30.01.2009

Prokofieff – kardinale Unwahrhaftigkeiten und Unwahrheiten

Buchkritik: Sergej O. Prokofieff: Das Mysterium der Auferstehung im Lichte der Anthroposophie. Freies Geistesleben, 2008. >> Kurzfassung.

Ende 2008 erschien das Buch „Das Mysterium der Auferstehung im Lichte der Anthroposophie“ von Sergej O. Prokofieff. Im Anhang dieses Buches setzt sich Prokofieff mit dem Thema „Die Kräfte des Phantoms und die Stigmatisation“ auseinander. Der folgende Aufsatz zeigt zwei grandiose Unwahrhaftigkeiten und ein ganzes Konstrukt von Unwahrheiten auf, die diesem Anhang zugrunde liegen.


Zwei grandiose Unwahrhaftigkeiten
Totschweigen
Symptomatisches – fünf Seiten des Kardinals
Analyse der Fragwürdigkeiten
Franz von Assisi
Der christlich-mystische Einweihungsweg
Prokofieffs Grundirrtum
Haben Stigmata irgendeinen Aussagewert?
Prokofieffs Methode...
...oder die wahre Geisteswissenschaft


Anhand von zahlreichen Zitaten Rudolf Steiners belegt Prokofieff, dass die Stigmatisationen und Schauungen von Anna Katharina von Emmerich und Theresa von Konnersreuth mit dem mystisch-christlichen Einweihungsweg nichts zu tun haben, sondern dass hier ein Somnambulismus vorliegt. Das Erleben der Ereignisse der Zeitenwende tritt in Form sinnlich bleibender Visionen bzw. Gesichte auf, die immer irrtumsbehaftet und im Leiblichen verhaftet bleiben.

Diese Erkenntnis an sich ist richtig, doch dafür wären drei, vier Zitate aus Vorträgen Rudolf Steiners ausreichend gewesen. Was aber tut Prokofieff auf 40 Seiten? Er versucht zu beweisen, dass Stigmata jedem geisteswissenschaftlichen Streben widersprechen. Die erste Frage ist: Warum versucht er dies? Und die zweite: Wie versucht er es?

Zwei grandiose Unwahrhaftigkeiten

Es liegen in diesem Anhang von Prokofieffs Buch zwei grandiose Unwahrhaftigkeiten. Die erste ist, dass es heute innerhalb der anthroposophischen Bewegung einen Fall von Stigmatisation gibt und dass Prokofieff diesen mit keiner Silbe erwähnt. Die Betroffene – Judith von Halle – hat im Verlag am Goetheanum bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht und gilt unter Teilen der „Anthroposophenschaft“ bereits als die neue Eingeweihte – und Prokofieff macht um all dies einen großen schweigenden Bogen!

Die Unwahrhaftigkeit wird um so größer, als er sich implizit sehr wohl auf Judith von Halle beziehen muss, denn im Nachwort schreibt er durchaus völlig eindeutig: „Im Anhang wird dann ausführlicher auf eine Frage eingegangen, die mir in letzter Zeit öfter entgegenkam. Sie betrifft das Wesen der Stigma­tisation und dessen Verständnis aus anthroposophischer Sicht.“ Es geht also ganz und gar um Judith von Halle – ohne sie auch nur einmal zu nennen...

An einigen weiteren Stellen wird deutlich, dass es trotz der Behandlung von A.K. von Emmerich und Th. von Konnersreuth gar nicht um diese vergangenen Fälle, sondern nur um eine gegenwärtige Frage gehen kann, etwa an folgender Stelle:

„So bleiben bezüglich solch sinnlich wahrnehmbarer „Gesichte“ zu­nächst viele Fragen offen. Eines lässt sich für einen Anthroposophen dabei jedoch eindeutig feststellen: Mit der Anthroposophie und ihren geisteswis­senschaftlichen Forschungen hat das alles nichts zu tun! Und wenn solche somnambulen „Forschungsmethoden“ in die Anthroposophie eindringen und sich in ihr breitmachen würden, dann wäre das die Preisgabe der geisteswissenschaftlichen Forschungsmethode als solcher und damit das Ende der Anthroposophie als Geisteswissenschaft.“ (S. 174)

Und wenig später:

„Aus diesem Grund betont Rudolf Steiner immer wieder, dass es, be­sonders in unserer Zeit, bei Wahrnehmungen der geistigen Welt nicht allein darum geht, ob diese richtig oder falsch seien, sondern vor allem, auf welchem Wege sie erreicht wurden. Deshalb kann jede Vermischung von dem, was auf somnambulischen Wegen erhalten wurde, mit den geisteswissenschaftlichen Forschungsergebnissen der Anthroposophie für diese nur zerstörend wirken.“ (S. 175f).


