Teresa von Avila: Die innere Burg

Teresa von Avila: Die innere Burg. Herausgegeben und übersetzt von Fritz Vogelsang. Diogenes 1979. [1577] | Quelle: www.lebensstufen.de.

Teresa von Avila (1515-1582) war eine der größten spanischen Heiligen und Gründerin der "unbeschuhten Karmelitinnen" und vieler Klöster. Die "Wohnungen der inneren Burg" sind ihr Hauptwerk.

Die erste Wohnung


1. Kapitel

Wie ich heute unseren Herrn anflehte, er möge durch mich reden – weil ich nichts zu sagen fand und nicht wußte, wie ich mit der Erfüllung dieser Aufgabe beginnen sollte –, da bot sich mir dar, was ich nunmehr sagen und als Fundament gebrauchen möchte: nämlich unsere Seele als eine Burg zu betrachten, die ganz aus einem Diamant oder einem sehr klaren Kristall besteht und in der es viele Gemächer gibt, gleichwie im Himmel viele Wohnungen sind. [...]

Ich finde nichts, mit dem sich die große Schönheit einer Seele, ihre Weite und ihre hohe Befähigung vergleichen ließe. Und wahrlich, unsere Einsicht und unser Verstand – so scharfsinnig sie sein mögen – reichen schwerlich aus, sie zu begreifen, genauso wenig wie sie Gott sich auszudenken vermögen; denn er selbst sagt, daß er uns schuf nach seinem Bilde. Ist dies wirklich so – und es ist so –, dann brauchen wir uns nicht abzumühen in dem Verlangen, die Schönheit dieser Burg zu erfassen. Obgleich zwischen ihr und Gott der Unterschied besteht, der den Schöpfer trennt vom Geschöpf – da sie ja etwas Erschaffenes ist –, so genügt doch das Wort Seiner Majestät, daß sie nach seinem Bilde geschaffen ist, um die große Würde und Schönheit der Seele uns als kaum fassbar erscheinen zu lassen.

Nicht wenig Elend und Verwirrung kommen daher, daß wir durch eigene Schuld uns selber nicht verstehen und nicht wissen, wer wir sind. [...]

Doch kehren wir zu unserer schönen, beglückenden Burg zurück, und schauen wir, wie wir hineingelangen können. Es scheint, als sagte ich einen Unsinn; denn wenn diese Burg die Seele ist, so ist doch klar, daß man nicht hineingehen muß, da man ja selbst die Burg ist. Genauso närrisch erschiene es, wenn man jemandem sagte, er möge in ein Zimmer gehen, in dem er sich bereits befindet. Doch ihr müßt verstehen, daß zwischen Darinnensein und Darinnensein ein großer Unterschied besteht. Es gibt viele Seelen, die sich im Wehrgang der Burg aufhalten – also dort, wo die Wachen stehen – und denen nichts daran gelegen ist, ihre inneren Anlagen zu betreten. Sie wissen nicht, was an diesem wundervollen Ort zu finden ist, noch wer darin weilt, ja nicht einmal, was für Gemächer die Burg umschließt. In manchen Andachtsbüchern habt ihr gewiß schon den Rat vernommen, die Seele möge in sich gehen. Damit ist genau dasselbe gemeint.

Ein großer Gelehrter sagte mir unlängst, die Seelen ohne Gebet glichen einem gelähmten, bewegungsunfähigen Körper, der zwar Hände und Füße besitze, ihnen aber nicht gebieten könne. Und wahrlich, so ist es. Es gibt Seelen, die so krank sind, die sich so daran gewöhnt haben, in äußeren Dingen befangen zu sein, daß es völlig undenkbar erscheint, sie könnten jemals in sich gehen. [...]

Nach meiner Erfahrung sind das Gebet und die Andacht das Tor, durch das man die Burg betreten kann. Damit meine ich das mündliche Gebet nicht minder als das Gebet im Geiste; denn um Gebet zu sein, bedarf beides der Ehrfurcht und Andacht. Ein Gebet, bei dem man nicht darauf achtet, mit wem man redet und was man erbittet, wer der Bittsteller ist und wer der Angeflehte, das nenne ich kein das nenne ich kein Gebet, mag man dabei auch noch so viel die Lippen bewegen. [...]

2. Kapitel

Bevor ich fortfahre, möchte ich euch bitten, euch auszudenken, welchen Anblick diese schöne und strahlende Burg bieten mag, diese orientalische Perle, dieser Baum des Lebens, der inmitten der lebendigen Wasser des Lebens, also in Gott, gepflanzt ist –, wenn die Seele in eine Todsünde fällt. Es gibt keine unheimlichere Finsternis, und es gibt nichts, was so dunkel, so schwarz wäre, daß sie daneben nicht noch viel finsterer erschiene. [...]

Hier ist zu bedenken, daß die Quelle, daß jene strahlende Sonne, die sich in der Mitte der Seele befindet, ihren Glanz und ihre Schönheit nicht verliert. Sie bleibt beständig darin, und nichts kann sie ihrer Schönheit berauben. Breitet man aber über einen Kristall, der in der Sonne hegt, ein tiefschwarzes Tuch, so wird freilich, auch wenn die Sonne auf ihn scheint, ihr Leuchten in dem Kristall keine Wirkung hervorbringen.

O Seelen, die ihr losgekauft seid mit dem Blute Jesu Christi! Erkennet euch und habt Erbarmen mit euch selbst! Wie ist es möglich, daß ihr dies versteht und euch nicht bemüht, dieses Pech von dem Kristall zu entfernen? Nie wieder werdet ihr euch an diesem Licht erfreuen, wenn so euer Leben endet. O Jesus, welchen Anblick bietet eine Seele, die von ihm geschieden ist? In welch erbärmlichen Zustand geraten die Gemächer der Burg! Wie verwirrt irren die Sinne umher, die darin wohnen! Und die Seelenkräfte, die zu Burgvögten, Verwaltern und Mundschenken bestellt sind – mit welcher Blindheit treiben sie ihr schlimmes Regiment! [...]

Aus eigener Erfahrung könnte ich von dieser ersten Wohnung eine recht gute Beschreibung geben. Deshalb sage ich, man möge sich bei dieser Bezeichnung nicht einige wenige Zimmer vorstellen, sondern eine Unzahl von Gemächern. Auf vielerlei Weisen kommen Seelen hier herein, und alle in guter Absicht. Doch da der Satan immer seinen bösen Zweck verfolgt, gibt es dort wohl in jedem Raum viele Legionen von Dämonen, die dafür kämpfen, daß die Seelen nicht zu den nächsten Räumen vordringen können. Weil die arme Seele ahnungslos ist, stellt er uns mit tausenderlei Gaukeleien seine Fallen. Weniger wirksam sind seine Finten bei denen, die dem Orte näher sind, wo der König weilt. Doch hier, wo die Seelen noch von der Welt durchtränkt sind, wo sie  noch in irdischen Vergnügungen befangen sind und verwirrt werden von weltlichen Ehren und Ansprüchen, hier haben die Vasallen der Seele – die Sinne und Geisteskräfte, die Gott ihr von Natur aus gegeben hat – noch nicht die nötige Kraft. Und darum werden diese Seelen leicht besiegt, auch wenn sie die Sehnsucht fühlen, Gott nicht zu beleidigen, und obwohl sie gute Werke vollbringen. [...]

Ich sagte schon ein andermal, daß er [Satan] wie eine lautlose Feile ist. Wir müssen ihn deshalb gleich zu Beginn erkennen. Ich will ein Beispiel nennen, um euch dies verständlicher zu machen. Einer Schwester flößt er ein heftiges Verlangen nach Buße ein, so daß sie meint, sie finde keine Ruhe, wenn sie sich nicht foltere und martere. [...] Einer anderen gibt der Satan ein großes, eifriges Begehren nach Vollkommenheit ein. Dieser Eifer ist sehr gut, doch es könnte so weit kommen, daß ihr jeder kleine Fehler an ihren Schwestern als furchtbares Unheil erscheint; daß sie darüber wacht, ob sie solche Fehlerchen begehen, und dann zur Priorin rennt. Es könnte sogar vorkommen, daß sie vor lauter Eifer um die wahre Frömmigkeit ihre eigenen Fehler übersieht. Und da die anderen ihr nicht ins Herz blicken können, sondern nur sehen, wie sie aufpaßt, so könnte es sein, daß sie darüber ungehalten werden.

Was der Satan hier anstrebt, ist nicht wenig: nämlich das Mitleid und die gegenseitige Nächstenliebe abzukühlen. Gelänge es ihm, so wäre das ein großer Schade. Laßt uns verstehen, meine Töchter, daß die wahre Vollkommenheit die Liebe zu Gott und dem Nächsten ist und daß wir desto vollkommener werden, je vollkommener wir diese zwei Gebote halten. Unsere ganze Ordensregel und ihre Satzungen dienen nur als ein Mittel, damit wir diesen beiden Forderungen immer mehr und immer besser entsprechen. Lassen wir darum alles fürwitzige Eifern, das uns großen Schaden antun kann. Ein jeder schaue auf sich selber. Weil ich an anderer Stelle euch hierüber genug gesagt habe, will ich nicht länger davon reden.

Diese gegenseitige Liebe ist so wichtig, daß ich wollte, ihr würdet sie niemals vergessen; denn wenn wir herumgehen und auf nichtige Kleinigkeiten blicken, die wir an anderen auszusetzen haben und die manchmal gar keine Mängel sind, sondern die wir vielleicht nur wegen unseres beschränkten Wissens als anstößig betrachten, so kann unsere Seele den Frieden verlieren und sogar die der anderen beunruhigen. [...]

Die zweite Wohnung

 

1. Kapitel

[...] Es geht hier um diejenigen, die schon begonnen haben, das Gebet zu üben, und die begriffen haben, wie wichtig es für sie ist, nicht in der ersten Wohnung zu verweilen. Sie haben jedoch noch nicht die Entschlußkraft, daß sie darauf verzichten könnten, sich öfters darin aufzuhalten. Sie geben die Gelegenheiten zum Bösen noch nicht auf. Das ist recht gefährlich. Doch es ist eine große Barmherzigkeit von Gott, daß sie zuweilen den Schlangen und anderen giftigen Wesen zu entfliehen suchen und einsehen, wie gut es ist, sich von ihnen zu entfernen.

Diese Seelen haben in mancher Hinsicht sehr viel mehr Leiden zu erdulden als die vorher genannten, obwohl sie nicht in solch großer Gefahr schweben; denn es hat den Anschein, als kennten sie die Gefährdungen schon, und es besteht große Hoffnung, daß sie tiefer vordringen können. [...] Da sie tiefer eingedrungen und dem Ort, wo Seine Majestät weilt, näher gekommen sind, haben sie in Ihm, in seiner Barmherzigkeit und Güte, einen sehr guten Nachbarn, auch wenn sie noch immer an unserem Getändel und unseren Geschäften hängen und sich nicht frei gemacht haben von den Vergnügungen und trügerischen Geschäften der Welt, auch wenn sie noch immer in Sünden fallen und sich wieder daraus erheben. Die Tiere, die wild durcheinander wimmeln, sind so giftig, und so gefährlich ist ihre Nähe, daß es ein Wunder ist, wenn sie einen nicht straucheln lassen und zu Fall bringen. Doch dem Herrn liegt so viel daran, daß wir ihn lieben und uns bemühen, zu ihm zu kommen, daß er nicht aufhört, uns wieder und wieder zu rufen, damit wir zu ihm finden. Und diese Stimme ist so lieblich, daß die arme Seele vergeht, wenn sie dann nicht tut, was die Stimme ihr befiehlt. Und darum ist dies – wie gesagt – schmerzlicher, als wenn man sie nicht hört.

Ich sage nicht, daß diese Stimme und diese Rufe den anderen gleichen, von denen ich später reden werde. Die hier dringen zu uns aus Worten, die wir von guten Menschen hören, oder aus Gebeten, aus der Lektüre guter Bücher sowie aus vielen anderen Dingen, von denen ihr gehört habt, daß Gott durch sie die Menschen ruft: seien es Krankheiten, Mühsale oder irgendeine Wahrheit, die er uns in den Augenblicken lehrt, wo wir im Gebet sind. [...]

Doch – o Herr und mein Gott! – die Gewöhnung an die eitlen Dinge und die Erfahrung, daß alle Welt sich mit ihnen abgibt, verderben alles. Unser Glaube ist so tot, daß wir mehr nach dem begehren, was wir sehen, als nach dem, was er uns verheißt; wo wir doch in Wahrheit nichts als schlimmes Unheil an denen sehen, die diesen sichtbaren Dingen nachgehen. Daran sind die giftigen Wesen schuld, mit denen wir uns einlassen. Wird jemand von einer Viper gebissen, so vergiftet dieser Biß den ganzen Leib, und er schwillt an. Genauso ist es hier, weil wir uns nicht genügend vorsehen. Zur Heilung bedarf es natürlich vieler Kuren, und Gott erweist uns eine große Gnade, wenn wir nicht daran zugrunde gehen.

