07.12.2010

Einleitung

Im aktuellen Heft 4/2010 der „Gegenwart“ nimmt Renatus Ziegler unter dem Titel „Realität des Geistes: Ausgrenzung oder Vereinnahmung?“ Stellung zu Mieke Mosmullers Buch „Das Tor zur geistigen Welt“.

In diesem Buch beschreibt Mieke Mosmuller die Essenz des reinen Denkens und den von ihm ausgehenden Weg zu einem Erleben der geistigen Welt. Sie tut dies in Auseinandersetzung mit zwei Büchern von Michael Muschalle und Renatus Ziegler.

Es ist nun etwas merkwürdig, dass Zieglers Buchbesprechung nicht nur eine Kritik an Mosmullers Buch ist, sondern dass er über sich selbst in der dritten Person schreibt. Er begründet dies zwar, es bleibt aber seltsam, wenn man fortwährend Ich-Aussagen in der dritten Person liest, wie z.B.: „Es ist so, dass Ziegler das, was Mosmuller gegen seine Darstellungen einwendet, in aller Regel selbst vollständig bejaht [...]“

Doch wenden wir uns den eigentlichen inhaltlichen Fragen zu.

Von Perspektive und gesundem Wahrheitserleben

Ziegler beginnt seinen Aufsatz mit dem Hinweis auf die „Scheinalternativen von Ausgrenzung oder Vereinnahmung“, wobei er ersteres sogleich zu der abwertenden Formulierung „Ausgrenzung aus dem eigenen Erkenntnisgarten“ steigert. Sodann geht er daran, diese beiden falschen Alternativen ausführlich in Mieke Mosmullers Buch „nachzuweisen“ – nicht ohne zunächst die richtige Haltung zu nennen: Rudolf Steiners Weltanschauung(sstimmung)en, wirklich zur Fähigkeit geworden; ein Bewusstsein von der grundsätzlichen, subjektiven Perspektivität des Erkennens in Bezug auf Wahrnehmungsumfeld und Ideenvermögen; das Anerkennen, dass es verschiedene Wege zur Anthroposophie gebe.

Die Behauptung der „verschiedenen Wege“ will Ziegler mit Verweis auf Rudolf Steiners Aufsatz „Theosophie und gegenwärtige Geistesströmungen“ (GA 34) stützen. Dieser Vortrag gibt aber dafür gar nichts her. Er nennt vielmehr drei allgemeine Beweggründe, die „zur Annahme der theosophischen Vorstellungsart“ führen:

Der erste ist ein gewisses gesundes Empfinden für die Wahrheit dieser Denkrichtung. Der zweite ergibt sich aus dem Betreten des Weges, welcher in diesen Heften als derjenige zur „Erlangung von Erkenntnissen der höheren Welten“ vorgezeichnet wird. Der dritte ist ein bis in die letzten Konsequenzen vorschreitendes, allseitig gründliches Philosophieren.


Rudolf Steiner spricht hier überhaupt nicht über das Tor zur geistigen Welt, sondern nur über die „Anerkennung der theosophischen Denkungsart“. Er sagt sogar ausdrücklich, dass selbst durch gründliche Philosophie „Entdeckungen [...] in den höheren Welten nicht gemacht werden“ können. Für unseren Zusammenhang – die Erkenntnis und Anerkennung dessen, wovon Mieke Mosmuller spricht – ist allerdings folgendes Zitat desselben Aufsatzes von Bedeutung:

Die Zeitgenossen halten es vielfach für Hochmut und Selbstüberhebung, wenn jemand von Fähigkeiten spricht, in übersinnliche Welten einzudringen. Aber ist es Hochmut, wenn man von dem spricht, was unter gewissen Voraussetzungen wahrgenommen werden kann; oder darf man es nicht vielmehr als Hochmut bezeichnen, wenn jemand als ausgemacht hält, daß alles Unsinn und Phantasterei sein müsse, wovon er kein Wissen hat oder haben will? Die Theosophie kann sich einzig und allein auf den Standpunkt stellen, daß man nicht entscheiden solle über das, worüber man nichts weiß.


In Bezug auf die „grundsätzliche Perspektivität des Erkennens“ verweist Ziegler auf „Anthroposophie – Ein Fragment“ und hier auf Kapitel I: Der Charakter der Anthroposophie. Hier sagt Rudolf Steiner:

Nun aber steht es mit der menschlichen Erkenntnis nicht so, daß sich ihr das Wesen der Dinge auf einmal ergeben kann. Es ist mit ihr vielmehr so, wie mit dem Bilde, das man zum Beispiel von einem Baume von einer gewissen Seite aus malt oder photographisch aufnimmt. [...] So ist es nicht bloß bei der sinnenfälligen Beobachtung der Dinge, so ist es auch im Geistigen. [...] Jede Ansicht kann eine wahre sein, wenn sie treu das Beobachtete wiedergibt.


Im weiteren nennt Rudolf Steiner als drei besonders charakteristische Gesichtspunkte für die Erkenntnis des Menschen die Anthropologie (sinnenfällige Beobachtung), die Theosophie (der Mensch als geistiges Wesen) und die vermittelnde Anthroposophie im engeren Sinne, die aus den physischen Tatsachen den Hinweis auf einen geistigen Hintergrund sucht.

Auch dieser Hinweis Zieglers geht fehl, denn so richtig es ist, dass die noch im Verstande verhaftete Erkenntnis für die Sphäre des Verstandes wahr ist, so richtig ist es, dass mit einer solchen das Tor zur geistigen Welt nicht wirklich durchschritten werden kann.

