Der Unterschied zwischen den „Egoisten“ und einem weiblichen Wesen

Symptomatisches zu einer der wichtigsten Fragen unserer Welt.


Inhalt
Das Innere der „Megamaschine“...
...und die galoppierenden Scheuklappen
Spott als Sprache Ahrimans
Die Megamaschine und der Wärme-Impuls
Das Wesen des Weiblichen I
Das Wesen des Weiblichen II


Das Innere der „Megamaschine“...

In meinem letzten Aufsatz erwähnte ich die reflexartige Kritik der „Egoisten“ gegen ein Buch wie „Das Ende der Megamaschine“ von Fabian Scheidler. Um sich einen weiteren Eindruck von Buch und Autor zu verschaffen, kann man einmal dieses Interview lesen [o].

Fabian Scheidler analysiert westliche Geschichte aus konsequent linker Perspektive. Er sieht das, was er „Megamaschine“ nennt, seit 500 Jahren am Wirken.

Francis Bacon (1561–1626) steht paradigmatisch für die von Scheidler analysierte Denkweise. Bacon betrachte die Natur als Sklavin des Menschen. Sie sei auf die Folter zu spannen, um ihr ihre Geheimnisse zu entreißen, immer weiter in sie einzudringen. Mit diesem kalten, männlichen Trieb leitete er die auf Unterwerfung gerichtete „Naturwissenschaft“ ein. Es ist dies eine Denkweise, die ihr Herz zugunsten eines gefühllosen Macht-Impulses verloren hat. Bacon lebte im Zeitalter der Inquisition – und er war auch selbst Inquisitor, folterte sogar selbst [o].

Hier, in der absoluten Gefühllosigkeit, wo ein mitleidloses, die Vernichtung des Gegners als höhere Notwendigkeit ansehendes Denken die Herrschaft über die menschliche Seele erobert hat, wird die moderne Wissenschaft geboren. Aber nicht nur die Wissenschaft – die Welteroberung überhaupt. Schon ein Jahrhundert zuvor, zwischen 1500 und 1600, wurde der amerikanische Doppelkontinent in Blut regelrecht ertränkt. Gefühllos mordeten die Eroberer Männer, Frauen und Kinder der ursprünglich dort lebenden Völker. Auch sie, die Fremden und „Wilden“, waren allenfalls Sklaven.

Aber das Leben auf Kosten anderer blieb eine Konstante der „Megamaschine“, in deren heilem Zentrum wir leben. Scheidler schreibt in seinem Buch [o]:

Eine Neuorientierung fängt damit an, den Standpunkt der Betrachtung zu verändern. Die Saga vom Fortschritt macht aus der Sicht der Sieger der Geschichte – zu denen in der Regel auch Menschen gehören, die Geschichtsbücher schreiben – durchaus Sinn. Während ich beispielsweise dieses Buch schreibe, sitze ich in einem beheizten Raum, trinke Kaffee, schaue aus dem Fenster und sehe das Herbstlaub fallen, während meine Tochter in einem hübschen Kindergarten um die Ecke spielt. Die Welt erscheint in Ordnung. Jedenfalls in dem kleinen Ausschnitt von Zeit und Raum, den ich gerade überblicke.
Sobald ich den Ausschnitt aber vergrößere und den Standpunkt der Betrachtung verändere, bietet sich mir ein vollkommen anderes Bild. Der Sicherheitsmann im Irak etwa, der die Pipeline, durch die mein Heizöl fließt, bewacht und seine halbe Familie im Krieg verloren hat, sieht einen anderen Teil der Welt, er hat eine andere Geschichte erlebt; und der Siegeszug des Systems, von dem dieses Buch handelt, hat für ihn eine andere Bedeutung. Das Gleiche gilt für die Kaffeebäuerin in Guatemala oder den Arbeiter in einer Coltanmine im Kongo, der die Mineralien aus der Erde holt, ohne die mein Computer nicht funktionieren würde. Mit all diesen Menschen bin ich, obwohl ich sie nicht kenne, verbunden; und wenn ich eine realistische Geschichte des Systems, in dem ich lebe, erzählen will, dann muss ich auch ihre Geschichten und die Geschichte ihrer Vorfahren erzählen. Ich muss, mit anderen Worten, meinen Kokon verlassen und die Welt durch die Augen von Menschen betrachten, deren Stimmen in der Regel von den Megaphonen der Macht übertönt werden.
In einer derart veränderten Perspektive zeigt sich die von Europa ausgehende Expansion der letzten 500 Jahre als eine Geschichte, die für den größten Teil der Menschheit von Anfang an mit Vertreibung, Verelendung, massiver Gewalt – bis hin zum Völkermord – und der Zerstörung ihres Umweltraumes verbunden war. Diese Gewalt ist keine Sache der Vergangenheit, keine „Kinderkrankheit“ des Systems, sondern eine seiner dauerhaften strukturellen Komponenten. Die sich abzeichnende Zerstörung der Lebensgrundlagen von Hunderten Millionen von Menschen durch den Klimawandel legt dafür aktuell Zeugnis ab.

