Zur neuen Dimension des weltweiten Wettrüstens

Das Zeitfenster von 2009 bis 2012: Zeit zum Handeln

Das weltweite Wettrüsten hat mit Rüstungsausgaben von 1,34 Billionen Dollar eine neue, bedenkliche Dimension erreicht, wie vor dem Jahreswechsel durch den verspätet veröffentlichten Rüstungsexportbericht im Advent 2008 bekannt wurde. Dabei steht ausgerechnet Deutschland als Rüstungsexporteur beim Waffenhandel auf Platz Drei in der Welt nach USA und Russland. Aus geisteswissenschaftlicher Sicht besteht unter Einbeziehung historischer Zusammenhänge und spiritueller sowie karmischer Hintergründe bei der Betrachtung dieser Hochrüstungspolitik am Beginn des 21. Jahrhunderts  Anlass zu größter Besorgnis angesichts der höchsten Rüstungsaktivitäten in der Menschheitsgeschichte seit Christi Geburt.


Weltweit wurden in 2007 rund 1.339 Mrd. Dollar für Rüstung ausgegeben, das ist ein Anstieg seit 1998 um 45%, wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut ermittelte. Die Zahl der Länder, die ihre Militärausgaben erhöhten, war im Jahr 2007 höher als je zuvor. Allein in Deutschland belaufen sich die Rüstungsausgaben auf 37 Mrd. Dollar, höher als in Russland mit 35,4 Mrd. Dollar. Zehn Prozent der weltweiten Ausfuhr an konventionellen Waffen stammen aus Deutschland. Niemand gebietet der in den vergangenen zehn Jahren gewaltig gewachsenen Rüstung Einhalt, im Gegenteil: Im deutschen Bundeshaushalt für 2009 wurde der Verteidigungsetat gegenüber 2008 trotz Wirtschaftskrise nochmals um 5,6% angehoben, von ca. 29 Mrd. auf 31 Mrd. Euro.

Für Rüstungspolitik wird mehr Geld ausgegeben als für sämtliche Aufgaben von Bildung, Forschung und Kultur, von Gesundheit, Umwelt, Landwirtschaft  und Ernährung sowie Verkehr, Städtebau und Wohnen zusammengenommen. Längst werden Menschen in aller Welt, vor allem in Problemländern, mit deutschen Waffen getötet, durch den „Export des Todes“, wie Friedensnobelpreisträger Willy Brandt die Rüstungsexporte bezeichnete. Fast 10 Millionen Menschen sind weltweit in der Rüstungsindustrie tagtäglich mit der Herstellung von Waffen zum Töten von Menschen beschäftigt.

Am Grad der Rüstung gemessen, befindet sich die ganze Welt im Krieg, und sei es im weltweiten  „Krieg gegen den Terror“ als Vorwand für die militärische Hochrüstung. Die fundamentalistische Einteilung der Menschen in Bürger und Terroristen hat nach Aussagen des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan ein schreckliches „Feuertor aufgestoßen“. Der Widerspruch zwischen den wortreich verkündeten Idealen und den Realitäten ist so groß wie immer in verlogenen Vorkriegszeiten. Die Chancen für die Wiederbelebung der internationalen Rüstungskontrolle und der Abrüstungspolitik in dieser Hochrüstungsphase sind nicht sehr rosig. In Deutschland lagern immer noch die letzten US-Atomwaffen aus der Zeit des kalten Krieges, rund 66 Jahre nach Beginn des Atomzeitalters und dem grauenhaften Schatten der Kriegsjahre 1943 bis 1945.

Waffeneinsätze als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln?

Geschichtlich kam es früher oder später immer zum intensiven Einsatz der produzierten Waffen nach dem Hochschrauben von Rüstungsaktivitäten, zumal in wirtschaftlichen Krisenzeiten wie den gegenwärtigen. Denn „wer zu dem Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen“. Nach Auslaufen der aktiven Friedens- und Abrüstungspolitik der 70er und 80er Jahre ist seit der Jahrhundertwende jedenfalls die militärische Hemmschwelle gesunken und der Wille zu weltweiten bewaffneten Kampfeinsätzen mit Todesopfern gestiegen. Kriegshandlungen als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sind mittlerweile auch für Deutsche und Europäer als Bündnispartner kein Tabu mehr, soweit moralische oder ideologische Werte oder wirtschaftliche Interessen dafür bemüht werden.

