23.08.2019

Der Mensch der Zukunft

23.08.2019

Vom Weltenkampf zwischen Bolsonaro-Trump und Petrenko.


Inhalt
Der ungeheure Ernst der Lage
Das Urbild von Zukunft und Anti-Zukunft
Von der Vernichtung der Seele
Vom zukünftigen Menschentum
Vom Heiligen und vom Mord am Heiligen
Der Mann und das Mädchen
Der Zukunft entgegen


Der ungeheure Ernst der Lage

Das gewöhnliche Bewusstsein begreift nicht den Ernst der Lage – und wo es ihn ansatzweise begreift, empfindet es ihn nicht. Im gewöhnlichen Bewusstsein ist der Mensch ein ,Krüppel’ – es fehlen ihm schlicht und einfach die inneren Sinnesorgane, um den Ernst wahrzunehmen. Wahrnehmen, erkennen, erleben, fühlen, empfinden – all das fehlt der Seele. Und wo sie keine Sinnesorgane hat, ist sie eigentlich selbst noch überhaupt nicht vorhanden. Die Seele ist dabei, sich selbst ,abzuschaffen’. Und all dies, weil und indem sie den Ernst der Lage nicht begreift, auch nicht einmal begreifen will – ähnlich wie die Passagiere der Titanic, die noch im Angesicht des Eisberges tanzten und musizierten.

Für den Ernst braucht es Mut und Willen – den Mut, nicht in die Äußerlichkeit und die Blindheit zu fliehen, und den Willen zu tiefer Wahrhaftigkeit. Dazu gehört auch der Wille zu wirklichem Leiden am Schrecklichen – denn wer an dem Schrecklichen nicht mehr leiden kann, ist ebenso ein Krüppel wie der, der es nicht einmal sieht. So, wie dem in körperlicher Hinsicht Verkrüppelten äußere Glieder fehlen oder durch Missbildung nicht zur Verfügung stehen, so stehen dem Gegenwartsmenschen innere Sinne und Fähigkeiten nicht zur Verfügung – sie fehlen entweder ganz oder sind überhaupt nicht ausgebildet, sind entweder degeneriert oder noch überhaupt nicht entwickelt.

Es hilft nichts, die Schrecken der Wirklichkeit zu sehen und sich in Zynismus oder besserwisserische Anklagen zu flüchten. Dies wäre noch immer die ,verkrüppelte’ innere Bewegung. Der Zyniker und der Hochmütige haben eines gemeinsam – die feste Überzeugung: Schuld sind die anderen. Aber mehr noch: Dies gibt ihnen den Freifahrtschein, nicht zu leiden, sondern sich über alle anderen zu erheben. Im Grunde ist es ihnen weitgehend egal, wenn ,die Sintflut’ kommt – sie haben das gute Gefühl, dass es ja ,Andere’ waren, die daran schuld waren. Nicht um das Schreckliche geht es, sondern um die Schuldfrage und die eigene Absolution, das eigene Bessersein – das ist alles. Diese Haltung führt geradewegs mit in den Abgrund, sie ist letztlich keinen Deut besser als jene, die sie zynisch kommentiert.

Zyniker, Hochmütige, Besserwisser, Wutbürger, sie alle lassen ihre Seelen zu einer unfruchtbaren Brache werden, auf der vor allem eines wächst: Unkraut – Unkraut, das die Seele verkrüppelt. Unkraut, dass auch weiterhin dafür sorgt, dass das Zukunftstragende nicht hervorwachsen kann. Denn dieses wäre die ganz andere, entgegengesetzte innere Bewegung.

Diese andere Bewegung ist: Ernst, Verantwortlichkeit, Mit-Empfinden, Hingabe, Liebe.

Die Fähigkeit zu dieser Bewegung haben nur die stärksten Seelen – die mit der stärksten Aufrichtigkeit und der geringsten Notwendigkeit zur Selbstbespiegelung.

Das Urbild von Zukunft und Anti-Zukunft

Urbildlich möchte ich hier aus zwei Nachrichten zitieren, die im heutigen Tagesspiegel gleichsam das Erste und das Letzte waren – Meldungen auf der ersten und der letzten Seite.

Auf Seite Eins ging es um den neuen Leiter der Berliner Philharmoniker, der den vollen Gegensatz bildet zu einem Placido Domingo, der sich wiederholt Frauen aufdrängte, oder einem Daniel Barenboim, über dessen Führungsstil gruselige Details an die Öffentlichkeit kamen.