...und die galoppierenden Scheuklappen

Die „Egoisten“ haben für linke Analysen der Weltgeschichte nur ein müdes Lächeln übrig – und Spott und Sarkasmus.

Stephan Birkholz – 19.04.2017 21:14
Aber wenigstens beschert das Scheitern der Zivilisation noch unzähligen gescheiterten Existenzen die Möglichkeit, Bestseller mit Rekordumsätze zu schreiben.
Das ist doch wenigstens Mal gerecht, oder?


Ein aktiver, junger Mensch, der an eine andere Welt glaubt und versucht, die Menschen zu bestimmten Erkenntnissen zu bringen, durch die sie sich auf das eigentlich Menschliche besinnen könnten, wird hier also als „gescheiterte Existenz“ diffamiert. Anders als so zutiefst herablassend würde auch die neofeudale Oberschicht nicht urteilen, die längst vom wahren Leben abgekoppelt ist und sich um das Leben außerhalb ihrer Blase nicht kümmert.

Diese „Egoisten“ glauben, sie würden das Menschliche, das Humane, verteidigen, indem sie vor östlichen Kleptokraten und neurechten Strömungen warnen – aber ihre Sprache, ihr herabwürdigendes, sarkastisch-kaltes Denken ist von seinem Wesen her das gleiche. Nun, sie würden niemanden umbringen, wenn sie nicht bedroht sind; sie sind keine „schlechten Menschen“, sind sie doch gerade „die Guten“ – aber ihr Denken und Sprechen ist von gleicher Wesensart. Auch hier herrscht die Abwesenheit des Fühlens. Nicht Wärme, sondern Kälte. Nicht Liebe zur Wahrheit und zum Mitmenschen, sondern kaltes Kommentieren der angeblichen Idiotie dieser Mitmenschen, der realen Minderwertigkeit und Irrheit ihrer Gedankenwelten, die nur noch mit beißendem Spott quittiert werden kann.

Diese Egoisten sind zu geradezu ideologischen Verteidigern einer untergehenden Welt geworden. Nicht einer untergehenden Welt der Rechtsstaatlichkeit, bedroht durch das dunkle Chaos von allen Seiten, sondern einer untergehenden Welt der Unterwerfung, der Kälte, der Blindheit, der fehlenden Ehrfurcht vor Natur, Schöpfung und Schönheit. Diese Welt geht unter und reißt immer mehr alles mit sich – und merkt dies nur deshalb nicht, weil ihr exorbitant bequemer Wohlstand sie mit völliger Blindheit geschlagen hat. Blind und mitleidlos schreitet diese Welt ohne Besinnung immer weiter auf die Abgründe zu...

In ihrer völlig sich versteifenden Argumentation werden die „Egoisten“ zu reaktionären Gestalten, die mit ihrer Bekämpfung linker Gedanken und Sichtweisen ihrerseits eine Querfront mit den drohenden repressiven rechten Strömungen bilden. Denn wenn jede linke Sicht inzwischen als „russlandfreundlich“ und „Öl ins Feuer der Rechten“ gilt, dann bleiben nur noch die Rechten. Und die ach so bedrohte, von links und rechts bedrohte ideale Rechtsstaatlichkeit, die nur die „Egoisten“ noch zu schätzen wissen. Hier wird an einem neuen Mythos gebastelt. Dieser Mythos lautet: Wir müssen unseren politischen Führern, den Merkels, den Schröders, den Schäubles dankbar sein, sie sind große Menschen, die unsere Freiheit sichern und eine tief menschliche, zivilisierte, freie Welt gegen den Ansturm des Bösen verteidigt haben.

Die Megamaschine wird es diesen alternden Herren mit ihrem wahnwitzigen Scheuklappendenken danken, dass sie sogar von dieser so unbedeutenden Seite so gestützt wurde.