Dies nun ist genau das, was Judith von Halle tut:
Sie vermischt ihre wie auch immer auftretenden Schauungen mit Schilderungen Rudolf Steiners und gibt auf diese Weise sinnliche Schilderungen der Kreuzigung Christi, schreibt über den „Abstieg in die Erdenschichten“ und anderes mehr. Von einer reinen, geistigen Forschung ist hier nichts zu finden, aber die Ergebnisse von Rudolf Steiners Forschung fließen überall ein, werden von Judith von Halle mit ihren eigenen Erlebnissen vermischt, und diese Mischung erzeugt den Eindruck, dass es sich hier ebenfalls um Geistesforschung handele, obwohl etwas damit ganz Unvereinbares vorliegt.

Prokofieff bleibt auf dem sicherem Terrain der Betrachtung eines eindeutigen Falles wie dem von A.K. von Emmerich, geht von da aus noch zu dem Hinweis, dass so etwas natürlich niemals Anthroposophie ist und dass ein solcher Glaube diese nur zerstören könnte – und bleibt in seinem sicheren Turm der reinen Lehre. Kein Wort über die Existenz einer Judith von Halle. Kein Wort dazu, dass hier ein gegenwärtiger Fall vorliegt und dass dieser sich in nicht unbedingt einfacher Weise von dem eindeutigen Somnambulismus einer von Emmerich unterscheidet! Das ist Unwahrhaftigkeit in Reinform.

Totschweigen

Die zweite, ebenso grandiose Unwahrhaftigkeit besteht in einem zweiten Totschweigen. Bereits Anfang 2008, volle neun Monate vor Erscheinen von Prokofieffs Buch und drei Monate, bevor er sein Vorwort schrieb („Dornach, Pfingsttage 2008“), erschien das Buch einer niederländischen Anthroposophin, die sich ausführlich mit Judith von Halle, ihrer Methodik, ihren „Forschungsergebnissen“ und der Frage des Phantoms und der Stigmata auseinandergesetzt hat. Auch Mieke Mosmuller und ihr Buch „Stigmata und Geist-Erkenntnis“ werden vollkommen verschwiegen, mit keiner Silbe genannt – nicht im Text, nicht in einer Anmerkung, nirgendwo.

So ist jemand wie Mieke Mosmuller dann die Einzige, die sich der offenen Kritik der „Judith-von-Halle-Anhänger“ aussetzen muss – sofern sie und ihre Bücher überhaupt wahrgenommen werden, denn Prokofieff und das gesamte „Goetheanum“ hüllen sich in vollkommenes Schweigen. Prokofieff hat es nicht nötig, sich mit Judith von Halle auseinanderzusetzen, er bleibt auf dem sicheren Boden der reinen Lehre: Aus der erhabenen Höhe der Steiner-Zitate diagnostiziert er die Unvereinbarkeit von Somnambulismus und blutenden Stigmata mit der Anthroposophie – und damit ist die Sache für ihn erhaben und sauber erledigt.

Noch unerträglicher als die reale, heute lebende Judith von Halle ist für ihn offenbar die reale Mieke Mosmuller. Eine wahre Anthroposophin, die weit mehr zu sagen hat, als dass A.K. von Emmerich keine Anthroposophin war (denn das ist letztlich das Niveau von Prokofieff). Mieke Mosmuller beweist, dass die Anthroposophie wirklich lebendig sein kann. Sie setzt sich wirklich mit dem Anspruch der heute stigmatisierten Judith von Halle auseinander, sie geht ganz konkret und im Detail auf das ein, was diese in ihren Büchern schreibt und was den Ergebnissen der Geistesforschung teilweise sehr, sehr ähnlich zu sein scheint. Mieke Mosmuller kommt aus einer wahrhaftigen eigenen Geistesschulung heraus dazu, Judith von Halle immer wieder bis ins Einzelne eindeutig zu widerlegen.

Man spürt an Prokofieffs Buch geradezu, dass es für ihn als führenden Vertreter der Anthroposophie unerträglich ist, dass es da eine Anthroposophin gibt, die auf dem Schulungsweg offenbar weit fortgeschritten ist und so Realitäten aufzeigen kann, die anderen „Anthroposophen“ nur abstrakt zugänglich sind, indem sie sich eng an die von überall herbeigesuchten Steiner-Zitate halten. Und weil dies unerträglich ist – und Mieke Mosmuller ist ja 1998 sogar aus der Gesellschaft ausgetreten! – muss sie eben verschwiegen, keiner Silbe gewürdigt werden. Welche unchristliche Unwahrhaftigkeit!

Wie weit diese Unwahrhaftigkeit geht, zeigt die Tatsache, dass Mieke Mosmuller bereits 2007 ein anderes Buch veröffentlicht hat, in dem sie in erschütternd realer und konkreter Weise schildert, wie der anthroposophische Schulungsweg zur Begegnung mit dem lebendigen, gegenwärtigen Christus führt. Ihr Buch „Der Heilige Gral“ ist im Grunde das großartige Zeugnis dessen, dass Anthroposophie der Einweihungsweg ist, auf dem man nach und nach dem Christus in seiner vollen Wirklichkeit begegnen kann. Hier ist ein Mensch, der den von Rudolf Steiner gegebenen und aufgezeigten Weg wirklich gegangen ist und geht – und er darf nicht existieren. Man schweigt ihn tot, weil man nicht ertragen kann, dass es nach Rudolf Steiner jemanden gibt, der Anthroposophie wirklich realisiert – der viel weiter ist als alle führenden „Vertreter der Anthroposophie“...

