15.12.2017

Die Dreckschleudern der „Egoisten“

Ein Blick in die ganz normalen Abgründe eines angeblich Anthroposophie-nahen Blogs.


Inhalt
Die Feinde des Menschengeschlechts
Der Beginn des Mobbing – und die geistige Entsorgung Steiners
Mischas Männer-Monolog und übergriffiges Psychologisieren
Brutales Mobbing und rettungsloses Schwarz-Weiß
„Das Leben ist Kampf“ – und Mischa die Speerspitze
Kampf bis zur Besinnungslosigkeit
Schlussakt: Der Gnädige und die männliche Pose halber Reue
Der Gegensatz zum Wahnwitz


Die Feinde des Menschengeschlechts

Nachdem die Handvoll „Egoisten“ wochen- und monatelang auf Verschwörungstheorien und russischer Propaganda herumgeritten sind, die die weltweite Freiheit bedrohen, wurde es einem aus diesem kleinen Kreis zuviel – und er vertrat eine andere Meinung. Prompt wurde er dermaßen gemobbt, dass er sich für einen ganzen Monat verabschiedete.

Ich persönlich verstehe nicht, wie man sich in diesem von subtilen und ganz offenen Beleidigungen immer wieder nur so strotzenden Blog überhaupt noch bewegen kann – jedes tiefere Empfinden wird dort ja völlig vernichtet. An dieser Stelle möchte ich nur kurz die Entwicklung skizzieren, um deutlich zu machen, wo „Anthroposophie-affine“ Menschen heute stehen können. Die Redlichkeit, mit der dort auf totalitäre und rechte Gefahren und Machenschaften hingewiesen wird, steht hier nicht in Frage. Was ich zeigen will, ist die innere Seelenverfasstheit, mit der dort geschrieben, geurteilt und gerichtet wird.

Mischa wendet sich geradezu hymnisch gegen alle antidemokratischen Kräfte [o]:

mischa – 17.11.2017 18:56
[...] Wir indessen wenden uns der Sonne, dem Ursprung, dem Leben zu, in all seiner Schönheit, und kehren uns schaudernd ab von den barbarischen Künsten der Feinde des Menschengeschlechts, die ihre Schergen und ihre Pest mobilisieren, seit jeher. [...] Wenden uns dem zu, was den wahren und erlösten, den kulturellen und individuellen, unteilbar sich selbst gehörenden Menschen ausmacht.

Dann stellt er in den Raum:

mischa – 19.11.2017 13:59
[...] Viele türkische Jugendliche, die sich ähnlich motiviert ("deutsche Fraun alles Nutten", "deutsche Männer Nazi ode schwul", "sie glauben einen falschen Gott") in den 90ern in - mehr oder weniger - kriminelle Umtriebe gestürzt hatten, sind heute integrierte und sogar gebildete zeitkritische Familienväter, oft käme mancher nicht drauf, zu merken, daß sie türkischer Abstammung sind.

Das ist ja wunderbar, wenn sich viele Türken integrieren. Die Frage ist, wie tiefgreifend das dann geht – und was eine solche Integration zum Beispiel für das Frauenbild bedeutet. Es ist bekannt, dass allein in Deutschland jährlich tausende von Mädchen von Zwangsheirat bedroht sind. Und auch, dass sich in der Jugendsubkultur immer wieder von neuem dieser völlig überzogene „Ehrbegriff“ fortpflanzt, in dem die weiblichen Familienmitglieder geradezu als Eigentum betrachtet werden. Man muss sich doch fragen, was das für eine „Kultur“ ist, in der die Frauen des Gastlandes als „Nutten“ betrachtet werden!?  

Dagegen sagt Mischa nichts – das bedroht offenbar weder seine persönliche Freiheit noch die Demokratie als solche. Ich dagegen sage: Mit jedem zwangsverheirateten Mädchen wird auch die eigene Freiheit mit Füßen getreten – ebenso wie sie in Russland mit Füßen getreten wird. Für Mischa fällt das Erstere aber nicht ins Gewicht, lieber rühmt er die angeblichen Wunder der Integration, denn wenn Putin erst einmal Europa destabilisiert hat, wäre der heutige Zustand ja immer noch ein Paradies dagegen. So kann man es natürlich auch sehen. Aber für das zwangsverheiratete Mädchen ist es kein Trost, in einem Rechtsstaat zu leben – es sei denn, es kann der strukturellen Gewalt, die es umgibt, entrinnen und tatsächlich sein Recht bekommen. Tatsache ist aber, dass Prozesse, die gegen das Leben gerichtet sind, auch in dieser Form durch Kulturen, die das Individuelle leugnen und verachten, mitten unter uns die Freiheit vernichten. Das nur als Beispiel.