Spott als Sprache Ahrimans

Eine Gegenstimme gegen die immer reaktionärer werdenden Stimmen wirft auf dem „Egoisten“-Blog ein:

Anonym – 19.04.2017 22:34
Aber es wird doch verdammt nochmal erlaubt sein, unter Inanspruchnahme der Rechte und mit Rückgriff  auf die Instrumente des demokratischen Rechtsstaates zu versuchen, dort wo Regierungen die sich auf den Wertekonsens berufen, aber gleichzeitig die Werte die diesem zugrundeliegen und die sie sich auf die Fahnen schreiben mit Füssen treten, dagegen anzutreten. Mit dem Ziel,  sie wieder zu ihrer ursprünglichen Ausrichtung zurückzuführen.


Daraufhin wird dieser Blogger nach „Egoisten“-Art gemobbt, wie üblich. Hinter der folgenden Antwort steht ganz offenbar wiederum Stephan Birkholz, dessen triefender Spott so unglaublich charakteristisch ist:

Heidrun das Mondkalb – 19.04.2017 23:21
Sonnenmädchen Ursula!
Hast Du zufällig schon das Daumenkino fertiggemalt?
Dem Rudolf ist nämlich grade wieder sooooooooooo langweilig und dann hätte er eine Beschäftigung!


Auch hier wird ein bestimmter Blogger überhaupt nicht mehr als Mensch wahrgenommen, betrachtet und behandelt. Er wird behandelt wie ein Tier, ein törichtes Kleinkind, ein Sklave, ein Dummling, ein Objekt, ein Spielball – ein Spielball für die hässlichen Ausflüsse der eigenen Seele...

Nebenbei verspottet Birkholz hier einmal mehr auch mich und meinen Roman „Sonnenmädchen“. Das ist symptomatisch – denn gerade in diesem Roman lebt das Weibliche so stark, dass sein Wesen erkannt werden müsste, wenn man nur die Fähigkeit hätte, sich darauf einzulassen. Das aber haben die Spötter längst nicht mehr. Sie haben diese Fähigkeit längst verloren – und so löst es bei diesen kalt und hässlich gewordenen Seelen nur Spott aus. Dahinter steht unmittelbar der Spott der Gegenmächte selbst. Jeder Spott dieser Art ist die Sprache Ahrimans. Das Andere aber, das Christliche, wäre gerade das tiefe Verstehen. Das Verstehen, das Wiedererkennen des Verlorenen. Dazu würde Demut und Hingabe gehören – und eine Sehnsucht der Seele nach diesem so sehr Verlorenen. Die egoistische Seele aber wird kälter und kälter...

Der „Egoisten“-Blog geht mit Andersdenkenden und anders Empfindenden um wie ein Mob. Er unterscheidet sich damit nicht von vielem in der Welt draußen. Die „Egoisten“ vermeinen, für die Freiheit („Rechtsstaat“) einzutreten. Im selben Atemzug aber werden sie durch ihre Gedanken, ihre Sprache, ihre Urteile, zu reaktionärsten Verteidigern jenes Kältestroms, der die bröckelnde Fassade des Rechtsstaates immer mehr durchzieht, wie eine unsichtbare Krankheit, deren Symptome doch längst schon überall sichtbar sind.

Die „Egoisten“ werden zu Spöttern gegenüber dem wahrhaft Christlichen, gegenüber dem realen Wärme-Strom, der in den Herzen leben und aus den Herzen sprechen will. Und sie werden zu willfährigen, willkommenen reaktionären Stützlingen der Megamaschine, der es um so lieber ist, je weniger sie erkannt und benannt wird, um bis zum bitteren Ende die Menschen und den Rechtsstaat auszusaugen. Irgendwann wird auch dieser Rechtsstaat als leere Hülle und tote Haut zurückbleiben – und die „Egoisten“ werden sich umgucken.

Selbst ein Frank Schirrmacher bekannte mit bewundernswerter Aufrichtigkeit 2011: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“ [o]. Für die „Egoisten“ liegt dieser Moment noch in weiter Ferne. Sie werfen gerade alle linken Reminiszenzen über Bord, um sich mit diesem Verrat vermeintlich um so besser gegen die Gefahr von rechts wehren zu können. Sie sollten einmal Sebastian Haffner lesen. Der Verrat wahrhaft emanzipatorischen Denkens führte immer schon um so schneller in die schlimmste Reaktion. Nicht nur das Kapital ebnete Hitler die Wege – auch die Mörder Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs.

