14.04.2017

Christus

Karfreitagsgedanken.


Es gibt ein Wesen, das nicht erkannt wird.

Und es wird nicht erkannt die Schuld und die Krankheit, in die der Mensch sich durch diese Nicht-Erkenntnis stürzt. Man kann auch sagen: die Tragik, die Katastrophe.
Die meisten Mensch möchten davon nichts hören. Sie möchten in Eigen-Blindheit und Katastrophe, in Schuld und Krankheit verharren.
Radikal wehrt sich die moderne Seele, wenn sie hört, dass sie etwas „falsch“ macht oder gar etwas nicht „erkennt“. Sofort wittert sie Dogmatik, Missionierungsdrang, Moralisieren etc. etc. Wenn sie hier aber nicht unterscheiden kann, fehlt ihr – das Unterscheidungsvermögen.
Jemand, der bei einem Brand „Feuer!“ ruft, um zu warnen, ist weder Dogmatiker noch Missionar.
Wer Schlafwandler wachzurütteln sucht, damit sie eine Katastrophe erkennen, ist dies ebensowenig.

Dennoch lebt die moderne Seele verstrickt in das Eigen-Dogma, dass nicht existiere, was sie sich anzuerkennen weigert – und dass sie mit allem in Ruhe gelassen zu werden habe. Sie schläft aber nicht den Schlaf der Gerechten, sondern den Schlaf der Trägen und Hochmütigen.
Nicht der ist hochmütig, der auf eine Wahrheit hinweist – sondern diejenige Seele, die sie abweist.
Die Ur-Geste des Hochmutes ist das Abweisen. So tat es Luzifer, als er es abwies, im Einklang mit der ganzen göttlichen Welt zu bleiben. Zu dieser Ur-Geste gehört auch das Auflodern des Eigensinnes: Ich!
Es ist jene Geste, die sich selbst erhöht und den Zusammenhang abweist. Und dies alles ist eins: Abweisen um der Selbsterhöhung willen.
Luzifer wusste dies. Die moderne Seele bemerkt es nicht. Sie bemerkt nicht, dass sie eine Wahrheit nicht etwa ablehnt, weil sie unwahr wäre, sondern nur deshalb, weil ihre Selbsterhöhung sonst angegriffen wäre. Die moderne Seele liebt ihren Eigen-Stolz unendlich viel mehr als die Wahrheit. Sie weiß auch weder, was Wahrheit ist, noch dass man sie lieben könnte. So ist sie blindes Opfer Luzifers – denn ihr Impuls ist der seine, untrennbar sind sie geworden. Ob die Seele sich Luzifer hingegeben hat oder sein Opfer wurde – die Wirkung ist die gleiche. Ein Unterschied ergäbe sich erst in der Frage, wie dieser Zustand wieder aufzuheben wäre. Aber gerade diese Frage hat die moderne Seele ja nicht, weil es sich in diesem Zustand so wunderbar leben lässt...

Die Seele lebt also in der Abweisung jenes Wesens, das sie nicht kennt – und in der Abweisung einer Erkenntnis dieses Wesens, die an sie herankommen möchte.
Wer von diesem Wesen spricht, muss verteufelt (verschwiegen, verspottet, verleumdet) werden – denn die Seele selbst ist in Teufels (Luzifers und Ahrimans) Hand. Eine Wahrheit bekämpft man am besten, indem man sie unsichtbar macht, als Lächerlichkeit oder als Unwahrheit hinstellt. So tut es die moderne Seele – und merkt nicht, dass sie es mit den Wesen der Unwahrheit und sogar in ihrer Hand tut. Nicht mehr in Gottes Hand ist die Seele, sondern in Teufels Küche, in den Händen der Gegenmächte.
Gegenmächte von was? Gegenmächte jenes Wesens und der mit diesem Wesen verbundenen Welt, das von sich sagte: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Die moderne Seele hört auf, auf dem Weg zu sein, sie wird gleichgültig gegenüber der Wahrheit – und sie verliert ihr Leben.

Es gibt auch falsche Wege. Der Weg immer weiter in die Materie ist ein solcher. Er wird geführt von jener Macht, die Steine zu Brot machen wollte – als Vorwand. Es ist jene Macht, die alles zu Geld machen will: die Luft, das Wasser, das Leben, die Sorge für Alte und Kranke, die ganze Erde, sogar Erkenntnis und Wissen, sogar das Geld selbst. Geld soll wieder Geld hervorbringen. Gier, Unersättlichkeit und Macht – sie sind mit dieser Macht verbunden.
Aber das sind noch nicht alle Wege dieser Macht, mit denen sie die Seele in die Materie ziehen will. Das andere sind die ins Unermessliche sich steigernden Lockungen des Materiellen selbst: Bequemlichkeit, Unterhaltung, Genuss. Die uferlose Verführung des virtuellen Netzes. Es ist eine mit grenzenloser Macht sich verwirklichende Versuchung, die die Seele ganz vom Weg abbringt. Der Weg wird verloren, die Wahrheit und das Leben.
Dass die Seele eine Seele ist – selbst das vergisst die Seele völlig unter dem Ansturm der sie überflutenden Sinnesreize, Ablenkungen, Genüsse. Völlig in dies hineingezogen wird es der Seele immer unbegreiflicher, was Seele ist – oder sein könnte. Jede Innerlichkeit geht verloren. Aber erst diese Innerlichkeit wäre wahrhaft ... Seele.