Der Beginn des Mobbing – und die geistige Entsorgung Steiners

Auf der Suche nach rechtsgerichteten Anthroposophen wird dann bei den „Egoisten“ auch ausführlich wieder der Erste Weltkrieg aufgerollt, wobei jede These von Machtzirkeln hinter bestimmten Entwicklungen bereits als „Verschwörungstheorie“ und jede „Verschwörungstheorie“ bereits als rechtslastig gebrandmarkt wird. Diese ganzen, den Block beherrschenden Diskussionen, veranlassten dann Rainer Herzog schließlich zu folgendem Kommentar:

Ich stimme S.Eisenhut [ein Redakteur von „Die Drei“, siehe den Artikel „Die geistige Enthauptung Mitteleuropas“, H.N.] in seinem Urteil 100 %ig zu. Die Vertreter der sog. "linksliberalen Anthroposophie" sind in der Einseitigkeit und Einfachheit ihres Denkens zumeist vollständig vorhersehbar, m.E. von der moralischen Überlegenheit mancher Rechtspopulisten auch nicht weit entfernt. Man achtet ausschließlich auf Worte und Begriffe und hat keinen Zugang mehr zu den dahinterstehenden Gedanken, rechts wie links.
Und dass ein R.Steiner hier mehr oder weniger zuerst in seinen zeitgeschichtlichen Aussagen und dann dadurch in Folge auch als "Eingeweihter" entsorgt (korrigiert, verbessert, zurechtgebogen, kleingemacht, entschuldigt) wird, kann man in der Entwicklung dieses Blogs in den letzten Jahren ganz einfach beobachten. Der "Nachweis", dass Steiner ein tendenziell antisemitischer und/oder rassistischer Autor war (eventuell noch mit unterdrückter Homosexualität) ist eine flotte Steilvorlage, den ganzen nebulösen Geheimwissenschaftskram endgültig ad acta zu legen.

Diese eine Bemerkung führt im Folgenden dann zu massiven Reaktionen der anderen Dauerblogger, wobei die darin herrschende Grundeinstellung so entlarvend ist wie nur irgendetwas:

Stephan Birkholz – 09.12.2017 18:56
Och Rainer, so ungelesen bist Du doch sicher Nicht!
Er hat quer durch alle Völker, Volks- und Sozialisierungsgruppen und Einzelmenschen unumstößliche Aussagen darüber gemacht, was vom Standpunkt desOkkultismus aus gesehen als rechtmäßig und gesund und was als unrechtmäßig, krank und fehlgeleitet aufzufassen ist.
Wenn man anfängt Steiner zu lesen, ist es nur eine Frage des eigenen Charakters, ob man wahlweise eher sich selbst oder eher seine Umgebung für völlig fehlentwickelt hält. [...]

Valentin – 09.12.2017 19:16
Stephan, that's it...
Ich glaube ja, Rainer ist einfach nur unzufrieden und gelangweilt...er hat halt alles gelesen was es so auf dem Eso-Markt gibt und auf Amazon Bewertungen abgeben ist auch langweilig geworden ;)
Aber er wird schon sein inneres Gleichgewicht wiederfinden...

Dieser unglaublich flache Zynismus zeigt unmittelbar, wie kalt und „abgegessen“ diese Blogger sowohl selbst sind als auch mit anderen Menschen umgehen.

Als Herzog erwidert:

Rainer Herzog – 09.12.2017 20:14
[...] Ich lese Steiner seit 30 Jahren sehr gründlich und habe weder bei mir noch meiner Umgebung eine "völlige Fehlentwicklung" konstatiert.
Deine Aussagen bestätigen aber meine oben geäußerte Ansicht über die Entwicklung des Egoblogs in den letzten Jahren. "Früher" gab es hier immer einen Andreas Lichte, der Steiner und sämtliche Anthroposophen als ausschließlich rechts und rassistisch und sonstwas beurteilt hat. Den braucht man heute längst nicht mehr.

...kontert Birkholz:

Stephan Birkholz – 09.12.2017 20:36
Ich lese Steiner seit 27 Jahren regelmäßig im Original, aber vielleicht liegt's ja nur an den 3 Jahren, die Du mir voraus hast...
Allerdings zweifle ich mittlerweile, ob Du hier überhaupt gründlich liest: Niemand stellt sämtliche Anthroposophen oder Steiner als ausschließlich rechts und rassistisch dar.

Mit anderen Worten: Ein solcher Blogger erhebt bereits einen Anspruch auf eine innere Beziehung zur Anthroposophie, wenn er Steiner „nicht ausschließlich“ als rechts und rassistisch darstellt. So tief ist der „Egoisten“-Blog also bereits gesunken. Dass die Anthroposophie mit solchen Äußerungen aber im Grunde bereits entsorgt ist, wird bestritten und nicht ehrlich zugegeben.

Herzog verweist darauf, dass der Kern der Anthroposophie ein spiritueller innerer Schulungsweg ist – und betont vollkommen zu Recht:

Rainer Herzog – 09.12.2017 21:18
[...] Es geht nicht um ein resigniert-zynisches Aufspüren von Fehlverhalten bei Anderen.
Jemand wie G.Kühlewind war z.B. ein herausragender Vertreter dieser Richtung, er hat einen eigenen spirit. Weg entwickelt und war dennoch immer zutiefst verbunden mit dem Werk Steiners. Die Haltungen, Beiträge und Kommentare dieses Blogs sind m.E. am denkbar weitesten von einem wie ihm und seinen Intentionen entfernt.

