23.12.2019

Die heiligen Nächte

Vom Wesen der Weihnacht.


Die heiligen Nächte... Für wie viele Menschen sind dies nur noch Worte? Für wie viele Menschen selbst mit einem ,christlichen Hintergrund’, ja selbst für solche, die sich als in einem lebendigen Christentum stehend sehen und empfinden.

Was sind die heiligen Nächte? Wie bekommen wir eine echte, eine tiefe Verbindung zu dieser Zeit?

Wir müssen uns eingestehen, was das Wesen des modernen, heutigen Alltagsbewusstseins ist – und in diesem bewegen wir uns eben den ganzen Tag, das ganze Jahr, jahraus, jahrein. Wir können nicht umhin, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass so etwas die gesamte Seele prägt.

Was macht dieses Alltagsbewusstsein mit der eigenen Seele? Wissen wir überhaupt noch, was Seele ist – sein könnte?

Wir liefern unsere Seelen dem Alltagsbewusstsein aus, und dieses macht die Seelen klein, hart, gewöhnlich, es macht sie profan, blind und taub für alles Wesentliche. Auch da, wo wir freundliche, lebendige Menschen sind, auch da, wo wir glauben, mitten im Leben zu stehen, aktiv, zufrieden, erfüllt, spontan und, und, und...

In diesem wunderbaren, positiven, erfüllten Alltag – aber wer hat einen solchen eigentlich? – verlieren wir das Eigentliche dennoch ... und haben es immer schon verloren. Denn die Weihnacht können wir mit diesem Bewusstsein nicht empfinden und erleben. Es sei denn, wir reduzieren sie auf glückliche Familientage, auf Geschenke, Essen, Spiel und Gespräch.

Aber war da nicht noch etwas?

Vor dem Wesentlichen läuft die moderne Seele am allermeisten weg. Sie flieht es. Sie hat, wenn sie einen Bezug zur Spiritualität hat, eine Sehnsucht danach – und flieht es dennoch.

Und woran liegt das? Warum flieht sie? Warum möchte sie das Alltagsbewusstsein verlassen können – und flieht dennoch das Verlassen dieses Alltagsbewusstseins, kann es schlichtweg nicht, will es auch nicht, ob sie dies erkennt oder nicht. Warum sind wir moderne Menschen dem Alltagsbewusstsein so ungeheuer verhaftet? So sehr, dass es uns nicht einmal gelingt, es hinter uns zu lassen, wenn wir dies eigentlich wollen?

Die Antwort ist: Wir wollen es nicht genug. Etwas in uns will es nicht wirklich. Deswegen sind wir so schwach, so unfähig, so alltäglich, so profan auch da, wo wir all dies ablegen wollen. Wir wollen es nicht genug.

Wollten wir es genug, wäre es so unendlich einfach. Denn das heilige Geheimnis ist das der Hingabe.

Wer die Hingabe kennt, kennt das Tor zum Reich des Wunders, des Mysteriums. Wer die Hingabe kennt, der ist im Besitz des kostbaren Schlüssels zum Reich des Heiligen.

Aber wer kennt die Hingabe?

In Wirklichkeit kennen wir sie alle – aber was wir am meisten bräuchten, wäre dann noch die Liebe zu ihr. Liebe zur Hingabe, weil wir wahrhaft lieben, was sich diesem heiligen Tor, diesem kostbaren Schlüssel eröffnet...

Wenn wir die Hingabe nicht lieben können, brauchen wir nicht zu hoffen. Wie soll sich das Mysterium uns schenken können, wenn wir nicht zuvor uns selbst schenken können? In Hingabe? Wirklicher Hingabe – und nicht nur dem ,Versuch’ der Hingabe?

Wer die Hingabe kennt, in Wirklichkeit, in der Wirklichkeit der eigenen Seele, dem braucht nichts mehr gegeben zu werden, keine Worte, denn er hat bereits alles, alles.

Aber die moderne Seele kennt die Hingabe nicht mehr – und erst recht ist ihr die Liebe und damit die Fähigkeit zur Hingabe fast vollkommen fremd geworden.

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Wer aus sich heraus nur noch ganz schwach Empfindungen der Hingabe, der Ehrfurcht, der Andacht entwickeln und in der Seele erwecken kann, der kann sich Hilfen suchen – hilfreiche, segensreich hilfreiche Vorstellungen, in die er eintauchen und mit denen sich die Seele identifizieren kann, um auf diese Weise auch von dem begnadet zu werden, was diese Vorstellungen enthalten.