In einem Bertelsmann-Gutachten für die EU unter Beteiligung von Rüstungslobbyisten wird sogar unverblümt empfohlen, europäische Kampfeinsätze in aller Welt nicht länger mit einem humanitären Deckmäntelchen zu kaschieren, sondern die Bevölkerung an Waffeneinsätze für wirtschaftliche Interessen (in Zeiten des ohnehin entlarvten „Raubtierkapitalismus“) zu gewöhnen. Der Kampf „jeder gegen jeden“ ist ausgerufen. Dazu will Bertelsmann publizistische Unterstützung leisten - als Botschafter einer sich ankündigenden Krankheit am Beginn des 21. Jahrhunderts?

Es wird nicht mehr zur bloßen „Abschreckung“ gerüstet, sondern für den tatsächlichen Einsatz, in einem geschichtlich nie dagewesenen Ausmaß. Trotzdem durfte ein Oberstleutnant Stefan Hintz, Kompanieführer der stationierten Streitkräfte in Meßstetten, der sich selber als hoher Brüsseler Militärstratege ausgab, ausgerechnet in der Wochenschrift Goetheanum (Nr. 27/2008) wahrheitswidrig die angeblich fortlaufende „Abrüstung“ und Streitkräftereduzierung in Europa behaupten, um damit das Bewusstsein bei der anthroposophischen Leserschaft ungehindert zu trüben.

Menschenrechte, Völkerrechte und Grundrechte werden verbogen

Weltweite präventive Kriseneinsätze, auch Kampfeinsätze unter dem Vorwand „Humanitärer Missionen“ sowie der militärische statt polizeiliche Kampf gegen die Piraten haben nun auch Deutschland und Europa in die Rolle eines Weltpolizisten gebracht, seitdem behauptet wird, deutsche Interessen werden auch am Hindukusch und am Kap Horn vor Afrika (laut Verteidigungsminister Jungk und dem vorherigen Verteidigungsminister Struck) verteidigt. Auch vor völkerrechtlich nicht legitimierten Angriffskriegen mit der Begründung von Bündnisverpflichtungen wie z.B. im ehemaligen Jugoslawien sowie in den Ölländern Afghanistan und im Irak, die alle drei mit einer politischen Lüge begründet wurden, wird nicht mehr zurückgeschreckt.

Neu hinzugekommen ist die veränderte deutsche und europäische Militärdoktrin, künftig auch militärische Einsätze zur Sicherung von Rohstoffen und Handelswegen zu legitimieren. Mit dieser militärischen Wohlstandssicherung kommt es zunehmend zu einer Gewöhnung an die Militarisierung der Außenpolitik wie der Wirtschaftspolitik. Solcherart „Wirtschaftskriege“ sind eigentlich grundgesetzwidrig, denn sie dienen nicht der Landesverteidigung bei Angriffen von außen, sondern sie dienen den eigenen nationalen Wirtschaftsinteressen oder den europäischen Binnenmarktinteressen – mit dem „mächtigsten Binnenmarkt der Welt“ und erklärten politischen Weltmacht-Ambitionen.

Im Entwurf des EU-Verfassungsvertrages sowie inhaltsgleich im Lissabonner EU-Reformvertrag wird deshalb die permanente Aufrüstung und Aufstockung der Rüstungsetats quasi in den verbindlichen und verpflichtenden Verfassungsrang erhoben und durch eine Rüstungsagentur, kürzlich in „Verteidigungsagentur“ umgetauft, kontrolliert und gesteuert. Diese hat das Jahr 2008 zum „Jahr der Rüstung“ ausgerufen. Abrüstung kommt als Politikziel faktisch nicht mehr vor, auch wenn Deutschland vor kurzem endlich ein Abkommen gegen die Verbreitung von zu ächtender menschenrechtswidriger Streumunition unterzeichnet hat, nachdem es sich als einer der Rüstungsexportweltmeister lange Zeit einer solchen Vereinbarung hartnäckig verweigert hatte.