Darauf die nächste sarkastische Antwort:

Stephan Birkholz – 09.12.2017 21:25
Sag ich ja, Rainer - ich will Deinen Seelenfrieden nicht weiter stören...

Rainer Herzog – 09.12.2017 21:54
@ Stephan,
tust Du auch nicht, ganz im Gegenteil. Ich lese (überfliege) hier nach wie vor gerne und regelmäßig um amüsiert zu konstatieren, was mit Menschen passiert, die mit Anthroposophie primär als Weltanschauung umgehen, ohne, oder nur mit sehr geringem lebendigen, kreativen oder individuellen Bezug. Da kommt dann eben vor allem Spott, Zynismus und Resignation heraus.
Ich sag erstmal wieder tschüß hier, mache Platz für die wahrscheinlich eintretenden nächtlichen Fäkalmetaphern-Kommentare.

Hier zeigt sich, dass auch Herzog sich nur mit subtilen Schlägen („um amüsiert zu konstatieren“) wehren kann. Eben das genau ist diese locker-flapsige, subtil-sarkastische Art, die diesen Blog so unerträglich macht, wenn man das wahrhaft Menschliche sucht. Da behaupten diese Menschen, sich einer inneren Entwicklung verpflichtet oder verbunden zu fühlen, und traktieren sich mit giftigsten Spitzen, immer weiter. Es ist ein sinnloses Ruinieren der eigenen Seele.

Mischas Männer-Monolog und übergriffiges Psychologisieren

Aber nun meldet sich wieder Mischa zu Wort. Zunächst findet er es „übrigens wirklich tragisch“, dass weite Kreise längst so aufgeklärt seien, dass Spiritualität „irgendwie aus jeder Art von Mode“ kommt. Dann behauptet er, es sind vor allem wohlhabende Kleinbürger, „die auch einen Drall zur AfD“ haben. Und dann singt er das Hohelied des Egoisten-Blogs als einer freien Vereinigung wirklich befreiter Männer, die mutterunabhängig geworden sind, Nestflüchter, die pubertiert haben: „Kurz: Ich habe selten geistig entspannte Männer erlebt, die echte Probleme mit den Egoisten hatten. Gibt es nicht.“

Ein anonymer Blogger bringt es in seiner Antwort auf folgenden Punkt:

[...] Kommt mir eher vor wie ein Haufen fast schon seniler durch jahrzehntelange Leidensprozesse anthroposophiegeschädigte  (hauptsächlich) Männer, die sich mitunter sogar gegenseitig Freiräume neiden, und aus Unsicherheit bezüglich ihrer abgehoben elitären Besserwisserstandpunkte, die sie nicht fähig  sind zu reflektieren geschweige denn abzustreifen, den Blog ganz gezielt in Richtung Toilette steuern.
Ob es nun primäre Absicht, oder nur Nebeneffekt ist, Rudolf Steiner und die Anthroposophie selbst toilettenmässig zu entsorgen, bzw. in die braune Brühe einzutauchen bleibt dabei ebenso offen wie die Frage nach einem spirituellen Gegenmodell [...].

Tatsächlich geht es bei den „Egoisten“ so gut wie nie um Spiritualität – sondern immer nur um deren praktische Vernichtung, durch jeden Beitrag neu. Aber nun kommt die hohe Zeit des Mischa – denn jetzt beginnt er, ausführlich zu psychologisieren. Das ist es, was er immer wieder macht, nicht merkend, wie sehr er dadurch den heiligen Innenraum eines anderen Menschen betritt und schändet. Er nimmt sich dieses Recht einfach heraus – ganz wie ein Diktator auf seelischem Gebiet:

Mischa – 10.12.2017 15:56
[...] Das Fehlen der Lebensfreude ist da erstens spürbar. Das sind solche Kandidaten wie Rainer Herzog zur Zeit. Säuerliches Verfolgen von eigenständigen Regungen. Das "Mist, ich darf ja nicht!" [männlich sein?, H.N.] ist unüberhörbar. "Da will ich wenigstens mein gewohntes Niveau!"
Zweitens: Geistige Impotenz, da ein angepaßter Mensch, ähnlich wie ein Efeu gar nicht zu einen Anflug von Rückrat fähig ist, da geht es dann Richtung Salonfaschist, der in letzter Instanz ein Konsens-Akademiker ist, dem die musische Begabung fehlt, aus Informationen - eine Bildung - zu generieren. Das möchte ich Rainer noch [! H.N.] nicht unterstellen.
Da steht dann, das ist folgerichtig, "Fäkalsprache", "Seemannssprache" gegen die "Sprache der Führungskader", Sprache wird, gerade bei Rainer Herzog im Moment, nur noch als Soziolekt definiert, eingefordert und wahrgenommen. Ein Stallhasen-Syndrom. Pubertierungsfeindlich. Läßt mich aufhorchen. [...]