Dasselbe geschieht auch in der Meditation – die Seele durchdringt sich mit Realität, die vorher nicht da war. Eine neue Realität keimt, wächst in der Seele ... und kann beginnen zu blühen.

Wenn wir selbst die Hingabe fast nicht mehr kennen, können wir in Vorstellungen eintauchen, wo dieses Geheimnis der Hingabe lebt, zutiefst lebt.

Tauchen wir also zum Beispiel ein in die Vorstellung eines alten, weisen, zugleich aber tief frommen Mannes, der einen heiligen Kirchenraum betritt...

Dieser alte Mann, der ein ganzes, langes Leben auf einem Weg der Weisheit geführt hat, ist dabei, den heiligen Raum zu betreten, und seine ganze Seele erfüllt sich wie von selbst mit der Fülle eines langen, religiösen Lebens, aber dies steigert sich noch in die glühende Wärme der Andacht dieses konkreten Augenblickes. Die Fülle ist selbst als Fülle nicht Gewohnheit, sondern sie ist das ungeheuer reichlich vorhandene ,Brennmaterial’, das sich jedes Mal neu entzündet, ganz real, in heilig-gegenwärtiger Weihe, Andacht, Verehrung, Demut und Hingabe.

Dieser eine alte, weise Mann kann mit den lebendigen Empfindungen seiner Seele mühelos den ganzen großen Raum füllen – und könnte noch eine ganze Gemeinde damit beschenken und davon abgeben, wenn dies möglich wäre. Was die Seele dieses Mannes in heiliger Intensität empfindet, ist sozusagen grenzenlos. Das stille Glühen dieses einen, wahrhaft religiösen Herzens sprengt jedes normale Maß. Es ist gleichsam un-vorstellbar.

Und dennoch können wir uns von dieser erschütternden Vorstellung durchdringen lassen...

Ist uns dies aber noch immer schwer – schwer zu fassen, eine noch immer fremde, vage, schnell wieder schwindende Vorstellung, die nicht wirklich real wird –, dann können wir noch eine andere Vorstellung bilden.

Sie ist gleichsam das Gegenteil des alten, weisen Mannes. Es ist das junge Mädchen, das mit einer selben, tiefen Hingabe den heiligen Kirchenraum betritt...

Und doch ist es nicht dieselbe Hingabe, denn sie ist völlig anders.

Denn bei dem alten Mann ist die Hingabe ganz von Weisheit begleitet, beides durchdringt sich gegenseitig. Die tiefe, fromme Hingabe des alten Mannes hat eine Weltenweite und einen hehren Sternenglanz, die unaussprechlich sind.

Und das Mädchen? Die Hingabe ihres Herzens ist auch weltenweit. Auch sie trägt den ganzen Himmel in sich – und mit diesem himmelweiten Herzen betritt sie den Kirchenraum, geht still und fast scheu nach vorne, bis zu den Stufen des Altars ... und kniet dort nieder...

Das Mädchen hat keine Weisheit, nicht die Weisheit, die wir ,Weisheit’ nennen. Es hat eine ganz andere Weisheit. Vor allem aber hat es eines – es ist ganz und gar Hingabe. Nichts stellt sich zwischen ihr Herz und jene heilige Welt, der sie sich zuwendet. Die Hingabe strömt aus ihrem Herzen sternenmeerweit dieser heiligen Welt zu, die sie aus ihrem aufrichtigen Herzen und ihrer Glaubenskraft, die rein wie ein Kristall ist, unmittelbar und tief kennt.

Reine Hingabe – das ist das Mädchen und das Herz des Mädchens...

Und wenn wir uns mit seiner Seele identifizieren können, und sei es nur in einem einzigen erschütternden Moment, so lebt seine Hingabe für diesen einen Moment auch in uns...

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Wenn wir beide Stimmungen in eine unbeholfene Dichtform bringen oder sie zumindest andeuten wollen, wäre eine mögliche Gestalt etwa die folgende – und es ist wirklich nur erstarrte Wortform, die Wirklichkeit ist unendlich tiefer und inniger:

    Andacht eines alten Mannes

    Ich trete ein – voller Andacht.
    Die Würde meines Alters wird Andacht,
    Weisheit, Wissen um Gott.
    Geist bin ich – und Seele.
    Mein Leben und Lebensgeist wendet sich zu Dir.
    Gelebtes Leben – ich hole die Ernte ein – mit Dir.
    Christus, der Du meine Heimat bist,
    um den ich täglich weiß,
    Dir, o Herr und heilig Waltendem,
    lege ich mein Leben zu Füßen.
    In friedvoller Demut neige ich mein Haupt.
    Ich bin so gering –
    und doch nimmst Du mich an.