Das ist der Sündenfall der Anthroposophie. So wie die katholische Kirche die Unfehlbarkeit des Papstes hat, so wie die evangelische Kirche ihr „Sola scriptura“ („nur die Hl. Schrift“) hat und auf dieser Grundlage die Anthroposophie bekämpft, so ist auch die heutige „Anthroposophie“ dogmatisiert und kanonisiert.

Die größte Unwahrhaftigkeit von Anthroposophen liegt darin, dass sie die lebendige Anthroposophie totschweigen!

Symptomatisches – fünf Seiten des Kardinals

Wie ein Kardinal und alleiniger Bewahrer der „anthroposophischen reinen Lehre“ sammelt Prokofieff Zitate Rudolf Steiners und fügt sie aneinander, um die Dinge so darzustellen, wie sie zu sein haben.


Schon auf den ersten zwei Seiten (157-158) wird durch Zitate deutlich, dass vorübergehende Blutmale (nicht Stigmata!) zur vierten Stufe des christlichen Einweihungsweges gehören, d.h. nicht zu den weiteren Stufen und natürlich nicht zum rosenkreuzerischen Weg oder zur Anthroposophie. Soweit, so gut. Prokofieffs Ausführungen umfassen jedoch fast 40 Seiten, und ich möchte hier fünf Seiten (165-169) betrachten, auf denen allein mindestens ein Dutzend Merkwürdigkeiten zu finden sind. Der Gedankengang ist folgender:

Der erste geschichtlich nachgewiesene Fall von Stigmatisierung ist Franz von Assisi (gest. 1226), wobei Rudolf Steiner dessen Stigmatisierung nie erwähnt. Das Zentrale ist vielmehr die Tatsache, das Franziskus ein Abbild des Astralleibes des Christus Jesus trug. Die außergewöhnlichen moralischen und Empfindungskräfte, die Franziskus aus diesem vollkommenen Astralleib schöpfte, waren jedoch „keine Bürg­schaft dafür, dass dasjenige, was er damals als Gedankeninhalt in seinem Kopf trug, sich mit dieser Moralität auf der gleichen Ebene befand.“ Rudolf Steiner sagt diesbezüglich: „Was uns manchmal gerade bei diesen Per­sönlichkeiten [...] so sonderbar anmuten muss, das ist, dass sie in ihrem Ich oft gar nicht gewachsen waren dem, was ihr astralischer Leib enthielt. [...] Eine solche Persönlichkeit ist Franz von Assisi.“

„Auch an anderer Stelle erwähnt Rudolf Steiner ‚alle seine Irrtümer‘, weil seine mit dem Ich verbundenen Erkenntniskräfte nicht annähernd auf der Höhe seines Astralleibes waren. Daraus folgt, dass auch die Stigmata als solche nie einen Beweis für dasjenige erbringen können, was ein Mensch allein durch die freie Entwicklung der höheren Erkenntniskräfte selbst erreichen kann.
Dieser Widerspruch zwischen einem unvollkommenen Ich und einem vollkommenen Astralleib, wie es bei Franz von Assisi der Fall war, ergab sich aus der Tatsache, dass er in seinem Erdenleben im 13. Jahrhundert keine regelrechte christliche Einweihung durchgemacht hatte, sondern seine außergewöhnlichen seelischen Fähigkeiten vor allem aus dem as­tralischen Abbild schöpfte, das er in sich trug. Auch während seiner Schulung bei dem Gautama Buddha in seiner früheren Inkarnation ging es mehr um die Ausbildung moralischer Qualitäten als um diejenige wirklicher Erkenntnis.
So bestätigt vor allem die beschriebene Diskrepanz, die in dem Wesen des Franz von Assisi bestand, dass schon zu seiner Zeit eine echte christ­lich‑mystische Einweihung in vollem Umfang nicht mehr möglich war. Ihre Blütezeit lag in noch früheren Jahrhunderten.“

Daher initiierte die geistige Lenkung der Menschheit in der Mitte des 13. Jahrhunderts die Rosenkreuzer-Strömung,

„...aus der auch der siebenstufige Einweihungsweg der Anthroposophie hervorgegangen ist. Diese Einweihung ist heute die einzige, welche dem westlichen Menschen, der den Christus sucht, ange­messen ist. Denn den christlich‑mystischen Einweihungsweg kann man heute kaum mehr gehen, vor allem aus drei Gründen:

1. Er fordert eine völlige Isolation des Schülers von der äußeren Welt, was dem heutigen Menschen nicht angemessen ist.
2. Er verlangt eine Intensität des Gefühlslebens, die dem heutigen Men­schen, der zunehmend auf Erkenntnis hin orientiert ist, nicht mehr zugänglich ist.
3. Er arbeitet auf direkte Weise mit den Kräften des physischen Leibes, was große Gefahren in sich birgt und deshalb die persönliche Führung eines erfahrenen Lehrers notwendig macht, welche heute nicht mehr zeitgemäß ist.