Und Mischa weiter über das „Männliche“:

Mischa – 10.12.2017 17:53
Die "Männer-Gruppe"? Es gibt sie im wirklichen Leben nicht. [...] Müttergruppen, die gibt es. Das Weibliche steht stets im Signum der Geborgenheit. Daher sind Männergruppen Unsinn. Denn das Prinzip des Männlichen ist das Ungeborgene. [...]
Tja, bleibt noch Freundschaft und lose Verbindung - als Prinzip und Qualität des wirklich Männlichen. Auch Frauen können echte Freunde sein. Männinnen, Kerle! [...]
Von diesen Dingen versteht Rainer Herzog herzlich wenig, und von Freundlichkeit und Freundschaft sowieso nicht. Eher dient lieber. !! Es scheint dieser Typus "Wadenbeißer" zu sein, ein Durchsetzer von fremden Interessen. [...]
Solche erleben nur andere Subjekte abstoßend, und in ihrem Eigenen Subjektiven, siehe Rainer Herzog, dürfen sie alles! Ein Mensch, über den man sich amüsieren darf. [...]

Brutales Mobbing und rettungsloses Schwarz-Weiß

Ist ein Mensch erst einmal in Mischas Visier geraten, ist nichts mehr zu machen – dann wird er bis auf die Knochen psychologisiert. Da wird wild drauflos gedeutet – und das alles mit dem Absolutheitsanspruch, der um so größer ist, als dieser Deuter so „authentisch“ daherkommt. Alle mögen ihn deswegen. Dass er aber fortwährend ganz krass Grenzen überschreitet, scheint niemanden zu stören. Die „Egoisten“ sind eben eine eingeschworene Gemeinschaft, wo „jeder so sein darf, wie er ist“. Und Mischa ist doch so „authentisch“! Den muss man doch lassen...

Morgenstern schrieb einmal: „Die zur Wahrheit wandern, wandern allein.“ Das Signum des „Egoisten-Blogs“ ist aber seit langer Zeit diese kumpelhafte Einigkeit bezüglich (a) der wirklich wichtigen Themen: Putin-Bashing, „Rassismus“ in der Anthroposophie, eifrige Distanzierung und Betonung der eigenen Selbständigkeit, (b) des Umgangstones: flapsig, kumpelhaft („Wir“-Gefühl im ganzen Stil, auch wenn man dies nie zugeben würde, aber man ist ja nun schon quasi Jahrzehnte „verheiratet“), profan, nicht nur rein sachlich, sondern sogar ironisch, sarkastisch, zynisch, alles immer unter dem Deckmantel der „Authentizität“ und des „Humors“ – und wer das Spiel bzw. den kollektiven Zwang nicht mitmacht, gilt eben als „humorlos“, nicht fähig zur „Selbstironie“ etc. Oberstes Gesetz bleibt die völlige Profanität.

Morgenstern wäre mit diesem Blog völlig allein geblieben. Kühlewind hätte sich mit Schaudern abgewandt. Und Steiner mit Verachtung – aber das stört keinen „Egoisten“, ist Steiner doch innerlich bereits entsorgt.

Aber der „ganze Mann“ Mischa singt sein Hohelied auf die Männlichkeit, ganz im Stile der alten, klassischen Marlboro-Werbung. Frauen, die dem Mann das Wasser reichen können, sind „Männinnen“, „Kerle“. Soviel zum Frauenbild von Mischa – eine Frau verliert bei ihm, wenn sie wirklich individuell und selbstständig wird, ihr ganzes Frausein.

Mischa preist das „Ungeborgene“. Der starke, eigenständige Mann beweist sich im Ungeborgenen – das Weibliche (und Weibische?) flüchtet immer in die Geborgenheit und die Gemeinschaft, die aber längst nicht mehr zeitgemäß ist, zumindest nicht für den echten „Mann“.

Wie schwarz-weiß dieses Bild ist, müsste man einmal tief meditieren – um ebenso tief erschrecken zu können. Sonst bleibt all dies immer wieder abstrakt, vielleicht sogar wohlklingend – Mischa, der Verteidiger der Freiheit! Aber für ihn ist das Leben „Kampf“, fortwährend bedroht von dunklen Mächten (ganz profan: Putin, AfD, rechte Anthroposophen etc., braun angehauchte Blogger, wobei er dies jeweils beurteilt).

Die Wahrheit ist, dass wir in einer männlich geprägten Welt leben – Gemeinschaft wird gerade überall zerschlagen, das Egoistische ist mit dem Kapitalismus zur Wirtschaftsordnung aufgestiegen und durchdringt immer mehr alle Lebensbereiche. Die Moderne prügelt das „Ideal“ der Ungeborgenheit in alle Winkel des Lebens hinein: Flexibilität, „Ich-AG“, „lebenslanges Lernen“, Weiter, Schneller, Höher, Besser – immer besser als der Andere, der Nächste, der Feind... Das ist modernes Lebensgefühl.

