Sehnsucht nach ... Anthroposophie

Holger Niederhausen: Sehnsucht nach ... Anthroposophie. Roman. Books on Demand, 2015. Paperback, 300 Seiten, 12,90 Euro. ISBN 978-3-7386-4899-7.


Erschienen am 28. September 2015.              > Bestellen: BoD | Amazon <              > Reaktionen und Rezensionen <

Inhalt


Was ist Anthroposophie? Dieser Roman führt den Leser mitten in eine nicht theoretische, sondern existentielle Frage hinein. Was ist eigentlich das menschliche Leben ... und welche Wege gibt es, das Leben so anzuschauen und zu vertiefen, dass sich völlig neue Horizonte auftun und sich das Wesen wahrhaft menschlichen Seins immer mehr offenbart?

Ein Roman als lebendige Antwort auf die Frage nach der Anthroposophie und als lebendiges Wecken einer wirklichen Sehnsucht...



Leseprobe 1


„Und?“, fragte Grunert.
Baumann sah seinen abwartenden Freund nachdenklich an. Dann wiederholte er dessen Frage langsam:
„Was Anthroposophie ist...?“
„Ja“, Grunert beugte sich vor. „Wie würdest du jemandem auf diese Frage antworten? Wie würdest du ihm versuchen, die Anthroposophie nahezubringen, ein Verständnis dafür?“
Baumann atmete einmal tief durch und blickte an seinem Freund vorbei auf das Fenster.
Wie oft hatten sie ähnliche Gespräche schon geführt! Hier oben in Karstens kleinem Arbeitszimmer direkt unter dem Dach, Karsten in seinem Sessel sitzend, er selbst auf dem kleinen Sofa; im Hintergrund der große, mit verschiedenen Papieren bedeckte Schreibtisch und dahinter das Fenster. Wie oft hatten sie hier schon gesessen, während es draußen geregnet hatte, während die Sonne geschienen hatte, bei Dunkelheit oder während man, so wie jetzt, mitten im April, draußen die Vögel zwitschern hörte.
Er seufzte.
„Das Problem ist – man kann auf eine solche Frage nicht in wenigen Worten antworten, das weißt du doch!“
„Ja, ich weiß“, sagte Grunert. „Ich meine auch gar nicht, dass jemand das in ein, zwei Sätzen erklärt haben will. Ich meine keinen Menschen, der sich ohnehin nicht interessiert. Stell dir vor, es würde wirklich jemand länger zuhören.“
„Aber wie lange?“, fragte Baumann.
„Keine Ahnung – so lange, wie du sein Interesse lebendig halten kannst...“
„Ja“, erwiderte Baumann langsam, „so lange also...“
Dann seufzte er noch einmal.

„Siehst du, Karsten, das ist gerade das Problem. Wenn man sich selbst der Anthroposophie so tief verbunden fühlt, ist es natürlich bereits schön, zu sehen, dass überhaupt jemand eine solche Frage stellt. Und zugleich weiß man, dass sofort die Uhr zu ticken beginnt... Sobald das Interesse nachlässt, hat man schon verloren...“
Grunert nickte, aber erwiderte energisch:
„Deshalb frage ich ja gerade. Wie kann man zu einer Antwort kommen, bei der das Interesse nicht nachlässt ... weil man gerade wirklich ein Erleben für das Wesen der Anthroposophie erwecken kann!?“
„Ich verstehe dich schon, und doch ist unser Bemühen um genau eine solche Antwort nur das eine. Ich habe eine solche Antwort schon so oft versucht, mit aller stiller Leidenschaft und Tiefe, die ich in mir finden konnte ... und dann doch den anderen Menschen oft nicht erreicht. Und weißt du, warum? Weil das, was er dann hörte, doch nicht das war, was er suchte. Weil sein Interesse doch anders gelagert war – weil dieses Interesse eben doch nicht ausreichte! Ich wollte es lebendig machen, wecken, erreichen ... aber der Andere wollte es nicht...“
Noch immer saß Grunert vorgebeugt auf dem Sessel. Ruhiger jetzt, aber noch immer mit leisem Drängen sagte er nun:
„Das kenne ich natürlich ebenfalls sehr gut, Michael. Aber das kann doch nicht die letzte Antwort sein! Wenn es stimmt, dass, wie Rudolf Steiner sagte, die Anthroposophie gerade dem tiefsten Interesse des Menschen entgegenkommt, dass sie die lebendige Antwort auf diese tiefste Frage ist, ja, dass sie dem Menschen gerade sein wahres Wesen entgegenträgt – dann muss einer richtig gefassten Antwort doch ein lebendig werdendes Interesse entgegenkommen?“

