12.09.2019

Einfach nur noch pervers

12.09.2019

Über die unglaublichen Tiefpunkte der Kinderbuchliteratur.


Inhalt
Die Lust an der Perversion
Intellektuelle Moral in die Kindesseele prügeln
Von Masochismus und Sadismus
Verhöhnung der Kinder
Das Glück – abgepackte Sinnlosigkeiten
Der Autor


Die Lust an der Perversion

Vor einigen Tagen stieß ich in der Zeitung auf eine kleine Besprechung eines Kinderbuches: ,Der Pinguin sucht das Glück’.[1] Ich möchte auf dieses Buch aufmerksam machen, weil es die Spitze eines riesigen Eisberges verdummender, geisttötender Kinderliteratur zu sein scheint.

Als erstes lebt dieser Pinguin auf einer Ozeaninsel ,wo der  Urwald blühte und sirrte und das Meer brandete und glitzerte’. Das heißt – es wird heutzutage gar nicht mehr der Versuch gemacht, die reale, wunderbare Natur den Kindern halbwegs wahrheitsgemäß und realitätsbezogen nahezubringen – sondern es wird ,auf Teufel komm raus’ verfremdet. ,Ist doch eh nur Fantasie!’

Was es aber mit einer jungen Seele macht, wenn man mit der Realität so beliebig umgeht, das interessiert so einen Bilderbuchmacher überhaupt nicht. Wir leben in Zeiten der Fake News. US-Präsidenten verbiegen  und vergewaltigen und schänden die Wahrheit nach Lust und Gutdünken. Das Wahrheitsempfinden und eine Aufrichtigkeit im Urteilen wären heute essenzieller denn je – aber selbst in Kinderbüchern werden schon die zarten Anlagen dafür regelrecht zertrümmert! Warum nicht gleich wiehernde Pinguine und gackernde Fische?

Die Kindesseele kommt aus einer geistigen Welt, in der das Wahre, das Schöne und das Gute gleichsam die Atemluft der Seelen ist. Die Kindesseele inkarniert sich in der tiefen Erwartung, all dies auf der Erde wiederzufinden. Wer auch nur etwas zartes inneres Empfinden hat, kann auch selbst spüren, wie sehr die menschliche Seele ein Bedürfnis nach Wahrheit hat und Wahrheit als eine heilige Heimat empfindet. Und nur, wenn man in diese zarte, reine, übersinnliche (nur mit dem eigenen seelisch-geistigen Wesen wahrnehmbare) Sphäre eintaucht, versteht man, was für ein unendliches Seelen-Verbrechen es ist, mit diesem heiligsten Gebiet so umzugehen, als wäre es ein Ping-Pong-Ball! Das gewöhnliche Bewusstsein hat dafür nicht das geringste Verständnis – aber jede Seele könnte es sich relativ leicht erringen, wenn sie nur wollte.

Man kann es mit anderen Perversionen vergleichen – man denke etwa an eine heilige Kirche ... und dann an eine wilde Sexorgie darin. Wer keinen Sinn für das Religiöse hat, dem ist vielleicht auch das egal. Dann denke man an eine Sexorgie vor den unschuldigen Augen eines Kindes. Das Kind erwartet mit seinem ganzen Wesen, dass ihm auf der Erde Liebe begegnet – und nicht ihr Gegenteil, hässliche Lust. Niemand würde sein Kind dem Anblick einer Sexorgie aussetzen. Aber Pinguine auf einer Urwaldinsel sind nichts anderes – sie sind eine Sexorgie im Bereich der Wahrheit, nämlich ihr absolutes Gegenteil.

Aber so, wie heute der moderne Mensch bei der Vorstellung einer Sexorgie nur noch müde lächelt (,anything goes’), so lächelt er auch bei Pinguinen auf Urwaldinseln nur noch müde. Das Wahrheitsempfinden ist völlig ,versaut’. Denen, die auf diese Dinge hinweisen, wirft man leicht eine ,prüde’ Einstellung vor – auch im Bereich der Wahrheit. Aber das liegt nur daran, dass man keinerlei Wert mehr auf eine innere Entwicklung und Vertiefung legt. Die eigentliche, die wahre Seele ist dem modernen Menschen so egal wie ein Putzlappen oder ein Fußabtreter. Er weiß gar nicht mehr, was damit gemeint ist – aber er bringt auch gar nicht mehr den inneren Willen auf, hier überhaupt Fragen zu haben. Arrogant und lustbetont ist ihm ,das Innere’ mehr und mehr völlig egal.

Instinktiv schleppt er sein Kind noch immer nicht unbedingt auf eine Sexorgie – aber Bilderbücher? Mein Gott! Doch diese Indifferenz, diese Gleichgültigkeit, diese schreiende Arroganz ist es, die für sämtliche Niedergangserscheinungen verantwortlich ist. Der alte Inder sagte: Tat twam asi – das bist du! Die Seele bereitet sich ihren eigenen Untergang – und grinst dabei noch frech. So könnte man es in Worte fassen.