Nun ist der Verstand ja nichts „Ungeistiges“. Er kann sehr wohl Gesetze entdecken, tut dies auch fortwährend. Er kann auch das Gesetz der Gesetze entdecken und formulieren, er kann sich selbst als Tätiges entdecken, zu einem Ich-Gesetz kommen und sogar eine Ich-Intuition haben. Insofern bewegt sich der Verstand durchaus in den untersten Schattenbereichen der geistigen Welt. Dennoch aber bleibt es nur der Spiegelschatten, der Vorhof – durch das Nadelöhr gelangt er nicht. Eine wirkliche Intuition erreicht er nicht.

Es soll hiermit zunächst nicht gesagt werden, dass Ziegler nicht das wirkliche Erlebnis einer Intuition gehabt habe. Es muss aber gesagt werden, dass die Art seiner Beschreibung der verschiedenen Erkenntnisstufen ganz auf der Verstandesebene bleibt bzw. in die Sprache des Verstandes zurückfällt. Und worauf Mieke Mosmuller hinweist, ist die Tatsache, dass verschiedene Formulierungen und Setzungen Zieglers schlicht unvereinbar sind mit den Darstellungen Rudolf Steiners und mit dem wirklichen Erleben der Intuition. Das bedeutet, dass Ziegler entweder nicht „treu das Beobachtete wiedergibt“ oder aber, dass er etwas „Intuition“ nennt, was schlichtweg etwas anderes ist als das Erleben, welches Steiner oder Mosmuller als Intuition bezeichnen.

Vereinnahmung? Ein Vorwurf wird zum Bumerang

Ziegler jedoch behauptet, dass „man“ (!) überall dort, wo Mieke Mosmuller „ihren eigenen Zugang zum tätigen Denken beschreibt, auf dessen Bedeutung und Tragweite aufmerksam macht, [...] wenig Schwierigkeiten“ habe, „erlebnismässig und gedanklich nachzuvollziehen und zu bejahen, wovon sie schreibt.“

Er also, der ihr „Ausgrenzung und Vereinnahmung“ vorwirft, schafft es in einem einzigen Satz, ihre gesamte Darstellung zu vereinnahmen und sozusagen als simpel hinzustellen! Nicht nur er, Ziegler, sondern jederman könne eigentlich ohne Schwierigkeiten nachvollziehen, wovon sie schreibe – auch erlebnismäßig.

Man reibt sich wirklich staunend die Augen und fragt sich, ob denn Frau Mosmuller wirklich so dumm und verrückt sein könnte, ganze Bücher zu schreiben, um eine ausführliche Kritik zu formulieren, die ihr sicher selbst keine Freude macht, ihr aber gleichwohl notwendig erscheint ... wenn das, worauf sie dann hinweisen will, wirklich simpel und problemlos durch jeden nachvollziehbar sein soll!

Da schreibt eine Anthroposophin nach Jahrzehnten intensiver meditativer Schulung, dass das, was in Zieglers Buch zu lesen ist, dem Wesen wirklicher Intuition widerspricht – und Ziegler wirft ihren eigenen Darstellungen in einem Satz entgegen: „Man braucht zu diesen Exkursen und Ergebnissen im wesentlichen nichts einzuwenden, auch wenn Zieglers Art der Darstellung solcher Erlebnisse durchaus von der ihrigen abweicht.“

Er vereinnahmt dann sogar ihre Kritik, indem er schreibt:

„Mosmuller versucht, Ziegler gewissermassen mit sich selbst zu widerlegen. Denn zu all den von ihr beanstandeten Darstellungen [...] finden sich meist in den hinteren Teilen desselben [Buches] erweiternde Gesichtspunkte, die sie offensichtlich kaum zur Kenntnis genommen hat. Sie stimmen mit ihren eigenen Ausführungen so hinreichend zusammen, dass aus ihnen kein Widerspruch zwischen den beiden Autoren abgeleitet werden kann. Es ist so, dass Ziegler das, was Mosmuller gegen seine Darstellungen einwendet, in aller Regel selbst vollständig bejaht – es gibt eben gar keine inhaltlichen Gründe, Ziegler ihre eigenen Erlebnisse, ihre Zitate Steiners oder ihre Zitate aus ihren eigenen Werken entgegenzuhalten, da er auf entsprechende Einsichten in seinem Buch (aber an anderen Stellen als an den von ihr explizit herangezogenen) aufmerksam gemacht hat.“


Mit anderen Worten: Mosmuller hätte Ziegler gar nicht widerlegen brauchen, weil er sich selbst an anderen Stellen des Buches widerlegt hat!

Man könnte diese Logik tragikomisch nennen, wenn es nicht so traurig wäre. Ziegler behauptet, all seine Ausführungen seien „im hinteren Teil“ so erweitert worden, dass Mosmuller sich ihre ganze Kritik hätte sparen können. Nun ist aber ihre Kritik absolut fundiert. Und es ist keineswegs so, dass sie den von ihr hauptsächlich betrachteten Teil des Buches deswegen kritisiert, weil sie die „Erweiterungen“ übersehen hätte, sondern weil das Fundament in sich schon verkehrt ist. Man kann den Bau dann weiter hinten noch so kunstvoll und wohlklingend erweitern – er bleibt abstrakt und damit „vor dem Tore der Anthroposophie“.

Die Autorin rennt nicht „offene Türen ein“, wie Ziegler schreibt, sondern sie verweist auf geschlossene Tore, auf die Riegel, die das Tor zur geistigen Welt versperren, weil trotz aller abstrakten „Geisterkenntnis“ der Verstand am Werke bleibt. Wer sich wirklich auf die einzelnen ausführlichen Darstellungen und Begründungen von Mieke Mosmuller einlässt und jenes „gewisse gesunde Empfinden für die Wahrheit“ hat, von dem Rudolf Steiner (in dem von Ziegler selbst zitierten Vortrag) spricht, der wird die Einwände und mit den Einwänden die grundlegenden Unterschiede schon verstehen – und sei es nur allmählich.