Wahrlich, die Seele erlebt hier viele Leiden, vor allem wenn der Satan merkt, daß sie durch ihre Veranlagung und ihre Sitten die Eignung besitzt, weit voranzukommen. Da wird er die ganze Hölle versammeln, um sie wieder aus der Burg zu vertreiben. [...]

Immer sei die Seele darauf bedacht, sich nicht übermannen zu lassen; denn wenn der Satan sieht, daß sie fest entschlossen ist, lieber das Leben und die Ruhe und alles, was er ihr bieten mag, zu verlieren, als in die erste Wohnung zurückzukehren, so wird er sehr bald von ihr ablassen. Sie sei mannhaft und gehöre nicht zu denen, die sich bäuchlings zum Trinken hinwarfen, als man in die Schlacht zog (ich weiß nicht mehr, gegen wen). Entschlossen möge sie den Kampf wider alle Dämonen wagen, in der Überzeugung, daß es keine besseren Waffen gibt als die des Kreuzes. Ich habe es zwar schon des öfteren gesagt, doch will ich es hier, um seiner Wichtigkeit willen, noch einmal wiederholen: Man glaube ja nicht, daß es zu Beginn dieses Unternehmens irgendwelche Annehmlichkeiten gebe. Dies wäre ein schlechtes Fundament für ein solch herrliches, großes Bauwerk. [...]

Es ist schon recht seltsam: Noch stecken wir in tausend Schwierigkeiten und Unvollkommenheiten, und die Tugenden haben noch nicht einmal das Laufen gelernt, weil sie ja eben erst sich angeschickt haben, das Licht der Welt zu erblicken (Gott gebe, daß sie sich dazu angeschickt haben!) – schämen wir uns da nicht, vom Gebet Genuß zu erwarten und uns über Dürre zu beklagen? Niemals komme euch so ein Gedanke, Schwestern. Klammert euch an das Kreuz, das euer Bräutigam auf sich nahm, und erkennet, daß dies euer Auftrag ist. Wer mehr zu erleiden vermag, der leide mehr für ihn, und er wird umso mehr die Befreiung erfahren. Das übrige betrachtet als etwas Beiläufiges, und sollte es der Herr euch schenken, so dankt ihm dafür von Herzen.

Ihr meint vielleicht, ihr wäret wohl bereit und entschlossen, die äußeren Leiden auf euch zu nehmen, wenn nur der Herr euch innerlich beschenkt. Seine Majestät weiß besser, was gut für uns ist. Wir haben keinen Grund, ihm Ratschläge zu geben, was er uns schenken soll; denn er kann mit Recht uns sagen, daß wir nicht wissen, was wir bitten. Wer sich dem Gebet zu widmen beginnt – vergeßt das nie, denn es ist sehr wichtig –, der muß allein danach streben, sich mit allem Fleiß und Eifer, mit aller Entschlossenheit, deren er fähig ist, sich darauf einzustellen, daß sein eigener Wille mit dem Willen Gottes übereinstimme. Und nehmt es als ganz gewiß, daß hierin – wie ich euch später noch sagen werde – alle höhere Vollkommenheit besteht, die man auf dem geistlichen Weg erlangen kann. Wer das am vollkommensten vermag, der wird am meisten des Herrn teilhaftig werden und ist am weitesten auf diesem Wege fortgeschritten. [...]

Die dritte Wohnung

 

1. Kapitel

Was sollen wir denen, die durch Gottes Erbarmen diese Kämpfe siegreich bestanden haben und beharrlich bis in die dritte Wohnung vorgedrungen sind, anderes sagen als: »Selig der Mann, der den Herrn fürchtet?« Es ist keine geringe Gunst, daß der Herr mich jetzt verstehen läßt, was der spanische Wortlaut dieses Verses hier besagen will; denn für gewöhnlich fällt es mir nicht leicht, den rechten Sinn eines solchen Textes zu begreifen. Wahrlich, mit Recht nennen wir diesen Mann selig. [...]

Ich glaube, solche Seelen gibt es – dank der Güte Gottes – viele auf der Welt. Ihr ernster Wunsch ist es, Seine Majestät nicht zu beleidigen; selbst vor den läßlichen Sünden nehmen sie sich in acht und lieben die Buße, die Stunden der inneren Sammlung; sie machen einen guten Gebrauch von ihrer Zeit, üben sich in Werken der Nächstenliebe, sind sehr zuchtvoll in ihrem Reden, ihrer Kleidung und der Art, in der sie ihr Haus verwalten, falls sie eines haben. [...]

Da diese Seelen von sich selbst wissen, daß sie um nichts in der Welt eine Sünde begehen würden, daß viele von ihnen nicht einmal ein läßliches Vergehen mit Bewußtsein sich zuschulden kommen lassen und daß sie ihr Leben und ihren Besitz gut anwenden, können sie es nicht mit Geduld ertragen, daß ihnen die Tür zu dem Raum verschlossen ist, wo unser König weilt, für dessen Vasallen sie sich halten, und das sind sie ja tatsächlich. Ein irdischer König mag viele Diener haben, und doch dürfen nicht alle in seine Kammer eintreten. Geht hinein, meine Töchter, geht hinein in das Innere. Kommt über eure kleinen, dürftigen Werke hinaus; denn um Christen zu sein, müßt ihr das alles tun und noch viel mehr. Und es sei euch genug, daß ihr Vasallen Gottes seid. Begehrt nicht so viel, daß ihr am Ende leer ausgeht. Schaut die Heiligen an, die in die Kammer dieses Königs gelangt sind, und ihr werdet den Unterschied erkennen, der zwischen ihnen und uns besteht. Fordert nicht, was ihr nicht verdient habt; und es sollte uns nicht in den Sinn kommen, so viel wir auch dienen mögen, daß wir dessen jemals würdig sein könnten – wir, die wir Gott beleidigt haben. [...]

Was können wir für einen so großmütigen Gott denn tun, der für uns gestorben ist, der uns erschaffen hat und uns das Wesen gibt? Müssen wir uns nicht glücklich schätzen, wenn wir – ohne dafür neue Gnaden und Geschenke zu verlangen – etwas von der Schuld abtragen, die wir ihm gegenüber haben, durch das, was er getan hat in unserem Dienst? (Widerstrebend habe ich dieses Wort gebraucht, doch es ist so: sein ganzes Erdenleben ist nichts anderes als ein Dienen gewesen.) [...]

2. Kapitel

Ich habe manche, ja ich kann wohl sagen, ziemlich viele Menschen gekannt, die in diesen Stand gelangten und viele Jahre in dieser Rechtschaffenheit und Harmonie lebten, mit Leib und Seele, soweit dies zu erkennen war, und die hernach, wie sie anscheinend bereits Herr über die Welt geworden waren – oder sich doch zumindest gründlich deren Täuschung entzogen hatten –, durch Seine Majestät in nicht sehr großen Dingen geprüft wurden und deshalb in solche Unruhe stürzten, sich so bedrückt in ihrem Herzen fühlten, daß ich ihnen völlig hilflos und recht ängstlich gegenüberstand. Ihnen Ratschläge zu geben, hat keinen Wert; denn da sie schon so lange mit der Tugend zu tun haben, meinen sie, andere belehren zu können, und glauben, mehr als berechtigt zu sein, sich über jene Dinge zu härmen. Ich habe jedenfalls kein Mittel gefunden und finde auch jetzt keines, mit dem solche Menschen zu trösten wären, außer dem einen, daß man ihnen zeigt, wie viel Mitgefühl man für ihren Kummer hat. Man muß wirklich zusehen, wie sie unter ihrem Elend leiden, und kann ihnen doch nicht widersprechen, weil sie sich alle einig sind in dem Gedanken, daß sie dies für Gott erdulden. Darum kommen sie auch nicht zu der Einsicht, daß ihre eigene Unvollkommenheit daran schuld ist. Damit erliegen diese Menschen, die so weit fortgeschritten sind, einer weiteren Täuschung. Daß sie darunter leiden, braucht einen nicht zu verwundern, obwohl – nach meiner Ansicht – die Traurigkeit wegen solcher Dinge rasch vorbeigehen muß. Denn oft will Gott, daß seine Erwählten ihre eigene Armseligkeit fühlen, und entzieht ihnen darum ein wenig seine Gunst; mehr braucht es für gewöhnlich nicht, damit wir sehr rasch zur Selbsterkenntnis finden. Und dann versteht man diese Art von Prüfung; denn man erkennt klar und deutlich seinen Fehler, so daß es einen manchmal mehr bekümmert, sehen zu müssen, daß einem – ohne daß man dagegen aufkommen könnte – irdische und nicht sehr wichtige Dinge genauso zu Herzen gehen wie dieses Leid. Das halte ich für eine große Barmherzigkeit Gottes, und obwohl ein Fehler die Ursache ist, bedeutet es einen großen Gewinn für unsere Demut. [...]

Es muß uns vorkommen, als hätten wir erst wenige Schritte getan. Das sollen wir glauben. Und es möge uns scheinen, als eilten unsere Schwestern uns mit geschwinden Schritten voraus. Auch sollen wir es nicht nur wünschen, sondern dafür sorgen, daß man uns als die Armseligste von allen ansieht.

Halten wir es so, dann ist dieser Zustand vortrefflich; andernfalls werden wir jedoch unser ganzes Leben lang darin stecken bleiben, unter tausend Kümmernissen und Erbärmlichkeiten. Denn weil wir uns selbst noch nicht aufgegeben haben, ist der Weg sehr mühsam und beschwerlich. Hart lastet auf uns die Erde unseres Elends, von der jene nicht mehr bedrückt werden, die zu den höheren Gemächern emporsteigen. [...]

Die vierte Wohnung

 

1. Kapitel

[...] Doch ich möchte nun über das reden, von dem ich euch sagte, daß ich es hier erklären würde: nämlich den Unterschied, der zwischen den Freuden im Gebet und den Wonnen [der Betrachtung] besteht. Freuden oder Befriedigungen kann man nach meiner Meinung jene glücklichen Empfindungen nennen, die wir durch unsere Meditation und durch die Bitten, die wir an unseren Herrn richten, erlangen. Sie entstammen also unserer Natur, wenn auch letztlich Gott dazu beiträgt (denn man sollte bei allem, was ich sage, im Auge behalten, daß wir ohne ihn nichts vermögen). Doch sie sind die Frucht, die unmittelbar aus dem tugendhaften Werk erwächst, das wir vollbringen; und es scheint, daß wir sie durch unsere Mühe selber erworben haben. Mit Recht empfinden wir ja ein freudiges Gefühl der Befriedigung, weil wir uns solchen Dingen gewidmet haben. Doch wenn wir es uns überlegen – dieselbe Freude und Befriedigung werden wir auch über allerlei andere Dinge empfinden, die uns auf Erden begegnen: etwa über ein großes Vermögen, das jemand sich über Nacht beschafft; beim überraschenden Anblick eines Menschen, den wir sehr lieben; beim erfolgreichen Abschluß eines wichtigen Geschäftes, eines bedeutsamen Werkes, das allgemeine Anerkennung findet; oder wenn man unverhofft den totgesagten Ehemann, Bruder oder Sohn gesund und munter daherkommen sieht. Ich habe gesehen, wie Menschen vor lauter Freude Tränen vergossen; und auch mir selbst ist es gelegentlich so gegangen. Und ich meine, daß die Befriedigungen, welche uns durch die göttlichen Dinge zuteil werden, ebenso natürlich sind wie jene, nur sind sie von edlerer Abkunft (was keineswegs heißt, daß die anderen schlecht wären). Kurz und gut: die Befriedigungen oder Freuden im Gebet beginnen in unserer eigenen Natur und enden in Gott; die Wonnen dagegen beginnen in Gott, und die Natur empfindet sie und genießt sie genauso sehr wie die Freuden, ja noch viel mehr. O Jesus, wie sehr wünschte ich, dies erklären zu können; denn ich glaube hier einen deutlichen Unterschied zu erkennen, aber mein Wissen reicht nicht aus, ihn verständlich zu machen. Möge der Herr es tun.

Jetzt erinnere ich mich eines Verses, den wir in der Prim zum Schluß des letzten Psalmes sagen. Dieser endet mit den Worten: »Cum dilatasti cor meum.« Wer viel Erfahrung besitzt, dem genügt dies, um den Unterschied zu sehen, der zwischen den beiden Empfindungsarten besteht. Wer keine Erfahrung hat, der benötigt dazu einiges mehr. Die Freuden, von denen wir gesprochen haben, erweitern nicht das Herz; meistens scheinen sie es eher ein wenig zusammenzupressen, trotz aller Befriedigung, die man über das empfindet, was man Gott zuliebe getan hat. [...]

Meist sind es die Seelen in der vorigen Wohnung, die eine solche Art der Andacht haben; denn sie sind fast ständig mit der Bemühung um Verständnis beschäftigt, sie überlegen, meditieren; und sie tun recht daran, weil ihnen nicht mehr gegeben ist. Freilich wäre es gut für sie, wenn sie sich auch eine Weile damit befassen würden, Taten zu vollbringen, Gott zu loben und sich seiner Güte zu freuen; wenn sie froh darüber wären, daß er ist, wer er ist, und seine Ehre und seinen Ruhm wünschten. Nach bestem Können sollte man dies tun, denn es ermuntert den Willen sehr. Und man hüte sich ja davor, wenn der Herr einem dieses andere aufgibt, es zu versäumen, um nur ungestört die gewohnte Meditation beenden zu können.

