Das Osterfest

von Wladimir Dal, aus: Bernd Rullkötter: Russische Ostergeschichten. Herder, 1988.


Dem Reichen geht es überall gut, dem Armen überall schlecht; nur im Märchen trifft der arme Schlucker es besser als der reiche Geldsack. Nun, wenn die guten Menschen den Armen schon nicht helfen, so haben sie sich wenigstens schöne Ge­schichten über sie ausgedacht, und dafür sei ihnen Dank. Hört also zu, ich will euch ein solches Mär­chen erzählen.

In der Ukraine gibt es gar vielerlei christliche Bräu­che, die den Menschen beim Leben und Altwerden und Sterben begleiten. Einer dieser Bräuche - kennt ihr ihn nicht, muß ich ihn erst einmal schildern, kennt ihr ihn schon, werdet ihr's mir nicht verden­ken - also, in der Ukraine gibt es den Brauch, daß in der Osternacht das Feuer niemals ganz ausgemacht wird. In jedem Haus läßt man unter der Asche noch Brand glimmen, die ganze Nacht, damit man was hat, woran das Kerzchen vorm Heiligenbild angezündet werden kann, wenn alles von der Ostermette zurück­kehrt. Wieder einmal war das langersehnte Osterfest gekommen, die Hausfrauen hatten am Karsamstag gebacken, gesotten, gebraten, damit man was hat, woran die eignen Leute wie auch ein hereingeschnei­ter Gast sich nach der langen Fastenzeit gütlich tun können. Wieder einmal standen die Osterbrote, Kulitsch heißen sie, die Spanferkel und die gebackenen Puter in zwei Reihen über den Kirchplatz, vom Tor bis zur Kirchentür. Und alle Leute waren festlich ge­wandet und sahen frohgestimmt dem Auferstehungs­fest entgegen.

In diesem Dorf lebte ein armer Mann, der war - weiß der Herrgott, warum - in Haus und Hof von Pech verfolgt. Ein Faulenzer war er nicht, ein Trun­kenbold auch nicht, sondern ein guter, arbeitsamer Mensch, und dennoch hatte er nichts als Pech. Nicht nur, daß ihm sein ganzes Viehzeug einging und weg­kam, daß er zweimal abbrannte - da muß ihm auch noch sein armes Weib sterben und eine Hütte voller Kinder zurücklassen. So war er denn Witwer und bet­telarm noch dazu. Keine Dirn, keine Witwe, die ihn zum Mann nehmen würde; die Kinder ohne Auf­sicht, die Frau im Haus fehlt, und so nahm die Not überhand. Welcher Mann wird schon allein fertig, ohne Frau, das ist doch kein Leben! Im Haus kommt er nicht rum, auf dem Acker auch nicht, und die Kinder können sehen, wo sie bleiben. So war er denn gänzlich verarmt und hatte an dem Feiertag nichts zu feiern. Nichts war bereitet, weder Osterbrot noch Spanferkel; was hätte er auch bereiten sollen, wo schon die ganze Fastenzeit im Ofen kein Feuer ge­brannt hatte: zu verfeuern hatten sie nichts, und warmzumachen auch nichts.

Während der ganzen Ostermette stand der arme Mann in der Kirche und betete inbrünstig. Danach tauschte er mit jedem den Osterkuß, und die Leute gaben ihm reichlich: hier eine Scheibe Osterbrot, da ein rotes Osterei. Wie freute er sich, daß seine Kinder was zum Auferstehungsmahl hatten! Er ging nach Haus, legte alles auf den Tisch, holte hinterm Heili­genbild das Kerzchen hervor, wollte es anstecken, sich dreimal bekreuzigen und die Kinder wecken. Da fiel ihm ein - er hatte ja kein Feuer, und draußen war noch finstere Nacht. Wie er sich erinnert, daß die guten Menschen für diesen Tag Glut aufheben, auch eine Kerze, oder das Öllämpchen wird nicht ge­löscht, da kommen ihm die früheren Zeiten in den Sinn, als er auch nicht schlechter lebte als andre Leute und eignen Brand im Haus hatte. Sei's drum, Gott hat es so gewollt.

Er ging zum Nachbarn und entbot ihm den Oster­gruß: „Christus ist auferstanden!“ - „Er ist wahrhaft auferstanden!“ - „Gebt mir Brand, gute Leute, damit ich das Kerzchen anzünden kann!“ - „Hör sich das ei­ner an! Hat das Osterfest vergessen, will sich außer Haus Brand besorgen! Geh heim, in Gottes Namen, heut hat jeder eignen Brand im Haus, und keinem steht der Kopf nach dir. Hast du wirklich nicht vor­gesorgt?“ So ging er, der arme Tropf, zum nächsten Bauern; dort lachten ihn die Frauen und Mädchen aus, weil er an solch einem Tag um Feuer von Hof zu Hof zog, und jagten ihn fort. Er drauf zum dritten Hof, zum vierten - überall das gleiche, überall wird der Tisch gedeckt, jeder hat zu tun und kann den ar­men Mann nicht gebrauchen. Die einen lachen ihn aus, andre schelten ihn gar und jagen ihn davon. „Zieh deines Wegs“, heißt es, „nach dir steht uns grad der Kopf, hol dir doch Brand auf dem Feld drau­ßen, bei den Kärrnern, da kriegst du was.“