Von all dem ist Kirill Petrenko, der neue Chefdirigent der Berliner Philharmoniker [...] denkbar weit entfernt. Der russische Maestro kennt nur einen Fokus: die hingebungsvolle Versenkung in die Partituren. Uneitel in seiner Erscheinung, liebt er nichts mehr, als mit Musikerinnen und Musikern an Interpretatorischen Details zu feilen. Er [...] zieht sich nach jedem Konzert zurück, um in Gedanken den Verlauf des gerade Verklungenen auf seine Stimmigkeit hin zu überprüfen. Mit seiner Art könnte Kirill Petrenko nicht nur eine künstlerische Ära prägen, sondern auch eine Vorbildfunktion in einer [sich] an sich selbst berauschenden Selfie-Gesellschaft einnehmen.
Überall, wo er bisher Chefpositionen innehatte [...], schwärmen die Leute von seiner Ernsthaftigkeit – und seinem Humor. [...] Seit zehn Jahren weigert er sich, Interviews  zu geben, er bespielt die Kanäle der sozialen Medien nicht, lässt sich ungern fotografieren. Gerade deshalb aber haben die Berliner Philharmoniker Kirill Petrenko gewählt. Weil er die reine Kunst verkörpert.
Frederik Hanssen: Gute Noten für den Neuen, in: Der Tagesspiegel, 23.8.2019, S. 1.

Im südlichen Amazonasbecken toben schon seit Wochen riesige Feuer. Sie sind größer als alles, was man in den vergangenen Jahren erlebt hat. […] Es ist eine Umweltkatastrophe mit globalen Ausmaßen, die sich derzeit in Südamerika entfaltet.
[...] Viele der Brandstifter fühlen sich offenbar auch von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro ermutigt, der bei jeder Gelegenheit betont: „Wir werden den Amazonas wirtschaftlich ausbeuten!“ Im Bundesstaat Pará fanden sich laut lokalen Medien Viehzüchter zu einem „Tag des Feuers“ zusammen. Sie legten gemeinsam Brände und sandten eine Nachricht an Bolsonaro: „Wir möchten dem Präsidenten sagen, dass wir arbeiten wollen. Der einzige Weg, um Weiden zu schaffen ist: den Wald vernichten.“
[…] Bolsonaro verkündete, dass Umweltschutzorganisationen die Feuer gelegt hätten, um sich für die Streichung von Geldern zu rächen. […] Umweltschutz ist […] „eine Sache von Veganern, die nur Grünzeug essen“. Umweltschützer beschuldigt er gerne im Auftrag ausländischer Mächte zu handeln, die es auf Brasiliens Bodenschätze abgesehen hätten. Dann machte Bolsonaro sich auch noch lustig: Seine Gegner würden ihn jetzt sicher von „Hauptmann Kettensäge“ in „Nero“ umtaufen.
Philipp Lichterbeck: Bolsonaro und die Brandstifter, in: Der Tagesspiegel, 23.8.2019, S. 24.  

Hier sind sie – der Mensch der Zukunft und der Mensch der Anti-Zukunft. Wirklich wie ein Urbild stehen sich beide gegenüber: Jener Mensch, der aus seiner Seele ein Heiligtum macht, wodurch die ganze Umgebung mit geheiligt wird – und jener Mensch, der aus seiner Seele eine Mördergrube und ein Schlangengezücht macht, wodurch die ganze Erde zur Hölle wird.

Von der Vernichtung der Seele

Menschen wie Bolsonaro und Trump machen aus der höllischen Dekadenz ihrer Seele kein Hehl mehr. Das Sprichwort ,Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert’ ist hierfür noch viel zu schwach. Was sich in diesen Menschen an die Oberfläche arbeitet, ist das radikal Böse – in Gestalt einer absoluten Rücksichtslosigkeit, die geradezu eine Lust daran entwickelt, keinerlei moralischen oder sonstigen Grundsätze mehr gelten zu lassen, vielmehr diese gerade zu vernichten.

