Gibt es die Auferstehung?

Horst Lindenberg: Gibt es die Auferstehung? Urachhaus, 1978.


Wer die Frage aufwirft: Gibt es die Auferstehung? muß damit rechnen, daß bei den Zuhörern ganz verschiedene Antworten darauf, Empfindungen, Vorstellungen, Begriffe aufwachen. Vielleicht liegt bei einigen eine tiefe, echte Gläu­bigkeit vor, mit der die Kunde der Auferstehung innerlich aufgenommen wird; bei anderen ein leises Bedauern, daß für sie eben nicht mehr diese kindlich frische Naivität da ist, mit der sie einen Glauben daran haben könnten. Und vielleicht ist bei wieder anderen eine gewisse Ratlosigkeit festzustel­len, was man denn überhaupt mit dem Begriff Auferstehung anfangen soll, aber sie haben sich entschlossen, diesen in sich aufzunehmen, was auch immer ihr Intellekt dazu sagt, sie bringen das „sacrificium intellectus“, das Opfer des Verstan­des. Es wird auch solche geben, die sagen: Das ist alles nur ein Mythos, und wir sind jetzt beim „Entmythologisieren“; es war für damals, als Christus über die Erde wandelte, für seine Jünger und die entstehenden Gemeinden wichtig, daß man alle großen Religionsstifter und größeren Ereig­nisse mythologisch einkleidete, daß man eine Mythologie brauchte, die wir aber in unserem aufgeklärten Zeitalter nicht mehr anerkennen können. 

So gibt es sehr verschiedene Meinungen über die Auferste­hung - man könnte noch viele anfügen -, aber eine wird wohl jetzt bei Ihnen hier nicht vertreten sein, sonst wären Sie gar nicht hergekommen: nämlich die der Gleichgültigkeit gegenüber solchen Fragen. Sicherlich gibt es noch viele, die sagen: Was geht uns das an, das hat mit dem Leben gar nichts zu tun, das ist vielleicht eine Sonntagsfrage, die mögen die Theologen und diejenigen, die in die Kirche gehen, für sich beantworten. Es scheint in dem wissenschaftlichen Klima, wie es heute herrschend ist, gar nicht günstig zu sein, eine solche Frage überhaupt zu stellen. Als der französische Astronom Laplace einmal von Napoleon gefragt wurde, warum in seinen astronomischen Werken das Wort Gottes nicht vorkäme, da sagte er: Ich habe diese These, diese Hypothese nicht nötig! Und die weitverbreitete heutige wissenschaftliche Gesinnung sagt ebenso: Religiöse Hypo­thesen brauchen wir bei unserem wissenschaftlichen For­schen nicht.

Nun ist die Entwicklung des weltanschaulichen Materialis­mus mit einer gewissen Zielstrebigkeit in eine Endphase hineingekommen, die wahrscheinlich noch ein paar Jahr­hunderte dauert - den Höhepunkt hat sie überschritten. Es herrscht eben noch im wissenschaftlichen Betrieb dieser weltanschauliche Materialismus. Wir haben eine technische Zivilisation, in der man sagt: Das, was greifbar ist, was meßbar ist, was wägbar ist, das allein erkennen wir an, alles andere nicht. [...]

Aber wenn wir uns klarmachen, wie die Pflanze in ihrem Keim zu wachsen beginnt und die Schwere, die nach unten zieht, überwindet und hinaufwächst, sich vom Licht empor­ziehen läßt, wenn man sieht, wie sich da aus den Blättern bis zur Knospe, bis zur Blüte, bis zur Frucht etwas völlig Neues entwickelt, was in dem Samenkorn nicht da war, dann fällt es jedem Unbefangenen schwer zu sagen, daß das kein Wunder sei. Oder wenn man im Tierreich Metamorphosen, Gestaltwandel sieht, wie da aus dem Ei - sagen wir, die Raupe schlüpft, eine einfache, wenig gegliederte, mit weni­gen Organen ausgerüstete Gestalt; aber im Inneren vollzie­hen sich dann große Umwälzungen, denn eines Tages, wie mit einem plötzlichen Entschluß, geht sie über in die Puppe, hört auf Nahrung zu nehmen, verkürzt sich, verdickt sich am Vorderende, spinnt sich fest in ihren Sarg ein; es geschieht eine Wandlung - und ein Schmetterling entsteht! Wenn diese Tiermetamorphose, die jeder beobachten kann, nicht doch ein Stück Wunder ist, dann fragen wir uns, was verstehen wir denn eigentlich unter Wunder? Es gehört natürlich Mut dazu, diesen Hiatus, diesen Abgrund zwi­schen den Gestaltwandlungen zu überspringen, die Kontinuität im Räumlichen reißt ab, jetzt ist es noch eine Raupe, nun ist es plötzlich ein ganz anderes Wesen, ein Schmetter­ling.