Weil ich hierüber anderswo des langen und breiten gesprochen habe, will ich dazu nichts weiter sagen. Ich möchte auch nur darauf hinweisen, daß es, wenn man auf diesem Wege gut vorankommen und zu den ersehnten Wohnungen emporsteigen will, nicht darauf ankommt, viel zu denken, sondern viel zu lieben. Darum tut das, was am meisten Liebe in euch erweckt. Vielleicht wissen wir aber gar nicht, was Lieben ist. Das würde mich nicht sehr wundern; denn es besteht nicht in dem größeren Genuß, sondern in der größeren Entschlossenheit, Gott in allem erfreuen zu wollen, sich mit allen Kräften darum zu bemühen, daß wir ihn nicht beleidigen, und ihn zu bitten, daß die Ehre und der Ruhm seines Sohnes sowie das Wachstum der katholischen Kirche stets Vorrang vor allem anderen habe. Das sind die Zeichen der Liebe. [...]

Ich habe mich manchmal sehr verängstigt in diesem Tumult des Denkens umherbewegt, und es ist wohl kaum mehr als vier Jahre her, daß ich durch Erfahrung zu der Erkenntnis kam, daß das Denken oder die Einbildungskraft – um es verständlicher zu sagen – nicht der Verstand ist. Ich fragte einen Gelehrten, und der bestätigte es mir, was mich nicht wenig befriedigte. Denn da der Verstand eine der Seelenkräfte ist, kam es mich hart an, daß er zuweilen so unbeholfen, so wenig flügge war, während das Denken für gewöhnlich so schnell umherfliegt, daß nur Gott es aufzuhalten vermag, wenn er uns so fesselt, daß wir irgendwie von diesem Leibe losgelöst zu sein scheinen. Es kam mir vor, als sähe ich die Kräfte der Seele Gott hingegeben und bei ihm versammelt, während gleichzeitig das aufgeregt umherflatternde Denken mich völlig wirr machte. [...]

Und darum sage ich euch nur immer und immer wieder, um es euch vielleicht doch einmal verständlich zu machen, daß dies etwas Unumgängliches ist, was euch nicht beunruhigen und bekümmern sollte. Lassen wir also diese Klappermühle ruhig weiterrattern, und mahlen wir unbeirrt unser Mehl, indem wir die Tätigkeit unseres Willens und unseres Verstandes nicht aufgeben. [...]

2. Kapitel

[...] Was ich die Wonnen Gottes nenne (anderswo habe ich es Gebet der Ruhe geheißen), ist von ganz anderer Art. Ihr, die es durch Gottes Erbarmen erfahren habt, werdet es verstehen. Stellen wir uns, um es besser zu erfassen, zwei Brunnenbecken vor, die sich mit Wasser füllen. [...]

Bei dem einen kommt das Wasser von weither durch viele Röhren, mittels kunstvoller Vorrichtungen; das andere aber ist unmittelbar dort erbaut, wo das Wasser entspringt, und es füllt sich völlig lautlos. [...] D[ies]em anderen Brunnen strömt das Wasser unmittelbar vom Quellort zu – nämlich von Gott –, und sowie Seine Majestät nach eigenem Gefallen eine übernatürliche Gnade erweisen will, quillt es friedvoll und mit größter Ruhe und Sanftheit aus dem tiefsten Inneren unseres eigenen Wesens empor – ich weiß weder wo noch wie. Auch fühlt man jene Freude und Wonne nicht wie die irdischen Glücksgefühle im Herzen (ich meine, nicht gleich zu Beginn; denn später erfüllen sie alles). Dieses Wasser läuft über und durchströmt alle Wohnungen und Seelenkräfte, bis es zum Körper gelangt. [...]

Nachdem wir getan haben, was die Seelen in der vorigen Wohnung tun, heißt die Losung: Demut, Demut. Durch sie läßt sich der Herr alles abringen, was wir von ihm wollen. Wenn ihr diese Tugend habt, so erkennt ihr dies zuerst daran, daß ihr nicht denkt, ihr hättet diese Gnaden und Wonnen des Herrn verdient, und auch nicht meint, ihr könntet sie je in eurem Leben verdienen. Ihr werdet mich fragen: »Ja, wie soll man sie dann erlangen, wenn man sie nicht erstrebt?« Darauf antworte ich, daß es kein besseres Verhalten gibt als das, welches ich euch nannte: nämlich nicht danach zu trachten. Und zwar aus folgenden Gründen: 1. Weil das erste, was dazu nötig ist, darin besteht, Gott ohne Eigennutz zu heben. 2. Weil es nicht gerade ein Zeichen von Demut ist, zu denken, wir könnten durch unsere erbärmlichen Dienste etwas so Großes erwerben. 3. Weil die richtige Vorbereitung dafür die Sehnsucht nach dem Leiden ist, also das Verlangen, dem Beispiel des Herrn zu folgen, und nicht der Wunsch, daß wir, die wir ihn doch beleidigt haben, Wonnen erfahren mögen. 4. Weil Seine Majestät sich zwar verpflichtet hat, uns die ewige Seligkeit zu schenken, falls wir seine Gebote halten, aber nicht dazu verpflichtet ist, uns solche Wonnen zu gewähren. Denn wir brauchen sie nicht zu unserer Erlösung; und er weiß besser, was für uns gut ist und wer ihn wirklich hebt. [...] 5. Weil wir uns vergeblich abmühen, da man dieses Wasser nicht durch Röhren herbeileiten kann, wie das vorige, und es darum wenig nützt, daß wir uns müderackern, wenn die Quelle es nicht von selber gibt. Damit will ich sagen: Wir mögen uns noch so sehr der Meditation hingeben, bis zur Erschöpfung darum ringen und noch so viele Tränen vergießen, so fließt dieses Wasser doch nicht hervor. Es wird nur dem geschenkt, dem Gott es geben will, und oft gerade dann, wenn die Seele am wenigsten daran denkt.

Wir sind sein, Schwestern; er mache mit uns, was er will. Er führe uns, wohin es ihm beliebt. Und ich glaube fest, daß dem, welcher sich wirklich demütigt und sich von allen Wünschen losmacht (ich sage »wirklich«, denn nicht nur in Gedanken soll es geschehen, sondern wir müssen uns völlig frei gemacht haben) –, daß dem der Herr diese Gnade und viele andere, die wir nicht einmal zu ersehnen wissen, nicht vorenthalten wird. Er sei gelobt und gepriesen in Ewigkeit, Amen.

3. Kapitel

Die Wirkungen dieses Gebets sind mannigfach. Einige davon will ich nennen. Zuvor möchte ich jedoch von einer anderen Art des Gebetes reden, welche dieser fast immer vorausgeht. Weil ich anderswo schon darüber gesprochen habe, will ich mich kurz fassen. Es ist dies eine innere Sammlung, die mir ebenfalls übernatürlich zu sein scheint, denn sie beruht nicht darauf, daß man sich im Dunkel aufhält oder die Augen schließt, oder auf sonst irgend etwas Äußerlichem. Ohne daß man es will, geschieht es da, daß einem die Augen zugehen und man die Einsamkeit ersehnt; und ohne künstliche Bemühungen scheint das Gehäuse für das vorhin besprochene Gebet errichtet zu werden. Die Sinne und äußeren Dinge scheinen mehr und mehr an Recht zu verlieren, da die Seele ihr verlorenes Privileg in wachsendem Maß zurückgewinnt. [...]

Ich glaube gelesen zu haben, daß es wie bei einem Igel oder bei einer Schildkröte ist, wenn sie sich einziehen. Wer das geschrieben hat, der hat es wohl gut verstanden. Doch während diese Tiere sich in sich zurückziehen, wann sie wollen, haben wir es nicht in der Hand, den Zustand, von dem wir reden, nach Belieben herbeizuführen. Er tritt nur ein, wenn Gott uns diese Gnade erweisen will. Und ich habe den Eindruck, als ließe Seine Majestät, wenn Er es tut, es solche Menschen erfahren, die sich schon angeschickt haben, den Dingen der Welt den Abschied zu geben. Ich sage damit nicht, daß diejenigen, die in einem Stande leben, der dies nicht zuläßt, die Trennung vom Irdischen tatsächlich vollzogen haben müßten. Ihre Sehnsucht danach ist es, was den Herrn veranlaßt, sie eigens zu rufen, damit sie auf die inneren Dinge achten. [...]

Nach meiner Erfahrung ist es für die Seele, welche der Herr in diese Wohnung eingelassen hat, am besten, wenn sie – wie gesagt – versucht, ohne jede Gewalt und ohne Lärm das Hin- und Herschweifen des Verstandes zu zügeln, ohne das Denken und den Verstand deshalb außer Kraft setzen zu wollen. Der Verstand sollte sich vielmehr darauf besinnen, daß er vor Gott steht, und sich das Wesen dieses Gottes vergegenwärtigen. Wird er von dem, was er in sich spürt, ganz gefangen – schön und gut. Aber er trachte nicht danach, zu verstehen, was dies ist, denn dem Willen wurde dies geschenkt. Ihn lasse er genießen, ohne etwas anderes dazu beizutragen als ein paar Worte der Liebe; denn auch wenn wir nicht danach streben, hierbei nichts zu denken, ist man doch oft frei von Gedanken, freilich nur sehr kurze Zeit. Aber – wie ich anderswo schon sagte – die Ursache, weshalb der Verstand bei dieser Gebetsweise (ich meine diejenige, mit der ich die Beschreibung dieser Wohnung begonnen habe und der ich dann das Gebet der inneren Sammlung habe folgen lassen, das ich eigentlich zuerst hätte nennen müssen, da es weit geringer ist als das Gebet der Wonnen von Gott und nur den Anfang des Weges zu dem letzteren bildet; im Gebet der inneren Sammlung darf man nämlich die Meditation nicht aufgeben und sollte den Verstand weiterhin sich mit diesem Quellborn, der nicht durch Röhren gespeist wird, beschäftigen lassen) – die Ursache also, weshalb der Verstand sich hier bescheidet oder zur Bescheidenheit genötigt wird, liegt in der Einsicht, daß er nicht verstehen kann, was er verstehen möchte. Und darum bewegt er sich wie närrisch hin und her, ohne irgendwo zu verweilen. Der Wille hat zu einer solch tiefen Ruhe in Gott gefunden, daß ihn das Umherschwirren der Gedanken sehr verdrießt. Er darf sich jedoch nicht um sie kümmern, da er sonst viel von dem verlieren würde, was er genießt. Er sollte vielmehr die Gedanken und sich selber den Armen der Liebe anvertrauen; denn Seine Majestät wird den Willen lehren, was er in dieser Lage zu tun hat. Dies besteht fast nur darin, daß er entdeckt, wie unwürdig er eines solchen Glückes ist, und daß er dankt für das, was er empfangen hat.

Um vom Gebet der inneren Sammlung reden zu können, habe ich bisher darauf verzichtet, von den Wirkungen und Zeichen zu sprechen, die Gott unser Herr in der höheren Gebetsart dieser Wohnung uns schenkt. Deutlich gewahrt man dabei ein Anschwellen oder Ausweiten in der Seele, als ob ein Wasser, das einer Quelle entspringt, nicht ablaufen könnte, und als ob die Brunneneinfassung, die aus einem nachgiebigen Stoff gemacht ist, umso größer würde, je reichlicher das Wasser hervorquillt. Genauso scheint es der Seele in diesem Gebet zu ergehen, wobei der Herr noch viele andere Wunder in ihr bewirkt, um sie dazu fähig zu machen, daß sie alles in sich zu fassen vermag. Diese innere Geschmeidigkeit und Erweiterung zeigt sich auch darin, daß derjenige, dem sie widerfährt, fortan in den Dingen des Gottesdienstes nicht mehr so ängstlich ist wie zuvor, sondern sich sehr viel freier bewegt und sich nicht aus Angst vor der Hölle quält. Obwohl er nun noch mehr darum besorgt ist, Gott nicht zu beleidigen (eine Sorge, die hier das Knechtische verliert), vertraut er jetzt mit großer Zuversicht darauf, daß er sich seines Herrn erfreuen werde. Wer für gewöhnlich fürchtete, er könnte durch Bußübungen seine Gesundheit verlieren, dem scheint es nun, als könne er in Gott alles vollbringen, und fühlt mehr Verlangen nach ihnen als je zuvor. Die Furcht, die er sonst vor Leiden und Mühsal hatte, ist nun gemildert, denn der Glaube ist lebendiger. Und die Seele weiß, daß der Herr, wenn sie das Beschwerliche um seinetwillen trägt, ihr die Gnade erweisen wird, daß sie es mit Geduld zu erleiden vermag. Ja, manchmal wird sie sich sogar Leiden wünschen; denn es drängt sie nun auch ein starker Wille, etwas für Gott zu tun. Je mehr sie dessen Größe erkennt, für um so erbärmlicher hält sie sich. Da sie schon die Wonnen Gottes gekostet hat, erkennt sie, daß die Freuden der Welt nur Kehricht sind. Mehr und mehr entzieht sie sich diesen und erlangt eine immer stärkere Herrschaft über sich selbst, die sie dazu befähigt. Kurzum, in allen Tugenden ist sie gestärkt und wird weiterhin wachsen, falls sie nicht wieder rückwärts geht und Gott beleidigt; denn dann ginge alles verloren, so hoch die Seele auch zum Gipfel emporgeklommen sein mag. [...]