Dass heute äußere moralische Normen verfallen, ist das eine – aber bei diesen Menschen tritt nichts Inneres an deren Stelle, nur der reine Egoismus, der wiederum Vehikel wird für die Impulse des Bösen. Sei es ein neuer Rassismus. Sei es völlige Gleichgültigkeit gegenüber der Zerstörung unwiderbringlicher Lebensgrundlagen, biologischer Vielfalt, der grünen Lunge des Planeten. Diese Menschen haben keine Seele mehr, kein Herz, kein Gefühl. An dessen Stelle tritt das nackte Ego – eine grinsende Maske, die nichts als innere Leere ist. Machtimpuls an sich. Zynismus als Selbstzweck.

Eine spirituelle Weltanschauung, die die Realität übersinnlicher Mächte und Wesenheiten ernst nimmt, erkennt unmittelbar, dass hier nicht nur Egoisten am Werk sind, sondern dass durch das Ego hindurch ein Vakuum in der Seele entsteht, in dem noch ganz andere Mächte wirksam werden können. Trump, Bolsonaro und andere Machtmenschen können glauben, was sie wollen – es sind längst an entscheidender Stelle leere Hüllen, in denen satanische Wesenheiten nicht nur zu wirken beginnen (das tun sie viel verbreiteter), sondern ganz offen an die Oberfläche treten. Auf diese Weise werden Menschen unverhüllt Sprachrohr für Mächte, denen es um die Vernichtung alles Menschlichen geht – auf perfideste Weise fein dosiert.

Es geht um nichts Geringeres als um die Abschaffung der Seele – die als Einzige empfinden könnte, dass es Heiliges gibt, Bewahrenswertes, Wesentliches, Notwendiges. Es gibt Menschen, die mit ihrem ganzen (Nicht-)Wesen darauf hinarbeiten, dass das Empfinden an sich verloren geht, korrumpiert wird, verkrüppelt wird. Diese Menschen lügen, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie provozieren und schockieren, um der Seele Schritt für Schritt alle Liebe zur Wahrheit, alle Liebe zum Schönen, alle Liebe zum Guten herauszureißen. Der einzige ,Wert’ dieser dämonischen Seelen ist die Zerstörung aller Werte. Das, was die Seele gerade ausmacht, soll vernichtet werden. Das Denken wird benutzt, um das Fühlen zu vernichten. Lügen, Gewalt, Irrsinn und Hass werden gepredigt – fein dosiert, um noch den Anschein zu erwecken, man handle ,in nationalem Interesse’. Möglicherweise glauben diese Menschen das sogar selbst. In Wirklichkeit handeln sie im Interesse des Chaos und des Bösen an sich. Vernichtung des Regenwaldes. Rassismus. Vernichtung aller Werte. Nicht Schutz, Zusammenleben, Hüten des Lebens – sondern Zerstörung, Gegeneinander, Entseelung, und zwar radikal.  

Vom zukünftigen Menschentum

Und wie anders der Mensch der Zukunft! Dieser wahre Mensch, der seine Seele gerade vertieft. Der seine Seele in heilige Bereiche des Ernstes hinabsenkt und hinaufhebt. Der weder im Äußeren, noch im Inneren Werte vernichtet, sondern Werte schafft. Der das Moralische gerade hervorbringt, weil alles Moralische im Ur-Liebesimpuls gründet.

Wie sehr lebt jemand wie Kirill Petrenko dies vor! Das Geheimnis heißt: Hingabe. Dies ist der Gegenimpuls zum Ego. Dies ist der Gegenimpuls zum hässlich-grinsenden Vakuum jener Selbstüberhöhung, die doch nur williger Diener satanischer Mächte wird. Die Hingabe ist auch immer willige Dienerin – aber wem dient sie? Dem Wahren – der Wahrheit. Dem Schönen – der Schönheit. Dem Guten – der Liebe selbst. Die reine, die aufrichtige Hingabe dient allen guten Mächten, und die Engel selbst eilen ihr entgegen.

Petrenko gibt sein ganzes Können hin, um einem Orchester dazu zu verhelfen, ein Kunstwerk zu innigster Offenbarung zu bringen. In Wirklichkeit sind dies rein übersinnliche Vorgänge. In der Hingabe an eine Partitur, an ein Kunstwerk wird es möglich, dass sich etwas wahrhaft Heiliges wirklich offenbart. So ist Petrenkos Hingabe ein wahrer Gottesdienst – man denke an die antiken Vestalinnen, die Hüterinnen des heiligen Feuers. Einer solchen Seele ist es zutiefst bewusst, wem sie dient – es ist immer das Höchste, in welcher Gestalt auch immer. Nicht das Dämonisch-Vernichtende, sondern das Heilig-Begnadende, Leben schenkende, Leben seiende.