Zu guter Letzt brach mein armer Mann in Trä­nen aus und dachte: „Mein Gott! Was müssen die Leute mich auch noch kränken? Sie kennen mich doch, bin kein Dieb, kein Trunkenbold, Not und Elend sind über mich hereingebrochen, weiß selbst nicht, wofür und woher, aber sie treiben noch obendrein ihren Spott mit mir ... Haben wohl sel­ber nie Not gekannt ... Gott wird ihnen verzeihen. Daß wir seit der Butterwoche kein Krümchen mehr im Haus hatten, kein einziges Mahl bereiten konn­ten, darnach fragen sie nichts. Statt dessen halten sie mir als Sünde vor, daß ich kein eignes Feuer habe.“

Bei diesen Gedanken stand der arme Schlucker mitten auf der Straße am Dorfausgang und wußte nicht, was tun, wohin sich wenden. Er blickte aufs freie Feld hinaus, da sah er einen Feuerschein.

'Fürwahr', dachte er, 'ich geh mir draußen bei den Kärr­nern Feuer holen, bleibt mir ja nichts andres mehr übrig. Wenigstens die Kärrner sagen wohl nicht nein, und sind es ja auch nur Kärrner. Auf denn! In dieser Nacht sollen meine Heiligenbilder nicht ohne Kerz­chen bleiben und meine Hütte nicht ohne Licht, es täte mir leid um die Kinder. Wie hell es aus allen Hütten leuchtet, eine Freude, die Straße hinabzu­schauen!'

So ging er zum Dorf hinaus und hielt geradewegs auf das Feuer zu. Tatsächlich, da lagerten Kärrner; auch sie gedachten des Feiertags, gleichwohl sie ihn auf freiem Feld begingen. In festtäglichen Kapuzen­mänteln und Kitteln saßen sie um das Feuer herum, offenbar waren auch sie erst vor kurzem von der Ostermette zurückgekehrt.

„Christus ist auferstan­den!“ - „Er ist wahrhaft auferstanden!“ - „Gebt mir Brand, gute Leute!“ - „Herzlich gern, doch worin trägst du ihn fort?“ - „So laßt mich wenigstens mein Kerzchen anzünden!“ - „Das bringst du nicht bis zum Dorf. Im Feld geht ein Wind, der bläst es aus. Halt den Schoß deines Kittels hin, wir schütten dir Brand auf den Kittelschoß.“ Ohne lange zu zögern, hielt der Mann den Kittelschoß hin, und die Kärrner scharrten Glut zusammen, mit den bloßen Händen, und schütteten sie auf seinen Kittel. „Geh mit Gott und fürchte dich nicht, du bringst sie wohlbehalten heim.“

Was unser Mann sich dabei dachte, als er die Glut auf den Kittel nahm, das weiß ich nicht; aber da er ein einfacher und gottesfürchtiger Mensch war, der nie einen ändern getrogen hatte, verwahrte er sein Kerzchen an der Brust, raffte den Kittelschoß und zog von dannen. 'Wenn die Leute die Glut mit blo­ßen Händen zusammenscharren und hineinschütten, warum soll ich sie nicht im Kittelschoß bis nach Haus bringen?'

Als er in seine Hütte trat, steckte er zuallererst das Kerzchen an, stellte es vor die Heili­genbilder, bekreuzigte sich dreimal auf Knien und erhob sich, um die milden Gaben aufzutischen und die Kinder zu wecken. Da fiel sein Blick auf die Platte vor dem Ofenloch, wo er die Glut aus dem Kittel­schoß hingeschüttet hatte, und da lag statt der Glut ein Haufen Gold, lauter Tscherwonzen.

War das eine Freude für den armen Schlucker! Er begriff, das hatte ihm Gott gesandt; er betete aber­mals, richtete die Osterbrotscheiben und Ostereier her, die er bekommen hatte, als er mit den Dörflern den Osterkuß tauschte, er weckte die Kinder und hieß sie schnellstens sich waschen, ihr Gebet verrich­ten, mit dem Vater und untereinander den Osterkuß tauschen, sich zu Tisch setzen und das Auferstehungsmahl einnehmen.

Wie nun der Nachbar, der dem Armen kein Feuer gegeben hatte, entdeckte, daß es hell aus dessen Hütte leuchtete, kam er zum Fenster hineinschauen, was da vor sich gehe, und erblickte auf der Ofen­platte einen Haufen Tscherwonzen. Verwundert be­trat er die Hütte und fragte den Armen aus, und dieser erzählte ihm ohne Hehl, wie alles gekommen war. Der Nachbar trat wieder auf die Straße, schaute in die Richtung, wohin der Arme gegangen war, und erblickte ebenfalls den Feuerschein. ,Warum nicht gar', dachte er, ,ich hol mir auch Goldstücke!' Und schritt davon.

