29.09.2014

Die Vernichter der Anthroposophie unter sich

Clement, Zander & Co – von selbsternannten Experten und ihrem intellektuellen Hochmut.

zu: Johann Silberbauer: Wie hat Rudolf Steiner die Geheimwissenschaft geschrieben? Der Europäer 10/2014, S. 34-36.


Im aktuellen „Europäer“ erschien jetzt zu Michaeli auch ein ausführlicher Bericht des Anthroposophen Johann Silberbauer über ein Kolloqium „Philosophie und Anthroposophie“ an der Alanus-Hochschule Alfter. Silberbauer hat sich in verschiedenen Beiträgen bereits sehr klar über Clement und dessen SKA (Kritische Steiner-Ausgabe) geäußert. Doch sein Bericht von dem am 24. Mai 2014 stattgefundenen Kolloqium ist ein Dokument ersten Ranges, um gleichsam hautnah mitzuerleben, wie der von Hochmut durchtränkte Intellekt sogenannter „Experten“ sich auslebt...

Clements Auftritt

Nachdem Marcelo da Veiga, der Direktor der Hochschule, Christian Clement das Wort übergeben hat, erklärt dieser zunächst, er habe seinen Vortrag während des Fluges noch einmal überarbeitet, er spreche heute über „Rudolf Steiner und sein romantischer Doppelgänger: Zum Einfluss Schellings auf die theoretische Grundlegung der Anthroposophie.“

Rudolf Steiner habe wenig verstanden und sich zumeist bei anderen bedient, klingt immer wieder heraus, beschreibt Silberbauer und kommentiert: 

Nach etwa 50 Minuten hat er den Anwesenden lebhaft zu beweisen versucht, dass Rudolf Steiner doch nur alles von anderen abgeschaut, abgeschrieben und keine eigenen Ideen gebracht, sondern nur die der großen Philosophen für sich in Anspruch genommen habe. Großer Beifall für Clement.


Als David M. Hoffmann, der Leiter des Rudolf Steiner Archivs, Clement fragt, wie er sich erklären könne, dass Steiner „Die Geheimwissenschaft im Umriss“ nahezu ohne Korrekturen in einem Stück niederschreiben konnte, spricht Clement von Selbstsuggestion! [Richtigstellung Clements nach Tonbandaufzeichnung hier, H.N. 6.4.2015].

Als Silberbauer ihn später per E-Mail bittet, ihm dies noch einmal näher zu erklären, antwortet ihm Clement, er erinnere sich nur noch an Hoffmanns Frage, nicht aber daran, „zu diesem speziellen Punkt etwas gesagt zu haben.“ Er wüsste auch gar nicht was, denn er habe keine Antwort darauf, vielleicht sei es „ein ähnliches Phänomen wie bei Mozarts Partituren“. – Also doch eine geniale Leistung? Oder will Clement nun auch behaupten, Mozart habe abgeschaut und abgeschrieben?

Zander und Clement – ziemlich beste Freunde

Nachdem dann auch Helmut Zander (der nicht auf der Teilnehmerliste stand und erst nach Beginn der Veranstaltung stillschweigend in den Raum kam!) in die Diskussion wirft, Rudolf Steiner habe „nur gelesen“, betont Clement ebenfalls erneut, es sei „nichts Besonderes“, was Steiner gemacht habe. Daraufhin dokumentiert Zander das eigene Unverständnis und verallgemeinert es in die Wir-Form: „Wir“ wüssten nicht, was beim Übergang von der Philosophie zur Anthroposophie passiert sei. Daraufhin spricht er noch mehr wie ein geistiger Diktator und ermahnt die Anwesenden, sie sollten von ihren „philosophischen Höhen“ wieder „auf den Boden der Tatsachen“ kommen – und vielleicht wüssten „wir“ in zehn Jahren mehr.

Der katholische Historiker Zander betont also das völlige Unwissen auf dem Boden des behaupteten Wissens, dass Steiner nur gelesen und abgeschrieben habe. Schlimmer kann die hochmütige Vernichtung der Anthroposophie durch ihre Gegner nicht aussehen...

Mit einem „bloß gelesen und abgeschrieben“ ist die „Geheimwissenschaft“ nicht zu erklären – aber darüber hinaus soll sie eben ein Rätsel bleiben. Ein Plagiator, der Werke wie Mozart schafft. Die Gegner Rudolf Steiners sind sich über die Verlottertheit ihrer Begriffe selbst nicht klar, oder sie streuen der Menschheit bewusst Sand in die Augen. Und „vielleicht wissen wir in zehn Jahren mehr“ – ein Vertrösten auf die absolute Autorität der „Wissenschaft“, die die Steiner-Frage schon auf ihre Weise lösen wird...

Unglaubliches in der Mittagspause

Schlimm ist, wenn dann in den Gesprächen während der Mittagspause selbst jemand wie Johannes Kiersch, der sogar Bücher über Rudolf Steiners Esoterik und die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft schrieb, voller Hochmut zu „wissen“ behauptet, Rudolf Steiner habe karmisch „nur das Wissen mitgebracht“, das er brauchte, um auf ihm gestellte Fragen zu antworten – „nicht mehr“. Er habe nur auf die Fragen antworten können, die ihm gestellt wurden.