Keim und Entfaltung?

Zieglers dann folgende Kritik an Mosmullers Ausführungen ist ein weiteres Beispiel schlimmster Vereinnahmung. Er setzt sie unter den Titel „Keim und Entfaltung“. Was tut er? Er gesteht Mieke Mosmuller zu, dass sie großen Wert auf das Urerlebnis der Ich-Kraft im Denken legt, was in der Tat nicht oft genug betont werden könne. Man könne aber auch schrittweise zu diesem Erlebnis hinführen. Und es sei bereichernd, nicht nur den „alles enthaltenden Keim“ im Auge zu haben, sondern auch die Entwicklungsstadien der weiteren Entfaltung dieses Keimes und ihre differenzierte Bewusstwerdung.

Wie unwahrhaftig dieses Bild ist, zeigt schon der doppelte Boden, den Ziegler benutzt: Im ersten Gedankengang spricht er von einer Hinführung zu dem keimkräftigen Urerlebnis, dann aber plötzlich von einer Entfaltung des Keimes und von der Bewusstwerdung dieser weiteren Entfaltung.

Daran sieht man schon, wie wenig ernst Ziegler dieses „Urerlebnis des tätigen Denkens“ nimmt. Ist es nun etwas, auf das man hinführen muss – oder etwas, von dem der weitere Weg ausgeht? Gerade die Tatsache, dass Ziegler hier en passant beide Ströme berührt, während er Mieke Mosmuller unterstellt, sie verharre im fortwährenden Hinweis auf den Keim, zeigt, dass beide von etwas völlig Unterschiedlichem sprechen.

Es ist ja keineswegs so, dass Mieke Mosmuller nicht zu diesem „Keim“ hinführen möchte – sie hat schließlich ein ganzes Buch geschrieben, um ein Verständnis für das wahre Wesen dieses Keimes zu erwecken! Zugleich aber ist es keineswegs so, dass sie bei diesem Keim – wenn er denn einmal wahrhaft erreicht wäre! – stehenbleiben möchte. Sie beschreibt sehr wohl das, was sich als wirklich lebendige Pflanze realer Geistanschauung aus diesem Keim erheben kann – sowohl in diesem Buch als auch in ihren anderen Büchern.

Ihre Kritik jedoch ist, dass Ziegler zu etwas hinführt, was mit dem von ihr beschriebenen „Keim“, dem „Tor zur geistigen Welt“, gar keine Ähnlichkeit hat – mit anderen Worten: dass Ziegler zu etwas hinführt (weiterführt etc.), was tot bleibt, was also gar keine Keimkraft hat.

Es entsteht ein buchstäblicher Baum der Erkenntnis, der zwei Haupt-Äste entfaltet, Inhalt und Form, die sich immer weiter entfalten, immer wieder in zwei Nebenäste – Inhalt und Form. An diesem Baum wird man niemals einen Anhaltspunkt für den Lebensbaum finden, denn [...] es ist der Baum der Erkenntnis. Einen Übergang zur Anthroposophie kann es nicht geben, wie weit man mit der Verzweigung auch fortfährt.
(Das Tor..., S. 277)


Ziegler vereinnahmt jedoch schließlich auch noch den „Ausnahmezustand“. Er behauptet, dieser sei bei Mieke Mosmuller „Quelle und Methode aller bewussten gegenwärtigen und zukünftigen Geistanschauungen [...]; es kann und muss nichts darüber hinaus geben, da er bereits zu allem hinführt, alles in ihm im Prinzip enthalten ist.“

Bei ihm jedoch sei der Ausnahmezustand „ein Üb- und Durchgangsraum, ein Entwicklungsschritt, der in mehreren Schritten bis zur Intuition in umfassenderen Sinne hin weiter entwickelt werden kann [...] Er muss zu umfassenden Stufen des unmittelbaren Erlebens und Erkennens von Formkräften weitergebildet werden. [...] Das weiss natürlich auch Mosmuller; aber warum berücksichtigt sie im vorliegenden Falle nicht, was das konkret bedeutet?“

Welch ein Hochmut! Man fragt sich nur, ob der Hochmut aus völligem Unverständnis hervorgeht, oder ob das völlige Unverständnis diesen Hochmut erst herbeigeführt hat. In jedem Fall kann doch für jeden Menschen mit einem gewissen gesunden Empfinden für die Wahrheit deutlich werden, dass Ziegler sich hier völlig überschätzt. Die einzige Alternative wäre wiederum, dass Mieke Mosmuller mit absoluter Dummheit geschlagen wäre! Man lese wirklich selbst ihr Buch und urteile dann.

Mieke Mosmuller weist mit großem Ernst darauf hin, dass das wirkliche Tor zur geistigen Welt nicht in den systematischen Unterscheidungen und Darstellungen zu finden sein kann, die Ziegler zu Papier bringt. – Ziegler behauptet leichthin, sie schaue nur auf den „Ausnahmezustand“, der für ihn jedoch allein ein „Üb- und Durchgangsraum“ zu weiteren Stufen bis hin zur Intuition sei...

Von der Wirklichkeit der Intuition

Wieder fragt man sich: Kann man einen Menschen derart missverstehen? Kann man derart unwahr und leichthin urteilen? Ziegler kann Mosmullers Buch gar nicht wirklich gelesen haben, denn sie schreibt doch ganz deutlich, dass sich die Keimkraft (um in Zieglers Bild zu bleiben) des Ausnahmezustandes überhaupt erst dort zeigt, wo man die Intuition erreicht hat. In der Darstellung Mieke Mosmullers ist die Intuition Anfang, nicht Endpunkt des Weges. Wenn ihr Weg also dort erst anfängt, wo Ziegler (abstrakt) hinführt und aufhört, dann stimmt an Zieglers Kritik nichts, aber auch gar nichts.