[...] In der christlich‑mystischen Einweihung [...] wirkte man direkt aus dem Bereich des Fühlens auf den physischen Leib, um dadurch die beschriebenen leiblichen Erlebnisse zu bewirken ‑ die heute ebenfalls nicht mehr zeitgemäß sind. Selbstverständlich war die Verwandlung und Vergeistigung des physischen Leibes auch das letzte Ziel des rosenkreuzerischen Weges. Nur geschah dies bei der Rosenkreuzereinweihung auf dem Wege der gereinigten Erkenntnis­kräfte durch die Vermittlung des Geistes, unter voller Aufrechterhaltung der individuellen Freiheit.“


Prokofieff fährt fort, dass beide Wege zu dem gleichen Ziel der Verbindung mit dem Auferstehungsleib des Christus führen, und zitiert Rudolf Steiner, mit der rosenkreuzerischen Einweihung werde „nur mit etwas anderen Mitteln, dasselbe erlangt: dass ein Anziehungsband geschaffen wird zwischen dem Menschen, insofern er in einem physischen Leibe verkörpert ist, und dem, was als das eigentliche Urbild des physischen Leibes auferstanden ist aus dem Grabe von Golga­tha“ Dann betont Prokofieff: „Schon in der Formulierung wird der Unter­schied zum christlich‑mystischen Weg sichtbar. Dort geht es darum, dass der Schüler zunächst ‚eine Anziehungskraft‘ zu dem Phantom ‚fühlt‘. Auf dem rosenkreuzerischen Weg hingegen wird ein reales ‚Anziehungs­band [zu ihm] geschaffen‘“, um sogleich fortzufahren: „Noch größer ist der diesbezügliche Unterschied zwischen dem mystisch-­christlichen Weg und der modernen Fortsetzung des rosenkreuzerischen Weges in der Anthroposophie.“ Daher haben Blutmale mit dem rosenkreuzerischen und dem anthroposophischen Einweihungsweg nichts zu tun.

Analyse der Fragwürdigkeiten

Um zu beweisen, dass Stigmata dem anthroposophischen Einweihungsweg widersprechen, geht Prokofieff so weit, den christlichen Einweihungsweg und die Individualität des Franziskus in einer Weise zu entwerten, die völlig allem widerspricht, was Rudolf Steiner jemals darüber gesagt hat.

Franz von Assisi

Die entscheidende Tatsache im Leben des Franziskus war, dass ihm ein Abbild des Astralleibes des Jesus von Nazareth einverwoben war. Rudolf Steiner beschreibt in mehreren Vorträgen diese Tatsache als den „eigentlichen esoterischen Quell dieses tief christlichen Lebens und der höchsten Liebefähigkeit“, wie Prokofieff richtig sagt.

  • Doch obwohl Rudolf Steiner ausdrücklich nie über die Stigmata[1] des Franziskus sprach, zieht Prokofieff sie gerade heran, um anhand dessen zu „beweisen“, dass die christlich-mystische Einweihung schon damals nicht mehr in vollem Umfang möglich gewesen sei.
  • Seinen Nachsatz „Ihre Blütezeit lag in noch früheren Jahrhunderten“ versucht er in einer Fußnote mit dem Faktum zu belegen, dass vor Franziskus keine Stigmatisation historisch bekannt geworden ist, dass Steiner aber von „Tausenden“ sprach, die diese Einweihung durchgemacht haben. – Nun sagt Steiner jedoch überhaupt nicht, ob diese Einweihungen vor oder nach Franziskus geschahen! Und warum sollte ausgerechnet eine so hohe Individualität wie Franziskus der erste Fall einer (dekadenten) Stigmatisation sein? Sicher ist zunächst nur, dass bei dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit „Wundmale“ o.ä. natürlich in jedem Fall entdeckt und betont wurden.
  • Die Abwertung des Franziskus setzt sich fort, indem Prokofieff schreibt, dass „seine mit dem Ich verbundenen Erkenntniskräfte nicht annähernd auf der Höhe seines Astralleibes waren“, um zu beweisen, dass Stigmata nie ein Beweis dafür sind, was ein Mensch nur durch höhere Erkenntniskräfte erreichen kann. – Es reicht ihm also nicht, schon durch Rudolf Steiners Schilderungen des Einweihungsweges gezeigt zu haben, dass blutende Stigmata nicht einmal zum christlichen Einweihungsweg gehören. Prokofieff muss zeigen, dass sie nichts mit Anthroposophie zu tun haben, da ja das Ich des Franziskus viel weniger entwickelt war als sein Astralleib! Die Frage ist nur, wie etwas anderes überhaupt hätte möglich sein können, wenn Franziskus doch das Abbild des Astralleibes des Christus Jesus trug!
  • Statt das Ich des Franziskus abzuwerten, sollte Prokofieff sich lieber fragen, wie sehr er sich und seinen Astralleib noch entwickeln muss, um jene moralische Höhe zu erreichen, die Franziskus erreicht hat. Dass das Ich des Franziskus mit jenem Astralleib nicht „auf gleiche Ebene“ kommen konnte, beweist überhaupt nicht, dass es nicht hoch entwickelt gewesen wäre. Und wo Prokofieff dann „alle seine Irrtümer“ anführt, liest sich das vollständige Zitat Rudolf Steiners so: „Und Sie werden verstehen, wie Sie Franz von Assisi begreifen können: in allen seinen Irrtümern, weil er sein Ich für sich hatte; in all seinem Großen, da er ein Abbild in sich trug des Astralleibes des Jesus von Nazareth.“ – Es ist vollkommen klar, dass das Ich auch immer wieder irren kann, denn darin besteht gerade seine Freiheit, selbst da, wo man ganz nach einer Durchdringung mit dem Christus strebt.
  • Dass es sich bei Franziskus um eine außergewöhnlich entwickelte Individualität handelt, zeigt sich auch darin, dass er im folgenden ein Diener des Buddha und seiner Mission auf dem Mars wurde, das heißt keiner weiteren Inkarnationen auf der Erde bedurfte. Prokofieff erwähnt dies sogar, aber geht dann über diese tief erstaunliche Tatsache einfach hinweg! Für ihn bleibt Franziskus ein unvollkommener Vorgänger im Vergleich zu den wahren Anthroposophen.
  • Warum muss er ihn so darstellen? Um in dieser Diskrepanz (Astralleib – Ich) erst recht die Bestätigung zu sehen, dass schon damals eine volle christlich-mystische Einweihung nicht mehr möglich gewesen sei... Doch auch hier stellt sich wieder die Frage: Wer sagt denn, dass eine solche mit einer Heiligung des Ich einhergehe?

