13.06.2016

Jürgen Todenhöfer – Gewissen des Westens

Gedanken über einen besonderen Menschen. | siehe auch: Jürgen Todenhöfer – über ein halbes Jahrhundert lang Streiter für Wahrheit und Frieden (Biografie und Presseberichte). 


Inhalt

Unglaublicher Einsatz
Das Menschliche gegen Brutalität und Unwahrheit
Die Korruption des Westens

Unglaublicher Einsatz

Jürgen Todenhöfer – ein Mensch und Friedenskämpfer, den man kennen sollte. Es gibt Menschen, die mit viel Mut und Einsatz für den Frieden eintreten. Und es gibt Menschen, die dies mit sehr viel Mut und sehr viel Einsatz tun. Ein solcher Mensch ist Jürgen Todenhöfer.

Wenige Bücher haben mich so beeindruckt wie sein Buch „Du sollst nicht töten“. In diesem Buch schildert Todenhöfer Erfahrungen eines langen Lebens – das Jahr für Jahr ganz nah dran war an den Orten, an denen Krieg und Gewalt Menschen in Elend und Unglück stürzten. Während andere Politiker am grünen Tisch bequem über Konfliktregionen sprachen und Soldaten und Bomber entsandten, war Todenhöfer vor Ort. Er machte sich stets selbst ein Bild. Er sprach stets mit allen Seiten. In Afghanistan organisierte er noch unter russischer Besatzung die erste Exilregierung. Nach dem 11. September kritisierte er scharf den angeblichen „Antiterrorkrieg“ der USA, der nur neue Terroristen hervorbringt, weil er unzählige Unschuldige tötet. Er baute mit eigenem Geld Waisenhäuser, während auch deutsche Offiziere Zivilisten bombardieren ließen. Auch vor dem Irak-Krieg war er Bush dessen Lügen vor und bat Papst Johannes Paul II., nach Bagdad zu reisen. Während alle Welt Assad verteufelte, fuhr er nach Damaskus und entlarvte die westlichen Medienberichte und die Hetze des arabischen Senders Al-Dschasira als Unwahrheiten. Vor Ort erfährt er von Greueltaten der Rebellen, die Assad in die Schuhe geschoben werden.

Diese Liste ließe sich leicht fortsetzen. Todenhöfer ist ein Kämpfer für den Frieden und für die Wahrheit. Wo andere den Krieg vorantreiben, setzt er sich dafür ein, die wirkliche Situation zur Kenntnis zu nehmen und Frieden zu schaffen. Er entlarvt die Kriegstreiberei des Westens und der arabischen Diktaturen und ihre zerstörerische, scheinheilige Allianz. Aber damit nicht genug – er tut all dies unter fortwährendem höchsten eigenen Einsatz. Und auch damit nicht genug: Er hilft den Opfern, allen voran den Kindern.

Todenhöfer gehört zu den Vorbildern unserer Zeit. Wo andere Hass und Unwahrheit säen, sät er Verständigung und Wahrheit aus erster Hand. Schon immer musste er dafür einen hohen Preis zahlen. Immer saß er zwischen den Stühlen und wurde angegriffen. Nie nahm er ein Blatt vor den Mund – auch nicht, als er noch sehr rechte Ansichten hatte. Aber auch da setzte er sich bei Chiles Diktator Pinochet für die Freilassung tausender politischer Gefangener ein. Angepasst hat er sich nie. Kohl konnte Todenhöfer nicht ausstehen. Aber Kohl wäre auch bereit gewesen, die deutsche Wiedervereinigung als Ziel sang- und klanglos unter den Tisch fallen zu lassen. Todenhöfer war einer der ganz Wenigen, die sich dafür einsetzten, dass dies nicht geschah.

Das Menschliche gegen Brutalität und Unwahrheit

Todenhöfers Sympathie für die Schwachen zeigte sich schon sehr früh. Bereits mit zwanzig Jahren reiste er fast ohne Geld nach Algerien, um sich ein Bild von der französischen Brutalität gegenüber den Afrikanern zu machen. Als junger CDU-Abgeordneter fliegt er nach Mosambique und bestätigt ein Massaker der portugiesischen Armee, die in einem Dorf 400 Kinder und Erwachsene brutal ermordet hatte. Er fährt auch als Abgeordneter nur einen Käfer, fliegt im Gegensatz zu fast allen Kollegen „Economy“ und wundert sich nach politischen Erreichnissen über den Neid der eigenen Parteikollegen. Todenhöfer ist ein Idealist, einer der wahrhaft menschlichen Politiker.