Die fünfte Wohnung

 

1. Kapitel

O Schwestern! Wie könnte ich euch den Reichtum und die Schätze und Wonnen sagen, die es in der fünften Wohnung gibt? Ich glaube, es wäre besser, von allem weiteren gar nichts zu sagen denn es ist unmöglich, es auszudrücken, und der Verstand kann es nicht begreifen, und kein Vergleich reicht aus es zu erklären, weil die Dinge der Erde dafür viel zu niedrig sind. [...]

Ihr dürft nicht meinen, daß es sich dabei um etwas Traumhaftes handelt, wie auf der vorigen Stufe. Ich sage »Traumhaftes«, weil die Seele dort wie eingedämmert wirkt, so daß sie weder recht zu schlafen scheint noch sich wach fühlt. Hier dagegen ist sie völlig in tiefen Schlaf versunken, der sie den Dingen der Welt und sich selber gänzlich entrückt. Denn in der kurzen Zeit, die es dauert, ist sie wirklich wie ohne Besinnung, so daß sie nicht zu denken vermag, selbst wenn sie wollte. Hier bedarf es keiner künstlichen Bemühungen, um dem Denken Einhalt zu gebieten. Die Seele vermag nicht einmal zu verstehen, wie die Liebe, falls sie eine fühlt, entstanden ist, wem sie gilt oder nach was sie sich sehnt. Kurzum, es ist, als wäre sie gänzlich gestorben und aus der Welt geschieden, um noch mehr in Gott zu leben. Und deshalb ist es ein lieblicher Tod, gleichsam ein Entrissenwerden aus allem Tun, das die Seele ausüben mag, solange sie im Körper weilt; ein Hinscheiden, das voller Wonne ist, weil die Seele, obgleich sie in Wirklichkeit noch im Körper ist, ihn zu verlassen scheint, um besser in Gott zu sein, und zwar so, daß ich jetzt noch nicht weiß, ob dem Leib dabei noch genug Leben zum Atmen bleibt. (Eben habe ich darüber nachgedacht, und es scheint mir, als atme er dabei nicht; tut er es doch, so merkt die Seele es jedenfalls nicht.) Ihr ganzer Verstand möchte sich dafür einsetzen, etwas von dem zu verstehen, was sie empfindet. Und da seine Kräfte dazu nicht ausreichen, überkommt ihn erschrockenes Staunen, so daß er, wenn er sich nicht gänzlich verliert, doch »weder Hand noch Fuß bewegt« (wie wir hierzulande sagen, wenn jemand so ohnmächtig ist, daß wir meinen, er wäre tot). [...]

Ja, ich wage zu behaupten: Wenn es wirklich eine Vereinigung mit Gott ist, so kann nicht einmal der Satan sich einschleichen und irgendeinen Schaden stiften. Seine Majestät ist da dem innersten Wesen der Seele so nahe und so mit ihr verbunden, daß der Böse sich nicht heranwagen wird. Er wird dieses Geheimnis wohl nicht einmal verstehen. Das liegt auf der Hand; denn es heißt ja, daß er unser Denken nicht verstehen kann. Etwas so Geheimes, das Gott nicht einmal unserem Verstand anvertraut, wird er dann noch weniger begreifen. Oh, welch ein Glück, sich dort aufzuhalten, wo dieser Verfluchte uns nicht schadet! Der Seele wird also ein solch reicher Gewinn zuteil, weil Gott in ihr wirkt, ohne daß irgend jemand – nicht einmal wir selber – dies hinderte. [...]

Und obwohl das Gesagte für den, der es selber erlebt hat, ausreicht, weil der Unterschied zwischen beiden Erscheinungen groß ist, will ich euch doch noch ein deutliches Merkmal nennen, das euch vor Täuschung bewahrt, so daß ihr nicht zu zweifeln braucht, ob euer Erlebnis von Gott gekommen ist. [...]

Ihr seht, wie Gott diese Seele völlig dumm gemacht hat, um ihr die wahre Weisheit besser einzuprägen. Sie sieht nichts, sie hört nichts und versteht nichts, solange dieser Zustand anhält, der immer nur von kurzer Dauer ist (und ihr noch viel kürzer erscheint, als er wohl in Wirklichkeit ist). Dabei verbindet sich Gott selber mit dem Inneren dieser Seele, so daß sie, wenn sie wieder zu sich kommt, keinesfalls daran zweifeln kann, daß sie in Gott war und Gott in ihr.

Mit solcher Gewißheit verbleibt ihr diese Wahrheit, daß sie, selbst wenn Jahre vergingen, ohne daß Gott ihr nochmals solch eine Gnade erwiese, sie dies nicht vergessen und nicht daran zweifeln könnte, daß er es war. Die Wirkungen, die dieses Erleben bei ihr hinterläßt, wollen wir jetzt noch nicht betrachten. Davon will ich später sprechen, denn es ist sehr wichtig. [...]

2. Kapitel

[...] Und sollte jemand behaupten, er fühle sich, seitdem er auf diese Stufe gekommen sei, immer in Ruhe und Annehmlichkeit – von dem würde ich sagen, daß er niemals so weit gekommen ist; daß er aber vielleicht, falls er bis in die vorige Wohnung gelangt ist, irgendeine Wonne erlebt hat, begünstigt durch natürliche Schwäche und möglicherweise sogar vom Satan, welcher der Seele Frieden einflößt, um sie danach desto heftiger zu bekriegen.

Ich will nicht sagen, daß diejenigen, welche in diese Wohnung kommen, keinen Frieden haben; denn sie haben ihn wirklich und in reichem Maße, da gerade diese Leiden, so schlimm sie sein mögen, doch von so hohem Wert und so guten Ursprungs sind, daß aus ihnen selber der Friede und die Freude kommen. Eben aus der Unzufriedenheit, welche die Seelen angesichts der irdischen Dinge empfinden, erwächst ein Verlangen, der Welt zu entrinnen, eine so schmerzliche Sehnsucht, die allenfalls nur der eine Gedanke lindern kann: Gott will es, daß wir in dieser Verbannung leben. Und nicht einmal dieser Trost genügt; denn noch ist die Seele, trotz allem, was sie gewonnen hat, nicht so in Gottes Willen ergeben, wie dies später zu sehen ist, obgleich sie unablässig danach strebt, sich ihm anzugleichen. Doch dies geschieht unter großem Schmerz und vielen Tränen. Sie kann nicht anders, weil ihr nicht mehr gegeben ist. Bei jedem Gebet ist dies ihr Kummer. Vielleicht kommt es auch von der großen Pein, die es ihr bereitet, wenn sie sieht, daß Gott beleidigt und wenig geachtet wird in dieser Welt, und wenn sie an die vielen Seelen denkt, die verlorengehen, seien es nun Ketzer oder Mauren. Doch am meisten ist es ihr leid um die Seelen der Christen; denn obwohl sie die Größe von Gottes Erbarmen sieht und obwohl sie weiß, daß jene Seelen – so übel sie auch dahinleben – sich bessern und retten können, fürchtet sie doch, daß viele verdammt werden.

O Herrlichkeit Gottes! Noch vor wenigen Jahren, ja vielleicht noch vor wenigen Tagen dachte diese Seele an nichts anderes als an sich selbst. Wer hat sie in solch schmerzliche Sorgen gestürzt? Denn so schmerzlich, wie diese Seele das jetzt empfindet, könnten wir es nicht fühlen, selbst wenn wir uns viele Jahre der Meditation hierüber widmen würden. [...]

3. Kapitel

[...] Doch was, meine Töchter, wird wohl sein Wille sein? Daß wir vollkommen seien, um eins zu sein mit ihm und dem Vater – wie Seine Majestät es erbeten hat. Schaut, wieviel uns noch fehlt, um dahin zu gelangen. [...] Hier aber verlangt der Herr nur zwei Dinge von uns: Liebe zu Seiner Majestät und zum Nächsten. Darum haben wir zu ringen. Bewahren wir sie ohne Fehl, so tun wir seinen Willen und sind dadurch eins mit ihm. [...]

Das sicherste Merkmal dafür, daß wir diese zwei Gebote halten, ist meines Erachtens die treue Wahrung der Liebe zum Nächsten. Denn ob wir Gott lieben, kann man nicht wissen (obwohl es deutliche Anzeichen gibt, die es erkennen lassen); aber ob wir unseren Nächsten lieben, das merkt man. Und ihr dürft mir glauben: Je mehr ihr hierin Fortschritte macht, um so tiefer ist eure Liebe zu Gott; denn Seine Majestät liebt uns so sehr, daß er als Lohn für die Liebe, die wir dem Nächsten entgegenbringen, unsere Liebe zu Seiner Majestät tausendfältig wachsen läßt. Daran kann ich nicht zweifeln.

Es ist sehr wichtig, mit großer Aufmerksamkeit darauf zu achten, wie wir uns in dieser Hinsicht verhalten. Wenn wir es hierin zur Vollkommenheit bringen, so ist alles gewonnen. Ich glaube nämlich, daß unsere Liebe zum Nächsten, weil wir von Natur aus böse sind, sich nie zur Vollkommenheit entwickeln kann, wenn sie nicht aus der Wurzel unserer Liebe zu Gott erwächst. [...]

Die sechste Wohnung

 

1. Kapitel

Beginnen wir denn mit Hilfe des Heiligen Geistes von der sechsten Wohnung zu sprechen, wo die Seele schon verwundet ist von der Liebe des Bräutigams, wo sie noch mehr nach Einsamkeit strebt und – je nach ihrem Stande – sich möglichst all dessen zu entledigen sucht, was ihr diese Einsamkeit stören könnte. Der Anblick, den sie erhalten hat, ist der Seele so eingemeißelt, daß es ihr ganzes Begehren ist, ihn erneut genießen zu können. [...]

Die Seele ist bereits fest entschlossen, keinen anderen Gemahl zu nehmen. Doch der Bräutigam achtet nicht auf ihr brennendes Verlangen, schon jetzt die Hochzeit zu halten; denn er will, daß sie es noch mehr ersehne und daß es sie etwas koste, weil es das höchste aller Güter ist. Und obwohl alles, was sie dafür auf sich nehmen muß, gering ist im Vergleich zu einem solch herrlichen, unermeßlichen Gewinn, sage ich euch, Töchter, daß sie es nicht aushalten könnte, wenn sie nicht schon ein Pfand und einen Beweis dafür hätte. Oh, mein Gott, wieviel innere und äußere Mühsal muß sie erleiden, bevor sie in die siebte Wohnung eintritt!

Wahrlich, manchmal, wenn ich darüber nachdenke, fürchte ich, daß unsere schwache Natur, wenn man dies vorher wüßte, wohl kaum je sich zu dem Entschluß aufraffen würde, alles auf sich zu nehmen und willig zu erdulden, trotz noch so herrlicher Güter, die einem dafür in Aussicht gestellt werden – es sei denn, die Seele wäre schon in die siebte Wohnung gelangt. Denn dort ist man der Angst enthoben, daß die Seele nicht bereit sein könnte, sich rückhaltlos hinzuwerfen und es Gott zuliebe zu erleiden. Der Grund dafür ist, daß sie fast immer in der unmittelbaren Nähe Seiner Majestät weilt. Daher stammt ihre Kraft.

Ich glaube, es wird jedoch gut sein, wenn ich euch einige der Leiden nenne, von denen ich weiß, daß sie einem hier mit Sicherheit begegnen. [...]

Zu diesen gehört ein Tratsch unter den Leuten, mit denen man zu tun hat, und auch unter solchen, die einem völlig fern stehen und von denen man nie vermutet hätte, sie könnten sich überhaupt an uns erinnern. Da heißt es dann: »Sie macht sich zur Heiligen; sie gibt sich überspannt, um die Leute zu täuschen und die anderen schlechtzumachen, die bessere Christen sind als sie, ohne solch ein feierliches Gehabe zur Schau zu stellen.« Dabei tut die Seele, von der die Rede ist, wohlgemerkt, nichts anderes, als daß sie sich darum bemüht, ihren Stand gewissenhaft zu wahren. Die einst ihre Freunde waren, trennen sich von ihr; und eben diese sind es, die ihr am ärgsten zusetzen. [...]

Und das Schlimme daran ist, daß diese Gerüchte nicht kommen und rasch wieder verschwinden, sondern sich das ganze Leben lang halten. Und eine warnt die andere, man möge sich davor hüten, mit derartigen Personen umzugehen.