    Andacht eines Mädchens

    Ich trete ein – voller Hingabe
    und junger Ehrfurcht,
    meine ganze Seele ist Glaube.
    Mein ganzes Herz wendet sich zu Dir,
    mein junges Leben, mein Knospen und Blühen.
    Christus ist meine Heimat,
    heiliger Glaube seit der Muttermilch.
    Er ist der heilige Bruder und König
    und heimliche Geliebte.
    Ihm lege ich mein Herz zu Füßen,
    in anmutiger Hingabe schenke ich mich ihm.
    Mein Ich gehört Ihm.

Selbstverständlich können wir die tiefste Hingabe dieser beiden Menschen auch anders vorstellen, mit anderen Nuancen, anderer Färbung. Wesentlich ist nur, dass wir eine Tiefe erreichen, die unser Alltagsbewusstsein nicht einmal ahnt und niemals kennen wird. Die Tiefe des Mysteriums. Ein heiliges Weben in einem reinen, unräumlichen Innenraum, der immer größer wird, immer und immer größer...

Und die Seele wird weit. Und sie bekommt einen heiligen Inhalt. Und sie wird weit, weil sie einen heiligen Inhalt bekommt und verströmt. Es ist dieser Inhalt, der die Seele weit macht, weit wie einen inneren Himmel. Und dieser Inhalt ist ... Hingabe.

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Und das heranbrandende Alltagsbewusstsein fragt sich: Hingabe an was?

Denn es versteht das Wunder der heiligen Nacht nicht mehr. Das Wunder der Geburt. Was für eine Geburt? Die Geburt. Die Geburt des Kindes. Des Kindes. Welches Kind?

O, wenn die Seele doch selbst noch Kindheitskräfte in sich hätte!

Denn für die Kinder war es alles noch so einfach: Sie konnten sich einfach – und es geschah einfach – überwältigen lassen von dem Wunder. Von den Lichtern des Weihnachtsbaumes. Und es war ein heiliger Weihe-Baum, und die ganze Zeit war heilig und geweiht – und sie atmete Wunder und Segen, sie atmete Seligkeit und seliges Träumen, ein Hinweggetragenwerden von dem Wunder, das einen umfing, einen aufhob, überleuchtete und durchdrang...

Und all dies geschah, weil das Kind noch die Hingabe hatte, von ihr erfüllt war. Das Wunder erweckte die Hingabe wie eine Woge – und die Hingabe erweckte das Wunder. Nein, sie erkannte das Wunder. Auch zwischen das Kind und das Wunder stellte sich noch nichts, das Herz des Kindes war offen wie ... der Himmel und wie es ein Herz sein muss, wenn man einen heiligen Weg gehen will.

Das Kind braucht noch nichts weiter, um aufgenommen zu werden in das Reich des Wunders und des Heiligen.

Der erwachsene Mensch braucht Gedanken, die ihm wieder sagen können, was eigentlich heilig ist und was er erleben könnte, wenn er nur die Hingabe hätte ... die ihm dann Sinnesorgan wird, so wie sie für das Kind Sinnesorgan ist. Man sieht nur mit dem Herzen gut, heißt es so tief und wahr im ,Kleinen Prinzen’ – aber das Kind sieht noch mit dem Herzen...

Wir müssen erst wieder wissen lernen, was wir sehen sollen und sehen könnten, wenn wir dann auch noch die Hingabe finden. Was also können wir wissen? Welche Gedanken, welche Begriffe (im Sinne eines Begreifens, Verstehens) brauchen wir?

Ich kann die christlichen Mysterien, die Geheimnisse des Christus-Geschehens hier nicht entfalten. Auch diese Aufgabe hätte jede Seele selbst, wenn sie die Leere ihres Innenlebens, das mit Weihnachten nichts mehr anfangen kann, überwinden wollte.

Aber in der heiligen Nacht kamen alle Engel hinab zur Erde, der ganze Himmel neigte sich hinab zur Erde – weil die Geburt geschah... Noch nicht die Geburt des Christus, aber die Geburt des Kindes, das einst eins werden sollte mit dem Gottesgeist, von dem es im Johannes-Evangelium heißt: Im Urbeginne war der Logos... Jenes Schöpferwesen, das die ganze Welt hervorbrachte, alles Leben, und dass dann, zur Zeitenwende, in jenen drei Jahren seines Erdenwandels, von sich sagte: Ich bin... Das Leben. Die Wahrheit. Der Weg. Die Liebe... Jenes Wesen, das jeden einzelnen Menschen zutiefst liebt – und sein heiligstes Wesen kennt.