Hier einige Zitate aus Mieke Mosmullers Buch:

Die Seligkeit der Evidenz in der Intuition kann nicht wissenschaftlich übertragen werden. Sie ist jedoch die erste Stufe der reinen Geist-Erkenntnis, die erste Stufe des erkennenden Erlebens der menschlich-göttlichen Intelligenz. (Das Tor..., S. 69, Hervorhebung H.N.)

Gerade dieses ‚Sehen in einem Augenblick’, dieser anschauende Überblick, der zugleich ein vollständiges Wissen ist, ist die Realisierung der Intuition. Da braucht es keine Reflexion, da ist unmittelbare wissende Anschauung. Keine bloße Erfahrung also, sondern mit Wissen durchtränkte Erfahrung. (S. 146)

Sobald das Denken in Gang gesetzt wird, ist das vollkommene Durchschauen des Gedachten – von Anfang bis Ende – dabei, und hat man eine vollkommene Gleichzeitigkeit des Denkens und der Beobachtung, denn die Beobachtung ist von Anfang an zugleich mit dem Denken da. Erst da setzt die eigentliche Erkenntnistheorie ein, denn erst jetzt ist der Gedanke eine reine Erfahrung, die zugleich vollständig ‚durch-wusst’ ist. Hier erst gelangt man zur bewussten Intuition, der Begriff leuchtet unmittelbar ein, denn er ist der Ursprung des Denkens, er ist bereits da, bevor gedacht wird. Und in diesem ‚bevor’ ist das Denken in der geistigen Welt vollkommen bewusst wissend darinnen. [...] Denkt man den Gedanken als Vor-Denken, dann sieht man Gedanke, Inhalt, Evidenz, Denkkraft und Bewegung in einem Vollzug, alles zusammen. (S. 156)

Richtet man seinen Denkerblick nie auf das Denken selbst, so bleibt es unerkannt. Tut man dies aber, so ist es eine Frage der stetigen Übung, die Erkenntnis des Denkens zu erlangen, nicht aber braucht man den üblichen Erkenntnisprozess und ‚entsprechende diesbezügliche Intuitionen’. Man braucht keine Intuitionen, man erlangt die Intuition in ihrem vollen Umfang, die intuitive Fähigkeit an sich. Denn die bewusste Anschauung des Denkens, die Beobachtung in der Gleichzeitigkeit, ist die Intuition und gibt die vollständige Erkenntnis, was Intuition eigentlich ist – weil sie sich da bewusst vollständig realisiert. (S. 160)

Dann aber schließt er das Lebendige dieser Selbsterkenntnis des Denkens vollständig aus, wenn er sagt:
‚Erkenntnis in diesem Sinne richtet sich naturgemäß auf Gewordenes. [...] Was noch im Erscheinen begriffen ist, was erst noch ins volle Dasein treten wird, kann in diesem Sinne nicht erkannt, wohl aber erlebt werden.’
Damit spricht er dem Menschen die Erkenntnisstufe der Inspiration und Intuition völlig ab. Denn die inspirative Erkenntnis ist gerade die Erkenntnis des werdenden Denkens, und die Intuition ist die Erkenntnis des Denkens, bevor es in Gang gesetzt ist. (S. 233)

Es erfordert eine große innere Ruhe und Ordnung und ein aufmerksames Wahrnehmen der eigenen Prozesse, um diesem Denken-vor-dem-Denken auf die Spur zu kommen. Zuvor hatte ich abgesehen von einem Inhalt und nur den Willen, das Denken in Gang zu setzen, gefunden. Nun gehe ich noch einen Schritt weiter zurück und bleibe auch noch vor diesem Punkt. So werde ich mir – nach vielen Malen des Versuchens! – bewusst, wie ich im Noch-nicht-Denken – in dem, was Hegel das ‚Nichts’ nennt – ein nicht vorgestellter, nicht zu einem Gedanken gewordener Impuls bin, der weiß, dass das Denken in Gang gesetzt werden will, der dies auch tut und zugleich auch weiß, wie er das machen muss, der also die Methode völlig beherrscht, sowohl im Wissen, als auch im Ausführen, aber gänzlich vorstellungsfrei. Wissen und Tun sind eins und gleichzeitig.

Dies nun ist das Wesen der Intuition: Dasjenige, was allem Wissen vorausgeht, was aber als Wesen stets im Unbewussten blieb, während wir dessen bewusst gewordene Wirkungen als Begriffe und Vorstellungen in unserem Denken hatten. (S. 236f)


An diesen Zitaten mag deutlich werden, dass Ziegler und Mosmuller von etwas völlig Verschiedenem sprechen.

Philosophisch-ideelle Selbstüberschätzung

Ziegler gibt zu:

„Natürlich hat sich Ziegler eher der gedanklich-ideellen, der rational-analytischen als der beschreibend-phänomenologischen Methode verschrieben“ – wobei nicht deutlich wird, ob bzw. warum er letztere Mieke Mosmuller zuordnet.

Weiter sagt Ziegler:

„Ziegler behauptet nirgends, dass er etwa die Tiefen des Ich weitgehend oder gar ganz ausgelotet habe – wer kann das schon von sich sagen? Im Gegenteil, er schreibt klar und deutlich, dass nur ausgewählte, eben philosophisch-ideell erfassbare Aspekte desselben diskutiert werden.“


Und hier scheint dann der Dreh- und Angelpunkt des Problems zu liegen. Ziegler bleibt im Bereich des rational-analytischen, philosophisch-ideellen Denkens. Mieke Mosmuller dringt in einen Bereich realer Geistigkeit ein, der jenseits dessen liegt, was Ziegler ideell als „Geist-Erfahrung“ beschreibt.