Ihr werdet mir antworten, daß es auch solche gibt, die Gutes reden. O Töchter, wie wenige sind es, die daran glauben als an etwas Gutes, verglichen mit denen, die es schmähen! [...]

Wenn die Seele jedoch einmal so weit gekommen ist, daß sie solchen Lobsprüchen keine große Bedeutung mehr beimißt, so wird ihr das Geläster noch viel weniger gewichtig erscheinen, eher vergnügt es sie und klingt ihr wie eine sanfte Musik in den Ohren. Das ist eine wichtige Wahrheit. Es stärkt die Seele mehr, als daß es sie schwächt; denn die Erfahrung hat sie bereits gelehrt, welch großen Gewinn sie auf diesem Wege erhält, und sie ist nicht der Meinung, daß ihre Verfolger Gott beleidigen, sondern glaubt vielmehr, daß Seine Majestät ihnen die Erlaubnis zu ihrem Tun gegeben hat, damit sie dadurch einen großen Gewinn erlange. Und da sie dies mit aller Deutlichkeit fühlt, hegt sie für ihre Verleumder eine besonders innige Liebe; denn es scheint ihr, diese Menschen seien ihr die besseren Freunde und brächten ihr mehr Gewinn als die anderen, die gut von ihr reden.

Auch legt der Herr einem oft schwere Krankheiten auf. Das ist ein viel größeres Leiden, vor allem wenn starke Schmerzen damit verbunden sind. Sind sie heftig, so ist dies meines Erachtens das Schlimmste, was einen auf Erden treffen kann (äußerlich, meine ich), so viel einem hier auch zustoßen mag – falls die Schmerzen wirklich entsetzlich sind. Denn das Innere und Äußere wird dadurch zerrüttet, und die Seele wird davon so bedrückt, daß sie nicht mehr aus noch ein weiß und viel lieber jede Art von Martyrium, die schnell zum Tode führt, auf sich nehmen würde als diese Schmerzen. Der äußerste Grad an Heftigkeit hält zwar nicht lange an (denn Gott legt uns schließlich nicht mehr auf, als wir ertragen können, und Seine Majestät schenkt uns zuerst die Geduld dazu), doch andere schwere Qualen und Krankheiten vielerlei Art begleiten uns oft Tag für Tag. [...]

Oh, wenn wir von den innerlichen Leiden reden, müssen – falls es gelingt, sie auszudrücken – die anderen unwesentlich erscheinen. Ihre Erscheinungsweisen zu erklären ist unmöglich. [...]

Es bleibt einem in diesem Sturm nichts weiter übrig, als auf das Erbarmen Gottes zu warten, welches unversehens durch ein einziges Wort oder durch irgend etwas anderes alle Bedrängnis so rasch zerstreut, daß es scheint, als sei die Seele nie umwölkt gewesen. Von Sonne ist sie dann durchflutet und erfüllt von strahlenderem, reicherem Tröste denn je zuvor. Und wie jemand, der siegreich aus einer gefahrvollen Schlacht hervorgegangen ist, lobt sie unseren Herrn; denn er ist es, der den Sieg errungen hat. Und die Seele weiß sehr genau, daß sie nicht gekämpft hat, weil sie alle Waffen, mit denen sie sich hätte verteidigen können, in den Händen ihres Gegners zu sehen glaubte. Darum erkennt sie klar ihre Armseligkeit und begreift, wie erbärmlich wenig wir von uns aus tun könnten, wenn der Herr uns im Stich ließe.

Um das zu verstehen, braucht sie – wie es scheint – keine Betrachtung mehr; denn die Erfahrung ihrer eigenen völligen Ohnmacht, die sie dabei machte, hat ihr unsere Nichtigkeit und Armseligkeit offenbart. Die Gnade – die dennoch sie nicht verlassen haben konnte, da sie trotz all diesem Sturm Gott nicht beleidigte noch um alles in der Welt beleidigt hätte – war so verborgen, daß sie meinte, sie könne nicht einmal einen winzigen Funken in sich gewahren, der ihr verriete, daß sie Gott liebe oder daß sie ihn überhaupt je geliebt habe. Hatte sie etwas Gutes getan oder hatte Gott ihr irgendeine Gnade erwiesen, so erschien ihr dies alles als Traumgebilde oder Vorspiegelung ihrer Phantasie. Von ihren Sünden dagegen wußte sie sicher, daß sie wirklich von ihr begangen worden waren. [...]

2. Kapitel

Es scheint, als hätten wir den kleinen Falter weit hinter uns gelassen; doch es scheint nur so. Denn diese Leiden sind es, was ihn noch höher emporfliegen läßt. Reden wir denn davon, wie der Bräutigam sich zu der Seele verhält und wie er, bevor er sich ihr ganz zu eigen gibt, eine große Sehnsucht danach in ihr erweckt, auf so zarte Weise, daß die Seele es selber nicht versteht und ich nicht glaube, es so ausdrücken zu können, daß es jemand begreift, der es nicht erlebt hat. Denn es sind so zarte, feine Antriebe, die vom tiefsten Inneren der Seele ausgehen, daß ich keinen passenden Vergleich dafür nennen kann.

Es ist ganz anders als alles, was wir hier anstreben können, ja auch ganz anders als die Wonnen, von denen wir sprachen. Denn oftmals, wenn der Betreffende sich dessen gar nicht versieht und sich überhaupt nicht an Gott erinnert, erweckt ihn Seine Majestät wie durch den rasch vorüberhuschenden Lichtschweif eines Meteors oder einen Donnerschlag, obwohl kein Schall zu hören ist. Doch die Seele erfaßt genau, daß Gott sie gerufen hat, und so unzweifelhaft ist dieses Erkennen, daß sie zuweilen – vor allem am Anfang – davor erschauert und sogar jammert, ohne daß ihr etwas weh täte. Sie fühlt sich verwundet auf höchst wohltuende Weise, doch sie errät nicht, wie und durch was sie verwundet worden ist. Doch sie erkennt genau, daß dies etwas sehr Kostbares ist, und niemals wollte sie von jener Wunde geheilt sein. Mit Worten der Liebe klagt sie, sogar hörbar – denn sie kann nicht anders –, ihrem Bräutigam, weil sie weiß, daß er da ist, doch sich nicht so offenbaren will, daß sie sich an ihm erfreuen könnte. Das ist für sie eine heftige, aber dennoch angenehme und süße Qual. Und selbst wenn sie davon befreit sein wollte, könnte sie ihr nicht entrinnen. Doch niemals wollte sie dies. Es befriedigt sie noch viel mehr als die wonnevolle, schmerzlose Versunkenheit im Gebet der Ruhe. [...]

Hier braucht man sich nicht zu überlegen, ob es etwas sein könnte, das unserer eigenen Natur entstammt oder von der Melancholie hervorgerufen worden ist; ob es ein teuflischer Betrug oder die Vorspiegelung einer Laune ist. Denn es ist gut zu erkennen, daß die Bewegung von dort ausgeht, wo der Herr weilt, der unwandelbar ist. Und die Wirkungen sind nicht dieselben wie bei anderen Zuständen der Andacht, wo die tiefe Versunkenheit in der Wonne uns Zweifel erwecken kann. Hier schauen alle Sinne und Seelenkräfte, fern jeder Versunkenheit, was das sein kann, ohne – wie mir scheint – jene lustvolle Pein im geringsten zu stören und ohne sie steigern oder aufheben zu können. [...]

2. Kapitel

[...] Noch eine andere Weise gibt es, in welcher der Herr zu der Seele redet und von der ich glaube, daß sie ganz gewiß von Gott stammt. Es ist eine Schau des Verstandes, die ich im folgenden beschreiben werde. Sie ereignet sich so tief im Inneren der Seele, und so klar meint man jene Worte mit den Ohren der Seele vom Herrn selber zu hören, so im geheimen, daß eben die Art, wie man die Worte vernimmt, zusammen mit den Vorgängen, die durch diese Vision selber ausgelöst werden, einem die Gewißheit verleiht, daß hieran der Satan nicht beteiligt ist. Dieses Erlebnis hinterlässt starke Wirkungen, die für eine solche Überzeugung sprechen; zumindest hat man die Sicherheit, daß es nicht aus der Einbildung stammt. Und die Seele kann diese Gewißheit immer haben, wenn sie auf die folgenden Beweisgründe achtet. – Erstens: Die Worte müssen sich durch eine besondere Klarheit auszeichnen; denn sie sind so deutlich zu vernehmen, daß die Seele sich an jede einzelne Silbe erinnert, die sie vernommen hat. Ebenso bleibt es ihr im Gedächtnis, ob es in diesem oder jenem Stil gesagt worden ist, obgleich der Sinn ein und derselbe sein mag. Bei den Vorspiegelungen der Einbildung wird die Sprache nicht so klar und die Worte werden nicht so unverwechselbar sein, alles wird vielmehr halb wie geträumt erscheinen. – Zweitens: Redet Gott zu der Seele, so geschieht es oft, daß sie die Worte hört, ohne daß sie an derlei gedacht hat; ich meine: es kommt überraschend, ja manchmal, während man sich im Gespräch mit anderen befindet. Freilich beziehen sich die Worte häufig auf etwas, das einem geschwind durch den Kopf geht oder das man früher gedacht hatte. Aber oft geht es um etwas, von dem man keine Ahnung hatte und von dem man nicht einmal dachte, daß dies überhaupt möglich wäre. Darum kann es wohl nicht die Einbildung hervorgerufen haben, als eine Selbsttäuschung der Seele, die sich damit etwas vorspiegeln würde, was sie nie ersehnt oder gewollt hat und was ihr nie in den Kopf gekommen ist. – Drittens: In dem einen Fall verhält sich der Angeredete wie jemand, der hört. Ist es aber ein Werk der Einbildung, so verhält sich der Betreffende wie jemand, der nach und nach das ersinnt, was er selber gesagt bekommen will. – Viertens: Die Worte Gottes sind ganz anders als alles, was wir zu hören gewohnt sind, und ein einziges von ihnen enthält vieles, was unser Verstand nicht so schnell zusammenbrächte. – Fünftens: Mit den Worten, die Gott zur Seele sagt, wird einem oft – ich kann nicht sagen, auf welche Weise – viel mehr zu verstehen gegeben, als die Worte selber sagen. Von dieser Art des Verstehens, die etwas sehr Feines ist und einen zum Lobe Gottes drängt, werde ich an anderer Stelle noch mehr reden; denn schon viele Menschen sind wegen dieser Wahrnehmungsweise und ihrer Besonderheit in große Zweifel geraten, vor allem eine Person, der es selber widerfahren ist. [...]

4. Kapitel

Bei diesen Leiden und Schwierigkeiten, wie ich sie hier erwähnte, und all den übrigen – was für eine Ruhe kann es da für den armen, kleinen Falter geben? Alles trägt dazu bei, daß die Seele sich noch mehr danach sehnt, sich des Bräutigams zu erfreuen. Und die göttliche Majestät, die unsere Schwachheit kennt, macht sie auf diese Weise und mit noch anderen Mitteln dazu bereit, daß sie den Mut faßt, sich mit einem so großen Herrn zu vereinen und ihn zum Bräutigam zu nehmen.

Ihr werdet darüber lachen, daß ich dies sage, und es wird euch unsinnig erscheinen; denn jede von euch wird meinen, daß es dazu keines Mutes bedarf und daß es kein noch so niederes Weib gibt, das nicht kühn genug wäre, sich mit dem König zu verloben. Sicher ist es so bei dem irdischen König, das glaube ich auch. Aber bei dem Himmelskönig, das sage ich euch, ist dazu mehr Mut erforderlich, als ihr meint; denn unsere Natur ist für ein so großes Unterfangen viel zu furchtsam und niedrig, und ich bin fest davon überzeugt, daß wir – obwohl ihr genau erkennt, wieviel Gutes diese Verbindung uns bringt – doch nicht dazu imstande wären, wenn nicht Gott uns diesen Mut schenkte. Und da werdet ihr sehen, was Seine Majestät tut, um diese Verlobung zustande zu bringen. Soweit ich es verstehe, geschieht dies wohl dann, wenn er der Seele Verzückungen schenkt, wodurch er sie ihren Sinnen entreißt. Sähe sie sich nämlich mit ihren Sinnen so nahe dieser großen Majestät, so könnte sie wohl kaum am Leben bleiben. [...]

Hier will ich nun einige Arten der Verzückung darstellen [...].

Es gibt eine Art der Verzückung, wo es scheint, als lasse Seine Majestät, während die Seele sich angerührt fühlt von einem Worte Gottes (dessen sie sich erinnert oder das sie hört, sei es auch nicht im Gebet), den erwähnten Funken aus dem Inneren der Seele zur Flamme wachsen, getrieben vom Erbarmen, weil er sie so lange leiden sah aus Sehnsucht nach ihm. Vom Feuer völlig verzehrt, ersteht sie neu, wie ein Vogel Phönix, befreit von ihren Sünden, die ihr – wie man in frommer Demut glauben darf – vergeben worden sind. [...] Nach meiner Erfahrung ist die Seele in diesem Zustand wacher und aufgeschlossener denn je für die Dinge Gottes, und nie zuvor war sie so erfüllt von dem mächtigen Licht und der tiefen Erkenntnis Seiner Majestät.