Ihren wahren Zustand kann die Seele nur da erkennen, wo in ihr noch etwas lebt, was sie wahrhaft menschlich macht – und sei es nur als lebendige Erinnerung. Oder da, wo dies wieder in ihr zu leben beginnt.
Der verlorene Sohn kann seine Verlorenheit nicht erkennen, die selbstbezogene Seele hat nicht einmal eine Ahnung davon, wie sehr sie ihr wahres Sein verloren hat. Die Seelen wissen nicht, was sie tun. Der Spötter kennt den Spott nicht, der Hochmütige kennt den Hochmut nicht. Niemand kennt das Wesen dessen, dem er verfallen ist. Kennen würde er es nur, wenn er das Andere kennen würde – jenes Andere, das ihn befreien würde, in den wahrhaft menschlichen Zustand hinein.
Niemand sieht das Gefängnis, solange er gefangen ist. Und heute liebt die Seele ihr Gefängnis. Wie könnte sie es dann sehen lernen? Zuerst müsste sie die Wahrheit lieben lernen. Dann den Weg, der sie aus ihrer Gefangenschaft führen würde – und das Leben, das sie erst auf diesem Weg finden würde. Aber wie kann sie etwas lieben, was sie nicht kennt?

Aber die Seele kennt dieses Wesen. Jede Seele kennt es. Denn jede Seele wurde einmal geboren – und lebte davor in einer Welt, die ganz Wesen dieses Wesens war.
Und jede Seele hat eine Erinnerung an diese Welt. Sie kann in diese Erinnerung eintauchen, wenn sie sich darauf besinnt, was Wärme ist. Nicht äußere Wärme, sondern innere ... nicht leibliche Wärme, sondern seelische. Eintauchen in das Mysterium der Wärme – ist das Eintauchen in die Erinnerung an dieses Wesen.
In dem Moment aber, wo dieses Eintauchen Erleben wird, ist die Seele in einem außer-gewöhnlichen Zustand. In diesem Moment hat sie sich befreit von den anderen Mächten – und ist zugleich befreit worden. Mag diese Befreiung nur Momente dauern. In diesen Momenten war sie mit einem ihre Krankheit heilenden Wesen verbunden und hatte ein inneres Leben. Und sie war zugleich in der Wahrheit und für Momente verbunden mit jenem Weg, der sie mit ihrem wahren Wesen verbindet.

Die nach außen gezogene Seele kennt das innere Leben nicht mehr. Das wahre innere Leben der Seele aber ist das Entfalten, das Aufblühenlassen von Wärme. Die Wärme ist wirklich das Leben der Seele.
Es ist jene zarte Qualität, die ohne Hindernis zwischen Hingabe und Hinnahme lebt, die, gerade weil sie die Hingabe kennt, auch das Geheimnis des Berührtwerdens kennt. Das Aufblühenlassen dieses Mysteriums seelischer Wärme lässt die Grenze verschwimmen zwischen der Seele und dem, dem sie sich zuwendet. Es ist das Geheimnis der Zuwendung selbst, dieses Geheimnis der Wärme.
Zuwendung, Hingabe, Empfindsamkeit – diese Qualitäten können immer heiliger, immer innerlicher erlebt werden ... und werden dann erst ihre Wahrheit und ihr wahres Leben offenbaren. Das ist heiliger Weg.
Und dieser Weg ist Befreiung aus Krankheit, Sonderung und Tod der Seele.
Die Sonderung in den Eigen-Wahn ist die Krankheit der Seele. Und der Verlust aller tieferen Empfindungen, das Hineinsterben in die Oberflächlichkeit ist der Tod der Seele. Selbstbezug und Profanität, Hochmut und Abstraktheit – das sind die Krankheit und der Tod, den die Gegenmächte der Seele bringen, die ihnen in der modernen Zeit verfallen ist.
Aber es gibt auch ein Wesen, das Heilung und Leben bringt. Das Wesen der Wärme heilt jeden Hochmut, das Wesen der Wärme heilt die Abstraktheit, die bloße Intellektualität, die Empfindungsarmut, die armselige Leere der modernen Seele. Das heilige, das heilende Wesen schenkt dem nach Heilung sich sehnenden Seelenwesen einen Weg – es schenkt sich selbst. Und in Ihm darf die Seele wachsen ... zu sich selbst.

Alles mit diesem Wesen Verbundene ist Wachstum, Werden, denn es ist Leben, zartes Leben, zarte Wärme.

Auferstehung.