Gedichte und Worte zu Ostern


Gedichte und Worte zu Ostern - aus dem Evangelium, von Novalis, Morgenstern, Goethe, Tolstoi, Kyber und Jiménez.


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Ich bin nicht ich.

Ich bin jener,
der an meiner Seite geht, ohne dass ich ihn erblicke,
den ich oft besuche,
und den ich oft vergesse.
Jener, der ruhig schweigt, wenn ich spreche,
der sanftmütig verzeiht, wenn ich hasse,
der umherschweift, wo ich nicht bin,
der aufrecht bleiben wird, wenn ich sterbe.

Juan Ramón Jiménez

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Golgatha

Die neunte Stunde hatte geschlagen.
Die Erde bebte, atemberaubt.
Da neigte der Gott, der das Kreuz getragen,
Sein dornengekröntes Haupt.
Aus Seiner Liebe Opferschale,
blutete Sein Erlöserblut.

Wiedergeweiht im heiligen Grale
war alle Schöpfung, die in Ihm ruht.
Wiedergekürt und wiedererkoren
war, was aus tausend toten Toren
dem Tod in die tausend Augen sah.
Die Sonne ward in die Erde geboren
im Mysterium von Golgatha.

Manfred Kyber

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Wie kannst du nur am Morgen
den Glanz der Sonne borgen
und leuchten wie sie selber schier?
Und dann, nach wenig Stunden,
ist alles hingeschwunden
und graue Nacht in dir!

Vergessen ist das Gute,
das köstlich in dir ruhte,
ein Grämling blickst du, freudenleer,
verdrossen aus dem Kleinen
unendl. kleinem Deinen
auf alles um dich her. 

O halte Herz, die Wonne
der goldnen Morgensonne,
die dir so hellen Tag gemacht,
hoch über trübem Trachten
mit Angst und strengem Achten
doch fest bis in die Nacht!

Christian Morgenstern

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Fern in Osten wird es helle,
Graue Zeiten werden jung;
Aus der lichten Farbenquelle
Einen langen tiefen Trunk!
Alter Sehnsucht heilige Gewährung,
Süße Lieb' in göttlicher Verklärung.

Endlich kommt zur Erde nieder
Aller Himmel sel'ges Kind,
Schaffend im Gesang weht wieder
Um die Erde Lebenswind,
Weht zu neuen ewig lichten Flammen
Längst verstiebte Funken hier zusammen.
Überall entspringt aus Grüften
Neues Leben, neues Blut,
Ew'gen Frieden uns zu stiften,
Taucht er in die Lebensfluth;
Steht mit vollen Händen in der Mitte
Liebevoll gewärtig jeder Bitte.

Lasse seine milden Blicke
Tief in deine Seele gehn,
Und von seinem ewgen Glücke
Sollst du dich ergriffen sehn.
Alle Herzen, Geister und die Sinnen
Werden einen neuen Tanz beginnen.
Greife dreist nach seinen Händen,
Präge dir sein Antlitz ein,
Mußt dich immer nach ihm wenden,
Blüthe nach dem Sonnenschein;
Wirst du nur das ganze Herz ihm zeigen,
Bleibt er wie ein treues Weib dir eigen.

Unser ist sie nun geworden,
Gottheit, die uns oft erschreckt,
Hat im Süden und im Norden
Himmelskeime rasch geweckt,
Und so laßt im vollen Gottesgarten
Treu uns jede Knosp' und Blüthe warten.

Novalis

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Wenn ich ihn nur habe,
Wenn er mein nur ist,
Wenn mein Herz bis hin zum Grabe
Seine Treue nie vergißt:
Weiß ich nichts von Leide,
Fühle nichts, als Andacht, Lieb' und Freude.

Wenn ich ihn nur habe,
Lass' ich alles gern,
Folg' an meinem Wanderstabe
Treugesinnt nur meinem Herrn;
Lasse still die Andern
Breite, lichte, volle Straßen wandern.