Die Basis dieser Hingabe ist tiefe Demut, was das sogenannte ,Selbst’ angeht. Keine Interviews, keine ,Social Media’, nur ganz ungern Fotos. Und warum? Nicht, um unerkannt und im Hintergrund dunkle Fäden zu ziehen, sondern aus aufrichtiger, wahrer Bescheidenheit. Die Liebe zum Höheren ist nur möglich, wenn man nicht sich selbst liebt. Und umgekehrt schlägt jede Selbstliebe sehr schnell um in ein Einfallstor für das Böse – der Urimpuls von Luzifer und Satan: ,Bete mich [= das Ego-Ich] an, und ich gebe die ganze Welt in deine Hand’.

Petrenko ist selbstlos – aber gerade darum hat er das wahre Ich, das Trump und Bolsonaro und unzählige andere nie kennen werden. Das wahre Ich ist untrennbar verbunden mit dem selbstlosen Liebesimpuls, mit der Fähigkeit zu aufrichtiger Hingabe. In der Stille lebt die Kraft – in der Stille des Ego lebt die Kraft des wahren Ich, lebt die Kraft der Liebe und ihres Mysteriums.

Nur wer die Musik zutiefst liebt und sich ihr mit ganzer Seele hingeben kann, wird sie zur Offenbarung bringen können. Wer das Gute liebt, wird es offenbaren. Und auf der anderen Seite: Wer nichts mehr lieben kann, weil er seine Seele verloren und verkauft hat, der wird das Nichts offenbaren, die Ver-nicht-ung. Wie die grauen Herren bei Momo. Wie das sich ausbreitende Nichts in der ,Unendlichen Geschichte’. Trump und Bolsonaro stehen für nichts anderes.

Vom Heiligen und vom Mord am Heiligen

Die Urbilder für diese sich teilende Menschheit leben schon in der Bibel. Auf der einen Seite steht die Welt der Engel – Gabriel, der Engel der Verkündigung, Michael, der Engel, der den Drachen stürzt –, steht die Madonna, die hingebungsvolle Jungfrau, steht das dienende, sich hingebende Gotteswesen selbst. Auf der anderen Seite stehen jene Mächte, die all dies vernichten wollen: beginnend bei Herodes, der sich zum Organ für den Kindermord machte, über die hochmütigen, kaltherzigen Schriftgelehrten Hohepriester – bis hin zu der von ihnen aufgepeitschten ,kochenden Volksseele’, die die Vernichtung dessen fordert, dessen Gotteswesen sie noch einen Sonntag zuvor erkannt hatte.

Es kehrt alles wieder. Die Trumps und Bolsonaros sind die Herodes’ unserer Tage, nur viel bewusster, noch viel mehr durchdrungen vom Gift des Ego-Vakuums und der Selbstüberschätzung als schon der dekadente römische Machthaber.

Das Ego ist aber in unserem gesamten Zeitalter am Wachsen – gestützt durch eine vom Menschen geschaffene, immer mehr allumfassende Ideologie, die vom ,Wirtschaftsleben’ ausgehend alles mit Egoismus, Konkurrenz und ,Selbstverwirklichung’ durchsetzt. Und nur Wenige, sehr Wenige, verstehen das wahre Geheimnis des heiligen Ich – wie Petrenko. Das wahre Ich verliert nichts, es bekommt immer nur geschenkt.

Das Ego jedoch will gar nichts geschenkt bekommen, es will nehmen – es will aneignen, rauben, es will die Dinge für sich privat (lat. privare = rauben!). Hier liegt der Ursprung des Bösen: dass das falsche Ich nicht teilen kann, nicht abgeben, nicht lieben. Es kann weder etwas hingeben, noch sich hingeben – das erst recht nicht. Aber nehmen will es – so viel wie möglich. Bolsonaros Arroganz gegenüber der Vernichtung des Regenwaldes ist nichts anderes als die Arroganz des Sklavenhalters gegenüber der Vergewaltigung irgendeiner Frau. Es ist ein und dasselbe. Trumps Arroganz gegenüber Frauen, gegenüber Mexikanern, gegenüber der Wahrheit selbst ist nichts anderes als die Arroganz der Hohepriester gegenüber der Kreuzigung von Christus, von Gott selbst.