Für ihn war es nie eine Frage, dass er mit dem Geld, das ihm das Schicksal zugestand, so viel wie möglich anderen Menschen half. In seinem Buch „Teile Dein Glück“ findet diese Einstellung einen wunderbaren Ausdruck. Aber auch seine Friedensliebe. Todenhöfer schreibt, entsetzt über die Wirklichkeit: „Es darf nicht sein, dass die Opfer der Kriege ihr Leben lang ohne angemessene Unterstützung dahinvergetieren müssen, während die Täter Golf spielen und mit ihren Memoiren Millionen verdienen.“ (S. 189). Seine eigene Wahrhaftigkeit zeigt sich auch in so schlichten Sätzen wie dem folgenden: „Ich hatte mal wieder eine Karrieresprung gemacht – wie üblich nach unten.“ (S. 237).

Heute ist Todenhöfer ein leidenschaftlicher Streiter für das Verständnis gegenüber dem Islam. Erschütternd schildert er die fast unbegreifliche Gastfreundschaft der islamischen Welt, die im Westen kaum einen Bruchteil ihresgleichen findet. Er rückt die Verhältnisse zurecht, wenn er darauf hinweist, dass kein einziges muslimisches Land in den letzten zwei Jahrhunderten jemals den Westen angegriffen hat, während es umgekehrt nur eine Bilanz der Schande gibt... Er weist darauf hin, dass es – nach jahrelangen Kriegen in Afghanistan, Irak, Syrien – weltweit etwa 300.000 gewaltbereite Muslime gibt, was aber nur 0,02 % der 1,5 Milliarden Muslime sind. Allein in den USA sind etwa ebensoviele Menschen gewaltbereit... Im Mittleren Osten akzeptieren etwa 15-20 % Gewalt gegen Zivilisten – doch in den USA sind es fast 50 %.

Immer wieder wird behauptet, der Westen verteidige am Hindukusch und anderswo seine „Werte“ – aber es war der Westen, der für immer mit Abu Ghraib, Guantanamo, Vergewaltigung muslimischer Kämpfer durch Hunde (!) und anderen unvorstellbaren Unmenschlichkeiten verbunden bleiben wird. In seinem Buch „Du sollst nicht töten“ kommt Todenhöfer teilweise zu sehr pessimistischen Perspektiven, was die menschliche Liebe zum Guten angeht. Forschungen von Sozialpsychologen zeigen eine erschreckende Lust des Menschen am Töten – die bei Soldaten flächendeckend zur Äußerung kommt. Diese Lust, die direkt mit einem Orgasmus verglichen wird, machte selbst vor Ernest Hemingway nicht halt [o]. Diese Passagen in Todenhöfers Buch sind grenzenlos erschütternd.

Kriegsgegner machten schon vor Jahrzehnten deutlich, wie sehr Kriege immer nur in eine Doppelmoral hineinführen können: „Bombing for peace is like fucking for virginity“. Kennedy lehnte Präventionskrise ab, da sie alle Werte infrage stellen würden, für die Amerika stehe. Diese Wahrheit hat sich heute in ihr Gegenteil verkehrt. Obama hat die US-Truppen in Afghanistan verdreifacht und den Drohnen-Terrorismus vervielfacht.