Das Weibliche steht im „Signum der Geborgenheit“ – das ist wahr. Aber was Mischa völlig falsch und einseitig sieht, ist, dass dies nicht mangelnde Individualisierung bedeuten muss. Im Gegenteil. Das ach so männliche „Marlboro-Ideal“ bedeutet einen Typus völlig einseitiger, verzerrter Individualität. Es gipfelt in dem „Einzelgänger“, der im Grunde eigentlich ganz unfähig zu jeder wirklichen Begegnung geworden ist. Das „Ungeborgene“ als habituierter Mangel, Unfähigkeit, Entmenschlichung. Im „Egoisten“-Blog wird dies fast zelebriert. Jede spöttische und zynische Bemerkung ist wieder neu die Bestätigung – und die Akteure sind sogar noch stolz darauf, sich ihre eigene „Freiheit“ und „Lockerheit“ und Anderen ihre angebliche „Humorlosigkeit“ zu beweisen. Die Frage ist nur: Wo ist hier das „Wir-Gefühl“ und wo ist die wirkliche Ungeborgenheit? Gibt das gemeinsame „Gegner-Bashing“ nicht ein subtil unglaublich genussvolles Wir-Gefühl?

„Das Leben ist Kampf“ – und Mischa die Speerspitze

Mischa stößt weiter in das Horn seiner idealisierten „Männlichkeit“:

mischa – 10.12.2017 18:01
Und nochmal: Dieser Blog wird wohl von Frauen gemieden, weil die anthroposophische Damenwelt sich hier nicht bedient, sondern angeschwärzt fühlt. Es gibt weder Zwerglein, noch Engel, noch fromme Verslein, nicht michaelische Weltmission, und kein positives Denken. [...]

Soviel zum Frauenbild und zur Spiritualität dieses Verteidigers „ungeborgenen Einzelgängertums“. Reinstes Schwarz-Weiß-Denken... Irgendwann einmal hatte dieser Blogger sich selbst geoutet und zugegeben, dass er ganz am Anfang selber schüchtern war und sich gefragt hat, was man auf diesem Blog dürfe – bis er sich angenehm angenommen fühlte und spürte, dass man „alles“ darf. Längst fühlt er sich nun bei den „Egoisten“ so zu Hause, dass er seine Gedanken wie einen süßen Brei fortwährend ungefragt ausströmen lässt – und dabei ganz unreflektiert von einer übergriffigen Deutung zur anderen springt. Ein ungeheurer Wandel von dem zart besaiteten Neuankömmling zum Verherrlicher der „Männlichkeit“...

Dann stellte Ingrid ihren Aufsatz „Wenn Linke mit Rechten reden...“ auf den Blog. Doch weit davon entfernt, dass dies zur Verständigung beitragen könnte oder den gegenseitigen Umgang auch nur ansatzweise verändern würde, ging es in derselben Weise weiter, vor allem durch Mischa. Rainer Herzog bedankte sich bei Ingrid für den Aufsatz, und es gab zwischen beiden einen freundlichen Wortwechsel, aber dann kartete Mischa übergangslos nach:

mischa – 13.12.2017 03:11
Was mich wach gemacht hat für Herrn Rainer Herzog ist ja, daß man spürt: Er weiß es besser, aber er möchte genießen, Steiner nannte das mal "schneiden in lebendiges Fleisch", in etwas, was ihm nix getan hat, und daher auch keine Rüstung angelegt hat. So lernt auch ein netter und freundlicher Mensch wie ich, nachtragend zu werden. [...]

Der „authentische“ Mischa darf ja alles – aber in Wirklichkeit ist es abgründig, was er in diesen wenigen Zeilen bringt. Wieder mit dem vollen Anspruch der Wahrheit deutet er wild drauflos. Der Andere möchte „genießen“, was auch immer, wahrscheinlich sein „Rechthaben“. Dann bringt er irgendeinen aus dem Zusammenhang gerissenen Begriff, der in Wirklichkeit aus schwarzmagischen Zusammenhängen kommt. Dann stilisiert er sich selbst als jemanden, der eigentlich von seiner ganzen Natur ein „freundlicher Mensch“ ist und auch nie eine Rüstung anlegt – durch jemanden wie Herzog aber geradezu dazu gezwungen wird. Heroismus pur! Der friedliebende Mischa legt eine Rüstung an, mit größtem Widerwillen, es wird ihm geradezu aufgezwungen, weil er für die „wahre Natur“ des Rainer Herzog endlich „wach geworden“ ist.