Und in jedem gerodeten Baum des unwiederbringlichen Regenwaldes, in jeder Lüge und bewusst verdrehten Wahrheit, in jeder Hassbotschaft und in jeder arroganten Selbstdarstellung wird der Gottessohn von neuem gekreuzigt – unsichtbar im Weltenganzen und in der eigenen Seele. Wir sprechen hier von absoluten Realitäten. Trump und Bolsonaro sind Mörder des Heiligen, sind Gottesmörder.

Und jemand wie Petrenko ist wie eine Madonna, eine Gottesgebärerin. Er hilft dem real Göttlichen zur Geburt, zum Leben. Man kann diese Dinge gar nicht real genug denken. Es sind absolute Realitäten.

Der Mann und das Mädchen

Petrenko ist einer der ganz seltenen Fälle, wo in unserer vom Ego vergifteten Zeit ein Mann den Weg des Wahren, des Ernstes, der Tiefe und der Demut geht – den Weg des Dienens, des Dienstes für das Göttliche.

Wie ein Rosenkreuzer hält er sich und seinen ,Namen’ für unwichtig und dient mit seinem ganzen Sein und Wesen dem Heiligen, hier der Musik, der heilig-göttlichen Substanz in jedem einzelnen großen Werk – und bringt sie durch seine Hingabe zur Offenbarung. Nicht er steht im Zentrum, sondern diese heilige Substanz selbst. Und erst dadurch kann sie hervortreten, hervorstrahlen. Das Göttliche braucht Menschenseelen, die wie ein Tempel werden. Seelen, die nicht sich selbst vergöttern, sondern die mit tiefstem Ernst einen inneren Tempel erbauen, in dem sich dann das wirklich Heilige offenbaren kann – was dann auch die Seele heilig begnadet, wie die Goldmarie oder das Mädchen mit den Sterntalern.

In meinen Büchern ist das Urbild dieser reinen Seele immer wieder das Mädchen. Denn es sind gerade die Mädchen, in denen noch die (letzten Reste der) Kräfte der Hingabe leben – noch nicht aufgefressen vom Ego, noch nicht aufgefressen vom leeren Impuls der ,Selbstverwirklichung’. In den Mädchen, deren Seelen noch spüren, dass es nicht darum geht, sondern um einen unbeschreiblichen Liebes-Impuls, der zugleich die wahre ,Ich-Verwirklichung’ sein wird, weil es nur das Ich ist, das lieben kann, und weil jede wahre Liebe bedeutet, dass es ein Ich gibt – während das Ego gerade lieblos ist und immer nur sich selbst liebt.

Das wahre Ich lebt in der Hingabe – und die wahre Hingabe lebt im Mädchen. Deswegen ist das Mädchen die wahre Hüterin des Ich, weil es die wahre Hüterin der Hingabe ist. Ich spreche nicht von den heute ebenfalls selbstbezogenen oder gar egoistischen Mädchen, sondern vom Wesen des Mädchens.

Und wenn man den ,Mann’ als das Urbild des selbstbezogenen Zugriffs, der Vergewaltigung und Ausbeutung sieht, so ist das Mädchen das Urbild des selbstlosen Behütens und Liebens, des Mitleids und der Verbindung mit allem, was es umgibt. Die Zeit der Kolonialisierung anderer Völker und der Natur war die Epoche des Mannes. Die wahre Zukunft wird das Zeitalter des Mädchens werden. Aber die Kolonialisierung und Ausbeutung ist längst nicht vorbei – sie hat vielmehr globale Ausmaße erreicht. Bolsonaro vergewaltigt den Regenwald so rücksichtslos, wie nur irgendein Weißer früher vorgegangen ist. Trump tut es ihm gleich in seiner weiß-männlichen Arroganz. Sie sind der Typ des Vergewaltigers schlechthin – und sie vergewaltigen nicht nur Leib und Lebensgrundlagen, sondern auch die Seele selbst.