Das mag unmöglich erscheinen, weil die Seelenkräfte oder Fähigkeiten so hingerissen sind, daß man sagen kann, sie seien tot, genau wie die Sinne. Wie soll man da verstehen, daß die Seele dieses Geheimnis erfaßt? Ich weiß es nicht, und vielleicht ist das keinem Geschöpf bekannt, sondern nur dem Schöpfer selber, wie vieles andere auch, was auf dieser Stufe, ich meine: in diesen beiden Wohnungen geschieht; denn die sechste und die letzte könnte man gut als eine nehmen, da es zwischen ihnen keine verschlossene Türe gibt. Weil es jedoch in der letzten Wohnung Dinge gibt, die sich denen nicht offenbart haben, die noch nicht bis dorthin gelangt sind, schien es mir besser, sie getrennt darzustellen.

Hält es der Herr für gut, der Seele, während sie in diesem Zustand der Entrücktheit ist, einige Geheimnisse zu offenbaren, etwa gewisse himmlische Dinge und bildhafte Visionen, so kann sie dies nachher berichten, und es bleibt so tief ihrem Gedächtnis eingeprägt, daß sie es nie wieder vergißt. Sind es aber [rein geistige] Verstandesgesichte, so kann sie dies nicht schildern; denn es gibt in solchen Augenblicken wohl mancherlei derart erhabene Visionen, die nicht dazu bestimmt sind, von denen, die auf der Erde leben, so erfaßt zu werden, daß man es mit Worten wiedergeben könnte. [...]

O meine Schwestern! Was wir aufgegeben haben, ist nichts, alles ist nichts, was wir auch tun oder tun könnten für einen Gott, der sich so einem Wurme mitteilen möchte! Und da wir Hoffnung haben, noch in diesem Leben dieses Gut zu genießen – was tun wir? Womit halten wir uns noch auf? Was kann uns dazu nötigen, auch nur einen Augenblick noch zu warten, bevor wir diesen Herrn suchen, wie die Braut des Hohenliedes ihn suchte auf Straßen und Plätzen?

Oh, Tand und Gaukelwerk ist alles, was die Welt uns bietet, wenn es uns nicht dahin bringt, uns nicht dazu verhilft, selbst wenn ihre Genüsse, ihre Reichtümer und alle erdenklichen Wonnen, die sie uns verschaffen mag, ewig währten! Denn alles ist Ekel und Unrat, verglichen mit diesen Schätzen, deren Genuß ohne Ende sein wird; und selbst diese sind nichts neben dem, was es bedeutet, daß wir den Herrn all dieser Schätze, des Himmels und der Erde zu eigen haben.

O menschliche Blindheit! Wann endlich, wann wird dieser Erdenstaub von unseren Augen gewischt? [...]

Dieser Zustand hält nur eine kurze Weile an (ich meine: ohne Unterbrechung); denn sobald diese große Entrücktheit ein wenig nachläßt, scheint es, als komme der Körper wieder etwas zu sich, als hole er Luft, um erneut zu sterben und der Seele ein größeres Leben zu gewähren. So hält bei alledem diese große Ekstase nicht lange an.

Aber es kommt vor, daß der Wille, obwohl die Verzückung nachläßt, so versunken bleibt und der Verstand so außer sich verharrt, einen ganzen Tag, ja mehrere Tage lang, daß es scheint, als seien sie unfähig, etwas anderes wahrzunehmen, als was den Willen zur Liebe erweckt; denn dafür ist er hellwach, während er zugleich schläft und nicht bereit ist, irgendein Geschöpf ins Auge zu fassen oder sich mit ihm einzulassen.

Oh wenn die Seele wieder völlig zu sich kommt, wie verwirrt ist sie da und wie übermächtig das Verlangen, sich Gott zu widmen, für ihn zu wirken, auf welche Weise auch immer er sich ihrer bedienen will! Wenn schon die früheren Gebete solche Wirkungen hinterließen, wie wir beschrieben – was wird da erst die Folge einer so großen Gnade sein, wie wir sie hier erfahren?

Tausend Leben wollte die Seele haben, um sie alle Gott hinzugeben, und sie wünschte, alle Dinge, die es auf Erden gibt, wären Zungen, die ihn lobten in ihrem Namen. Die Sehnsucht, Buße zu tun, ist übermächtig, und indem sie diese vollzieht, tut die Seele nichts Großes; denn erfüllt von der Kraft der Liebe, leidet sie wenig, soviel sie auch vollbringt, und sie erkennt klar, daß die Märtyrer in den Qualen, die sie erlitten, nichts Besonderes taten, da es leicht fällt, wenn einem diese Hilfe des Herrn zuteil wird. Und darum beklagen sich diese Seelen bei Seiner Majestät, wenn sich ihnen keine Gelegenheit zum Leiden bietet. [...]

5. Kapitel

Eine weitere Art der Verzückung gibt es – ich nenne sie Geistesflug –, die man im Inneren völlig anders empfindet, obwohl ihr Wesen ein und dasselbe ist wie bei allen übrigen. Urplötzlich fühlt man nämlich zuweilen eine so rasche Regung der Seele, daß es scheint, als werde der Geist mit einer Schnelligkeit hingerissen, die einem heftige Furcht einjagt, besonders am Anfang. Darum sagte ich euch, daß derjenige, dem Gott diese Gnade erweist, großen Mut braucht, außerdem Glaube, Vertrauen und die hingebungsvolle Bereitschaft, unseren Herrn mit der Seele machen zu lassen was er will. [...]

Doch kehren wir zurück zu diesem jähen Hingerissensein des Geistes. Es scheint dabei wirklich so, als verlasse er den Leib, wobei es andererseits keinen Zweifel gibt, daß die betreffende Person nicht tot ist; zumindest einige Augenblicke lang aber kann sie selber nicht sagen, ob sie im Körper ist oder nicht. Es scheint ihr, als sei sie mit ihrem ganzen Wesen in einer fremden Region gewesen, die ganz anders ist als die, in der wir leben. Dort zeigt sich ihr ein anderes Licht, das so verschieden von dem hiesigen ist, daß es ihr unmöglich wäre, auch wenn sie sich ihr ganzes Leben lang darum bemühte, es sich mit all den anderen Dingen auszudenken. In einem Augenblick wird ihr da eine solche Unzahl von Dingen gezeigt, daß sie in vielen Jahren der Mühe mit ihrer Phantasie und ihrem Denken nicht ein Tausendstel davon zusammenbrächte. Dies ist keine Vision des Verstandes, sondern eine bildhafte Schau die man mit den Augen der Seele viel besser aufnehmen kann, als wir hier mit denen des Körpers sehen; und ohne Worte werden ihr da mancherlei Dinge klar. [...]

Auch wenn ihr vielleicht meint, daß etwas, das so rasch vorübergeht, von keinem großen Nutzen sei, ist doch der Wert, den es in der Seele hinterläßt, so groß, daß er nur von dem zu erfassen ist, der es erlebt hat. Daraus ist klar zu ersehen, daß es kein Werk des Satans ist. Weder die eigene Einbildung noch der Teufel könnten einem Dinge vor Augen führen, die eine solche Wirkung, solchen Frieden, solche Ruhe und so viel Gewinn in der Seele hinterlassen, vor allem aber drei Dinge in reichem Maße: Erkenntnis der Größe Gottes (denn je mehr wir davon sehen, um so mehr begreifen wir sie); Selbsterkenntnis und Demut (durch den Eindruck, wie ein Wesen, das so niedrig ist im Vergleich zum Schöpfer so vieler Herrlichkeiten, es gewagt hat, ihn zu beleidigen, und noch immer wagt, zu ihm aufzublicken); und als dritte Frucht: eine Geringachtung aller Dinge dieser Erde, außer denen, die sie im Dienst für einen so großen Gott gebrauchen kann.

Dies sind die Kleinode, die der Bräutigam seiner Braut zu schenken beginnt, und sie sind von so hohem Wert, daß die Braut sie mit Sorgfalt bewahrt. Diese Gesichte bleiben nämlich dem Gedächtnis so eingemeißelt, daß es mir unmöglich scheint, sie könnten jemals der Erinnerung verlorengehen, bis zu jener Zeit, wo die Seele sich auf ewig daran erfreut. Geschähe es dennoch, so wäre es für sie ein schrecklicher Schade. Doch der Bräutigam, der ihr diese Geschenke macht, ist mächtig genug, ihr auch die Gnade zu verleihen, daß sie dieselben nicht verliert. [...]

6. Kapitel

Diese Gnaden hinterlassen in der Seele ein so großes Verlangen, sich dessen, der dies alles für sie tut, ganz zu erfreuen, daß sie in heftiger und doch lustvoller Qual lebt. Eine unbändige Sehnsucht nach dem Tode erfüllt sie, und deshalb fleht sie, meist unter Tränen, Gott darum an, sie wegzunehmen aus dieser Verbannung. Alles ödet sie an, was sie hier erblickt. Ist sie allein, fühlt sie eine gewisse Erleichterung, aber dann stellt sich aufs neue dieser Schmerz ein, von dem sie niemals frei ist. Kurz gesagt: der kleine Falter kann keinen Platz finden, wo er dauernd ruhen könnte. Da die Seele von einer so innigen Liebe getrieben ist, drängt vielmehr alles, was dieses Feuer noch mehr entfacht, sie zum Weiterfliegen. [...]

Es ist nämlich keine Sehnsucht, die vorbeigeht, sondern eine, die ständig anhält, und wenn sich irgendeine Gelegenheit bietet, wo sie sich erweisen kann, so zeigt es sich, daß es keine Einbildung war. Warum sage ich »ständig«? Manchmal fühlt sich die Seele verzagt, und zwar bei den geringsten Dingen; sie ist verängstigt und hat so wenig Mut, daß es ihr unmöglich scheint, sich zu irgend etwas aufzuschwingen. Meiner Ansicht nach überläßt der Herr sie da ihrer eigenen Natur, zu ihrem noch viel größeren Nutzen und Heil; denn da sieht sie, daß der Mut, den sie vielleicht einmal für irgend etwas aufgebracht hat, ihr von Seiner Majestät eingegeben wurde. Sie erkennt dies in einer Klarheit, die sie selber vernichtet und sie noch deutlicher das Erbarmen Gottes erfahren läßt und seine Größe, die er an einem so niederen Wesen erweisen wollte. Meist herrscht jedoch in der Seele die Sehnsucht, von der ich vorhin gesprochen habe. [...]

Es ist eine solch überschwängliche Lust der Seele, daß sie es nicht allein genießen, sondern allen sagen möchte, damit sie gemeinsam mit ihr unseren Herrn preisen; denn dazu drängt ihr ganzes Gefühl. Oh, was für Feste würde sie feiern, wenn sie könnte, und es allem Volk verkünden, damit jedermann ihre Wonne verstünde. Es ist, als habe sie sich selber gefunden und als wollte sie, wie der Vater des verlorenen Sohnes, alle Welt einladen und große Freudenfeste bereiten, weil sie ihre Seele an einem Orte sieht, von dem sie mit Gewißheit glaubt, daß sie hier in Sicherheit ist, wenigstens in diesem Augenblick. Und ich glaube, sie hat recht damit; denn so viel Wonne im tiefsten Inneren der Seele, bei solchem Frieden und wo all ihre Freude sie drängt zum Lobe Gottes – das kann unmöglich der Satan eingeben.

Steigt die Freude mit so stürmischer Gewalt empor, dann fällt das Schweigen recht schwer, und sie zu verheimlichen, ist keine geringe Qual. [...]

7. Kapitel

Vielleicht meint ihr, Schwestern – vor allem diejenigen unter euch, die nicht diese Gnaden erlangt haben –, daß die Seelen, denen sich der Herr auf so besondere Weise mitteilt, schon so sicher seien, immer sich seiner zu erfreuen, daß sie nichts mehr zu fürchten hätten und ihre Sünden nicht mehr beweinen müßten. Das wäre ein schlimmer Irrtum; denn die Sünden schmerzen nur um so mehr, je mehr uns von Gott geschenkt wird. Wer wirklich ein solches Geschenk von Gott empfangen hat, wird mir das bestätigen. Und ich bin überzeugt, daß der Schmerz nicht aufhören wird, bis wir dort sind, wo uns nichts mehr ein Leid zufügen kann. [...]

Manche Seelen meinen wohl auch, sie könnten nicht mehr an die Passion denken. Noch weniger werden sie also an die heiligste Jungfrau oder das Leben der Heiligen denken können – Erinnerungen, die uns so viel nützen, uns so ermutigen. Ich kann mir nicht vorstellen, an was sie überhaupt denken; denn von allem Körperlichen getrennt sein bedeutet für engelhafte Geister, immer in Liebe entflammt zu sein; doch wir, die wir in einem sterblichen Leibe leben, sind darauf angewiesen, von jenen zu reden, an jene zu denken und uns in das Geleite derer zu begeben, die in eben diesem leiblichen Dasein so große Taten für Gott vollbrachten. Noch weniger begreife ich, wie man sich absichtlich von dem entfernen kann, der unser ganzes Heil und unsere Rettung ist – von der heiligsten Menschlichkeit unseres Herrn Jesus Christus. [...]