Scheinbar bescheiden und doch zugleich mit höchstem Anspruch schreibt Ziegler:

Und wenn in der Gedankenbildung etwas scheinbar zu einfach geraten ist, so hat man immerhin den Vorteil, präzise zu wissen, was man sich bei so grundlegenden Begriffen wie Freiheit, Intuition, Entwicklung und Bewusstwerdung denken kann. (S. 20)


Was aber, wenn diese Begriffe durch Zieglers Vorgehen ihr wahres Wesen noch gar nicht offenbaren können? Was, wenn z.B. „Bewusstwerdung“ so abstrakt gemacht wird, dass man zwar wunderschön das „allgemeine Gesetz der Bewusstwerdung“ formulieren könnte, dies aber mit dem wirklichen Vorgang gar nichts mehr zu tun hat – jedenfalls vollkommen wegführt von dem zentralen Erleben der Intuition, so wie Mieke Mosmuller auf dieses hinweist?

Wie wenig Ziegler „die Tiefen auslotet“, gibt er „klar und deutlich“ eigentlich erst in den Anmerkungen des Anhanges zu. Dort schreibt er auf Seite 356:

Wenn hier wiederholt vom Gesetz des reinen Denkens, dem Gesetz des Ich oder anderen Gesetzen, Ideen oder Begriffen die Rede ist, so wird damit nicht impliziert, alle wesentlichen Aspekte und Differenzierungen des angesprochenen Tatsachenbereichs zu erfassen. Es soll mit solchen „holzschnittartigen“ Begriffsbestimmungen nur darauf hingewiesen werden, dass man sich bei derart weitreichenden Tatbeständen auch etwas Konkretes denken kann, das sich dann schon weiter differenzieren lässt. Eine solche Entwicklung kann aber nur dann in überschaubarer Weise selbst gestaltet werden, wenn sie sich auf einige bereits erarbeitete, durchdachte Beziehungen stützen kann, die immer wieder neu und aktuell überprüft werden.


Aus dieser Anmerkung kann recht deutlich werden, wie sehr all die „durchdachten Beziehungen“ zu einem System erstarren, das ein toter „Baum der Erkenntnis“ bleibt. Denn es geht nicht darum, sich „etwas Konkretes zu denken“, etwa gar in der Intuition das „Gesetz der Denktätigkeit“ gegenwärtig im Bewusstsein zu haben oder Derartiges, sondern es geht um ein viel, viel realeres Erkenntnisgeschehen.

Selbstverständlich ist auch das, was Ziegler beschreibt, erlebt, beobachtet und erkennt, sehr real – und auf dieser Ebene der Betrachtung ist seine Darstellung auch wahr (ganz im Sinne von Steiners Zitat aus „Ein Fragment“) –, und dennoch führt dieses Erleben, Beobachten und Erkennen niemals weiter in die geistige Welt hinein.

Im einführenden Kapitel schreibt Ziegler:

Steiner hat öfter über sein Werk Die Philosophie der Freiheit geschrieben und gesprochen und dabei auch konkrete Bezüge zu seinem späteren Werk hergestellt, die bis in christologische Dimensionen hineinreichen. Auf vieles davon kann ich hier nicht eingehen, da nur von solchen Themen die Rede sein wird, die meiner unmittelbaren Erfahrung zugänglich sind.


Wenn aber Mieke Mosmuller in ihren Büchern auf vollkommen reale Erfahrungen des Christus-Wesens und auch der übersinnlichen Wesensglieder des Menschen hinweist und in ihrem Buch „Das Tor...“ betont, dass Zieglers Ansatz nicht in die geistige Welt führen kann – wie kann sich Ziegler dann berufen fühlen, zu behaupten, er wäre schon da und es sei vielmehr Mieke Mosmuller, die den Keim nicht entfalte, der für ihn nur „Üb- und Durchgangsraum“ ist? Hier muss doch wirklich jeder Seele mit halbwegs „gesundem Wahrheitsempfinden“ deutlich werden, wo die Wahrheit liegt.

Noch einmal: Ausgrenzung oder Vereinnahmung

Ziegler suggeriert in seinem ganzen Aufsatz, dass es darum gehe, niemanden auszugrenzen, was Mosmuller aber gerade tue. Man könne doch im Erkenntnisstreben die Zugänge des anderen gelten lassen; sich die Mühe machen, herauszufinden, welchen Gesichtspunkt der Andere einnimmt, und diesen dann auf den eigenen zu beziehen.

Diese schönen Worte, dieser schöne Gedanke, verdeckt aber gleich dreierlei Tatsachen.

Es geht nicht um Ausgrenzung, sondern um Wahrheitssuche: Was ist die Realität der Anthroposophie, was ist der reale Weg zu ihr?

Für Mieke Mosmuller ist sehr wohl deutlich, welchen Gesichtspunkt Ziegler einnimmt – ihre Ausführungen bestehen darin, nachzuweisen, dass dieser Gesichtspunkt nicht in die Realität der geistigen Welt hineinführt (wenn auch sehr wohl in das, was der Verstand noch als „geistige Welt“ erfahren kann).

Ziegler selbst verfolgt die „Methode der Ausgrenzung und der Vereinnahmung“, die er Mieke Mosmuller vorwirft, über seinen ganzen Aufsatz hinweg, nur tut er es sehr subtil, indem er es in die „Sprache der Toleranz“ kleidet.