Novalis

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Ich sag' es jedem, daß er lebt
Und auferstanden ist,
Daß er in unsrer Mitte schwebt
Und ewig bei uns ist.

Ich sag' es jedem, jeder sagt
Es seinen Freunden gleich,
Daß bald an allen Orten tagt
Das neue Himmelreich.

Jetzt scheint die Welt dem neuen Sinn
Erst wie ein Vaterland;
Ein neues Leben nimmt man hin
Entzückt aus seiner Hand.

Hinunter in das tiefe Meer
Versank des Todes Graun,
Und jeder kann nun leicht und hehr
In seine Zukunft schaun. ...

Es kann zu jeder guten That
Ein jeder frischer glühn.
Denn herrlich wird ihm diese Saat
In schönern Fluren blühn.

Er lebt, und wird nun bei uns seyn,
Wenn alles uns verläßt!
Und so soll dieser Tag uns seyn
Ein Weltverjüngungs-Fest.

Novalis

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Ich meine, es müßte einmal ein sehr großer Schmerz über die Menschen kommen, wenn sie erkennen, daß sie sich nicht geliebt haben, wie sie sich hätten lieben können.
(Christian Morgenstern)

Wer den Einzelnen als einen Wanderer betrachtet, der immer wiederkehrt, wird aufhören, ihm entgegenzuarbeiten. Er sieht sich Schulter an Schulter mit ihm gehn und erkennt die Sinnlosigkeit jeglicher Feindschaft zwischen ihm und sich. Mag der Andre noch sein Feind sein wollen, er selber empfindet ihn nicht mehr als Feind; für ihn fällt er, wenn er sich und ihn sub specie aeterni anschaut, mit ihm selber beinahe zusammen. Mag der Andre ihn noch hassen, ja verachten, er selber wird nichts begehren, als ihm zu helfen, zu nützen, zu dienen. Er weiß, wie alles zusammenhängt. Nicht fabelt er unbestimmt von Zusammenhang, sondern der Zusammenhang liegt klar vor ihm.
(Christian Morgenstern)

Wenn dir der Gedanke kommt, daß alles, was du über Gott gedacht hast, verkehrt ist, und daß es keinen Gott gibt, so gerate darüber nicht in Bestürzung. Es geht vielen so. Glaube aber nicht, daß dein Unglaube daher rührt, daß es keinen Gott gibt. Wenn du nicht mehr an den Gott glauben kannst, an den du früher geglaubt hast, so rührt das daher, daß an deinem Glauben etwas verkehrt war, und du mußt dich besser bemühen, zu begreifen, was du Gott nennst...
(Leo Tolstoi)

Wenn die Hoffnungen sich verwirklichen, daß die Menschen sich mit allen ihren Kräften mit Herz und Geist, mit Verstand und Liebe vereinigen und voneinander Kenntnis nehmen, so wird sich ereignen, woran jetzt kein Mensch denken kann.
(J.W. Goethe)

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Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.
(1. Korintherbrief, 13)

Wenn ihr mich in Wahrheit liebt, so nehmet meine Weltenziele in euren Willen auf.
Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand, den Spender des Geistesmutes, senden,
der bei euch sein wird für diese ganze Weltenzeit, den Geist der Wahrheit und Erkenntnis.
Ihn können nicht alle Menschen aufnehmen. Sie sehen ihn nicht und erkennen ihn nicht.
Ihr aber erkennet ihn, denn er waltet als euer höheres Wesen über euch und wird in euer Inneres einziehen.
Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen. Ich komme zu euch.
Noch eine kurze Zeit, so sieht die Welt mich nicht mehr; ihr aber seht mich.
Ich lebe, und ihr sollte teilhaben an diesem Leben.
An jenem Tage werdet ihr erkennen, daß ich im Vater bin und ihr in mir und ich in euch.
Wer meine Weltenziele kennt und in seinen Willen aufnimmt, der ist es, der mich in Wahrheit liebt.
Und wer mich liebt, der wird geliebt werden von meinem Vater, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.
(Joh. 14, 15-21)