Die Megamaschine und der Wärme-Impuls

Heute läuft in den Kinos der Film „The Founder“ an. Er erzählt die Geschichte des Mannes, der McDonalds „groß“ machte. Im Grunde erzählt er auch die Geschichte der Megamaschine. Denn Ray Kroc ist einer ihrer unendlich typischen Vertreter. Alle „Egoisten“ sollten sich diesen Film ansehen [o o]. „Ja, aber das ist nicht der Rechtsstaat!“, werden sie sagen. Nein, aber es ist die Megamaschine. Um sie geht es. Sie haben die „Egoisten“ nicht im Blick. Aber diese Megamaschine wirkt – und sie ist stärker als der Rechtsstaat, der sie im Übrigen mit geschaffen hat, weil er sie nicht zähmte, sondern ihr das Feld bereitete.

Einer der Aussprüche von Ray Kroc ist [o]:

If any of my competitors were drowning, I'd stick a hose in their mouth and turn on the water. It is ridiculous to call this an industry. This is not. This is rat eat rat, dog eat dog. I'll kill 'em, and I'm going to kill 'em before they kill me. You're talking about the American way – of survival of the fittest.
- Wenn einer meiner Konkurrenten ertrinkt, ich würde ihm einen Schlauch in den Mund stecken und den Hahn aufdrehen. Es ist lächerlich, hier von einer Industrie zu sprechen. Das ist es nicht. Es ist Ratte gegen Ratte, Hund gegen Hund – Fressen. Ich werde sie töten – und ich töte sie, bevor sie mich töten. Wir sprechen hier über den amerikanischen Weg – das Überleben des Stärksten.


Dies alles nicht zu sehen, macht die „Egoisten“ zu Kollaborateuren der Megamaschine. Martin Luther King sagte vor sechzig Jahren, am 5. Dezember 1957 [o]:

And I go on to say that they must rise up without fear. And sometimes I will even go so far to say that it may be that the great tragedy in this great period of social transition is not the glaring noisiness of the bad people, but the appalling silence of the good people. It may be that our generation will have to repent, not only for the diabolical acts and vitriolic words of the children of darkness, but also from the tragic apathy and crippling fears of the children of light.


Viel zu lange herrscht in dieser Welt schon der Hass und die Kälte, viel zu viel Raum hat die menschliche Seele diesen sie selbst tötenden Kräften gegeben. Diese dunklen Kräfte machen den Menschen selbst ähnlich einer Maschine – einem Wesen, das kalt und egoistisch nur noch die eigenen kalten Gedanken denkt und den eigenen kalten Vorteil sucht. Jede Kälte aber, sei es im Denken, im Fühlen oder im Wollen irgendeiner Seele stützt und stärkt diese in der Welt fortwährend wirkenden Kräfte – und stärkt so auch die „Megamaschine“, die vernetzte Wirksamkeit dieser Kräfte und ihrer Eigendynamik.

M. L. King hatte auch hierauf eine Antwort: unverdientes Leiden hat eine erlösende Kraft. In engster Anlehnung an Mahatma Gandhi sagt er:

My friends, we must keep on believing that unearned suffering is redemptive. We must say to our white brothers all over the South who would try to keep us down: “We will match your capacity to inflict suffering with our capacity to endure suffering. We will meet your physical force with soul force. We will not hate you, and yet we cannot in all good conscience obey your evil laws. Do to us what you will. Threaten our children, and we will still love you. Come into our homes at the midnight hours of life and take us out on some desolate highway and beat us and leave us there, and we will still love you. [...] Bomb our homes and go by our churches early in the morning and bomb them if you please, and we will still love you. But we will wear you down by our capacity to suffer. [...] And our victory will be a double victory. We will win our freedom, and we will win the individuals who have been the perpetrators of the evil system that existed so long.”


Aber was kann ein Martin Luther King, was kann ein Sonnenmädchen noch ausrichten, wenn die Seelen von Kälte und Verachtung bereits zerfressen sind? Alles, alles kommt darauf an, dass sie vorher erreicht werden. Dass die eigentliche Seele ihr wirkliches, ihr reines, heiliges Wesen wiederfindet, bevor sie es ganz verloren hat. Wohl keine Seele hat dieses ihr wahres Wesen heute schon ganz verloren. Aber die Mauern werden dicker, immer, immer dicker...