Welche Mühe will Ziegler sich denn gemacht haben, herauszufinden, welchen Standpunkt Mieke Mosmuller wirklich einnimmt, wenn er ihre Ausführungen nur so versteht, dass sie ewig nur auf den Ausnahmezustand hinweise und weder eine Hinführung noch darauf aufbauende Stufen der Bewusstseinsentwicklung kenne? Wie erwähnt, vereinnahmt er ihre gesamten Hinweise in einem einzigen Absatz und stellt diese in völliger Verkehrung der Tatsachen so hin, als ob sie blind und stur da verharre, wo er nur einen „Üb- und Durchgangsraum“ sieht.

Implizit ist dies natürlich zugleich auch schon eine Ausgrenzung, denn wenn Ziegler mit seiner pervertierten Darstellung recht hätte, würde sich ja tatsächlich jedes weitere Gespräch als sinnlos erweisen.

Expliziter wird die von Ziegler betriebene Ausgrenzung, wo er sehr akribisch das Mosmuller vorgeworfene „Ausgrenzungsvokabular“ auflistet und nebenbei noch erwähnt, dass man „schon ... Carl Unger“ in dieser Weise angegriffen habe.

Natürlich verfehlt es seine Wirkung nicht, wenn der Eindruck entsteht, Mieke Mosmuller würde Ziegler fast auf jede Seite ihres Buches als „verstandesmäßig“, „dekadent“ oder „arabistisch“ beschimpfen. Aber erstens geht es nicht um ein Beschimpfen oder Ausgrenzen, sondern um Wahrheitsfragen; zweitens konnte Ziegler auf 130 Seiten nur 15 Fälle solcher Worte zusammentragen; und drittens sind alle diese Aussagen in ihrem jeweiligen Zusammenhang wohl begründet.

Was will denn Ziegler bezwecken? Dass man reflexartig glaubt, „mit solchen Worten“ könne Mosmuller ja nur Unrecht haben? Ist es etwa kein Nominalismus, wenn Ziegler auf dieses „Vokabular“ verweist, ohne zu sehen, dass diese Worte jenseits von „Ausgrenzungsabsicht“ einen Sinn haben und Mieke Mosmuller mit ihnen etwas sehr Begründetes bezeichnen will?

Das „Vokabular“ im begründeten Zusammenhang

Das Wort „verstandesmäßig“ etwa hat eine sehr konkrete Bedeutung, die nichts mit Ausgrenzung zu tun hat, sondern einfach Tatsachen bezeichnen kann. Ich möchte hier zwei eigene Beispiele aus Zieglers Buch anführen, an denen der Leser selbst nachvollziehen mag, inwieweit die Bezeichnung „verstandesmäßig“ eine innere Berechtigung hat:

In einem ersten Schritt zur Verwirklichung des materialen Aspektes des reellen moralischen Bezugs, das heißt zur konkreten Verwirklichung der reell auf den Handlungskontext bezogenen Handlungsidee, geht es um die situationsgemäße Einordnung des Handlungszieles in den gegebenen Erfahrungszusammenhang. (Ziegler, S. 243)

Damit es zu einem einzelnen Ich-Denk-Akt eines Ich kommen kann, bedarf es verschiedener Bedingungen: (1) Es existiert ein Willenspotential, ein ewig kraftender Urgrund des Ich. (2) Es gibt einen Verwirklichungsfonds, einen Hingabewillen, der sich über das in sich selbst kraftende Ruhen des Ich hinaus auf andere Weltbereiche erstrecken kann. (3) Es gibt einen außerhalb des Ich liegenden Weltbereich, der sich einer Verwirklichung des Ich zur Verfügung stellt. (4) Das Ich kann den Beginn einer konkreten Verwirklichung initiieren. (Ziegler, S. 317)


Nur zur weiteren Verdeutlichung seien noch einige der von Ziegler inkriminierten Stellen im Zusammenhang von wenigstens ein, zwei Sätzen angeführt (siehe hierzu auch meine Entgegnung auf Steinmann/Decressonnière: "Das Verstandesdenken – keine Diffamierung, sondern eine Tatsache"). 

S. 223: Der Irrtum besteht darin, dass eine Erkenntnistheorie geschaffen wurde, die mit dem alltäglichen Verstandesdenken erfasst wurde. Dadurch kann es nicht anders sein, als dass die Theorie die Merkmale (Form) und den Inhalt des Verstandesdenkens hat. Es bleibt dadurch ein ‚kantartiges’ Abenteuer des reinen Denkens, wobei das reine Denken nur im nachhinein in Form von Spuren bewusst wird [...]

S. 243: Den Erkenntnisprozess nennt er Beobachtungsbewusstwerdung des Denkens, es ist ein nachträgliches Erkennen von Denkformen und Denktätigkeit, indem der Erkenntnisprozess auf die Spuren des Denkens gelenkt wird, die wie Erinnerungen im Bewusstsein aufleben. Diese sind Zieglers ‚Beobachtungen’ des Denkens. Damit ist aber die Erkenntnisart per definitionem auf Verstandes-Erkenntnis beschränkt. Denn die Spuren tragen wirklich noch die Einflüsse des Körpers mit in die Betrachtung hinein.

S. 282: Renatus Ziegler hat der Intuition mehr als vierzig Buchseiten gewidmet. Es gibt viele Tabellen, Prinzipien, Gesetze, Definitionen. Es wird klar, dass hier die Verstandesseele versucht, sich der Realität der Intuition zu nähern. [Ziegler zitiert hier das Wort „verstandesseelig“, das aber bei Mosmuller überhaupt nicht vorkommt!]