Baumann nickte traurig.
„Ja, das sage ich mir auch immer. Und dennoch ist es nur der eine Teil der Antwort. Selbst Rudolf Steiner hat nicht alle Menschen erreicht. Die meisten blieben uninteressiert – und manche wurden sogar Gegner, haben versucht, die Anthroposophie zu bekämpfen! Und ... selbst Gott, selbst ein Gotteswesen, konnte und kann diejenigen Menschen nicht erreichen, die sich nicht erreichen lassen wollen!“
Er sah seinen Freund an.
„Das weißt du doch? Es ist also beides wahr: Die Anthroposophie trägt dem Menschen sein eigenes wahres Wesen entgegen – und sie wird abgelehnt und nicht verstanden und gar nicht aufgenommen...“
Nun nickte auch Grunert.
„Ja, der Mensch entfremdet sich von seinem wahren Wesen immer weiter. Das, was in gewisser Weise schon Marx gesehen hat, sehr auf die materielle Arbeitswelt bezogen, ist längst eine viel tiefgreifendere spirituelle Tatsache. Und trotzdem,“ – wiederum sah er Baumann an – „wie würdest du antworten? Jetzt und hier fragt dich jemand – wie würdest du dann antworten?“
Baumann dachte zurück an vergangene Situationen – an die verschiedenen Menschen, mit denen er über diese Frage schon hatte sprechen können.
„Das hängt doch ganz vom Menschen ab. So allgemein kann man auf eine solche Frage doch gar nicht antworten!“
„Trotzdem“, beharrte Grunert, „was wäre dir selbst wichtig? Was müsste deine Antwort enthalten? Fang doch einfach einmal an...“

...

Leseprobe 2


Als Baumann seinen Freund zwei Wochen später wieder besuchte, schaffte er es erst zum Abendessen.
Zunächst erzählte Grunerts Frau Leonie ausführlich von einer interessanten Ausstellung, die sie kürzlich allein besucht hatte. Dann kam jener Augenblick, wo Baumann Gelegenheit hatte, ihre Tochter zu fragen, wie es ihr inzwischen ergangen war.
„Und du, Sylvia – wie geht es dir nun mit deinem Freund, mit Philipp?“
Er dachte sich schon, dass es ganz gut gegangen sein müsse, denn das Mädchen hatte eine sehr fröhliche, ausgeglichene Stimmung.
Nun sah sie auf, etwas überrascht, angesprochen zu werden, doch dann sagte sie ganz offen, während Grunert und seine Frau sich und Baumann einen kurzen, wissenden Blick zuwarfen:
„Ich ... weiß nicht, was ich sagen soll – es ist auf einmal alles so wunderschön... Ich habe mit ihm gesprochen und ihm ... na ja, wie Sie es gesagt haben... Und auf einmal war er völlig verändert...“
Sie lächelte voller Glück und fand keine Worte zum Weitersprechen.
„He, du wirst rot!“, triumphierte Marcel.
„Marcel, lass sie!“, sagte Grunert.
„Das freut mich wirklich für dich, Sylvia“, sagte Baumann. „Siehst du? Behalte den Mut dafür...“
„Ja...“, erwiderte das Mädchen. „Vielen Dank nochmal...“
Baumann lächelte ihr zu. Dann ließ er sie in ihrem Glück in Ruhe und wandte sich Marcel zu.