Und wenn wir auf den Menschen schauen: Sagen wir einmal, ein Chirurg würde den Leib des Menschen auf­schneiden, er nimmt das heraus, was herauszunehmen ist, er näht zu, er hat das feste Vertrauen, daß nun der Schnitt, den er setzen muß, allmählich als Narbe zuheilt, daß Kräfte im Menschen sind, die das jetzt wieder so weit befestigen können, daß nichts mehr offen bleibt. Das ist doch ein wirkliches - wie soll ich sagen - Stück Wunder, oder soll ich sagen: Das ist etwas, was man nicht allein aus der Anatomie, Physik oder der Chemie ableiten kann - wenn wir alles Überirdische zunächst weglassen? Die Anthroposophie Rudolf Steiners würde von diesen Kräften sagen: Das sind ätherische Bildekräfte und würde davon sprechen, daß wir es hier mit dem ersten übersinnlichen Glied zu tun haben, an dem man beobachten kann, daß es wirksam ist im menschli­chen Körper.

Alles das, was so im Lebendigen webt, ist natürlich etwas Wunderbares, aber hat es schon mit Auferstehung zu tun? Ist dieses Natürliche etwas, was mit dem zusammenhängt, wovon Paulus so begeistert sprach? Es ist ja dieser Paulus die erste Quelle, die wir im Christentum von dem Auferste­hungsphänomen überhaupt haben, die älteste Quelle. Vor ihm hat im Urchristentum noch niemand das Auferste­hungsphänomen so an die Herzen der Menschen herange­bracht. Er sagt:

„Als allererstes habe ich euch die Botschaft gebracht, wie ich sie selbst empfangen habe, daß der Chri­stus gemäß den alten Schriften für unsere Sündenkrankheit den Tod erlitten hat, daß er ins Grab gelegt wurde und daß er am dritten Tage auferstanden ist. Dann ist er dem Petrus erschienen, danach den Zwölfen, dann schauten ihn gleich­zeitig mehr als fünfhundert Brüder, von denen die meisten heute noch am Leben sind, doch einige bereits gestorben sind, dann erschien er dem Jakobus, dann allen Aposteln, am letzten von allen ist er auch mir, der ich eine Frühgeburt bin, erschienen.“

Das stellt er hin als etwas, was er erlebt hat. Nun könnte der heutige Mensch sagen: Es ist in dem damaligen etwas überschwenglichen und vielleicht gelocker­ten Bewußtseinszustand zu Visionen gekommen; da haben die Menschen sich allerlei vorgemacht. Das wollen wir durch unseren Vortrag noch zu klären suchen. Bei Paulus ist es so, daß er mit Ausschließlichkeit das Ereignis der Auferstehung auf Christus als den „Erstling“ bezieht. Er sagt, wie durch einen Menschen (Adam) der Tod, so ist durch einen Menschen (Jesus) die Auferstehung der Toten in die Welt gekommen. Und da hat er dann mit dem, was er nun den Menschen sagen will, versucht deutlich zu machen: Ohne diese Auferstehung wäre das Ganze, was als Verkündigung des Christentums in die Welt gekommen ist, gar nicht möglich. Wir finden zwar dann auch andere Stellen etwa in den Petrusbriefen, in den Reden des Petrus, wir finden die Ostergeschichten über den Auferstandenen bei den Evangelisten, die sind etwas später dazugekommen. [...]

Wenn wir uns fragen: Kann man denn nun mit einer klaren Erkenntnis an dieses Problem herangehen? Wir wollen ja über das Erkenntnisringen des religiösen Menschen spre­chen, und was ich hier gesagt habe, ist schon ein Teil dieses Ringens, daß man eben spürt, die Erkenntnis, über die wir zunächst verfügen, die sich eingliedert in die materialistische Weltanschauung, die nur das anerkennen will, was „wissen­schaftlich prüfbar“ ist, die kommt an die Auferstehung nicht heran.

Muß man nun, verehrte Zuhörer, wenn also mit der Erkenntnis nicht heranzukommen ist, eben doppelte Buch­führung machen? Hier ist der Glaube, durch den kann ich das glauben, was überliefert ist, und auf der anderen Seite steht das, was die heutige Wissenschaft bisher erkannt hat.

Aber vielleicht ist das, was wir Erkennen nennen, gar nicht nur eine Funktion des Gehirns. Bisher hat man nämlich in der üblichen Wissenschaft gesagt: Du kannst nur denken, weil du ein Gehirn hast. Und man hat darauf eine Nervenphysiologie und Nervenpsychologie aufgebaut, die so lautet: Alle deine Gedanken, aber auch deine Empfindungen und alles, was du überhaupt als Mensch bist, hört auf zu existie­ren, wenn dieses Gehirn im Tode zerfällt. Das heißt, man hat des Menschen ganze Existenz angegliedert an ein leibliches Organ. Jetzt müßte man die Frage stellen: Gibt es vielleicht doch noch andere Möglichkeiten des Erkennens?