Derweilen kam von einem ändern Hof ein Bauernweib gelaufen, schaute ebenfalls beim armen Mann zum Fenster hinein, schlug die Hände zusammen und betrat die Hütte, um sich an den Tscherwonzen zu ergötzen, den Nachbarn auszufragen und gehörig zu beneiden. Als sie erfahren hatte, wie alles zugegangen war, lief sie nach Haus und machte ihrem Mann Beine, kaum daß er nach seiner Mütze greifen konnte: Er solle schleunigst zu den Kärrnern aufs Feld hinaus, denn weil Ostern sei, würden dort die Goldstücke gaufelweise verteilt. „Raff mir bloß genug zusammen“, schrie sie ihm hinterdrein, „sonst muß ich dich, wenn du heimkommst, noch am heiligen Feiertag ausschimpfen!“

Nachdem sie ihren Mann hinausgescheucht hatte, lief sie wieder zum Fenster des Armen, dann nach Haus, dann wieder nach draußen, um nachzu­schauen, ob bei den Kärrnern noch Feuerschein leuchte. Die Nachbarinnen sahen sie und fragten, was los sei; erst hatte sie ja schweigen wollen, da­mit die ändern keine Tscherwonzen abbekämen, damit sie alles allein einheimse, aber sie hielt es nicht aus, erzählte alles und rannte gar im ganzen Dorf herum und führte alle zum Fenster des armen Schluckers, zeigte die Goldstücke und erzählte, welch ein Glück Gott diesem Menschen geschickt habe und wo es zu holen sei. Und alle Bauernweiber machten ihren Männern Beine, jagten sie zu den Kärrnern aufs Feld hinaus, damit sie möglichst viel Gold zusammenrafften und im Kittelschoß heimbrächten.

Wie nun die Bauern in großer Schar hinauszogen, trafen sie den Nachbarn, der als erster gegangen war. „Hast du was gekriegt?“ - „Und wie, zwei Gaufein ha­ben sie mir hineingeschüttet.“ - „Warte, Bruder, lauf nicht davon, wir holen uns auch was, und dann wird zusammengeschüttet und aufgeteilt, damit keiner das Nachsehen hat: So haben wir als Dorfgemeinschaft beschlossen, schließ du dich nun nicht aus.“ -“Meinetwegen“, sagte drauf der Nachbar, „wie ihr wollt.“

So kamen sie zu den Kärrnern, die immer noch ge­sittet um das Feuer herum saßen, zogen die Mützen, entboten den Ostergruß und baten um Brand. Die Kärrner schauten sie an, sagten aber kein Wort, au­ßer daß sie jeden der Reihe nach den Kittelschoß hin­halten hießen und jedem eine Gaufei Glut hinein­schütteten. „Eine reicht“, sagten sie, als die Bauern immer noch dastanden, als ob sie auf etwas warteten. „Nie habt ihr genug! Ihr seid zu so vielen gekommen, und es muß für alle langen.“ Nun, da bedankten sich meine Bauern eben, und wie sie sahen, daß die Glut wie ein Kiesel im Kittelschoß lag und nicht brannte, freuten sie sich und schritten wacker aufs Dorf zu nach Haus.

Sie freuten sich, meine Bauern, aber nicht lange. Kaum hatten sie die Kärrner verlassen, da sagte einer: „Was stinkt hier bloß so verbrannt? Riech mal, als hätt' wer zum Fest ein Schwein abgesengt.“ - „Rich­tig, es stinkt“, sagte ein andrer - und tut einen Schrei, denn er hat die Hand unter den Kittelschoß gehalten und hat sich verbrannt, und raus mit der Glut aus dem Kittelschoß, runter mit dem Kittel von den Schultern und drauf herumgetrampelt, zum Löschen, und der nächste Bauer genauso, der dritte, der vierte ... Schreie, Lärm, Gefluche, sie fallen über­einander her, beschimpfen einander: Alle haben sich die neuen Kittel und Kapuzenmäntel versengt, man­cher auch noch die Hände verbrannt; Rauch, Ge­stank, und die Kärrner, die sind verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt: Ochsen, Fuhrwerke, Kärrner, Feuer - alles ist weg.

„Hab ich nicht recht gehabt“, sagte die Nachbarin des Armen, die als erste ihren Mann nach Brand aus­geschickt hatte, „hab ich nicht recht gehabt, du Trot­tel, muß ich dich noch am heiligen Feiertag ausschel­ten! Hast dir den neuen Kittel verbrannt - und was nun?“

Der arme Schlucker aber war mit seinen Tscherwonzen ein reicher Mann geworden. Er nahm sich eine brave Dirn zur Frau, die seinen Kindern eine gute Mutter wurde.

Was das wohl für Kärrner waren?