So ist auch dieses höchste Gotteswesen in der heiligen Nacht der Erde nahe – und dem Kind, das in der Ur-Weihe-Nacht geboren wird. Und mit ihm sind alle Engel auf Erden und bei dem Kind, und ihr übersinnlicher Gesang erfüllt den Erdkreis.

Und die Engelreiche singen das Lob Gottes und sie verkünden den Frieden – Friede auf Erden...

                                                                                                                                            *

Und wir können wissen, dass es zwölf heilige Nächte sind. Die heilige Nacht – und dann noch zwölf weitere heilige Nächte. Die Zeit der Weihe-Nächte dauert bis Dreikönig, das zugleich der Tag von Epiphanias ist, was ,Erscheinung’ bedeutet und auf die Jordantaufe deutet. So reichen die heiligen Nächte also wirklich von Jesus bis Christus, sie umspannen das christliche Mysterium.

Vor allem aber sind sie herausgehoben aus der Zeit. Die heiligen Nächte sind nicht wirklich Teil des zeitlichen Jahres, sie sind eigentlich überzeitlich.

Auch vor dem Christentum kannte man diese Zeit, die da lag, wo das äußere Licht sich am meisten zurückgezogen hatte. Im Heidentum kannte man die ,Rauhnächte’. In dieser Zeit gab es die ,Wilde Jagd’, das Geisterreich stand offen – mit den Seelen der Verstorbenen, mit Dämonen, und wer einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte, konnte zum Werwolf werden. Aber auch Tiere konnten in dieser Zeit mitunter sprechen – und ein Mädchen an einem Kreuzweg seinen künftigen Bräutigam erblicken. Mit anderen Worten: Man wusste um die Mysterien dieser Nächte – man wusste, dass sie nicht zum übrigen Jahr gehörten.

Aber dieser heidnische Aspekt hatte etwas Dunkles, etwas Gefährliches. Der christliche Aspekt ist das völlige Gegenteil – es ist ein Mysterium nicht fassbarer Gnade.

In den heiligen Nächten steht der Himmel offen. Aus Sternenhöhen – aber die Sternenhöhen sind der Erde in diesen Nächten ja ganz nahe, eigentlich durchdringen sich Himmel und Erde in dieser Zeit –, aus Sternenhöhen strömt himmlischer Friede, den man sich ganz substanziell denken muss. Eine übersinnliche Substanz heiliger Himmelssphären strömt zur Erde nieder, um alles zu begnaden – Menschenseelen und alle Natur, alles, wirklich alles. Vor allem aber die Seelen der Menschen.

,Friede auf Erden...’, ertönt übersinnlich der Gesang der heiligen Engelreiche – aber dieser Gesang ist eins mit dem Gnadenstrom, der sich zur Erde neigt, ja gleichsam wie ein heiliges Meer heranbrandet, unendlich viel segnender und realer als der zauberhafteste Traum einer Schneeflocken-Nacht...

,Friede auf Erden – den Menschen, die eines guten Willens sind.’

Doch der Gnadenstrom, der aus Himmelshöhen unaufhaltsam auf die Erde strömt, ist allen Menschen zugedacht und macht keinerlei Unterschied. Nur die Menschen machen den Unterschied. Denn wer keines guten Willens ist, wer sein Herz diesem Wunder verschließt, weil er es diesem Wunder nicht öffnet, der kann es nicht wahrnehmen. Und schon zur Zeitenwende stürzten die Hirten nur deshalb zur Erde, überwältigt von dem Engel, weil ihre Herzen demütig waren. Deshalb konnten sie den Engel wahrnehmen. Überwältigen wollte die Engelwelt schon damals keine einzige Seele.

Und der Gnadenstrom dieser heiligen Nächte versagt sich niemandem – sondern nur die Seelen selbst versagen sich ihm, weil sie sich nicht bereit machen, bereit für die Ankunft. Advent... Die Seelen machen sich nicht mehr bereit. Und so erleben sie nicht mehr das Wunder der Geburt. Und noch weniger das Wunder der zwölf heiligen Nächte.