Intellektuelle Moral in die Kindesseele prügeln

Aber weiter. Die Artgenossen des kleinen Pinguins starten täglich am Flughafen in die Welt, um Sachen zu verkaufen und Geld zu verdienen: ,Wer genug Geld hat, kann alles haben, was er will. Er hat es geschafft’.

Wir ahnen es schon: Auf plumpeste Weise wird hier die Liebe des Kindes zu Tieren missbraucht, um ihm in der Verkleidung vermenschlichter Tieren die hässliche Welt der Erwachsenen nahezubringen – verbunden mit der moralischen Botschaft, dass das Kind selbst es doch bitte nicht genauso machen möge!

Wie pervers kann man denn noch sein!? Schafft man es partout nicht, dem kleinen Kind erst einmal seine Kindheit zu lassen? Nein, man schafft es nicht. Neunmalklug und super-weltverbesserisch muss man abgestandene Weisheiten wie ,Geld (allein) macht nicht glücklich’ schon mit dem Vorschlaghammer in das Kindeswesen hineindreschen. Es ist unglaublich, wie gefühllos, wie instinktlos, wie abstrakt und intellektmäßig man sich heute den Kinderseelen nähert – nämlich so, als könnte man ihnen jeden Quatsch andrehen und sich dabei noch gut fühlen!

Der Autor hält das Buch wahrscheinlich noch für pädagogisch besonders wertvoll! Während die Kindesseele unter dem Widersinn, dem Wahnsinn der Sinnlosigkeit geradezu ächzt – aber hilflos nichts anderes tun kann, als diesen Unsinn aufzunehmen und schon in allerfrühesten Jahren völlig pervertiert zu werden, jedes feinere Empfinden ganz zu verlieren. Und an deren Stelle setzt sich der superkluge Verstand des Erwachsenen: ,Geld macht nicht glücklich’, als rein intellektuelle Wahrheit. Wie viel glücklicher wäre jedes Kind gewesen, dass dieses Buch nicht in die Hand bekommen hätte!

Und weiter: Auch der kleine Pinguin soll nun nach der Devise ,Geld verdienen’ leben, aber Aktenkoffer findet er traurig, seine Haare sind nicht ordentlich gekämmt, er trägt keine Socken, sondern hat grüne Füße. Dennoch bemüht er sich, wie die anderen zu werden, und wird immer unglücklicher.

Nochmals: Wer nicht mehr empfinden kann, dass ein Pinguin mit Aktenkoffer, herangebracht an ein kleines Kind, ein hochgradig perverses Bild ist, für den besteht nicht mehr viel Hoffnung, überhaupt noch zu einer inneren Entwicklung der Seele zu kommen. Es ist offenbar nur das schlechte Gewissen der Erwachsenen, das einen solche intellektuellen Verbrechen begehen lässt, die aber in Wirklichkeit moralische Verbrechen sind – Verbrechen an der Kindesseele. Guter Wille allein reicht heute nicht mehr. Weil die Seelen so empfindungslos für die tiefere Wirklichkeit geworden sind, ist dieser ,gute Wille’ nichts anderes als reinster Aktionismus, der nur noch das Allerschlimmste anrichtet.

Von Masochismus und Sadismus

Eine halbwegs heile Kindheit mit richtigen, guten, schönen und wahren Bilderbüchern würde eine Seele zur Entwicklung kommen lassen, die von allein gegen die Versuchungen des Geldes und der übrigen (un-)menschlichen Welt so gut wie möglich gestärkt und gewappnet sein wird – mit einem eigenen, inneren moralischen Empfinden der Seele und des Herzens. Dafür braucht man keine furchtbaren Bilderbücher, die die höhere Wahrheit mit Füßen treten und dafür ,gutgemeinte’ Menschenmoral mit dem Holzhammer verteilen – sondern einfach schöne, richtige, echte Bilderbücher und Geschichten. Echte Kindheit ist der beste Schutz vor falschem Erwachsenwerden. Man lese einmal meine kleinen Geschichten in ,Der kleine Wurzeltroll’ und empfinde den abgrundtiefen Unterschied.