Goethe hat schon versucht, sich so zu helfen, daß er unter­schied zwischen einem mehr irdischen Gegenstands-Denken und einem Denken, das mehr in das eingeht, was sich entwickeln will, was zielgerichtet ist; er unterschied Ver­stand und Vernunft. Er sagt zu Eckermann 1829: „Die Gottheit ist wirksam im Lebendigen, aber nicht im Toten, sie ist im Werdenden und sich Verwandelnden, aber nicht im Gewordenen und Erstarrten. Deshalb hat auch die Vernunft in ihrer Tendenz zum Göttlichen es nur mit dem Werden­den, Lebendigen zu tun, der Verstand mit dem Geworde­nen, Erstarrten, daß er es nütze.“ Er betont also, daß der Verstand auf das Gewordene, Erstarrte gerichtet ist; doch der Mensch hat noch andere Fähigkeiten, er hat die Ver­nunft, die zielt auf das Werdende. Man bedient sich heute auf wissenschaftlichem Felde sehr viel mehr des Verstandes, des auf das Gewordene gerichteten, als der Vernunft. Denn was analysiert man, was durchforscht man, wovon versucht man sich eine Vorstellung zu machen? Von dem Geworde­nen. Und das Gewordene wird dann zurückverfolgt, wie es geworden ist.

Zwar ist das ein Werden, aber zu diesem Werden bedient man sich materialistischer Vorstellungen, und dabei kommt man eben doch nicht in das Gebiet der wirklichen Vernunft. Goethe nimmt nämlich die Vernunft so, daß er zu Riemer 1810 sagt: Geduld, Hoffnung, Glaube, Liebe, alle diese Dinge sind „die Vernunft in actu“, in Ausübung, sie sind die ausgeübte Vernunft. Geduld, Hoff­nung, Glaube, Liebe - das nennt er schon Vernunft! Es ist ungeheuer wichtig zu sehen, wie tatsächlich im Menschen etwas veranlagt ist, was zum Denken gehört, aber nicht zum Verstand, dem irdisch analysierenden, nicht zu dem nur das Gewordene erforschenden. Vielmehr: der Mensch entwickelt auch die Vernunft, die das Werdende, das heißt das sich Wandelnde, das sich Metamorphosierende, das auf Ziele Hinstrebende, das Noch-nicht-Fertige ins Auge faßt. Viel­leicht kommen wir mit diesem helfenden Begriff „Vernunft“ wenigstens ein Stück weiter.

Würden wir aber nun weiter fragen: Ja wie ist es denn, wo sitzt die Vernunft, ist die nicht auch vom Gehirn abhängig? Ist das Vernunftwesen nicht etwas, was auch da oben im Kopf sitzt? Vielleicht wird man, und wir werden noch dazu kommen, sagen: Es gibt noch ein anderes Organ, das ein Erkenntnisorgan des Werdens ist im Menschen. Vielleicht klingt es zunächst sentimental, wenn ich sage: Es ist das Herz. Aber sehen Sie, schon ein Mensch, der liebt, hat eine größere Erkenntnismöglichkeit gegenüber dem Menschen, den er liebt, als wenn er ihn nicht lieben würde. Innerhalb des Verstandes spielt ein persönliches Gefühl, so würde ein Wissenschaftler sagen, überhaupt keine Rolle. Da ist es ganz gleich, ob ich den Menschen gern habe oder nicht, ich analysiere ihn. Aber wahrscheinlich gehen dann doch ver­schiedene Möglichkeiten des Erkennens des anderen durch die Maschen dieses Verstandesnetzes. Und der Liebende, das heißt der, der mit dem Herzen zu denken beginnt, hat doch eine größere Erkenntnismöglichkeit in sich. Das Herz ist zwar auch wie das Gehirn ein leiblich-vergängliches Organ. Aber wir spüren bei ihm eher, daß es das nicht nur ist. Es wird erlebt als Seelenorgan, das im leiblichen Herzen ankert. Bevor ich diesen Gedanken weiterführe, lassen Sie mich erst noch etwas anderes sagen.

Wir werden ja manchmal gefragt: Was unterscheidet denn die Christengemeinschaft von den anderen christlichen Kir­chen, von anderen Gruppen? Das kann man kaum mit ein paar Sätzen sagen, denn diese Bewegung für religiöse Erneuerung ist gerade nicht dadurch charakterisiert, daß sie einzelne Elemente des religiösen Lebens oder der christli­chen Verkündigung besonders hervorheben oder pflegen wollte. Sie will das Christentum in seinem ganzen Umfang erneuern und für die Welt des 20. Jahrhunderts und für die Zukunft zugänglich machen, befreit von all dem, was als Zutaten und Umprägungen christlichen Charakters sich all­mählich angeschuppt hat und was gar nicht seinem Ursprung entspricht. Man müßte also das Wesen des Chri­stentums nach allen Seiten selbst darstellen. Aber zwei Grundelemente des religiösen Lebens dürfen wir vielleicht als Verkündigung dessen hervorheben, aus dem heraus die Christengemeinschaft lebt, die aus den historischen Prägun­gen des Christentums in unserem Jahrhundert ganz ver­schwunden sind, die für uns aber unentbehrlich sind, wenn christliche Religiosität nicht vollends die Überzeugungskraft verlieren soll.