Der christlich-mystische Einweihungsweg

Es folgt dann Prokofieffs Aussage, dass Mitte des 13. Jahrhunderts die Rosenkreuzer-Strömung begründet wurde und daraus der anthroposophische Einweihungsweg hervorging, der heute als einziger dem westlichen Menschen angemessen sei.

  • Nach dieser kategorischen Aussage folgt die relative Begründung: Man könne den christlich-mystischen Weg heute kaum mehr gehen. Dies wird wiederum kategorisch begründet: Er fordere eine völlige Isolation von der äußeren Welt, was heute nicht mehr angemessen sei; er verlange eine Intensität des Gefühlslebens, was dem heutigen Menschen nicht mehr zugänglich sei.
  • Rudolf Steiner spricht zwar einmal von „kaum“, aber auch von nur „zeitweiliger Isolation“, und an anderer Stelle: „Das sind die beiden vorzugsweise für das Abendland gangbaren Wege der esoterischen Schulung. ... Der rein christliche Weg ist für den heutigen Menschen etwas schwer; ... Wer den alten, rein christlichen Weg inmitten des modernen Lebens gehen will, der muss die Möglichkeit haben, sich für eine Zeitlang loslösen zu können von dem äußeren Leben, um nachher wieder um so intensiver hineinzutreten in dieses Leben.“ – Das alles ist bei weitem nicht so kategorisch wie Prokofieff!
  • Dass Prokofieff den rein christlichen Weg so sehr entwertet, liegt möglicherweise auch daran, dass ihm und vielen anderen „Anthroposophen“ nicht einmal jene Intensität des Gefühlslebens zugänglich ist, die selbst der anthroposophische Weg eigentlich verlangt...
  • Dann schreibt Prokofieff, bei der christlich-mystischen Einweihung habe man direkt aus dem Fühlen auf den physischen Leib gewirkt, „um dadurch die beschriebenen leiblichen Erlebnisse zu bewirken – die heute ebenfalls nicht mehr zeitgemäß sind“. – Rudolf Steiner schilderte jedoch immer wieder, dass natürlich auch bei diesem Einweihungsweg das Wesentliche die geistigen Erlebnisse sind, während die leiblichen Erlebnisse nur spiegeln, dass eine bestimmte Stufe erreicht worden ist! Und was für Prokofieff „zeitgemäß“ ist, kann man sich ebenfalls fragen, in jedem Fall ist es für ihn ein Totschlagargument.
  • Im Anschluss muss er zugeben, dass natürlich auch der Rosenkreuzerweg letztlich die Vergeistigung des physischen Leibes zum Ziel hatte, allerdings auf dem Weg der Erkenntniskräfte, unter voller Aufrechterhaltung der individuellen Freiheit. – Auch dies ist wieder eine irreführende Formulierung. Wenn die christliche Einweihung die Freiheit nicht wahren würde, wäre sie keine christliche! Dass die Notwendigkeit eines Lehrers in der christlichen Einweihung heute das subjektive Freiheitsempfinden beeinträchtigen kann, wird hier wiederum zu einer kategorischen Formel.
  • Dann bestätigt Prokofieff, dass beide Wege gleichermaßen zur Verbindung mit dem Auferstehungsleib des Christus führen, zitiert Rudolf Steiner, es werde auch bei den Rosenkreuzern „dasselbe erlangt: dass ein Anziehungsband geschaffen wird“ – nur um dann in einer völligen Kehrtwendung zu behaupten: „Schon in der Formulierung wird der Unter­schied zum christlich‑mystischen Weg sichtbar. Dort geht es darum, dass der Schüler zunächst ‚eine Anziehungskraft‘ zu dem Phantom ‚fühlt‘. Auf dem rosenkreuzerischen Weg hingegen wird ein reales ‚Anziehungs­band [zu ihm] geschaffen‘“. Diesen Unterschied braucht er, um fortzufahren, dass der Unterschied zur Anthroposophie natürlich noch größer ist – und daher Blutmale oder gar Stigmata mit beiden Wegen nichts zu tun haben.
  • Um also letztlich wieder sein Ziel zu erreichen und einmal mehr die Unvereinbarkeit von Stigmata und Anthroposophie zu belegen, nimmt er Zitate, wo Steiner ausdrückt, dass beide früheren Wege zum gleichen Ziel führen, um dann in Steiners Worten einen Unterschied zu „finden“ und diesen „gefundenen“ Unterschied nochmals in Richtung Anthroposophie zu extrapolieren. – Schon ganz am Anfang hatte Prokofieff Steiner zitiert, dass vorübergehende Blutmale (nicht Stigmata!) zur vierten Stufe des christlichen Einweihungsweges gehören, d.h. nicht zu den weiteren Stufen und natürlich nicht zum rosenkreuzerischen Weg oder zur Anthroposophie. Wo diese einfache Feststellung bereits völlig ausreichen würde, bemüht Prokofieff an o.g. Stelle nun eine künstliche, dem Sinn von Steiners Worten widersprechende Unterscheidung und einen darauffolgenden künstlichen Dreischritt, um dasselbe noch einmal besonders kunstvoll zu „beweisen“.