Das Wesen des Weiblichen I

In meinem letzten Aufsatz erwähnte ich die resignative Aussage von Mischa über das verteilte, parzellierte Land – dem man sich nur fügen könnte. Es bleibe nur die Obdachlosigkeit oder das Mitlaufen mit Asphalt, Technik, iPhone etc. etc. Diese Weltsicht in Verbindung mit der sarkastisch-verachtenden Kritik gegenüber Menschen wie Fabian Scheidler und allen Mitstreitern und Büchern wie „Das Ende der Megamaschine“ offenbart die ganze Tragik des abgewirtschafteten männlichen Geistes. Wo der Intellekt nicht den niedersten Machtinstinkten dient, da verfällt er dem resignativen „Realismus“, der braven Angepasstheit an die Verhältnisse.

Ein Rudolf Steiner, ein Martin Luther King, ein Erich Fromm, ein Bertold Brecht, eine Rosa Luxemburg, ein Novalis, ein Schiller – und unzählige andere hätten sich im Grabe umgedreht, sähen sie diese zutiefst bürgerlich gewordenen Egoisten, die wie das Kaninchen auf die Schlange nur auf den rechtesten Rand der ganzen Welt starren – und die längst im Inneren dieser ganzen Welt wütende Megamaschine und ihre eigentliche seelische Grundlage, auf die sie sich stützt, nicht sehen. Das, worauf die Egoisten schauen, ist nur die Spitze eines Eisberges. Sie aber verspotten jene, die auf den ganzen Eisberg hinweisen – auf den unendlich groß gewordenen Berg an vereisten, eisigen, kalten Empfindungen, Gedanken und Willensimpulsen.

Es ist ein weltenweiter Unterschied, wie der Blogger Mischa auf das „verteilte, parzellierte“ Land blickt (auf das Land, das andere Männer verteilt und parzelliert haben) – oder wie eine Frau dies tun würde. Um dies wirklich erleben zu können, muss man sich einmal wirklich darauf einlassen. Man muss es erleben lernen. Auf der einen Seite dieses männliche, resignative, vom Intellekt geprägte „Das ist eben so, die Technik entsprang dem menschlichen [männlichen!] Denken, nun wird der Mensch sie nicht mehr los.“ Der Intellekt braucht nicht lange, um dies einzusehen und sich in einer Art versteckter Todessehnsucht auch hineinzufügen. Der Mann ist es, der Technik, Tod und Kälte irgendwo „liebt“, denn sie ist viel zu stark Teil seines Wesens geworden: totes, abstraktes Denken, kaltes, erkaltetes und allzuoft manipulierendes Fühlen, egoistisches, von Macht durchsetztes Wollen. Die Seele des Mannes ist von Todeskräften durchsetzt wie ein tumordurchsätes Organ. Deswegen fällt ihm die Resignation so leicht. Der Mann gibt auf, weil er noch nie richtig gelebt hat – er mag anderes behaupten, aber er wurde ja schon männlich geboren. Der Mann leidet von Geburt an an stärkeren Todeskräften als die Frau. In diesem Sinne zähle ich den Egoismus voll und ganz mit zu diesen Todeskräften – denn Egoismus ist Seelentod. Er mündet in die völlige Unfähigkeit zu wirklichem, reinem Fühlen, das erst seinem Wesen nach Fühlen wäre.

Um nun zu erleben, wie eine Frau auf dieses „verteilte, parzellierte“ Land blicken würde, können wir uns auf ein Lied einlassen. Es ist das Lied einer durchaus starken, emanzipierten Frau – und doch eben einer Frau, keines Mannes. „Dota und die Stadtpiraten“ – Dota singt von „erschlossenem Land“. Wie sie das tut, könnte es kein Mann tun. Allein schon die Stimme ist die einer Frau. Wenn man sich auf diesen Unterschied – den Klang der Stimme, den Klang der Seele, das Mitschwingende, die Art des Denkens und Fühlens wirklich einlassen kann, dann erlebt man immer tiefer, was dieser Unterschied ist.

Dota & die Stadtpiraten: Erschlossenes Land.

Das Herz erkennt das „Erschlossene“ genauso wie der männliche Kopf. Aber es schwingt noch etwas anderes mit – und das ist eben die Qualität, die nur das Herz hat. Natürlich hat auch der Kopf an diesem Lied mitgeschrieben. Die Realität wird klar beschrieben. Aber zugleich in linker Lebendigkeit. Und nicht nur das: auch in weiblicher Lebendigkeit, in einer Lebendigkeit des Herzens. Zwischen den Zeilen spürt man die lebendige Wärme jenes seelischen Lebens, das ganz genau weiß, wie falsch dies alles ist. Wir erinnern uns an Rudolf Steiners Worte: Der Mensch muss wieder lernen tief zu fühlen: wahr – falsch, gut – böse...