Ich glaube, das kommt wohl daher, daß bei der Meditation alles ein Suchen nach Gott ist und daß die Seele, wenn sie einmal Gott gefunden hat und daran gewöhnt ist, ihn immer aufs neue mit Hilfe des Willens zu suchen, nun sich nicht mehr mit dem Verstand ermüden möchte. Und es scheint mir auch, als wolle der Wille, diese großmütige Seelenkraft, da er schon entflammt ist, jene andere Fähigkeit nicht in Anspruch nehmen, wenn es nicht unumgänglich ist. Damit handelt er nicht böse; doch er kann nicht auf das Denken verzichten, vor allem nicht, bevor er in diese letzten Wohnungen gelangt; er wird sonst nur Zeit verlieren, denn oft bedarf es der Hilfe des Verstandes, damit der Wille entflammt wird.

Achtet auf diesen Punkt, Schwestern, denn er ist wichtig und ich will ihn deshalb noch genauer erklären. Die Seele ist voll der Sehnsucht, sich ganz der Liebe hinzugeben, und möchte nichts anderes mehr gewahren. Doch das ist unmöglich, auch wenn sie dies will; denn der Wille ist zwar nicht tot, aber das Feuer, das ihn entbrennen läßt, ist immer am Erlöschen, und es braucht einen, der hineinbläst, damit es Hitze aussprüht. [...]

8. Kapitel

[...] Es kann geschehen, daß die Seele, während sie mit keinem Gedanken daran denkt, ihr könnte eine solche Gnade widerfahren, ja sogar wenn sie niemals der Meinung war, eine solche zu verdienen, plötzlich Jesus Christus unseren Herrn an ihrer Seite fühlt, obgleich sie ihn nicht sieht, weder mit den Augen des Leibes noch mit denen der Seele. Diese Gnade nennt man intellektuelle Vision, ich weiß nicht warum. [...]

Es ist eine Gnade des Herrn, welche die tiefste Verwirrung, Beschämung und Demut hervorruft. Käme es vom Satan, so geschähe genau das Gegenteil; und da es etwas ist, das deutlich erkennbar von Gott gegeben wurde – denn keine menschliche Anstrengung würde hinreichen, solche Gefühle zu erwecken –, kann derjenige, der das erfährt, unmöglich meinen, dieses Gut sei ihm eigen; er betrachtet es vielmehr als eine Gabe aus der Hand Gottes. Und obwohl – wie mir scheint – manche der früher genannten Gnaden noch größer sind, bringt diese doch eine besondere Erkenntnis Gottes mit sich, und aus dieser ständigen Nähe erwächst eine überaus zarte Liebe zu Seiner Majestät, eine noch größere Sehnsucht, sich ganz seinem Dienst zu widmen, und eine große Reinheit des Gewissens, weil die Anwesenheit, die sie neben sich fühlt, sie auf alles achten läßt. Denn obschon wir ja wissen, daß Gott bei allem zugegen ist, was wir tun, ist doch unsere Natur so, daß wir es oft vergessen, daran zu denken. Das ist in diesem Fall unmöglich, weil der Herr, der bei der Seele ist, diesen Gedanken immer wachhält. Auch werden die früher genannten Gnaden noch sehr viel häufiger, da die Seele fast immer von einer unmittelbaren Liebe zu dem erfüllt ist, den sie sieht oder von dem sie weiß, daß er neben ihr weilt. [...]

Sie [die Priorinnen] sollten aber nicht meinen, daß eine Schwester, die etwas Derartiges erlebt, besser sei als die anderen. Der Herr führt eine jede, wie er es für nötig hält. Falls man diese Hilfe nützt, ist es eine Vorbereitung, um zu einer willigen Dienerin Gottes zu werden. Doch zuweilen führt Gott die Schwächsten auf diesem Weg; und deshalb gibt es daran nichts zu billigen und nichts zu verdammen. Auf die Tugenden sollte man vielmehr schauen und darauf achten, wer mit der größten Selbstaufopferung, Demut und Reinheit des Gewissens unserem Herrn dient, denn sie wird die Heiligste sein. Freilich kann man das hier auf Erden nur mit geringer Sicherheit erkennen, ehe der wahre Richter einem jeden zuteilt, was er verdient. Da werden wir erschrecken, wenn wir sehen, wie sehr sich sein Urteil von unserer Ansicht unterscheidet. Er sei gelobt in Ewigkeit. Amen.

9. Kapitel

[...] Ist der Herr so gegenwärtig, wie ich es im letzten Kapitel beschrieben habe, schaut, dann ist es, als hätten wir in einem goldenen Kästchen einen kostbaren Stein von höchstem Wert und gewaltigen Kräften. Wir wissen mit unanfechtbarer Gewißheit, daß er darin ist. Obgleich wir ihn nie gesehen haben, helfen uns die Kräfte des Steines, wenn wir ihn bei uns tragen. Haben wir ihn auch nie erblickt, schätzen wir ihn doch, weil wir aus Erfahrung wissen, daß er uns von verschiedenen Krankheiten geheilt hat, gegen die er das rechte Mittel ist. Aber wir wagen nicht, ihn anzuschauen oder auch nur das Kästchen zu öffnen, und wir können es auch nicht. Denn wie es zu öffnen ist, das weiß nur der, dem das Juwel gehört, und obwohl er uns den Edelstein geliehen hat, damit wir ihn zu unserem Heil gebrauchen, hat er den Schlüssel für sich behalten. Ihm gehört es, und er wird es öffnen, wenn er den Stein uns zeigen will, und er wird es auch wegnehmen, wenn es ihm beliebt – was er tatsächlich tut.

Stellen wir uns nun vor, er wolle das Kästchen unerwartet öffnen, dem zuliebe, dem er es geliehen. Natürlich hat dieser danach eine noch viel größere Freude daran, wenn er sich an den herrlichen Glanz des Steines erinnert, und er wird ihn deshalb auch klarer im Gedächtnis bewahren. Genauso geht es hier, wenn es unserem Herrn gefällt, die Seele noch reicher zu beschenken. Er zeigt ihr deutlich seine heiligste Menschlichkeit, in der Weise, die ihm beliebt, entweder so, wie er auf der Erde wandelte, oder in der Gestalt des Auferstandenen. Und obwohl das so schnell geschieht, daß wir es mit einem Blitz vergleichen könnten, bleibt dieses höchst glorreiche Bild dem Bewußtsein so eingegraben, daß es mir undenkbar erscheint, es könne jemals wieder daraus getilgt werden, ehe die Seele es dort erschaut, wo sie sich für immer daran erfreuen kann.

Ich spreche zwar von einem Bild, aber ihr müßt wissen, daß es dem, der es sieht, nicht wie gemalt erscheint, sondern als wirklich lebendig, und zuweilen redet es mit der Seele, ja es zeigt ihr große Geheimnisse. Dauert dies auch eine gewisse Zeit, so müßt ihr doch wissen, daß man es nicht länger anschauen kann, als man in die Sonne zu blicken vermag. Darum währt dieser Anblick immer nur sehr kurz, und das nicht, weil sein Glanz wie ein Blick in die Sonne das innere Auge – mit dem man das alles sieht – schmerzt. [...]

O Herr, wie wenig kennen wir Christen Dich. Was wird geschehen, wenn Du eines Tages kommst, uns zu richten? Wenn Dein Anblick hier, wo Du in solcher Freundschaft kommst, um mit Deiner Braut zu reden, solchen Schrecken erregt. [...] Ich sage euch wahrhaftig, daß ich, trotz meiner Erbärmlichkeit, niemals die Qualen der Hölle gefürchtet habe. Sie wären nichts, verglichen mit der Vorstellung, daß die Verdammten diese so schönen, sanften und gütigen Augen des Herrn von Zorn erfüllt sehen werden. Ich glaube nicht, daß mein Herz dies ertrüge. Wieviel mehr muß es dann der fürchten, dem er sich so herrlich offenbart hat! Denn das Gefühl ist dabei derart, daß die Seele außer sich gerät und nichts mehr fühlt. Das ist wohl die Ursache, weshalb sie aufgehoben wird; denn der Herr hilft ihrer Schwachheit, damit sie sich vereine mit seiner Größe in dieser so erhabenen Verbindung mit Gott. [...]

10. Kapitel

[...] Beliebt es dem Herrn, so geschieht es, daß die Seele, während sie im Gebet und voll bei Sinnen ist, jählings von einer Entrückung erfaßt wird, in welcher der Herr ihr große Geheimnisse zu verstehen gibt, die sie anscheinend in Gott selber sieht. Denn dies sind keine Visionen der allerheiligsten Menschlichkeit, und wenn ich auch sage, die Seele sehe, sieht sie doch nichts, weil es keine Vision ist, sondern eine rein intellektuelle Schau, wo sich ihr enthüllt, wie in Gott alle Dinge geschaut werden und wie er sie alle in sich birgt. Das ist von großem Nutzen, weil es – obgleich es in einem Augenblick vorüber ist – der Seele tief eingemeißelt bleibt und mit schrecklicher Bestürzung sie klarer denn je erkennen läßt, wie übel wir tun, wenn wir Gott kränken, da wir in Gott selber – das heißt: während wir uns in seinem Inneren befinden – entsetzliche Frevel begehen. [...]

Und bedenken wir auch, Schwestern, welch große Barmherzigkeit und Geduld Gott uns damit erzeigt, daß er uns nicht augenblicklich zerschmettert. Laßt uns von Herzen ihm dafür danken, und schämen wir uns dessen, wie empfindlich wir selber sind, wenn man uns etwas antut oder wider uns redet. Denn es ist die schlimmste Schandtat der Welt, wenn wir sehen, mit welcher Langmut Gott unser Schöpfer so viele Bosheiten seiner Geschöpfe in sich selber duldet, und wir dann irgendein Wort, das einmal in unserer Abwesenheit und vielleicht ohne böse Absicht gesagt worden ist, übel nehmen. [...]

11. Kapitel

[...] Das Sehnen, die Tränen, die Seufzer und heftigen Auftriebe, von denen ich gesprochen habe, scheinen alle aus unserer Liebe hervorzugehen, unter großem Schmerz. Doch all dies ist nur wie ein schwelender Brand, den man ertragen kann, wenn auch mit Pein, und ist nichts im Vergleich mit dem Späteren. Wenn die Seele so entbrannt ist und sich verzehrt, geschieht es oft, durch einen flüchtigen Gedanken (Wie lange der Tod wohl noch auf sich warten läßt? – oder durch irgendein Wort, das sie daran erinnert), daß von irgendwoher – man begreift nicht, woher es kommt oder wie – ein Stoß sie trifft oder etwas wie ein feuriger Pfeil. Ich sage nicht, daß es ein Pfeil ist; aber was es auch sein mag – man erkennt klar, daß es nicht aus unserer Natur kommen kann. Genauso wenig ist es ein Stoß, auch wenn ich »Stoß« sage; doch es verwundet scharf, und zwar nicht dort, wo man gewöhnlich die Schmerzen fühlt, sondern – so scheint es mir – zutiefst im Inneren der Seele. Dahinein schlägt dieser Blitz, der alles, was er Irdisches an unserer Natur findet, geschwind durchzuckt und in Staub verwandelt. [...]

Die siebte Wohnung

 

1. Kapitel

[...] Wenn es also Seiner Majestät beliebt, ihr die Gnade zu erweisen, von der wir sprachen, und er diese göttliche Ehe mit ihr eingehen will, so führt er sie zuerst in seine Wohnung. Und er wünscht, daß dies nicht so vor sich geht wie bei anderen Gelegenheiten, wo er sie entrückte; denn ich glaube zwar, daß er da und in dem sogenannten Gebet der Vereinigung sich mit ihr verbindet, aber die Seele hat dabei doch nicht den Eindruck, als sei sie berufen, in die innerste Mitte einzutreten, wie jetzt in dieser Wohnung, sondern als gelange sie in deren oberen Teil. [...]

Nachdem sie durch eine Verstandesschau in jene Wohnung geführt worden ist, zeigt sich ihr – gleichsam als Darstellung der Wahrheit – die Heilige Trinität, in allen drei Gestalten, mit einer Entflammung, die zuerst wie eine Wolke höchster Klarheit vor ihren Geist kommt. Und durch eine wundersame Wahrnehmung, die der Seele zuteil wird, begreift sie, daß all die drei Gestalten gewißlich und wahrhaftig ein Wesen sind und eine Macht und ein Wissen und ein einziger Gott. Was wir im Glauben festhalten, erkennt die Seele dort – so können wir sagen – im Schauen, obwohl dies kein Schauen mit den Augen des Körpers oder der Seele ist, da es sich um keine bildhafte Vision handelt. Hier teilen sich ihr all die drei Personen mit, reden zu ihr und erläutern ihr jene Worte des Herrn, die im Evangelium stehen: Er und der Vater und der Heilige Geist würden kommen, um bei der Seele zu wohnen, die ihn liebt und seine Gebote hält.