Diese beiden Elemente unterscheiden also die Christengemeinschaft sehr stark von allen christlichen Kir­chen und anderen Gemeinschaften. Das eine ist, daß eine geistige Welt anerkannt wird, und zwar nicht nur als ein blasser Gedanke, sondern als etwas, was eine ungeheure Realität hat. Für das Bewußtsein der heutigen Menschheit, verehrte Zuhörer, ist die geistige Welt verblaßt hinter dem Grellen, was uns als Erdenwirklichkeit entgegenkommt, so weit verblaßt, daß man bei manchen Menschen, besonders Theologen, schon auf eine gewisse innere Ablehnung stößt, wenn man überhaupt von Wesenheiten der geistigen Welt spricht, göttlichen Boten, den Engeln und von Verstorbe­nen. Das zweite, was wir in der Christengemeinschaft als eine Grundlage erfahren, ist dies, daß der Mensch schon vor der Geburt besteht, existiert als Individualität, ja daß er schon als „geprägte Form, die lebend sich entwickelt“, her­ankommt an seine Geburt, ja weiter, daß er sogar schon gelebt hat in früheren Erdenleben, die Erde also nicht das erste Mal betritt. [...]

Diese geistige Welt, sehr verehrte Zuhörer, ist gleichsam - lassen Sie es mich jetzt einmal so telegrammartig ausdrücken - das Innere Gottes, so wie Geist und Seele das Innere des Erdenmenschen sind. Und so wie in unserem Innern die Gedanken, Gefühle, Bestrebungen, Erinnerungen sind, so stellen die geistigen Wesen von den Engeln bis zu den Cherubim die Kräfte im Innern der Gottheit dar, durch die sie schafft, durch die sie wirkt, durch die sie die Menschen und die Welt erhält. Leugnet man diese Welt der Wesenhei­ten, so verliert man die Vorstellung von dem Wesen Gottes, und die Möglichkeit, überhaupt Anläufe zu einer Gottes-Erkenntnis (Theologie!) zu nehmen, verliert alle Inhalte und Konturen.

Es ist tatsächlich für den heutigen Menschen, das geben wir zu, nicht einfach, sich darauf einzustellen, daß die Reiche des Sichtbaren von Stein, Pflanze, Tier und Mensch sich fortpflanzen in höhere Reiche, ins Überirdische, ins Unsichtbare, und daß es über dem Menschen in Stufen so weiter geht, wie es unterhalb des Menschen die abgestuften Naturreiche gibt. Der Mensch ist gleichsam eine Art Umschaltestelle, wo es aus dem Irdischen ins Überirdische geht, er ragt mit einem Teil seines Wesens tief ins Irdische hinein, mit einem anderen Teil seines Wesens ist er gleichzei­tig Bürger einer anderen Welt. Es gibt ein Buch Rudolf Steiners: „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Wel­ten?“ Nicht, wie kommt man zu einem Glauben an die höhere Welt, oder wie kann man sich vorstellen, ob das vielleicht so oder so sei, lautet der Titel, sondern: „Wie erlangt man Erkenntnisse...?“

[...]  Wer das Denken nur in der irdischen Ebene läßt, der wird bestimmt nichts anfangen können mit dem, was wir Auferstehung nennen. Ja, dem wird überhaupt alles versinken, was mit Gott zusammenhängt, was es mit dem Vater, was mit dem Sohn und was es mit dem heiligen Geist auf sich hat. Den Vater könnte man noch auf dem Weg über die erkennende Bewunderung der Schöpfung erahnen, den Sohnesgott vielleicht als den in den Lauf der Geschichte Eintretenden sich klarmachen, aber zum Geistgott gibt es keinen anderen Weg als durch das Innere des Menschen, in das eine geistige Welt hereinragt. Und diese geistige Welt ist kein Jenseits, sondern sie ist mitten unter uns; unser geistig­-seelisches Wesen stammt aus ihr, lebt in ihr; jeder Gedanke, jedes Gefühl, das ich habe, das klingt in ihr mit; wir sind in dem Sinne keine Privatmenschen, die vielleicht meinen, das habe ich nur für mich. In dem Maße, wie ich Geistiges und Seelisches in mir habe und entwickle, ist das gleichzeitig Anteil dieser geistigen und seelischen Welt um mich herum. Man muß nicht meinen, daß man da in irgendeiner Weise etwas nur ganz für sich hat. Wir leben aus dem Geistigen, Seelischen, das uns umgibt, genauso wie wir atmend leben aus dem Erdenmantel von Luft, der uns umgibt, in den wir eingeschlossen sind. So ist unsere Seele von einem Seelen­mantel und unser Geist von einer Geistwelt umfangen, die ganz dicht bei uns ist. [...]

Die innere Beziehung, die man zunächst anstrebt zu dieser Welt, hat der Christ immer versucht, durch das Gebet zu erreichen. Das Beten ist gleichzeitig eine Art Übung des Zusammenwirkens unserer Seelenkräfte mit dieser wesen­haften Welt des Geistes. Sehen Sie, das sind die zwei Grundlagen, die wir in der Christengemeinschaft als eine Art neue Dimension dem bisherigen Christentum einfügen wollen, nicht, daß es früher ganz gefehlt hätte, aber es ist nicht voll bewußt gewesen und so ist es vergessen worden, es ist nicht mehr da. Denn das Christentum, von dem man jetzt sagt, es sei tot, es hat nichts mehr zu sagen, es sei sogar jegliche Religion tot - das Christentum ist dennoch etwas ungeheuer Lebendiges.