Dieses Lied ist mehr als scharfe linke Kritik an den Verhältnissen. Es ist zugleich eine weibliche Kritik an den von einer männlichen Welt gemachten Verhältnissen. Und hinter den Worten und in den Worten wird die Sehnsucht hörbar – Kritik und Sehnsucht gehen Hand in Hand. Gerade das kennzeichnet das Weibliche, diese letztere Qualität, die wirkliche Wärme-Qualität.

Das Wesen des Weiblichen II

Dota & die Stadtpiraten haben noch ein anderes Lied gesungen. Es nennt sich „Utopie“. Man lasse sich auch auf dieses einmal tief ein:

Dota & die Stadtpiraten: Utopie. 

Das Thema ist das gleiche, die Kritik ist auch die gleiche. Und doch gewinnt die berührte Frage hier eine neue Färbung. Das Herz erhebt sich... Die männliche Welt hat alles abgesteckt und alles gestaltet – bis hin zur Sinnlosigkeit, zur Un-Menschlichkeit. „Der Rest ist Utopie...“ Man könnte diese Worte so verstehen, dass auch in ihnen wieder das Resignative läge. Aber sie sind anders gemeint – oder sind zumindest ganz und gar offen für ein anderes Verständnis: Das, was heute nicht ist, ist Utopie. Aber Utopie ist zugleich das, was in der Zukunft auf uns wartet. Es wartet nur darauf, verwirklicht zu werden.

Seit Urzeiten wartet die Utopie darauf, von den Seelen wirklich ergriffen zu werden, denn sie, die Utopie, ist die eigentliche Bestimmung der Seele. Die Seele ist für die Utopie geboren – und Utopie (griechisch ou-topos, kein Ort) ist sie nur so lange, wie die Seele mit ihrer innersten Sehnsucht nicht ernst macht. Denn wenn sie dies tut, dann hat die Utopie einen Ort – und dann kann sie auch auf Erden Wirklichkeit werden. Alles, was in der menschlichen Seele einen Ort hat, wird auch äußere Wirklichkeit, kann es werden. Utopie ist das wahrhaft Menschliche. Ihm entgegen steht nur die „okkulte Gefangenschaft“ der allzu sehr ins Unmenschliche geratenen Seele, die ihrem eigenen Wesen nicht mehr vertraut – oder es gar nicht mehr kennt.

Im Zentrum steht in dem Lied dann ein Satz, den Dota auf einer Brücke am Berliner S-Bahnhof Yorkstraße fand: „Es geht nicht um ein Stück vom Kuchen, es geht um die ganze Bäckerei.“

In diesem Satz lebt das Wesen dessen, was linke Ideale sind. Die Megamaschine tritt diese Ideale mit Füßen. Regime, die ihre eigenen Bürger überwachen, einsperren und ausbeuten, treten diese Ideale mit Füßen. Sie sind darum nicht weniger wahr. Sie sind ... Utopie. Sie warten, aus der Zukunft auf den Menschen zukommend, dass der Mensch so weit komme, dass er genügend Mensch geworden ist, um mit dem, was aus der Zukunft wartend auf ihn zukommt, eins zu werden.

In den Herzen aber lebt diese Utopie, dieser Zukunfts-Ort, schon jetzt. Es sind aber vor allem die weiblichen Wesen, die ihr Herz noch fühlen – nicht resignativ-intellektuell, sondern lebendig. Sie sind die Wegbereiter einer neuen Kultur. Aber die Megamaschine wird sich ihnen in den Weg stellen. Das tut sie ja fortwährend – in der Art, wie heute alles, aber auch alles reguliert wird, beginnend beim „Bildungswesen“. Herangebildet wird da eben nicht der freie Mensch und das lebendig, wahrhaftig und tief empfindende Herz, sondern der ins System passende, zur Reproduktion und zur Produktion fähige Kopf.

Es wird aber die Zeit kommen, wo die Herzen sich wieder vereinigen werden – nicht, um den Kopf zu bekämpfen, sondern um den verlorenen Bruder zurückzugewinnen... Das ist der Unterschied. Das ist das Wesen des Weiblichen.