Selbst als Herzog auf diese völlig überzogene „Kampf-Rhetorik“ hinweist und Ingrid ihm dafür sogar dankt, kann dies Mischa nicht aufhalten. Er wütet weiter in seiner völligen Selbstüberzeugtheit:

mischa – 13.12.2017 11:09
Das Leben - ist - Kampf und in der Evolution ist das Konzept "Durchsetzung". [...] Rainer. Du bist doch tüchtig. Dein hoher "idealistischer" Anspruch, den Du hier offensiv zu Felde führst, in Opposition zu Vielerlei Lebendigem, was Dir nicht paßt, ist doch Deine Strategie. Dein Konzept, das wird niemand bestreiten können, der Deine Fährte, und nicht nur Deine Texte liest, besteht darin, mich als jemanden darzustellen, der "die Opferrolle" nicht zu vermeiden weiß.
Warum tut das ein Therapeut? Um den Willen eines Klienten zu stärken. Warum tut das ein Intrigant in öffentlicher Diskussion: Um den Andern seiner erotisch anziehenden Attribute zu berauben. [...]
Währest Du hier jetzt nicht mein Gegner, würde die Diskussion einen anderen Verlauf genommen haben. Themen kämen zum Vorschein. Dein Unwille hat sie zugetrasht. Ja, ich habe konsequent permanent - reagiert. Denn auf ein Wort von Dir, wer angefangen hat, wissen wir, ich greife keine Kommentatoren an, gab ich ein Widerwort auf das Andere. [...] Das aber versuchtetst Du für Dich zu nutzen, und hast Dich rasch vom Angreifer strategisch zum Opfer gemacht, gibst Dich empört, als habest Du stets vornehm geschwiegen! - und hast das Tacheles, was ich Dir, zu meiner Verteidigung under Verteidigung mancher Themen hier geredet habe, als Angriff bezeichnet, und Dich entrüstet. [...]

Während längst führende Evolutionswissenschaftler von der Kooperation als grundlegend für die Entwicklung des Menschen ausgehen und den Kampf als etwas ganz Sekundäres ansehen, reitet Mischa weiter auf der sozialdarwinistischen Schiene, die das „Marlboro-Ideal“ noch weiter ins Abseits führt. Dann unterstellt er Herzog eine „Strategie“, während er, Mischa, immer nur „reagiert“ habe. Er würde nie Kommentatoren angreifen – und er habe nur reagiert, sich sozusagen gewehrt, in Notwehr die „Freiheit“ verteidigt. Dass in Wirklichkeit er es war, der in ellenlangen Grundsatzergüssen und Ausdeutungen der Psyche seines selbsterklärten Gegners (dem er Strategie unterstellte, worauf er dann reflexartig reagierte) den Blog „zugetrasht“ hat, kann er nur übersehen, weil seine „Authentizität“ von allen anderen anerkannt wird – sozusagen ein kollektives Kindchenschema. „Der Mischa darf alles, der ist der Authentischste von uns allen. Wer ihm etwas übel nimmt, bekommt es mit mir zu tun.“

Das ist vielleicht keine Strategie, aber es ist trotzdem erfolgreich. Mischa hat sich als Modell des authentischen, ungeborgenen Mannes etabliert – nun haben seine Ergüsse und Deutungen einen geradezu unantastbaren Status erreicht, und niemand bemerkt es überhaupt noch, wie sehr er Grenzen übertritt und in den Innenraum Anderer hineinbombt, mit völlig subjektiven, aggressiven Deutungen. Wenn man sich das Unglaubliche „authentisch“ einfach herausnimmt, braucht man keine Strategie mehr – dann ist die Unverschämtheit und seelische Brutalität zum wirklichen Habitus geworden. Und die Selbstimmunisierung ist perfekt, denn man ist ja so authentisch, so spontan, man „fühlt“ es ja so unmittelbar – wie könnte das je falsch sein? Das authentische Sich-Aufregen hat sozusagen seinen Wahrheitsmesser gleich mit eingebaut. Mischa ist mit seinen Deutungen ein ähnlicher Tyrann geworden wie kleine Kinder, die immer ihren Willen bekommen.

Kampf bis zur Besinnungslosigkeit

Und nachdem er dies von Valentin bestätigt bekommen hat („Mischa ist für mich eines der authentischsten, offensten und interessantesten Schreiber hier im Blog“), geht es weiter:

mischa – 13.12.2017 14:26
Rainer ist im Augenblick Vertreter von Fassade und Lack. [...] daß das Alles, was Rainer verteidigt, nicht "andere Meinung" ist, sondern panische Sehnsucht nach gesellschaftlicher Hierarchie, nämlich die der Koriphäen-Mentoren versus der devoten Geistes-Schülerhaltung. Um diese neuronale Prägung offenzulegen, lehne ich mich bewußt weit aus dem Fenster. [...]

Nun wird Ingrid deutlich und erwidert, dass sie das „mit Verlaub, für Unsinn“ hält. Mischa ist jedoch immer noch nicht zu stoppen – er mäßigt sich nur, um nicht endgültig als Giftspritzer zu gelten:

mischa – 13.12.2017 14:57
[...] Das Bunte reizt das Verbitterte. Schon klar! So exakt empfand ich zahlreiche Posts, die sich nur camoufliert hatten in Feinsprech! Da sagte ich mir mal wieder: "Nein!" Auch Nette Menschen können contra geben. Dulden, dulden, das adelt nicht immer. Aber ich halte mich mal zurück, ehe weitere Angriffe auf mich mir als Mischa-Verursachte Klimavergiftung angelastet werden. Weil ich Unrecht nicht so gern hinnehme, muß ich mich viiieeel mehr beherrschen, als Menschen mit einem niedrigerem Stoffwechselumsatz.