Hinderliche Demokratie wird im Einheitsstaat ausgehebelt

Angesichts der Rüstungspolitik kann es nicht der Rüstungs- und Wirtschaftslobby als „heimlicher Regierung der EU“ überlassen bleiben, wie die Militärpolitik auszusehen hat. Dass demokratische Bürgerbeteiligung an solchen elementaren Zukunftsfragen von der Wirtschafts- und Rüstungslobby und den mit ihr verflochtenen Politikern aber nicht wirklich gewünscht ist, liegt auf der Hand. Selbst die parlamentarische Beteiligung bei europäischen Waffen- und Kriegseinsätzen wurde in den EU-Verfassungs- und Reformverträgen ausdrücklich ausgeschlossen, ebenso eine Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof, der allerdings selbst auch nicht demokratisch legitimiert ist. Europa wird für Macht- und Wirtschaftsinteressen und militärische Interessen missbraucht.

Das dreifache Nein gegen eine von der Militärlobby geprägte Verfassung durch die Mehrheit der Bürger in Frankreich, den Niederlanden und in Irland hat keine Umkehr bewirkt, im Gegenteil: Nach dem Nein durch die Iren wurde als erstes überlegt, wie man gerade den militärischen Teil des Reformvertrages unabhängig von der Ablehnung separieren und dennoch realisieren kann. Laut Umfragen wäre auch in anderen Ländern bei einer Bürgerbeteiligung eine so geprägte Verfassung von den Menschen abgelehnt worden. Sie werden aber nicht gefragt – und selbst in der anthroposophischen Wochenschrift kamen im Herbst 2008 in Serie namhafte Stimmen aus Brüssel und Straßburg zu Wort, die eine demokratische Beteiligung der betroffen Menschen an „ihrer“ EU-Verfassung engagiert ablehnten, obwohl alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Die Nationalparlamente wie das Europaparlament sind durch die Machtzentrale in Brüssel als Exekutive, wo 30.000 ansässige Lobbyisten freien Zugang haben, ebenfalls in ihren Mitentscheidungsrechten  entmachtet – obwohl die erweiterte EU noch nicht rechtskräftig konstituiert ist ohne Vertragsabschluss.

Es wird offenbar nicht erkannt: Die EU als supranationaler Einheitsstaat ohne funktionierende Gewaltenteilung und mit der Durchmischung von Politik, Wirtschaft und Kultur ist das Gegenbild einer demokratischen dreigliedrigen Gesellschaftsstruktur mit Selbstverwaltungselementen. Demgegenüber hatte der ehemalige sowjetische Ministerpräsident Michail Gorbatschow im Zuge von Glasnost und Perestroika – als Ausgangsinitiative zur Überwindung der Teilung Europas – hervorgehoben: „Wir brauchen die Demokratie wie die Luft zum Atmen“. Denn Europa kann nur demokratisch sein und ist ohne Demokratie undenkbar, sonst wandeln wir bald „durch das verbrannte Europa“.

Der Irrglaube an die Macht der Waffen und des Militärischen

Peter Tradowski kommt in seinem Buch „Und das Licht schien in die Finsternis“ im Verlag am Goetheanum zu folgenden Erkenntnissen und Feststellungen: Das deutsche oder mitteleuropäische Geistesleben steht in seinem Wesenskern in einem Widerspruch zu allem Militärischen und Gewalttätigen. Technische Überheblichkeit, wirtschaftliches Konkurrenzstreben und vor allem der fatale Glauben an die Macht der Waffen ist eine anhaltende Verblendung. Das Volk in der Mitte Europas kann vernünftigerweise nur den merkurialen Ausgleich zwischen den Polaritäten und Dualitäten suchen; wirkliche Friedenspolitik ist das höchste Gut. Alles andere ist ein Irrweg, wie die zwei Weltkriege gezeigt haben. Der Weg der Waffen ist ein unmöglicher für Deutschland.