S. 294: Obwohl Steiner selbst die Philosophie für überwunden, für beendet hielt, weil ihre Aufgabe erfüllt war, findet man heute noch immer auch ‚anthroposophische Philosophie’, eine erkenntnistheoretische Philosophie, die noch weitergeführt wird, nachdem Rudolf Steiner sie für beendet erachtete. Wenn etwas sein Optimum erreicht hat, kann es, wenn es weitergeführt wird, nur noch in Dekadenz geraten.

S. 269: Ich habe zuvor gesagt, dass der Mensch nie die wahre Anthroposophie verwirklichen kann, wenn er sich diese nicht in ihrem Ausgangspunkt, in ihrem Fundament erschafft: der reinen Form. Hier muss ich erweitern: Auch wenn der Mensch imstande wäre, die reine Form zu schaffen, und er würde sich nicht dazu erheben können, die Formen individuell zu erleben, so fände er noch immer keine Anthroposophie, sondern Arabismus. Denn das ist das Wahrzeichen der arabistischen Philosophie, dass die reine Form universell ist und bleiben muss, dass sie sich nicht individualisieren kann. In der geistigen Welt gibt es dann keine menschliche Individualität, sondern nur All-Geist, Universalität.

Zieglers Erkenntnisstufen und ihre Grenzen

Ziegler entwickelt in seinem Buch auf rund 100 Seiten folgende Stufenfolge der Erkenntnis bzw. Bewusstwerdung:

- Naives reines Denken: Sinnlichkeitsfreies Denken reiner Begriffe, z.B. des Kreises oder „Teil und Ganzes“.
- Beobachtungen vergangener Denkakte, d.h. des früher Gedachten und der Spuren der Denktätigkeit.
- Beobachtungsbewusstwerdung – Ausnahmezustand: Gedankliche Bearbeitung dieser Beobachtungen (vollzogene Denkakte), Herausarbeitung der Form des Denkens, d.h. des allgemeinen Begriffs/Gesetzes der Denktätigkeit und der Begriffe.
- Erkenntnis des beobachteten Denkens: Verknüpfung von Beobachtung (vollzogene Denkakte) und Begriff (Gesetz des Denkens) zum Erkenntnisurteil.
- Intuitives Erleben: Gegenwärtiges Erleben reiner Denkinhalte und Miterleben der Denktätigkeit.
- Beobachtungsbewusstwerdung der intuitiven Tätigkeit (im Nachhinein).
- Intuitive Bewusstwerdung: Im intuitiven Erleben gleichzeitig Bewusstwerdung der allgemeinen Gesetzmäßigkeit von Denkinhalt und Denktätigkeit. („Die Inhalte des reinen Denkens erscheinen im intuitiven Licht als in sich ruhende beständige und in sich bestimmte Gesetzmäßigkeiten, denen die Denktätigkeit begegnet...“, S.90).

Das Problem ist nicht nur die abstrakt abgestufte Gliederung, die im Sinne eines systematischen (wenn auch ebenso abstrakten) Verstehens durchaus sinnvoll sein kann. Ziegler gebraucht in diesem System auch selbst-definierte Begriffe, die den Zugang zu einem realeren Geist-Erleben ausschließen.

Für ihn ist Beobachtung ein objekthaft Gegebenes und Erkenntnis etwas, was aus der Verknüpfung von Beobachtung und dem ihr entsprechenden, gedanklich zu entwickelnden allgemeinen Gesetz hervorgeht.

So muss dann definitionsgemäß sogar die Intuition erst im Nachhinein bewusst werden, weil sie zunächst – im Unterschied zum „Erkennen“ – nur „erlebt“ wird. Erst in einem weiteren Schritt kann dann während des intuitiven Erlebens zugleich auch das allgemeine Gesetz des Denkinhalts und der Denktätigkeit bewusst sein.

Diese immer weitergeführte Systematik führt vollkommen in die Irre, weil es in der wirklichen Intuition diese ganzen Unterscheidungen (Beobachten, Erkennen, Erleben) nicht mehr gibt. Intuition ist Erkenntnis. Natürlich ist man sich in einer alltäglichen Begriffsintuition zunächst nicht bewusst, dass man eine Intuition gehabt hat. Wenn man aber willentlich das reine Denken übt, dann kommt man zum bewussten Denken von Begriffen – und dies ist bereits Intuition. Im weiteren Prozess dieses Übungsweges wird man auch mehr und mehr das Wesen der Intuition erfassen, das Wesen der Erkenntnis erfassen – und zugleich damit verwirklichen.

In der Intuition sind Wahrnehmung und Begriff – im Gegensatz zur sonstigen Erkenntnis – nicht mehr getrennt. Der Begriff ist das Wahrgenommene bzw. im Wahrgenommenen ist dessen Begriff immer schon untrennbar mit umfasst. Zugleich durchdringt sich hier Erkennendes  und Erkanntes. Es ist ein Leben und Weben in Erkennen. Die von Ziegler aufgebauten Begrifflichkeiten (s.o.) fallen hier in Nichts zusammen, weil das hier realisierte Erkennen all diese mit umfasst – gleichzeitig und ungetrennt: Man lebt und webt in einem Erleben und Erkennen und Anschauen.

Man braucht kein „Gesetz der Denktätigkeit“ oder sonstige Abstraktionen, weil dies alles in dem wirklichen Prozess des Erkennens alle Bedeutung verliert. Das Erkennen ist ein viel leuchtenderer, harmonischerer, organischerer und lebendigerer Prozess, als Zieglers Ausführungen und „bewusstgewordene“ bzw. bewusstzumachende Gesetze je ahnen lassen können.