Was ist denn eigentlich tot am Christentum? Vielleicht muß man darauf einmal eingehen: Als das Christentum in die Erdenwelt kam, da brauchte es eine Art Muttererde genauso wie ein Samenkorn, das man in die Erde versenkt, eine gewisse Muttererde hat, und nun aus dieser entnimmt, was es zu seinem Wachstum braucht. Das werdende Christen­tum hat tatsächlich dem, was es als Umwelt hatte, entnom­men, was es brauchte zum Heranwachsen, so wie wir als Kinder, als Keime noch im embryonalen Zustand von der Mutter die Erbmasse bekommen haben.

Die Erbmasse des Christentums war einerseits das wunderbare Denken der Griechen - erinnern wir uns an Plato, an Aristoteles -, das hatte damals noch die Möglichkeit, sich mit dem Geistigen zu beschäftigen; ferner war der willensmäßige Staatsimpuls des Römertums da, in welchen das Christentum hinein­wuchs, so daß es sogar denjenigen, der die Kirche als Papst beherrschte, an dieselbe Stelle setzte, wo der römische Impe­rator gesessen hatte; es hatte sich damit auseinanderzusetzen und nahm gleichzeitig einiges auf von den damaligen, schon dekadent werdenden Mysterien, die es noch gab: Denken Sie an Delphi, an Eleusis oder drüben in Kleinasien an Ephesus, da bestanden noch die uralten Mysterienstätten, wenn auch nicht mehr auf der Höhe ihrer Entwicklung, so doch noch tätig. Das alles wurde Erbschaft des werdenden Christen­tums, die Haupterbschaft aber nahm es aus dem Judentum. Die irdische Gestalt des Jesus wuchs aus dem Stammbaum jüdischer Generationenreihen heraus. Die Moral, gesetz­hafte Ethik, welche die Juden hatten, prägte auch das Chri­stentum.

Alles das waren notwendige Hüllen, verehrte Zuhörer. Aber genauso wie sich ein heranwachsender junger Mensch allmählich von seinen ererbten Kräften, von dem, was er nicht assimilieren kann, freimacht und abstößt, wie er sie sogar in einer gewissen Weise bekämpft, damit sie ihn freigeben, wie er manchmal aber auch darunter leidet, daß die Erbmasse noch da ist, so ist es auch dem Christentum ergangen. Es haben sich immerzu jene Hüllen geltend gemacht: Das, was mit dem Imperatorischen, mit diesem Machtwillen des Christentums zu tun hat, war nicht christ­lich, es war römisch. Die Art, sich hineinzudenken in gewisse christliche Probleme, war noch altgriechisch; die Art, wie man eine Ethik, eine Moral aufstellte, war weitge­hend noch von den mosaischen Zehn Geboten des jüdischen Volkes geprägt, und die Art, wie man das Kultische einrich­tete, hatte noch ältere Anknüpfungspunkte. Die Messe z.B. ist aus kultischen Bestandteilen der alten Mysterien geschaf­fen worden, das weiß heute jeder junge Theologe.

Das alles fällt jetzt ab, das stirbt; nicht aber das Christentum! Das Christentum webt sich jetzt gleichsam eine neue Hülle. Es ist die Menschheit inzwischen um 2000 Jahre reifer gewor­den (ob sie besser geworden ist, wollen wir dahingestellt sein lassen). Aber es haben sich gewisse Kräfte im Menschen entwickelt; die zweitausendjährige Christentumsgeschichte, die nun in die Menschheit eingegangen ist, bewirkt, daß der Mensch ein Erkennender ist, daß er ein Kulturschaffender ist, der das Denken ergriffen hat. Man sieht es im Unter­schied zu den noch heute „primitiven“ Völkern. Aber dieses Denken ist zunächst auf einem Punkt angekommen, wo es gleichsam auf einer toten Schädelstätte sich befindet. Aus dem toten Denken vermag sich, wie wir schon sahen, Lebendiges zu entwickeln. Denn das Christentum kann gar nicht sterben, es ist eine geistige Weltmacht, die nicht mit ihren menschlichen und kirchlichen Ausgestaltungen iden­tisch ist. Wenn man nach seinem wahren Wesen fragen würde, verehrte Zuhörer, dann würde man sagen müssen: Es ist der stets gegenwärtige Christus selbst, nicht irgendeine Lehre, nicht irgendeine Ansammlung von Dogmen, nicht etwas, was man auswendig lernen kann.

Und dieses Wirken des auferstandenen, des gegenwärtigen Christus, das ist eigentlich das heutige, neu sich bildende Christentum. Man möchte sagen, Christus selbst schafft diese neue Hülle, um sich zur Offenbarung zu bringen, und er bedient sich dabei dessen, was nun in der Menschheit herangereift ist, vielleicht zunächst noch nicht in ganz brauchbarer Gestalt, doch kann es weiter umgewandelt werden. Wodurch es umgewandelt wird, werden wir gleich versuchen darzustellen.