Petrenko aber verwirklicht alles, was das Mädchen auch hat – tiefes Empfinden, tiefe Hingabe, tiefe Bescheidenheit. Insofern ist er mehr Mädchen als jeder andere männlich inkarnierte Mensch. Aber er ist zugleich mehr Zukunftsmensch als jeder andere – denn die Zukunft liegt in den Kräften der Mädchen. Das, was als ,männlich’ galt und gilt, ist Vergangenheit, ist rückwärtsgewandt, ja reaktionär. Das Männliche sind die Todesprozesse, die die Welt an den Abgrund getrieben haben – sogar das Weibliche bis an jenen Abgrund, wo es begonnen hat, zurückzuschlagen. Die Emanzipation ist die Gegenwehr des Weiblichen, wodurch es aber unbemerkt selbst männlich wird. Ein Irrweg.

Petrenko geht den umgekehrten Weg. Er verabschiedet sich von allem, was als ,männlich’ gilt, auch er wehrt sich gegen das Männliche, aber sein ,Zurückschlagen’ ist das schlichte Fallenlassen von allem ,Männlichen’ und eine Vorwärtswendung – hin zu den zutiefst weiblichen Qualitäten. Petrenko bekämpft das Männliche nicht mit dessen eigenen Waffen, sondern mit den wahren Waffen des Weiblichen, indem er das Weibliche verwirklicht, während die weibliche Welt das Weibliche gerade ablegt, um mit dem Männlichen zu konkurrieren.

Der Zukunft entgegen

Petrenko ist der wahre Mann der Zukunft, der Hand in Hand mit dem wahrhaft Weiblichen der Offenbarung alles Höheren dient, dem Wahren, Schönen und Guten, dem Behüten und Heiligen, dem Weg zu einem immer leuchtenderen Menschentum.

So gesehen gibt es keinerlei Trennendes zwischen den männlichen und weiblichen Wesen. Denn nicht nur das Weibliche, sondern der Mensch ist zur Hingabe bestimmt. Erst aus der Hingabe geht wahres Schöpfertum hervor – aus allem anderen nur wachsender Selbstbezug und Vernichtung. Die Menschheit hat schon zu sehr und zu lange den falschen Weg gewählt, nicht den ihr eigenen. Diesen wird sie erst finden müssen – möglicherweise erst unter großen Leiden.

Sie kann sich aber jederzeit rettend belehren lassen – sei es durch die Gestalt des Mädchens, sei es durch einen (noch) Ausnahmemenschen wie Petrenko. Und ein Anfang wäre bereits das wahrhafte Erschrecken vor dem, was durch Menschen wie Trump und Bolsonaro fast unverhüllt hindurchgrinst – es sind hohe Mächte der Vernichtung an sich. Die Seele soll ausgelöscht werden.

Das Mädchen und Kirill Petrenko stehen Hand in Hand für das Gegenteil...

Die Frage ist, wo steht nun jeder Einzelne? Wie ernst ist es einem, Petrenko und dem Mädchen auf ihrem einsamem Weg Gefährte und Gefährtin zu werden? Ein allererster Anfang wäre es, den Ernst der Lage tief zu erkennen und zu empfinden und sich davon erschüttern zu lassen. Denn da die Seele so sehr das Empfinden verloren hat, muss sie es überhaupt erst wiederfinden. Das Empfinden. Den Ernst. Die Aufrichtigkeit. Die Tiefe. Die Demut. Alles andere kann erst auf diesem heiligen und wieder heilig werdenden Boden aufbauen.

Die Seele braucht wieder heiligen Grund unter den Füßen – und heilige Luft um sich und heiliges Feuer in sich. Dies alles ist ihr eigentliches Lebenselement. Die Seele findet all dies wieder durch die Wandlung, durch die Läuterung ihrer Empfindungen und Gedanken. In diesem heiligen Wandlungsprozess findet die Seele wahre Tiefe – und in und mit dieser Tiefe beginnt erst der Weg.

Der Weg des Mädchens, der auch der wahre Weg des Mannes ist, den dieser nur vergessen hat. Mag der Mann noch so sehr andere Qualitäten haben als das Mädchen, ist ihr Weg doch der gleiche. Die Menschheit hat nur eine Zukunft – die innere Begründung einer ganz anderen Kultur. Diese wird aufgebaut sein auf einer immer tieferen Hingabe an die Kräfte des Guten. Sie wird eine völlige Umkehr sein – denn die Zukunft liegt nicht in der Richtung des Abgrundes, sondern in der Richtung der Menschlichkeit. Sie wird im Zeichen der Hingabe und der Liebe stehen, des gegenseitigen Verständnisses, gegenseitiger Unterstützung und Wärme.

Im Zeichen des Mädchens.