Aber weiter. Der kleine Pinguin lernt einen alten Pinguin kennen, der buchstäblich alles hat: Schloss mit Park und See und Dienern. Trotzdem sorgt er sich pausenlos: Wenn es nicht regnet, vertrocknet das reifende Obst, wenn es regnet, rosten vielleicht die teuren Autos:[1]

„Dann muss ich neue Garagen bauen lassen, und dann habe ich wieder Angst, dass man mich übers Ohr haut, weil alle nur mein Geld wollen.“

Primitiver kann man die Dummheit des ,materialistischen Raffers’ nicht an den Haaren herbeiziehen! Es ist alles so abstrus, dass man schreien möchte! Jeder ,vernünftige’ Reiche hätte sich längst eine Sprinkleranlage angeschafft und ausreichend Garagen bauen lassen – und seine Untergebenen beauftragt, die Preise zu prüfen. Aber offenbar ist dieser alte Pinguin ein Masochist, der es liebt, unter Sorgen zu leiden. Selbst diese Perversionen erspart man dem kleinen Kind also nicht. Entweder masochistische Perversion oder abgrundtiefe, sinnlose Dummheit – was wollte der Autor?

Behutsam (!) vermittelt der junge Pinguin nun dem alten, worauf es wirklich ankommt, indem er ihm seine Insel zeigt. Der Alte ist entsetzt: Kein richtiges Haus, kein Gärtner, nicht mal ein Golfplatz! Die Perversität nimmt kein Ende. Welches Kind würde auf die Idee kommen, sich einen Golfplatz zu wünschen? Warum bringt man all diesen seelischen Schrott an Kindesseelen heran? Aus seelischem Sadismus heraus?

Verhöhnung der Kinder

Die Rezensentin schreibt schließlich, die Geschichte sei ,etwas ganz Besonderes’, und:[1]

Mithilfe des kleinen Vogels lernen Kinder einiges zu verstehen, das [sic!] manch ein Erwachsener erst spät im Leben begreift. Das Wichtigste: Glück kann man nicht kaufen. So vieles im Leben aber macht glücklich, das ganz und gar gratis ist.

Das Bedürfnis, zu schreien, angesichts von so viel Dummheit und Sinnlosigkeit, wird nur noch stärker. Die Frage ist: Musste die Rezensentin das Buch rezensieren – oder wollte sie es? Wurde sie gezwungen, oder hat sie es freiwillig gemacht? Wodurch ist die Rezensentin so korrumpiert, dass auch sie die einfachste Wahrheit nicht mehr erkennt? Ein kleines Kind muss ,mit Hilfe des kleinen Pinguins’ gar nichts verstehen – jedes kleine Kind kennt diese Wahrheiten längst vorher! Nur der Erwachsene ist es, der glaubt, kleinen Kindern jene Wahrheiten beibringen zu müssen, die er und andere seinesgleichen vergessen hatten – während er in jedem Moment von den Kindern hätte lernen können, um mit ihrer Hilfe ,einiges zu verstehen’!

Kinder brauchen kein Geld – und Kinder sind mit unendlich vielem glücklich, das ,ganz und gar gratis ist’. Wann begreifen die Erwachsenen endlich, dass sie nicht den Kindern etwas beibringen müssen – sondern umgekehrt? Es ist absurd oder eine Beleidigung, ja Verhöhnung der Kinder, zu schreiben, sie würden ,mithilfe des kleinen Vogels lernen, einiges zu verstehen’ – wirklich eine Verhöhnung!

Und ein feineres Wahrheitsempfinden würde dies sofort erleben. Aber gerade dieses Wahrheitsempfinden wird ja durch Bücher wie dieses vernichtet!

Das Glück – abgepackte Sinnlosigkeiten

Und am Ende heißt es dann in Bezug auf die Frage nach dem Glück:[1]

Der kleine Pinguin fragt seine Freunde auf der Insel und erhält von jedem eine andere Antwort. „Den Gedanken zusehen, wie sie vorbeiziehen“, findet der Hund. „Meine Nagellacksammlung nach Farben zu sortieren“, sagt das Kaninchen. Das Meerschweinchen fühlt sich pudelwohl, wenn es mit seinen vielen Hüten spielen kann.

Die Sinnlosigkeit kennt wirklich keine Grenzen. Das also wird kleinen Kindern heute als Begriff von ,Glück’ angeboten? Das Sortieren der Nagellacksammlung!?

Ich glaube, hier sind wir an den absoluten Grenzen des guten Geschmacks angekommen. Es wäre wahrscheinlich kein großer Verlust, wenn morgen die Welt unterginge, wenn das höchste Glück der auf ihr lebenden Wesen das Sortieren ihrer Nagellacksammlung ist. Alles, was die Kindesseele an echten moralischen Empfindungen mit auf die Erde gebracht hat, wird hier mit einer riesigen Dampfwalze plattgewalzt – mitleidlos. Und wahrscheinlich ergötzt sich der Autor noch immer an seinen pädagogisch so unendlich wertvollen Ideen! Es ist unvorstellbar, in welch eine Seelen-Dekadenz wir bereits hineingeraten sind...