Wir haben in der Erscheinung Rudolf Steiners (1861-1925) jemanden, dem nicht daran lag, neue Glaubenssätze zu bringen, der nicht etwa die Forderung stellte: Ihr müßt jetzt so und so glauben. Vielmehr sagte er: Ich suche an ein Erkennen zu appellieren, das erst bewußt errungen werden muß dadurch, daß der Mensch beginnt, an sich zu arbeiten. Sehen Sie, wenn ein Wissenschaftler arbeitet, dann nimmt er sich bestimmte Instrumente, ein Mikroskop, ein Teleskop oder er hat den oder jenen Apparat, den er sich mühsam erfunden hat, an dem er lange gearbeitet hat. Das Erkennen, das Rudolf Steiner meint und das jetzt eigentlich dran ist in der Entwicklung der Menschheit, das ist nicht durch einen äußeren Apparat, einen Computer oder sonst irgendwelche elektronischen Geräte herzustellen und zu erringen: In sich schleift der Mensch gleichsam die Gläser, um besser zu erkennen. So wie der Wissenschaftler die mikroskopischen und teleskopischen Gläser handhabt, arbeitet der Mensch sich selbst zu einem Instrument der Erkenntnis um.

Das ist natürlich umständlicher, das ist schwieriger, das erfordert einen anderen Willenseinsatz, als wenn man sich ein irdi­sches Instrument baut oder kauft. Bedenken Sie, es kann gar nicht anders gehen, als daß jetzt gewisse Anlagen im Men­schen nach der denkerisch-erkennenden Seite, die ihn befreien von einem nur gehirnlichen Denken, beginnen, ganz neu zu erwachen in der Menschenmitte von seinem Herzen aus.

Sehen Sie, es liegt darin doch eine großartige Führung, daß der Mensch jetzt mit seinem Gedankenwesen an den Tod gekommen ist. Er kann das Tote wunderbar untersuchen (wobei das Phänomen des Lebens ihm in aller Analyse fremd bleibt). Ich sagte, er hat die Schädelstätte gefunden. Will er nämlich zur Auferstehung durchdringen, so vermag er das nie ohne den Tod in sich kennen zu lernen. Deshalb mußte das Denken des heutigen Menschen in den Tod geführt werden. Deshalb mußte dann sogar von den Kanzeln und von den Kathedern der Universitäten verkün­det werden: Gott ist tot. Das stimmt für viele Menschen. Denn auch weltgeschichtlich stimmte es, verehrte Zuhörer: Gott ist tot. Sein Sterben geschah an jenem Karfreitag, als die Sonne verfinstert wurde - viel mehr noch als sie es uns heute ist. Wie bei einer Sonnenfinsternis verfinsterte sich damals nicht nur die Sonne, sondern die ganze Welt, und Gott war - in Christus - wirklich tot.

Jetzt müssen wir, wie schon gesagt, einen ersten Schritt neuer Erkenntnis tun: Ohne Todeserfahrung keine Auferstehung. Und die tiefen Tatsa­chen, die im Evangelium im Zusammenhang mit dem Ster­ben und Gestorbensein Gottes erzählt werden, weisen auf etwas Merkwürdiges hin: Es wird geschildert das leere Grab. Karfreitag ist vorüber, der Karsamstag ist auch vorüber, nun kommen am Ostermorgen die Frauen zum Grabe, und sie finden es leer. Man könnte beinahe sagen: Sind wir innerhalb unserer Menschenentwicklung nicht an einem solchen leeren Grab angelangt - wir finden den Gott nicht, ja nicht einmal seine Spur, und wir denken, Gott ist tot.

Es ist aber unterdessen schon der Ostermorgen, der Karfreitag ist vorbei. Und nun stellen Sie sich diese Situation vor, die mehr ist als nur ein damaliges historisches Geschehen, mit dem vielmehr urbildhaft ein Stück unserer heutigen Zeit gezeigt wird: Jetzt ist Maria Magdalena da, sie starrt in dieses leere Grab - Gott ist nicht nur tot, sondern auch der Leichnam ist verschwun­den. Es überkommt sie ein ungeheurer Schmerz, und es ist, als ob dieser Schmerz nötig wäre, denn in diesem Schmerz und in ihren Tränen erblickt sie plötzlich jemanden, sie muß sich allerdings umdrehen, wird gesagt, sie denkt, es ist der Gärtner und sagt: Ja lieber Herr, kannst du mir sagen, wo der Leichnam des Herrn hingelegt worden ist?

Man möchte beinahe sagen, verehrte Zuhörer, es begegnet heute der Menschheit schon der auferstandene Christus als die Tatsa­che der Auferstehung, aber man hält ihn für einen Friedhofs­beamten, für einen, welcher der Gärtner ist, der die Gräber pflegt, für einen Menschen, nicht für einen Gott. Das geschah einmal, das steht historisch da, als Maria Magdalena den Gärtner fragte. Sie war aber durch ihren Schmerz aller­dings in einer besonderen inneren Aufnahmebereitschaft, und als nun ihr Name an ihr Ohr drang, erkannte sie plötzlich Christus: Rabbuni, Herr, mein Meister, sagte sie. Verstehen Sie, verehrte Zuhörer, ich meine, der erste Schritt zum Erkenntnisleben nach der Auferstehungsrealität hin ist, daß man durch eine Todesbegegnung geht, daß man durch die Erkenntnis, daß der Gott tot ist, durch den Schmerz eine echte Erschütterung erlebt.