Prokofieffs Grundirrtum

Im Endeffekt hat also Prokofieff nicht nur (anfangs) durch einfache, eindeutige Zitate Rudolf Steiners gezeigt, was zu zeigen war – nämlich die einfache Tatsache, dass blutende Wunden nicht zum Schulungsweg gehören... –, sondern er hat (danach) durch fragwürdige, künstliche Konstruktionen und Spekulationen sowohl Franz von Assisi entwürdigt, als auch den ganzen christlichen Einweihungsweg. Und alles nur, um auf besonders „nachdrückliche“ Weise das Problem „Judith von Halle“ zu behandeln, die er nicht erwähnt...

Der große Grundirrtum, dem Prokofieff jedoch unterliegt, ist, dass das Leben des Franziskus mit dem christlichen Einweihungsweg überhaupt in Zusammenhang gebracht werden könnte. Jene Menschen, die ein Abbild des Astralleibes des Jesus von Nazareth empfingen, wurden damit begnadet – eine solche Tatsache beruht vollkommen auf Gnade. Im Gegensatz dazu war und ist ein Einweihungsweg immer mit eigener innerer Anstrengung verbunden. Hatte jemand wie Franziskus jedoch ein solches Abbild empfangen, war es gerade entscheidend, sich dessen Impulsen hinzugeben.

Rudolf Steiner sagte darüber: „Für besonders wichtige Persönlichkeiten werden solche Ätherleiber [z.B. bei Augustinus] in den höheren Welten geformt. Wenn jemand für die Menschheitsmission besonders wichtig war, so wurde in den höheren Welten ein solcher Ätherleib und Astralleib gewoben und diesen besonderen Persönlichkeiten eingeprägt.“ (GA 109, S. 119). Diese Menschen ließen sich dann demütig „inspirieren durch das, was in ihnen lebte, was ihnen einverwoben war.“ (S. 122). Und so sagt er auch insbesondere über Franziskus: „Wenn wir sein Leben verfolgen, wird es uns in manchem unverständlich sein; aber gerade seine Impulse der Demut, der christlichen Hingebung, können wir verstehen, wenn wir sagen, daß ein solches Geheimnis in ihm lebte.“ (S. 121).


Auch aus diesem Zitat geht klar hervor, dass Franziskus irgendeines Einweihungsweges nicht bedurfte und dass er aufgrund seiner Bedeutung für die Menschheitsmission aus den geistigen Welten begnadet wurde. Sowohl die angebliche Dekadenz des christlichen Einweihungsweges zu dieser Zeit, als auch die zusätzliche Abwertung von Franziskus sind bloße Erfindungen von Prokofieff, weil ihm (in völligem Gegensatz zu Rudolf Steiner) an Franziskus die angeblichen Stigmata das wesentlichste sind – als Mittel zum Zweck.

Haben Stigmata irgendeinen Aussagewert?

Prokofieff will unbedingt beweisen, dass Stigmata nicht ein Beweis für die Durchdringung mit dem Christus und dem Auferstehungsleib sind, sondern ein Beweis für das Gegenteil, für das Fehlen jeglicher rechtmäßiger Einweihung und insbesondere der anthroposophischen.

Dazu würde eigentlich die einfache Beschreibung des christlichen und des modernen Einweihungsweges reichen. Er will aber nicht nur zeigen, dass Stigmata hier von Rudolf Steiner nie erwähnt werden, sie also mit der Einweihung nichts zu tun haben, sondern er will sogar zeigen, dass, wenn sie auftreten, sie in jedem Fall ein Beweis für etwas Dekadentes sind (sonst könnte es ja sein, dass Stigmata vielleicht doch auf irgendeine besondere, irreguläre Einweihung hinweisen).