Denn auch wenn die Ur-Weihe-Nacht vor über zweitausend Jahren geschehen ist, so ist sie, seitdem das Christus-Liebe-Wesen sich mit der Erde verbunden hat, doch in den durchchristeten Jahreslauf eingeschrieben. Und so ereignet sich das Wunder der Weihe-Nacht und das aus der Zeit herausgehobene Wunder der zwölf heiligen Nächte mit ihrem Gnadenstrom jedes Jahr wieder – und die hingegebene Seele, die sich bereitgemacht hat, kann dies erleben – und das Wirken dieses Mysteriums mit einem Herzen, das so offen und aufrichtig ist wie das eines Kindes, aufnehmen.

                                                                                                                                            *

Und dieses Wunder spiegelt sich noch in einzelnen Kinder- und Weihnachtsliedern.

Da ist einmal das Lied ,Über Sterne, über Sonnen’, gedichtet von dem Anthroposophen Edmund Pracht (1898-1974). Auch wenn es in kindliche Bilder getaucht ist, kann es erlebbar machen, wie die christlichen Geheimnisse von Anfang an heilig-kosmische sind – Geheimnisse, die die gesamte Sternenwelt mit umfassen.

    Über Sterne, über Sonnen,
    leise geht Mariens Schritt.
    Lauter Gold und lichte Wonnen,
    nimmt sie für ihr Kindlein mit.

    Wenn Maria heilig schreitet,
    von der Sterne Chor geschaut,
    wird von ihrer Hand bereitet,
    was zur Weihnacht` niedertaut.

    Ruft die Sonne auf zu weben
    für des Kindes lichtes Kleid,
    bittet dann den Mond zu geben,
    ihrem Kindlein Glück und Freud`.

    Alle Sternlein spannt sie singend
    an den bunten Wagen an,
    ziehet durch den Himmel klingend,
    kommt dann auf der Erde an.

Maria galt von jeher auch als ,Himmelskönigin’ – und wurde oft mit einem Sternenmantel dargestellt. Die Seefahrer verehrten sie als ,Stella maris’, als ,Stern des Meeres’.

,Wird von ihrer Hand bereitet, was zur Weihnacht niedertaut...’ Kosmischer Weihnachtsfriede ist es, der zur Weihnacht und dann alle heiligen Nächte hindurch zur Erde ,niedertaut’ – wenn man dies einmal im Sinne des ,Manna’, einer heiligen ,Himmelsspeise’, empfinden kann. Wenn man das Wort ,Tauen’ im Sinne mystisch-chymischer Wandlungsmysterien, also in größter Tiefe, empfinden und auffassen kann. Als etwas zutiefst Zartes, was man gleichsam nur ungläubig-staunend empfangen kann – und doch ist es in all seiner Zartheit zugleich ein so mächtiger Strom, dass er überwältigen müsste, wenn man ihn ganz wahrnähme...

Oder nehmen wir das Lied ,Es ist für uns eine Zeit angekommen’:

    Es ist für uns eine Zeit angekommen
    die bringt uns eine große Freud [...]

    Es schlafen Bächlein und See unter’m Eise
    es träumt der Wald einen tiefen Traum
    Durch den Schnee, der leise fällt wandern wir, wandern wir
    Durch die weite weiße Welt

Dies ist eine Variante, die ein ursprünglich explizit christliches ,Sternsinger’-Lied scheinbar säkularisiert hat. Sie stammt von Paul Hermann (1904-1970) und entstand 1939 in der Zeit der Nationalsozialisten.

Dennoch kann diese Variante dem Mysterium dieser Zeit nichts nehmen – im Gegenteil. Die zweite Strophe erfasst die Mystik der Mittwinterzeit, die sich bis in die Natur erstreckt. Und wer vom christlichen Mysterium berührt ist, dem eröffnet sich das Wunder des Winterwaldes und des leise fallenden Schnees erst wirklich – denn dieses Wunder ist größer als Zeit und Raum, und die dritte Strophe macht dies sogar offenbar:

    Vom hohen Himmel ein leuchtendes Schweigen
    erfüllt die Herzen mit Seligkeit
    Unter’m sternbeglänzten Zelt wandern wir, wandern wir
    Durch die weite weiße Welt

Vielleicht hätte es den Nazis gefallen, in einem nahezu völlig entleerten Lied nur noch letzte Reste einstiger Frömmigkeit mitzuschleppen, damit auch diese sich im Laufe weniger Jahre verlieren. Weihnachten nur noch als bloße Familientradition, Seligkeit wegen des begnadeten Deutschtums nach Blut und Boden. Aber lebendiges Christentum geht andere Wege. Es lässt sich nicht lähmen. Und in Wirklichkeit hat Paul Hermann Strophen geschaffen, in die ein jeder das hineinlegen mag, was ihm möglich ist – offen jedoch sind sie für das Allerhöchste.