Die heutigen Menschen sind gar nicht zu erschüttern, wenn ihnen gesagt wird: Gott ist tot. „Na ja“, sagen sie, „und...? Ich habe vorher nichts von ihm gemerkt, ich merke jetzt nichts von ihm.“ Allmählich wird aber eine Menschheit heranwachsen, die durch dieses Erleben geht: Es ist etwas Ungeheueres, daß Gott „gestor­ben ist“. Und in dem Maße, wie man das tief fühlt, wird man durch den Schmerz ein Erkennender. Hier haben wir die zweite Stufe eines neuen Erkenntnisbemühens: das Wissen darum, dieser Gott müßte doch wieder lebendig werden, aber er ist tot, und es tut weh im Innern des Menschen. In dem Augenblick, wo der Schmerz da ist, und das sehen wir an diesem urbildhaften historischen Ereignis, dämmert in der Seele ein neues Schauen. Das Herz wird lebendig. Die brennende Liebe, die sich in Maria Magdalena zu dem toten Gott hinwendet, wird auf einmal wie ein Organ des Erkennens: Der Christus ist ja auferstanden! Es gibt noch eine dritte Möglichkeit, nicht nur Tod-Erfah­rung, nicht nur echten Schmerz um den Gottestod, sondern es gibt noch einen Schritt zur Erkenntnis. Erlauben Sie, daß ich den noch nenne.

Als die beiden Jünger (bei Lukas) auf dem Wege nach Emmaus waren - es war an jenem Ostertag, nachmittags - da gesellte sich zu ihnen ein Dritter, und sie dachten, das ist nun ein Fremder, und sie wunderten sich, daß er sie fragte: Warum seid ihr denn so traurig? Bist du denn der einzige, fragten sie ihrerseits, der nicht weiß, was in Jerusalem geschehen ist? Und nun begann der Dritte zu sprechen. Und er sagte: Laßt euch erinnern an alles das, was ihr erlebt habt. Und nun kam in diesen Jüngerseelen etwas auf, ich möchte sagen, es ist eigentlich die schönste christliche Tugend: das Sich-erinnern-Können. Das heißt, daß eigentlich in unseren Seelentiefen Vorgänge, Erlebnisse drinnen sind, die nur angerührt werden müssen, damit sie aufsteigen können durch diese wunderbare Möglichkeit, sich erinnern zu kön­nen. Christus selbst sagt in den Abschiedsreden einmal: Ich werde euch den heiligen Geist senden, der wird euch an alles erinnern. Und so erkannten die Emmaus-Jünger den Aufer­standenen.

Was ist denn eigentlich Erinnerung? Erinnerung ist etwas, was im Innern lebt. Wir haben etwas einmal von außen her erfahren, jetzt haben wir es - wenn ich das Wort so bilden darf - „erinnert“. Nun ist es zunächst verborgen und vergessen, und mit einem Mal steigt es auf und wird erinnert. Plötzlich kommt im Menschen ein Gefühl, eine innere Erkenntnis auf: Es gibt die geistige Welt, es gibt die Wesen, es gibt den Sohn. Ich möchte sagen, da wird eine Art Erkenntnisorgan mit einer solchen Evidenz, mit einer sol­chen Selbstverständlichkeit wach, daß man nicht mehr zwei­felt und nach irdischen Beweisen fragt. Geistige Dinge beweisen sich auch, aber geistig, von innen her, aus dem Erleben eines wachgewordenen Herzens. Drei reale Schritte zur Erkenntnis haben wir kennengelernt, einen vierten will ich noch anfügen, auch aus dieser herrlichen historischen Urbildhaftigkeit der Ereignisse, die um den Auferstandenen sich abgespielt hatten.

Drei Schritte kann man tun: Man geht bewußt innerlich durch den Tod. Man hat das Gefühl, es ist wirklich in der heutigen Welt ungeheuer viel abgestorben, ja, die Gottheit ist für mich vielleicht auch tot. Der zweite Schritt: Man spürt, der Schmerz hat eine große Aufgabe neben anderen Aufgaben: Er bringt die Menschen zu einem tieferen inneren Bewußtsein. Sehen Sie, wer mit dem Schmerz kämpft über den Hingang eines geliebten Menschen, wer mit dem Schick­sal ringt, das den Menschen schmerzvoll anpackt, so daß er leidet, der macht etwas durch auf einer höheren Ebene, als es nur die rein begrifflich-logische Ebene ist. Schicksal ist nie „logisch“. Man kommt durch den Schmerz schon von selbst in eine Denkebene, die gewisse Kräfte im Menschen erschließt. Natürlich kann das auch schiefgehen, man kann verbittert werden, man kann sich abschließen, man kann wie mit einem Panzer umgeben sein, aber die eigentliche Auf­gabe des Schmerzes ist, den Menschen höher zu heben und ihn einen Schritt in der Erkenntnis weiterzuführen. Dann führt es vielleicht zum dritten Schritt, wie es die Maria Magdalena und die Männer von Emmaus geführt hat, den Auferstandenen erinnernd zu erkennen, dann braucht man nicht mehr zu fragen: Gibt es die Auferstehung? Sie ist einfach da.