Zu diesem Zweck muss er wie beschrieben Franziskus in die Dekadenz stoßen und die christliche Einweihung als solche entwürdigen. Es ist also ein Indizienbeweis: Er behauptet, Franziskus sei in seinem Ich noch sehr unterentwickelt gewesen und überhaupt sei die christliche Einweihung damals schon dekadent gewesen und genau all dies sei der Grund, warum bei Franziskus überhaupt diese dekadenten Stigmata aufträten, die Rudolf Steiner für die Einweihung nie erwähnt. Mit anderen Worten: Die Dekadenz der Stigmata wird nur herbeigeredet, indem er zweimal behauptend voraussetzt (Dekadenz), was er eigentlich erst beweisen will.

Aufgrund dieses Indizienbeweises – oder besser gesagt: mit Unwahrheiten konstruierten Beweises –, spricht er Judith von Halle die Anthroposophie ab. Er spricht ihr die Anthroposophie also ab, weil sie Stigmata hat, weil Stigmata ein dekadentes Phänomen an sich seien, nämlich stets die Folge einer nicht ganz richtig verlaufenden alten christlichen Einweihung. Damit verbleibt er ganz im Äußerlichen. So, wie Judith von Halle die Stigmata als äußeren Beweis für die Durchdringung mit dem Auferstehungsleib anführt, so führt Prokofieff sie als äußeren Beweis für das Gegenteil an.

Nur Mieke Mosmuller weist in Ihrem Buch „Stigmata und Geist-Erkenntnis“ als Einzige darauf hin, dass man von den Stigmata ganz absehen muss, um aus dem Geiste dessen, was Judith von Halle sagt und schreibt, die Wahrheit erleben zu können (nämlich dass dies alles mit Geisteswissenschaft und esoterischem Christentum nichts zu tun hat).

Wie fehl Prokofieffs „Beweis“ wirklich geht, wird erst vollkommen deutlich, wenn man aufgrund der Worte Rudolf Steiners den wesentlichen Unterschied zwischen dem aus eigener Anstrengung begangenen Einweihungsweg und der erwähnten Begnadung mit einem Abbild des Astralleibes des Jesus von Nazareth berücksichtigt. Prokofieff will die damalige Dekadenz des Einweihungsweges beweisen – und spricht in Wirklichkeit von der angeblichen Dekadenz eines unmittelbaren Gnadengeschehens durch die geistige Welt!

Prokofieffs Methode...

Für Prokofieff ist die Anthroposophie ein Gebäude, aus dem er entnehmen kann, was er braucht, um sie vermeintlich zu „schützen“. Auch wenn er in seinen Büchern immer wieder tiefsinnige Betrachtungen anstellt (ob sie der Wirklichkeit entsprechen, ist eine ganz andere Frage) und virtuos die GA zu handhaben weiß, ist ihm die Anthroposophie letztlich ein zwar unglaublich großartiges, aber dennoch abstraktes Gebäude. Und so versteht er es auch nur rein abstrakt, sie zu „vertreten“ und zu „schützen“. So glaubt er, sich in päpstlicher Weise das Recht nehmen zu können, sie durch Rückgriff auf ihre Inhalte verteidigen zu dürfen.

Weil ihm in seiner abstrakten Art immer schon vorschwebt, was er verteidigen und bekämpfen will, hat er überhaupt kein Empfinden für das, was er tut. Er stellt Behauptungen auf, verdreht und verbiegt die Dinge, um das zu zeigen, was er von vornherein zeigen wollte. Er bemerkt überhaupt nicht, dass das, was er verteidigen will, unter seinen Verdrehungen und Behauptungen längst getötet und ins Gegenteil verkehrt wurde. Man kann die Wahrheit nicht verteidigen, wenn man ihr lebendiges Wesen nicht erkennt – wenn man nicht erlebt, dass jede willkürliche Handhabung ihrer „Teile“ nicht ihrer Verteidigung dient, sondern gleichbedeutend mit ihrem Tod ist.

So, wie man Gott nicht äußerlich beweisen oder widerlegen kann, so kann man auch nicht äußerlich beweisen, dass Stigmata das Durchdrungensein mit Christus beweisen oder widerlegen. Man muss die Art, wie jemand spricht, erleben – die Wahrheit oder die Unwahrheit, das Lebendige oder das Tote, das Weisheitsvolle oder das Abstrakte. Wenn man dies nicht kann, lässt sich auch nichts beweisen. Abstrakte Beweisführungen beweisen die Anthroposophie selbst zu Tode.

Anthroposophie ist Geisteswissenschaft. Wenn man jemanden als Gegner der Anthroposophie entlarven will, muss man darlegen, dass er keine Geisteswissenschaft betreibt, ja ihr Wesen verspottet. Prokofieff hält sich jedoch an äußeren Kriterien auf. Indem er Franziskus mit unterentwickeltem Ich hinstellt, unterstellt er die Dekadenz der christlichen Einweihung. Dabei ging es bei Franziskus gar nicht um die Entwicklung des Ich – und vor allem überhaupt nicht um eine (äußerliche) Einweihung, weil die Einweihung durch das Abbild des Astralleibes von sich aus in ihm wirksam war! Somit kann daraus auch überhaupt keine Aussage über die Bedeutung der Stigmata abgeleitet werden.