Bevor Ziegler also Mieke Mosmuller irgendwelche „Ausgrenzungen“ vorwirft, sollte er sich doch noch einmal die Mühe machen, den Inhalt ihrer Einwände und die Sphäre ihrer Denktätigkeit nachzuerleben, um allmählich wirklich deren Realität zu erkennen.

Ein letztes Mal: Ausgrenzung

Es sollte deutlich geworden sein, dass es in Mieke Mosmullers Buch um wichtige Erkenntnisfragen geht. Es geht ihr in jedem ihrer Bücher um die Frage nach dem Wesen der Anthroposophie – einem von ihr real erlebten Wesen. In Zieglers Entgegnung wird nichts davon deutlich. Er verstrickt sich in einen Diskurs um „Ausgrenzung und Vereinnahmung“ und bemerkt dabei überhaupt nicht, dass er es ist, der diese beiden „Scheinalternativen“ zur Realität macht.

Ziegler mag seine Herangehensweise als „gedanklich-ideell“ und „rational-analytisch“ bezeichnen und glauben, auch das wäre ein Weg zur Anthroposophie. Das kann und mag er vertreten. Mieke Mosmuller hat in ihrem Buch nachgewiesen, warum es nicht so ist. Sie spricht aus einem Erleben der realen Anthroposophie. Wenn sie dann sagt, das Vorgehen von Ziegler ist zu abstrakt, um jemals zu jenem realen geistigen Erleben und Erkennen zu kommen, auf das sie den Leser hinweisen will, dann hat das nichts mit „Ausgrenzung“ zu tun, sondern mit Realitäten. Aus ihrer Erkenntnis heraus muss klar gesagt werden, dass jene Erkenntnisart, die sich in Zieglers Ausführungen zeigt, von selbst vor dem Tor zur geistigen Welt verbleiben muss. Mieke Mosmuller begründet nur, warum es zu dieser selbstverursachten Ausgrenzung kommt.

Wenn diese (Zieglers) Erkenntnisart dennoch als „anthroposophisch“ bezeichnet wird, dann muss eine Erkenntnisart, die täglich in der wahren Anthroposophie lebt, auch dies ganz deutlich als Unwahrheit bezeichnen.

Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein – das Wahre als wahr, das Unwahre als unwahr zu bezeichnen. Doch heute steht dem oft entgegen, dass man „alles gelten lassen“ will. Dadurch aber geht alles Unterscheidungsvermögen verloren und die Wahrheit hat keinen Wert mehr, denn sie wird nicht mehr (an)erkannt. 

Anstatt den einzelnen Leser die begründende Darstellung von Mieke Mosmuller nachvollziehen und sich ein eigenes Urteil bilden zu lassen, verteidigt Ziegler sich selbst und fährt die modernen Geschütze der „political incorrectness“ auf: Mosmuller grenze aus, erkenne andere Zugänge nicht an, erkenne nicht einmal, was man eigentlich tue usw. – Das alles ist Wortgetöse, das selbst nicht anerkennen will, dass es hier um Wahrheitsfragen geht.

Darüber hinaus stellt sich doch die Frage, wie diese „Ausgrenzung“ denn praktisch vonstatten gehen sollte. Ist es denn auch nur halbwegs so, dass heute erkannt würde, wie sehr Zieglers und Muschalles Herangehensweise einer wirklichen Geist-Erkenntnis den Riegel vorschieben? Ist nicht vielmehr diese Herangehensweise und Auffassung weit – um nicht zu sagen: allgemein – verbreitet? Ist nicht Zieglers Buch im größten anthroposophischen Verlag erschienen und im „Goetheanum“ sehr wohlwollend besprochen worden, während Mosmullers Bücher in einem kleinen Verlag erscheinen und in der „Wochenschrift“ darüber keine Buchbesprechungen gedruckt werden? Wo geschieht hier eine Ausgrenzung?

Wie weit Ziegler selbst die Ausgrenzung betreibt, zeigt dann seine letzte Fußnote, wo er sagt,

„dass Mosmullers Buch [...] als eine exemplarische Studie zur Strategie der Ausgrenzung und Vereinnahmung einer Denkart unter dem Deckmantel eines Wahrheitsanspruchs gelesen werden kann.“


In diesem Absatz unterstellt Ziegler nicht weniger als

- dass Mieke Mosmuller eine Denkart ausgrenze, obwohl die zu betrachtende Frage zu einem ganz anderen Urteil darüber führen würde,
- dass sie dies unter dem Deckmantel eines Wahrheitsanspruches tue, der real nicht berechtigt sei,
- und dass sie eine Strategie verfolge, wenn auch „so wohl nicht bewusst beabsichtigt“ (!?).

Stärker kann eine subtile Ausgrenzung eigentlich nicht sein. Eigentlich bräuchte hierzu nichts mehr weiter gesagt zu werden. Die Frage ist nur: Tut Ziegler das bewusst oder ist es ihm nur halb bewusst?

Was jedenfalls ganz klar wird, ist, dass er Mieke Mosmullers Buch und seine Gedankenführung vollständig nicht verstanden hat. Statt sich nun aber auf den mühevollen Weg zu machen, den er von ihr fordert – nämlich zu verstehen, was sie wirklich meint und fortwährend auch wirklich sagt –, beharrt er auf seinem Anspruch („Anthroposophie“), fühlt sich ausgegrenzt und unterstellt Mieke Mosmuller niederste Motive. Und selbst diese vereinnahmt er dann noch, indem er wohlwollend unterstellt, sie tue das womöglich nicht bewusst...

Die Wahrheit kann der Leser immer nur in sich selbst erleben. Nur sollte es, wenn man überhaupt die Wahrheit finden will, um Inhalte gehen, nicht um Schlagworte, unterstellte Methoden, suggerierte Motive oder ähnliches.