Der vierte Schritt wäre der, daß man sich einmal vorstellt: Was mag wohl in dem Jünger Thomas gelebt haben, als er hörte, Christus sei den Jüngern als Auferstandener erschie­nen, und er selbst war nicht dabei, und er sagt nun in diesem - fast möchte man sagen überlegenen, intellektuellen Gefühl: „Was ich nicht selber gesehen habe, das glaube ich nicht, es sei denn, daß ich meine Hände in seine Seite und in seine Nägelmale lege“. Und nun kommt die wunderbare Begegnung acht Tage später. Mit einem Male befindet sich Christus in dem Raum, wo die Jünger zusammengekommen sind, bei geschlossenen Türen, geht auf Thomas zu und sagt: So, bitte, jetzt be-greife mich, jetzt lege deine Hände in meine Nägelmale und deine Hand in meine Seite. Und sehen Sie, das Großartige am Thomas ist nun, daß er durchkommt, daß er seinen Zweifel überwindet. Und er mußte durch dieses Erkenntnisbemühen hindurch: Wenn ich es nicht selbst durchmache, erlebe und erkenne, dann kann ich es nicht glauben... Bei ihm kommt zuerst das Erkenntnisbe­dürfnis, dann der Glaube. Jetzt vermag er, ohne auf sein Erkenntnisbedürfnis weiter einzugehen und gleichsam zu sagen: „Ach, Herr, nun laß doch sehen, wie sieht denn das aus, was du da für einen Leib hast“, den Schritt zu tun von der Erkenntnis zum Bekenntnis und nichts weiter zu sagen als: „Mein Herr und mein Gott“. Bei gewissen übersinnli­chen Erkenntnissen bleibt dann nur noch die tiefste Ehr­furcht übrig. Da ist nichts mehr vom neugierigen Wissen­wollen, da kann man nur noch sagen: Mein Herr und mein Gott.

Das sind Stufen, verehrte Zuhörer, gleichsam Tonstufen, die klingen ganz anders, als man das auf der Universität gelernt hat. Damit wird man vielleicht kein Wissenschaftler, aber ein Geisteswissenschaftler, ein Erkennender des Übersinnlichen. Und in diesem Übersinnlichen, in dieser göttlich­geistigen Welt, die nicht irgendwo draußen ist, sondern rund um uns, da ist der Christus drinnen - nicht als ein Gestorbe­ner, nicht als ein Leichnam, den man weggebracht hat und von dem nur noch das leere Grab übrig geblieben ist, sondern als ein Auferstandener.

Man könnte nun sagen, wenn du uns so stark auf die Erkenntnis hinweist, hat denn dann der Glaube gar keinen Sinn mehr? Ist denn eigentlich die Menschheit jetzt aus dem Glaubenszeitalter heraus, und gehen wir jetzt in ein Erkenntniszeit­alter hinein? Vielleicht muß man das ganz anders ausdrücken, verehrte Zuhörer. Es gibt einen Glauben vor der Erkenntnis. Das ist eine Fähigkeit, die ungeheuer abgenommen hat in der Menschheit, ja, sie ist beinahe auch gestorben. Nun setzt der Mensch ein mit dem inneren Erkenntnisbemühen, mit dem, wovon er weiß, ich muß es mit anderen Organen schaffen als bloß mit dem Verstand, ich muß die Vernunft anwenden, ich muß auf das Werdende eingehen, ich muß in meine eigene Innerlichkeit eintauchen, ich muß mich selbst zu einem Schauenden machen, nicht gleich so, daß man viele übersinnliche Erlebnisse hat, aber zu einem, der nun von der Realität einer übersinnlichen Welt immer mehr und mehr überzeugt wird. Dann wird dieses Erkennen, ich sagte es schon, zu einer tiefen Ehrfurcht. Daraus wird der neue Glaube. Es gab den Glauben vor der Erkenntnis, der geht zu Ende. Schon die kleinen Kinder haben gar nicht mehr das Bedürfnis, so zu glauben. Und doch ist eine tiefe Sehnsucht da, aber immer wieder kommen dann die neuen Erkenntnisbedürfnisse, und da man sie zunächst nur mit dem Gehirn befriedigt, zerstören sie. Nun lernt man durch bestimmte innere Erlebnisstufen zu gehen: Tod, Schmerz, das, was als Erinnerung im Menschen geweckt werden kann, und das, was durch Zweifel, durch Erkenntnis zur Ehrfurcht, zum Glauben führt. [...]

Das sind Aufgaben, verehrte Zuhörer, die nur derjenige vor sich sieht, der sich die Frage gestellt hat: Gibt es die Aufer­stehung? Wenn er echt fragt, wird er versuchen, einen geduldigen und mutigen Weg zu gehen und es sich nicht so bequem machen, daß er sich darauf zurückzieht: Rudolf Steiner sagt es, die Pfarrer sagen es oder man kann es im Evangelium lesen. Das eigene Ringen ersetzt es nicht. Es geht nur durch innere Umwandlungen des Menschen selbst. Die neue Erkenntnis kann nicht aus einem Buch oder gleich­sam auf der Schulbank errungen werden, sie muß in der Arbeit an der eigenen Innerlichkeit, mit dem eigenen Leben errungen werden. Dann nähert sich der Mensch dem Auferstandenen.