Oh, großer Gott, was für ein Unterschied ist es doch, ob man diese Worte hört und glaubt oder ob man auf diese Weise begreift, wie wahr sie sind! Und jeden Tag verwundert sich diese Seele mehr; denn es scheint ihr, als wichen die drei Personen nie mehr von ihr. Sie sieht vielmehr eindeutig – in der beschriebenen Weise –, daß sie im Inneren ihrer Seele weilen. In der allerinnersten Mitte, ganz unten, in einer Tiefe, die sie nicht beschreiben kann, weil sie unwissend ist, fühlt sie in sich diese göttliche Gesellschaft. [...]

2. Kapitel

[...] Wir müssen nämlich wissen, daß ein riesiger Unterschied zwischen allen vorhergegangenen Visionen und dem besteht, was wir in dieser Wohnung schauen; ein Unterschied, der so groß ist wie der zwischen der geistlichen Verlobung und der geistlichen Ehe, oder wie der zwischen einem verlobten Paar und zweien, die sich nicht mehr trennen können. [...]

Was der Herr hier der Seele in einem Augenblick mitteilt, ist ein so großes Geheimnis und eine so hohe Gnade, und das Entzücken, das die Seele dabei empfindet, ist so übermächtig, daß ich es mit nichts anderem vergleichen kann als der Seligkeit im Himmel, die der Herr ihr durch diesen Augenblick offenbaren will, und zwar in erhabenerer Weise als bei irgendeiner sonstigen Vision oder anderen geistigen Wonnen. [...]

Die geistliche Verlobung ist anders; denn da gibt es oft eine Trennung. Und auch die Vereinigung ist nicht von dieser Art. Obwohl »Vereinigung« bedeutet, daß zwei Dinge sich zu einem verbinden, können sie sich schließlich doch wieder trennen und jeder für sich bleiben. So erleben wir es oft, daß jene Gnade des Herrn schnell vorübergeht und die Seele sich danach nicht mehr in jener Gemeinschaft befindet; ich meine: nicht mehr so, daß sie es merkt. Bei dieser Gnade des Herrn aber, von der wir jetzt sprechen, gibt es keine Trennung mehr, denn immer bleibt die Seele mit ihrem Gott in jener Mitte. Wir wollen sagen: Die Vereinigung gleicht zwei Wachskerzen, die man so dicht aneinanderhält, daß beider Flammen ein einziges Licht bildet; und sie ist jener Einheit ähnlich, zu der der Docht, das Licht und das Wachs verschmelzen. Danach aber kann man leicht eine Kerze von der anderen trennen, so daß es wieder zwei Kerzen sind, und ebenso läßt sich der Docht vom Wachs lösen.

Hier jedoch ist es, wie wenn Wasser vom Himmel in einen Fluß oder eine Quelle fällt, wo alles nichts als Wasser ist, so daß man weder teilen noch sondern kann, was nun das Wasser des Flusses ist und was das Wasser, das vom Himmel gefallen; oder es ist, wie wenn ein kleines Rinnsal ins Meer fließt, von dem es durch kein Mittel mehr zu scheiden ist; oder aber wie in einem Zimmer mit zwei Fenstern, durch die ein starkes Licht einfällt: dringt es auch getrennt ein, so wird doch alles zu einem Licht. [...]

Durch eine Art geheimen Anhauchs gewahrt man deutlich, daß es Gott ist, der unserer Seele Leben gibt. Und dieser Anhauch ist oft so stark, daß überhaupt nicht daran zu zweifeln ist; denn die Seele fühlt es sehr genau, auch wenn sie es nicht ausdrücken kann. So heftig ist jedoch manchmal dieses Empfinden, daß es zuweilen zärtliche Worte hervorruft, die man anscheinend unweigerlich aussprechen muß: »Oh, Leben meines Lebens und Nahrung, die mich erhält!« oder ähnliches. [...]

Um aber zum vorher Gesagten zurückzukehren: man darf das nicht so verstehen, als blieben die Fähigkeiten, die Sinne und Leidenschaften ständig in diesem Frieden. Die Seele selber, ja; doch in den anderen Wohnungen gibt es noch immer Zeiten des Streits, der Leiden und Mühsale, wenn auch nicht in dem Maße, daß sie dadurch ihres Friedens beraubt und von ihrer Stätte verdrängt werden könnte. So ist es jedenfalls meistens. Dieses Zentrum unserer Seele – oder dieser Geist – ist etwas, das so schwer sich ausdrücken läßt und auch so schwierig zu erfassen ist durch den Glauben, daß ich fürchte, Schwestern, ihr könntet in die Versuchung geraten, meinen Worten zu mißtrauen, weil ich mich nicht verständlich machen kann; denn sagt man, es gebe Drangsal und Leiden, und behauptet zugleich, die Seele sei im Frieden, so ist dies schwer zu begreifen. [...]

3. Kapitel

Jetzt ist also dieser kleine Falter gestorben, voll überschwenglicher Freude, daß er nun zur Ruhe gefunden hat und Christus in ihm lebt. Schauen wir also, welches Leben er jetzt führt und wie sich dies von seinem früheren Dasein unterscheidet; denn an den Wirkungen werden wir erkennen, ob es wahr ist, was hier gesagt worden ist. Ich weiß von den folgenden:

Die erste Wirkung ist eine Selbstvergessenheit der Seele, die so weit geht, daß es – wie gesagt – wirklich so scheint, als existiere sie überhaupt nicht mehr. Sie ist so völlig verwandelt, daß sie sich selbst nicht mehr kennt noch sich daran erinnert, daß es für sie einen Himmel oder Leben oder Ehre gibt, weil ihr ganzes Wesen damit beschäftigt ist, für Gottes Ehre zu sorgen. [...]

Die zweite Wirkung ist ein Verlangen nach großem Leiden, aber nicht in der Weise, daß dies Verlangen sie beunruhigt, wie früher; denn die Sehnsucht, der Wille Gottes möge in ihr geschehen, der diese Seele nun erfüllt, ist so übergroß, daß sie alles, was Seine Majestät tut, als gut betrachtet: will er, daß sie leidet, wohlan; will er es nicht, so zermartert sie sich deshalb nicht wie einst.

Auch bereitet es solchen Seelen eine große Wonne, wenn sie verfolgt werden, und sie fühlen dabei einen viel tieferen Frieden als bei den früheren Gelegenheiten, ohne gegen jene, die ihnen Böses tun oder Böses zufügen wollen, irgendwelche Feindschaft zu hegen. Sie fassen vielmehr eine besondere Liebe zu ihnen, und wenn sie dieselben in einer Bedrängnis sehen, empfinden sie ein tiefes Mitleid und würden alles auf sich nehmen, um sie davon zu befreien. Aus freiem Herzen und tiefem Verlangen empfehlen sie dieselben in Gottes Schutz, und von den Gnaden, die Seine Majestät ihnen gewährt, würden sie mit Freuden etwas missen, wenn sie dafür jenen zuteil würden, damit sie unseren Herrn nicht länger beleidigen.

Am allermeisten verwundert mich aber, daß nun – nachdem ihr ja gesehen habt, unter wieviel Mühen und Qualen diese Seelen sich nach ihrem Tode sehnten, um sich unseres Herrn zu erfreuen –, daß nun ihr Verlangen, ihm zu dienen, ihn zu rühmen und womöglich einer Seele sich hilfreich zu erweisen, so groß ist, daß sie nicht nur keine Sehnsucht nach dem Tod empfinden, sondern noch viele, viele Jahre voll schwerster Mühen leben wollen, um so möglicherweise etwas dazu beizutragen, daß Gott gepriesen werde, sei es auch nur im Allerkleinsten. Und wüßten sie auch gewiß, daß die Seele, sobald sie den Leib verläßt, sich der Gegenwart Gottes erfreut, so wäre ihnen dies gleich. Sie denken nicht an die Herrlichkeit, in der die Heiligen leben, noch ist es ihr Wunsch, diese schon jetzt zu erfahren. Ihre Seligkeit sehen sie darin, daß sie alles daransetzen, um dem Gekreuzigten irgendwie zu helfen, falls dies möglich ist; vor allem, wenn sie gewahren, wie oft er beleidigt wird und wie wenige es gibt, die ernsthaft nach seiner Ehre trachten, ohne sich noch um irgend etwas anderes zu kümmern. [...]

Die Wünsche dieser Seelen gelten also nicht mehr den Gnadengeschenken und Wonnen, weil sie den Herrn selber bei sich haben und es Seine Majestät ist, die nun in ihnen lebt. Wie wir wissen war sein eigenes Leben nichts als ständige Marter, und das unsere macht er nun dem seinen gleich, zumindest was unser Sehnen und Wollen betrifft; denn im übrigen leitet er uns, wie man schwache Gefährten führt. Sieht er jedoch, daß die Seelen es brauchen, so läßt er sie teilhaben an seiner Stärke. [...]

4. Kapitel

[...] Wenn der Herr uns seine Liebe erwiesen hat in solch ungeheuren Werken und Qualen – wie wollt ihr ihn da allein mit Worten zufrieden stellen? Wißt ihr, was es heißt, wahrhaft geistlich zu leben? Zu Sklaven Gottes werden, die er – gezeichnet mit seinem Brandmal, weil sie ihm ihre Freiheit schon hingegeben haben – verkaufen kann als Sklaven der ganzen Welt, wie es mit ihm selbst geschah. Damit wird uns kein Schimpf angetan, sondern eine Gnade erwiesen, die nicht gering ist. Wer sich dazu nicht entschließt, der braucht nicht zu befürchten, er werde sehr viel weiter kommen; denn dieses ganze Bauwerk geistlichen Lebens hat die Demut zum Fundament, und wenn diese nicht wirklich und tatsächlich vorhanden ist, so wird es der Herr – schon um euretwillen – nicht sehr weit in die Höhe bauen wollen, damit nicht alles einstürzt. Um gute Fundamente zu bekommen, Schwestern, müßt ihr also danach streben, die geringste von allen zu sein und die Sklavin aller, und müßt schauen, wie und durch was ihr den anderen Freude machen und ihnen dienen könnt. Was ihr da tut, macht ihr mehr für euch als für sie; denn da legt ihr so feste Steine, daß die Burg euch nicht einstürzt.

Ich sage es nochmals: allein mit Gebet und Beschauung könnt ihr euer Fundament nicht legen. Wenn ihr nicht nach Tugenden trachtet und euch nicht tätig darin übt, werdet ihr immer Zwerge bleiben. Ja, Gott gebe, daß dann das Wachsen nimmer stockt; denn ihr wißt doch: Wer nicht wächst, schrumpft ein. Ich halte es für unmöglich, daß die Liebe sich damit begnügt, ständig auf der Stelle zu treten. [...]

Schon früher habe ich erklärt, daß der Satan manchmal den Wunsch nach gewaltigen Taten in uns erregt, damit wir nicht nach dem Nächstliegenden greifen. So versäumen wir es, Gott mit dem Möglichen zu dienen, und begnügen uns am Ende damit, daß wir das Unmögliche ersehnen. Vom Gebet einmal abgesehen, mit dem ihr viel helfen könnt, solltet ihr nicht gleich der ganzen Welt beistehen wollen, sondern denen, die mit euch zusammenleben. Und euer Werk wird so noch größer sein, weil ihr diesen noch mehr verpflichtet seid. Meint ihr, es sei ein kleiner Gewinn, wenn ihr so demütig seid, euch selber abtötet, einem jeden dient, ein solch tiefes Erbarmen mit allen fühlt und Gott so von Herzen liebt, daß dieses Feuer auch alle anderen entflammt und ihr durch die Macht eures Strebens auch die übrigen Tugenden in ihnen weckt? Nein, dies wäre ein reicher Lohn und ein Dienst, der dem Herrn große Freude macht. Und wenn ihr das verwirklicht, was ihr tun könnt, wird Seine Majestät erkennen, daß ihr gern noch viel mehr tätet, und wird euch darum einen Lohn geben, als hättet ihr ihm viele Seelen gewonnen.

Ihr werdet sagen, das sei kein »Bekehren«, weil hier ja alle fromm seien. Was kümmert euch das? Je besser die Seelen werden, desto erfreulicher wird ihr Lobpreis dem Herrn klingen und desto mehr wird ihr Gebet dem Nächsten nützen.

Zum Schluß, meine Schwestern, noch den Rat: Bauen wir keine Türme ohne Fundament; denn der Herr sieht nicht so sehr auf die Größe der Werke wie auf die Liebe, mit der sie getan werden. Tun wir, was wir können, so wird Seine Majestät es uns schenken, daß wir jeden Tag mehr vermögen. Laßt uns nicht gleich müde werden, sondern die kurze Zeit, die dieses Leben noch währt – und vielleicht ist sie kürzer, als der einzelne denkt – dem Herrn das Opfer darbringen, das wir ihm bieten können. [...]