Besonders erschüttert zeigt sich Todenhöfer von der parteiischen Berichterstattung der längst nicht mehr wahrhaft unabhängigen Medien. Diese Berichterstattung ist heute so massiv einseitig, dass sich nahezu kein Medium der vorgegebenen Richtung zu entziehen wagt – und jeder Reporter und Redakteur weiß, was erwartet wird und was er keinesfalls schreiben darf. Alles, was irgendein Feindbild bestätigt, wird willig aufgegriffen und ausgewalzt; alles, was diesem widerspricht, wird brutal verschwiegen oder lächerlich gemacht, angegriffen etc. Weit, weit entfernt sind die Medien heute von einem wahrhaftigen Ringen um Wahrheit und unvoreingenommene Berichterstattung über die tragischen Konfliktregionen unserer Zeit. Wie stark dies wirkt, gesteht Todenhöfer in entwaffnender Offenheit aus eigener Erfahrung:

„Wie tiefgreifend die Folgen dieser parteiischen Berichterstattung sind, sehe ich bei mir selbst. Wenn ich über längere Zeit nur die von den [syrischen] Rebellen verbreiteten Berichte über die Untaten der Regierung lese, erfassen auch mich Zorn und Entsetzen. Ich kann mich dem gar nicht entziehen. Nach der zehnten Meldung auf Spiegel-, Bild- oder Süddeutsche Zeitung online über die Gräueltaten der syrischen Regierung gerät mein gesamtes, mühsam recherchiertes Syrienbild ins Wanken.“ (Du sollst nicht töten, S. 220).

Das schreibt also jemand, der die Situation vor Ort durch intensiven eigenen Einsatz und viele Reisen besser kennt als wohl kaum ein zweiter!

Die Korruption des Westens

Ich habe vor wenigen Tagen den Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ empfohlen. In den 50er Jahren wollte niemand mehr etwas von den Nazi-Verbrechern wissen. Adenauer konnte sich keine Regierungskrise leisten – und die USA konnten sich keine Krise Adenauers leisten. Heute hat der Westen keine „Schweigeabkommen“ mit Naziverbrechern mehr, heute sind es extremistische Diktaturen wie Saudi-Arabien und Katar. Im Hinblick auf die Unterstützung der zu Al Qaida gehörenden Al-Nusra-Front in Syrien schreibt Todenhöfer: „Die USA sind über ihre saudisch-katarischen Verbündeten inzwischen de facto zu Al-Qaida-Unterstützern geworden.“ (S. 307). In Syrien wurde ein legitimer Protest eines Teils der Bevölkerung sehr schnell zu einem von außen angeheizten Religionskrieg und anti-iranischen Stellvertreterkrieg. Von da an kämpften die neuen, vom Ausland unterstützten Rebellen in Wirklichkeit für ein radikales islamistisches Kalifat. Wie ernst die unheilige Verquickung des Westens mit extremistischen Regimen ist, macht auch folgende Äußerung Todenhöfers deutlich: „Wenn ich als junger Abgeordneter in den 70er-Jahren bei meinem Treffen mit dem saudi-arabischen König Faisal demokratische Reformen angemahnt hätte, wäre ich von meiner Partei sofort aller Ämter enthoben worden.“ (S. 311). 

Syrien war bis vor wenigen Jahren ein Land, in dem alle Religionen friedlich zusammenlebten. Ein erschreckender Extremismus kommt gerade aus dem Westen, etwa wenn die bekannte US-Fernsehkommentatorin Anne Coulter fordert: „Wir sollten in ihre Länder einmarschieren, ihre Führer totschlagen und die Bevölkerung zum Christentum bekehren.“ [o]. Und: „Wir sollten unseren nationalen Arschkriecherwettbwerb beenden, Syrien ins Steinzeitalter zurückbomben und danach den Iran dauerhaft entwaffnen.“ [o]. 

Diese Art von westlichem Extremismus hat eine lange Tradition. Todenhöfer kennt ihn, seit er mit erst zwanzig Jahren die Brutalität der Franzosen in Algerien unmittelbar miterlebte. Heute sind zehntausende von Zivilisten Opfer der westlichen „Kriegspolitik“ – einer Politik, die nur immer neue „Terroristen“ hervorbringen kann. Die Brutalität des Westens in Afghanistan, im Irak, die beispiellose Hetze gegen den Iran, gegen Assad in Syrien – dies alles dient nicht dem Frieden, es dient dem Chaos und kann einzig und allein nur im Interesse einer brutalen Geopolitik stehen.

Die Sehnsucht nach Frieden würde ganz andere Wege suchen und auch finden. Jürgen Todenhöfer lebt diese Wege vor.