Nicht gegenseitige Hilfe, nicht das Empfinden von irgendetwas wirklich Wahrem, Schönem oder Gutem hat mit dem menschlichen (oder vermenschlichten) Glück zu tun, sondern rein egoistische, selbstbezügliche Sinnlosigkeiten. Das eine Tierchen hat sich eine Nagellacksammlung angelegt und sortiert sie jeden Tag neu. Das andere Tierchen hat eine Hutsammlung, und sein Lieblingshobby ist, mit diesen Hüten zu spielen. Was für eine unendlich traurige, trost- und sinnlose Perspektive, die man kleinen Kindern hier regelrecht aufdrängt!

Der Autor will wahrscheinlich den Begriff der ,Muße’ transportieren, aber er tut dies in krass kapitalistischen Kategorien – jedes Tier lebt isoliert für sich, hat eine Sammlung sinnloser Konsumgüter und sortiert oder spielt vor sich hin, ohne Kontakt mit anderen. Traurige Monaden in einer sinnlos gewordenen Welt.

Und der Hund ist glücklich, wenn er den Gedanken zusieht, wie sie vorbeiziehen. Also ein Träumer, der keinen einzigen Gedanken festhalten kann oder will. Auch hier wird die Welt absolut beliebig. Assoziationsfetzen ohne tiefere Bedeutung. Nur noch Schäfchenzählen. Sedierend wie die emotionslosen Bundestagsreden von Merkel.

Und für einen Moment bin auch ich glücklich, als endlich der letzte Gedanke dieses furchtbaren Kinderbuchs vorbeigezogen ist. Aber schon im nächsten Moment wünsche ich mir, dass kein Kind davon vergewaltigt wird. Dann bin ich wirklich glücklich...

Der Autor

Bei der Recherche nach dem Autor stieß ich auf die Tatsache, dass er schon einige Bücher veröffentlicht hat – und in einem Interview Sätze sagte wie:[o]

Für mich geht es beim Schreiben immer nur darum, ein Stück Ewigkeit im Augenblick festzuhalten, eine Ahnung von der Größe und Erhabenheit des Geheimnisses zu vermitteln, das im Zentrum unserer Sehnsucht liegt.

Wenn allerdings die Rezensionen seiner Bücher auf Amazon Aussagen enthalten wie ,konfus und langweilig’, ,ärgerlich’, ,unerträglich’, so besagt das offenbar, dass dieser wesentliche Ansatz offenbar regelmäßig scheitert. So heißt es über ,Das Buch der Wunder’:[o]

Was wird aus Tom und Pennys Vater? Warum hat er sich so verhalten? Das erfährt der Leser nie. Es gibt zu viele langatmige Passagen, in denen irgendetwas vorbeihuscht oder sich bildet, und man weiß längst, was es ist [...]. Es wirkt auch an den Haaren herbeigezogen, wenn der eine Werbefuzzi sich wegen seiner verschmähten Idee gleich in ein Zenkloster in Kalifornien zurückzieht. Die innere Handlung soll hier im Vordergrund stehen, das lässt der Autor leider nur dadurch heraushängen, dass er immer wieder bruchstückhaft Grübeleien oder wirre Pseudo-Erklärungen über physikalische Theorien wie Antimaterie, und dieses auch wieder viel zu breit ausgewalzt, beschreibt. Es wird auch nicht wirklich klar, ob es Penny je gegeben hat oder ob sie nicht wirklich ein Hirngespinst von Tom war. Die Person, die nachher als eine Reinkarnation oder Manifestation auftaucht, wirkt wieder völlig unpassend und nicht überzeugend dargestellt. Sehr brutal und dumpf horrormäßig ist immer wieder der blutige daemonische Durchbruch. Aber Grusel ruft er nicht hervor dafür ist er zu unpassend und platt geschildert. Der Autor hat sich wohl nicht entscheiden können, ob er eine metaphysische philosophische Abhandlung, einen Krimi, Gruselschocker oder eine Erzählung über einen geistig und körperlich kranken Menschen schreiben wollte. Gelungen ist ihm nichts davon.

Erwachsene können mit solchen Dingen manchmal umgehen. Kinder sind dem, was man ihnen an seelentötenden Flachheiten zumutet, hilflos ausgeliefert. Vielleicht sollte der Autor selbst einmal ein Zenkloster aufsuchen. Platte, krampfhaft bemühte und herbeigeschriebene Esoterik erstickt nämlich irgendwann auch an ihrer eigenen Leere. Möglicherweise gefällt sich der Autor ja narzisstisch-sentimental außerordentlich in seiner ach so ungeheuren Weisheit. Diese seichte moderne Pseudoesoterik aber Kindern anzudrehen, ist eine echte Sünde. Deren Weisheit ist nämlich viel, viel tiefer – bis man drüberwalzt.

Quelle

[1] Hella Kaiser: Socken für den Pinguin. Tagesspiegel, 5.9.2019.