Der arme Mischa! Er, der unter allem Unrecht so unglaublich viel mehr leidet als Andere – wie sehr muss er sich beherrschen! Er muss es sogar noch einmal betonen – nachdem er mit zahlreichen heftigsten Ergüssen doch schon alles losgeworden war, was er loswerden wollte. Und man glaubt es ihm unmittelbar, wie sehr er sich dazu zwingen musste, weil er doch eigentlich so freundlich und nett ist. Dass er sich hier unmittelbar selbst widerspricht, wird ihm gar nicht bewusst. Ist er nun freundlich und nett, liegt in seinem Wesen das Dulden? Oder muss er sich gerade immer fortwährend „viiieeel“ mehr beherrschen als alle Anderen? Aber dem authentischen „Mann“ nimmt man ja jede widersprüchliche Merkwürdigkeit ab – sie fällt bei der ganzen liebenswürdigen Authentizität nicht einmal auf...

Es ist bezeichnend, dass Ingrid ihn nun fragt, ob er ihren Artikel eigentlich gelesen habe...

Er antwortet mit Verweis auf Israel: Er sei (wie Trump) auch nicht mehr für eine Zwei-Staaten-Lösung in Israel. Und jetzt kommt noch einmal seine ganze Radikalität zum Vorschein, in der er sich natürlich als radikaler Gutmensch sieht:

mischa – 13.12.2017 16:06
[...] Es gibt Diskussionen, die eben erst ihr Ende finden, wenn reiner Wille Sieg und Niederlage offenbart hat. Wenn die Dynamiken zu stark sind, fängt jedes Wohlwollen und jede Selbstbeherrschung und Revanche-Entsagung sie nicht mehr auf. Es geht der Zug dann direkt Richtung Krieg, Untergang, oder wieder in einen wirklichen Frieden durch einen Sieg einer halbwegs gerechten Sache. [...]

Und, ja – es haben schon immer alle männlichen Alphatiere ihre Sache als die gerechte bezeichnet, gegen wen es auch ging, denn sobald die Zeichen auf „Kampf“ stehen, ist der Gegner und dessen moralische Stufe ja klar...

Als er den Artikel von Ingrid ein zweites Mal gelesen hat, erwidert er:

mischa – 13.12.2017 16:29
Ich kann nichts anderes finden, als den Verweis auf eine "Meta-Eebene", von der aus Alle sich fragen sollen "Wie gehn wir miteinander um!"
Diese Art von Meta-Ebenen-Reflexion ist eine NEBELBOMBE auf ein Schlachtfeld. Sie wird den Krieg aufschieben, die Scheidung der Mutationen von Ideen und Konzepten durch die natürliche Auslese verlangsamen. [...]

Schlussakt: Der Gnädige und die männliche Pose halber Reue

Als Herzog dann zu diesem Zeitpunkt bekannt gibt, sich für mindestens einen Monat aus dem Blog zurückzuziehen, kann Mischa endlich wieder zu seinem „wahren Wesen“, der Freundlichkeit, zurückkehren und Zugeständnisse machen:

mischa – 13.12.2017 20:08
Ohne mir die Schuldangebote anzuziehn, ich hatte in den letzten Tagen vielleicht etwas Hufeisen in den Fäustlingen, soll ja Glück bringen. Mir reicht das mal. Rainer hat sein Fett weg, und ich fühl mich auch schlecht, wenn ich dran denk. Aber okay, manchmal geht es nur so, indems weh tut. [...] Lassen wir Rainer doch in Ruh, er will nicht eine Woche lang zerissen werden. Mir hat der Fight nicht gefallen.

Wie großmütig! „Rainer hat sein Fett weg“ („das brauchte er auch“), „und ich fühl mich auch schlecht, wenn ich dran denk“ (moralische Selbstentschuldigung). Und dann der großmütige Aufruf an alle: „Lassen wir Rainer doch in Ruh“ – dabei war es gerade Mischa fast im Alleingang, der sich gleichsam mit Schaum vor dem Mund einfach nicht stoppen konnte!

Und dann noch einmal am nächsten Tag:

mischa – 14.12.2017 14:53
[...] Mir ist der Kragen geplatzt, war okay. Nach den Spielregeln der Konvention ist RH jedoch moralischer Sieger. Damit sollte es jetzt gut sein. Man muß sich nicht im Schlamm gestriger Gefechte wälzen, um nochmal alles auszukosten.

