02.12.2019

Mädchenkarma

Holger Niederhausen: Mädchenkarma. Roman. Books on Demand, 2019. Paperback, 296 Seiten, 12,90 Euro. | Bestellen bei Books on Demand oder Amazon.


Soeben erschienen:

Die schüchterne fünfzehnjährige Clara begegnet auf einem Ferienlager der zwei Jahre älteren Dora und schließt sich eng an diese an. In ihren Gesprächen offenbart sich oft ihre Gegensätzlichkeit – so über die Frage nach dem Karma, nach Christus oder nach Claras Schüchternheit –, dennoch gewinnt Dora das tiefsinnige Mädchen sehr schnell lieb. Dann werden all diese Fragen überraschend, ja dramatisch konkret, als Clara sich hoffnungslos in einen fünf Jahre älteren Helfer verliebt.

Leseprobe


Dora schaute wieder über den See.

„Guck mal da“, flüsterte sie auf einmal.

Sie folgte Doras Arm und sah einen einsamen Reiher quer über den Himmel ziehen. Sie folgten ihm mit ihren Blicken, bis er ganz verschwunden war.
Nach einer Weile begann Dora dann und sagte:

„Nicht an all diese Vorstellungen. Ich glaube schon, dass da etwas ist – aber ich sehe es mehr als eine allgemeine Energie. Es geht nichts verloren, verstehst du? Dieselbe Energie ist auch in alledem hier.“ Sie breitete nun ihrerseits ihren Arm in die Weite. „Und wenn etwas stirbt, fließt die Energie weiter, verwandelt sich, nimmt eine andere Form an. Letztlich ist wirklich alles eins...“

Die Art, wie sie dies sagte, verzauberte Clara. Es konnte keinen geeigneteren Ort geben, um ihre Worte zu unterstreichen und deren Wahrheit zu bezeugen. Als die Worte verklungen waren, lebte auch ihre Energie weiter, vermischte sich mit dem Glitzern der Wellen, dem leichten Lufthauch, der sie umschmeichelte, der Stille dieses Ortes...

„Ist es dir dann ganz egal, dass es dich dann nicht mehr gibt?“, fragte sie zögernd.

„Mich persönlich? Das betrifft doch alles – warum sollte der Mensch die große Ausnahme sein? Und trotzdem geht nichts verloren. Meine Gedanken, meine Gefühle, alles lebt irgendwie weiter – nur nicht in mir.“

„Und die Hass-Gedanken von den Menschen?“

„Die werden zum Beispiel zu einem Gewitter, dann regnet es, und dann ist alles wieder wie neugeboren.“

Sie dachte darüber nach.

„Also in deiner Anschauung fehlt das Karma – aber auch die Seele... Sie geht wieder verloren...“

„So, wie sie ist, ja. Sie verwandelt sich – wird vielleicht das Glitzern da...“

Das war ihr nicht tröstlich. Was hatte alles für einen Sinn, wenn es nur ein ewiges Werden und Vergehen war?

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