Wann hat schon einmal jemand das Mysterium in diesen innigen, exakten Worten gefasst?

,Vom hohen Himmel ein leuchtendes Schweigen’. Denn hiermit sind nicht etwa die kalt und schweigend herabfunkelnen Sterne gemeint, obwohl auch dies schon erhebend und beglückend sein könnte. Nein, es ist jener vom hohen Himmel zart heranbrandende Strom jenes Gnadengeschehens, das in einem unsagbaren, übersinnlichen Leuchten die Menschenherzen begnaden will. Und dieser heilige Strom ist herausgehoben aus Zeit und Raum, deshalb umgibt ihn ein überzeitliches Schweigen, das dennoch heiliger tönt als die wunderbarste Musik. Die Seele kann ein leuchtendes Schweigen hören – und sie erschauert vor dem Wunder des Unbeschreiblichen, vor der Intensität diese Gnadenstroms.

Wird dieses Wunder der heiligen Nächte wirklich erlebt, so werden die Herzen unmittelbar mit Seligkeit erfüllt – das muss und kann man gar nicht herbeireden, es geschieht einfach. Aber nicht einfach – aber einfach dann, wenn die Seele sich hingibt. Denn dann kann der Himmel sich schenken. Und er tut es.

Er tut es zwölf heilige Nächte lang...

                                                                                                                                            *

Und doch ist dieses Wunder der Engelreiche und Sternenhöhen, des gleichsam (und wirklich) herabkommenden Himmels mit dem Geschehen der Weihe-Nacht verbunden – mit dem Wunder der Geburt, die in einem heiligen Urbild von jeder Krippe dargestellt wird.

Und auch der Weihnachtsbaum ist durchaus eine unendliche Hilfe, um die Hingabe lebendig zu finden – wie er das Urbild der Geburt überwölbt, umhüllt und beschützt. Jede einzelne Kerze auf seinen treuen, lebendigen Zweigen ist wiederum ein Urbild für die treu brennende Seele – und was ist Hingabe anderes als ein Brennen? Vermögen wir also das, was jede kleine Kerze uns schenkt und zeigt?

Und wenn die Kerzen erloschen sind und abends nur noch ein kleines Teelicht das heilige Bild der Geburt erhellt, so ist es, wie wenn nicht ein einzelner Baum, sondern ein ganzer Wald dunkel-bergend das Geschehen der Krippe umhüllt. Und die andächtige Seele und das Wunder der Geburt sind dann völlig allein – jeglicher Alltag ist weit zurückgelassen, auch die Seele selbst gewinnt gleichsam Anteil am Überzeitlichen. Und der Gnadenstrom wird fühlbar bis auf den Grund der Seele...

Paul Gerhardt (1607-1676) dichtete das innige Weihnachtslied ,Ich stehe an deiner Krippen hier’. Wenn man durch alles, was dem Alltagsgeist sentimental oder allzu demütig erscheinen mag, hindurchstößt, findet man die wirkliche Hingabe. Die Seele, die im Sinne dieses Liedes spüren kann, was die Geburt bedeutet ... diese Seele hat das Weihnachtswunder gefunden. Und diese Seele wird auch den Gnadenstrom der zwölf heiligen Nächte spüren.

    Eh ich durch deine Hand gemacht,
    da hast du schon bei dir bedacht,
    wie du mein wolltest werden.

Dieses heilig-innige Liebesgeheimnis ist un-vorstellbar. Man kann es nicht vorstellen – man muss es fühlen. Das Fühlen, das tiefe, seelengrundtiefe Fühlen, wird das Sinnesorgan für Christus.

Und das heilige Mysterium dieses Liebewesens ist so grenzen-los, dass selbst die Hingabe des bräutlichsten, hingebungsvollsten Herzens es nicht wirklich fassen kann:

    O daß mein Sinn ein Abgrund wär
    und meine Seel ein weites Meer,
    daß ich dich möchte fassen!

Und doch wird die Seele, die gleichsam stammelnd diesen Wunsch äußern kann, vom Wunder der Weihe-Nacht bis in die Tiefen berührt, denn sie ist durch das Tor der Hingabe geschritten. Und der Himmel selbst zieht in sie ein.

Das Wunder der heiligen Nacht. Das Wunder der zwölf heiligen Nächte.

O daß mein Sinn ein Abgrund wär...