Mischa gibt „nach den Spielregeln der Konvention“ seine eigene Überreaktion zu – und erneuert nochmals seinen Großmut, jetzt nicht auf dem Gegner herumzutreten. Erneut stilisiert er sich als den moralisch Besseren, der auf das Auskosten seines Sieges verzichtet, denn Herzog ist ja nur „nach der Konvention“ der moralische Sieger. Als „der Klügere“ hat er schließlich nachgegeben bzw. sich schlichtweg vor dem Tsunami der Beschimpfungen zurückgezogen. In Wirklichkeit sieht Mischa sich aber als den einzigen Sieger, weil Herzog ja alles „Fett“, was er abbekommen hat, verdient hat. Nun kann der ungeborgene ganze Mann Mischa wieder die Hand zur Versöhnung reichen – bis zum nächsten Mal. Denn ein Verteidiger der Freiheit schläft nie... Und die Gegner sind immer schon klar...

Der Gegensatz zum Wahnwitz

Ingrids Aufsatz wollte vor allem Eines zeigen – die Sprache und die Mechanismen von „Links“ und „Rechts“ unterscheiden sich oft kaum. Beidseits wird der Gegner dämonisiert und bis zur Vernichtung bekämpft. Und jede Seite braucht die andere, um eine Identifikation und Daseinsberechtigung zu haben.

Der Schaum vor Mischas Mund bildete sich nicht, weil Herzog rechts oder rassistisch wäre, sondern einfach, weil er andere Ansichten hatte und manche Tendenzen des „Egoisten-Blogs“ absolut nicht teilen konnte – worauf Mischa in seinen Deutungen geradezu explodierte und sein gesamtes Feindbild (Putin als das Böse schlechthin, die Anthroposophen als angepasstes Weibstum, die alle keine Pubertät durchgemacht haben) auf Herzog niedersausen ließ, im Grunde sein gesamtes Selbstbild des Gutmenschen mit seinem „ihm aufgezwungenen gerechten Zorn“ an Herzog entlud. Mehr Schwarz-Weiß geht nicht...  

Was Ingrid dagegen deutlich machen wollte, ist, dass eine Zukunft nur in der Suche nach Wegen der Verständigung liegen kann.

Wo aber liegen die Friedenskräfte? Ganz sicher nicht in einem Blog von Männern, die nichts anderes zu tun haben, als sich gegenseitig zynisch und sarkastisch mit Dreck zu bewerfen, dann wieder salopp so tun, als würde ihnen dies gar nichts ausmachen, weil sie es nur „amüsant“, „witzig“ oder was auch immer finden. Die Friedenskräfte liegen weder in diesem mangelnden Ernst – noch in der krassen, selbstüberzeugten Überreaktion all jener, die nichts lieber tun, als ihre subjektivsten psychologischen Deutungen und angeblichen Lebenserfahrungen loszuwerden, um sie in ihre selbsternannten Gegner hineinzulegen. Das Friedlichste auf dem „Egoisten-Blog“ sind immer wieder die Beiträge von Ingrid – die aber in meinen Augen wiederum nicht ehrlich oder mutig genug ist, die vielen Übergriffe wirklich zu benennen, und so alles fortwährend mitmacht, eine Art schweigendes Mittätertum, trotz allem.

Für mich liegen die Friedenskräfte im Herzen – nicht in intellektuellen Betrachtungen, Ausführungen, Überlegungen, und seien sie noch so wahr. Die intellektuelle Wahrheit, dass Rechte und Linke einander oft mit denselben Mitteln und Strategien bekämpfen, liegt ja geradezu offen zutage – und trotzdem ändert sie nichts. Trotzdem hält sie die „Egoisten“ nicht davon ab, einander weiterhin mit Dreck und abfälligen, schnoddrigen und übergriffigen Kommentaren zu bewerfen. Hier also liegen die Friedenskräfte nicht.

Die Kräfte des Herzens gehen in unserer Zeit gerade verloren. Sie gehen auch da verloren, wo man sich als Gutmensch empfindet, in Wirklichkeit aber ein völlig verzerrtes Menschenbild hat (der ungeborgene Marlboro-Kämpfer als Idealtypus des „Mannes“). Dann empfindet man sich schwarz-weiß auf der „guten“ Seite – bekämpft aber die andere Seite auch bis zur moralischen oder physischen Vernichtung. Wie soll dann jemals Frieden entstehen?

Frieden entsteht nur durch aufrichtigste Herzenskräfte – ohne alle Selbsteinbildung, ohne auch nur die kleinste Spur von Eitelkeit oder intellektuellem Selbstgenuss. Diese Kräfte sind heutzutage wirklich unbekannt. Sie müssen überhaupt erst (wieder) gefunden werden. Wenn es in meinen Büchern immer wieder um das Mädchen geht, hat dies einen tiefen Sinn. Solange aber auch dies nur verspottet, gedeutet oder desinteressiert übergangen wird, ist auch eine solche Reaktion symptomatisch für unsere ganze Zeit. Die Herzenskräfte sind noch nicht einmal geboren – in den selbsterklärten Gutmenschen, die so spöttisch oder „authentisch“ daherkommen, am allerwenigsten.

Es ist noch ein sehr langer Weg, nicht nur wieder zu erkennen, was das wahrhaft Menschliche ist – sondern auch wieder eine Sehnsucht danach zu empfinden ... und schließlich sogar den Mut, damit bedingungslos Ernst zu machen...