Worum es Prokofieff eigentlich geht, ist ja die Verteidigung der Anthroposophie gegen Judith von Halle, indem er einen Gegensatz aufzuzeigen versucht. Merkwürdigerweise kann er aber zu dem Wesen der Anthroposophie gar nichts sagen, außer einem abstrakten: „freie Entwicklung der höheren Erkenntniskräfte“. Da er immer wieder nur abstrakt über die Anthroposophie schreibt, Zitate Rudolf Steiners zusammenstellt usw., wird klar, dass er diese Kräfte überhaupt nicht hat. Die Anthroposophie ist ihm ein großartiger Bau aus Weltgedanken, erbaut von Rudolf Steiner aus diesen Erkenntniskräften heraus. Prokofieff selbst kennt diese Kräfte nicht. Er erbaut großartig abstrakte Gedankengebäude, die sogar noch viel mehr glänzendes „Wissen“ auf engem Raum zu bieten scheinen, als die Anthroposophie selbst – der fundamentale Unterschied wird jedoch deutlich, wenn man das Tote, Abstrakte und damit Dogmatische seiner Ausführungen erleben kann.

...oder die wahre Geisteswissenschaft

Wirkliche Anthroposophie ist ein Leben im Geiste – dieses beginnt mit einem realen Leben im reinen Denken, es führt zu einem Erleben der eigenen Denktätigkeit, des eigenen Geistwesens und schließlich des realen Christus-Wesens. Prokofieff kann immer nur über den Christus sprechen, über Anthroposophie sprechen. Es ist eben gerade nicht Anthroposophie, über Anthroposophie zu sprechen – es geht darum, sie zu finden, und darum muss man darauf hinweisen, wo sie und der Christus zu finden sind, und zwar real.

Je mehr man die Anthroposophie „verkündet“, „verteidigt“ und „vertritt“, desto mehr bekämpft man sie – solange man sie nicht hat, und man hat sie nicht, wie an Prokofieff zu sehen ist. Rudolf Steiner hat nie über Anthroposophie gesprochen, er hat immer aus ihr gesprochen. Wer keine lebendige Verbindung mit der Realität des Geistes, kein wirkliches Geist-Erleben hat, der muss aufhören, Anthroposophie zu „vertreten“ und muss endlich anfangen, sie zu suchen – und einzig und allein bescheiden darauf hinzuweisen, wo ihr Wesen real zu finden sein muss, wenn man sich auf den Weg macht...

Man kann über Anthroposophie reden, wenn ganz klar ist, dass man nicht glaubt, man „besäße“ sie, bewege sich mitten in ihr, sei ein wirklicher Anthroposoph. Genau das tut Prokofieff aber – er tritt auf wie ein Kardinal, der allen anderen Menschen die Anthroposophie nahebringen darf und muss, der sie auszulegen weiß, der ihre Kerngedanken darzustellen weiß usw. – Damit wird die Anthroposophie zu einem Dogma, einem beeindruckenden, aber toten Gedankengebäude. Der Schein wird für das Wesen genommen.

Das wirkliche Wesen aber, die reale Geisteswissenschaft, der reale Einweihungsweg und das, was auf ihm erlebt werden kann, die wirkliche Christusbegegnung – das wird von einer „Outsiderin“ beschrieben, einer wahren Anthroposophin, die außerhalb der Gesellschaft steht, die nicht beachtet werden muss, weil sie eben außerhalb steht... Auch hier wird wieder ein äußeres Kriterium genommen, um etwas Wesentliches zu „beweisen“. Und wieder wird das, was man „beweisen“ will, selbst in die Sache hineingelegt. Die außenstehende Mieke Mosmuller wird nicht beachtet, obwohl man selbst sie erst zur „Outsiderin“ gemacht, durch Verrat am Wesen der Anthroposophie zum Austritt bewogen hat...! Man will nicht die lebendige Anthroposophie. Man will das tote Gebäude, in dem man weiterhin herrschen, vertreten und ungeheuer wichtig und verantwortungsvoll sein kann...

Anmerkungen


[1] Wie historisch die Stigmatisation von Franziskus überhaupt ist – und ob es sich überhaupt um blutende Wundmale (Stigmata) handelte oder vielleicht nur um hyperämische Male (die im Falle dieser besonderen Persönlichkeit vielleicht auch bleibend waren und nicht zeitweilig, wie Steiner es für den christlichen Einweihungsweg als Normalfall beschreibt), ist m.E. gar nicht sicher. Fest steht, dass es innerhalb der katholischen Kirche natürlich ein Interesse gegeben haben wird, Hinweise auf solche Male auszuschmücken und zu übertreiben, da regelrechte Stigmata hier als Zeichen besonderer Heiligkeit gesehen werden.