„Und du? Was macht dein Salatbesteck?“
„Ach“, sagte der Junge leichthin. „Das geht voran. Rund ist es aber noch lange nicht.“
Baumann lachte.
„Das macht ja nichts. Um so länger hast du noch Freude daran, es rund zu bekommen, oder nicht?“
„Ja, wahrscheinlich.“
„Und?“, fragte Baumann nun halb scherzhaft und halb ernst, „machen dir mittlerweile noch andere Fächer ebenfalls Freude?“
„Nö – wieso denn plötzlich? Alles wie immer.“
„Na gut.“
„Wieso muss bei Ihnen denn alles immer Freude machen oder interessant sein?“
„Oh“, Baumann lachte, von der Frage etwas überrascht, aber auch erfreut. „Es muss ja nicht! Aber es ist doch schöner dann, oder nicht?“
„Ja, aber wenn’s nicht so ist?“
„Dann kann man nichts machen!“
Der Junge schaute schweigend.
„Aber“, ergänzte Baumann, „ein bisschen kann man sehr wohl dafür machen, dass es vielleicht doch so wird.“
„Was wird?“, fragte der Junge.
„Dass etwas interessant wird oder doch Freude macht.“
„Wie denn?“
„Nun, man kann für alles Interesse entwickeln, wenn man es wirklich will. Nicht weil man soll, sondern weil man es will. Wenn ich etwas uninteressant finde, kann das entweder so bleiben, oder ich kann beschließen, es interessant zu finden – zack, auf einmal ist es interessant!“

Der Junge musste lachen.
Dann sagte er:
„Das geht doch gar nicht!“
„Wieso nicht? So was ist verboten!“, sagte Baumann scherzhaft. „Einfach zu sagen: ‚Das geht doch gar nicht’. Das geht nicht! Erstmal ausprobieren!“
Dann wurde er wieder ernst.
„Aber ich merke schon – das kommt dir wirklich wie Zauberei vor, wie etwas, was es in Wirklichkeit gar nicht gibt. So habe ich es auch ein bisschen formuliert, nicht wahr? Aber das gibt es wirklich, Marcel – frag deinen Vater! Oder deine Mutter! Vielleicht kennt sogar deine Schwester diese Zauberei schon!“
Er blinzelte dem Mädchen zu. Sie lächelte.
„Geht das?“, fragte Marcel.
„Ich weiß nicht...“, erwiderte Sylvia.
„Sie kann es noch nicht so gut“, erklärte Baumann. „Bei ihr geht es vielleicht noch etwas langsam. Andere können das schneller. Zack! Auf einmal ist das Interesse da.“
Der Junge lachte noch einmal.
„Das stimmt nicht. Sie machen Spaß.“
„Nein, ich sage es spaßig, aber es stimmt trotzdem. Das kann man lernen. Vielleicht nicht in der Schule, weil man das richtig gut erst lernen kann, wenn man erwachsen ist. Aber trotzdem kann man auch als Kind schon ein bisschen entscheiden, ob man etwas interessant findet oder aber nicht. Glaubst du nicht, dass das auch ein bisschen an einem selbst und dem eigenen Bemühen liegt – ob man an einer Sache allmählich Spaß entwickelt oder nicht?“
„Doch, ja, kann schon sein.“
„Dann gib nicht zu schnell auf dabei! Es kann dir zwar jetzt egal sein, ob dir die verschiedenen Fächer Spaß machen oder nicht. Aber es ist schon für das ganze Leben etwas sehr Wichtiges, ob man es gelernt hat, auf einmal Interesse an einer Sache haben zu können oder nicht... An vielen verschiedenen Sachen! An jeder Sache, die man möchte! Zack – schon ist es da!“
Zum dritten Mal lachte der Junge... Selbst seine große Schwester musste diesmal mitlachen, selbst die Mutter...

...