Ganz abgesehen davon, dass das gesamte Lebenswerk Rudolf Steiners unendlich viel mehr ist als nur eine Antwort auf gestellte Fragen, wären selbst diese Antworten schon großartig genug – was soll diese implizite Abwertung? Aber glaubt Kiersch wirklich, Steiner hätte nicht noch auf unglaublich viel mehr Fragen gewartet!? Glaubt Kiersch wirklich, Steiner hätte auch nur ansatzweise alles gesagt, was er hätte sagen können, wenn andere Menschen dagewesen wären?

Der Leiter des Steiner-Archivs verliert die Fassung

Aber weiter: Nach der Kaffeepause ergreift David M. Hoffmann, der Leiter des Steiner-Archivs, für einen unvorgesehenen Einschub das Wort. Schon zuvor hatte er die Lügen und Verfälschungen im Vorwort der SKA bestätigt, aber hinzugefügt, diese seien ohne Bedeutung. Nun lobt er Clements eigentliche herausgeberische Arbeit als hervorragend und ereifert sich über „rechtsanthroposophische Fundamentalisten“, womit er unter anderem den Herausgeber des „Europäer“, Thomas Meyer, meint.

Mit anderen Worten: Tief fundierte Grundlagenarbeit und in diesem Fall tief fundierte Kritik an Clement und den Hintergründen der SKA ist Fundamentalismus! Wenn doch die Gegner der Anthroposophie endlich einmal Fundamente im Denken schaffen würden, die über lauter bloße Behauptungen hinausgehen würden!

Silberbauer fragte Hoffmann später per E-Mail nach einer Erklärung des Wortes „rechtsanthroposophisch“, woraufhin Hoffmann behauptete, dieses Wort lese er jetzt zum ersten Mal, er könne leider nicht weiterhelfen... Entweder er wollte sich keine Blöße geben oder er konnte sich an die im Eifer des Gefechts gesprochenen Worte tatsächlich nicht mehr erinnern. Denn erregt und immer emotionaler wurde der Leiter des Steiner-Archivs. Dies gipfelte in der Frage, wer denn überhaupt eine Kritische Ausgabe herausgeben dürfe – ein Anthroposoph oder am Ende vielleicht nur ein Arier?

Schließlich verweist Hoffmann noch auf einen Stapel an Zuschriften von Wilfried Hammacher, der ebenfalls auf die Hintergründe der SKA aufmerksam macht. Hammacher, ein mittlerweile 86-jähriger Anthroposoph, der unter anderem die 25 Jahre existierende Novalis-Bühne in Stuttgart gegründet und die Mysteriendramen inszeniert hat, wird von dem offenbar entnervten Hoffmann lächerlich gemacht: Ein Brief von Hammacher sei sogar von allen Bewohnern seines Altenheimes unterschrieben (großes Gelächter). Der Leiter des Steiner-Archivs überdehnt seinen Beitrag zeitlich und inhaltlich derart, dass Hochschul-Direktor da Veiga ihn schließlich unterbrechen und seine Tiraden beenden muss...

Tragische Ehe zwischen Hochmut und totem Intellekt

Johann Silberbauer beendet seinen Bericht im Europäer mit der klaren Erkenntnis:

Dieser Tag war mehr als ernüchternd. Die Anthroposophie wurde, wie von Rudolf Steiner vorausgesagt, intellektualisiert. Kein Verständnis der Anwesenden für Rudolf Steiners Lebenswerk. Zwei Erkenntnisse hat dieser Tag für mich gebracht:
1. Es gibt in dieser „staatlich-anthroposophischen“ Alanus Hochschule einen Kreis von Menschen, durchweg Intellektuelle, die sich intensiv mit Rudolf Steiner und seiner Anthroposophie beschäftigen, aber nichts von Esoterik verstehen, geschweige von Rudolf Steiner und seiner Aufgabe für die Menschheit.
2. Es traten Menschen in diesem Kreise auf, die regelmäßig und gezielt daran arbeiten, Rudolf Steiner unglaubwürdig zu machen, ihn als Plagiator und kleinen unbedeutenden Philosophen darzustellen. Und die zu beweisen versuchen, dass die Anthroposophie nur eine Zusammenstellung von Texten der großen Philosophen der Vergangenheit sei, nichts Eigenes von Rudolf Steiner, nur ein Sammelsurium von schon Dagewesenem. Sie schlachten selbst die Werke der großen Philosophen aus, fügen ihre eigenen Deutungen hinzu und erwerben sich auf diese Art ihre philosophischen Doktortitel.
Manches Mal hatte ich von den Referenten den Eindruck, sie seien wie Kinder, die mit Gegenständen für Erwachsene spielen und so tun, als ob sie alles verstehen würden. Christian Morgenstern hat den Zusammenhang in wenigen Worten treffend geschildert: „Es können nur einigermaßen gleiche Naturen in ihrem ganzen Umfang einander erklären und abschätzen. Heute aber will Jedermann interpretieren, wenn er nur schreiben gelernt hat...“


Tragischer kann man die Realität kaum schildern. Die Gegner der Anthroposophie sind im Geiste wie Kinder – aber Kinder, die alle Unschuld verloren haben, die gerade deshalb meinen, sie könnten auch nur irgendetwas von dem verstehen, wovon und woraus Rudolf Steiner wirklich spricht.

Die „Geheimwissenschaft“ und das ganze Lebenswerk Rudolf Steiners – in Umfang und Inhalt ein ungelöstes Rätsel. Und doch beschreibt er immer wieder den Weg zu dessen Lösung... Ob man ihn zu gehen bereit ist, dass ist die einzige Frage.

Es ist eine michaelische Frage.