Es herrscht aber auch heute wieder der Unwille und die Unfähigkeit, den Irrtum als Irrtum zu erkennen. Anders ist die ausufernde Rüstungspolitik in Deutschland und Europa nicht zu erklären, die zu einem Großteil zum erstrebten Wirtschaftswachstum beiträgt. In der Zeit des „kalten Krieges“ standen sich die beiden großen Blöcke mit ihren Atombomben in einem atomaren Patt vernichtungsbereit gegenüber. Nur die unvorstellbaren Zerstörungskräfte haben den Vernichtungswillen in Schach gehalten. Heute ist es der „Krieg gegen den Terrorismus“, vom scheidenden US-Präsidenten Bush als „dritter Weltkrieg“ ausgerufen, mit dem die militärische Hochrüstung legitimiert wird in Ermangelung anderer Feindbilder. Materialismus und Militarismus haben ein Bündnis geschlossen zur Verstärkung dunkler Mächte.

Als Anthroposophen sollten wir aber die hinter den äußeren Geschehnissen und Entwicklungen liegenden geistigen Machtkämpfe und Realitäten erkennen lernen. Welchen Kräften und Mächten sowie welchen Bewusstseinstrübungen sind die handelnden Politiker und alle beteiligten, zumeist passiven Menschen erlegen und wem dienen sie? Werden die inneren und äußeren Zusammenhänge, die wirtschaftlichen, politischen und militärischen Zusammenhänge in ihrem Zusammenspiel durchschaut? Erkennen wir, anders als zwischen den Weltkriegen, diesmal die unübersehbaren Zeichen der Zeit? Und sind die unverbesserlichen Verteidiger dieser herrschenden Strukturen und Mächte, die ihr Wirkungsfeld gerade auch im europäischen supranationalen Einheitsstaat gefunden haben, auch in anthroposophischen Publikationsorganen, geistesgegenwärtig genug, um zu merken, welchen Irrtümern sie möglicherweise unterliegen?

Erkenntnisweg oder Leidensweg?

Die militärpolitische Fehlentwicklung, die Militarisierung der Politik korrespondiert mit dem irrealen wirtschaftlichen Irrweg in der gegenwärtigen Kapitalismuskrise und entspringt dem gleichen Ungeist. Die trinitarische Heilung durch die soziale Dreigliederung ist damals wie heute nicht in Sicht, so dass sich für Anthroposophen erneut die Frage nach dem eigenen Versagen stellt. Doch die Gegenmächte im Inneren wie im Äußeren sind gewaltig, vielleicht noch gewaltiger und erfolgreicher als zwischen den zurückliegenden Weltkriegen, die den mitteleuropäischen Sozial- und Geistesimpuls blutig vereitelt haben. Die materialistischen, antichristlichen Kräfte und Mächte haben sich auch nach Kriegsende in den Machtzentren Europas und der Welt eingenistet. Von Weltfrieden können wir nicht ernsthaft sprechen, denn Deutschland und Europa sowie ihre amerikanischen Verbündeten haben im Eigeninteresse die Kriegsschauplätze lediglich auf andere Kontinente außerhalb Europas räumlich verlagert - vorerst.

Wird, wie so oft in der jüngeren Menschheitsgeschichte, der Erkenntnisweg durch den Leidensweg mit „Blut und Tränen“ ersetzt, wie uns aktuell wieder das Kriegsgeschehen in Israel und in Palästina mit seinen Hassdämonen vorführt? Heutzutage ist die verworrene Situation an den vielen Kriegsschauplätzen in der Welt unter Verwendung deutscher Export-Waffen viel schwieriger zu durchdringen als in der Nazi-Zeit, in der es immerhin mutige Widerstandskämpfer gab. Damals gab es klare Feindbilder, heute ist der Feind in uns selber verborgen.

Als wachsame Zeitgenossen einerseits und als Anthroposophen andererseits sind wir jetzt zum mutigen michaelischen Handeln gefordert, denn das Zeitfenster zwischen den unmittelbar bevorstehenden Entscheidungsjahren 2009 bis 2012 ist zum Handeln sehr eng, auch für die anstehende europäische Politikausrichtung, beginnend mit dem Europawahljahr 2009. Was uns ab 2012 erwartet, ist in vielen anderen Zusammenhängen geisteswissenschaftlich ansatzweise beleuchtet worden und stellt uns vor noch ganz andere Herausforderungen. Dieses Thema sollte uns noch eine Weile beschäftigen, bevor es wieder einmal zu spät ist für ein geistesgegenwärtiges Handeln aus Erkenntnis.

Wilhelm Neurohr