Übungen nie die volle bewußte Herrschaft über sich selbst verlieren. So sicher, wie er über die Dinge und Vorgänge des Alltagslebens denkt, so muß er auch hier denken. Schlimm wäre es, wenn er in Träumerei verfiele. Verstandesklar, um nicht zu sagen: nüchtern, muß er in jedem Augenblicke bleiben. Und der größte Fehler wäre gemacht, wenn der Mensch durch solche Übungen sein Gleichgewicht verlöre, wenn er abgehalten würde, so gesund und klar über die Dinge des Alltagslebens zu urteilen, wie er das vorher getan hat. Immer wieder soll sich der Geheimschüler daher prüfen, ob er nicht etwa aus seinem Gleichgewicht herausgefallen ist, ob er derselbe geblieben ist innerhalb der Verhältnisse, in denen er lebt. Festes Ruhen in sich selbst, klarer Sinn für alles, das muß er sich bewahren.


Steiner schildert an dieser Stelle also nicht in erster Linie die Gefahr, eine Phantasie für real zu halten, sondern etwas Reales als bloße Phantasie abzutun! Nun, man wollte, er könnte Zander mehr Kriterien an die Hand geben, denn dieser tut ja fortwährend Realitäten als etwas anderes ab... Im übrigen macht Steiner hier durchaus weitere Angaben, die alle darauf hinzielen, dass das Wichtigste die Bewahrung des klaren Denkens ist. Auch hier müsste Zander sich zunächst üben. Es gibt diesen gesunden Sinn durchaus, und er kann auch geübt werden. Aber dazu müsste man sich eben auch bemühen, Entstellungen und Täuschungen zu unterlassen. Wenn einem dies im Dienste einer starr verfolgten Hypothese schon zur Unmöglichkeit geworden ist, dann darf man auch nicht hoffen, diesen gesunden Sinn kennenlernen zu können. Im Prinzip aber ist er dasselbe wie die Unterscheidungsfähigkeit zwischen einer vorgestellten und einer echten Herdplatte.

Es gibt in der geistigen Welt keine anderen Unterscheidungskriterien als den zuvor entwickelten gesunden Urteilssinn. Diesen kann man wirklich sehr weitgehend entwickeln, wenn man erst einmal ein Empfinden für Wahrheit und Wahrhaftigkeit bekommen hat. Dennoch gibt Steiner in anderen Schriften durchaus noch Kriterien an, etwa die Tatsache, dass in der astralischen Welt alles umgekehrt, wie im Spiegelbild erscheint. Mehr Kriterien kann man nicht angeben, zumal die Irrtumsmöglichkeiten viel größer sind als in der sinnlichen Welt. Das Wichtigste und wirklich Entscheidende ist tatsächlich ein gesundes Denk- und Urteilsvermögen – und was das ist, muss man eben verstehen und empfinden lernen!